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Mediale Politikvermittlung unter spezifischen Marketingaspekten

Ziele und Strategien von politischen Public Relations

©2002 Magisterarbeit 100 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Ein Schlagwort macht auch in Deutschland die Runde: die „Mediengesellschaft.“ Das ist weder neu noch spektakulär, hat aber gerade seit den Zeiten des Medienkanzlers Gerhard Schröder eine ganz neue Bedeutung auch für die Politik erlangt. Heute besteht für politische Akteure ein immer stärkerer Zwang, ihr Handeln gegenüber den Wahlbürger über die Medien zu rechtfertigen. Dabei entsteht zunehmend ein Spannungsverhältnis zwischen öffentlicher Politikdarstellung in den Medien und nicht öffentlicher Politikherstellung in den Entscheidungsgremien der Politik.
Um dieses Spannungsverhältnis weitesgehend aufzulösen und das jeweils richtige Maß an Inszenierung anzuwenden , muss das politische Geschehen heute neu bewertet werden: nämlich auch als Markt im ökonomischen Sinne, dessen Akteure – Politiker, Journalisten, Wahlbürger – sich ganz pragmatisch wie Nutzenmaximierer verhalten.
Eine solche Einsicht bedeutet keineswegs den vielbeschworenen Untergang der Politik, wie in Kritiker des „Politainment“ befürchten. Ganz im Gegenteil: der professionelle Einsatz von Marketingmethoden wie Public Relations dient doch gerade dazu, die Kunde namens Wähler vom eigenen Angebot zu überzeugen. Das kann nur gelingen, wenn deren Interessen wieder stärker in den Mittelpunkt rücken.
Entscheidend für eine gelungene mediale Politikvermittlung ist also, den richtigen Grad an stategischer Inszenierung zu treffen und die Zielgruppe der Wähler nie aus den Augen zu verlieren. Deshalb muss eine politische Kommunikation, die auf ein langfristiges Ziel – Vertrauensgewinn in der anvisierten Wählergruppe – ausgerichtet ist, weit mehr als nur kurzfristige Show made in USA bieten.
Das geschieht zwar noch nicht immer – aber immer öfter auch in Deutschland. Was im Grundsatz positiv zu werten ist, denn so erlangt die Politik die Chance, sich wieder stärker denen zu nähern, um die es eigentlich geht: den Wählern.
Die Politikwissenschaft selbst leistet bislang noch keinen in sich geschlossenen Beitrag zur Analyse von politischer Kommunikation. Versuche einer sytematischen Erschließung des Gesamtfeldes von Politikvermittlung unter Marketingaspekten finden sich erst ansatzweise im Nachbarbereich der Kommunikationswissenschaften. In dieser Arbeit wird daher der Versuch einer Systematisierung unternommen, die einerseits politik- und kommunikationswissenschaftliche Aspekte miteinander verbindet und andererseits Erkenntnisse des betrieblichen Marketings einbindet, mit dem […]

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Inhaltsverzeichnis


ID 5416
Baumann, Wolfgang: Mediale Politikvermittlung unter spezifischen Marketingaspekten: Ziele
und Strategien von politischen Public Relations / Wolfgang Baumann - Hamburg: Diplomica
GmbH, 2002
Zugl.: Bonn, Universität, Magister, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
...1
1.1 Problemstellung...4
1.2 Begriffsbildung
1.2.1 Politisches Marketing...7
1.2.2 Public Relations (PR)...9
1.3 Aufbau der Arbeit...11
2 Der Prozess der Politikvermittlung
...13
2.1 Sender, Übermittler und Empfänger politischer Botschaften:
Die Akteure aus Politik, Medien und Publikum...13
2.2 Wechselwirkungen zwischen Sendern und Übermittlern:
Die Akteure aus Politik und Medien...15
2.2.1 Die Rolle der Politiker...17
2.2.2 Die Rolle der Medien...18
2.2.2.1
Journalisten...19
2.2.2.2
PR-Fachleute...21
2.2.3 Die Akteure der Senderebene in der Interaktion...22
2.3 Die Rolle des Publikums als Empfänger...25
2.4 Zusammenfassung des 2. Kapitels...27
3 Ziele von Public Relations im Rahmen des politischen
Marketings
...28
3.1 Das Problem der Politikvermittlung in der Mediengesellschaft...28
3.2 Die Zielsetzungen von politischen PR...31
3.2.1 Einflussnahme auf die öffentliche Aufmerksamkeit...33
3.2.2 Konstruktion von Images und
thematischer Kompetenz...36
3.2.3 langfristige inhaltliche Kompetenzzuweisung... 39
3.3 Personalisierungsziele amerikanischen Formats als Folge medialer
Politikvermittlung...43
3.4 Zusammenfassung des 3. Kapitels...49

4 Strategien von Public Relations im Rahmen des politischen
Marketings
...50
4.1 Strategien zur Erzielung medialer Aufmerksamkeit...50
4.1.1 Das Konzept der Nachrichtenwert-Theorie...50
4.1.2 Ableiten von Strategien aus den vier wichtigsten
Nachrichtenfaktoren der Nachrichtenwert-Theorie...53
4.1.2.1 Aktualisierungsstrategie...53
4.1.2.2
Überraschungsstrategie...54
4.1.2.3 Konfliktstrategie...56
4.1.2.4
Visualisierungsstrategie...58
4.2 Strategien der Einflussnahme auf thematische Vorstellungen
des Publikums...59
4.2.1 Das Konzept der Agenda-Setting-Theorie (,,Themensetzung")...60
4.2.2 Ableiten von Strategien aus der Agenda-Setting-Theorie...62
4.2.2.1 Einflussnahme auf die thematische
Medienagenda (Agenda Building)...62
4.2.2.2 Einflussnahme auf die thematische Publikumsagenda..67
4.2.2.3 Grenzen der Agenda-Setting-Wirkungen...70
4.3 Strategien der Einflussnahme auf die inhaltlichen Vorstellungen
des Publikums...72
4.3.1 Das Konzept der Framing-Theorie (,,Rahmensetzung")...72
4.3.2 Ableiten von Strategien aus der Framing-Theorie...73
4.3.2.1 Einflussnahme auf die inhaltliche
Medienagenda (Frame Building)...73
4.3.2.2 Einflussnahme auf die inhaltliche Publikumsagenda...75
4.3.2.3 Grenzen der Framing-Wirkungen...77
4.4 Zusammenfassung des 4. Kapitels...79
5 Schlussbetrachtung
...80
6 Anhang I ­ XI: Literaturverzeichnis
...

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 1
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
,,Politikvermittlung", so beschreibt es Sarcinelli, bedeute, dass jedes demokratische Sys-
tem spezifischer Verfahren bedürfe, durch die Politik zwischen politischen Führungseli-
ten und den Bürgern vermittelt werden kann.
1
Der Wandel moderner Demokratien zu
,,Mediengesellschaften"
2
hat im vergangenen Jahrzehnt zu gravierenden Veränderungen
hinsichtlich dieser spezifischen Verfahren geführt: Medienpräsenz ist heute für Politiker
eine entscheidende ,,Machtprämie"
3
geworden, die eine professionelle Vermittlung poli-
tischer Botschaften unter Marketingaspekten erforderlich werden lässt.
Die Vermittlung politischer Inhalte ist notwendig, weil politisches Handeln in einer De-
mokratie zustimmungsabhängig und infolgedessen begründungsbedürftig ist. In einer
Mediengesellschaft erscheint das Handeln der politische Akteure immer transparenter
und sichtbarer für die Öffentlichkeit. Deshalb besteht für Politiker eine immer stärkere
Verpflichtung, ihr Handeln über Medien gegenüber dem Wahlbürger zu rechtfertigen,
um seine Zustimmung zu erlangen. Diese ,,Legitimation durch Kommunikation"
4
ist
Folge eines strukturellen Wandels im politisch-medialen Umfeld, der sich seit Gründung
des privaten Rundfunks 1984 ergeben hat. Inzwischen haben die Gegebenheiten einer
sich ausweitenden Medienlandschaft einen völlig veränderten Bedingungsrahmen für die
erfolgreiche Vermittlung politischer Botschaften geschaffen. Die Situation ist heute zu-
nehmend charakterisiert durch ein Spannungsverhältnis zwischen Politikdarstellung in
den Medien, insbesondere im Fernsehen, und der Politikherstellung in den Verhand-
lungs- und Entscheidungsgremien der Politik.
5
1
Vgl. Sarcinelli, Ulrich: Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur. In: ders. (Hg.):
Politikvermittlung. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur. Bonn 1987, S. 19
2
Saxer, Ulrich: Massenmedien als Wahlkommunikatoren in längerfristiger Perspektive: Ein Forschungs-
überblick. In: Bohrmann, Hans/ Jarren, Otfried/ Melischek, Gabriele/ Seethaler, Josef (Hg.): Wahlen und
Politikvermittlung durch Massenmedien. Wiesbaden 2000, S.34; Klaus Merten spricht gar von einem
,,Megatrend zur Mediengesellschaft." In: Merten, Klaus: Einführung in die Kommunikationswissenschaft.
Bd. 1: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft. Münster 1999, S. 21
3
Sarcinelli: Bonn 1987, a.o.O., S. 20
4
Vgl. Sarcinelli, Ulrich: Repräsentation oder Diskurs? Zur Legitimität und Legitimationswandel durch po-
litische Kommunikation. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft. Heft 8/1998, S. 549 f.
5
Vgl. Sarcinelli, Ulrich: Mediale Politikdarstellung und politisches Handeln. Analytische Anmerkungen
zu einer notwendigerweise spannungsreichen Beziehung. In: Jarren, Otfried (Hg.): Politische Kommuni-
kation in Hörfunk und Fernsehen. Sonderheft 8. Opladen 1994, S. 35 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
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Genau dieses Spannungsverhältnis beschreibt die ,,Scherenthese" von Sarcinelli.
6
Da-
nach ist zwischen der medialen Darstellung von Politik im Vermittlungsprozess und ih-
rer legislativen Herstellung im Entscheidungsprozess eine offene Schere entstanden. Für
politische Akteure wächst damit der Zwang zur genannten Legitimation durch Kommu-
nikation, aber auch die Gefahr, dass über Medien eine immer größere politische Erwar-
tungshaltung im Publikum geweckt wird, der die politische Umsetzung nicht mehr ge-
recht werden kann.
7
Sarcinelli sieht in dieser ,,Mediatisierung der Politik"
8
nicht
zwangsläufig negative Folgen für die Demokratie, solange sich die Schere nicht weiter
öffnet. Nach seiner Auffassung besteht in der Politik die Tendenz, die Ideen und Hand-
lungen politischer Akteure mediengerecht zu vermarkten mit der Folge, dass konkrete
politische Inhalte (policies) zunächst hinter ,,Aufmachung und Verpackung"
9
zurücktre-
ten müssen. Problematisch wird es nach Sarcinelli erst, wenn die politischen Inhalte an-
gesichts immer größerer Verpackung überhaupt nicht mehr zu erkennen sind.
10
Eine Gegenposition ist u.a. von Schmitt-Beck/Pfetsch formuliert worden, nach der Poli-
tik bereits jetzt die Züge einer ,,permanenten Kommunikationskampagne"
11
annehme,
bei der Herstellung und Darstellung von Politik gar nicht mehr unterscheidbar sei. Eine
solche Verschmelzung hatte bereits Edelman 1976 thematisiert und mit dem Begriff
,,symbolische Politik" belegt.
12
Er sieht darin zwar eine ganz ,,selbstverständliche Rol-
lenerfüllung politischer Eliten"
13
, die aber eine Zunahme symbolischer Inszenierungen
hervorrufe, hinter der politische Inhalte immer weniger erkennbar sind. Kepplinger
spricht im Zusammenhang mit medialer Politikdarstellung sogar von einer ,,Demonta-
ge"
14
der Politik in modernen Gesellschaften. Er befürchtet langfristig ein, wie es bereits
6
Vgl. ebda.; vgl.auch Jarren, Otfried/ Donges, Patrick/ Weßler, Hartmut/ Weßler, Hartmut: Medien und
politischer Prozess. Politische Öffentlichkeit und massenmediale Wahrnehmung im Wandel.Opladen
1996, S. 10 f.
7
Vgl. Jarren/ Donges/ Weßler: Opladen 1996, a.o.O., S. 10 f.
8
Sarcinelli, Ulrich: Sonderheft Opladen 1994, a.o.O., S. 36
9
Sarcinelli, Ulrich: Massenmedien und Politikvermittlung ­ ein Problem. Forschungsskizze. In: Rundfunk
und Fernsehen. Heft 4/1991, S. 469
10
Vgl. ebda., S. 469 f.
11
Schmitt-Beck, Rüdiger/ Pfetsch, Barbara: Politische Akteure und die Medien der Massenkommunikati-
on. In: Neidhardt, Friedhelm (Hg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinungen, soziale Bewegungen. Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 30. Opladen 1994, S. 106 f.
12
Vgl. grundlegend Edelman, Murray: Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutio-
nen und politischen Handelns. Frankfurt/ M. und New York 1976
13
ebda., S. 16
14
Kepplinger, Hans-Mathias: Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft. Freiburg und
München 1998

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
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Guggenberger bezeichnete, ,,Verschwinden der Politik."
15
Thomas Meyer betrachtet Po-
litikinszenierung nach amerikanischem Vorbild als ,,Theater."
16
Der einzige Sinn dieses
Theaters besteht nach seiner Ansicht darin, absichtlich ein gefälschtes Bild von der
Wirklichkeit zu entwerfen.
17
Für die Kritiker der Scherenthese sind Darstellung und Herstellung von Politik de facto
ineinander übergegangen und können daher nicht mehr getrennt betrachtet werden. Da-
gegen vertreten Sarcinelli, Saxer, Jarren, Bentele u.a. die in der Politik- und Kommuni-
kationswissenschaft vorherrschende Meinung, dass Politikdarstellung und Politikherstel-
lung getrennt zu analysieren sind, weil sie unterschiedlichen Regeln folgen, die im
Rückgriff auf Luhmann ,,Aufmerksamkeitsregeln" und ,,Entscheidungsregeln" genannt
werden können.
18
Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen die Aufmerksamkeitsregeln einer
Medienlandschaft, deren Bezugsrahmen für die Vermittlung politischer Botschaften sich
nach Entstehung des Privatfernsehens gravierend verändert hat.
19
Hier ist zu berücksich-
tigen, dass die Medienlandschaft nicht nur aus Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften,
Bücher), aus Radio, Fernsehen oder neuen Kommunikationsformen wie Internet und
CD-ROM besteht, sondern immer stärker von medialen Zulieferern der PR- Branche ge-
prägt wird, die innerhalb des Mediensystems eine wichtige Sonderrolle einnehmen.
20
Diese Sonderrolle wird in der vorliegenden Arbeit ausführlich untersucht. Die grundle-
gende Scherenthese von Sarcinelli wird dabei differenzierter betrachtet: Schließlich ent-
scheidet letztlich das Publikum sowohl über die Annahme öffentlicher Politikdarstellung
in den Medien (z.B. mittels der TV- Fernbedienung), als auch über Folgewirkungen
nicht öffentlicher Entscheidungsprozesse (durch politische Wahlen). Das Publikum
spielt also keine Nebenrolle, sondern die Hauptrolle in einer Analyse über mediale Poli-
tikvermittlung. Der professionelle Einsatz von Marketinginstrumenten wie Public Rela-
tions dient ja gerade dazu, die Wähler zu überzeugen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Um das zu erreichen, müssen die Interessen der Wähler im Vordergrund des politischen
15
Guggenberger, Bernd: Das Verschwinden der Politik. In: Die Zeit vom 07.10.94, S. 65
16
Meyer, Thomas: Politik als Theater. Die neue Macht der Darstellungskunst. Berlin 1998
17
Vgl. ebda., S. 42 f.; vgl. auch grundlegend: ders.: Die Inszenierung des Scheins. Frankfurt/M. 1992
18
Vgl. Luhmann, Niklas: Öffentliche Meinung. In: Politische Vierteljahreszeitschrift. 11.Jg. , Heft 1/1970,
S. 2 f.
19
Vgl. Sarcinelli, Ulrich: Politikvermittlung und Demokratie. Zum Wandel der politischen Kommunika-
tionskultur. In: ders.(Hg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur po-
litischen Kommunikationskultur. Bonn 1998, S. 11 f.
20
Vgl. Naßmacher, Hiltrud: Politikwissenschaft. 3. Auflage. München u.a. 1998, S. 48 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
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Handelns stehen. Gelangen Politiker zu der Einsicht, dass gelegentliches ,,Politain-
ment"
21
nicht ausreicht, um Wähler langfristig zu binden, könnte sich die Schere wieder
ein Stück weit schließen.
Seit Beginn der 90er Jahre erscheint eine ständig wachsende Zahl an Fachbeiträgen zu
Fragen der Politikvermittlung. Die Politikwissenschaft selbst leistet bislang jedoch kei-
nen geschlossenen Beitrag zur Analyse von politischer Kommunikation. Versuche einer
systematischen Erschließung des Gesamtfeldes von Politikvermittlung unter Marketing-
aspekten finden sich erst ansatzweise im Nachbarbereich der Kommunikationswissen-
schaften.
22
In dieser Arbeit wird daher der Versuch einer Systematisierung unternommen, die einer-
seits politik- und kommunikationswissenschaftliche Aspekte miteinander verbindet und
andererseits Erkenntnisse des betrieblichen Marketings einbindet, mit dem Ziel, Beurtei-
lungskriterien für politisches Handeln in einer Mediengesellschaft abzuleiten. Dazu die-
nen folgende Leitfragen:
1. Weshalb ist es für eine erfolgreiche Politikvermittlung zunehmend wichtiger, sich den
erwähnten medialen Aufmerksamkeitsregeln anzupassen?
2. Warum müssen politische Akteure in Deutschland infolgedessen ihr Handeln zuneh-
mend unter Marketinggesichtspunkten nach amerikanischen Vorbild gestalten?
3. Welche entscheidende Rolle in allen Fragen der Politikvermittlung spielen Public Re-
lations als zentrales Marketinginstrument?
4. Wie weit können politische PR-Kampagnen amerikanischen Formats für die deutsche
politische Kultur übernommen werden?
1.2 Begriffsbildung
Bevor auf die Begriffe ,,politisches Marketing" und ,,Public Relations" detailliert einge-
gangen wird, vorab einige grundsätzliche Überlegungen: In der Literatur finden sich un-
terschiedliche Definitionen des Marketingbegriffs, die sich zunächst nur auf den Bereich
der Wirtschaft beziehen. Unter Marketing versteht die Wirtschaft die ,,Planung, Koordi-
nation und Kontrolle aller auf den Markt ausgerichteten Unternehmensaktivitäten."
23
Diese bewusst ,,marktorientierte Führung"
24
impliziert auf der Angebotsseite eine sys-
21
Leggewie, Claus: It´s only politainment. In: Die Woche vom 22.10.2000, S. 5
22
Vgl. Sarcinelli: Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. In: ders. (Hg.): Bonn
1998, a.o.O., S. 11 f.
23
Gabler Wirtschaftslexikon. 11. Auflage. Wiesbaden 1983
24
Meffert, Heribert: Marketing. 7.Auflage. Wiesbaden 1986, S. 29

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
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tematische, absatzmarktorientierte Unternehmensstrategie. Die Strategie des Marketings
muss sich konsequent an den Bedürfnissen der Nachfrager ausrichten, um erfolgreich zu
sein.
25
Scheuch definiert Marketing als ,,allgemeine Lehre über zielorientiertes, problemlösen-
des Vorgehen."
26
Diese weit gefasste Definition begrenzt das zielorientierte Vorgehen
nicht ausdrücklich auf den Bereich der Wirtschaft. Es wird vielmehr deutlich, dass Mar-
keting auch auf andere Bereiche, z.B. die Politik, übertragen werden kann, sofern ver-
gleichbare Probleme zu lösen sind. Das von Scheuch betonte grundlegende Element ei-
ner zielorientierten Vorgehensweise bildet gemeinsam mit den von Meffert und Böcker
auf die Wirtschaft bezogenen Elemente (Planung, Koordination, Kontrolle und Nachfra-
georientierung) die Definitionsgrundlage für ein politisches Marketing im hier verstan-
denen Sinn.
Instrumente des unternehmerischen Marketings werden im so genannten Marketing-Mix
zusammengefasst:
1) Produktpolitik
2) Kontrahierungspolitik
3) Distributionspolitik
4) Kommunikationspolitik
27
Die Produktpolitik einer Unternehmung ist die Gesamtheit der Entscheidungen, die ein
Produkt betreffen: Die Markteinführung, die laufende Produktmodifikation im Markt
und schließlich die Produktaussonderung.
28
Dem Produkt des Unternehmens entspricht
in der Politik das Programm einer Partei bzw. Regierung. Es ist allerdings immateriell
und kann nicht zu einem bestimmten Preis im Handel angeboten werden. Eine unter-
nehmerische Produktpolitik ist daher nicht ohne weiteres auf ein politisches Marketing
übertragbar.
Ein Parteiprogramm enthält bereits die vertraglichen Bindungen, die mit dem Wähler
eingegangen werden (z.B. Umverteilung, soziale Sicherungen, Steuerregelungen, Um-
weltschutzverpflichtungen etc.). Es bedarf also für politische Akteure keiner ausdrückli-
25
Vgl. Böcker, Franz: Marketing. 5.Auflage. Stuttgart 1994, S. 22 f.
26
Scheuch, Fritz: Marketing. 3. Auflage. München 1989, S. 89
27
Vgl. Hopfenbeck, Waldemar: Allgemeine Betriebswirtschafts- und Managementslehre: das Unterneh-
men im Spannungsfeld zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen. Landsberg 1989,
S. 911
28
Vgl. ebda., S. 911 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 6
chen Kontrahierungspolitik, die in der Wirtschaft vertragliche Bindungen zwischen
Handel, Kunden und Lieferanten regelt.
Ähnliches gilt für die unternehmerische Distributionspolitik: Es leuchtet ein, dass mate-
rielle Produkte nach ökonomischen Gesichtspunkten transportiert werden müssen. Das
immaterielle Angebot politischer Akteure benötigt jedoch nicht die Distributionsmittel
wirtschaftlicher Produkte, um Verteilung, Lieferung oder Lagerung von Waren und Gü-
tern zu optimieren. Zwar ist auch für die Durchführung von politischen Veranstaltungen,
Parteitagen, Info-Ständen z.B. in Fußgängerzonen usw. eine logistische Organisation
notwendig. Immaterielle Angebote der Politik transportieren sich aber auf andere Weise
als in der Wirtschaft: über Kommunikation.
29
Während sich die ersten drei Punkten des unternehmerischen Marketings nur sehr einge-
schränkt für ein politisches Marketing eignen, weil wirtschaftliche Angebote nicht ohne
Weiteres gleichzusetzen sind mit politischen, ergeben sich beim vierten Punkt ­ der
Kommunikationspolitik ­ Parallelen. Eine nähere Betrachtung zeigt hier Problemidenti-
tät bei der Vermarktung von Produkten und Parteiprogrammen: Akteure der Wirtschaft
und Politik stehen gleichermaßen vor der Schwierigkeit, einen genügend großen Kun-
den- bzw. Wählerkreis nachhaltig davon zu überzeugen, dass ihr Angebot trotz großer
Konkurrenz praktisch konkurrenzlos ist. Die politischen Angebote müssen ebenso inte-
ressieren und überzeugen, wie die wirtschaftlichen Produkte. Für die Überzeugungsar-
beit ist in der Wirtschaft die Kommunikationspolitik mit ihren Elementen Werbung und
Public Relations verantwortlich. Es liegt also nahe, hier die Problemlösung der Wirt-
schaft auf ihre Verwendungsmöglichkeit für die Politik zu untersuchen.
Daher wird in dieser Arbeit das Instrument der Kommunikationspolitik aus dem unter-
nehmerischen auf das politische Marketing übertragen. Dabei werden Public Relations
und Werbung voneinander abgegrenzt, weil beiden Elementen trotz der grundsätzlich
identischen Zielsetzung eine unterschiedliche Zeitplanung zugrunde liegt: Werbung setzt
taktische Mittel ein, um kurzfristig ein Ziel zu erreichen.
30
PR stellen eine ganzheitliche
Strategie (Kapitel 1.2.2) dar, welche dieselbe Zielerreichung langfristig sicher stellt.
Werbung ist also ein Bestandteil einer PR-Strategie, aber nicht gleichzusetzen mit Public
Relations. Beide Elemente bauen aufeinander auf und sind
daher für die Öffentlichkeit
nicht immer klar unterscheidbar.
31
29
Vgl. ebda., S. 911 f.
30
Vgl. zum Unterschied zwischen (politischer) Werbung und (politischen) Public Relations : Bentele,
Günter: Politische Öffentlichkeitsarbeit. In: Sarcinelli: Bonn 1998, a.o.O., S. 132 f.
31
Vgl. ebda.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
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Die exakte Abgrenzung der beiden Elemente der Kommunikationspolitik ist wesentlich
für die weiteren Ausführungen: Taktische Maßnahmen der politischen Werbung (Wahl-
spots, Parteiplakate, Anzeigen usw.), die ad hoc zur Unterstützung einer ganzheitlichen
PR-Strategie eingesetzt werden können, sind nicht ausdrücklich Gegenstand dieser Ar-
beit. Die folgenden Ausführungen legen den Schwerpunkt auf politische Public Relati-
ons und behandeln politische Werbung lediglich als Bestandteil von PR.
1.2.1 Politisches Marketing:
Marketing-Methoden in der Politik wurden bereits praktisch angewandt, noch bevor the-
oretische Erklärungsansätze hierzu entwickelt wurden. Als einer der ersten PR-Praktiker,
der schon 1923 systematisch politische Kommunikation unter spezifischen Marketing-
aspekten betrieb, gilt Edward Bernays.
32
Er riet damals z.B. der tschechoslowakischen Regierung, ihre Unabhängigkeit an einem
Sonntag zu erklären, um dadurch größere Beachtung in den, gegenüber Wochentagen,
umfangreicheren Sonntagszeitungen zu finden.
33
Die ,,zielgerichtete und intelligente Be-
einflussung" der öffentlichen Meinung über die Medien stellte für ihn das ,,wichtigste
Element einer Demokratie" dar.
34
In Deutschland wurde der Begriff Marketing (und damit auch Public Relations) noch bis
in die 80er Jahre hinein ausschließlich mit der Wirtschaft in Verbindung gebracht. Das
änderte sich, als mit der Entstehung des privaten Rundfunks auch politische Angebote in
den Medien immer stärker auf die Bedürfnisse des Publikums zugeschnitten wurden.
Anstelle ausführlicher politischer Hintergrundberichterstattung trat allmählich eine Ten-
denz, die sich mit den Schlagworten ,,Infotainment" und ,,Emotionalisierung" beschrei-
ben lässt.
35
Die Medienlandschaft hat sich nach 1984 von einem überschaubaren System
von Angebotsmedien zu einem zunehmend unübersichtlichen System von Nachfrage-
medien entwickelt, die alle unter dem gleichen Wettbewerbsdruck einer Unterhaltungs-
orientierung stehen, ohne die beim Publikum kaum noch Aufmerksamkeit erzielt wer-
32
Vgl. grundlegend: Bernays, Edward L.: Crystallizing Public Opinion. New York 1923
33
Vgl. ebda., zitiert nach Kunczik; Michael: Politische Kommunikation als Marketing. In: Jarren, O./ Sar-
cinelli, U./ Saxer, U. (Hg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Opladen und
Wiesbaden 1998, a.o.O., S. 331
34
ebda., S. 331
35
Vgl. Naßmacher: München 1998, a.o.O., S. 53 f.: vgl. auch: von Alemann, Ulrich: Schattenpolitik.
Streifzüge durch die Grauzonen der Politik. In: Leggewie, Claus (Hg.): Wozu Politikwissenschaft? Über
das Neue in der Politik. Darmstadt 1994, S. 135 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 8
den kann.
36
So ist ein neuer Bezugsrahmen für die Vermittlung politischer Botschaften
entstanden, der entscheidend von diesen Änderungen der Medienlandschaft geprägt ist:
Politiker konzipieren heute ihre Äußerungen und Handlungen zunehmend nach ihrer
Medienkompatibilität, um ihr Zielpublikum zu erreichen.
37
Vergleichbar mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Wettbewerb in Bezug auf Produkte
und Dienstleistungen tritt auch in der Politik das Problem eines Überangebots von Ideen
und Personen auf, die immer weniger voneinander zu unterscheiden sind. So wird eine
Abgrenzung vom politischen Konkurrenten immer schwieriger und verlangt geradezu
nach zielgerichteter Planung von medialen Auftritten. Spätestens seit Beginn der 90er
Jahre wird daher in diesem Zusammenhang immer häufiger der Begriff politisches Mar-
keting gebraucht.
38
Die Übertragung eines Fachbegriffs der Wirtschaft auf die Politik basiert auf den An-
nahmen der ,,Ökonomischen Theorie der Politik."
39
Das Ziel dieser Theorie ist es, politi-
sche Prozesse mit Hilfe wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden zu
untersuchen. Die ökonomische Theorie der Politik beschäftigt sich nicht mit Fragen der
Güterknappheit oder Preisbildung, sondern mit Fragen der Machterlangung und Macht-
verteilung. Sie basiert auf der grundsätzlichen Annahme, dass Individuen des politischen
Systems ein ebenso rationales und nutzenmaximierendes Verhalten unterstellt werden
kann, wie Individuen des Wirtschaftssystems.
40
Die Unternehmen stehen im Wettbewerb um die Maximierung ihrer Gewinne, demokra-
tische Parteien im Wettbewerb um die Maximierung von Wählerstimmen. Wo für die
Wirtschaft Kunden bzw. Endverbraucher die anvisierte Zielgruppe in der Öffentlichkeit
darstellen, an der sich die Angebote auszurichten haben, bildet diese Nachfrager-Gruppe
in der Politik die Wählerschaft der jeweiligen Partei bzw. des Politikers. Im Mittelpunkt
wirtschaftlicher Prozesse stehen materielle Güter und Produkte, während politische Pro-
zesse auf immateriellen grundsätzlichen Überzeugungen und Ideen basieren. Auch die
Steuerung von Prozessen, denen immaterielle Sachverhalte zugrunde liegen, kann durch
wirtschaftliche Marketingmethode beeinflusst werden. Unter politischem Marketing
36
Vgl. Sarcinelli: Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. In: ders. (Hg.): Bonn
1998, a.o.O., S. 12 f.
37
Vgl. ebda.
38
Vgl. Kotter, Philip/ Bliemel, Friedhelm W.: Marketing-Management. 7. Auflage. Stuttgart 1992, S. 3 f.
39
Vgl. Braun, Dietmar: Theorien rationalen Handelns in der Politikwissenschaft. Eine kritische Einfüh-
rung. Opladen 1999, S. 53 f.; diese Theorie ist auch bekannt unter der Bezeichnung ,,Neue politische Öko-
nomie."
40
Vgl. ebda., S. 54 f.

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Seite 9
wird daher in dieser Arbeit das ,,Management von Austauschvorgängen und Austausch-
beziehungen"
41
zwischen Politikern und Wählern verstanden, nicht zwischen Produzent
und Konsument.
1.2.2 Public Relations
Public Relations galt in Deutschland lange nur als ,,modisches Phänomen."
42
Der Begriff
wurde 1937 von Carl Hundhausen eingeführt und 1964 von Albert Oeckl in ,,Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit" übersetzt.
43
Die einflussreichste theoretische Begründung der
Notwendigkeit von Public Relations entwickelte im deutschen Sprachraum 1977 Franz
Ronneberger.
44
Er sieht PR als eine Voraussetzung für den Erhalt der Demokratie, da sie
auf das Vorhandensein und die Respektierung vielfältiger Interessen angewiesen sind.
Überdies weist Ronneberger auf die bis heute bestehenden begrifflichen Unsicherheiten
hin, die PR noch immer in ,,relative Konturenlosigkeit abdriften"
45
lassen und zu der be-
reits angedeuteten Gleichsetzung mit klassischer Werbung führen. Werbung zielt aber
lediglich auf Steigerung des kurzfristigen Verkaufserfolgs; PR zielen auf langfristige
Imageprofilierung, d.h., auf Gewinnen von Vertrauen und Sympathie in der anvisierten
Zielgruppe. Werbebotschaften werden von bezahlten Medien veröffentlicht, um eine
unmittelbare Beeinflussung z.B. durch Spots, Plakate oder Anzeigen zu erreichen; PR-
Botschaften umfassen dagegen sämtliche Bemühungen einer Organisation, durch zielge-
naue und positive Selbstdarstellung relevante Teilöffentlichkeiten zu beeinflussen, z.B.
durch das Verfassen eigener Zeitschriften und Info-Broschüren oder der Planung und
Organisation von (regelmäßigen) Veranstaltungen.
46
Die langfristige Wirkungskraft von PR geht über die von Werbung hinaus, weil PR eine
Strategie darstellen. Inwieweit Strategien bereits konkrete Ziele beeinhalten, oder ledig-
lich Mittel und Wege zur Zielerreichung festlegen, ist in der Literatur umstritten. In die-
ser Arbeit wird davon ausgegangen, dass eine Strategie zwar grundlegende Ziele vor-
41
Kunczik in Jarren u.a. (Hg.). Opladen und Wiesbaden 1998, a.o.O., S. 330
42
Kückelhaus, Andrea: Public Relations: die Konstruktion von Wirklichkeit. Opladen und Wiesbaden
1998, S. 135
43
Vgl. Hundhausen, Carl: Public Relations. Ein Reklamekongress für Werbefachleute der Banken in den
USA. In: Die Deutsche Werbung. Ausgabe 19/1937; vgl. auch: Oeckl, Albert: Handbuch der Public Rela-
tions. München 1994
44
Vgl. Ronneberger, Franz: Legitimation durch Information. Düsseldorf und Wien 1977
45
Ronneberger, zitiert nach Kückelhaus: Opladen und Wiesbaden 1998, a.o.O., S. 135
46
Vgl. Kunczik in Jarren/ Sarcinelli/ Saxer (Hg.): Opladen und Wiesbaden 1998, S. 21 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 10
aussetzt, sie aber noch nicht eindeutig bestimmt. Die grundlegende politische Zielset-
zung, das angestrebte Abschneiden bei einer Wahl erfolgreich umzusetzen, ist also noch
kein Bestandteil einer politischen Strategie.
47
Eine Strategie wird in dieser Arbeit verstanden als ,,langfristig wirksame Maßnahmen-
kombination, welche die Wege zur Zielerreichung bestimmen."
48
Strategien stehen zu
Zielen also in einem Mittel-Zweck-Verhältnis. Durch Strategien werden Wege (Optio-
nen) vorgegeben, die mit dem Gebrauch bestimmter Mittel (Instrumente) verknüpft sind
und in der Kombination bestimmten Zwecken (Teilzielen) dient, die notwendig zur Er-
füllung der grundlegenden Zielsetzung (Gesamtziel) sind. Strategisches Verhalten einer
Organisation basiert auf systemerhaltenden Interaktionen zwischen der Organisation und
ihrer Umwelt, d.h., im Sinne dieser Arbeit: auf systemerhaltenden Interaktionen zwi-
schen politischen Akteuren, (politischen) Journalisten und dem Publikum. PR-Akteure
steuern diese Interaktionen durch Auswahl der geeigneten Strategie.
49
Daraus lassen sich folgende zentrale Definitionsmerkmale von PR herausarbeiten, die
grundlegend für die weiteren Ausführungen in dieser Arbeit sind:
PR sind allgemein als ein Instrumentenbündel der Marktkommunikation zu verstehen,
die systematisch die Beziehungen einer Organisation zur Öffentlichkeit regeln, mit dem
Ziel, Vertrauen zu gewinnen bzw. zu erhalten.
50
Maßnahmen der politischen PR zielen
nicht auf langfristige Imageprofilierung eines Unternehmens, sondern versuchen, eine
politische Organisation als Gesamtheit positiv und vertrauenerweckend in der Öffent-
lichkeit zu positionieren. Wichtigste Zielgruppe von PR-Akteuren sind demnach vor al-
lem die journalistischen Meinungsführer in Presse, Funk und Fernsehen.
51
Organisatorisch ist die PR-Abteilung einer Partei der Leitungsebene im Vorstand zuzu-
ordnen. Als hauptsächliche Aufgaben von politischen Public Relations lassen sich fünf
Kernbereiche bestimmen:
47
Vgl. Bircher, Bruno: Langfristige Unternehmensplanung. Konzepte, Erkenntnisse und Modelle auf sys-
temtheoretischer Grundlage. Bern und Stuttgart 1976, S. 94
48
ebda., S. 94
49
Vgl. ebda., S. 94 f.; vgl. auch: Staehle, Wolfgang H.: Management: eine verhaltenswissenschaftliche
Einführung. München 1980, S. 137 f.; vgl. auch: Liebl, Walter F.: Erfolgreiches Marketing-Management.
Landsberg 1992, S. 47 f.
50
Vgl. Kückelhaus: Opladen und Wiesbaden, a.o.O., S. 134
51
Vgl. ebda; vgl. auch Böcker: Stuttgart 1994, a.o.O., S. 372 f.; vgl. auch Saxer, Ulrich: Public Relations
als Innovation. In: Avenarius, H./ Armbrecht, W. (Hg.): Ist Public Relations eine Wissenschaft? Opladen
1992, S. 47 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 11
1) Steuerung externer Kommunikation durch das Verfassen von Pressemitteilungen und
redaktionellen Beilagen in z.B. Fachzeitschriften, von Informationsbroschüren, von Le-
serbriefen und vergleichbaren Texten (z.B. im Internet), die Auskunft über die eigene
Organisation geben.
2) Steuerung interner Kommunikation durch redaktionelle und grafische Erstellung ei-
ner Parteizeitschrift, die über einen internen ,,Verteiler" (mit i.d.R. kleiner Auflage von
etwa 10.000 Stück) an ausgewählte Mitarbeiter, Mitglieder, auch an Firmen oder wis-
senschaftlichen Einrichtungen usw. kostenlos versendet (also nicht am Kiosk verkauft)
wird, mit dem Zweck, über die eigene Organisation zu informieren.
3) Aufbau und Pflege freundschaftlicher Beziehungen zu (Fach-) Journalisten, die posi-
tive Informationen über die eigene politische Organisation veröffentlichen sollen.
4) Organisieren sämtlicher öffentlichkeitswirksamer Aktionen, die den eigenen Be-
kanntheitsgrad steigern sollen, wie z.B. Pressekonferenzen, Feste, Gewinnspiele und
sonstiger Veranstaltungen.
5) Ständige Beratungen des/der Vorsitzenden bzw. des Parteivorstandes bei allen me-
dienwirksamen Fragestellungen, wie z.B. Interviews, Reden, Präsentationen usw.
52
Diese Maßnahmen können entweder durch eine hauseigene Pressestelle durchgeführt
werden (,,Inhouse-PR"), oder bei Bedarf an externe (spezialisierte) PR-Agenturen über-
tragen werden. Kommunikationstheoretisch außerordentlich bedeutsam ist, dass PR auf
einer Metaebene agieren, also eine kommunikative Aktivität darstellen, um Kommuni-
kation zu generieren. PR sind dadurch allen anderen kommunikativen Aktivitäten, ins-
besondere der journalistischen, vorgeordnet, da ein Großteil der Themensetzung (gerade
in der Politik) auf PR-Aktivitäten zurückgeht.
53
1.3 Aufbau der Arbeit
Politische Berichterstattung ist heute Ergebnis des gemeinsamen Agierens von Politi-
kern, Journalisten und PR-Fachleuten.
54
Daher wird zunächst (Kapitel 2) das Zusam-
menspiel dieser Akteure untersucht, die einen ,,Handlungsrahmen" für eine politische
Kommunikation bilden, der durch eine Art ,,Tauschverhältnis mit wechselseitiger Ab-
52
Vgl. Frühschütz, Jürgen: Lexikon der Medienökonomie. Frankfurt/M. 2000, S. 7 f.
53
Vgl. Pape, Martin: Wörterbuch der Kommunikation. Neuwied 1997, S. 456 f.
54
Vgl. Jarren, Otfried/ Donges, Patrick (Hg.): Die Rolle von Politik und Medienvertretern in der Sozialpo-
litik. Bonn 2000, S. 16 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 12
hängigkeit"
55
charakterisiert ist. Dieses Zusammenspiel ist immer vor dem Hintergrund
einer gemeinsamen Zielsetzung zu sehen, nämlich Wähler bzw. Zuschauer von einem
Sachverhalt zu überzeugen. Deshalb wird hier auch die Rolle des Publikums untersucht,
die keineswegs so passiv ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
In Kapitel 3 wird die grundsätzliche Problematik der Politikvermittlung in einer Me-
diengesellschaft vorgestellt. Daraus resultieren die Anforderungen, die erfolgreiche poli-
tische Public Relations erfüllen müssen, um politische Teilziele zu realisieren. Erst die
schrittweise Erfüllung der einzelnen Teilziele ermöglicht die Erfüllung des Gesamtziels
Wahlerfolg, z.B. Regierungsübernahme, stärkste Bundestagsfraktion, Passieren der 5%-
Hürde usw. . Es zeigt sich, dass zur Durchsetzung der Teilziele zunehmend medienkom-
patible Charaktere in den Vordergrund rücken müssen, die den Bedingungen einer ,,In-
fotainment-Öffentlichkeit"
56
genügen. Deshalb wird auch die zunehmende Personalisie-
rungstendenz in der deutschen Politik ,,nach amerikanischem Vorbild"
57
untersucht.
In Kapitel 4 werden grundlegende politische PR- Strategien vorgestellt, die entscheidend
dazu beitragen, die in Kapitel 3 ermittelten Teilziele zu erreichen. Sie basieren auf drei
aufeinander aufbauenden theoretischen Konzepten, die ausführlich dargestellt werden.
Abschließend wird in Kapitel 5 untersucht, ob und inwieweit die Übertragung amerika-
nischer Kommunikationsmuster auf die deutsche politische Kultur möglich ist und wel-
che Konsequenzen sich daraus ergeben können.
55
Vgl. Sarcinelli in: Rundfunk und Fernsehen 1991, a.o.O., S. 469 f.
56
Ludes, Peter: Scheinöffentlichkeiten ­ Medienwissenschaftliche Erklärungsversuche. In: Faulstich,
Werner (Hg.): Konzepte von Öffentlichkeit. 3. Lüneberger Kolloquium zur Medienwissenschaft. IFAM-
Arbeitsberichte. Bd.11, Bardowick 1993, S. 58
57
Jäckel, Michael: Medienwirkungen. Opladen und Wiesbaden 2000, S. 246

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 13
2
Der Prozess der Politikvermittlung
2.1 Sender, Übermittler und Empfänger politischer Botschaften:
Die Akteure aus Politik, Medien und Publikum
Der Prozess der Politikvermittlung vollzieht sich auf drei ,,Ebenen", deren ,,Akteure" in
kommunikativer Wechselwirkung zueinander stehen.
58
Die erste Ebene umfasst die Ak-
teure des politischen Systems, die zweite Ebene die des Mediensystems, die dritte die in
der Bevölkerung (Publikum). Innerhalb des Mediensystems ist zwischen (Fach) -
journalisten in Presse, Funk und Fernsehen und PR-Journalisten in Pressestellen bzw.
PR-Agenturen zu unterscheiden. PR-Akteure sind zwar als Teil des publizistischen Sys-
tems (mit überwiegend journalistischer Arbeitsweise) zuerst den Medien zuzuordnen,
verfolgen aber auch mittelbare Machtinteressen für eine Partei, eine Regierung, einen
Politiker usw.. Sie sind zuerst diesen Machtinteressen verpflichtet, während Journalisten
der Presse- bzw. elektronischen Medien zuerst ihren Lesern bzw. Hörern und Zuschau-
ern verpflichtet sind. Daraus resultieren z.T. unterschiedliche Aufgaben im Prozess der
Politikvermittlung: Während Journalisten das grundsätzliche Ziel haben, Informationen
zu erlangen und auszuwerten, haben PR-Akteure in bestimmten Fällen (z.B. in politi-
schen Krisensituationen, Skandalen usw.) das Ziel, Informationen zu unterdrücken und
abzufangen.
Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist das Basistheorem des Konstrukti-
vismus.
59
Danach konstruieren Menschen auf der Empfängerebene (Publikum) ihre
Wirklichkeiten subjektiv und eigenverantwortlich durch selektive Auswahl von Informa-
tionsangeboten der Senderebene (Politik und Medien). Die Selektion hat die Funktion
einer permanenten Stabilisierung individueller Realitätsentwürfe. Es besteht ganz offen-
sichtlich ein menschlichen Grundbedürfnis nach einer ständigen Absicherung des per-
sönlichen Lebensentwurfs, um die eigene Position gegenüber anderen Personen, Sach-
verhalten usw. durch eine Mehrheit bestätigt zu sehen.
60
58
Vgl. Kepplinger, Hans-M.: Systemtheoretische Aspekte politischer Kommunikation. In: Publizistik. 30.
Jg. 1985, Heft 4, S. 247 f.; vgl. auch das Modell von Jan Kleinnijenhuis und Ewald Rietberg: Parties, me-
dia, the public and the economy: Patterns of societal agenda-setting. In: European Journal of Political Re-
search. Jg. 28/ 1995, S. 95 f.
59
Vgl. Kückelhaus: 1998, a.o.O., S. 266 f; vgl. auch Merten, Klaus/ Westerbarkey, Joachim: Public Opi-
nion und Public Relations. In: Merten, K./ Schmidt, S.J./ Weischenberg, S. (Hg.): Die Wirklichkeit der
Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994, S. 188 f.
60
Vgl. ebda: vgl. auch Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? 22. Auflage. München und
Zürich 1994, S. 7 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 14
Die von PR konstruierte (politische) Wirklichkeit kann zur Bestätigung von individuel-
len Meinungen und Realitätsentwürfen dienen bzw. eine Orientierung für künftige Mei-
nungsbildungsprozesse bieten. Die Vorgabe muss zwar auf die Empfängerebene ,,pas-
sen",
61
d.h.,als glaubwürdig und nützlich für den eigenen Wirklichkeitsentwurf bei der
Mehrheit im Publikum empfunden werden. Sie ist aber nicht unbedingt der Wahrheit
verpflichtet: Entscheidend für erfolgreiche politische Public Relations ist das Anbieten
einer, durch Journalisten an das Publikum vermittelten, Möglichkeit der individuellen
Realitätskonstruktion, die keine Widersprüche in der Informationsverarbeitung entstehen
lässt.
62
Widersprüche entstehen für die Informationsempfänger in der Bevölkerung we-
niger durch offensichtliche Unwahrheit, z.B. in der fehlerhaften Behauptung eines Poli-
tikers, als vielmehr durch offensichtliche Widersprüche zwischen Äußerung und Hand-
lung, die in Teilen des Publikums kognitive Dissonanzen
63
hervorrufen können. Diese
Dissonanzen können durch kritische Kommentare von Journalisten, die Unstimmigkei-
ten häufig bevorzugt thematisieren, noch weiter verstärkt werden. Kündigt z.B. ein Poli-
tiker harte Arbeit und ,,eisernen" Sparwillen an, um sich kurz darauf einen Luxusurlaub
von der Wirtschaft sponsorn zu lassen, erscheint seine Aussage (hart arbeiten) und seine
Handlung (Urlaub machen) für das Publikum als ,,nicht deckungsgleich", m.a.W.: disso-
nant. Formal ausgedrückt bedeutet das: B und A sind immer dissonant, wenn B (eine
Handlung) nicht unmittelbar aus A (einer Aussage) folgt.
64
Ein vergleichbarer Wirkungsmechanismus zeigte sich 1998 zu Beginn der Amtszeit von
Bundeskanzler Schröder. Als er sich, um ,,volksnah" zu wirken, mit Zigarre und elegan-
ten, teuren Anzügen mehrfach von Modezeitschriften ablichten ließ, rief das in großen
Teilen seiner Wählerschaft erhebliche Dissonanzen hervor: Sein öffentliches Auftreten
wurde von vielen SPD-Wählern eben nicht als volksnah empfunden und trug viel zu sei-
nem - für einen Sozialdemokraten wenig schmeichelhaften - Beinamen ,,Genosse der
Bosse" bei. Die negativen journalistischen Kommentare ließen Schröder schnell von
dieser Strategie abkommen. Das Beispiel verdeutlicht, dass Politiker nicht vorschnell
falsche Signale senden sollten, um der wachsenden ,,Ökonomie der Aufmerksamkeit"
65
61
Glasersfeld, Ernst von: Einführung in den radikalen Konstruktivismus. In: Watzlawick, Paul (Hg.): Die
erfundene Wirklichkeit. Beiträge zum Konstruktivismus. 8. Auflage. München und Zürich 1994, S. 13
62
Vgl. Kückelhaus 1998 und Merten/ Westerbarkey 1994, beide a.o.O.
63
Vgl. grundlegend: Festinger, L.: A theory of cognitive dissonance. Evanston 1957
64
Vgl. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung. Tübingen 1987, S. 114 f.
65
Leggewie, in: Die Woche vom 22.12.2000, a.o.O.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 15
in den Medien nachzugeben. Für politische Akteure ist es wichtig, zuerst ihre Ziel-
gruppe im Publikum zu beachten, damit Dissonanzen gar nicht erst entstehen.
Welche Wechselwirkungen zwischen den Akteuren der Senderebene im Einzelnen be-
stehen, wird nachfolgend in Kapitel 2.2 untersucht:
2.2 Wechselwirkungen zwischen Sendern und Übermittlern:
Akteure aus Politik und Medien
Das Verhältnis zwischen Politik und Medien wird in der Fachliteratur mit Hilfe unter-
schiedlicher Ansätze untersucht, die sich drei grundlegenden Paradigmen zuordnen las-
sen. Das wesentliche Unterscheidungskriterium der Forschungsansätze ist die Zuord-
nung des dominierenden Einflusspotenzials im Prozess der Politikvermittlung.
66
Wäh-
rend Vertreter des Autonomie-Paradigmas an die relative Unabhängigkeit von Politik
und Medien glauben, gehen Vertreter des Instrumentalisierungs-Paradigmas von der ein-
seitigen Indienstnahme durch die eine oder andere Seite aus. Für das Symbiose-
Paradigma stehen dagegen die wechselseitigen Abhängigkeiten von Akteuren aus Politik
und Medien im Mittelpunkt des Interesses.
67
Es scheint offensichtlich, dass in der genannten Mediengesellschaft weder Politik noch
Medien unabhängig voneinander agieren können, wie es das Paradigma der Autonomie
behauptet. Wäre dies wirklich so, würden sich Fragen der Politikvermittlung gar nicht
stellen. Die Realität beweist aber das Gegenteil. Auch die Annahme, dass entweder nur
die Politik oder nur die Medien die jeweils andere Seite einseitig beeinflussen, erscheint
nicht realitätsgerecht. Erstens ordnet dieses Instrumentalisierungs-Paradigma die beson-
dere Position der PR-Akteure falsch ein, die wie bereits festgestellt als Akteure des Me-
diensystems auch Aufgaben des politischen Systems wahrnehmen. Zweitens würde ein-
seitige Instrumentalisierung bedeuten, dass in Wahrheit entweder nur die Journalisten
Politik machen oder umgekehrt nur die Politiker Journalismus betreiben. Die politische
Wirklichkeit beweist das Gegenteil: Es gibt immer noch sowohl politische Entschei-
dungsprozesse als auch journalistische Recherchen, die in ,,Eigenregie" ablaufen, ohne
dass die andere Seite davon etwas erfährt.
66
Vgl. Jarren, Otfried: Politik und Medien im Wandel: Autonomie, Interdependenz oder Symbiose? In.
Publizistik. Vierteljahreshefte f. Kommunikationsforschung. 33 Jg. 1988, S. 619 f.; vgl. auch Sarcinelli in:
Jarren (Hg.): Sonderheft 8, Opladen 1994, a.o.O., S. 35 f.
67
Vgl. ebda.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 16
Grundlage der folgenden Darstellungen ist daher das Symbiose-Paradigma, das von ei-
ner wechselseitigen Beeinflussung der Akteure von Politik und Medien ausgeht. Basis in
diesem Paradigma ist ein Tausch von Information gegen Publizität,
aus dem beide Seiten
ihren Nutzen ziehen können.
68
Innerhalb des Symbiose-Paradigmas bestehen z.T. noch unterschiedliche Ansichten über
die Bedeutungsgewichtung der Tauschpartner, die mal eher zu Gunsten der Politik, mal
eher zu Gunsten der Medien ausfallen kann. Letztlich haben alle Ansichten eine klare
gemeinsame Aussage: Ohne ein Zusammenspiel von Politik und Medien ist Politikver-
mittlung in einer modernen Gesellschaft gar nicht mehr möglich.
69
Die Akteure in Politik und Journalismus sind auf Zulieferung der jeweils anderen Grup-
pe angewiesen. Daraus resultiert das genannte Tauschverhältnis mit der Konsequenz,
dass Konkurrenz nur innerhalb, aber nicht zwischen den beiden Gruppen besteht. Als
Vermittler zwischen politisch-administrativen Eliten und Journalisten stehen die PR-
Fachleute in den Pressestellen bzw. PR-Agenturen. Sie organisieren die Tauschbezie-
hung zwischen Politik und Medien.
70
Jeder der genannten Akteure folgt einem spezifischen Verhaltensmuster, das seiner sozi-
alen Rolle entspricht. Unter einer sozialen Rolle wird ein Bündel an normativen Erwar-
tungshaltungen verstanden, die auf den Inhaber einer sozialen Position gerichtet sind
und sein Verhalten bestimmen. Hier kann es zu intrapersonellen Konflikten kommen,
weil die Verhaltenserwartungen innerhalb einer Rolle oder zwischen mehreren Rollen
widersprüchlich sind. In solchen Fällen funktionieren die Wechselwirkungen zwischen
den Akteuren der Senderebene nicht, wodurch das Tauschverhältnis zwischen Politik
und Medien insgesamt gestört wird. Um das Tauschverhältnis aufrecht zu erhalten, be-
darf es der Erfüllung spezifischer Erwartungshaltungen, die aus der beruflichen Rolle re-
sultieren.
71
Welche Erwartungen das im Einzelnen sind, wird nachfolgend untersucht:
68
Vgl. Jarren, Otfried/ Altmeppen, Klaus D./ Schulz, Wolfgang: Parteiintern ­ Medien und innerpolitische
Entscheidungsprozesse. In: Donsbach, Wolfgang u.a. (Hg.): Beziehungsspirale ­ Medien und Politik in
der öffentlichen Diskussion. Gütersloh 1993, S. 111 f.; vgl. auch Alemann, Ulrich von: Parteien und Me-
dien. In: Gabriel, O.W./ Niedermayer, O./ Stöss, R. (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Opladen
1997, S. 485 f.
69
Vgl. Brettschneider, Frank: Agenda ­ Setting: Forschungsstand und politische Konsequenzen. In: Jäckel,
Michael/ Spurk, Peter W.: Politik und Medien. Berlin 1994, S. 211 f.
70
Vgl. Jarren/ Donges/ Weßler: Opladen 1996, a.o.O., S. 22 f.
71
Vgl. Wiswede, Günter: Einführung in die Wirtschaftspsychologie. München und Basel 1991, S. 107 f.

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 17
2.2.1: Die Rolle der Politiker
Sowohl in der Bevölkerung als auch in den Medien besteht die Erwartungshaltung, dass
politische Akteure eine gestaltende Rolle in der Gesellschaft übernehmen. Von Politi-
kern wird verlangt, dass sie die Probleme erkennen, sie ,,verarbeiten" und notwendige
Veränderungen gestalten.
72
Der politische Gestaltungsprozess lässt sich als ,,Regelkreis"
73
definieren, in dem gesell-
schaftliche Inputs in Form von Unterstützungen und Forderungen an die Politik gestellt
werden, die in staatlichen Outputs an die Gesellschaft umgewandelt werden. Auf der In-
putseite stehen die Funktionen Interessenartikulierung, Interessenbündelung und Interes-
senvermittlung. Demgegenüber stehen auf der Outputseite die Funktionen der Regelfin-
dung, Regelsetzung und Regelkontrolle.
74
Die Entscheidungsprozesse auf der Outputseite können erst in eine Lösungsfindung um-
gesetzt werden, wenn Politiker in Wahlen eine mehrheitliche Unterstützung gewinnen,
die ihnen die Regierungsmacht sichert. Die Rolle jedes Politikers bzw. jeder Partei ist
durch die Zielsetzung charakterisiert, den Entscheidungsprozess führend zu gestalten,
d.h., Regierungsverantwortung anzustreben.
75
Alle Handlungen der Politik, also auch Interaktionen mit Journalisten, sind vorrangig
auf dieses Ziel ausgerichtet. Zur Zielerreichung sind politische Akteure heute in hohem
Maße auf positive Vermittlungsleistung von Journalisten angewiesen. So besteht für Po-
litiker in der Mediengesellschaft ein immer stärkerer Zwang zur Anpassung insbesonde-
re an fernsehtypische Vermittlungsformen und ­formate, die ihnen die positive
journalistische Vermittlungsleistung sichert.
76
Dem Nutzen des Politikers ­ persönliche Profilierung, Thematisierung eines ihm nützli-
chen Standpunktes, Informationsvorsprung gegenüber der Konkurrenz ­ steht der genau
gleiche Nutzen des Journalisten gegenüber. Ein politischer Akteur würde sich dem
Zwang zur öffentlichen Auseinandersetzung im Kampf um die Regierungsmacht entzie-
hen, wenn er dieses ,,Zug um Zug-Spiel"
77
mit Journalisten ignorieren würde. Die Rolle
72
Vgl. Scharpf, Fritz W.: Planung als politischer Prozess. Frankfurt/M. 1973, S. 31
73
Bürklin, Wilhelm/ Welzel, Christian: Theoretische und methodische Grundlagen der Politikwissen-
schaft. In: Mols, Manfred u.a. (Hg.): Politikwissenschaft. Eine Einführung. 2. Auflage. München u.a.
1996, S. 375
74
Vgl. ebda., S. 375 f.
75
Vgl. Jarren/ Donges/ Weßler: Opladen 1996, a.o.O., S. 12 f.
76
Vgl. ebda., S. 25 f.
77
Jarren/Donges: Bonn 2000, a.o.O., S. 13

Mediale Politikvermittlung unter Marketingaspekten
Seite 18
von Politikern ist in der Mediengesellschaft dadurch charakterisiert, dass sie die Regeln
dieses Spiels kennen und akzeptieren, dass das genannte Tauschverhältnis mit Journalis-
ten von der gemeinsamen Zielsetzung geprägt ist, den jeweiligen maximalen Nutzen zu
erzielen.
78
Journalisten differenzieren ihre Erwartungshaltung an die politischen Akteure, indem sie
eine Rolleneinteilung in wichtige und weniger wichtige Politiker vornehmen. Daraus re-
sultiert eine Rangfolge in Interviews, Gesprächsrunden usw.. So entstehen hierarchische
Kommunikationsstrukturen, in denen die bekannten Spitzenpolitiker voran stehen, aber
auch medienwirksame Charaktere aus der ,,zweiten Reihe." Insbesondere von solchen
Politikern wird erwartet, dass sie so oft es geht den Medien ,,Rede und Antwort ste-
hen."
79
Eine starke Nachfrage von (Fernseh) -journalisten nach bestimmten medienwirksamen
Charakteren kann unter Umständen wichtiger für Karrieren von Politikern sein, als deren
tatsächliche Sachkompetenz. Allerdings bleibt die größte Kompetenz unbeachtet, wenn
ein Politiker sie nicht medial umsetzen kann. Das zeigt, dass strategische Inszenierungen
in der Mediengesellschaft von entscheidender Bedeutung sind, da die ,,Verpackung" (die
Person) immer öfter vor dem Inhalt (dem Parteiprogramm) wahrgenommen wird, erst
recht in Zeiten von politischen Konzepten, die dem Publikum immer ähnlicher erschei-
nen.
80
Wie weit dieses neue Rollenverständnis von Politikern gehen darf, hängt stark vom je-
weiligen Typ ab: Wo der eine auch in einer unpolitischen Talkshow durchaus sympa-
thisch wirkt, ist der andere möglicherweise deplatziert. In jedem Falle müssen Politiker
darauf achten, dass eine Fernsehsendung zu ihnen ,,passt", um die angesprochenen kog -
nitiven Dissonanzen im Zielpublikum zu vermeiden.
2.2.2 Die Rolle der Medien
Trotz der Ähnlichkeiten im Berufalltag und der z.T. gleichen Berufbezeichnung (Redak-
teur) sind die Rollen von Journalisten in Presse, Funk und Fernsehen und von PR-
Journalisten getrennt zu untersuchen, da sie den in Kapitel 2.1 bereits erwähnten unter-
78
Vgl. Jarren, Otfried: Politik und politische Kommunikation in der modernen Gesellschaft. In: Aus Poli-
tik und Zeitgeschichte. Bd. 39/ 1994, S. 3 f.
79
Vgl. ebda.
80
Vgl. ebda.; vgl. auch Turner, Sebastian: Politiker als Müslieriegel. In: Welt am Sonntag vom 28.01.01,
S. 11

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832454166
ISBN (Paperback)
9783838654164
Dateigröße
904 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn – Politikwissenschaften
Note
1,3
Schlagworte
kommunikation
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