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Feministische Kriminologie und die Differenz der Geschlechter

©1999 Diplomarbeit 121 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Diese Arbeit geht der Frage nach, inwieweit die Erkenntnisse der feministischen Wissenschaft über vermeintliche oder tatsächliche Differenz der Geschlechter und insbesondere über das Verhältnis der Geschlechter in die Kriminologie eingeflossen sind und somit als feministische Ansätze innerhalb der Kriminologie die kriminologische Disziplin dadurch ergänzen, ihre bisherigen Erkenntnisse korrigieren oder die kriminologische Disziplin sogar verändern.
Zunächst (Kap. 2) wird das statistische Phänomen der Frauenkriminalität beschrieben, da das Phänomen abweichenden Verhaltens, im Sinne eines strafrechtlich relevanten, kriminellen Verhaltens, Hauptgegenstand der Kriminologie ist und darüberhinaus Ausgangspunkt unterschiedlicher kriminologischer Erkenntnisse, Meinungen und Erklärungsansätze über Entstehung von Kriminalität. Anlaß empirischer Untersuchungen zur Frauenkriminalität war z.B. auch, daß man sich durch ihre Erklärung Aufschluß erhoffte über die Entstehung von männlicher Kriminalität. Diese Hoffnung hat sich bis heute allerdings nicht erfüllt, Kriminalität als soziales Phänomen, sowohl in der männlichen als auch in der weiblichen Ausprägung, ist noch immer erst in Ansätzen erklärbar.
Die darauffolgenden Kapitel (3 und 4) beschäftigen sich mit den beiden Grundelementen der feministischen Kriminologie als Kategorie: zum einen der Kriminologie und zum anderen der feministischen Wissenschaft. Sie geben einen kurzen Überblick über Geschichte und grundlegende Inhalte beider Disziplinen. Dabei wird deutlich, daß es sich bei beiden nicht um einheitliche Konzepte handelt, sondern sowohl bei der Kriminologie als auch in der feministischen Wissenschaft unterschiedliche Ansätze inhaltlich als auch methodisch und erkenntnistheoretisch konkurrieren. So unterscheiden sich die Ansätze auch hinsichtlich ihrer Radikalität bzgl. ihrer Einschätzung unserer Gesellschaft und ihrem Einfluß auf die Entstehung von Kriminalität einerseits sowie die Entstehung über Geschlechterdifferenzen andererseits und der Veränderbarkeit bzw. Notwendigkeit zur Veränderung von beiden.
Abschließend (in Kap. 5) wird gezeigt, wie die Erkenntnisse der feministischen Wissenschaft über Geschlechterverhältnisse und -differenzen in den verschiedenen Richtungen der Kriminologie Fuß gefaßt haben, die bisherigen Erkenntnisse über Frauenkriminalität korrigieren oder ergänzen. Der Anspruch der feministischen Kriminologie, die Disziplin darüberhinaus durch […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Phänomene der Frauenkriminalität
2.1. Statistisches Erscheinungsbild
2.1.1. Quantitativer Unterschied zur männlichen Kriminalität
2.1.2. Qualitativer Unterschied zur männlichen Kriminalität
2.2. Aussagewert der amtlichen Statistiken
2.2.1. Einige Aspekte des Dunkelfeldes
2.2.2. Selektion und Zuschreibung
2.2.3. Geschlechtsspezifische Straftatbestände

3. Kriminologie
3.1. Definition
3.2. Kurzer Überblick über verschiedene kriminologische Richtungen
3.2.1. Klassische Schule
3.2.1. Traditionelle positivistische Ausrichtung
3.2.2. Kritische Richtung
3.3. Charakteristische Unterschiede
3.3.1. Prämissen
3.3.1.1. Positivismus kontra Infragestellung von objektiver Erkenntnis
3.3.1.2. Dichotomie kontra Infragestellung von ‘Kriminell-Sein’
3.3.1.3. Ätiologie kontra soziale Prozesse
3.3.2. Forschungsschwerpunkte
3.3.2.1. Soziale Kontrolle
3.3.2.2. Normsetzung und -anwendung
3.3.2.3. Herrschafts- und Ökonomieverhältnisse
3.3.2.4. Fragen der kriminologischen Forschung und Praxis
3.3.3. Methoden
3.3.3.1. Ideologiekritik
3.3.3.2. Kritik der Ökonomie
3.3.3.3. Historische Analysen
3.3.3.4. Funktionale Analyse
3.3.4. Ziele

4. Feministische Wissenschaft
4.1. Definition
4.2. Geschichtlicher Überblick
4.3. Unterschiede zwischen Frauenforschung und feministischer Wissenschaft
4.3.1. Wissenschaftspolitische Funktion
4.3.2. Sozialökonomische Funktion
4.3.1. Soziokulturelle Funktion
4.3.2. Sozialpsychologische Funktion
4.4. Zentrale Elemente feministischer Wissenschaft
4.4.1. Ideologie des Androzentrismus
4.4.2. Patriarchat als Herrschaftsstruktur
4.4.3. Einige Aspekte der ‘gender’-Diskussion
4.4.4. Betroffenheit als Grundlage von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie

5. Feministische Kriminologie und die Differenz der Geschlechter
5.1. Natürliche Differenz der Geschlechter als ätiologische Erklärungsansätze zur Frauenkriminaliät
5.1.1. Weibliche Natur (Physis und Psyche) als kriminogener Faktor
5.1.1.1. Körpermerkmale und Frauenkriminalität
5.1.1.2. Weibliche Psyche und Frauenkriminalität
5.1.1.3. Weibliche Generationsphasen und Kriminalität
5.1.1.4. Weibliche Sexualität und Kriminalität
5.1.2. Soziokulturelle bzw. sozialstrukturelle Determinanten als geschlechtsspezifische kriminogene Faktoren
5.1.2.1. Weibliche Sozialisation und Kriminalität
5.1.2.2. Gesellschaftliche Rolle der Frau und ihre Kriminalität
5.1.2.3. Gesellschaftliche Stellung der Frau als kriminalitätshemmender Faktor
5.2. Feministische Kritik an der Auffassung einer natürlichen Differenz der Geschlechter als Ursache von Frauenkriminalität
5.2.1. Androzentrische Ideologien und patriarchale Herrschaftsstrukturen anstelle natürlich bedingter Unterschiede
5.2.1.1. Philosophische und (geistes-) wissenschaftliche Mythen von Weiblichkeit
5.2.1.2. Doppelte Unterdrückung der Frau
5.2.2. Männlicher Blick auf die gesellschaftliche Lage der Frau
5.3. Differenz der Geschlechter in definitorischen Erklärungs- ansätzen zur weiblichen Kriminalisierung
5.3.1. Weibliche Stereotype in 'Labeling'-Theorien
5.3.2. Männlicher Blick auf weibliche Kriminalisierungsprozesse
5.4. Kritische Kriminologie und das Fehlen der sozialen Kategorie Geschlecht
5.4.1. Geschlechtsspezifische formelle und informelle soziale Kontrolle
5.4.1.1. Strafrecht
5.4.1.2. Psychiatrie
5.4.1.3. Informelle soziale Kontrolle: Gewalt und Privatsphäre
5.4.2. Geschlechtsspezifische Normalitäts- und Abweichungskonstruktionen
5.4.2.1. Social censures
5.4.2.2. Individuen als Produkte von Machtbeziehungen
5.5. Feministische Kriminologie - eine Transformation der 102 kriminologischen Disziplin?

6. Fazit

FEMINISTISCHE KRIMINOLOGIE

UND DIE DIFFERENZ DER GESCHLECHTER

1. Einleitung

„Es gibt ein gutes Prinzip, das die Ordnung, das Licht und den Mann geschaffen hat, und ein böses Prinzip, das das Chaos, die Finsternis und die Frau geschaffen hat. Pythagoras“[1].

Diese Arbeit geht der Frage nach, inwieweit die Erkenntnisse der feministischen Wissenschaft über vermeintliche oder tatsächliche Differenz der Geschlechter und insbesondere über das Verhältnis der Geschlechter in die Kriminologie eingeflossen sind und somit als feministische Ansätze innerhalb der Kriminologie die kriminologische Disziplin dadurch ergänzen, ihre bisherigen Erkenntnisse korrigieren oder die kriminologische Disziplin sogar verändern.

Zunächst (Kap. 2) wird das statistische Phänomen der Frauenkriminalität beschrieben, da das Phänomen abweichenden Verhaltens, im Sinne eines strafrechtlich relevanten, kriminellen Verhaltens, Hauptgegenstand der Kriminologie ist und darüberhinaus Ausgangspunkt unterschiedlicher kriminologischer Erkenntnisse, Meinungen und Erklärungsansätze über Entstehung von Kriminalität. Anlaß empirischer Untersuchungen zur Frauenkriminalität war z.B. auch, daß man sich durch ihre Erklärung Aufschluß erhoffte über die Entstehung von männlicher Kriminalität[2]. Diese Hoffnung hat sich bis heute allerdings nicht erfüllt, Kriminalität als soziales Phänomen, sowohl in der männlichen als auch in der weiblichen Ausprägung, ist noch immer erst in Ansätzen erklärbar[3].

Die darauffolgenden Kapitel (3 und 4) beschäftigen sich mit den beiden Grundelementen der feministischen Kriminologie als Kategorie: zum einen der Kriminologie und zum anderen der feministischen Wissenschaft. Sie geben einen kurzen Überblick über Geschichte und grundlegende Inhalte beider Disziplinen. Dabei wird deutlich, daß es sich bei beiden nicht um einheitliche Konzepte handelt, sondern sowohl bei der Kriminologie als auch in der feministischen Wissenschaft unterschiedliche Ansätze inhaltlich als auch methodisch und erkenntnistheoretisch konkurrieren. So unterscheiden sich die Ansätze auch hinsichtlich ihrer Radikalität bzgl. ihrer Einschätzung unserer Gesellschaft und ihrem Einfluß auf die Entstehung von Kriminalität einerseits sowie die Entstehung über Geschlechterdifferenzen andererseits und der Veränderbarkeit bzw. Notwendigkeit zur Veränderung von beiden.

Abschließend (in Kap. 5) wird gezeigt, wie die Erkenntnisse der feministischen Wissenschaft über Geschlechterverhältnisse und -differenzen in den verschiedenen Richtungen der Kriminologie Fuß gefaßt haben, die bisherigen Erkenntnisse über Frauenkriminalität korrigieren oder ergänzen. Der Anspruch der feministischen Kriminologie, die Disziplin darüberhinaus durch ein alternatives Wissenschaftsverständnis, durch eine alternative Erkenntnistheorie zu verändern, wird dargestellt. Den Abschluß stellt der Versuch einer Bewertung dar, ob sie ihrem Anspruch genügt oder ob und wo noch Lücken klaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

2. Phänome der Frauenkriminalität

Die Frage nach der Differenz der Geschlechter innerhalb der Kriminologie entzündet sich bereits am statistischen Phänomen 'Frauenkriminalität', spielt es doch im Vergleich zur männlichen Delinquenz nur eine scheinbar bedeutungslose Rolle, sowohl was die aufgezeigte Quantität als auch Qualität betrifft. Das Dilemma scheint perfekt: Entweder spiegeln die amtlichen Zahlen die 'moralisch höherstehende Natur' der Frau wider, dann müßten die traditionellen kriminologischen Erklärungen zur Kriminalitätsentstehung die weibliche Natur im Gegensatz zur männlichen eigentlich in den höchsten Tönen loben oder aber die Zahlen belegen, daß die Sozialisation von Frauen besser geglückt ist, so daß als Lösung des Kriminalitätsproblems eine 'weibliche Sozialisation' für Männer geeignet zu sein scheint[4].

Das mag vielleicht der Grund dafür gewesen sein, daß man diesem Phänomen weniger wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt hat als der männlichen Kriminalität und zum Teil meinte, daß Theorien zur Entstehung von Kriminalität die Unterschiede bei männlicher und weiblicher Kriminalität nicht zu berücksichtigen bräuchten.

Analysen offizieller Kriminalstatistiken[5] ergeben denn auch, daß Frauen „in allen Nationen, in allen Gemeinden innerhalb einer Nation, in allen Altersgruppen, zu allen Zeitpunkten, da Kriminalität statistisch erfaßt wurde, bei allen Kriminalitätsarten - ausgenommen die Delikte Kindestötung und Abtreibung -“[6] prozentual weit unter dem Anteil der Männer an der Gesamtkriminalität rangieren[7].

Je nach Standpunkt (traditionelle oder kritische und feministische Kriminologie, siehe Kap. 3) weisen die amtlichen Zahlen den Grad der jeweiligen geschlechtsspezifischen Kriminalität (Eigenschaft eines Verhaltens) oder aber der Kriminalisierung (Ergebnis der Strafverfolgung unter Berücksichtigung von Dunkelfeld und Selektion) auf und werden trotz aller Bedenken und Einwände (siehe Kap. 2.2) bei allen Arbeiten zur Kriminalität zum Vergleich herangezogen.

2.1. Statistisches Erscheinungsbild der Frauenkriminalität

Statistische Aufzeichnungen über den Umfang von Frauen- und Männer-Kriminalität in Deutschland, die zur Analyse und Beschreibung registrierter Kriminalität dienen sollen, existieren seit 1882. Mit Ausnahme der Jahre 1940 bis 1949 wurden sie kontinuierlich weitergeführt und bestehen bis heute in der sog. Strafverfolgungsstatistik fort. In diese Statistik werden Verurteilte nach Bundes- und Landesgesetzen (Strafgesetzbuch sowie strafrechtliche Nebengesetze) nach Eintritt der Rechtskraft aufgenommen. Neben der Strafverfolgungsstatistik gibt es die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), welche auf der einen Seite Tatverdächtige und auf der anderen Seite Straftaten erhebt; seit 1971 werden Eintragungen erst nach Abgabe an die Staatsanwaltschaft vorgenommen.

Ich beschränke mich auf die Darstellung der neuesten Zahlen von 1997 auf die Bundesrepublik und auf meine Heimatstadt Papenburg (als kleinräumige Vergleichsgröße), da ausführliche Statistiken in allen Büchern, die sich mit Frauenkriminalität beschäftigen, die Zahlen mindestens für die letzten 50 Jahre, sehr oft auch ab Beginn der statistischen Aufzeichnungen, aufführen und alle eine vergleichbare Tendenz aufzeigen[8].

Die aktuellen Zahlen für das Jahr 1997 ergeben für die Bundesrepublik folgendes Bild[9]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Statistik weist als Befund ein Verhältnis von registrierten männlichen zu weiblichen Tatverdächtigen von 3:1.

Für die BRD 1997[10] ergibt sich nach Straftatgruppen[11] unterteilt folgendes:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Auswertung dieser Statistik zeigt, daß bei den schweren, sog. Gewaltverbrechen der durchschnittliche Anteil registrierter weiblicher Tatverdächtiger an den Gesamtstraftaten von ca. 1/4 weit unterschritten wird: bei Mord, Totschlag kommen auf 9,5 männliche Tatverdächtige 1 weibliche, bei räuberischer Erpressung erhöht sich das Verhältnis auf fast 11:1, bei Vergewaltigung steigt der Unterschied auf 124:1 an. Bei der schweren Körperverletzung kommen auf 7,3 männliche Tatverdächtige 1 weibliche, bei der leichten beträgt das Verhältnis 6,5:1.

Bei den leichten, nicht zu den Gewaltverbrechen zu zählenden Straftaten wird der durchschnittliche Frauenanteil an der offiziellen Gesamtkriminalität überschritten, liegt jedoch immer noch weit unter dem der Männer; das Verhältnis ergibt eine Bandbreite zwischen fast 2:1 (Diebstahl ohne erschwerende Umstände) über 3:1 bei Betrug bis zu 3,2:1 bei Beleidung.

Für den Tatortbereich Papenburg werden in der PKS von 1997[12] folgende Zahlen angegeben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Papenburger Statistik zeigt einen noch unausgewogeneren Befund als der Bundesdurchschnitt, nämlich ein Verhältnis von fast 6:1 männlichen zu weiblichen Tatverdächtigen an der registrieren Gesamtkriminalität. Nach Straftatgruppen unterteilt, splitteten sich die Zahlen für Papenburg für den Berichtszeitraum 1997[13] so auf:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt tauchen Frauen in Papenburg als Tatverdächtige für Mord, Totschlag, Vergewaltigung und räuberische Erpressung nicht auf. Die amtlichen Zahlen bei Mord, Totschlag usw. weisen ausschließlich männliche Tatverdächtige auf, bei schwerer Körperverletzung ergibt sich ein Verhältnis von 9,5 männlichen zu 1 weiblichen Tatverdächtige(n).

Der weibliche Anteil an leichter Körperverletzung verringert sich auf 21,7:1. Registrierte sog. leichte Delikte weisen bei Beleidigung mit 3:1 in Papenburg gegenüber dem Bundesdurchschnitt von 3,2:1 ein etwas geringeres Verhältnis auf, das sich bei Diebstahl ohne erschwerende Umstände mit 3,5:1 zum Bundesdurchschnitt von fast 2:1 wieder erhöht ebensowie beim Betrug, wo sich das Verhältnis zum Bundesdurchschnitt (3:1) weiter auf 4,26 :1 erhöht.

In der Tatverdächtigenstatistik (PKS) kommt für die BRD und auch z. B. für Niedersachsen hinzu, daß die Bevölkerungszahlen der strafmündigen weiblichen Bevölkerung leicht über denen der Männer liegen[14], so daß die Chance der Frauen, Delikte zu begehen, im Vergleich zu der männlichen Bevölkerung entsprechend erhöht ist und demzufolge von einer noch etwas niedrigeren Kriminalitätsbelastung als in den amtlich ausgewiesenen weiblichen Kriminalitätsstatistiken auszugehen ist.

2.1.1. Qantitative Unterschiede zur Männerkriminalität

Ein Rückblick in die kriminologische Literatur zeigt, daß ähnliche Verhältniszahlen zwischen registrierter Männer- und Frauenkriminalität seit 1882 Bestand haben[15].

In allen Deliktgruppen weisen Frauen erheblich niedrigere (weit unter 50 %) Kriminalitätsziffern als Männer auf, wenngleich diese im internationalen Vergleich differieren: z.B. von einer Verurteiltenquote von 3 % in den Entwicklungsländern Nigeria und Venezuela über 8 % in den Niederlanden bis zu 19 % in Japan[16].

In Großstädten kommt die Kriminalitätsrate der Frauen etwas näher an diejenige der Männer heran, im Gegensatz zu kleinen Städten und in ländlich strukturierten Regionen[17]. In Kriegszeiten steigt die Kurve der registrierten weiblichen Kriminalität stark an, was jedoch ohne Aussage-wert[18] ist, da vor dem Hintergrund des Kriegszustandes unter der Zivilbevölkerung kaum Männer anzutreffen sind. Diese befinden sich im Krieg, bei Plünderungen und Vergewaltigungen fehlt die geordnete Verwaltung, die das alles registrieren würde!

Ein geschlechtsspezifischer Unterschied bei den amtlichen Kriminalitätszahlen ist also die signifikante weibliche Unterrepräsentation an der statistisch ausgewiesenen Gesamtkriminalität, die nie mehr als 1/4 betragen hat. Auch derzeit beträgt der weibliche Anteil rund 1/5. Bei den zu Freiheitsstrafen Verurteilten ist das Verhältnis noch unausgewogener: Auf 10 männliche Gefängnisinsassen kommt 1 weibliche.

Daran hat auch die Emanzipation mit einer vermehrten Berufstätigkeit von Frauen nichts geändert, obwohl es immer wieder anderslautende Äußerungen und sogar Studien, die eine angebliche Angleichung weiblicher Kriminalitätszahlen an die der Männer aufgrund weiblicher Emanzipation belegen sollten, gegeben hat. So gibt es z.B. die Studie „Sisters in crime“ von Freda Adler[19], mit der sie 1975 einen dramatischen Anstieg der weiblichen Tatverdächtigen wegen eines Raubüberfalls von 277 % (!!!) von 1960 - 1972 angibt[20]. Ann Jones[21] hat diese Studie genauer betrachtet und festgestellt, daß sich dieser extreme prozentuale Anstieg gerade aus der Tatsache ergibt, daß Frauen so wenig statistisch erfaßte Verbrechen begehen. Denn bei niedrigen absoluten Zahlen führt bereits eine geringe Schwankung der erfaßten Delikte zu drastisch höheren Prozentsätzen. Leider geht Frau Adler auf den niedrigen Stand der absoluten Zahlen in ihrer Studie nicht ein (95.000 wegen Raubüberfalls verhaftete Männer gegenüber 5700 Frauen[22] )!

Ein zweifelhafter Erfolg der Emanzipation ist allerdings eine Veränderung der Einstellung mancher Bediensteter im Strafjustizsytem. Aussagen von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden im Tenor: „wenn diese Frauen Gleichberechtigung wollen, dann sorgen wir dafür, daß sie sie kriegen“[23] (siehe Kap. 2.2.2 über Selektion) sind keine Seltenheit.

2.1.2. Qualitative Unterschiede

Neben dem signifikanten quantitativen Unterschied gibt es einen nicht weniger signifikanten qualitativen: Bei der Gewaltkriminalität wie Körperverletzung, Mord, Vergewaltigung, Raub usw. liegen die amtlichen Zahlen noch unter dem Durchschnitt der Frauenkriminalität an der Gesamtkriminalität.

Der Schwerpunkt der Frauenkriminalität liegt auf Delikten wie Diebstahl ohne erschwerende Umstände, Betrug, Beleidigung und ähnlich leichten Straftaten. Diese Delikte machen 3/4 der gesamten weiblichen und männlichen Kriminalität aus, so daß im strengen Sinn hier auch nicht von einer typisch weiblichen Deliktart gesprochen werden kann. Nur in Bezug auf die Binnenstruktur der weiblichen Kriminalität kann dieser Begriff einer spezifisch weiblichen Deliktart benutzt werden, da hier etwas mehr als die Hälfte der Frauenkriminalität anzusiedeln ist.[24]

Wenn Frauen kriminell auffällig werden, erfolgt die Registrierung vorrangig bei leichten Delikten. Bei der Schwer- bzw. Gewaltkriminalität sind sie gegenüber männlichen Delinquenten erheblich unterrepräsentiert.

Sind Frauen in Gewaltdelikte involviert, werden diese i.d.R. unter dem Begriff 'Nahraumdelikt' als frauenspezifisches Delikt subsumiert, da die meisten von Frauen registrierten Morde und Gewaltdelikte in der häuslichen Sphäre begangen werden und Familienmitglieder als Opfer haben. Allerdings hat die in der Literatur favorisierte 'heimliche Giftmischerin' empirischen Überprüfungen[25] nicht standgehalten. Tatsächlich hat sich hier herausgestellt, daß Männer im Verhältnis nicht nur überhaupt viel öfter morden und töten als Frauen, sondern dies auch viel öfter 'heimlich' mit Gift tun.

Sexuelle Übergriffe kommen äußerst selten vor, ebensowenig Delikte mit Waffengebrauch und ähnlichem.

Es bleibt festzuhalten, daß der zweite signifikante geschlechtsspezifische Unterschied, der sich ebenso konstant über all die Jahre der amtlichen Registrierung fortsetzt, darin besteht, daß weibliche Kriminalität deutlich weniger aus Gewaltkriminalität, sondern vielmehr aus leichter Kriminalität besteht.

2.2. Aussagewert der amtlichen Statistiken

Kriminalitätsstatistiken haben nur eine begrenzte Aussagekraft bzgl. tatsächlichen kriminellen Verhaltens, für die mehrere Faktoren verantwortlich sind. Diese verzerren den Realitätsgehalt der amtlichen Zahlen, so daß keineswegs von einem „Spiegelbild der Verbrechenswirklichkeit“[26] gesprochen werden kann, sondern eher von „eine(r) je nach Deliktart mehr oder weniger starke(n) Annäherung an die Realität“[27], wie mittlerweile sogar aus der einleitenden Vorbemerkung der jährlich herausgegebenen Polizeilichen Kriminalstatistik[28] hervorgeht.

Ein inhärentes Problem speziell der PKS ist die Registrierung Tatverdächtiger, da sie oder die ihnen zur Last gelegten registrierten Straftaten nicht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik herausfallen, wenn eine Anzeige zurückgenommen, das laufende Verfahren eingestellt wird oder ein Gericht den/die Angeklagte(n) freispricht bzw. das Verfahren einstellt.

Als weitere Verzerrungsfaktoren kommen in Betracht: a) das Dunkelfeld, b) Selektionsprozesse innerhalb der polizeilichen und juristischen Behörden sowie c) geschlechtsspezifische Straftatbestände.

2.2.1. Einige Aspekte des Dunkelfeldes

Unter Dunkelfeld wird gemeinhin der Teil der Straftaten verstanden, der nicht von der Polizei entdeckt wird oder deren TäterIn nicht entdeckt werden. Die Dunkelfeldforschung beschäftigt sich mit der „Sichtbarkeit und Sichtbarmachung kriminellen Verhaltens“[29] und befaßt sich u.a. mit der Frage des Verhältnisses der entdeckten zu den nicht entdeckten Straftaten. Gibt es mehr entdeckte als unentdeckte Straftaten? Ist ihr Verhältnis proportional oder umgekehrt proportional zueinander oder gibt es überhaupt kein konstantes Verhältnis?

Die Tendenz ging immer dahin anzunehmen, daß es mehr unentdeckte als entdeckte Straftaten gibt, so daß die Statistiken nur einen Bruchteil der gesamten Kriminalität ausweisen. Dies wird allein schon durch die begrenzten technischen[30] Möglichkeiten zur Aufdeckung von Straftaten durch die Behörden bedingt. Die Dunkelfeldforschung geht außerdem davon aus, daß sich im Dunkelfeld grundsätzlich mehr sog. Bagatelldelikte und weniger schwere Straftaten finden als im Hellfeld (entdeckte Straftaten) mit Ausnahme von Sexualdelikten, die immer noch selten angezeigt werden[31].

Zusätzliche Schwierigkeiten zur Bestimmung der Quantität einzelner Delikte im Dunkelfeld treten auf, da sich z.B. die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung ändern kann, oder wenn aus vielleicht politischen Gründen bestimmte Delikte intensiver verfolgt werden, wenn bestimmte Delikte einfacher zu verheimlichen sind als andere usw.[32]

So wird z.B. von der sog. „maskierten“[33] Kriminalität gesprochen, da die Rolle von Frauen als Helferinnen oder Anstifterinnen von kriminellen Handlungen schwer zu beweisen ist, so daß dann auch hier von einem Vielfachen im Dunkelfeld auszugehen wäre. „Kriminalisten glauben nicht so recht an die geringe Kriminalität der Frau. Sie wissen, daß das Dunkelfeld gross ist und die Frau im Verborgenen bewusst oder unbewusst die Triebfeder für unzählige Verbrechen war, ist und auch sein wird. Der altbewährte Grundsatz bei der Aufklärung vieler Verbrechen, ‘cherchez la femme’, wird daher nicht so bald aus der Mode kommen“[34]. Wieso sie allerdings bei von Frauen verübten Straftaten nicht gleicherweise von einem männlichen Anstifter ausgehen, bleibt ihr Geheimnis!

Verfechter der sog. 'Gleichverteilungsthese' bestreiten generell, daß die in den amtlichen Statistiken ausgewiesene geschlechtsspezifisch unterschiedlich hohe Kriminalität der Realität entspricht. Stattdessen gehen sie von einem gleich hohen Anteil von Männern und Frauen an der Gesamtkriminalität und einem 'geschlechtseigenen' Dunkelfeld der Frauen- und Mädchenkriminalität aus. Zur Begründung führen sie an, daß von Frauen verübte Delikte z.B. häufiger im sozialen 'Nahraum' stattfinden und deshalb nicht angezeigt, sondern informell geregelt werden, oder daß Frauen oft nicht so klar strafrechtlich definierte Hilfsrollen spielen, z.B. das Opfer nur anlocken usw. Beischlafdiebstahl oder Erpressung auf sexueller Grundlage würden vom Opfer, das dadurch bloßgestellt würde, nicht angezeigt etc.[35]

Der gegenwärtige Stand der Dunkelfeldforschung[36] geht jedoch davon aus, daß die Kriminalstatistiken bzgl. männlicher und weiblicher Kriminalität einen „realen Unterschied, wenn auch in seiner Größe verzerrt“[37] widergeben.

„Ein Dunkelfeld 'wirklicher, aber nicht entdeckter Kriminalität' kann es jedoch nicht geben. Kriminalität kann nur sein, was von irgendeiner Seite als solche definiert wird“[38] beschreibt als letzten Aspekt, den ich hier zum Dunkelfeld aufführen will, dann noch die Position der kritischen Kriminologie. Für sie ist Kriminalität keine Eigenschaft eines Verhaltens, sondern wird quasi erst in dem Moment 'kreiert', wo z.B. ein Richter ein Verhalten strafrechtlich sanktioniert und diesem damit eine kriminelle Qualität zuschreibt.

2.2.2. Selektion und Zuschreibung

Noch vor der ersten Ermittlungstätigkeit der Polizei beginnt eine Selektion über das, was als kriminell zugeschrieben wird, da der Staat die Definitionsmacht hat, was als Straftat zu werten ist. In verschiedenen Gesellschaften und Zeiträumen sind gleiche Handlungen unterschiedlich bewertet worden. So ist z.B. in einigen Ländern Prostitution unter Strafe gestellt, Abtreibung war bis vor kurzem in der Bundesrepublik noch generell mit Strafe bedroht und auch der Kuppelei-Paragraph ist noch nicht lange aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

Sodann unterliegen die staatlichen Sanktionsprozesse von der ersten Ermittlungstätigkeit der Polizei bis zur Verurteilung durch das Gericht zahlreichen Selektionsprozessen. So haben z.B. Studien Anfang der 60er Jahre in den USA ergeben, daß außerrechtliche Faktoren wie Rasse oder sozioökonomischer Status bei der Verhaftung und Verurteilung eine große Rolle spielten, so daß überdurchschnittlich viele schwarze arme Amerikaner die Gefängnisse bevölkerten. Dieser Trend besteht bis heute und läßt sich z.B. auch an der Tatsache festmachen, daß sich unter den von der Todesstrafe bedrohten Gefängnisinsassen in amerikanischen Gefängnissen mehr Schwarze als Weiße befinden trotz des umgekehrten Bevölkerungsverhältnisses.

Kriminalstatistiken spiegeln das Ergebnis von Selektionsprozessen wieder, sagen nichts aus über die tatsächliche Kriminalität und dokumentieren lediglich „etwas über die Art und Weise der Arbeit der Instanzen der sozialen Kontrolle oder der Strafverfolgung“[39], zeigen also auf, wo die zuständigen Behörden Verhalten als 'kriminell' definieren und in der Folge kriminalisieren[40]. Das heißt, selbst bei bestimmten häufigen Tatbeständen wie z.B. Mord, Diebstahl, Vergewaltigung usw, bei denen weit-gehende Einigkeit darüber herrscht, daß niemand sie will, findet eine Selektion statt, d.h., „welche konkreten Handlungen aber unter diese Tatbestände subsumiert werden (was ein Mord, ein Diebstahl, eine Vergewaltigung etc. ist oder nicht) bleibt Gegenstand von Verhandlungen, insbesondere solchen über den Kontext und die Zuschreibung von Verantwortung“[41].

Und nicht nur Handlungen, sondern gerade auch Personen unterliegen der Selektion, wobei als Selektionskriterien zuerst einmal der soziale Status, dann aber auch persönliches vielleicht im Sinne des 'Widerstands gegen die Staatsgewalt' empfundes unhöfliches Verhalten oder ungeschicktes Verhalten in Verdachtssituationen usw. in Frage kommen. Es kann schon ausreichen, daß jemand nur gerade deshalb auffällt, weil er/sie in einer Gegend wohnt, die von der Polizei stärker als andere Gegenden kontrolliert wird.

Wie groß die Rolle ist, die der geschlechtsspezifischen Selektion zukommt, ist umstritten. Befürworter der sog. 'Ritterlichkeitsthese' argumentieren, daß Frauen durch ein geschlechtsspezifisch selektives Vorgehen der Strafverfolgungsinstanzen bevorzugt würden, indem sie nachsichtiger, eben mit „Ritterlichkeit und Toleranz“[42] behandelt und deshalb als weniger kriminell registriert würden. Besonders die Gerichte würden einen „Frauenbonus“[43] walten lassen, so daß eine mildere Aburteilung zu geringeren Belegungsquoten in Gefängnissen führen würde. „Der kriminalstatistisch erfaßte Frauenanteil an der Kriminalität ist geringer als der Männeranteil, (...) Kriminalpolizisten zeigen Frauen weniger an, und Strafrichter verurteilen sie zuweilen nicht zu Freiheitsstrafen, weil sie ihre Delikte als nicht so schwer und gewaltsam empfinden“.[44]

Andere Studien zeigen das Gegenteil, daß Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht seltener als männliche Täter als 'kriminell' eingestuft und registriert werden und bei ermittelten Straftäterinnen die Verurteilungsquoten in etwa der gleichen Höhe wie bei Männern liegen[45].

Darüberhinaus gibt es Studien, die aufzeigen, daß bei Delikten, die als frauentypisch anzusehen sind, zwar eine leichte Tendenz zur milderen Bewertung auszumachen ist, während die Verurteilungen für sog. nicht frauenspezifische Delikte aber für Frauen härter ausfallen als für Männer[46].

Ann Jones[47] berichtet, daß in einigen Bundesstaaten der USA das Gesetz bei gleichen Delikten härtere Strafen für Frauen als für Männer vorsieht. Das geht soweit, daß Frauen bei bestimmten Delikten zur Höchststrafe verurteilt werden müssen, während bei Männern für die gleichen Verstöße geringere Strafen verhängt werden dürfen.

2.2.3. Geschlechtsspezifische Straftatbestände

Bei der Interpretation amtlicher Kriminalitätsstatistiken ist weiterhin zu beachten, daß es geschlechtspezifische Straftatbestände gibt, d.h., Straftaten, die entweder nur von Männern oder nur von Frauen begangen werden können.

So ist z.B. im Bereich der BRD im Gegensatz zu z.B. angloamerikanischen Gesetzen die Prostitution straffrei, während die in der Regel von Männern begangene Zuhälterei strafbar ist. Folglich gibt es denn auch Überlegungen, die Prostitution der Kriminalität gleichzustellen. Als Begründung dafür wird z.B. angeführt, daß Frauen dadurch die Möglichkeit haben, sich ihren Lebensunterhalt zu beschaffen, während Männer in der Regel zu illegalen Mitteln greifen müssen. Dazu ist zu bemerken, daß die Prostitution vielleicht aber auch dazu dient, männliche sexuelle Übergriffe und damit Straftatbestände, die registriert würden, zu verhindern.

Desweiteren wird die Prostitution als „Surrogat für die Kriminalität der Frau angesehen“[48], d.h., die Frau flüchtet in die Prostitution in Situationen, wo der Mann kriminell wird. Diese Argumentation übersieht, daß die Prostitution durch die mannigfaltigen Bedürfnisse der Männer aber erst möglich gemacht wird und es außerdem auch Männer gibt, die körperliche Dienste gegen Geld zur Verfügung stellen[49].

Ein Delikt, das nur von Frauen begangen werden kann, ist per Definition der § 217 StGB 'Kindestötung'[50]. Das berührt allerdings nicht den Tatbestand der Anstiftung, durch den natürlich jederzeit auch Männer belangt werden können, es allerdings in den seltensten Fällen aufgrund schwieriger Beweislage auch werden.

Demgegenüber stehen Straftatbestände, die definitionsgemäß nur von Männern begangen werden können wie der in der BRD erst kürzlich aufgehobene § 175 StGB, der die Homosexualität unter Strafe stellte oder der § 183 StGB 'Exhibitionistische Handlungen' („Ein Mann, der...“)[51] sowie der § 177 StGB 'Vergewaltigung' („Wer eine Frau...“)[52].

3. Kriminologie

3.1. Definition

Die Kriminologie ist eine „Sammelbezeichnung für vielfältige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Kriminalität als einer Form abweichenden Verhaltens sowie der Kontrolle von Kriminalität“[53]. Sie ist eine multidisziplinäre Wissenschaft und speist sich aus den verschiedensten Disziplinen wie z.B. der Rechtswissenschaft[54], der Soziologie, der Psychologie, der Biologie usw.

3.2. Kurzer Überblick über verschiedene kriminologische Richtungen

Die Kriminologie kann in verschiedene Richtungen unterteilt werden:

- im 18. Jahrhundert beschäftigte sich die klassische Schule vorrangig mit dem Verhältnis des Täters zur Gesellschaft;
- die positivistische Richtung im 19. und 20. Jahrhundert hat ihren Schwerpunkt im Täter gefunden mit kausalen ätiologischen Erklä- rungsansätzen von Kriminalität, während
- die neuzeitliche Ausrichtung zwischen täterzugewandten (insb. auch psychoanalytische und psychosoziale Erklärungsansätze) und täterab- gewandten Perspektiven differenziert; wobei ein Schwerpunkt auf dem 'labeling'-Ansatz (Etikettierungsprozesse der Umwelt) liegt, während der andere sich mit der Mitte der 70er Jahre entstandenen Kritischen Kriminologie auf die gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen der Sozialen Kontrolle verlagert hat.

3.2.1. Klassische Schule

Die heute als klassische Schule der Kriminologie[55] bezeichnete Dekade der Disziplin mit ihrer Diskussion über die Grenzen staatlichen Strafens beginnt in der Zeit der Aufklärung, als die Lehre vom Gesellschaftsvertrag entwickelt wurde, wonach es Aufgabe des Staates ist, das friedliche Zusammenleben der Bürger zu garantieren. Ein Verhalten darf erst dann bestraft werden, wenn es die Rechte anderer verletzt. Der Gedanke eines „Sozialschadens“[56] als Voraussetzung für die Strafbarkeit war denn auch die Quintessenz des 1764 von Cesare Beccaria verfaßten bedeutendsten Werk der klassischen Schule der Kriminologie: „Über Verbrechen und Strafe“[57], das sich u.a. auf die philosophischen Gedankengebäude seiner Zeitgenossen Montesquieu, Voltaire und Rousseau stützte. Durch dieses Werk wurde der Weg geebnet, Verbrechen nicht mehr durch religiöse Begriffe wie Sünde und Laster zu definieren, sondern es sollten rechtsstaatliche Prinzipien wie 'keine Straftat und keine Strafe ohne Gesetz' Beachtung finden[58]. Alle Prinzipien, die wir heute mit dem Begriff eines Rechtsstaats verbinden wie z.B. Willkürverbot für die Polizei, Abhängigkeit des Richters vom Gesetz, öffentliche Gerichtsverhandlung, Unschuldsvermutung usw. finden wir bei ihm vorformuliert[59].

Weitere Namen[60], die mit der klassischen Periode der Kriminologie verbunden werden, sind z.B. der englische Philosoph und Reformer Jeremy Bentham oder sein Landsmann John Howard[61], der maßgebliche Reformanstöße durch sein Buch 'Der Zustand der Strafanstalten in England und Wales' vermittelte, infolgedessen sich die Freiheitsstrafe endgültig gegenüber körperlichen Züchtigungen durchsetzte. Gerade auch die sozialen Auswirkungen der industriellen Revolution unterstrichen die Bedeutung gesellschaftlicher und sozialer Bedingungen für die Entstehung von Kriminalität. So hatte die klassische Periode der Kriminologie großen Einfluß auf die Bereiche, die wir heute mit dem Begriff Kriminalpolitik umschreiben.

3.2.2. Traditionelle positivistische Ausrichtung

Die traditionelle positivistische Richtung kann als Reaktion auf die klassische Schule verstanden werden. Sie versteht sich als 'Wissenschaft vom Verbrechen und seiner Ursachen' und sucht und findet diese in individueller Fehlanpassung aufgrund biologischer, psychischer, psychosozialer Defekte in der Natur des Täters. Sie ist also rein ätiologisch orientiert, d.h., ausgehend von einem grundlegenden Unterschied zwischen einem Kriminellen und einem Nichtkriminellen erklärt sie abweichendes Verhalten im Sinne eines Verursacherprinzips. Darüberhinaus ist sie vom Positivismus geprägt, d.h., als wissenschaftlich sichere Grundlage wird nur das anerkannt, was sich empirisch messen und berechnen läßt. Die Aufgabe eines Kriminologen der positivistischen Richtung besteht demnach in der empirischen Untersuchung physischer, psychischer und sozialer Merkmale des Täters.

Der Beginn der positivistischen Schule wird mit den Arbeiten des Mediziners Cesare Lombroso (1835-1909) verknüpft, der aufgrund bestimmter Körpermerkmale wie Schädelumfang oder Nasenform Kriminelle von Nichtkriminellen zu unterscheiden suchte und dafür endlose empirische Datenreihen aufstellte. In diese Richtung zielen auch diejenigen Arbeiten, die Vererbungsfaktoren als determinierende Variable für Kriminalität in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses gemacht haben wie z.B. bei der Zwillingsforschung oder wie bei der Sippenforschung im Dritten Reich. In neuerer Zeit verweisen Forschungen, die sich mit dem Verhältnis von Chromosomenaberrationen und Kriminalität oder hirnorganischer Störungen und Kriminalität beschäftigen, auf eine moderne Spielart dieser Forschungstradition.

Neben biologischen gibt es psychologische Ansätze zur Erklärung kriminellen Verhaltens. Etliche gehen vom Persönlichkeitsmodell nach Freud aus und sehen in frühkindlichen sexuellen Entwicklungsstörungen und gestörten Über-Ich-Ausbildungen Ursachen für spätere Kriminalität. Darauf aufbauend stellt Tilman Moser[62] verschiedene psychoanalytische Kriminalitätstheorien vor, wonach Delinquenz zum einen als eine Folge psychopathischer Angst und Angstabwehr und zum anderen aus gestörten Identitätsbildungsprozessen resultierend erklärt wird.

Weitere ätiologische Ansätze stellen soziologische Erklärungen dar, die als Ursachen von kriminellem Verhalten Faktoren wie Zugehörigkeit zu einer unteren sozialen Schicht, die berufliche Situation, die Sozialisation, die familiäre Situation, Verhalten in sozialen Gruppen usw. benennen.

Als letzter ätiologischer Erklärungsansatz der traditionellen Kriminologie sei noch der sog. Mehrfaktorenansatz erwähnt, der von der Annahme ausgeht, daß Kriminalität nicht durch einen einzelnen Faktor, sondern durch ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren verursacht wird. So besteht die Vorgehensweise dieser Ansätze darin, eine Fülle von Daten aneinanderzureihen, ohne daß jedoch eine plausible Erklärung für Korrelationen untereinander und zur Kriminalität vorliegen.

3.2.3. Kritische Richtung

Die kritische Kriminologie seit Mitte dieses Jahrhundert knüpft an die klassische Schule an insoweit, als es ihr ein Grundanliegen ist, von einer ätiologischen, auf den Täter abgestellten Orientierung abzusehen. Für sie ist Kriminalität keine Eigenschaft eines Verhaltens oder gar einer Person. Erst in dem Moment, in dem ein Richter ein Verhalten sanktioniert, wird die Qualität 'kriminell' praktisch ins Leben gerufen.

Wurzeln der kritischen Kriminologie sind zum einen die Dunkelfeldforschung[63], deren Forschungen ergaben, daß es besonders außerrechtliche Faktoren wie Schicht oder sozioökonomischer Status sind, die bei der Verhaftung und Verurteilung eine große Rolle spielen. Obwohl davon auszugehen ist, daß Kriminalität gleichmäßig auf alle Schichten und Klassen verteilt ist, sind Menschen nicht priviligierter Schichten und Klassen doch häufiger von Verhaftung und Verurteilung betroffen, während sog. 'white-collar'-Kriminalität weniger Beachtung geschenkt wird.

Vom symbolischen Interaktionismus wird die Erkenntnis übernommen, daß Normen nicht ein für allemal für alle allgemeingültig 'vom Himmel fallen', sondern daß in einer Gesellschaft verschiedene Normsysteme neben- und auch gegeneinanderstehen. Zudem werden sie in Interaktionen erworben und sind somit auch wandelbar. Wichtig ist, welche Bedeutung jemand fremdem oder eigenem Verhalten beimißt, wobei diese Bedeutung erlernt wird. „Wurzeln der Kriminalität liegen im Interaktionsprozeß zwischen Rechtsbrechern und Personen, die die formelle oder informelle Sozialkontrolle ausüben“[64].

[...]


[1] Beauvoir, 1992, Einleitung

[2] Vgl. Cremer 1974, S. 13

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Jones 1986, S. 20

[5] Z.B. Strafverfolgungsstatistik (Eintragung erfolgt nach rechtskräftiger Verurteilung nach Bundes- und Landesgesetzen) oder Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS, seit 1971 erfolgt die Erhebung nach Abgabe des Ermittlungsvorganges an die Staatsanwaltschaft), vgl. Mischau 1997, S.63 f

[6] Brökling 1980, S. 6

[7] Vgl. auch Cremer, a.a.O., S. 23 ff, Funken 1989, S. 11 ff, Mischau a.a.O., S. 81 ff

[8] Vgl. z.B. Cremer, a.a.O., S. 23 ff, Brökling, a.a.O., S. 7 ff, Funken, a.a.O., S. 11 ff, Mischau, a.a.O., S. 81 ff

[9] Eigene Zusammenstellung nach den Daten der PKS des Jahres 1997 vom 04.11.98

[10] Vgl. ebd., aber: %-Zahlen sind nach den dort angegebenen absoluten Zahlen selbst errechnet.

[11] Aus der Fülle gesetzlicher Straftatbestände habe ich aus Platzgründen nur einige markante aus den beiden Bereichen schwerer und leichter Kriminalität ausgewählt. Alle nicht aufgeführten lassen sich jedoch unter diese beiden Kategorien subsumieren und zeigen die gleichen in den Kap. 2.1.1. und 2.2.2. aufgeführten Charakteristika. (Allerdings steht die leichte Körperverletzung im Gegensatz zu meiner Statistik in sonstigen Veröffentlichungen unter der Rubrik 'leichter' Kriminalität. Dieser Interpretation will ich mich nicht anschließen.)

[12] PKS 1997, Computerausdruck des Landeskriminalamtes Niedersachsen v. 04.11.1998

[13] Vgl. ebd., die %-Zahlen sind von mir anhand der dort angegebenen absoluten Zahlen selbst errechnet.

[14] Vgl. web-seite des Statistischen Bundesamts Wiesbaden http://www.statistik-bund.de/basis/d/bevoe. und des Statistischen Landesamts Niedersachsen http://www.Nlf.niedersachsen.de./tabellen/bevoelkerung/m10016960.html

[15] Vgl. Cremer, a.a.O., S. 23 ff, Funken, a.a.O., S. 11 ff, Mischau, a.a.O., S. 81 ff

[16] Vgl. Feest, 1993, S. 144

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. Cremer, a.a.O., S. 28

[19] Adler 1975, S. 13-15

[20] Vgl. Jones, a.a.O., S. 17

[21] Ebd.

[22] Vgl. ebd.

[23] Jones, a.a.O., S. 20

[24] Vgl. Mischau, a.a.O., S. 11 ff

[25] Vgl. Studie von Trube-Becker 1974

[26] Mischau, a.a.O., S. 65

[27] Ebd.

[28] Vgl. ebd.

[29] Sack, 1993, S. 100

[30] Zur Ausweitung der technischen Möglichkeiten sozialer Kontrolle ganzer Bevölkerungsteile vgl. Cohen 1993, zum Übergang der Disziplin- in die Kontrollgesellschaft vgl. besonders Deleuze 1992

[31] Vgl. Mischau, a.a.O., S. 68

[32] Vgl. ebd., S. 67

[33] Ebd., S. 148

[34] Pickl 1982, S.30

[35] Vgl. Schneider 1987, S. 364 f.

[36] Zur Problematik der Dunkelfeldforschung vgl. Mischau, a.a.O., S. 67 f.

[37] Sack, a.a.O., S. 143

[38] Hess 1986, S. 24

[39] Mischau, a.a.O., S. 71

[40] Vgl. ebd.

[41] Hess, a.a.O., S.28

[42] Mischau, a.a.O., S. 147

[43] Ebd., S. 146

[44] Schneider, a.a.O., S. 364 f.

[45] Vgl. Funken, a.a.O., S. 8

[46] Vgl. Mischau, a.a.O., S. 153

[47] Vgl. Jones, a.a.O., S. 26

[48] Trube-Becker, a.a.O., S. 12

[49] Vgl. ebd.

[50] "Eine Mutter, die ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet...", zitiert nach Stascheit 1994, S. 87

[51] Ebd., S. 80

[52] Ebd., S. 77

[53] Albrecht 1993, S. 308

[54] Die Rechtswissenschaft beanspruchte lange Zeit die 'Alleinherrschaft' innerhalb der kriminologischen Disziplin; sie machte den Begriff 'Kriminologie' Mitte bis Ende des 19. Jhrd'ts. populär.

[55] Burghard/Hamacher 1992, S. 31 ff

[56] Ebd.

[57] Original: Dei delitti e delle pene (engl.: Essays on Crimes and Punishment, New York 1809)

[58] Vgl. Burghard/Hamcher, a.a.O., S. 31

[59] Vgl. ebd., S. 32

[60] Vgl. ebd.

[61] Howard 1977

[62] Moser 1971, S.184-282

[63] Vgl. Popitz 1968

[64] Vgl. Schneider, a.a.O., S. 450 und Becker 1973, S. 13

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832454234
ISBN (Paperback)
9783838654232
Dateigröße
736 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven; Standort Emden – unbekannt
Note
1,0
Schlagworte
wissenschaft frauenkriminalität geschechterdifferenz
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Titel: Feministische Kriminologie und die Differenz der Geschlechter
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