Lade Inhalt...

Managementverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung

Eine Analyse narrativer Interviews mit Hilfe der Grounded Theory

©2001 Magisterarbeit 185 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Von einem einheitlichen Typus von Vollzeitstudierenden kann heutzutage nicht mehr die Rede sein. Vielmehr haben sich die Studierenden in eine Reihe verschiedener Typen ausdifferenziert, bei denen die Hochschule häufig nicht mehr den ehemals angestammten zentralen Platz in ihrer Lebensführung einnimmt, sondern als ein Lebensbereich unter mehreren angesehen wird. Das Studium konkurriert mit außeruniversitären Bereichen wie der Erwerbsarbeit, familiären und sozialen Verpflichtungen, außeruniversitärem Engagement und privaten Interessen. Gegenüber einem einstigem Fokus auf Studium und dessen Abschluss stehen heutige Studierende vor einer Fülle von Wahlmöglichkeiten, aber auch Belastungen.
Leitidee dieser Arbeit war es, möglichst viele verschiedene Strategien, mit denen Studierende im neuen Jahrtausend ihre Studienphase bewältigen aufzudecken, ihre Dispositionen kennen zu lernen sowie unterschiedliche Karrieren zu beleuchten. Um eine möglichst objektive Vorgehensweise zu gewährleisten, wurde sowohl bei der Datenerhebung als auch bei deren Auswertung auf Offenheit und die Möglichkeit der schrittweisen Annäherung an den noch auszumachenden konkreten Forschungsgegenstand Wert gelegt.
Aus den durch narrative Interviews gewonnenen Daten wurde über die prozesshafte Vorgehensweise der grounded theory schließlich der Managementverlauf der Studienphase verschiedener Studierendentypen ausgemacht. Anhand dreier exemplarischer Beispiele wird dieser dargestellt, wobei die Theoriegenerierung anhand relevanter empirischer Textstellen illustriert wird.
Wie sich abzeichnete, hat sich unabhängig von der noch in vollem Gange befindlichen hochschulpolitischen Diskussion um Studienreformen, Regelstudienzeiten, Studiengebühren etc. an den Hochschulen bereits eine Form von Selbstmanagement Studierender ausgebildet, welches starke Parallelen zu einem Verständnis des Ich als eigenständigem Unternehmen und der vieldiskutierten gesamtgesellschaftlichen Neoliberalisierung aufweist, in der die Kontrolle vom Staat hin zum Individuum übertragen wird, sprich von der Institution Hochschule hin zum einzelnen, eigenverantwortlichen Studierenden.
Um eine sachliche Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung zu gewährleisten, wird auf Michel Foucaults Konzept der neoliberalen Gouvernementalität rekurriert, welches es erlaubt, diese Entwicklung losgelöst von einem ideologisch gefärbten Verständnis des Neoliberalismusbegriffes zu diskutieren. Der Managementverlauf […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5414
Baranski, Marcus: Managementverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung.: Eine Analyse
narrativer Interviews mit Hilfe der Grounded Theory / Marcus Baranski - Hamburg: Diplomica
GmbH, 2002
Zugl.: Hamburg, Universität, Magisterarbeit, 2001
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die
der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen,
der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der
Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung,
vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im
Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht
vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

1
1. Einleitung:... 2
1.1. Zur Situation bundesdeutscher Studierender ... 2
1.2. Stand der Forschung... 4
1.3. Fragestellung ... 6
1.3.1. Begriffsklärung ... 7
1.4. Aufbau der Arbeit... 10
2. Methodenteil ... 11
2.1. Methodologische Hintergründe ... 11
2.2. Das narrative Interview... 13
2.3. Die ,,grounded theory" ... 14
2.4. Die Datenerhebung ... 16
3. Empirischer Teil... 21
,,Der Managementverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung"... 21
3.1. Drei Portraits von Studierendenkarrieren ... 21
3.1.1. ,,Janine" ... 21
3.1.2. ,,Michael" ... 23
3.1.3. ,,Martin" ... 25
3.2. Die analytischen Kategorien ... 26
3.2.1. Kategorie Habitus ... 27
3.2.2. Kategorie soziales Netzwerk ... 27
3.2.3. Kategorie Kontext ... 28
3.2.4. Kernkategorie Managementverlauf... 28
3.3. Die drei Typen ... 30
3.3.1. Die klare Linie: ,,Ein Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" ... 31
3.3.2. Die Abweichler: ,,Laisser-faire"... 40
3.3.3. Theorie-Teil Mischtypus: ,,Pendeln zwischen den Polen" ... 51
3.3.4. Fazit Die neuen Studierenden... 62
4. Der neoliberalisierte Markt Hochschule ... 64
4.1. Die neuen Studierenden als Indikator einer Ökonomisierung des Sozialen ... 64
4.2. Foucaults Konzept der neoliberalen Gouvernementalität ... 66
4.2.1. Regierung ... 68
4.2.2. Herrschaftstechnologien und ,,Technologien des Selbst" ... 69
4.2.3. Neoliberalismus... 70
4.3. ,,Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement"
... 72
4.4. Die gouvernementalisierte Hochschullandschaft und korrespondierende
studentische Selbsttechnologien... 79
4.4.1. Die neoliberalisierten Studierenden und Hochschulen ... 79
4.4.3. Studentische Selbsttechnologien... 83
4.5. Kritische Diskussion der konstatierten Entwicklung ... 88
5. Schlussbetrachtungen ... 94
Literaturverzeichnis... 98
Anhang
Interview-Transkripte

2
1. Einleitung:
1.1. Zur Situation bundesdeutscher Studierender
,,Wenn und soweit durch Umsetzung der Studienstrukturreform und Schaffung angemessener
Studienbedingungen die Voraussetzungen dafür gegeben sind, daß das jeweilige Studium in-
nerhalb der Regelstudienzeit studiert werden kann, muß auch von den Studierenden erwartet
werden, daß sie sich an den Vorgaben für ein zügiges Studium orientieren. Die persönlichen
Lebensumstände des einzelnen (wie z.B. Behinderung, Geburt/Erziehung eines Kindes,
Krankheit) müssen hinsichtlich der Einhaltung der Regelstudienzeit Berücksichtigung fin-
den."
1
Dieses Zitat aus dem Eckwertepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorberei-
tung des bildungspolitischen Spitzengespräches in der Fassung vom 5. Mai 1993 verdeutlicht,
dass ein Studienverhalten, welches vom straffen Vollzeitstudium abweicht, als Ausnahme
gewertet wird, für das entsprechende Regelungen zu treffen seien
2
.
Werden die Studierenden bundesdeutscher Hochschulen näher betrachtet, so wird allerdings
schnell deutlich, dass längst nicht mehr von einem einheitlichen Typus von Studierenden aus-
gegangen werden kann. Vielmehr ist auch der gesellschaftliche Bereich der Hochschulen ge-
kennzeichnet durch eine Segmentierung und Individualisierung der Studierenden. Es werden
hier wesentlich ausdifferenziertere Lebensstile gepflegt, als sowohl in weiten Teilen der Ge-
sellschaft als auch noch allzu oft seitens der Institution Universität in Studienordnungen und
Prüfungsmodalitäten angenommen beziehungsweise vorausgesetzt werden
3
. Abweichend von
der Realität findet sich hier häufig noch die Vorstellung eines Idealtypus von Studierenden,
wie er bereits Mitte der 80er Jahre als klassisch und überholt angesehen wurde
4
:
·
Jung, direkt nach der Schule, jedenfalls aber nach dem Wehrdienst an die Universität
gekommen.
1
Vgl. Eckwertepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des bildungspolitischen Spitzengesprä-
ches in der Fassung vom 5. Mai 1993, S.11
2
Vgl. Berning 1996, S.24.
3
Zwar sind sich die Hochschule über einen Wandel im Studierendenmilieu bewusst, allerdings schlägt sich dies
bisher kaum, beziehungsweise nur sehr zögerlich in entsprechenden Reformen nieder. Ein Versuch, den verän-
derten Bedingungen zu entsprechen ist die Diskussion um die Einführung von Teilzeitstudiengängen. Vgl. hierzu
Berning 1996.
4
Vgl. Huber 1985, S.3.

3
·
Von Elternhaus und Heimatregion weg an einen anderen, vielleicht fernen Hochschu-
lort gezogen.
·
In einer Bude oder im Studentenwohnheim untergebracht, wo gearbeitet und geschla-
fen wird.
·
Ledig, ungebunden, offen für die neuen Kontakte und Freundschaften, die das Stu-
dentsein ermöglichen.
·
Materiell zumeist karg, aber doch irgendwie hinreichend versorgt, zumal große Kon-
sumansprüche ja auch nicht vorhanden und mit der Askese des Nachwuchswissen-
schaftlers ja auch nicht recht vereinbar seien.
·
Von allen Bindungen und Belastungen frei, die ihn hindern könnten, sich ganz auf die
Wissenschaft, mindestens aber auf die Lernchancen des Studiums einzulassen.
Dieses Bild entspricht der Mehrheit der heutigen Studierenden nicht mehr. Vielmehr sieht ihre
Lebensführung inzwischen so aus, dass der Bereich Hochschule häufig nur noch als einer von
mehreren verstanden wird, der Einfluss auf die Lebensführung nimmt. Dies belegen unter
anderem die Daten der in regelmäßigen Abständen erstellten Sozialerhebungen des Deutschen
Studentenwerkes (DSW)
56
:
Die Studierenden haben sich dahingehend verändert, dass sie in der Regel älter sind als früher
(das Durchschnittsalter liegt in den alten Ländern bei 26, in den neuen Ländern bei 23,6 Jah-
ren), andere Lebensformen bevorzugen (48 % der Studierenden leben in einer festen Partner-
schaft) und höhere Ansprüche an den Lebensstandard haben (so werden in Großstädten über
700.000 Einwohner beispielsweise 1425,- DM monatlich zur Lebenshaltung benötigt). Hier-
für sind sie im Gegenzug auch bereit, selbst die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen (der
Anteil der Studierenden, die einen Anteil an der Unterhaltsfinanzierung leisten, liegt bei 69
%). Entsprechend konkurrieren Bereiche wie Erwerbsarbeit, Kindererziehung, soziale Bezie-
hungen und andere außeruniversitäre Bereiche inzwischen um Zeit und Energie mit der Hoch-
schule.
Für das Verhältnis von Studierenden und Hochschule hat dies die Konsequenz, ,,dass die In-
stitution Hochschule zu einem Dienstleister wurde, der ohne merklichen Einfluss auf die Per-
5
Vgl. BMBF 1998 2001.
6
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die im weiteren Verlauf genannten Daten aus der 15. Sozialerhe-
bung stammen. Der Vorbericht zur 16. Sozialerhebung konnte an dieser Stelle aufgrund seines begrenzten Um-
fanges keine Berücksichtigung finden.

4
sönlichkeitsbildung und Identitätsentwicklung von Studierenden bleibt"
7
. Die Konsumenten-
haltung der Studierenden geht laut Schindler sogar so weit, dass ,,die Universität als Waren-
haus ­ oder in den Worten eines Studenten: ,als Mensa' ­ anzusehen ist,...: Man geht hin,
prüft das Angebot und nimmt es in Anspruch oder nicht."
8
1.2. Stand der Forschung
Eine solche Entwicklung scheint seitens der Hochschulen und entsprechender bildungspoliti-
scher Instanzen zwar erkannt, die hieraus resultierende Forschung weist bisher allerdings eine
einseitige Herangehensweise an diese Problematik auf. Sie geht primär aus der Sicht der Insti-
tution Hochschule vor, während individuelle Bewältigungsstrategien und Sinnkonstruktionen
Studierender deutlich vernachlässigt werden. Veränderungen auf systemischer, institutioneller
oder politisch-kultureller Ebene gehen zwar in die studentische Sozialisation ein und führen
zu einer Transformation der studentischen Lebenswelt. Die Erforschung biographischer und
alltagsbezogener Muster aber, die das Verhältnis subjektiver Konstruktionen und Gewichtun-
gen einerseits und aus der Umwelt stammender Einflüsse andererseits beleuchten, wurde noch
nicht in angemessener Weise unternommen. Zwar scheint man sich an den bundesdeutschen
Hochschulen hierüber bewusst, eine Forschung, die sich gezielt der Subjektebene der Studie-
renden annimmt, ist aber vergleichsweise selten.
Eben diese Ebene aber ist entscheidend für die innere Konstruktion der Realität, in der sich
die Entwicklung von Einstellungen, Dispositionen und Charaktermerkmalen abspielt. Gerade
ihre Erforschung stellt folglich einen unverzichtbaren Beitrag zur zeitgemäßen Analyse der
sozialen Bereiche Studium und Hochschule dar, die für gesamtgesellschaftliche Wandlungs-
und Reproduktionsprozesse enorm bedeutsam sind.
Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sollen hier folgende Forschungs-
ansätze genannt werden:
Die Studierendenforschung aufgrund quantitativer Daten,
in erster Linie die regelmäßig erstellten Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerkes.
7
Schindler 1994, S.3.
8
Ebd., S.3/4.

5
Diese sind zwar sehr umfassend und informativ ­ sie sollen in erster Linie dazu dienen, empi-
rische Grundlagen für entsprechendes hochschul- und sozialpolitisches Handeln bereit zu stel-
len ­ allerdings bieten sie nur einen begrenzten Beitrag, um Aussagen zur Lebenswirklichkeit
Studierender treffen zu können. Ähnlich müssen auch die Untersuchungen des Bayerischen
Instituts für Hochschulforschung
9
beurteilt werden, die sich ebenfalls auf quantitativ erhobe-
nen Daten stützen und deshalb nur eingeschränkt zur Erforschung der bereits angesprochenen
individuellen Verhaltensweisen und Einstellungen beitragen können.
Der milieu- und lebensstilsoziologische Ansatz
Die Arbeitsgruppe interdisziplinäre Sozialforschung der Universität Hannover (agis) erkundet
die Milieustruktur deutscher Studierender mit Hilfe des kultur- und milieusoziologischen An-
satzes
10
. Im Zentrum stehen Aussagen über Struktur und Merkmale der sozialen Gruppe der
Studierenden, ihrer Lebens- und Studienstile. Werte und Lebensweise großer gesamtgesell-
schaftlicher Milieus können hiernach an Universitäten wiedergefunden werden. Individuelle
Biographien, Lebensweisen und Lebensstile ergänzen hierbei zwar den makrosoziologischen
Untersuchungsgang, Subjektperspektive und subjektive lebensweltliche Konstruktionen Stu-
dierender bleiben bei diesem Ansatz aber ebenfalls im Hintergrund.
Der qualitativ-biographische Ansatz
Ziel der Biographieforschung ist die subjektive Relevanzsetzung der Beforschten. Biographie
stellt eine Schnittstelle zwischen Subjektivität und gesellschaftlicher Objektivität dar, da Er-
fahrungen von Einzelnen mit der vorhandenen Gesellschaft (objektiver Wirkfaktor) und Vor-
stellungen der Individuen (subjektiver Wirkfaktor) berücksichtig werden. Angenommen wird
eine Doppelstruktur innerhalb von Biographien, d.h. die Individualität und der in ihr eingela-
gerte Vergesellschaftungsaspekt. Im sozialen Konstrukt Biographie stecken gesellschaftlich
erzeugte Erfahrungs-, Handlungs- und Strukturaspekte, die durch die Sozialisation erworben
werden und durch Rekonstruktion der Biographien aufgedeckt werden können. Schlüsselkri-
terium der qualitativ orientierten Biographieforschung über Studierende ist die Passung von
Aspirationen und Dispositionen einerseits und die institutionellen wie kulturellen Anforde-
rungen andererseits
11
.
9
Ebd. 1994, Berning 1996.
10
Vgl. Köhler et al. 1997.
11
Vgl. Kokemohr et al. 1989.

6
Der lebensweltorientierte Forschungsansatz
Die Annahme einer Vieldimensionalität und Segmentierung der heutigen Studienphase erfor-
dert laut Bülow-Schramm
12
eine weite Fragestellung, um die vermutete Differenziertheit und
die Dynamik studentischen Lebens angemessen berücksichtigen zu können. Lebensweltliche
Konstruktionen heutiger Studierender sind teils aktiv hergestellte Identitätsmuster, die Le-
bensbereiche von Studium und Hochschule können als eigensinnige Welten analysiert wer-
den. Brüche, Inkonsistenzen und eine Vielfalt und Originalität subjektiver Strategien spielen
hierbei eine Rolle. Der studentische Akteur nimmt im Studium zuerst eine vereinfachte Ziel-
bestimmung vor, die aufbaut auf biographisch routinisierten, lebensweltlich geformten Denk-
und Handlungsschemata. Durch den lebensweltlichen Umbruch muss in gewissem Umfang
eine Neuordnung von Handlungsmustern vorgenommen werden, falls diese nicht mehr trag-
bar sind. Dies kann entweder unter Zwang geschehen oder als Chance verstanden werden.
Hier wird deutlich, ob Passung oder Nicht-Passung im Bezug auf subjektive Lebenswelt und
objektiv-wissenschaftlichem Umfeld herrscht. Strukturelemente studentischen Lebens (Fach-
kultur, außeruniversitäre Lebensweise, Herkunftsmilieu etc.) werden hierbei auf ihre subjekti-
ve Bedeutung hin untersucht.
1.3. Fragestellung
In Ergänzung zu den genannten Studien soll es in dieser Arbeit um die inneren, orientierenden
Relevanzen des studentischen Subjekts gehen. Es soll untersucht werden, wie das angenom-
mene Balancieren und Kombinieren verschiedener Lebensbereiche, die früher als Nacheinan-
der gedacht waren, heute vielfach als Nebeneinander funktionieren müssen, aus Sicht der Stu-
dierenden beschrieben wird und welche individuellen Studienstrategien hierbei angewendet
werden. Welche studentischen Einstellungen gibt es zu diesem Thema, wie würden sich Stu-
dierende im Hochschulgeschehen und im Gesamtraum ihrer Lebensbereiche positionieren?
Eine explizite forschungsleitende Fragestellung war zu Beginn meiner Untersuchung aus me-
thodischen Gründen zwar noch nicht vorhanden
13
, grobe Zielsetzung sollte es aber sein, ein
möglichst ausdifferenziertes Bild entsprechender Lebensentwürfe zu erhalten.
12
Vgl. Bülow-Schramm et al. 2000.
13
Vgl. hierzu Kapitel 2.

7
Aus Gründen der Ökonomisierung konzentrierte ich mich bei meiner Untersuchung auf Stu-
dierende Hamburger Hochschulen. Der Hochschulstandort Hamburg bietet laut Bülow-
Schramm allerdings ,,mit seinem ausgeprägten überregionalen Profil... auch im Vergleich zu
typischen Regionaluniversitäten größere Chancen, Studierende aus sehr unterschiedlichen
Regionen und Milieus für die Interviews zu gewinnen und ermöglicht so ein relativ breit ge-
streutes Untersuchungssample."
14
Zudem war im großstädtischen Milieu Hamburgs mit seinen einerseits recht hohen Lebenshal-
tungskosten und ,,Verlockungen der Großstadt"
15
, und den andererseits relativ guten Jobmög-
lichkeiten eine entsprechende Akkumulation von Ablenkungsfaktoren vom Studium zu ver-
muten.
Hinzu kommt die Tatsache, dass an großen, sogenannten Massenuniversitäten wie Hamburg
der klassische Vollzeitstudierende mittlerweile in der Minderheit ist, die Mehrzahl der Studie-
renden vielmehr eine solche Studienform aufweist, bei der die Hochschule mit anderen Berei-
chen konkurrieren muss oder eventuell sogar soll.
,,Der Massenbetrieb an großen Hochschulen und die schwierigen Lebensverhältnisse in Groß-
städten und Ballungsräumen erhöhen die auftretenden Probleme (Entfernen vom Studium als
zentralem Lebensbereich, d. Verf.) noch einmal."
16
Um ein möglichst unvoreingenommenes Herangehen an den Untersuchungsgegenstand sowie
eine ihm weitestgehend gerecht werdende Fragestellung zu gewährleisten und so wenig wie
möglich durch eigene Vorannahmen und Erfahrungen während meiner eigenen Studienphase
beeinflusst zu werden, wählte ich eine qualitative Untersuchung mit einem möglichst offenen
Verfahren sowohl im Hinblick auf die Datenerhebung als auch die Datenauswertung, auf wel-
ches in Kapitel 2 näher eingegangen wird.
1.3.1. Begriffsklärung
Im Folgenden werden kurz zwei für das weitere Verständnis wichtige Begriffe erläutert, die
über die gesamte Arbeit hinweg von zentraler Bedeutung sein werden.
14
Bülow-Schramm et al. 2000, S.26
15
Hierunter sind großstadtypische und gleichzeitig hochschulferne Angebote wie Konzertveranstaltungen und
Kneipenszene zu verstehen.

8
1.3.1.1. Studienphase
Um dem konstatierten Phänomen der Loslösung von der Hochschule als einst zentralem Le-
bensbereich zu entsprechen, wird im Folgenden der Begriff Studienphase verwendet, um die
studentische Lebenswelt und Biographiephase in der Gesamtheit möglicher relevanter Berei-
che zu bezeichnen. Das Studium wird in diesem Sinne nur als Teil dieser mit hoher Dynamik
versehenen Lebensphase verstanden, welcher mit anderen Lebensbereichen um Zeit und E-
nergie der Studierenden konkurriert
17
. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen,
dass es sich bei der Mehrheit der bundesdeutschen Studierenden eben nicht mehr um Perso-
nen handelt, die nur studieren sondern vielmehr um Personen, die neben anderen Dingen auch
studieren
18
.
Einfluss darauf, wie Studierende ihre Studienphase konstruieren, wurde im Vorfeld meiner
Untersuchung unter anderem vermutet durch lebensgeschichtlich erworbene Ressourcen, bio-
graphische Fixpunkte und Zukunftsvorstellungen sowie relevante äußere Bedingungen.
1.3.1.2. Mehrfachbelastung
Um ihre Studienphase dahingehend erfolgreich zu bewältigen, dass sie ihr Studium innerhalb
eines gewissen zeitlichen Rahmens durchziehen und abschließen würden, wurde davon aus-
gegangen, dass sich die Studierenden vor die Belastung gestellt sehen würden, mehrere mit-
einander konkurrierende Lebensbereiche organisieren zu müssen. Je mehr Bereiche dies sein
würden ­ so war meine Annahme ­ umso höher würde sich der Grad der Belastung darstellen.
Wie aus der aktuellen Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks
19
zu vermuten war,
würden diese Belastungen neben dem eigentlichen Studieren in erster Linie im Bestreiten des
Lebensunterhaltes begründet sein. Da seit Jahren der Trend zu beobachten ist, dass der Anteil
der staatlichen Förderung rückläufig ist, gleichzeitig die Ansprüche seitens der Studierenden
16
Vgl. Berning 1996, S.91.
17
Vgl. Bülow-Schramm 2000.
18
Vgl. Abrahamsson 1984.
19
Vgl. BMBF 1998.

9
an ihren Lebensstandard, etwa die Wohnform
20
, gestiegen sind, wurde das Bestreiten des
Lebensunterhalts als eine entscheidende Einflussgröße auf die Gestaltung der Studienphase
vermutet. Es wurde davon ausgegangen, dass der Trend zur studentischen Doppelexistenz
21
als Studierender einerseits und Erwerbstätiger andererseits den Studienalltag entsprechend
beeinflussen würde.
Von Leszczensky wurde in diesem Zusammenhang interessanterweise festgestellt, ,,dass (die)
studienbegleitende Erwerbstätigkeit nicht per se das Studium verlängert"
22
.
Als Ursache führt er an, dass man als erwerbstätiger Studierender ohnehin von einer subjekti-
ven Planstudienzeit ausgehe, die länger als die Regelstudienzeit sei.
Es ließ sich also vermuten, dass es gerade bei einer vorhandenen Mehrfachbelastung entspre-
chende Verhaltensmuster geben würde, mit Hilfe derer Studierende sich mit den gegebenen
Bedingungen arrangieren würden.
Die Erwerbsarbeit zog sich deshalb als Kontinuum durch sämtliche von mir geführten Inter-
views. Variierten andere Kriterien wie Alter, familiäre/partnerschaftliche Situation, Studien-
fachwahl und Motivation, so war die regelmäßige und umfangreiche Erwerbsarbeit parallel
zum Studium bei sämtlichen Interviewpartnern gegeben.
Festzustellen, wie Studierende, die während ihrer Studienphase einer Mehrfachbelastung
durch verschiedene Lebensbereiche ausgesetzt sind, an die Bewältigung dieser herangehen
würden, sollte eine Leitidee dieser Untersuchung sein. Hierbei wurde davon ausgegangen,
dass sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen so haushalten mussten, dass
sämtliche von ihnen als relevant betrachteten Bereiche in ausreichender Weise Berücksichti-
gung erfahren würden. Unter diesen Ressourcen wurde neben Faktoren wie der zur Verfügung
stehenden Zeit und Energie des Individuums seine Identitätsarbeit vermutet, die als Studie-
render heute geleistet werden muss, um eine angesichts der Mehrpoligkeit des studentischen
Lebens erforderliche Identität zu generieren, die durch ein ständiges Balancieren und Kombi-
nieren unterschiedlicher Bedürfnisse, Chancen, Alltags- und Biographiesegmenten nicht mehr
in einem einheitlichen Rollenmuster vorgegeben ist.
20
Die bevorzugte Wohnform heutiger Studierender ist die eigene Wohnung. Verbunden hiermit ist der erhöhte
finanzielle Bedarf, in Ballungsräumen wie Hamburg zahlen Studierende beispielsweise weit über 600,- für die
eigene Wohnung.
21
So sind beispielsweise bundesweit 65 % der Studierenden neben dem Studium erwerbstätig, in Hamburg mit
77,4 % sogar mehr Studierende während des Semesters, als während der vorlesungsfreien Zeit. (Daten aus der
15. Sozialerhebung)
22
Leszczensky 1993, S.179.

10
1.4. Aufbau der Arbeit
Im folgenden Kapitel (2.) steht das methodische Vorgehen meiner Untersuchung im Mittel-
punkt. Ich werde erklären, weshalb ich auf das narrative Interview als Erhebungsinstrument
zurückgegriffen habe und seinen Ablauf kurz darlegen. Die methodologischen Hintergründe
meiner Untersuchung sollen verdeutlichen, dass die ,,grounded theory" nach Glaser und
Strauss sowohl für die Leitidee meiner Untersuchung als auch für die möglichst unvoreinge-
nommene Auswertung der Interviews das geeignete Verfahren darstellt. Ich werde kurz be-
schreiben, wie sich der Zugang zum Feld gestaltete, welche Erfahrungen hierbei gemacht
wurden und welche Konsequenzen sich für das weitere Vorgehen ergaben.
Mit dem empirischen Teil schließen sich im dritten Kapitel die Ergebnisse der Interview-
Auswertung an. Anhand der aus den Interviews gewonnenen Daten werden drei Typen von
Studierenden-Karrieren aufgestellt und an ihnen das Bedingungsgeflecht aufgezeigt, welches
zur jeweiligen Ausprägung führte. Anschließend werden kurz die analytischen Kategorien
vorgestellt, aus denen die Theoriebildung über den Managementverlauf bei Mehrfachbelas-
tung hervorging. Diese bildet dann den Abschluss des dritten Kapitels.
In diesem Zusammenhang ist mir besonders daran gelegen, dass die Erkenntnisleistungen
dieser Untersuchung nicht nur für den wissenschaftlichen Adressatenkreis gedacht sind, son-
dern gerade auch für die Betroffenen von Bedeutung und verständnisgerecht sind
23
. Ganz ähn-
lich wendete sich auch Hoffmann-Riem nicht nur an die Sozialwissenschaftler, sondern an
Praktiker, was ebenso für Anselm Strauss und seine MitarbeiterInnen kennzeichnend war.
24
Kapitel vier befasst sich mit der Einbindung der Untersuchungsergebnisse in den Theoriebe-
stand von Foucaults Gouvernementalität. Wie während der Theoriebildung deutlich wurde,
hat sich bei den Studierenden eine Adaption ökonomischer Prinzipien in ihrer Lebensführung
nach einem neoliberalistischen Prinzip etabliert, so dass sich an dieser Stelle eine Einbezie-
hung des entsprechenden Konzeptes der neoliberalen Gouvernementalität von Michel Fou-
cault anbietet. Wie ähnlich die von den Studierenden angewandten Techniken denen aus ent-
sprechenden (Selbst-) Managementratgebern sind, soll anhand eines auf die Gouvernementali-
23
Wie sich in fast allen von mir geführten Interviews abzeichnete, waren die Befragten an den Ergebnissen mei-
ner Untersuchung derart interessiert, dass sie den Wusch äußerten, nach Abschluss dieser Arbeit über die Ergeb-
nisse informiert zu werden.
24
Pieper, Marianne/ Riemann, Gerhard in: Hoffmann-Riem 1994, S.11.

11
tät aufbauenden Aufsatzes von Ulrich Bröckling deutlich werden. Eine kritische Diskussion
dieser Entwicklung schließt dieses Kapitel ab.
Abschließend werde ich mich im fünften Kapitel in meinen Schlussbetrachtungen damit be-
fassen, was im Vergleich zur ursprünglichen Zielsetzung erreicht wurde, welche Kritikpunkte
deutlich wurden und wo weitere Ansatzpunkte für zukünftige Forschung liegen könnten. For-
derungen an die Bildungspolitik schließen diese Kapitel ab.
Die anonymisierten und mit Pseudonymen versehenen Transkribte der von mir durchgeführ-
ten Interviews befinden sich im Anhang dieser Arbeit.
2. Methodenteil
Dieses Kapitel hat das für diese Untersuchung gewählte Forschungsdesign zum Inhalt. Es
werden die methodologischen Hintergründe des Untersuchungsgegenstandes aufgegriffen
(2.1.), die bereits kurz in der Einleitung angedeutet wurden. Im Anschluss daran werde ich die
Technik des von mir gewählten Erhebungsinstruments, des narrativen Interviews vorstellen
(2.2.). Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mit Hilfe der ,,grounded theory" nach
Glaser und Strauss, so dass unter 2.3. die Erläuterung dieses Verfahrens folgt. Über den Zu-
gang zum Feld und meine Erfahrungen bei der Datenerhebung, sowie das daraus resultierende
weitere Vorgehen werde ich abschließend unter 2.4. berichten. Unter diesem Punkt werden
zudem kurz einige Vorannahmen und der entsprechende Umgang mit ihnen angesprochen.
2.1. Methodologische Hintergründe
Der von mir zu untersuchende Gegenstand von Einstellungen, Strategien und Verhaltensmus-
tern Studierender erforderte aus mehreren Gründen ein vorab möglichst offenes und ,,unstruk-
turiertes" Vorgehen. Die Erfahrungen während meines Studiums an der Universität Hamburg
und zahlreiche parallel laufende Lebensbereiche hatten dazu geführt, dass von einer unvor-
eingenommenen Ausgangslage nicht die Rede sein konnte. Persönliche Erfahrungen und dar-
aus resultierende Einstellungen führten zwar einerseits zu einem diese Arbeit initiierenden

12
Forschungsinteresse, machten mich selbst anderseits quasi zu einem Teil des Untersuchungs-
gegenstandes und hätten bei der Verwendung ,,herkömmlicher" Methoden und Instrumente
einen zu großen Einfluss auf die Konzeption dieser Arbeit gehabt, so dass ein entsprechender
Einfluss auf die Ergebnisse ­ realistisch betrachtet ­ nicht auszuschließen gewesen wäre.
Um eben diese ,,Störfaktoren" weitestgehend zu vermeiden und gerade an bisher unbekannte
Sichtweisen Studierender und von ihnen generierte Verhaltensmuster zu gelangen, bot sich
eine Vorgehensweise an, die erstens ohne im voraus bestehende Hypothesen beginnen würde,
zweitens die ­ wenn denn bereits existenten ­ Vorannahmen des Forschenden lediglich als
erste vage Ausgangspunkte begreifen und sie bis zum Ende der Untersuchung als variabel
verstehen würde und drittens durch ihre Methodik die eigentlichen Zusammenhänge erst auf-
decken und erklären würde. Es stellte sich also sowohl die Frage nach einem geeigneten Er-
hebungsinstrument, als auch nach einer entsprechenden Methode zur Auswertung der Daten.
Nur so sollte es möglich sein, zu bisher noch nicht vermuteten, möglichst neuen Ergebnissen
zu gelangen, die weitestgehend frei von den im Vorfeld angenommenen Zusammenhängen
und den in diesem Fall eigenen Erfahrungen des Forschenden sein würden.
In Anlehnung an Hoffmann-Riem wurde deshalb auf ein dem interpretativen Paradigma zu-
zuordnendes Vorgehen zurückgegriffen, welches erstens auf einer ständigen Kommunikation
mit den Forschungssubjekten während der Datenerhebung und zweitens einer über den ge-
samten Forschungsprozess aufrecht zu erhaltenden Offenheit des Forschenden basiert. Hierbei
wird erst über die Kenntnis der subjektiven Interpretationen und Wissensbestände der For-
schungssubjekte das Entwerfen von Hypothesen und Strukturen über das Forschungsfeld
möglich. Es wird sich hierbei ständig zwischen Empirie und Theorie bewegt. Das Prinzip der
Offenheit und Kommunikation mit dem Untersuchungsgegenstand ist hierbei wesentlich da-
für, dass keine von vornherein festgelegte Strukturierung des Forschungsgegenstandes vorge-
nommen wird. Vielmehr muss dem Befragten die Möglichkeit gelassen werden, sein kommu-
nikatives Regelsystem in Geltung zu lassen. Nur so wird seine subjektive Bedeutungsstruktu-
rierung und -zuschreibung intakt gehalten, beziehungsweise vom Forschenden erst entdeckt
25
.
25
Vgl. Hoffmann-Riem 1980.

13
2.2. Das narrative Interview
Gemäß der Prämisse von Offenheit und Kommunikation, wählte ich das narrative Interview
als Instrument zur Datenerhebung, welches nach der von Schütze entwickelten Technik die
Relevanzgesichtspunkte der Forschungssubjekte in Geltung lässt.
Hierbei beschränkt sich der Interviewer weitestgehend auf das Hervorlocken und In-Gang-
Halten der Erzählung durch nonverbale Signale und aktives Zuhören. In diesem Zusammen-
hang wird der Informant und nicht der Forscher als Experte betrachtet. Er selbst bestimmt im
narrativen Interview, wie weit und wozu er sich äußert. Ihm wird durch die
offene Form des narrativen Interviews aller Spielraum gelassen, die ihm wichtigen Bereiche
anzusprechen. Er wird weder in eine Richtung gedrängt, noch wird er in seinen Ausführungen
behindert. Hierdurch gibt er dem Forschenden die Möglichkeit, neue Aspekte, die ihm bisher
entweder als nicht relevant für die Untersuchung erschienen oder auf die er etwa durch einen
strukturierten Fragebogen nie gekommen wäre, zu entdecken.
Hermanns unterscheidet hierzu in seiner sehr detailliert auf das narrative Interview als Erhe-
bungsinstrument eingehenden Arbeit zum Berufsverlauf und Handlungskompetenzen von
Ingenieuren zwischen verschiedenen Phasen
26
:
Nachdem der Befragte erstmals kontaktiert wurde und so kurz und knapp wie möglich über
das Anliegen des Forschenden informiert wurde und er einem Interview zugestimmt hat (Pha-
se der Anwerbung), sich Interviewer und Befragter getroffen haben und ein für den eigentli-
chen Interviewverlauf nötiges Vertrauensverhältnis geschaffen wurde, erfolgt der Ge-
sprächseinstieg (Einstiegsphase) durch den Interviewer. Dem Befragten wird hierzu eine mög-
lichst offene Eingangsfrage ­ der narrative Stimulus ­ gegeben, welchem eine Schlüsselstel-
lung für das anschließende Gelingen des Kommunikationsschemas zukommt.
Der Interviewer hält sich so weit wie möglich mit Äußerungen zurück und überlässt dem Be-
fragten das Wort, nachdem dieser die Gesprächsführung übernimmt und möglichst spontan
über seine eigenerlebten Erfahrungen in Form einer Stegreiferzählung berichtet (Haupterzäh-
lung). Hierbei sollte idealerweise keinerlei Unterbrechung oder Lenkung mehr durch den In-
terviewer erfolgen, um die subjektive Relevanzsetzung des Befragten in Gang zu halten. Die-
ser soll sich an dieser Stelle so weit wie vielleicht noch nie zuvor in seine eigene Geschichte
26
Vgl. Hermanns 1982, S.39 ff.

14
verstricken und selbst entscheiden, wie detailliert und zu welchen Bereichen er erzählt. Schüt-
ze berichtet in diesem Zusammenhang von einer sich einstellenden Eigendynamik, welche im
Verlauf der Erzählung beim Befragten einen Zugzwang des Erzählens in Gang setzt
27
. Wäh-
rend dieser Phase der Haupterzählung erfolgt eine gewisse Ökonomisierung der Erzählung
seitens des Erzählenden, indem er an bestimmten, von ihm für das Verständnis der Geschichte
als wichtig erachteten Stellen detailliert und an anderen, vermeintlich weniger relevanten Stel-
len Details weglässt.
Durch den Zugzwang des Erzählschemas, in das sich der Befragte immer weiter verstrickt,
kommen auf diese Weise Ereignisbestände zur Sprache, die laut Schütze in standardisierten
Interviews mit geschlossenen Fragen in dieser Form nicht erfasst werden würden. Dem Be-
fragten wird während dieser Phase ein für ihn unerwartet hohes Maß an Autonomie gelassen,
welches vom Interviewer ­ als seine während dieser Phase möglichst einzige Handlung ­ da-
durch bekräftigt wird, dass er durch nonverbale Zeichen wie Kopfnicken und interessebekun-
dendes Mienenspiel zeigt, dass er allen Äußerungen des Befragten mit großem Interesse folgt.
Sollte die Erzählung ins Stocken geraten und der Befragte signalisieren, dass er nun auf eine
verbale Äußerung des Interviewers wartet, so empfiehlt Hermanns nach einigen Sekunden des
Wartens die goldene Frage ,,Und was kam dann?"
28
.
Neben einem Zugzwang des Erzählens erfährt der Befragte beim narrativen Interview zusätz-
lich eine Tendenz zur Gestaltschließung, er ist von sich aus darum bemüht, seine Erzählung
zu einem Ende mit abschließender Bewertung zu bringen. Vom Interviewer wird er nach dem
Ende seiner Haupterzählung abschließend dann dazu animiert, erstens offene oder für den
Interviewer noch bestehende Unklarheiten zu klären (Nachfragephase) und zweitens, soweit
er dies nicht schon von selbst tat, eine Bilanz seiner Geschichte zu ziehen (Bilanzierungspha-
se).
2.3. Die ,,grounded theory"
Die Auswertung der in den narrativen Interviews erhobenen Daten wurde von mir in Anleh-
nung an die von Glaser und Strauss entwickelte ,,grounded theory" durchgeführt
29
. Ziel dieses
27
Vgl. Schütze 1976.
28
Vgl. Hermanns 1982, S.57.
29
Vgl. Strauss 1996 1998.

15
als gegenstandsnahe Theoriebildung zu übersetzenden Verfahrens ist eine Hypothesengene-
rierung, die über den gesamten Forschungsprozess hinweg einher mit in der Felderkundung
gewonnenen ersten Vermutungen über Zusammenhänge innerhalb des Forschungsfeldes geht.
Maßgeblich hierfür ist das ,,theoretical sampling", mit Hilfe dessen das Untersuchungssample
­ abweichend von einer sonst üblichen Festlegung im Vorfeld der Untersuchung ­ über den
gesamten Erhebungszeitraum hinweg unter für die Theoriebildung wichtigen Aspekten er-
folgt. Datenerhebung, -kodierung und -analyse erfolgen deshalb parallel, um die hierfür nöti-
ge Flexibilität zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass anfangs nur die Kriterien für das erste
Interview klar waren, im Anschluss daran die für das zweite Interview als relevant vermuteten
Kriterien festgelegt wurden und so weiter, bis von einer theoretischen Sättigung des Samples
ausgegangen werden konnte.
Aus der Kodierung der Daten wurden dann Kategorien generiert, die bei der nächsten Aus-
wertung erneut hinterfragt, variiert oder verworfen wurden, so dass eine fortschreitende Ver-
dichtung und Konkretisierung von sich abzeichnenden Hypothesen anhand des erhobenen
Datenmaterials erfolgte.
Strauss unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen drei Kodier-Verfahren, die aller-
dings eng miteinander verknüpft sind und eher als Prozess zu verstehen sind, denn als strikte
Abfolge. Der Forschende beginnt hierbei ohne ein festes Gerüst an Kategorien. Eventuell be-
stehende Vorannahmen und -erfahrungen des Forschenden sind in dieser Phase nicht mehr als
erste grobe Anhaltspunkte. Das offene Kodieren dient der Kategoriengewinnung durch eine
erste Zeile-für-Zeile-Analyse der Interviews. Die entdeckten Phänomene werden benannt
(Konzeptualisierung), gruppiert und gruppenweise als Kategorien zusammengefasst. Durch
diese erste Analyse des Datenmaterials werden möglichst viele Konzepte entwickelt, die in
erste Kategorien münden.
Als zweite Stufe folgt das axiale Kodieren. Hierbei werden die beim offenen Kodieren ge-
wonnenen ersten Kategorien dahingehend ausgearbeitet, dass die als für die Untersuchung als
relevant erscheinenden weiter ausgearbeitet werden. Die Daten werden jetzt konkret im Hin-
blick auf diese Kategorien durchgearbeitet, ihre Eigenschaften und Dimensionen werden her-
ausgearbeitet und die Kategorien in Beziehung zueinander gesetzt. Der Forschende sollte sich
in einer ständigen Kommunikation mit den Daten befinden und durch das Anstellen von Ver-
gleichen und Stellen von Fragen versuchen, den Konzepten der ,,grounded theory" ihre Präzi-
sion und Spezifität zu verleihen, welche deshalb auch als ,,Analysemethode der ständigen

16
Vergleiche" bezeichnet wird
30
. Im Vergleich zum zwangsläufig eher oberflächlichen ersten
offenen Kodieren dringt der Forschende hierbei erstmals in die Tiefe der einzelnen Katego-
rien vor.
Auf das axiale folgt schließlich das selektive Kodieren, wobei eine als wesentlich betrachtete
Kategorie zur Kernkategorie bestimmt wird, um die herum die anderen Kategorien als ergän-
zende Kategorien gruppiert werden. Die eigentliche Theorie entwickelt sich bei der ,,groun-
ded theory" dadurch, dass zum Ende des gesamten Forschungsprozesses alle Kategorien mit-
einander in Beziehung gesetzt werden und durch die Kernkategorie zu einer umfassenden
Theorie integriert werden. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals darauf hingewiesen,
dass es sich nicht um eine klar zu trennende Abfolge der Kodierformen handelt, sondern
vielmehr um einen Forschungsprozess, der immer wieder auf die Daten rekurriert, um alle
Schritte am Datenmaterial zu überprüfen, gegebenenfalls zu modifizieren und somit eine
wirkliche Gegenstandsverankerung der abschließenden Theorie zu erreichen.
Diese gegenstandsbezogene und auf das ständige Anstellen von Vergleichen und Stellen von
Fragen beruhende Vorgehen scheint prädestiniert für den Untersuchungsgegenstand zu sein.
Er wird er nur zu Beginn durch die Vorannahmen des Forschers beeinflusst, um einen ersten
Ansatzpunkt für die Forschung zu haben. Dadurch, dass diese immer wieder anhand der Da-
ten überprüft und gegebenenfalls modifiziert oder verworfen werden, wird dem sich abzeich-
nenden Untersuchungsgegenstand weitest möglich entsprochen. Der in der abschließenden
Theorie beschriebene Sachverhalt entspricht dann den in der Realität gefundenen Fällen und
nicht einer, durch welche Einflüsse auch immer zustande gekommenen, Hypothese des For-
schers. Dieses Entdecken von Neuem ist grundlegend für die ,,grounded theory". Was die
Betroffenen an ihrer Geschichte als anders oder abweichend wahrnehmen, wird in der Kom-
munikation und der Datenanalyse erst herausgefunden. Hierdurch wird deutlich, was nicht
unbedingt reflektiert wird, aber dennoch handlungsleitend ist
31
.
2.4. Die Datenerhebung
Um den Gegenstandsbereich dieser Untersuchung zu vereinfachen und diese Arbeit in einem
einer Magisterarbeit entsprechenden Rahmen zu halten, musste ich mich auf fünf in die Aus-
30
Vgl. Strauss 1996, S.44.

17
wertung einfließende Interviews und Studierende Hamburger Hochschulen beschränken
32
.
Die relativ geringe Größe dieses Samples verlangte es, dass die Fallauswahl nach bestimmten
Kriterien stattfand, um eine möglichst breite Streuung der Fälle und somit in der Folge eine
möglichst tiefe Verankerung der Theorie in der Praxis zu erreichen. Diese kriteriengesteuerte
Fallauswahl erfolgte entsprechend des ,,theoretical sampling"
33
.
Nach jedem Interview und seiner erstmaligen Auswertung wurden die Auswahlkriterien ent-
sprechend variiert beziehungsweise neu festgelegt. Anstatt die Stichprobe bereits in der Ent-
stehungsphase der Untersuchung festzulegen, wurde das Sample über den gesamten Untersu-
chungsverlauf hinweg unter neuen Gesichtspunkten ergänzt. Der Erhebungszeitraum dieser
Untersuchung erstreckte sich über einen Zeitraum von fünf Monaten, Datenerhebung,
-kodierung und Analyse erfolgten hierbei parallel.
So wurde beispielsweise ­ um möglichst hohe Kontraste zu erzielen ­ nach dem Interview mit
einer 24-jährigen Studierenden, welche mit Kind und fester Beziehung lebte und einen nach
eigener Aussage relativ unstrukturierten Universitätsstudiengang studierte, ein 35-jähriger
Student eines Fachhochschul-Ingenieurstudienganges interviewt
34
.
In diesem Zusammenhang soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei
keinesfalls um eine Untersuchung mit Anspruch auf Repräsentativität handelt, sondern viel-
mehr unterschiedliche Typen von Studierendenkarrieren entdeckt und erklärt werden sollen.
Eine entsprechende theoretische Relevanz der Fälle wird hierbei durch das ,,theoretical
sampling" garantiert, welches unter anderem auf einer hohen Kontrastivität der ausgewählten
Fälle beruht und möglichst alle für die Forschungsfrage relevanten Gesichtspunkte berück-
sichtigt
35
.
Wie sich bald zeigte, gestaltete sich der Zugang zum Feld für mich wesentlich leichter, als im
voraus angenommen. Ein Erstkontakt zu dem jeweils nächsten Interviewpartner kam stets
über Bekannte zustande, die über das einzig kontinuierliche Auswahlkriterium ­ ein Studium
31
Pieper, Marianne/ Riemann, Gerhard, in: Hoffmann-Riem 1994, S.10.
32
Insgesamt wurden von mir sechs Interviews geführt, wovon eines nicht in die Auswertung genommen wurde,
da es sich hierbei eher um einen ,,pretest", denn ein nach strikten Regeln geführtes narratives Interview handelte.
33
Vgl. Strauss 1996 1998.
34
Vgl. hierzu die Interviews von Janine und Bodo.
35
Die Beschränkung meiner Samplegröße auf fünf Fälle bedeutete in dieser Hinsicht zwangsläufig eine gewisse
Einschränkung des ,,theoretical sampling", was ich aber mit einer möglichst hohen Kontrastierung der Fälle
versuchte auszugleichen.

18
unter Mehrfachbelastung ­ unterrichtet waren
36
. Entsprechend des ,,theoretical sampling"
wurde erst nach einer vorläufigen ersten Auswertung eines Interviews nach Kriterien für den
nächsten Interviewpartner gesucht. Schien dieser ausgemacht, wurde er per Telefon kontak-
tiert. Zu diesem Zwecke hatte ich mir eine ganze Reihe von Argumenten zurecht gelegt, um
die Bereitschaft zu einem Interview zu wecken
37
. Dies war allerdings in keinem der Fälle nö-
tig, vielmehr war seitens der potentiellen Interviewpartner stets eine hohe Bereitschaft festzu-
stellen, einen Termin für das Interview zu verabreden. Von mir wird diese sich über die ge-
samte Interviewdauer erstreckende Offenheit der Befragten in erster Linie darauf zurückge-
führt, dass diese Personen ein starkes Eigeninteresse daran hatten, über ihre Erfahrungen im
Hinblick auf ihre Studiensituation zu sprechen. Hinzu mag noch das Gefühl gekommen sein,
beim Interview unter ,,Gleichgesinnten" zu sein und über ein Thema zu reden, welches relativ
wenig Brisanz zu bergen schien. Die Tatsache, dass der Erstkontakt über gemeinsame Be-
kannte zustande kam, mag ein übriges hierzu beigetragen haben.
Die von mit geführten Interviews fanden bis auf eine Ausnahme alle in den Wohnungen der
Interviewten statt. Meiner Bitte, das Interview unter vier Augen führen zu können, wurde
ausnahmslos und ohne Zögern nachgekommen. Nach einem kurzen ,,Aufwärmen", in dem
über die Anreise, das Wetter oder ähnliche relativ belanglose Dinge geredet wurde, erfolgte
eine im Vergleich zum telefonischen Kontakt etwas umfangreichere Erläuterung des Untersu-
chungsgegenstandes
38
und es wurde von den Interviewpartnern die Zustimmung zum Mit-
schnitt des Interviews per Tonband eingeholt, welche ebenfalls von allen bereitwillig gegeben
wurde. Anschließend wurde von mir der narrative Stimulus gesetzt und die Interviewpartner
begannen mit der Erzählung ihrer Geschichte. Auch an dieser Stelle zeigte sich, dass die von
mir Befragten erstens eine recht hohe Mitteilungsbereitschaft über den Untersuchungsgegens-
tand aufwiesen und zweitens trotz der relativ spontanen Situation eine sehr detaillierte und auf
eine vorher bereits erfolgte Reflexion hindeutende Erzählung zustande kam. Dies mag damit
zusammenhängen, dass sie sich aufgrund ihrer bisherigen Studierendenkarriere schon früher
eine entsprechende Identität konstruiert hatten und bei Studierenden außerdem eine relativ
hoch entwickelte Fähigkeit erstens zur Selbstreflexion und zweitens entsprechender Artikula-
36
Entsprechende Aushänge an verschiedenen Hamburger Hochschule erwiesen sich bis auf eine ­ aus von der
Fragestellung zu sehr abweichenden Gründen nicht weiter verfolgte ­ Rückmeldung leider als erfolglos.
37
Vgl. Hermanns S.43.
38
An dieser Stelle wurde den Interviewpartnern erklärt, in welchem Zusammenhang das Interview stattfinden
würde. Eine weitergehende Thematisierung wurde aber bewusst vermieden. Allerdings bot ich ihnen an, nach
Abschluss des Interviews eventuell bestehende Fragen zu beantworten. Von diesem Angebot wurde später, wenn
auch in unterschiedlichem Umfang, Gebrauch gemacht.

19
tion vorhanden war, als dies beispielsweise bei Personen angenommen werden könnte, die im
gewerblichen Bereich tätig sind.
Im Verlaufe der von mir geführten Interviews kam es wiederholt dazu, dass Schützes Regeln
zum narrativen Interview nicht hundertprozentig eingehalten wurden. Speziell die Regel des
Nicht-Einmischens während der Erzählungen war für mich nicht immer leicht zu befolgen.
Zum Einen hatte dies sicherlich mit meiner anfangs mangelnden Interviewerfahrung zu tun.
Andererseits lag dies aber speziell daran, dass ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen wäh-
rend meines Studiums die Schilderungen der Interviewpartner nur allzu gut aus eigener Erfah-
rung kannte. Ich musste mich an entsprechenden Stellen häufiger dazu zwingen, nicht in ein
Gespräch mit dem Interviewpartner zu verfallen, sondern ihm ganz bewusst die alleinige Ge-
sprächsleitung zu überlassen. Ein solcher Erfahrungsaustausch mit den Befragten fand dann
häufiger noch nach dem Ende des eigentlichen Interviews in einer Phase des Ausklingens
statt, in der sich die ,,künstliche Situation"
39
zwischen Interviewer und Interviewtem wieder
normalisierte. Oftmals ergaben sich für mich in dieser Phase noch wertvolle Informationen
zum Thema, welche sich dann im Anschluss an das entsprechende Interview-Transkribt wie-
derfinden.
Bevor im nächsten Kapitel mit den drei von mir aus den Daten generierten Typen von Studie-
renden erste Ergebnisse meiner Untersuchung besprochen werden, soll an dieser Stelle noch
kurz auf Vorannahmen eingegangen werden, wie ich sie aufgrund eigener Erfahrungen wäh-
rend meiner Studienphase und entsprechenden Literaturstudium gewonnen hatte. Wie bereits
erwähnt wurde, waren dies nur erste vage Anhaltspunkte, welche im Laufe meiner Untersu-
chung ständig überprüft und zu einem nicht unerheblichen Teil wieder verworfen wurden.
Aus Platzgründen beschränke ich mich im Folgenden nur auf zwei Beispiele, die aber meines
Erachtens verdeutlichen, auf welche Probleme, aber auch Anregungen für die Theoriebildung
ich während der Datenerhebung und -auswertung gestoßen bin.
Im Vorfeld meiner Untersuchung nahm ich an, dass mir die Befragten in ihrer Erzählung zu
einem Großteil von Problemen berichten würden, auf die sie während ihrer Studienphase ge-
troffen sind. Diese Annahme wurde bekräftigt durch diejenige Literatur, die sich mit dem
Wandel der Studierendenrolle und einer entsprechende Reaktion seitens der Institution Hoch-
schule befassten. Hier soll speziell die Arbeit Bernings genannt werden, der im Teilzeitstudi-
39
Vgl. Hermanns S.65.

20
um eine Möglichkeit sieht, die Parallelbewältigung verschiedener Bereich im Alltag Studie-
render zu verbessern
40
. Ich ging zum Beispiel davon aus, dass mir Befragte von Problemen
berichten würden, die Erwerbsarbeit und ein studienbezogenes Arbeiten miteinander verein-
baren zu können, dass sie deshalb mit Leistungsnachweisen in Verzug zu geraten drohen und
nicht genügend Zeit zum Lernen haben würden.
Nach entsprechender Auswertung der ersten Interviews stellte sich die Situation aber so dar,
dass der allgemeine Grad an Belastung und speziell die Belastung durch die Erwerbsarbeit ein
viel geringeres Problem darstellte, als von mir bisher angenommen wurde und von den Stu-
dierenden auch ganz anders angegangen wurden, als vorab angenommen.
Eine weitere Annahme bestand darin, dass es einerseits solche Studiengänge geben würde, die
aufgrund ihrer straffen Struktur ein ,,Ausbrechen" wesentlich schwerer erscheinen lassen
würden und das sich hier eine andere Einstellung zum Studierverhalten finden würde, als dies
von den sogenannten ,,weichen" Studiengängen
41
angenommen wurde. In dem von mir
durchgeführten ,,theoretical sampling" wurde dies dahingehend berücksichtigt, dass ich nach
einem ersten Interview, in dem davon berichtet wurde, wie sehr die Unstrukturiertheit des
Studienganges dem freien und gleichzeitig erfolgreichen
42
Organisieren des Alltags entgegen
kam, einen Studierenden eines Fachhochschulstudienganges interviewte, von dem ich an-
nahm, dass er wesentlich mehr Probleme bei diesem Organisieren haben würde. Dies erwies
sich allerdings als nicht zutreffend, so dass ich bei meiner weiteren Auswahl von Sampling-
Kriterien dieses Merkmal vernachlässigen konnte.
40
Vgl. Berning 1996.
41
Hiermit sind in erster Linie geisteswissenschaftliche Universitäts-Studiengängen gemeint.
42
Vgl. Kapitel 3 zur Definition von Erfolg.

21
3. Empirischer Teil ,,Managementverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung"
In diesem Kapitel geht es um die aus den Interviewdaten gewonnenen Erkenntnisse über den
Verlauf unterschiedlicher Karrieren Studierender. Bevor mit der Theorie über den Manage-
mentverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung in die Ergebnisse der Untersuchung
eingestiegen wird, sollen kurz drei ­ für die in den Daten ausgemachten Karriereverläufe
typische ­ Studierendenkarrieren nachgezeichnet werden. Es handelt sich jeweils um diejeni-
ge Person, die mit dem Verlauf ihrer Studienphase dem entsprechenden Typus
43
am nächsten
kommt. Aufgrund der Datenanonymisierung wurden sie jeweils mit Pseudonymen versehen.
Entsprechende Zitate sind zur besseren Zuordnung mit Zeilenangaben versehen. Zum über die
exemplarischen Zitate hinausgehenden, detaillierteren Verständnis sei verwiesen auf die In-
terview-Transkribte im Anhang dieser Arbeit.
3.1. Drei Portraits von Studierendenkarrieren
3.1.1. ,,Janine"
Für Janine war schon seit ihrer Kindheit klar, dass sie Architektur studieren wollte. Sie war
Mehrfachbelastungen in Form von Sport und Nachhilfeunterricht, welchen sie gab, schon
während der Schulzeit gewöhnt und hatte primär Spaß am Nebeneinander verschiedener Be-
reiche statt hierdurch negativ belastet zu werden. Den Studienplatz hat sie aufgrund eines gu-
ten Abiturnotendurchschnitts unmittelbar nach der Schule bekommen. Trotz zahlreicher Wi-
derstände bekam sie ihr erstes Kind zu Beginn ihres Studiums mit 19 Jahren. Durch die anste-
hende Geburt wurde das Studium gleich zu Beginn forciert, um ein Polster für die bevorste-
hende Auszeit zu haben. Die freien Einteilungsmöglichkeiten an ihrem Fachbereich kamen ihr
hierbei sehr entgegen. Während der ersten Semester mit Kind hat sie sich mit Hilfe von
Freunden und Familie arrangiert, um das studienbezogene Arbeiten und die Kinderbetreuung
zu bewältigen. Sie arbeitetet zu dieser Zeit fast ausschließlich von zu Hause aus.
Sobald das Alter des Kindes es zuließ, ging sie dann wieder zu Lehrveranstaltungen an die
Universität. Als der Sohn zweieinhalb war, begann sie neben dem Studium in einem Architek-
turbüro zu jobben. Sie wollte einen Job ausüben, der sie im Hinblick auf das Studium weit-
erbachte. Zur gleichen Zeit begann auch ein zeitintensives und wichtiges Projekt an der Uni-
43
Vgl. 3.3.

22
versität, welches sie mit einer befreundeten Kommilitonin bearbeitete. Dieses Projekt wurde
zunehmend arbeitsaufwendiger und zeitintensiver, ein Abbrechen stand aber wegen der vielen
Vorarbeit für sie nicht zur Debatte, obwohl die Belastung aus Job und Projekt einerseits und
der Betreuung ihres Kindes andererseits als dauerhaft zu hoch empfunden wurde. Das Haupt-
problem war für sie hierbei, das sie ihr Kind zu selten sah und es sich zu sehr von ihr zu ent-
fernen begann. In diesem Zusammenhang sprach sie davon, dass sie eine solche Situation
nicht noch einmal durchlaufen wolle. Der Hauptgrund hierfür lag für sie während dieser Zeit
darin, dass ihr Sohn noch zu jung war. Für ihre spätere Planung stellt dies allerdings kein
Problem mehr dar, weil die dann mittlerweile zwei Kinder alt genug sein werden. Diese als
sehr stressig empfundene Phase hat sich für Janine aber dahingehend gelohnt dass, das Projekt
eine Eins bekam und sie im Studium enorm weiter gebracht hat. Dieses Semester wird als das
einzige beschrieben, in dem sie an ihre Belastungsgrenzen kam.
Janine spricht davon, dass sie schon immer den Wunsch hatte, eine Zeit im Ausland zu studie-
ren, was sie als eines der Privilegien des Studentenlebens sieht. Da sie aber kein ganzes Jahr
mit ihrer Familie aus Hamburg weggehen wollte, erkundigte sie sich nach Studienangeboten
während der Semesterferien. Sie wollte an einer der besten Universitäten studieren und fand
ein entsprechendes Angebot in den USA. Für die Organisation dieses Auslandsaufenthaltes
brauchte sie ein halbes Jahr, bevor sie schließlich in den Semesterferien mit Freund und Kind
nach New York geflogen ist. Nach anfänglichen Zweifeln hat sie auch diese Herausforderung
gut bewältigt und viel für ihr Studium hieraus gezogen, einen ,,richtigen Schub nach vorne"
bekommen.
Nach dieser Zeit stellte sich bei ihr durch die Projektphase, Job und den Auslandsaufenthalt
ein beruhigendes Gefühl ein. Sie entwickelte eine hohe Selbstsicherheit, all diese Bereiche gut
miteinander vereinbaren zu können und nebenher noch Mutter sein zu können. Nach dieser
Phase der Hochbelastung konzentrierte sie sich für ein Semester wieder verstärkt auf die Kin-
derbetreuung. Anschließend studierte sie wieder normal und absolvierte einen Großteil der
noch ausstehenden Leistungsnachweise. Den Job im Architekturbüro hat sie mittlerweile auf-
gegeben, weil sie genug Erfahrung in einem großen Büro gesammelt hat und noch in einem
kleineren arbeiten möchte, um vergleichen zu können. Dies stellt für sie nochmals eine neue
Herausforderung dar. Vorher bekommt sie aber noch ein zweites, diesmal geplantes Kind. Bis
zum Diplom, das sie in zwei Jahren machen will, nimmt sie sich wieder vor, von zu Hause

23
aus zu arbeiten. Finanziell betrachtet kam es immer so gut hin, dass sie, ihr Freund und ihr
Kind entsprechend ihren Bedürfnissen zurechtkamen.
3.1.2. ,,Michael"
Michael hat sich schon während seiner Schulzeit für das Fach Chemie interessiert. Er begann
es dann nach der Bundeswehr zu studieren. Zu Studienbeginn wohnte er noch bei den Eltern
und bekam Bafög. Zeitlich war er bereits zu dieser Zeit stark beansprucht, das Studium be-
zeichnet er bereits zu diesem Zeitpunkt als Vollzeitjob. Die Erwerbstätigkeit neben dem Stu-
dium begann bei ihm mit Jobs am Wochenende oder abends nach der Universität. In den ers-
ten Semesterferien jobbte er als Lagerarbeiter, eine Tätigkeit, die er schon aus der Zeit vor
dem Studium kannte. Diese wurde zwar schlecht bezahlt, war aber bequem für ihn, da er sich
nicht erst um eine Anstellung kümmern musste.
Erste Probleme machten sich bei ihm bemerkbar, als mehrere Ereignisse zusammentrafen:
Er hatte eine Prüfung nicht bestanden, wiederholte diese zu spät und musste mehr Geld für
seinen Lebensunterhalt aufbringen, weil er bei den Eltern ausgezogen war. Er spricht von dem
Zwang, Geld verdienen zu müssen, um sich zu finanzieren. Mittlerweile hatte er einen Job auf
Abruf bei einer Marktforschungsfirma. Er musste bei Bedarf zur Verfügung stehen und konn-
te sich folglich nicht auf ein festes Einkommen verlassen, weil es immer wieder Flauten gab,
in denen kaum Arbeit anfiel. Studium und Jobben überschnitten sich häufiger, Praktika muss-
ten beispielsweise abgebrochen werden, weil er arbeiten musste.
Mit der Zeit bekam er die Möglichkeit, dort mehr zu arbeiten, die Tätigkeiten wurden an-
spruchsvoller, die Bezahlung höher. Andererseits kam er mit dem Studium immer mehr in
Verzug. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren hatte sich der anfängliche Aushilfsjob
zu einer Vollzeitbeschäftigung entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt nahm er sich vor, sich ein
finanzielles Polster zu schaffen, um dann wieder voll ins Studium einzusteigen. Als er sich ein
solches Polster angelegt hatte, ging die Firma, bei der er inzwischen einen Ausstand von
3500,- DM hatte, pleite. Er musste wieder von vorne anfangen, sich einen neuen Job suchen
und von den für das Studium vorgesehenen Reserven leben. Seinem Plan, sich ein Polster zu
schaffen, um dann wieder voll ins Studium einzusteigen stand zudem noch seine relativ
schlechte Entlohung von anfangs zehn, später 15-20,- DM brutto gegenüber.

24
Seine Versuche, wieder in das Studium einzusteigen, scheiterten neben seiner Jobsituation
auch an seiner schwindenden Motivation, da er allmählich erkannte, dass das Studium nicht
das richtige für ihn war. Zu Beginn des Studiums waren ihm gute Jobaussichten und viel Geld
wichtig, das änderte sich dann im Laufe der Zeit. Er lernte neue Personen kennen, die ihn da-
hingehend beeinflussten, dass er inzwischen andere Werte wie eine bewusstere Lebensfüh-
rung in den Vordergrund stellt. Von den KommilitonInnen, die seine ehemaligen Ziele weiter
verfolgten, distanzierte er sich immer mehr. Praktika in Betrieben, wie diese sie freiwillig
machten, absolvierte er als Folge nicht. Stattdessen war er hochschulpolitisch tätig und es gab
Phasen, in denen er nichts für das Studium tat, aber in drei Gremiensitzungen pro Woche saß.
Nach einer langen Zeit, in der er nichts für das Studium getan hatte, gab es noch einmal einen
letzten intensiven Versuch, ins Studium zurückzukehren. Seine Professoren unterstützten ihn
hierbei, kamen ihm beispielsweise mit verringerten Leistungsanforderungen entgegen.
Gleichzeitig versuchte er, seine Jobs auf ein Mindestmaß zu reduzieren, nur noch am Wo-
chenende oder abends zu jobben. Um die finanzielle Beanspruchung zu verringern, zog er in
eine günstigere, kleinere Wohnung. Der Widerwille, etwas für das Studium zu tun, wurde
allerdings immer stärker. Gründe hiefür waren zum Einen die Feststellung, dass Chemie nicht
das richtige Fach für ihn war und zum Anderen die festen Strukturen, in denen es nur studiert
werden kann. Er spricht davon, dass sein Chemiestudium eher den Charakter einer Berufsaus-
bildung als den eines Studiums hatte. Die Hemmschwelle, mit dem Studium aufzuhören war
aber wegen der schon sehr hohen Studiendauer entsprechend groß. Michael spricht zudem
davon, dass das Fach Chemie immer noch einen gewissen Reiz auf ihn ausübe, es im Endef-
fekt aber nicht mehr gereicht habe, um sich für ein Studium von 40-50 Stunden pro Woche
zu motivieren. Er brach das Studium im 22. Semester innerlich ab, blieb allerdings weiterhin
immatrikuliert, um die finanziellen Vorteile des Studierendenstatus nutzen zu können. Nach
diesem Entschluss fühlte er sich enorm erleichtert.
Ursprünglich wollte er sich Zeit damit lassen, eine neue Tätigkeit zu finden, wollte ausprobie-
ren, was zu ihm passt, bekam dann aber sehr schnell einen Ausbildungsplatz als Fachinforma-
tiker. In der Marktforschungsfirma jobbt er immer noch nebenbei. Er sieht hierin eine eventu-
elle Perspektive für später, dort zu arbeiten. Mit den gleichen Personen arbeitet er mittlerweile
seit 1993 zusammen.

25
3.1.3. ,,Martin"
Für Martin war bereits zu Schulzeiten grundsätzlich klar, dass er studieren wollte, er wusste
damals allerdings noch nicht genau, welches Fach. Er entschied sich dann für Bauingenieur-
wesen an der Fachhochschule, worauf er während seiner Zivildienstzeit kam. Hierbei orien-
tierte er sich an Personen aus seinem Umfeld, die in der gleichen Branche tätig waren. Aus-
schlaggebend war hierbei für ihn die Vielseitigkeit des späteren Berufsbildes und die zur da-
maligen Zeit mit dem entsprechenden Studienabschluss verbundenen guten Berufsperspekti-
ven in der Baubranche. Rückblickend bezeichnet er sich schon während der Schulzeit als mit-
telmäßigen Schüler, der nicht sonderlich viel für die Schule gearbeitet hat. Mit der gleichen
Arbeitsweise ging er auch über einen langen Zeitraum im Studium vor, was negative Konse-
quenzen auf seinen Fortschritt im Studium hatte. Er bestand vergleichsweise wenige Prüfun-
gen im ersten Anlauf und kam schnell in Verzug mit den entsprechenden Leistungsnachwei-
sen.
Trotzdem empfand er seine Studienphase lange Zeit als angenehme Zeit. Er hatte einen recht
hohen Lebensstandard, bekam finanzielle Unterstützung seitens der Eltern, verdiente selber
gut hinzu, zahlte kaum Steuern und konnte sich viele Dinge leisten. Eine direkte Notwendig-
keit, den Lebensunterhalt selbst zu bestreiten bestand für ihn nicht, er hatte für seine Ansprü-
che eher zu viel als zu wenig Geld zur Verfügung. Im Vergleich zu einem konkreten Studie-
ren mit Einbußen zeitlicher und finanzieller Art lebte es sich für ihn so lange Zeit sehr ange-
nehm. Martin hatte viel Spaß während dieser Zeit und machte sich nicht allzu viele Gedanken
über die Zukunft. Er bezeichnete sein Studium während dieser Zeit eher als Nebenjob, seine
hauptsächliche Beschäftigung war die Erwerbsarbeit.
Nachdem er anfangs in einer studienfernen Tätigkeit beschäftigt war, stellte er nach einem
Pflichtpraktikum bei einer Baufirma seine Erwerbstätigkeit so um, dass er dort weiter arbeiten
konnte und somit ein direkter Bezug zu seinem Studienfach vorhanden war. Neben dem für
ihn wiederholt als wesentlich bezeichneten Spaß an der Arbeit und dem entsprechenden Ein-
kommen konnte er auf diese Weise auch noch entsprechende Berufserfahrung sammeln.
Nach ein paar Jahren wurde dieser Zustand dann aber als auf die Dauer nicht mehr tragbar
angesehen. Der Kontakt zu den KommilitonInnen war mittlerweile verloren gegangen, weil
inzwischen alle, die mit ihm das Studium begonnen hatten, fertig waren. Er bekam das Ge-
fühl, inzwischen zu alt für diesen Lebensstil zu sein, bekam Existenzängste, mit Ende zwan-

26
zig ohne Ausbildung da zu stehen. Der Lebensabschnitt Studium sollte beendet werden, auch
wenn danach aufgrund der sich inzwischen stark verschlechterten Arbeitsmarktlage nicht
mehr zwingend im entsprechenden Beruf gearbeitet werden könnte. An diesem Punkt ergreift
er erstmals die Handlungsinitiative, um sein Studium wieder ,,in den Griff" zu bekommen.
Unterstützung bei seiner Entscheidung für ein forciertes Studieren erfuhr er einerseits durch
das Drängen von Bezugspersonen, andererseits durch die günstige Gelegenheit, innerhalb
kurzer Zeit viel Geld verdienen zu können und sich hierdurch ein Polster für die verbleibende
Studiendauer zu schaffen.
Von diesem Ereignisknotenpunkt an konzentrierte sich Martin erstmals voll auf das Studium
und seinen Abschluss. Das Studium war jetzt zentraler Lebensbereich, es war erstmals ein
leitender Charakter des Studiums auszumachen. Er stellte sich eine Planung auf, an die er sich
die verbleibende Zeit über auch hielt. Seine Jobtätigkeiten wurden gänzlich aufgegeben, er-
neute Anfragen konsequent abgelehnt und die volle Energie dem Studium gewidmet. Alles
drehte sich jetzt um diejenigen Bedingungen, die zum Abschluss des Studiums als nötig er-
fahren wurden. Er arbeitete aktiv und zielgerichtet auf den Abschluss hin und absolvierte auch
die immer wieder aufgeschobenen schweren Prüfungen mit zufriedenstellenden Ergebnissen,
die er zwischenzeitlich so nicht für möglich gehalten hatte.
3.2. Die analytischen Kategorien
Entsprechend der ,,grounded theory" erfolgte bei der Interviewauswertung eine Konzeptuali-
sierung der Daten in Form von Kategorien. Einige der bis zum Abschluss der Untersuchung
als vorläufig zu verstehenden Kategorien wurden im Laufe der Theoriebildung mehrfach um-
benannt, andere nicht weiter verfolgt, weil sie sich als für die Untersuchung beziehungsweise
als nicht für alle Fälle von Bedeutung erwiesen
44
. Die schließlich verbliebenen Kategorien
stellten sich sowohl für den Untersuchungsgegenstand als auch für sämtliche untersuchten
Fälle als wesentlich heraus. Sie waren maßgebend für die gegenstandsnahe Theoriebildung,
welche sich unter 3.3 in Form eines Entwurfs dreier verschiedener Studierendentypen sowie
die Theorie über den Managementverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung anschließt,
44
Zum detaillierteren Verständnis der Kategoriegewinnung und den Umgang mit diesen Kategorien über den
gesamten Forschungsprozess hinweg sei verwiesen auf Strauss 1996 1998 sowie Hermanns 1982.

27
welche sich durch das In-Beziehung-Setzen der Kategorien um die Kernkategorie herum ab-
zeichnete.
Im Folgenden sollen diese analytischen Kategorien nun kurz vorgestellt werden. Hierbei soll
deutlich werden, aus welchen Daten sie jeweils hervorgingen und welche Bedeutung sie für
die sich anschließende Theorie haben.
3.2.1. Kategorie Habitus
Die mit Habitus benannte Kategorie stellt die Mikroebene dar, mit Hilfe derer sich die von
mir Befragten bewusst oder unbewusst in ihrer Studienphase positionieren. Er setzt sich zu-
sammen aus den Subkategorien Eigenanspruch, Arbeitsstil, Traditionsverbundenheit, finan-
zielle Situation, der Fähigkeit zum Planen von Situationen, dem Zeitmanagement, Bedürfnis-
sen, dem Verarbeitungsmodus und der Selbstdarstellung. Durch das Zusammenspiel dieser
Subkategorien sowie die wechselseitige Beziehung zu den anderen Kategorien übt der jewei-
lige Habitus Einfluss auf den entsprechenden Managementverlauf des einzelnen Studieren-
dentypus aus.
Daten, die in die Konzeption dieser Kategorie einflossen, umfassten Äußerungen der Inter-
viewpartner zu ihren persönlichen Eigenschaften und Dispositionen, ihrer Arbeitsweise sowie
den ganz persönlichen Erwartungen vom Leben. Zusammengefasst könnte man den Habitus
im Hinblick auf diese Arbeit als diejenigen internen Bedingungen definieren, die bei den Be-
fragten zur jeweiligen Typenausprägung geführt haben.
3.2.2. Kategorie soziales Netzwerk
Das soziale Netzwerk als Kategorie stellt eine der beiden Kategorien auf Makroebene dar, die
Einfluss auf die Entwicklung des Managementverlaufs haben. Es wird maßgeblich bestimmt
durch die Akteure (persönliches Umfeld), das räumliche Umfeld, die Sozialisation des Einzel-
nen, einem Empfinden von Harmonie/Disharmonie sowie einer erfahrenen Hilfestellung. Je
nach Typuszugehörigkeit wird dem sozialen Netzwerk vom Einzelnen mehr oder weniger
Bedeutung zugemessen und somit der Grad der Beeinflussung auf den Managementverlauf
bestimmt.

28
Daten in Form von Äußerungen der Befragten zu ihren Bezugspunkten in ihrem Umfeld, er-
fahrenen Orientierungshilfen, Ent- oder Belastung durch räumliche und/oder persönliche Nä-
he beziehungsweise Distanz sowie die Antizipation von Erwartungen Anderer sind exempla-
risch dafür, wie in dieser Arbeit das soziale Netzwerk als eine der drei ergänzenden Katego-
rien konzipiert wurde.
3.2.3. Kategorie Kontext
Die zweite ergänzende Kategorie auf der Makroebene stellt die Kategorie Kontext dar. Hier-
unter sind alle auf den ersten Blick ,,externen" Bedingungen zu verstehen, die nach den Äu-
ßerungen der Interviewten Einfluss auf den Managementverlauf erkennen ließen und schein-
bar nicht direkt durch das Individuum bestimmt werden können. Dieser Kontext hat im Zu-
sammenspiel mit den anderen Kategorien den jeweiligen Managementverlauf zur Folge.
Im Vergleich zu diesen scheint der einzelne Studierende aber nur bedingt Einfluss auf diese
Kategorie nehmen zu können. Der entsprechende Kontext kann sich auf den Managementver-
lauf positiv bis negativ auswirken. Mit ihm kann konstruktiv (aktiv) oder eher passiv umge-
gangen werden, er kann als Belastung oder Handlungserleichterung empfunden werden. Wie
stark die Einflussnahme beim jeweiligen Typus ist, wird unter 3.3. deutlich. Auch hier ist eine
deutliche Variation nach Typuszugehörigkeit festzustellen.
Phänomene, die sich in dieser Kategorie wiederfinden sind beispielsweise die vorgefundenen
Rahmenbedingungen des Studiums wie Prüfungsmodalitäten und Arbeitsabläufe, Jobmög-
lichkeiten oder als plötzliche Zufälle empfundene Ereignisse.
3.2.4. Kernkategorie Managementverlauf
Auf die drei ergänzenden Kategorien Habitus, soziales Netzwerk und Kontext folgt nun die
Kernkategorie dieser Analyse, um die herum alle anderen Kategorien gruppiert wurden, um
zu einer abschließenden Theorie zu gelangen. Sie sollte das zentrale Phänomen dieser Unter-
suchung so beschreiben können, dass ein Bild der Wirklichkeit entstehen würde, ,,das konzep-
tuell, nachvollziehbar und vor allem gegenstandsverankert ist"
45
.
45
Vgl. Strauss 1996, S.95.

29
Da während der Auswertung der Interviews immer deutlicher wurde, dass sich die Studieren-
den ständig auf ein Neues mit den Bedingungen des Alltagslebens arrangieren, mit ihren Res-
sourcen wie Zeit, Energie und Motivation haushalten müssen, sie hierbei umso erfolgreicher
sind, je mehr die Entscheidungskompetenz bei ihnen selbst liegt, wurde für die Kernkategorie
der Begriff Managementverlauf gewählt.
Anhand des Managementverlaufs war es möglich, mit Hilfe von Vergleichslinien nachzu-
zeichnen, wie unterschiedliche Typen von Studierenden ­ im Falle dieser Untersuchung konn-
ten drei verschiedene Typen ausgemacht werden ­ an das Management ihrer Studienphase
herangegangen sind und wie erfolgreich sie es betrieben haben. Durch diese Kernkategorie
war es im Laufe der Untersuchung möglich, die maximale Variation zu suchen und in die
Analyse aufzunehmen, welches eines der Merkmale der ,,grounded theory" ist. Wesentlich für
die Konzeption des Managementverlaufs waren erstens Erkenntnisse darüber, welche Ein-
flussgrößen für die entsprechende Typenausprägung verantwortlich waren und zweitens in-
wieweit diese von den Befragten erkannt wurden und wie sich ihr Umgang hiermit gestaltete.
Die Typen wurden aus dem In-Beziehung-Setzen aller Kategorien und ihrer Subkategorien
gewonnen, so dass die folgenden drei Studierendentypen, welche im nächsten Abschnitt prä-
sentiert werden, quasi als ,,Produkt" der mit einer integrativen Kraft versehenen Kernkatego-
rie Managementverlauf zu verstehen sind, welche nicht mehr explizit ausgewiesen ist, son-
dern als Gesamtheit einer jeden Linie verstanden werden soll.
Um im weiteren ein objektives Verständnis des Managementverlaufes als Kernkategorie zu
ermöglichen, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, was im Untersuchungszusam-
menhang als ein erfolgreicher Managementverlauf und in der Folge als ein erfolgreiches Stu-
dieren verstanden wird
46
.
Ohne eine Bewertung der jeweiligen Studierendenkarrieren vornehmen zu wollen, wird in der
Ergebnispräsentation dieser Arbeit auf verschiedene Linien zurückgegriffen, bei deren Dar-
stellung von einem mehr oder weniger erfolgreichen Verlauf der Studienphase die Rede ist.
Es wird im Hinblick auf den Verlauf der Studienphase grob unterschieden zwischen erfolgrei-
chem und weniger erfolgreichem Managementverlauf
47
.
46
Trotz des im Vergleich zu den drei ergänzenden Kategorien erhöhten Klärungsbedarfes dieser Kernkategorie
wird an dieser Stelle nur kurz auf sie eingegangen. Zu einer umfangreicheren Behandlung des Begriffes Mana-
gement, seiner Bedeutung und Konnotation sei verwiesen auf Kapitel 4, in welchem eine Einbindung der Unter-
suchungsergebnisse in Foucaults Theorie einer neoliberalren Gouvernementalität erfolgt.
47
Vgl. 3.3. klare Linie/Mischtypus versus Abweichler.

30
Es gibt die eine Linie, die trotz zahlreicher Ablenkungsfaktoren ihr Studium sehr diszipliniert
betreibt und es innerhalb eines gesteckten Rahmens bewältigt. Im Hinblick auf ihre Studien-
phase war bei dieser Linie deshalb ein erfolgreicher Managementverlauf zu konstituieren.
Über einige Umwege ist gestaltet sich dies auch bei der dritten beschriebenen Linie so.
Die in die andere Richtung tendierende Linie hingegen driften mit zunehmender Studiendauer
immer stärker in andere Bereichen ab, verlieren die Motivation für ein studienbezogenes Ar-
beiten und brechen ihr Studium als letzte Konsequenz ab, um sich neuen Bereichen zuzuwen-
den. Im Hinblick auf ihre Studienphase wird der Managementverlauf bei ihnen deshalb als
weniger erfolgreich bezeichnet. Diese Unterscheidung soll aber keineswegs eine pauschale
Abwertung ihrer Person, der für sie relevanten Gesichtspunkte, Ursprünge dieser Entwicklung
und im speziellen ihrer Studienphase bedeuten. Vielmehr soll diese Einordnung so verstanden
werden, dass sie im Hinblick auf ihre Studienphase und die Entwicklung, die diese mit Fokus
auf einem Studienabschluss einerseits bei ihnen nahm und im Kontrast bei anderen Personen
nehmen kann, weniger Erfolg brachte.
3.3. Die drei Typen
Bevor die drei mit Hilfe der ,,grounded theory" aus den Daten gewonnenen Typen von Studie-
renden erläutert werden, sei an dieser Stelle noch ein Warnung vorangestellt:
Es sollte beim Leser nicht zu der Missdeutung kommen, dass mit der Benennung der drei Ty-
pen eine in irgendeiner Form beabsichtigte Bewertung der entsprechenden Karrieren einher-
gehe. Hierbei handelt es sich in erster Linie um vom Forschenden so benannte Typen, die in
den durchgeführten Interviews und deren Auswertung entdeckt wurden. Diese sollen verdeut-
lichen, wie die Ablaufstruktur von Studierendenkarrieren aufgebaut sein kann, welche Bedin-
gungen ­ sowohl interner (Mikroebene) als auch externer (Makroebene) ­ Einfluss auf die
jeweilige Typuszugehörigkeit nehmen, diese aber nicht bewerten. Es sei in diesem Zusam-
menhang jedem Einzelnen selbst überlassen, ob und wenn ja, welchen Typus er für sich per-
sönlich oder generell favorisiert
48
.
48
Ungeachtet dessen mag die sich anschließende Typenpräsentation jedem Studierenden, sei es in zu Beginn
seiner Studienphase oder während sich eventuell einstellender Orientierungsprobleme als Anhaltspunkt dienen,
den für ihn richtigen Weg zu wählen und die für ihn richtigen Entscheidungen zu treffen.

31
3.3.1. Die klare Linie: ,,Ein Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied"
In den erhobenen Daten ist ein erster Typus von Studierenden auszumachen, dem die Bewäl-
tigung der verschiedenen Lebensbereiche auf den ersten Blick ohne größere Probleme gelingt.
Bei diesen Personen ist ein Managementverlauf festzustellen, der gekennzeichnet ist durch
zahlreiche parallel stattfindende Lebensbereiche, die ein hohes Maß an Zeit und Koordination
verlangen. Diese Mehrfachbelastungen stellen diesen Typus aber vor keine größeren Proble-
me, sondern sie werden scheinbar unbeschwert angegangen und bewältigt. Es ist ein Hand-
lungsschema erkennbar, bei dem sich eine auf eigenverantwortliches Arbeiten bedachte Per-
sönlichkeit und ein aktives Steuern zu einem klar erkennbaren Verlauf in Richtung des Stu-
dienabschlusses verbinden. Eine konkrete Planung wird aufgestellt, an die sich so weit wie
möglich gehalten wird. Diese gewährleistet eine den Studienverlauf begünstigende Kontinui-
tät. Es ist festzustellen, dass zusätzliche Belastungen in Kauf genommen werden, wenn diese
die weitere Lebensplanung günstig zu beeinflussen scheinen. Motivationsprobleme sind bei
diesen Personen nicht festzustellen, das Studium wird als für den weiteren Werdegang erfor-
derlich betrachtet und sein Abschluss steht deshalb nie in Frage. Es ist ein leitender Charakter
des Studiums auszumachen.
Trotzdem werden ,,typische" Freiheiten des Studentenlebens genutzt und das Studium gele-
gentlich auch anderen Bereichen unterstellt.
Das Studium verliert für die Vertreter dieses Typus trotz der zahlreichen außerdem zu bewäl-
tigenden Bereiche allerdings nie seinen zentralen Platz in ihrer Planung. Aufgrund der Form
seines Managements und dem daraus resultierenden Verlauf der Studienphase wird dieser
Studierendentypus mit klare Linie benannt.
Habitus:
Bei der klaren Linie sind zwei Eigenschaften besonders deutlich ausgeprägt: Die Fähigkeit
des Planens und das aktive Steuern. Verbunden zu einem konsequenten Management des Ver-
laufs der Studienphase sind sie bei der klaren Linie ausschlaggebend dafür, wie das Studium
im Endeffekt betrieben wird: Leben und Studienphase werden nach Möglichkeit selbständig

32
gestaltet, die Handlungsinitiative geht hierbei so weit wie möglich von innen aus
49
, anstatt
sich durch äußere Einflüsse lenken zu lassen. Ihr stark an Selbständigkeit ausgerichteter Habi-
tus wird nicht nur in den Aussagen zum Studium, sondern auch in anderen Bereichen wieder-
holt deutlich.
,,Ja, abgesehen davon wollte ich das (von außen strukturierte Studium, d. Verf.) auch über-
haupt nicht mehr, also mir haben die 13 Jahre Schule echt gereicht und hatte dann überhaupt
keine Lust mehr, noch mal in so eine ähnliche Struktur reinzukommen, sondern mir kam das
eher entgegen, dass das sehr frei ist und selbstbestimmt." (Janine 443-446)
Die Arbeitsweise der klaren Linie ist aufgrund ihrer kontinuierlich hohen Motivation und der
Vielzahl von miteinander zu vereinbarenden Tätigkeiten immer auf höchste Effektivität aus-
gerichtet, es besteht gewissermaßen ein Zwang hierzu. Hierbei wird zwar mit der nötigen Fle-
xibilität vorgegangen, allerdings nie der Fokus des Selbstbestimmens aus den Augen verloren.
Weil sich selbst ganz klare Prioritäten gesetzt werden, ist ihre Flexibilität als Folge begrenzt.
Im Vergleich zu den folgenden Linien lässt sich die klare Linie deshalb nicht so leicht durch
äußere Einflüsse vom Studium ablenken.
Phasen der Muße und des Nichtstuns sind im Eigenanspruch der klaren Linie nicht vorgese-
hen. Vielmehr ist sie immer eingespannt, jede Minute scheint bei der klaren Linie eingeplant,
und es besteht offensichtlich auch gar keine andere Wahl, als mit der zur Verfügung stehen-
den Zeit so zu verfahren. Aus dieser Situation entstehen aber keine Probleme, Stress scheint
bei diesem Typus eher zu motivieren denn zu belasten. Fast könnte man meinen, er gelte bei
der klaren Linie als Statussymbol. Dieses strikt durchgeplante, ausgelastete Vorgehen scheint
neben dem jeweiligen Kontext auch dem Habitus der klaren Linie am ehesten zu entsprechen.
,,Ich arbeite im Augenblick durch diese Firmenumgestaltung soviel, wie noch nie in meinem
Leben. Also, der Tag könnte 40 Stunden haben, ich würde es locker voll kriegen. Aber es ist
einfach ein Stress, der angenehm ist. Stress muss ja nicht immer nur negativ sein." (Bodo
613-616)
49
Grundsätzlich scheint diese Selbständigkeit bei Studierenden im Vergleich zu den Bereichen Schule und Be-
rufsleben stärker ausgeprägt zu sein, allerdings nutzt sie die klare Linie noch wesentlich deutlicher und auch
erfolgreicher als die anderen Linien.

33
Die Vertreter der klaren Linie lassen hinsichtlich ihres Arbeitsstils eine hohe Kontinuität er-
kennen, es wird nie die eigene Planung aus den Augen gelassen oder sich in anderen als den
einigen wenigen als zentral erachteten Bereichen verloren. Vielmehr wird bewusst so verfah-
ren, dass für abzusehende zeitliche und finanzielle Engpässe vorgearbeitet wird, um sich ein
,,Polster" zu schaffen. Diese Regelmäßigkeit wirkt ihrerseits entlastend, weil sich bei der wei-
teren Planung auf eine relative Konstanz der Bedingungen verlassen werden kann. Wesentli-
che Unterstützung erfährt diese zielstrebige Vorgehensweise dadurch, dass die Vertreter der
klaren Linie nie den Sinn ihres Studiums in Frage stellen und somit auch keinerlei Motivati-
onsproblemen bemerkbar machen. Ihre Zielprojektion auf Studienabschluss und einmündende
Berufstätigkeit ist von Beginn an sehr klar und wird über die gesamte Studienphase hinweg
beibehalten. Die Klarheit hinsichtlich dessen, was erreicht werden soll, begünstigt den glatten,
nach außen hin fast schon makellos erscheinenden Managementverlauf dieser Personen.
Bei ihnen ist ein vergleichsweise hoher Anspruch an sich selbst festzustellen. Es wird sich
überdurchschnittlich viel zugemutet und nach Möglichkeit immer nach den bestmöglichen
Alternativen gestrebt. Ihr Interessenfokus liegt klar auf den das Weiterkommen förderlichen
Bereichen, weshalb zusätzliche Belastungen hierfür gerne in Kauf genommen werden.
,,Und dann hatte ich eben ja, ab Winter 1998/99 angefangen, mich so zu kümmern, was es so
gibt an irgendwelchen Möglichkeiten, auch noch mal ins Ausland zu kommen und hatte dann
eben eine Sache gefunden, dass eben in New York an der Columbia University, was sowieso
als eine der besten Unis für Architektur gilt, was sowieso mein Ziel war, also wenn irgendwo
hin, dann gleich da wo es am besten ist, sozusagen,..." (Janine 169-173)
Im Kontrast hierzu stehen die Bedürfnisse der klaren Linie hinsichtlich des Lebensstandards.
Diese sind weder besonders hoch, noch ist bei ihnen ein stark budgetierter, vermeintlich ,,ty-
pischer" studentischer Lebensstil
50
zu erkennen. Die finanzielle Situation stellt sich hier stets
als gesichert dar. Es sind jederzeit verschiedene Einkommensquellen vorhanden und es muss
eher eine Einschränkung der Jobangebote vorgenommen werden, als dass finanzielle Engpäs-
se bestehen würden. Obwohl bei der klaren Linie der Eigenanteil an der Finanzierung des
Lebensunterhaltes einen Großteil ausmacht, besteht bei diesen Personen nicht die Gefahr,
deshalb das Studium wesentlich zu vernachlässigen. Die Erwerbsarbeit wird von der klaren
Linie aber auch nicht über Gebühr betrieben, man schwelgt nicht im Luxus.
50
Vergleiche hierzu Kapitel 1.

34
,,Wir (Befragte, Freund und Kind, d. Verf.) haben jetzt nicht das Bedürfnis, dass einer von
uns jetzt ganz schnell ganz viel Geld verdienen muss. Man kann natürlich keine großen
Sprünge machen, aber man kann wirklich gut so leben, so dass wir alle zufrieden sind, wir
haben alles, man muss natürlich schon gucken, wo man einkauft, man muss sich ein bisschen
beschränken, kann natürlich nicht alles machen aber im Großen und Ganzen geht es alles
ganz gut, dass man die nächsten Jahre erst mal so leben kann." (Janine 528-533)
Diese finanzielle Sicherheit wirkt ihrerseits entlastend auf die klare Linie. Es muss keine gro-
ße Anstrengung unternommen werden, um genug Geld für den Lebensunterhalt entsprechend
den eigenen Bedürfnissen zur Verfügung zu haben. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Be-
dürfnisse und Einkommenssituation zueinander passen.
Obwohl das Studium bei der klaren Linie grundsätzlich einen leitenden Charakter hat und
grundsätzlich als das Wesentliche betrachtet wird, wird es von diesem Typus auch für eine
gewisse Zeit mit vermindertem Aufwand betrieben, wenn als gewichtig erachtete andere Be-
reiche dies so verlangen. Trotz der bereits festgestellten Zielstrebigkeit warten die Vertreter
der klaren Linie also auch in begrenztem Maße ab, sie ,,rasen" keineswegs durch ihr Studium.
Vielmehr nutzen sie die Studienphase ganz bewusst für Dinge, die sie im späteren Berufsle-
ben nach eigener Einschätzung nicht mehr so leicht würden unternehmen können. Ihr Interes-
senfokus wandert hierdurch aber nicht wirklich vom Studium ab, sondern er erfährt vielmehr
eine Konzentration auf einige wenige Bereiche, verbunden mit einer ganz bewussten Nutzung
der Studienphase als Moratorium.
,,Es war so, dass ich noch ziemlich jung war, ich war 19, als ich mein Abi hatte und hab´
dann auch sofort einen Studienplatz bekommen und hatte mir dann halt ausgerechnet, wenn
ich das in der Regelstudienzeit von zehn Semestern durchziehen würde, was einige jetzt auch
gemacht haben, also die ersten, die mit mir angefangen haben, haben jetzt gerade Diplom
gemacht, dann wäre ich jetzt halt mit 24 fertig und könnte anfangen, im Büro zu arbeiten.
Und irgendwie war es für mich von Anfang an klar, dass das nicht unbedingt sein muss. Ich
fand für mich immer, dass ich mit 24 wirklich nicht gleich anfangen muss, zu arbeiten, was
man wirklich noch 40 Jahre lang so macht, sondern ich hatte mir eigentlich immer schon so
gedacht, dass man lieber das Leben noch mal so während man 20 oder in den Zwanzigern ist,
sozusagen ruhig noch viele Sachen ausprobieren kann, auch ins Ausland gehen kann und so,

35
was man dann später nicht mehr machen kann. Also, ich fand es eigentlich nie erstrebens-
wert, jetzt sofort mit 24 fertig zu sein und dann Karriere durchzuziehen. Insofern war es für
mich also kein großer Zusammenbruch, als (Name des Sohnes) dann kam. Sondern dann habe
ich mir von Anfang an gedacht, gut dann bin ich halt 27 wenn ich fertig bin und das ist auch
noch relativ jung, weil die meisten, die mit mir angefangen haben, haben vorher schon `ne
Lehre gemacht oder was anderes studiert und eigentlich war ich schon mit die jüngste. Die
meisten waren schon so 25, als sie angefangen haben. Und allgemein ist es für Architektur-
Studenten, wenn man irgendwie in den Zwanzigern fertig wird, ist es gut so." (Janine 458-
476)
Als Umstände, die solch ein bewusstes Aufschieben begünstigen, stellten sich die beschriebe-
ne finanzielle Sicherheit, ein vergleichsweise niedriges Alter und die entsprechende gesell-
schaftliche Akzeptanz eines solchen Verhaltens heraus. Wenn diese von vornherein als be-
grenzt angesehene Zeit des Abwartens vorüber ist, wird von der klaren Linie wieder mit voller
Kraft auf den Abschluss hin gearbeitet.
Die Traditionsverbundenheit der Vertreter der klaren Linie ist relativ hoch, sie beziehen sich
wiederholt auf Muster wie die Großfamilie und konservative Wertevorstellungen. Bei ihnen
ist eine ,,klassische" Form der Lebensplanung festzustellen: Es wird ein Gymnasium besucht,
um die Hochschulreife zu erlangen und studiert, damit danach eine entsprechend hochqualifi-
zierte Berufstätigkeit ausgeübt werden kann. Von diesen Vorstellungen abweichendes Verhal-
ten, wie beispielsweise ein Dasein als Dauerstudent zu führen, nach dem Abschluss eine stu-
dienferne Tätigkeit auszuüben oder das Studium gänzlich ohne entsprechenden Abschluss zu
beenden, wird von ihnen offenbar nie in Betracht gezogen. Ein Abbruch des Studiums wäre
für sie wahrscheinlich mit größeren Problemen verbunden, da sie sich zu einem Großteil an
Werten, die ihnen ihr soziales Netzwerk vermittelt hat, orientieren. Fast scheint es so, als
würde die klare Linie zusätzlich dadurch bestärkt werden, dass ein eventuelles Abweichen mit
Sanktionen ihres sozialen Netzwerks belegt werden würde.
Soziales Netzwerk:
Das soziale Netzwerk wird von den Vertretern der klaren Linie wiederholt mit einer entlas-
tenden Funktion versehen. Es wird in den Schilderungen darauf Bezug genommen, wie wich-

36
tig bereits bestehende Strukturen, beispielsweise Familie und Partnerschaft, Freundeskreis,
Sportverein oder Jobmöglichkeiten empfunden werden.
Durch ihre vielfältigen Interessen und die enge Einbindung in die, aus den entsprechenden
Bereichen stammenden Netzwerke, können sie auf eine Vielzahl von Kontakten zurückgrei-
fen. Innerhalb dieser Kontakte finden sich Vorbilder für verschiedenste Situationen, und so-
wohl positive als auch negative Beispiele. Anhand dieser Vorbilder wird versucht, die eigenen
zukünftigen Entwicklungen mittels der Kenntnis bereits existenter Fälle in eine möglichst
positive Richtung zu steuern. Gleichgesinnte Akteure entlasten den Vertreter der klaren Linie
hierbei durch Hilfestellung und mentale Unterstützung. Sie geben Bestätigung dahingehend,
dass das Richtige getan wird und man nicht als Einziger die jeweilige Situation zu meistern
hat. Sie gewähren somit auch wichtige Unterstützung bei unpopulären Entscheidungen ge-
genüber einer herrschenden Meinung.
,,Und ähm, es ist aber so, dass mein Freund zum Beispiel aus einer ganz großen Familie
kommt, die ähm, also er hat noch vier Geschwister und seine Eltern haben auch das erste
Kind mit 18 oder so bekommen, also waren sehr jung und haben das aber total gut hinbe-
kommen. Und die Schwester meines Freundes hat auch zum Anfang des Studiums sehr
jung ein Kind bekommen und da hatten wir dann so zwei Beispiele, wo wir ganz gut sehen
konnten oder die uns auch ermutigt haben, dass man so was irgendwie schaffen kann." (Jani-
ne 27-32)
Weil die klare Linie auf diese Weise immer auf die Ressourcen ihres sozialen Netzwerks zu-
rückgreifen kann, erfährt sie eine ganz entscheidende Entlastung gegenüber jemandem, der
diesen Rückhalt nicht in gleichem Maße vorfindet oder ihn sich erst suchen muss
51
. Dieses bei
der klaren Linie ausgeprägte Bedürfnis nach Rückhalt und Harmonie ist ein weiterer Hinweis
auf die hohe Traditionsverbundenheit dieser Linie. Allerdings orientiert sich die klare Linie
im Hinblick auf Entscheidungen zwar an den Akteuren des persönlichen Umfeldes, es wird
sich aber nicht immer zwangsläufig auch an deren Empfehlungen gehalten. Ihr stark auf selb-
ständiges Handeln und Entscheiden ausgerichteter Habitus ist dafür verantwortlich, dass ab-
gewogen und sich dann für die am geeignetesten erscheinende Alternative entschieden wird,
auch wenn dies im Zweifelsfall gegen die ,,breite Masse" geschieht.
51
Vgl. 3.3.2.

37
Interessanterweise ist bei den meisten Akteuren, die von der klaren Linie genannt werden,
eine ähnlich glatte Entwicklung zu verzeichnen. Falls einmal von Akteuren berichtet wird, die
deutlich vom eigenen positiven Karriereverlauf abweichen, dann wird sofort erklärt, warum es
sich bei diesen Personen so verhält. Die ausgeprägte Neigung zur Analyse von Bedingungsge-
flechten geht bei der klaren Linie also deutlich über die eigene Situation hinaus.
Die Vertreter der klaren Linie haben für eine begrenzte Zeit im Ausland studiert und bewerten
dies auch als sehr positiv. Den Studienort aber für die gesamte Studienphase an einen anderen
Ort zu legen, stand allerdings nicht zur Debatte, und das obwohl die Befragten an anderer
Stelle darauf hinweisen, dass Auslandsaufenthalte des Weiterkommen positiv beeinflussen
würden. Das räumliche Umfeld wird von der klaren Linie also ebenfalls mit einer bewusst
stützenden Funktion versehen.
Verantwortung wird von der klaren Linie nur in ganz bestimmten Fällen freiwillig aus der
Hand gegeben. Weil man die Kontrolle am liebsten selbst innehat, wird sie wenn, dann nur
mit engen Vertrauten geteilt, die sich in ähnlicher Situation befinden, oder aber, wenn es gar
nicht anders machbar scheint. Dieses Teilen von Verantwortung stellt eine zusätzliche Hand-
lungserleichterung dar, oftmals ermöglicht es gewisse Dinge überhaupt erst. Auf diese Weise
wird sich ,,der Kopf frei gehalten" und es wird eine bessere Parallelbewältigung der verschie-
denen Bereiche ermöglicht. Zusätzlich erfährt die Solidarität innerhalb des sozialen Netz-
werks auf diese Weise eine Stärkung.
,,Also, wir haben es dann immer so gemacht, wenn einer jetzt gerade Examen hatte und total
viel arbeiten oder etwas für die Uni machen musste, dass dann ich zum Beispiel etwas mehr
auf die Kinder aufgepasst hab´, so dass die anderen dann in Ruhe ihr Examen machen konn-
ten und dann auch umgekehrt." (Janine 109-112)
Zeit, um die Beziehungen des sozialen Netzwerks zu pflegen, ist bei der klaren Linie trotz
ihres überaus knappen Zeitbudgets stets vorhanden. Auch wenn die Zeit aufgrund der zahlrei-
chen anderen Belastungen knapp zu werden droht, ist dies nie ein Problem.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832454142
ISBN (Paperback)
9783838654140
Dateigröße
995 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg – Sozialwissenschaften, Soziologie
Note
1,8
Schlagworte
studierende selbstmanagement hochschulreform gouvernementalität
Zurück

Titel: Managementverlauf der Studienphase bei Mehrfachbelastung
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
185 Seiten
Cookie-Einstellungen