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Afrikanischer Tanz

Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen Tanzpädagogik

©2002 Examensarbeit 75 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Vor circa sieben Jahren habe ich den Afrikanischen Tanz als sportliche Bewegungsform für mich entdeckt. Seitdem tanze ich regelmäßig im Rahmen von wöchentlichen Kursen und Workshops. Im Zuge meiner sportpädagogischen Ausbildung habe ich schließlich auch begonnen, im Rahmen verschiedener beruflicher Tätigkeiten vereinzelte Unterrichtsstunden im Afrikanischen Tanz zu geben. Inzwischen unterrichte ich den Afrikanischen Tanz seit längerem in einem Bildungswerk für sogenannte geistig behinderte Menschen.
Für die Vermittlung des Afrikanischen Tanzes hatte ich bis dahin in der Regel erfolgreich eine Methode angewandt, die mir als Teilnehmerin Afrikanischer Tanzkurse bekannt war und die sich letztendlich auf ein Vormachen und Nachmachen beschränkte. Für die sogenannten geistig behinderten Menschen zeigte sich diese Vermittlungsweise als problematisch – sie war in der sowohl in Bezug auf die kognitiven als auch auf die körperlichen Voraussetzungen sehr heterogenen Tanzgruppe dieses Kurses letztlich nicht umsetzbar. Diese Tatsache zwang mich dazu, andere Methoden auszuprobieren, die jenseits von dem lagen, was ich als langjährige Teilnehmerin an unterschiedlichen Kursen und Workshops kennengelernt hatte.
Diese Erfahrungen haben letztendlich dazu geführt, daß ich mein bisheriges Verständnis von dem, was Afrikanischer Tanz ist, neu zu durchdenken begann. Denn neben der Frage nach der geeigneten Methode mußte ich für die mir anvertraute spezifische Zielgruppe auch den Gegenstand des Unterrichts neu differenzieren: Was genau kann den Teilnehmerinnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten näher gebracht werden? Was ist umsetzbar? Und - ist das, was ich zum Gegenstand der Stunde mache, noch Afrikanischer Tanz?
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Afrikanische Tanz unter besonderer Berücksichtigung seines möglichen Stellenwertes in der deutschen Tanzpädagogik. Von den vielfältigen Erscheinungsformen des Afrikanischen Tanzes wird in dieser Arbeit dabei nur der traditionelle Afrikanischen Tanz betrachtet, wie er in Afrika im ursprünglichen sozio–kulturellen Kontext getanzt wurde und vor allem im ländlichen Bereich noch heute getanzt wird. Auf Weiterentwicklungen des Afrikanischen Tanzes wie die afro-amerikanischen Tanzformen wird daher nicht näher eingegangen. Ebenso werden Tanzformen, die heutzutage in den Städten Afrikas getanzt werden und der Moderne Afrikanische Tanz, der auf der Bühne präsentiert wird, nicht näher betrachtet, denn diese […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5407
Hubrig, Silke: Afrikanischer Tanz: Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen
Tanzpädagogik / Silke Hubrig - Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Bremen, Universität, Diplomarbeit, 2002
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http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ... 1
1.1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit... 1
1.2 Aufbau und Quellen der Arbeit ... 3
2. Anstelle einer Definition von Tanz... 4
2.1 Zur ursprünglichen Entstehung des Afrikanischen Tanzes ... 5
2.2 Stilistische Einordnung des Afrikanischen Tanzes... 7
2.3 Überblick über die Formen des Afrikanischen Tanzes... 8
2.4 Zur afrikanischen Musik und Rhythmik in Verbindung mit dem Tanz... 10
2.4.1 Zur Definition von Rhythmus ... 10
2.4.2 Besondere Bestandteile und Merkmale afrikanischer Rhythmen... 12
2.4.3 Dialog zwischen TänzerInnen und TrommlerIn ... 13
2.5 Der Tanz als Bestandteil afrikanischer Erziehung und Bildung... 14
3. Zur Veränderung und Entwicklung des Afrikanischen Tanzes ... 15
3.1 Zum historischen Einfluß des Afrikanischen Tanzes auf den
amerikanischen und europäischen Tanz... 16
3.2 Zur späteren internationalen Entwicklung des Afrikanischen Tanzes ... 18
3.3 Zur Frage der Authentizität des Afrikanischen Tanzes im neuen Kontext ... 19
4. Zur afrikanischen Tanztechnik... 21
4.1 Die Grundbegriffe der afrikanischen Tanztechnik nach Helmut Günther ... 23
4.2 Regionale Unterschiede der afrikanischen Tanztechnik ... 28
5. Zum Afrikanischer Tanzunterricht in Afrika und Deutschland ... 29
5.1 Zum Unterricht des Afrikanischen Tanzes in der afrikanischen
Tanzpädagogik ... 29
5.2 Zur gegenwärtigen Situation des Afrikanischen Tanzunterrichtes in
Deutschland... 31
5.2.1 Motive der Deutschen, den Afrikanischen Tanz zu erlernen ... 33
5.2.2 Für den Tanzunterricht relevante Probleme bei der Übertragung
des Afrikanischen Tanzes als Kulturphänomen nach Deutschland... 36

6. Der Afrikanischen Tanz in der deutschen Tanzpädagogik ... 38
6.1 Zum Verständnis von Tanzpädagogik... 39
6.2 Themen des Afrikanischen Tanzes für die deutsche Tanzpädagogik... 40
6.2.1 Erdbezogenheit ... 41
6.2.2 Rhythmus ... 42
6.2.3 Die Gruppe ... 45
6.2.4 Der Kreis... 46
6.2.5 Andere Raumformen ... 47
6.2.6 ,,Loslassen" ... 49
6.2.7 Gesunde Bewegungen ... 50
6.2.8 Besondere Aspekte im Hinblick auf Training und Förderung
tänzerischer
Fertigkeiten ... 52
6.3 Mögliche Einsatzfelder und Zielgruppen ... 53
6.4 Methoden zur Vermittlung des Afrikanischen Tanzes ... 53
6.4.1 Die ,,afrikanische" und die ,,deutsche" Methode... 54
6.4.2 Zur Möglichkeit der Vermittlung des Afrikanischen Tanzes in der
deutschen Tanzpädagogik am Beispiel der imitativen und kreativen
Methode... 55
6.4.2.1 Die imitative Methode ... 55
6.4.2.2 Die kreative Methode... 57
6.4.2.3 Zur Auswahl der Musik als didaktisches Mittel im
Afrikanischen Tanzunterricht ... 58
6.4.2.4 Zur Auswahl der imitativen und kreativen Methode... 59
7. Zusammenfassendes Ergebnis ... 60
8. Literatur- und Quellenverzeichnis ... 63

1
1. Einleitung
Vor circa sieben Jahren habe ich den Afrikanischen Tanz als sportliche Bewegungs-
form für mich entdeckt. Seitdem tanze ich regelmäßig im Rahmen von wöchentlichen
Kursen und Workshops. Im Zuge meiner sportpädagogischen Ausbildung habe ich
schließlich auch begonnen, im Rahmen verschiedener beruflicher Tätigkeiten verein-
zelte Unterrichtsstunden im Afrikanischen Tanz zu geben. Inzwischen unterrichte ich
den Afrikanischen Tanz seit längerem in einem Bildungswerk für sogenannte geistig
behinderte Menschen.
Für die Vermittlung des Afrikanischen Tanzes hatte ich bis dahin in der Regel erfolg-
reich eine Methode angewandt, die mir als Teilnehmerin Afrikanischer Tanzkurse be-
kannt war und die sich letztendlich auf ein Vormachen und Nachmachen beschränkte.
Für die sogenannten geistig behinderten Menschen zeigte sich diese Vermittlungswei-
se als problematisch ­ sie war in der sowohl in Bezug auf die kognitiven als auch auf
die körperlichen Voraussetzungen sehr heterogenen Tanzgruppe dieses Kurses letzt-
lich nicht umsetzbar. Diese Tatsache zwang mich dazu, andere Methoden auszupro-
bieren, die jenseits von dem lagen, was ich als langjährige Teilnehmerin an unter-
schiedlichen Kursen und Workshops kennengelernt hatte.
Diese Erfahrungen haben letztendlich dazu geführt, daß ich mein bisheriges Verständ-
nis von dem, was Afrikanischer Tanz ist, neu zu durchdenken begann. Denn neben der
Frage nach der geeigneten Methode mußte ich für die mir anvertraute spezifische Ziel-
gruppe auch den Gegenstand des Unterrichts neu differenzieren: Was genau kann den
Teilnehmerinnnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten näher gebracht werden? Was ist
umsetzbar? Und - ist das, was ich zum Gegenstand der Stunde mache, noch Afrikani-
scher Tanz?
1.1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Afrikanische Tanz unter besonderer Berücksich-
tigung seines möglichen Stellenwertes in der deutschen Tanzpädagogik. Von den viel-
fältigen Erscheinungsformen des Afrikanischen Tanzes wird in dieser Arbeit dabei nur
der traditionelle Afrikanischen Tanz betrachtet, wie er in Afrika im ursprünglichen so-
zio­kulturellen Kontext getanzt wurde und vor allem im ländlichen Bereich noch heute
getanzt wird. Auf Weiterentwicklungen des Afrikanischen Tanzes wie die afro-
amerikanischen Tanzformen wird daher nicht näher eingegangen. Ebenso werden

2
Tanzformen, die heutzutage in den Städten Afrikas getanzt werden und der Moderne
Afrikanische Tanz, der auf der Bühne präsentiert wird, nicht näher betrachtet, denn
diese Ausprägungen von Tanz sind durch die Europäisierung der Städte beeinflußt
worden. Abgesehen wird ferner von einer bedeutenden Untergruppe der traditionellen
Afrikanischen Tänze, den in Afrika sehr verbreiteten Trance-Tänzen. Diese haben in
erster Linie religiöse Bedeutung und sind meiner Meinung nach im Rahmen dieser Ar-
beit und für die deutsche Tanzpädagogik nicht relevant.
Der Afrikanische Tanz ist auf komplexe und vielschichtige Weise in die afrikanische
Kultur eingebunden. Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, wird auf eine
umfassende Darstellung dieser Bezüge verzichtet und die Darstellung so weit wie mög-
lich auf die tänzerischen Elemente beschränkt. Diese Auslassungen bringen beispiels-
weise eine Vernachlässigung des Stellenwertes der Musik für den Afrikanischen Tanz
mit sich. Im Prinzip sind der Afrikanische Tanz, seine Musik und der kulturelle Kontext
nie losgelöst voneinander zu betracheten.
Der Afrikanische Tanz ist in Deutschland in den letzten Jahren vor allem im Rahmen
von Tanzkursen und Workshops populär geworden. Im vorgesehenen Lehrplan der
,,staatlich verordneten" Tanzerziehung in den Schulen taucht der Afrikanische Tanz
nicht auf. Da die Tanzpädagogik im schulischen Rahmen des Sportunterrichtes beson-
deren Bedingungen unterliegt, beschränke ich mich in den folgenden Ausführungen
zum Afrikanischen Tanz in der Tanzpädagogik auf Kurse und Workshops, in denen
sich Tanzinteressierte freiwillig zusammenfinden, um den Afrikanischen Tanz zu erler-
nen.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Möglichkeiten und Grenzen des Afrikanischen Tanzes in
der deutschen Tanzpädagogik herauszuarbeiten. Insbesondere soll dabei aufgezeigt
werden, ob und in wie weit das Erlernen des Afrikanischen Tanzes für Deutsche ,,sinn-
voll" ist, bzw. welche Aspekte des Afrikanischen Tanzes in der deutschen Tanzpäda-
gogik relevant und umsetzbar sind.

3
1.2 Aufbau und Quellen der Arbeit
Die Kern der Arbeit gliedert sich in fünf Punkte. Im ersten Teil wird der Afrikanische
Tanz aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, um sich einer Definition des Gegens-
tands anzunähern. Dabei wird auf die Ursprünge des Afrikanischen Tanzes Bezug ge-
nommen, Aspekte der stilistischen Einordnung dargestellt, ein kurzer Überblick über
die verschiedenen Formen des Afrikanischen Tanzes gegeben und die Musik bzw.
Rhythmik, die mit dem Tanz in Verbindung steht, beleuchtet. Da Im Laufe der Bearbei-
tung des Themas deutlich wurde, daß der Afrikanische Tanz nicht losgelöst von sei-
nem kulturellen Kontext verstanden werden kann, wird neben der Annäherung an die
Vielschichtigkeit des Afrikanischen Tanzes auch auf seinen kulturellen Stellenwert im
ursprünglichen Kontext eingegangen.
Im darauf folgenden Teil wird kurz auf die Veränderung und Entwicklung des Afrikani-
schen Tanzes Bezug genommen. Dabei wird sowohl die historische Veränderung des
Tanzes durch nicht-afrikanische Einflüsse berücksichtigt als auch andererseits die in-
ternationale Entwicklung des Afrikanischen Tanzes. Aus diesen Darstellungen folgt die
Frage nach der Authentizität des Afrikanischen Tanzes in seinen veränderten Erschei-
nungsformen.
Anschließend wird die afrikanische Tanztechnik vorgestellt, wie sie seit Mitte des
zwanzigsten Jahrhunderts von europäischen WissenschaftlerInnen analysiert wurde.
Besondere Berücksichtigung finden dabei die von Helmut Günther erarbeiteten
Grundbegriffe der afrikanischen Tanztechnik, der umfassendsten Darstellung dieser
Technik im deutschsprachigen Raum. Ferner wird auf regionale Differenzen der afrika-
nischen Tanztechnik eingegangen.
In der zweiten Hälfte der Arbeit wird der Afrikanische Tanz im Rahmen der praktischen
Tanzpädagogik beleuchtet. Dabei wird kurz auf den Unterricht des Afrikanischen Tan-
zes in Afrika Bezug genommen; anschließend wird der aktuelle Stellenwert des Afrika-
nischen Tanzes in Deutschland dargestellt. Außerdem werden die Motive der Deut-
schen, den Afrikanischen Tanz zu erlernen, aufgezeigt und Probleme benannt, welche
bei der Übertragung des Afrikanischen Tanzes nach Deutschland auftreten können.

4
Abschließend wird der Bezug zur tanzpädagogischen Praxis hergestellt. Dabei werden
zunächst mögliche Einsatzfeldern und Zielgruppen für den Afrikanischen Tanz in
Deutschland benannt. Danach wird auf einzelne Themen und Elemente des Afrikani-
schen Tanzes eingegangen, die für die deutsche Tanzpädagogik von besonderer Re-
levanz sind. Zuletzt werden methodische Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung
des Afrikanischen Tanzes aufgezeigt.
Diese Arbeit stützt sich weitgehend auf die Analyse der vorliegenden deutschsprachi-
gen Literatur zu Tanzpädagogik und Afrikanischem Tanz. Die Zahl der spezifisch auf
Afrikanischen Tanz eingehenden Veröffentlichungen ist dabei unzureichend klein und
wenig aktuell; daher wurden auch Beiträge aus dem sportwissenschaftlichen, gesund-
heitlichen, psychologischen, soziologischen, ethnologischen und musikalischen Be-
reich herangezogen. Eine weitere grundlegende Quelle stellen persönliche Erfahrun-
gen und Beobachtungen, informelle Gespräche mit Afrikanischen TanzschülerInnen
und Tanzpädagoginnen sowie ein Interview mit der Tanzpädagogin und Körperthera-
peutin Katrin Sack dar.
2. Anstelle einer Definition von Tanz
Tanz ist ein weltweites Phänomen mit vielfältigen Erscheinungsformen, welche im Lau-
fe der gesellschaftlich-historischen Entwicklungen zu einem Mittel und zum Gegens-
tand künstlerischer Betätigung geworden sind, um individuelle Erlebnisse und gesell-
schaftlich geprägte Erfahrungen unmittelbar auszudrücken.
1
Aufgrund der vielen Ausprägungsformen sowie der Vielgestaltigkeit und Vielbezüglich-
keit des Tanzes liefert die wissenschaftliche Literatur ein breites Spektrum spezifischer
Auffassungen und Definitionen. Diese gehen immer von einem bestimmten wissen-
schaftlichen Standpunkt aus bzw. sind in einem spezifischen wissenschaftlichen Kon-
text zu betrachten. Zudem stehen sie eng im Zusammenhang mit einer bestimmten
historischen Epoche und den jeweiligen komplexen Bezügen des gesellschaftlichen
Lebens, durch die der Tanz erst Inhalt und Sinn bekommt. So kann der Tanz als Abbild
der jeweiligen Gesellschaft und der inneren Wirklichkeit der Menschen betrachtet wer-
den. Im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen ist auch der Tanz nicht beständig,
sondern entwickelt sich als ein Spiegel der Zeit mit. Tanz kann daher nur in Verbin-
dung mit der Umwelt betrachtet werden.
1
Vgl. Hubert 1993, S. 16/17.

5
Aufgrunddessen ist es nahezu unmöglich, Tanz allgemein und objektiv zu definieren
und ihm dabei in seiner Gesamtheit und Komplexität gerecht zu werden. Als konstante
technische Grundelemente von Tanz können jedoch Raum, Zeit, Dynamik und Form in
Bezug auf Bewegung genannt werden.
2
Dieselben Probleme entstehen für eine all-
gemeine Definition des Afrikanischen Tanzes, die die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit
der Tänze des zweitgrößten Kontinents der Erde mit 52 souveränen Staaten wieder-
zugeben hätte. Im Folgenden wird daher auf eine Definition des Afrikanischen Tanzes
verzichtet und der Versuch unternommen, dem Phänomen mittels unterschiedlicher
Blickwinkel näher zu kommen, mit dem Ziel, ein für diese Arbeit relevantes, grundle-
gendes Bild des Afrikanischen Tanzes in seiner Fülle und Vielförmigkeit zusammenzu-
stellen.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß ich als Europäerin den Afrikanischen Tanz weitge-
hend nur mit den gelernten europäischen Denkmustern erfassen kann und mich größ-
tenteils auf Literatur nicht-afrikanischer WissenschaftlerInnen beziehe.
3
Die tatsächli-
che Bedeutung des Tanzes für die AfrikanerInnen ist in Form dieser Auseinanderset-
zung nur schwer hervorzubringen.
2.1 Zur ursprünglichen Entstehung des Afrikanischen Tanzes
Tanzen gilt allgemein als eine der frühesten kulturellen Ausdrucksformen der Mensch-
heit. So führt Walter Sorell in seinen Arbeiten über die Geschichte des Tanzes altstein-
zeitliche Höhlenmalereien an, die auf den Tanz als eine der ersten Kulturformen des
Menschen hinweisen.
4
Dieselbe Ansicht findet sich bei Ursula Gebhard: "Tanz ist kul-
turgeschichtlich gesehen so alt wie die Menschheit selbst. Er kann als eine der frühs-
ten Ausdrucksformen der Kultur nachgewiesen werden."
5
Bezüglich der Erforschung dieses Ursprunges bestehen aufgrund spezifischer wissen-
schaftlicher Betrachtungsweisen unterschiedliche tanztheoretische Ansätze.
6
Bei-
spielsweise bestehen biologistische tanztheoretische Annahmen, die von einer natürli-
chen Veranlagung im Menschen ausgehen, die sich aufgrund eines biologischen Ur-
triebes in Form von Tanz entlädt. Gegensätzlich dazu existieren theoretische Annah-
men in dem Sinne, daß der Tanz als aktive Erlebnisgestaltung verstanden wird und
2
Vgl. beispielsweise Gebhard 1978, S. 108 ff.
3
In der mir bekannten deutschsprachigen Literatur zum Thema Tanz bildet Germaine Acogny
(1994) die einzige Ausnahme.
4
Vgl. Sorell 1969, S. 9 ff.
5
Zit. nach Gebhard 1978, S. 7.

6
seine ursprüngliche Entwicklung auf aktive, menschlich­gesellschaftliche Faktoren
zurückzuführen ist.
7
Demnach ist Tanz ,,(...) aus der Funktion menschlicher Lebenstä-
tigkeit selbst"
8
begründet. In diesem Sinne wird der Ursprung des Afrikanischen Tan-
zes in der mir bekannten Literatur auf kultische Faktoren zurückgeführt.
9
Der ethnologischen Tanzforschung zufolge zählen zu den wesentlichen Motiven, wel-
che die ersten Menschen zum Tanzen veranlaßt hatten, Fruchtbarkeit, Imitation und
Anbetung. In den einfachen Gesellschaften der frühen Menschheitsgeschichte hatte
Fruchtbarkeit existenziellen Stellenwert. Unzählige Rituale, Zeremonien und Tänze
waren Ausdrucksmittel zur Förderung bzw. zur Beschwörung der Fruchtbarkeit. So
sind etwa die koitalen Tanzbewegungen des damaligen und heutigen Afrikanischen
Tanzes nicht als Aufreizung im sexuellen Sinne zu verstehen, sondern stellen ein
Symbol für Fruchtbarkeit dar, welches sich nicht ausschließlich auf die menschliche
Fortpflanzung beschränkt, sondern auch auf die Fruchtbarkeit des Bodens, die Not-
wendigkeit des Regens und Ähnliches.
Als ein weiteres Motiv wird die Imitation genannt. EthnologInnen sind der Auffassung,
daß frühe Kulturen Bewegung mit Lebendigsein gleichgesetzt haben. Alles, was sich
bewegte, galt als lebendig ­ zum Beispiel die Äste der Bäume, die der Wind bewegt,
oder auch das Meer. Die Verantwortung für diese Bewegung wurde dabei einer über-
natürlichen Kraft, zum Beispiel einem Geist, zugeschrieben. Die Imitation dieser als
übernatürlich angenommenen Bewegungen spielt eine große Rolle für die Tanzfiguren
des Afrikanischen Tanzes.
Als drittes Motiv zum Ursprung des Tanzes wird die Anbetung angeführt. Durch die
Anbetung der sich bewegenden Lebewesen bzw. der ihnen innewohnenden Geister im
Tanz eignete sich der Mensch Macht über sie an oder entkräftigte sie. Auch die zuvor
beschriebene Imitation hatte anbetenden Charakter, zum Beispiel, in dem die Bewe-
gung des Baumes durch den Wind als durch einen übernatürlichen Geist initiiert ange-
nommen wurde, dem die Menschen ehrfürchtig oder ängstlich gegenüber standen. So
fingen die Menschen aus Ehrfurcht, Angst oder Anbetung zu tanzen an.
6
Vgl. Hubert 1993, S. 54ff.
7
Vgl. ebenda, S. 56 ff.
8
Zit. nach ebenda, S. 85.
9
Im Folgenden beziehe ich mich größtenteils auf die Ausführungen von Berger, R. 1984, S. 36
ff.

7
Eine metaphysische Legende zum Ursprung des Afrikanischen Tanzes liefern die ,,Do-
gon" von Mali. Dieser Legende zufolge geht der Tanz direkt auf den Ursprung der
Schöpfung zurück.
10
2.2 Stilistische Einordnung des Afrikanischen Tanzes
Der traditionelle Afrikanische Tanz wird in der amerikanischen und europäischen Lite-
ratur überwiegend als ethnologischer oder folkloristischer Tanz eingestuft. Beide Beg-
riffe meinen daßelbe und werden in der Literatur wie auch im hier Folgenden identisch
verwendet.
Zum ethnologischen Tanz zählen ,,(...) die Tanzstile, die an Sozialstrukturen, Religio-
nen und Kulte eines Stammes oder Volkes gebunden und daraus hervorgewachsen
sind."
11
Somit drückt sich die jeweilige Mentalität in der dazugehörigen Musik und in
den spezifischen Tanzbewegungen und Choreographien aus. Die sozialen und kultu-
rellen Kontexte, aus denen die ethnologischen Tänze hervorgingen, sind allerdings im
Laufe der Jahrhunderte verschwunden. Die Tänze werden durch schriftliche Aufzeich-
nungen oder durch die TänzerInnen selbst weitergegeben und überliefert, haben ihre
ursprüngliche Bedeutung aber verloren.
Die Einordnung des Afrikanischen Tanzes als ethnologischer Tanz ist in jüngerer Zeit
von Renato Berger kritisiert worden. Seiner Ansicht nach ist der Afrikanische Tanz mit
seinen Themen, Funktionen und Bedeutungen im traditionellen Afrika auch heute noch
relevant und habe die Bezüge zum gegenwärtigen Leben keineswegs verloren.
12
Der Gegenbegriff zum ethnologischen Tanz ist der so genannte ,,Kunsttanz". Kunsttanz
meint Tänze, die auf ein Publikum abzielen, z.B. das klassische Ballett, der Modern
Dance oder das Tanztheater.
10
Vgl. ebenda, S. 36.
11
Zit. nach ebenda, S. 30.
12
Vgl. ebenda.

8
2.3 Überblick über die Formen des Afrikanischen Tanzes
Der Afrikanische Tanz ist sehr vielfältig und erfüllt sehr unterschiedliche Funktionen.
Die wesentlichen Formen des traditionellen Afrikanischen Tanzes werden im Folgen-
den benannt und sehr grob und kurz beschrieben
13
. Es ist zu betonen, daß dabei alle
Tänze an den entsprechenden kulturellen Kontext gebunden sind.
In den Maskentänzen wird der Kontakt mit den übernatürlichen Kräften gepflegt. Die
Masken sind mit den ersten Ahnen einer Familie verbunden. Wenn ein Ahne gestorben
ist, wechselt er in die jenseitige Welt und lebt dort in Kontakt mit den Göttern; so kann
er auf das Wohl der zurückgebliebenen Gemeinschaft einwirken.
Zur Maske gehört ein meist aus Stoffresten bestehendes Maskenkleid, welches den
Tänzer so komplett umhüllt, daß nichts Menschliches verraten wird. Die Ausführung
des Maskenaufsatzes (Tiere, Embleme etc.) veranschaulicht Herkunft, Rang und Posi-
tion des Besitzers. Aus Tierschädeln oder Tierknochen geschnitzte Tiermasken zeigen
das Totemtier des Besitzers oder stellen ein Tier dar, welches von großer Bedeutung
für den jeweiligen Stamm ist.
Besitzer der Maske und Maskentänzer sind zwei verschiedene Personen. Beispiels-
weise wird bei den Yoruba in Nigeria durch die Befragung eines Wahrsagerorakels
festgestellt, welcher Ahne als Maske geehrt werden soll und welches Familienmitglied
sie besitzen wird. Anschließend wird in einer umfangreichen Prozedur der Maskentän-
zer bestimmt und ein Mensch, der die Aufgabe hat, die Maske zu bewachen. Vor je-
dem Fest wird die Maske in einer Zeremonie mit göttlicher Kraft geladen. Auf der Stra-
ße wird die Maske von jungen, mit Stöcken bewaffneten Männern bewacht.
Es gibt unzählige Erscheinungen von Masken und Maskentänzen. Die Variationen der
Tänze reichen von aneinandergereihten trippelnden Schritten bis hin zu sehr kompli-
zierten Schrittfolgen. Auch die Bedeutung variiert dementsprechend von einfachen
Tierimitationen bis zu komplizierten sozio-religiösen Botschaften.
Die Initiationstänze werden in den einzelnen Stufen des menschlichen Lebenslaufes,
etwa Geburt, Reife, Fruchtbarkeit, Heirat und Tod, in entsprechenden Initiationszere-
monien eingesetzt. Die Proportion und Anordnung der Initiationstänze sind abhängig
vom jeweiligen Stamm und dessen Kultur.
13
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Berger, R. 1984, S. 56ff.

9
Die Kriegstänze sind von besoners hoher tänzerischer Qualität. Sie stellen die Her-
gänge von Krieg, Streit, Kampf, Eroberung und Zerstörung auf teilweise sehr drasti-
sche Weise dar.
Der Afrikanische Tanz beinhaltet auch Unterhaltungstänze. Die Pygmäen beispiels-
weise tanzen täglich zum Zwecke der Unterhaltung. Viele unterhaltende Tänze finden
sich auch bei den Agbegijo-Maskentänzern in Nigeria, bei denen die Trennung zwi-
schen Ehrfurcht und Humor nicht sehr scharf ist. Die Masken verkörpern hier nicht die
Ahnen, sondern dienen der Unterhaltung. Kopfaufsätze und Gewandungen stellen le-
diglich Karikaturen von zum Beispiel Fremden, Betrunkenen oder Tieren dar. Die Mas-
ken werden pantomimisch eingesetzt.
Daneben steht die professionelle Unterhaltung, beispielsweise die der Agbor-
TänzerInnen aus Iboland, ebenfalls in Nigeria. Sie tanzen mit Einsatz von Musikin-
strumenten und treten auch außerhalb der Landesgrenze auf. Dabei verändern sie
traditionelle Tänze und machen sie so für die ZuschauerInnen noch attraktiver. Unter-
haltungstänze sind sehr vielfältig gestaltet. Sie können auch akrobatische Elemente
enthalten. So werden einige Tänze beispielsweise auf Stelzen oder mit Feuer getanzt.
Die erotisch-sexuellen Tänze sind auf die Fruchtbarkeitstänze zurückzuführen. Im
Laufe der Entwicklung dienten sie aber immer häufiger auch einfach der Unterhaltung.
Die Tänze stellen oft sehr eindeutig den sexuellen Vorgang in verschiedenen Variatio-
nen dar. Für die Naturvölker haben diese Tänze jedoch noch immer eine Bedeutung in
Bezug auf das Leben und die Einheit mit der Natur.
In vielen Migrationstänzen, die während der Verschleppung afrikanischer Sklaven
entstanden und daher vermischte Tanzstile haben, ist der afrikanische Ursprung teil-
weise aufgrund der Dominanz eines besonderen Stiles und einer nachvollziehbaren
historischen Entwicklung noch zu erkennen. Solche Migrationstänze haben sich neben
den USA auch in Südamerika, vor allem in Brasilien und der Karibik mit Kuba, Haiti und
Trinidad herausgebildet. Dazu gehören etwa kultische Tänze wie der ,,Sandomble" von
Bahia, die ,,Macumba" von Rio, der ,,Voodoo" von Haiti, der ,,Shango" Trinidads, die
,,Santeria" Kubas und der ,,Obeah" aus Jamaica. Zu den nicht-kultischen Tanzformen
afrikanischen Ursprungs zählen die weltlichen Tänze Samba, Rumba, Calypso, Merin-
gue, Zarabanda, Chacona, Fandango, Habanera, Tango, Jonkonnu oder John Canoe,
Ras Tafari und reggae reggae.
14
14
Vgl. ebenda, S. 87 ff.

10
Die bisher erwähnten Formen des Afrikanischen Tanzes erfüllen meistens auf die gan-
ze Gemeinschaft bezogene Funktionen. Karin Berger weist jedoch darauf hin, daß je-
der dieser Tänze auch immer eine auf die Individuen bezogene Funktionen (etwa das
körperliche und seelische Wohlbefinden) hat. Karin Berger führt die Vernachlässigung
dieses Aspekts in der übrigen Literatur darauf zurück, daß der oder die Einzelne in der
afrikanischen Kultur einen geringeren Stellenwert als die Gemeinschaft hat: ,,Das Wohl
der Individuen hängt vom Wohl der Gemeinschaft ab, wodurch soziale und individuelle
Funktionen schwer zu trennen sind."
15
2.4 Zur afrikanischen Musik und Rhythmik in Verbindung mit dem Tanz
Der Afrikanische Tanz ist immer mit Musik verbunden. So, wie deutlich wurde, daß es
im Prinzip keine einheitliche Definition des Afrikanischen Tanzes aufgrund seiner Viel-
fältigkeit und Komplexität gibt, trifft es auch auf die afrikanische Musik zu, die sehr viele
unterschiedliche Musikstile beinhaltet. Da diese im Einzelnen im Rahmen dieser Arbeit
nicht von Bedeutung sind, beziehe ich mich ausschließlich auf die Rhythmik der
Trommelmusik, die immer mit dem traditionellen Afrikanischen Tanz einhergeht.
Im Folgenden wird zunächst der allgemeine Begriff von Rhythmus geklärt, danach auf
die besonderen Bestandteile und Merkmale afrikanischer Rhythmen eingegangen und
schließlich die dialogische Beziehung von Tanz und Rhythmus im Afrikanischen Tanz
dargestellt.
2.4.1 Zur Definition von Rhythmus
Es besteht keine einheitliche Definition von Rhythmus, sondern lediglich eine Vielzahl
von Interpretationen. Infolgedessen hat jede wissenschaftliche Disziplin ein eigenes,
fachbezogenes Verständnis gebildet. Somit sind die folgenden Definitionen zum Rhyth-
mus eingeschränkt. Zudem ist zu betonen, daß sie sich auf die europäische Sichtweise
beziehen, die teilweise im Gegensatz zur afrikanischen steht, beispielsweise im
Umgang mit Zeit.
16
Allgemeine Definitionen des Rhyhtmusbegriffs nennen als wesentliche Merkmale des
Rhythmus in der Regel Wiederholung, Gegliedertheit, Betonung und Stetigkeit.
17
Eine
15
Zit. nach Berger, K. 1998, S. 64.
16
siehe dazu 2.4.2. dieser Arbeit.
17
Vgl. Röthig in Bünner/Röthig 1971, S. 13.

11
für die Untersuchung des Afrikanischen Tanzes nützliche Rhythmusdefinition findet
sich bei Herbert Haag, der den Bewegungsrhythmus unter dem Kriterium des Wech-
sels von Spannung und Entspannung betrachtet.
18
Diesem Wechsel kommt im Afrika-
nischen Tanz zentrale Bedeutung zu. Nach dieser Definition bedeutet Rhythmus ,,all-
gemein das Gleichmaß, die gleichmäßig gegliederte Bewegung, den periodischen
Wechsel, die Wiederkehr natürlicher Vorgänge (z.B. von Spannung und Entspannung).
Der Rhythmus umfaßt die Ordnung, Gliederung und sinnfällige Gestaltung des zeitli-
chen Verlaufs von Klangereignissen und deren Umsetzung in Bewegung."
19
Grundsätzlich wird zwischen subjektivem und objektivem Rhythmus unterschieden.
20
Unter objektivem Rhythmus werden die Vorgänge verstanden, die nicht wahrgenom-
men oder psychisch nicht verarbeitet werden. So sind beispielsweise organische Dau-
erbewegungen, etwa im Herz- oder Lungensystem oder der Magen- und Darmperistal-
tik, durch objektive Rhythmen bestimmt.
Für diese Arbeit ist lediglich der subjektive Rhythmus relevant. Er wird als ein Vorgang
gesehen, der vom Menschen empfunden und produziert wird, was z.B. in Musik und
Bewegung zum Ausdruck kommt. Er geht also aus einer subjektiven Aktivität hervor. In
der Rhythmusforschung wird davon ausgegangen, ,,(...) daß der rhythmische Vorgang
durch eine besondere Aktivität ausgewiesen ist, die mit Begriffen wie Spannungswech-
sel (Spannung und Lösung), Energiedifferenzen, Erneuerung, Aktivitätsunterschiede
etc. gekennzeichnet wird."
21
Rhythmische Bewegungen geschehen also nicht nur ,,im"
Menschen, sondern werden auch subjektiv produziert. ,,Der Mensch ,macht` seine Be-
wegung zu einer rhythmischen, er verfügt über den Rhythmus seiner Bewegungen."
22
Der Mensch als Subjekt ist Rhythmusträger, gestaltet den Rhythmus und stimmt ihm
zu.
Zur Motivation und zum Erlebnisgehalt des subjektiven rhythmischen Erlebens und
Verhaltens zählen zum Beispiel die Spannung zwischen Erwartung und Befriedigung,
Bedürfnisspannung, unmittelbare Hingabe, das Sich-Einfügen, Sich-Hingeben, Sich-
Erregen, die passive Vitalbeziehung, die träumerisch-magische Gestimmtheit,
Aktivitätsbereitschaft oder Phantasie.
23
Rhythmus und Erleben sind eng miteinander verknüpft. So kann Rhythmus auch emo-
tionale Bereiche des Menschen ansprechen und Zustände von Beruhigung, Ekstase,
18
Vgl. Haag 1995, S. 117.
19
Zit. nach Haag 1995, S. 116.
20
Vgl. ebenda und Röthig 1970, S. 57.
21
Zit. nach Röthig in: Bünner/Röthig 1971, S. 13.
22
Vgl. ebenda, S 59 ff.
23
Vgl. ebenda, S. 14.

12
oder Freude erzeugen. Ein bekanntes Beispiel ist die beruhigende Wirkung des rhyth-
mischen Schaukelns. Eine erlebnishafte aktivitätsauffordernde Wirkung von Rhythmus
wird durch rhythmisierte Arbeitsbewegungen deutlich.
24
2.4.2 Besondere Bestandteile und Merkmale afrikanischer Rhythmen
Der Aufbau afrikanischer Rhythmen ist polymetrisch. Dieses bedeutet, daß jeder
Tanz einen bestimmten Grundrhythmus hat, der sich aus meist mehreren verschiede-
nen Rhythmen von gleicher Ablaufdauer zusammensetzt, wobei die einzelnen Rhyth-
men unterschiedliche Akzentwerte (Metren) haben.
Im Tanz reagieren die isolierten Körperzentren und Areas auf die verschiedenen Met-
ren der Musik. Jede Körperregion wird von einem anderen Instrument geführt.
25
Der
Grundrhythmus bestimmt und entspricht den Bewegungen des/der Tänzers/Tänzerin.
Die tänzerische Polyzentrik entspricht der Polymetrik der Musik.
Um die Bedeutung der Polymetrik afrikanischer Rhythmen verstehen zu können, muß
der unterschiedliche Umgang mit der Zeit in der afrikanischen Kultur berücksichtigt
werden. So betont etwa Karin Berger, daß Zeit im afrikanischen Leben nicht als vorge-
gebene Linie verstanden werde, die man einteilen und nutzen könne, sondern als et-
was, was erst durch das Erleben geschaffen werden müsse. Demnach kann jeder ein-
zelne Rhythmus als eigene, produzierte, zeitschaffende Handlung betrachtet werden,
womit durch Polymetrik letztendlich ,,mehr als eine Zeit" entsteht.
26
Weitere Merkmale afrikanischer Rhythmen hängen mit der besonderen Funktion der
Trommel als Hauptpercussionsinstrument zusammen. Verschiedene Autoren weisen
darauf hin, daß afrikanische Trommeln Rhythmen und Klänge afrikanischer Sprachen
imitieren können. Demnach könne jeder traditionelle afrikanische Rhythmus in eine Art
Formel übersetzt werden. Die Trommeln hätten daher eine regelrechte Sprachfunkti-
on.
27
In einigen afrikanischen Sprachen sind sogar die Begriffe für ,,musizieren" und
,,sprechen" oder für ,,Klang" und ,,Stimme" identisch. Die Beziehung zwischen Sprache
und Musik wird auch in afrikanischen Mythen, zum Beispiel denen der Dogon von Mali,
thematisiert.
28
Während europäische Musik so eher bestimmte Bilder oder Gefühle
24
Vgl. ebenda, S. 18 ff.
25
Vgl. ergänzend dazu im Punkt 5.1 das Stichwort ,,Polymetrik".
26
Vgl. Berger, K. 1998, S. 62 ff.
27
Vgl. etwa Miller Chernoff 1999, S. 99 ff.; Blersch/Brugger 1993, S. 35ff.
28
Vgl. Calame-Griaule/Calame 1986, S. 335 ff. und Blersch/Brugger 1993, S 16ff.

13
hervorrufe, könne man bei afrikanischen Rhythmen von ,,innewohnenden Texten" spre-
chen.
Trommelmusik ist im Gegensatz zu Melodien für EuropäerInnen meistens nicht mit
Erinnerungen verbunden. Unter diesem Blickwinkel können sie die Musik neutral auf-
nehmen. Der Mensch fügt sich in den Rhythmus ein und gibt sich ihm hin. Die durch
den Rhythmus erzeugte erfahrbare innere Spannung und Bereitschaft zur Aktivität trägt
zum bewegungsauffordernden Charakter von Rhythmus bei.
Dieser bewegungsauffordernde Charakter wird noch verstärkt durch die unbegrenzte
Stetigkeit und Endlosigkeit afrikanischer Rhythmen, die im Gegensatz zu europäischen
Melodien im allgemeinen keinen Anfang und kein Ende haben. Durch permanente
Wiederholung kann ein Rhythmus sich ausbreiten und auch als gleichbleibende Basis
dienen, auf der andere Rhythmen verdeutlicht oder variiert werden.
29
Das zeitliche Er-
leben und die musikalische und tänzerische Wirkung werden intensiviert.
2.4.3 Dialog zwischen TänzerInnen und TrommlerIn
Erst durch das Zusammenwirken von Musik, Tanz und gegebenenfalls Gesang ent-
steht der vollständige Rhythmus. Dabei stehen TrommlerInnen und TänzerInnen (In-
strument und Körper, sowie Klang und Bewegung) ständig in einem kommunikativen
Dialog.
Das Pulsieren und Vibrieren der Trommel wird nicht nur akustisch wahrgenommen,
sondern wirkt direkt auf den Körper ein und kann mit dem ganzen Körper gefühlt wer-
den, denn auch im Körper herrscht ein permanentes rhythmisches Pulsieren, bei-
spielsweise von Herzschlag und Atmung.
30
Im Tanz drückt der oder die TänzerIn den
Rhythmus der Trommeln körperlich aus. ,,Wenn das Pulsieren des Trommelschlages,
des Körpers und der Tanzbewegung in Einklang kommen, entsteht die Höchstform des
afrikanischen Tanzgefühls, die Trance."
31
Der oder die TrommlerIn gestaltet die Musik daher im Hinblick auf die körperliche und
geistige Verfassung der TänzerInnen: ,,Ein wahrer Meister plant seine Vorgaben zeit-
lich so, daß er die physische und geistige Energie eines Tänzers im psychologisch
richtigen Moment verstärkt."
32
Der Dialog zwischen TänzerInnen und TrommlerIn wird
29
Vgl. Miller Chernoff 1999, S. 136 ff.
30
Vgl. dazu beispielsweise Flatischler 1984.
31
Zit. nach Blersch/Brugger 1995, S. 11
32
S.D. Cudjoe, "The Techniques of Ewe Drumming and the social importance of music in Af-
rica", Phylon 14 (1953), übersetzt von und zitiert nach Miller Chernoff 1999, S. 89.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832454074
ISBN (Paperback)
9783838654072
DOI
10.3239/9783832454074
Dateigröße
828 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen – unbekannt
Erscheinungsdatum
2002 (Mai)
Note
1,0
Schlagworte
tanzpädagogik kulturwissenschaft
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