Electronic Government und Verwaltungsmodernisierung
Beziehungen, Potenziale und Probleme dargestellt am Beispiel von BAföG online
Zusammenfassung
Das Ziel dieser Diplomarbeit ist es, Impulse und Potenziale von Electronic Government einerseits anhand der Entwicklungen und Erfahrungen der Verwaltungsreform und Verwaltungsinformatik in Deutschland zu verstehen und in einem weiteren Schritt, praxisorientiert zu problematisieren. Grundsätzliche Erfolgsvoraussetzungen für E-Government lassen sich bislang mangels einer generellen Theorie kaum kausal erklären, sondern höchstens normativ behaupten. Im konkreten Fall erweisen sich normative Reformthesen jedoch, das haben unzählige Studien der Verwaltungswissenschaft gezeigt, meist als unvollständig, relativierbar und von geringem praktischen Wert. Insbesondere mangelt es präskriptiven Empfehlungen häufig an empirisch-analytischen Studien, die Kontextbedingungen systematisch berücksichtigen. In dieser Arbeit sollen daher Potenziale und Probleme einer E-Government-Verwaltungsmodernisierung anhand einer konkreten Fallstudie untersucht werden, um die Tür zu einem umfassenden Verständnis der Erfolgsvoraussetzungen und Kontextbedingungen dieses Reformkurses einen Spalt weiter zu öffnen.
Gang der Untersuchung:
Im ersten Teil wird entwicklungsgeschichtlich dargestellt, wie sich sowohl Verwaltungsreformen als auch E-Government in Deutschland ausgeprägt haben. Dazu wird in Anlehnung an Ergebnisse der internationalen Verwaltungsforschung ein Betrachtungsrahmen entwickelt, um Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen beidem zu analysieren. Als Ergebnis dieses Teils können Modernisierungsimpulse, -potenziale und -probleme von Electronic Government, bezogen auf den aktuellen Forschungsstand der Verwaltungsreform und Verwaltungsinformatik, systematisch aufgefächert werden.
Der zweite Teil bildet den empirischen Kern der Arbeit. In einer detaillierten Fallstudie wird ein komplexer Verwaltungsvorgang (der BAföG-Prozess über alle Verwaltungsebenen von der Antragstellung bis zur Rückzahlung) untersucht. Es wird nachvollzogen, in welchen Prozessstufen bereits E-Government-Lösungen eingesetzt werden und welche Modernisierungsziele dadurch tatsächlich erreicht wurden. In einem weiteren Schritt wird analysiert, welche Elemente beim BAföG-Prozess zu einer vollständigen, elektronischen Verwaltungstransaktion bislang fehlen und weshalb. Die Potenziale und Probleme der wissenschaftlichen und praktischen Debatte um E-Government, können dadurch anhand konkreter Akteure, deren Interessen, Kompetenzen und Aktivitäten fallspezifisch dargestellt werden. […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
1. Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Vorgehen
Teil I
2. Verwaltungsmodernisierung im Überblick
2.1 Ein Betrachtungsrahmen der Verwaltungsmodernisierung
2.2 Phasen der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland seit den 1960er Jahren
2.2.1 Planungseuphorie in den 1960er und 1970er Jahren
2.2.2 Privatisierung und Deregulierung in den 1970er und 1980er Jahren
2.2.3 New Public Management in den 1990er Jahren
2.2.4 Vom schlanken zum aktivierenden Staat
3. Electronic Government als Phase der Verwaltungsmodernisierung?
3.1 Hintergrund: E-Government
3.1.1 Definitionen und Anwendungsfelder
3.1.2 Informations- und Kommunikationstechnik in der Verwaltung
3.1.3 Informatisierungsphasen in der öffentlichen Verwaltung Deutschlands
3.2 Markierungspunkte eines neuen Modernisierungsleitbildes
3.2.1 Impulse für einen neuen Reformdiskurs
3.2.2 Virtualisierung und Integration
3.2.3 Portale für die virtuelle Verwaltung
3.2.4 Datenschutz und Datensicherheit
3.3 Potenziale und Probleme von E-Government
3.3.1 Erwartungen und Modernisierungspotenziale
3.3.2 Probleme und Barrieren
Teil II
4. Anlage der Fallstudie
4.1 Auswahl der Fallstudie
4.2 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen der Fallstudie
4.3 Interpretation der Ergebnisse
4.4 Methodik und Vorgehensweise
5. Fallstudie: BAföG online
5.1 BAföG in Deutschland: Fakten und Zahlen
5.2 Der BAföG-Prozess vom Antrag bis zur Rückzahlung
5.2.1 Der BAföG-Antrag
5.2.2 Das Bearbeitungsverfahren
5.2.3 Die Rückzahlung
5.3 BAföG online I: Erste Umsetzungsschritte
5.3.1 BAföG online im Bundesverwaltungsamt
5.3.2 „Das Neue BAföG“ des BMBF
5.3.3 Online-Informationen zum BAföG in Brandenburg
5.4 BAföG online II: Möglichkeiten und Probleme der Weiterentwicklung
5.4.1 Begrenzte Zuständigkeit im Bundesverwaltungsamt
5.4.2 BAföG online und BundOnline 2005
5.4.3 E-Government-Initiative des Landes Brandeburg
Teil III
6. Schlussfolgerungen für eine E-Government-Verwaltungsreform
6.1 Zusammenfassung und Interpretation der Fallstudie
6.2 Schlussfolgerungen für erfolgreiches E-Government?
Quellenverzeichnis
Anhang
Erklärung an Eides statt
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1:
Prozessualer Betrachtungsrahmen für Verwaltungsmodernisierungen
Abbildung 2:
Verbindung von Intranet, Extranet und Internet auf einem E-Government-Portal
Abbildung 3:
Der BAföG-Prozess in Brandenburg
Abbildung 4:
Informations- und Wissensmanagement im Bundesverwaltungsamt
Abbildung 5
Der BAföG-online -Bereich des Bundesverwaltungsamtes
Abbildung 6:
Der BAföG-online -Prozess im Bundesverwaltungsamt
Abbildung 7:
Das neue BAföG-Portal des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
Abbildung 8:
Vereinfachte technische Skizze des Online-BAföG-Antrags
Tabelle 1:
Verwaltungsmodernisierungsphasen im Überblick
Tabelle 2:
Dimensionen und Anwendungsbeispiele von E-Government
Tabelle 3:
Informatisierungsphasen in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland
Tabelle 4:
E-Government als Phase der Verwaltungsmodernisierung
Tabelle 5
Entwicklungszahlen des BAföG für Studierende und Schüler in Deutschland
Tabelle 6:
Formblätter, benötigte Daten und Unterschriften des BAföG-Antrags
Tabelle 7:
Formblätter für spezielle Situationen
Tabelle 8:
Entwicklungszahlen von BAföG-Leistungen für Studierende und Schüler in Brandenburg
1.Einleitung
In den vergangenen 50 Jahren ist in Deutschland vermutlich kaum ein Politikbereich so kontinuierlich analysiert und kritisiert worden wie die öffentliche Verwaltung. Aus diesem Interesse entstanden unzählige vorausblickende, begleitende oder evaluierende Bemühungen in Wissenschaft und Praxis, um zur Modernisierung des öffentlichen Sektors beizutragen. Für die Verwaltungswissenschaft in Deutschland wird dementsprechend immer wieder betont, dass sie im Kern eine Verwaltungs reform wissenschaft sei (Jann 2001, S. 328).
Seit den 1970er Jahren hat parallel die Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) in der Verwaltung so stark zugenommen, dass Behörden heute ohne sie nicht mehr denkbar sind. Längst geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie (Brinckmann 1994, S. 213). In den letzten Jahren scheint sich auch auf das Wie eine übergreifend akzeptierte Antwort herauszubilden. Nachdem die Internettechnologien in Form von E-Commerce und E-Business die Modernisierung im Privatsektor entscheidend geprägt haben, richtet sich im öffentlichen Sektor der Blick der Verwaltungsreformwissenschaftler und -praktiker zunehmend auf analoge Lösungen. Internetbasierte IuK-Technologie wird nicht nur zum unverzichtbaren Produktionsmittel der Verwaltungen, sondern auch zu einer unübersehbaren Orientierung in der Verwaltungsreform, die gegenwärtig als Electronic Government bzw. E-Government bezeichnet wird.
Unübersehbar ist E-Government vor allem für die Adressaten von Verwaltungsdienstleistungen. Das Modernisierungsverhalten von Behörden konnte vermutlich niemals so transparent und deutlich nachvollzogen und verglichen werden wie durch die Darbietung ihrer Informationen und Serviceangebote im Internet. Entsprechend steigt jährlich die Anzahl der Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden, die eigene Informationsangebote im Internet verfügbar machen. Eine kleine, aber wachsende Gruppe von Vorreitern stellt bereits Geschäftsprozesse im Internet zur Verfügung und begibt sich auf den Weg zur so genannten virtuellen Verwaltung (KPMG 2001, S. 12).
Wie lässt sich dieses Phänomen verstehen und in welchem Verhältnis steht es zur Verwaltungsreform in ihrer bisherigen Ausprägung? Auf welche Weise kann diese Orientierung zur Veränderung und Modernisierung der Verwaltung beitragen und welche Hindernisse und Risiken ergeben sich dabei?
1.1 Fragestellung
Das Anliegen dieser Arbeit ist, die Beziehungen zwischen Verwaltungsmodernisierung und E-Government systematisch darzustellen, um ein genaueres Verständnis über Wirkungsweise, Potenziale und Probleme dieser neuen Orientierung zu erhalten. Dazu sollen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden:
1. Was ist unter Verwaltungsmodernisierung und Electronic Government zu verstehen? Wodurch wird beides gekennzeichnet, wo gibt es Berührungspunkte und Wechselwirkungen?
2. Welches sind die Modernisierungspotenziale von E-Government? Welche Probleme können bei E-Government-Projekten auftreten?
3. Was muss E-Government leisten, um einen Beitrag zur Verwaltungsmodernisierung darstellen zu können? Welche Erfolgsanforderungen muss E-Government im Zusammenhang mit Verwaltungsmodernisierung erfüllen?
1.2 Vorgehen
Die Fragestellung impliziert, dass es in dieser Arbeit nicht darum geht, kausale Zusammenhänge zwischen Verwaltungsreform und E-Government zu überprüfen, um etwa verallgemeinerungsfähige Aussagen über Erfolgsanforderungen zu formulieren. Hingegen wird versucht, durch ein heuristisches Verfahren den Antworten auf die Leitfragen schrittweise näher zu kommen und sie durch die Untersuchung eines konkreten Falls zu präzisieren.
Dazu wird die Untersuchung in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird in einem breiteren Kontext nach Antworten auf die beiden ersten Fragen gesucht. Zunächst soll daher entwicklungsgeschichtlich dargestellt werden, wie sich sowohl Verwaltungsreformen als auch Electronic Government in Deutschland ausgeprägt haben. Zusätzlich wird nach Markierungspunkten gesucht, um Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen beidem hervortreten zu lassen. Zum Schluss des ersten Teils sollen im Anbetracht vorheriger Schlüsse Modernisierungspotenziale und Probleme von E-Government breit aufgefächert werden.
Im zweiten Teil wird durch eine Fallstudie die Umsetzung eines E-Government-Prozesses detailliert dargestellt. Für die Untersuchung wurden BAföG-Dienstleistungen im Internet (BAföG online) gewählt. Im Verlauf der Studie wird dargelegt, weshalb BAföG online zu einem E-Government-Pilotprojekt wurde und sich daher besonders gut für eine Fallstudie eignet. Die Leitfragen werden dabei dem Gegenstand der Fallstudie entsprechend konkretisiert. Eine Auswahl der im ersten Teil ausgebreiteten Potenziale und Probleme soll in der konkreten Situation nachvollzogen und für den Fall präzisiert werden.
Im dritten und abschließenden Teil sollen zunächst anhand der Fallstudie Erfolgsanforderungen gesucht werden, um die konkretisierten Modernisierungspotenziale zu verwirklichen und die fallspezifischen Hindernisse zu überwinden. In einem letzten Schritt wird schließlich diskutiert, welche generellen Schlussfolgerungen sich durch die Ergebnisse der Arbeit für die erfolgreiche Verwaltungsmodernisierung nach Konzeptionen des E-Government gewinnen lassen.
Teil I
2. Verwaltungsmodernisierung im Überblick
Zumindest in quantitativer Hinsicht kann der öffentlichen Verwaltung ein reges Reformverhalten zugesprochen werden. Den pauschalen Vorurteilen über die unbewegliche und verkrustete Bürokratie zum Trotz lassen sich seit der Neukonstruktion der ministeriellen Verwaltungsorganisation in Preußen nach 1806 unzählige Reformversuche und Modernisierungsaktivitäten nachweisen. Dieser Reformeifer lässt eine gewisse Anpassungsfähigkeit vermuten, die für die institutionelle Stabilität und die politische Funktionalität des Staatsapparates einen bedeutsamen Beitrag leistet (Seibel 1997, S. 87f). Wie kaum ein anderer Politikbereich steht die öffentliche Verwaltung seit Beginn der Bundesrepublik im Zentrum öffentlicher Kritik und wurde daher auch kontinuierlich mit Modernisierungsvorschlägen und Reformbemühungen bedacht. Entsprechend verzichtet kaum ein Regierungsprogramm auf Bundes- oder Landesebene auf Ankündigungen, ihre Behörden einer gründlichen Überholung zu unterziehen (Jann 2001, S. 328).
Für diese Aktivitäten existieren unterschiedliche Bezeichnungen. Entsprechend der Zielrichtung, des Zeitpunktes, Umfangs, Leitbildes oder Auditoriums werden neben Reform Begriffe wie Verwaltungsvereinfachung und -modernisierung, Transformation, Innovation, Verwaltungsentwicklung oder Re-Engineering verwendet. Im Grunde kennzeichnen diese Begriffe:
„... deliberate changes to the structures and processes of public sector organizations with the objective of getting them (in some sense) to perform better.”
(Pollitt/Bouckaert 2000, S. 17)
Ziel dieser Handlungen ist also in erster Linie, den Unterschied zwischen wahrgenommener und erwünschter Leistung im öffentlichen Sektor (Performance Gap) zu verringern (Becker 1989, S. 907). Verdichtet auf die öffentliche Verwaltung geht es demnach um Veränderungen von Strukturen und Prozessen in Behörden mit dem Ziel, deren Leistungsfähigkeit zu verbessern (Output). Davon zu differenzieren sind längerfristige Erwartungen (Impacts, Outcomes), die als externe Veränderungsziele erwünschte Auswirkungen auf die Gesellschaft ausdrücken, wie etwa Wirtschaftswachstum oder zufriedenere Bürger. Demnach sind Verwaltungsreformen der Versuch, durch absichtsvolle Modifikationen von Strukturen und Prozessen der öffentlichen Verwaltung das Verwaltungshandeln und damit schließlich die Ergebnisse und Wirkungen anderer Politikinhalte zu verändern (Jann 2001, S. 332f).
Im Folgenden sollen für diese Modifikationen die Begriffe Verwaltungsreform und Verwaltungsmodernisierung synonym verwendet werden, wobei jedoch zu betonen ist, dass sie eine bedeutsame, nicht marginale Veränderung des Verwaltungszustandes oder des Verwaltungstypus kennzeichnen, ohne diesen völlig abzuschaffen (Becker 1989, S. 901).
Doch was führt zu nicht marginalen Verwaltungsmodernisierungen? Welche Kräfte sind am Werk, um Reformen auszulösen und später wieder umzulenken oder aufzuheben? Welche Strategien und Elemente beinhalten sie und in welcher Richtung sollen diese wirken? Um über solche Fragen ein besseres Verständnis zu erlangen, sollen zuerst unterschiedliche Markierungspunkte von Verwaltungsmodernisierungen herausgearbeitet werden. Diese Charakteristika bilden einen Betrachtungsrahmen, durch den die Vielzahl der Reformaktivitäten der vergangenen Jahrzehnte geordnet dargestellt werden kann. Damit lässt sich nachvollziehen, ob die vielfältigen Modernisierungshandlungen von Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden in Deutschland gewissen Zusammenhängen folgen und eine bestimmte zeitliche oder inhaltliche Ordnung zu beobachten ist.
2.1 Ein Betrachtungsrahmen der Verwaltungsmodernisierung
Nach König kann die öffentliche Verwaltung als soziales System verstanden werden, das aufgrund eigener Ordnung, aber vor allem aufgrund von Umweltbedingungen existiert und funktioniert. Vorrangig sind es Veränderungen in den Umweltbedingungen, die zum Anpassungs- bzw. Modernisierungsverhalten der Verwaltung führen bzw. deren Akteure veranlasst, Änderungen der eigenen Ordnung vorzunehmen. Demnach geht es bei Reaktionen auf Umweltbedingungen nicht nur um adäquate Inhalte von staatlichen Programmen, sondern auch darum, wie diese zu Stande kommen sollen, wie also geplant, reguliert und verhandelt wird und wie effizient und wirksam dies geschieht. Wenn die Verwaltung Entfremdungsvorwürfe wie Unpersönlichkeit, Regelformalismus, Beamtenjargon etc. vermeiden will, muss sie den Veränderungen ihrer Umwelt auch mit veränderten Binnenstrukturen und –prozessen entsprechen (König 1997, S. 19f).
Entsprechend den Zielen von Verwaltungsreformen, differenziert Seibel zwischen externem und internem Problemdruck, der zur Modernisierung führe. Dabei erzeugen veränderte Umweltbedingungen externen Problemdruck und verlangen nach strukturellen Anpassungen der Verwaltung insbesondere in den Bereichen Organisation und Recht, um politische Probleme zu bewältigen. Beim internem Problemdruck hingegen handelt es sich um effizienzmindernde Dysfunktionalitäten in der Verwaltungsstruktur, die auf personelle und fiskalische Reformhandlungen abzielen, jedoch keinen direkten politischen Reformzweck haben (Seibel 1997, S. 89f). Auch wenn Seibel diesem zweiten Problemdruck nur begrenzten Erfolg zuspricht, soll hier mit Wollmann argumentiert werden, dass weniger die Quelle des Problemdrucks für einen Modernisierungsschub entscheidend ist als das Vorhandensein eines hinreichenden Modernisierungsimpulses. Impulse, die tatsächlich einen Modernisierungsschub auslösen können, der über marginale, inkrementale Anpassungen hinaus reicht, erkennt er insbesondere in folgenden Situationen (im Folgenden: Wollmann 2000a, S. 725):
1. Ein (international) dominantes Modernisierungsmodell beeinflusst den innerstaatlichen Diskurs, führt zu Kritik am existierenden Verwaltungstypus und verschafft einem neuen Verwaltungsverständnis (oder auch Leitbild) Akzeptanz und Gefolgschaft. Beispiel: Planungsoptimismus, privatwirtschaftlicher Managerialismus
2. Eine veränderte sozio-ökonomische Situation erzeugt Problemdruck und drängt auf angemessene Modernisierung der administrativen Strukturen und Prozesse. Beispiel: kritische Budgetsituation, Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags, Finanzkrisen
3. Es herrscht breiter Konsens (Modernisierungskoalition) zwischen politischen und gesellschaftlichen Lagern über die Notwendigkeit und ungefähre Ausrichtung der Modernisierung, der auch Interaktionen zwischen Politik, Verwaltung und Wissenschaft einbezieht. Beispiel: breite Akzeptanz der Notwendigkeit neuer Steuerungsmodelle in der Kommunalverwaltung
Es lässt sich jedoch folgern, dass obwohl der Problemdruck sowohl verwaltungsextern wie intern seinen Ursprung haben kann, der Modernisierungsimpuls und damit der Reformschub meist außerhalb entsteht und hinreichenden politischen Konsens sucht. Politisch unterstützt findet der Reformimpuls jedoch seinen Weg in die Behörden, wo er von professionellen Verwaltungseliten weitgehend selbständig auf den Weg der Umsetzung gebracht wird (Seibel 1997, S. 91).
Häufig wird ökonomischer bzw. fiskalischer Problemdruck als besonders wirksamer Impuls oder gar als Voraussetzung für entschlossene Verwaltungsmodernisierungen hervorgehoben. Erfahrungen aus OECD-Ländern belegen jedoch, dass ökonomische Krisen eher den Rückfall in traditionelle Krisenbewältigungsmuster bewirken und dass kein nachvollziebarer zeitlicher Zusammenhang zwischen ökonomischer Krise und Modernisierung besteht. Auch wenn ökonomische Probleme Effekte auf das Reformverhalten von Verwaltungen haben, so bildet eher politische Mobilisierung den Antriebsmotor für einen Modernisierungsdiskurs (Naschold 1995, S. 12). Die Gründe für politisches Engagement können aber auch nicht-fiskalischer Art sein und etwa durch ungünstige Wettbewerbspositionen, Imageprobleme, Kritik von Bürgern und Unternehmen etc. entstehen. Schließlich bleibt festzustellen, dass auch die Verwaltung selbst kontinuierlich Vorschlägen auf die Reformagenda verhilft, da sie von den Reformvorhaben am direktesten betroffen sind und dabei eigene Interessen berührt werden (Jann 2001, S. 331).
Wie sich der Modernisierungsdiskurs inhaltlich entwickelt (im Sinne einer abhängigen Variablen) und zu welchen Strategien er führt, hängt von der Konstellation prägender Faktoren ab (im Sinne von unabhängigen Variablen). Ein international verbreitetes Reformmodell kann in verschiedenen Staaten daher von der Planung bis zur Implementation sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen bzw. in einem Staat zu starken Veränderungen führen und in einem anderen kaum spürbar werden (Pollitt/Bouckaert 2000, S. 38). Die Vielzahl solcher Faktoren lässt sich in drei Gruppen zusammenfassen:
1. Institutionelle Ausgangsbedingungen werden als verwaltungspolitisches Problem wahrgenommen und bestimmen die Rahmenthemen des Diskurses bzw. begrenzen dessen Reformobjekte. Beispiele: Zentralitätsgrad des Systems, Umfang des Staatssektors und dessen Dienstleistungsspektrum, interner Hierarchisierungsgrad des Verwaltungsmodells (Wollmann 2001, S. 4; König/Füchtner 1998, S. 16).
2. Die Tradition und Kultur des Verwaltungs- und Rechtsmodells hat Auswirkungen auf die Bedeutung von Regelsteuerung, auf die Deutlichkeit der Trennung zwischen privatem und öffentlichem Sektor, die Zulässigkeit informeller Arrangements oder die Rekrutierung des Personals und deren Denkweisen (juristisch vs. wirtschaftlich) (Wollmann 2000a, S. 720f).
3. Die Zusammensetzung der Modernisierungskoalition (Politiker, Verwaltungspraktiker, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, Gewerkschaftler, Unternehmensberater etc.) kann beeinflussen, nach welcher Richtung sich der Diskurs öffnet oder verschließt. Es kann also von dem Hintergrund der Modernisierer abhängen, ob etwa eine geschlossene, politikzentrierte oder eher eine offene, wissenschaftszentrierte Debatte geführt wird und welche Lösungsmöglichkeiten erwogen werden. Der Wechsel parteipolitischer Mehrheiten und deren politisch-ideologische Orientierung wirken zusätzlich auf den Kontext ein (Wollmann 2001, S. 5)
Sobald Reformbewegungen zur Leistungsverbesserung der Verwaltung initiiert sind und in politischen Diskursen aus Leitbildern Modernisierungsagenden entstehen, eröffnet sich der Verwaltung eine außerordentliche Vielfalt von Veränderungsmöglichkeiten. Aus der Summe solcher Optionen lassen sich, auch im internationalen Spektrum, drei Reformstrategien identifizieren. Wenn diese Strategien hier separiert dargestellt werden, so dient es vorwiegend dazu, deren Wirkungsrichtung herauszustellen. In der Realität treten jedoch in den Modernisierungsprogrammen üblicherweise Mischformen auf, die sich aus allen Bereichen speisen. Ein Grund dafür besteht darin, dass über die generellen Ziele der Verwaltungsreform zwar relative Einigkeit besteht, die Mittel zur Erreichung dieser Ziele jedoch stark kontrovers diskutiert werden und zu Kompromissen führen (Jann 2001, S. 334).
Getrennt voneinander können die Strategiebereiche folgendermaßen zusammengefasst werden: (im Folgenden: König/Füchtner 1998, S. 17f; Becker 1989, S. 919f):
1. Verantwortungstransfer aus dem öffentlichen in den privaten oder dritten Sektor, zum Beispiel durch
- Transfer von Eigentumsrechten durch Vermögensprivatisierungen
- Contracting Out als zeitlich begrenzte Auslagerung von Aufgaben
- Mischformen wie Public Private Partnerships, bei denen sich öffentliche und private Partner die Gesellschaftsanteile teilen
- Deregulierung, Kürzung von Sozialtransfers, Subventionsabbau
2. Optimierungen der Verarbeitungsstrukturen und –prozesse im Binnenbereich, zum Beispiel
- Veränderungen der institutionellen, makrostrukturellen Arrangements (Agencies, segmentierte Produktionseinheiten etc.)
- Veränderungen von mikrostrukturellen Bausteinen der Behörde (vergrößerte Referate, flachere Hierarchien etc.)
- Veränderungen der generellen Rationalität des Verwaltungshandelns (Kundenfreundlichkeit, virtueller Wettbewerb, Ergebnisverantwortung etc.)
- Veränderungen der Entscheidungsprozesse und Verfahren in der Behörde (Re-Engineering)
- Veränderungen des Verhältnisses von Politik und Verwaltung und Einführung neuer Steuerungs- und Kontrollinstrumente (Kontrakte, Budgetierung, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling etc.)
- Veränderungen in der Verwendung von Technologien und Methoden
- Veränderungen des Verwaltungspersonals (Quantität und Qualität)
3. Abbau von Verwaltungsleistungen bzw. down sizing
- Veränderung der Ressourcenzuführung (Sparpakete)
- Programm-, Organisations- und Personalabbau
Für das Zusammenwirken von Modernisierungsimpulsen, prägenden Faktoren und Reformstrategien bietet Abbildung 1 einen vereinfachten Betrachtungsrahmen. Darüber hinaus soll prozessual verdeutlicht werden, dass Modernisierungsprozesse nicht zwangsläufig zu erfolgreicher Implementation von Reformagenden führen, sondern dass erfolglose Programme auch ohne Wirkung verschwinden können. Weiterhin können durch veränderte Rahmenbedingungen neue Modernisierungsprozesse zu Stande kommen, die vorangegangene ersetzen oder verändern. Im folgenden Kapitel sollen die Modernisierungsaktivitäten der deutschen Verwaltung seit den 1960er Jahren anhand dieses Rahmens betrachtet werden.
Abbildung 1: Prozessualer Betrachtungsrahmen für Verwaltungsmodernisierungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(eigene Darstellung)
Die wichtige Frage, was für Erfolg und Misserfolg von Verwaltungsmodernisierungen verantwortlich ist, lässt sich aufgrund des Mangels einer generellen Theorie nur annäherungsweise beantworten. Das Erkenntnisinteresse und die Methodologie der analytischen Wissenschaftstheorie, welche nach Mayntz für die Implementation komplexer politischer Programme nicht optimal angemessen erscheinen (Mayntz 1983, S. 9), können dementsprechend auch Modernisierungsprogramme nur schwerlich erfassen. Implementationsuntersuchungen haben als Projekte der Policy-Forschung überwiegend Fallstudiencharakter, deren Erkenntnisziel nicht primär umfassende Verallgemeinerungen sind, sondern „vielmehr ein möglichst differenziertes Verständnis der internen Dynamik, der Eigenarten und Ursachen spezifischer komplexer Prozesse“ (Mayntz 1983, S. 14). Dennoch ist der Übergang von der deskriptiven und empirischen Policy-Forschung zu informierender und präskriptiver Beratung fließend, auch wenn der Verallgemeinerungsgrad gering bleiben muss (Jann 2001, S. 324f).
So wird von Bogumil und Schmid etwa anhand von Fallstudien argumentiert, dass Reformkonzepte häufig eine zu rationalistische Sicht von Veränderungsprozessen in Verwaltungsorganisationen haben und an der Realität zu scheitern drohen. Da auch Reformen (verwaltungs-)politische Prozesse durchlaufen, kommen Implementationsprobleme und mikropolitische Widerstände der Adressaten, nämlich der Verwaltungsmitarbeiter, zum Tragen. Heimliche „Mauscheleien“, Interessenkonvergenzen oder der Kampf um Positionen und Besitzstände können in Reformstrategien nur selten Berücksichtigung finden (Bogumil/Schmid 2001, S.112). Auf solide politische Unterstützung sowie eine engagierte Verwaltungsführung können komplexe Verwaltungsmodernisierungen daher kaum verzichten, um zumindest das Stadium der Implementation zu erreichen (Banner 2001, S. 290). Zudem wird auch dem richtigen Zeitpunkt, in dem mehrere reformbegünstigende Situationen gemeinsam wirken und ein Window of Opportunity öffnen, Bedeutung für Tragweite und Erfolg von Verwaltungsmodernisierungen beigemessen (Wollmann 1996, S. 11; kritischer: Becker 1989, S. 912).
Weiterhin scheint das richtige Ausmaß von Modernisierungsaktionen zwischen kaum spürbarem Inkrementalismus und „großen Strategien“, die aufgrund ihrer Komplexität und Kompliziertheit meist nur symbolische Wirkung entfalten, für den Erfolg bedeutsam zu sein (Naschold 1995, S. 12). An dieser Stelle sei zusätzlich an die institutionellen Rahmenbedingungen erinnert, unter denen in der Bundesrepublik Deutschland Verwaltungsreformpolitik entworfen, implementiert oder terminiert wird. Durch das föderative System und die kommunale Selbstverwaltung existiert kein übergreifendes Reformzentrum bzw. keine hierarchische Modernisierungsspitze. Vielmehr finden fragmentierte, inkrementale Modernisierungsprozesse auf den verschiedenen Ebenen statt, die jedoch durch Politikverflechtung zu lebendigem Informationsaustausch und zu Konkurrenzbeziehungen führen können und wechselseitig Anstoß- und Lerneffekte ermöglichen (Wollmann 1996, S. 9ff).
2.2 Phasen der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland seit den 1960er Jahren
Legt man einen Betrachtungsrahmen wie in Abbildung 1 zu Grunde und versucht, die Vielzahl der Reformaktivitäten nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich zu ordnen, so lassen sich seit den späten 1960er Jahren in Deutschland mehrere Modernisierungsphasen voneinander unterscheiden. Eine Phase kennzeichnet hierbei eine Vielzahl unterschiedlicher Reformhandlungen von Behörden, die durch einen bestimmten Impuls ausgelöst wurden und einem spezifischen Diskurs zugehören, der wiederum zu bestimmten strategischen Maßnahmebündeln führt. Die vielfältigen Reformhandlungen können dann zeitlich und inhaltlich zusammengestellt und von Orientierungen und Aktivitäten anderer Phasen unterschieden werden.
Zwei dieser Phasen erscheinen aufgrund besonders umfassender Reformanläufe wie Modernisierungswellen: Erstens der Reformschub in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren um die Stärkung der politisch-administrativen Planungsfähigkeit und zweitens die betriebswirtschaftlich durchdrungene Modernisierungsdiskussion, die sich international unter dem Begriff New Public Management etablierte und seit Beginn der 1990er Jahre in Deutschland als Neues Steuerungsmodell seinen Platz fand (Wollmann 2000b, S. 195). In den 70er und 80er Jahren, also im Tal zwischen diesen Modernisierungswellen, handelte es sich hingegen überwiegend um graduelle, verstreute Reformhandlungen die sich im Schwerpunkt um Aufgabenabbau und Deregulierung rankten (Wollmann 1996, S. 18). Nach dem Regierungswechsel auf Bundesebene von 1998 scheint sich durch die rot-grüne Koalition eine neue Phase abzuzeichnen, die unter dem Namen Aktivierender Staat eingeführt wurde. Es erscheint jedoch noch verfrüht, um darin eine übergreifende Modernisierungswelle auszumachen. Zudem ist das Modell bislang vorwiegend auf Bundesebene im Diskurs. Im Folgenden werden die einzelnen Phasen näher skizziert.
2.2.1 Planungseuphorie in den 1960er und 1970er Jahren
Die ersten 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren durch politische und administrative Konsolidierung sowie ökonomischen Aufschwung gekennzeichnet. In den mittleren 60er Jahren jedoch wurde die leichte wirtschaftliche Rezession mit Sorge aufgenommen. Die zunehmenden internationalen Konkurrenzbeziehungen erschienen für die langfristige wirtschaftliche Überlebensfähigkeit sowie die soziale Sicherheit als Problem, auf das es auch mit einer Reform der Verwaltungskapazitäten zu reagieren galt.
Von den Sozialdemokraten initiiert und von den maßgeblichen politischen und gesellschaftlichen Kräften unterstützt, gelangte die Modernisierung des Politik- und Verwaltungssystems auf die politische Agenda der sozial-liberalen Koalition. In der internationalen Diskussion gewann parallel die Vorstellung an Boden, wirtschaftliche Stabilität und soziale Wohlfahrt vor allem durch expansive Sozial- und Infrastrukturmaßnahmen zu sichern und die Leistungsfähigkeit und Problemlösungskapazität des Staates durch Ansätze rationaler Politikgestaltung und extensiver Planung zu erhöhen (Wollmann 1996, S. 12f). Auch im bundesdeutschen Diskurs gewannen Konzepte an Anhängerschaft, welche aktive Politik und den Ausbau von Planungsorganisation und Informationskapazitäten von Regierung und Verwaltung forderten, um den Folgeproblemen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wachstums zu begegnen (Mayntz/Scharpf 1973, S. 115ff). Im Kern richtete sich die Modernisierungsbewegung demnach auf die Steigerung der Planungsfähigkeit der Exekutive, deren Performance Gap in der langfristigen, koordinierten Steuerung verortet wurde und die Anpassung des Regierungs- und Verwaltungsmanagements anhand der Erfordernisse einer wachsenden Industriegesellschaft behindere.
Die ersten Initiativen und Ansätze dieser Reformphase gingen von Bund und Ländern aus, womit die damalige Bundesrepublik im europäischen Vergleich zu den Spitzenreitern gehörte (Wollmann 2000c, S. 919). Auf Bundesebene lag der Schwerpunkt darin, die Leistungsfähigkeit von Planungs- und Informationseinheiten und -verfahren im Kanzleramt und den Bundesministerien zu verbessern, nach Möglichkeit unterstützt durch Computersysteme.
Zuvor hatten die Kleinteiligkeit der ministeriellen Arbeitsorganisation und die Zersplitterung der Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche auch in den planenden Referaten zu selektiver Problemperzeption sowie negativer Koordination geführt und verhinderte innovative, pro-aktive Politikentwürfe im Ansatz. Die Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform (PRVR), 1968 unter Federführung des Bundesinnenministeriums eingesetzt, empfahl daher strukturelle Reformen der ministeriellen Aufbau- und Ablauforganisation entsprechend den Erfordernissen langfristiger politischer Planung. Wesentliche Reformelemente bestanden im Abbau bzw. Zusammenlegen von Kleinstreferaten, die mit homogenen Aufgaben betraut waren, sowie in der Einrichtung temporärer Projektgruppen für zuständigkeitsübergreifende Tätigkeiten. Darüber hinaus sollte die Leitungsebene verstärkt und von Detailfragen entlastet werden, um Planungsressourcen für Innovationsinitiativen auszubauen. Dazu setzte man 1969 im Bereich der beamteten Staatssekretäre so genannte Planungsbeauftragte ein. Ihre Gesamtheit bildete den Planungsverbund der Regierung unter Geschäftsführung der neuen Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes und sollte ein Informations- und Koordinationssystem der Ministerien ausarbeiten (König/ Füchtner 2000, S. 66ff).
Weiterhin wurde mit der Einführung der mittelfristigen Finanzplanung 1967 ein Instrument etabliert, das als ressortübergreifendes Querschnittsprogramm eine haushaltskonsolidierende, wachstumsfördernde und politisch verbindliche Gesamtkonzeption vorsah. Die Haushaltsaufstellung sollte nicht mehr aus der bloßen Addition von Ressortansprüchen hervorgehen, sondern der konjunkturellen Steuerung und finanziellen Planung im Sinne des keynesianischen Lenkungsgedankens Vorschub leisten (ebd. S. 68).
Darüber hinaus unternahmen die Bundesländer mit weit rechenden Gemeinde- und Kreisgebietsreformen von 1967 bis 1974 einschneidende Veränderungen. Um Planungskapazitäten und -effizienz zu erhöhen, teilten die Landesregierungen überwiegend die Ansicht, dass eine Übereinstimmung von Planungsraum und kommunalem Gebietszuschnitt herzustellen sei. Durch Maßstabsvergrößerungen würde der Aufbau von Fachverwaltungen rentabler und die Verwaltungskraft der (vergrößerten) Kreis- und Stadtbehörden gestärkt (Wollmann 1996, S. 13f). Nach den Gebietsreformen verringerte sich bundesweit die Zahl der Gemeinden von 24.282 auf 8.501 und die Anzahl der Kreise und kreisfreien Städte von 564 auf 328 (Seibel 1997, S. 95).
Zusätzlich führte die Finanzreform vom 13. Mai 1969 zu einer Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Durch die Einbeziehung der Umsatzsteuer in die Verteilungsmasse sollten Länder und Gemeinden unabhängiger von konjunkturellen Schwankungen werden, um längerfristige Planungs- und Finanzierungssicherheit zu fördern. Die gleichzeitige Aufnahme von Gemeinschaftsaufgaben ins Grundgesetz (Art. 91a GG) stellte bereits gängige Kooperationen von Bund und Ländern bei der Planung und Finanzierung etwa des Hochschulbaus, der Wirtschaftsstruktur- und Forschungsförderung oder der Bildungsplanung auf eine institutionelle Grundlage (Eichhorn u.a. 1991, Stichworte: Finanzreform und Gemeinschaftsaufgabe).
Weiterhin unterstützten die Länder die Kreise und Kommunen bei der Einrichtung neuer institutioneller und personeller Ressourcen insbesondere in den Bereichen der Sozial-, Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik. Die Steigerung sozialer Sicherheit und der Aufbau zukunftsfähiger Infrastrukturen standen dabei im Vordergrund. Die Fachhochschulen, gegen Ende der 1960er Jahre gegründet, hatten unter anderem den Zweck, in spezialisierten Studiengängen zukünftige Fachkräfte für den gehobenen Dienst in Kommunalverwaltungen zu professionalisieren (Wollmann 2000c, S. 919).
Die Städte, Gemeinden und Landkreise standen bald im Verhältnis zur Länderebene erheblich stärker und handlungsfähiger da und nutzten diesen Spielraum zum Aufbau eigener Planungs-, Informations- und Evaluationskapazitäten und führten neue Planungsverfahren ein. Besonders in den größeren Städten wurden Verwaltungseinheiten für Stadtentwicklungsplanung zum Regelfall, neues Personal strömte in die Behörden und neue Verfahren fanden Einzug. Gerade im Fall der Stadtsanierung wurden Modelle erprobt, die Sanierungsaufgaben auf externe Träger übertrugen (Contracting Out) oder bei komplexen Projekten durch Matrix-Organisationen die Koordinationseffektivität steigern sollten. Auch in der Jugend- und Sozialverwaltung unternahmen zahlreiche Städte organisatorische Veränderungen und Experimente, um deren Leistungsfähigkeit zu erhöhen (Wollmann 1996, S. 14).
Nimmt man die Gebiets- und Finanzreform heraus, blieben die Auswirkungen dieser Reformphase vor allem innerhalb der Ministerialverwaltung des Bundes jedoch begrenzt. Während einige Ministerien gerade mit der Umstrukturierung und Umsetzung von Planungselementen begannen, verebbte die Planungseuphorie in Politik und Verwaltung. 1975 besiegelte die Auflösung der PRVR 1975 den Endpunkt dieser Reformwelle. Trotz einer massiven personellen Ausweitung – die Zahl der Beamten des höheren Dienstes in den Bundesministerien und Oberbehörden stieg zwischen 1960 und 1969 um 40 Prozent und von 1969 bis 1974 noch einmal um 25 Prozent (Wollmann 1996, S. 16) – wurden Personal- und Informationsaufwand zur Steuerung und Kontrolle integrierter Gesamtplanungssysteme unterschätzt (König/Füchtner 2000, S. 71). Ebenso wirkte der Widerstand vieler Behörden und ihrer Beamten, die im Zentrum der Planungsvorstellungen standen, sich negativ auf eine kontinuierliche Verbreitung aus. In der Wissenschaft erlangten Positionen Aufmerksamkeit, in denen Planungserfolge generell infrage gestellt wurden (Wildavsky 1973) oder die These unterstützten, dass die Effektivität staatlicher Programme nicht nur von ihrer Planung, sondern auch von der Art der Implementation bestimmt wird (Mayntz 1980).
Immerhin blieb ein gewachsenes Planungsbewusstsein in der (Ministerial-) Verwaltung zurück und vorher weit gehend unbekannte Management- und Informationstechniken, insbesondere die Evaluierung, wurden zum festen Handlungsrepertoire. Die Weiterentwicklung solcher administrativer Innovationen nahm jedoch einen fragmentierten, inkrementalen Verlauf, zum Beispiel indem ministerielle Planungseinheiten in Grundsatz- oder Forschungsabteilungen überführt wurden. Eine besonders starke und nachhaltige Wirkung wird jedoch der neuen Personalgeneration zugesprochen, die, in der Nachkriegszeit aufgewachsen und sozialisiert sowie aus heterogenem Spektrum rekrutiert, größere Aufgeschlossenheit für neue Managementmethoden und Analyseverfahren zeigten. Die massive Aufnahme dieser Change Agents in den frühen 70er Jahren, die später in Leitungspositionen aufstiegen, begründet letztendlich den langfristigen Modernisierungseffekt dieser Reformphase (Wollmann 1996, S. 15f).
2.2.2 Privatisierung und Deregulierung in den 1970er und 1980er Jahren
Im Gefolge der vom Erdölschock ausgelösten weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise lief die Reformphase der sozial-liberalen Koalition aus. Die Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene wurde immer deutlicher von knappen Budgets und Kosteneinsparungen bestimmt (Wollmann 1996, S. 19). Erschien zuvor die soziale Sicherheit und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit durch gesteigerten Wettbewerb bedroht und galten aktive Politik und die Ausweitung von Planungs- und Leistungskapazitäten als Lösung, galt nun Bürokratieversagen als Zukunftsproblem und eine Eindämmung des Wachstums des öffentlichen Sektors und der Staatsaufgaben als unbedingtes Erfordernis (Seibel 1997, S. 98; Jann/Wewer 1998, S. 229). Kritikformeln wie Bürokratisierung, Gesetzesflut, unpersönliche Apparate oder Entmündigung des Bürgers entstammten zwar ursprünglich dem konservativen und liberalen Lager, fanden aber auch in links-bürgerlichen Kreisen Anhängerschaft, womit sich eine neue Modernisierungskoalition herausbildete. Gegen Ende der 70er Jahre kam es daher zu einer neuen Modernisierungsdiskussion unter den Schlagworten der Entbürokratisierung, der Aufgabenkritik und der Deregulierung, die eine schlankere Verwaltung zum Ziel hatte. Andererseits wurden Entbürokratisierungsansätze aber auch in Richtung einer bürgerfreundlicheren Verwaltung erkannt (Wollmann 2001, S. 19; Seibel 1997, S. 98f).
Als Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 ankündigte, „den Staat auf seine ursprünglichen und wirklichen Aufgaben zurückzuführen“ (aus: Jann/ Wewer 1998, S. 229), schloss sich die konservativ-liberale Regierung dem neo-liberalen Kurs an, der bereits im Vereinigten Königreich als Thatcherism (seit 1979) und in den USA als Reagonomics (ab 1980) Aufsehen erregte.
1983 wurde von der Bundesregierung eine Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung (Waffenschmidt-Kommission) eingesetzt, die Konzepte zur Entbürokratisierung und Bürgerfreundlichkeit erarbeiten sollte. Die Empfehlungen in den insgesamt sieben Berichten führten von 1983 bis 1993 unter anderem dazu, dass 15 Bundesgesetze und 30 Verordnungen aufgehoben wurden und 400 Einzelvorschriften in mehr als 100 Gesetzen gestrichen wurden. Bau- und Steuerrecht wurde eigenständig vereinfacht, was zur Aufhebung zahlreicher weiterer Gesetze, Verordnungen und Vorschriften führte (Jann/Wewer 1998, S. 235f).
In nahezu allen Bundesländern entstanden schon seit 1978 ähnliche Kommissionen. Überall lag der praktische Schwerpunkt eindeutig bei der Rechtsbereinigung, während organisatorische Binnenmodernisierung, Finanz- und Personalreformen und die angekündigten Verbesserungen der Bürgernähe in Bund und Ländern in den Kommissionsberichten kaum zu finden waren (Seibel 1997, S. 99).
Die Reform der öffentlichen Aufgaben realisierte sich auf Bundesebene nahezu ausschließlich durch umfangreiche Privatisierungsprogramme (etwa: Volkswagen AG, VEBA AG, Salzgitter AG, Post und Telekommunikation) und praktisch überhaupt nicht durch analytische Aufgabenkritik. Differenzierte Modelle des Verantwortungstransfers wie Leistungstiefenanalysen, Outsourcing oder Public Private Partnerships kamen in dieser Phase höchstens vereinzelt vor (Jann/Wewer 1998, S. 234f).
Während sich der Bund erst in den 90er Jahren mit der Einrichtung des Sachverständigenrates Schlanker Staat wieder der analytischen Aufgabenkritik widmete, schufen die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz bereits im Verlauf der 80er Jahre Kommissionen zur Verstetigung der Aufgabenkritik und Rechtsvereinfachung. Am deutlichsten zeigten sich die Modernisierungsaktivitäten jedoch auch in dieser Phase wieder in den Kommunen, die am härtesten von der budgetären Krise betroffen waren. Bereits 1974 entwickelte die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) ein Verfahren zur Aufgabenkritik, das durch Evaluationsuntersuchungen und Kosten-Nutzen-Analysen sowohl die einzelnen Aufgaben als auch deren Vollzug auf den Prüfstand stellte. Zusätzlich wurde mit der breiten Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien (zum Beispiel PROSOZ in den Sozial- und Jugendämtern) versucht, die Kosten in der Leistungsverwaltung zu reduzieren. Außerdem wurde dem Thema Bürgerfreundlichkeit auf kommunaler Ebene deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet als in Bundes- und Landesbehörden. Sowohl in organisatorischer Hinsicht, etwa durch die Einrichtung von Bürgerläden zur Verbesserung der Kundenorientierung, als auch durch entsprechende Personalschulungen sollte der Servicecharakter der Verwaltung gestärkt werden (Wollmann 1996, S. 18; Seibel 1997, S. 99).
Verglichen mit den radikalen Programmen der britischen Tories unter Margaret Thatcher blieben die Veränderungen auf deutscher Bundes-, Landes- und Kommunalebene in dieser Phase jedoch eher inkremental und insulär verstreut. Nur vereinzelt gestalteten sich innovative Reformideen. Das Bundesinnenministerium entwickelte beispielsweise bereits 1978 ein Arbeitsprogramm zur Verbesserung der Verwaltungsorganisation, das dezidierte Vorschläge zur Kosten- und Leistungsrechnung, zur effektiven Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnik, zur Aufgabenkritik und zum effektiven Personaleinsatz enthielt (König/Füchtner 2000, S. 77f). Doch es gelang nicht, aus solchen Ideen und der Vielzahl der kommunalen Reformprojekte ein flächendeckendes Modernisierungskonzept abzuleiten und umzusetzen. Auch von dem verwaltungspolitischen Diskurs, der unter New Public Management (NPM) in den angelsächsischen Ländern betriebswirtschaftliche Instrumente in die neo-liberale Verwaltungsreform integrierte, blieb Deutschland bis in die frühen 90er Jahre weit gehend abgekoppelt.
Hinter der Kurzformel New Public Management verbirgt sich eigentlich kein kohärentes Konzept, sondern eher ein Set von Organisationsempfehlungen mit folgenden Kernelementen (im Folgenden: Wollmann 1996, S. 19):
- Orientierung auf ein professionelles, verantwortungsbewusstes Management
- Instrumente und Standards der Leistungsmessung und Output-Kontrolle
- Disaggregation, Verselbstständigung und Dezentralisierung von Verwaltungseinheiten
- Stärkung des Wettbewerbs
- Einsatz privatwirtschaftlicher Managementinstrumente
- Disziplin und Sparsamkeit in der Ressourcen-Nutzung
Die Gründe für die starke Verzögerung in Deutschland liegen vor allem darin, dass lange kein Bedarf für NPM-Modernisierungen gesehen wurde. Die deutsche Verwaltung wähnte sich in Bezug auf Ordnungsmäßigkeit, Rechtmäßigkeit und Personalqualifikation im internationalen Vergleich in herausragender Stellung und zeigte zudem über die Jahre inkrementales, jedoch beständiges Reformverhalten. Außerdem schien der Problemhintergrund der angelsächsischen Staaten (Überzentralisierung, Monopolstellung des Öffentlichen Sektors) in der föderal-dezentralen Verwaltungsstruktur Deutschlands kaum relevant zu sein. Hinzu kam, dass die betriebswirtschaftlichen NPM-Konzepte auf eine Verwaltungskultur stießen, die immer noch überwiegend vom Rechtsstaatsprinzip und von rechtlicher Steuerung gekennzeichnet war und deutlichere Grenzen zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor zog als beispielsweise im Vereinigten Königreich. Obwohl sich die bundesdeutsche Modernisierungskoalition der 80er Jahre durchaus dem privatwirtschaftlichen Managerialismus öffnen konnte, war sie nach wie vor aus Verwaltungsangehörigen, Verwaltungsjuristen und Verwaltungswissenschaftlern zusammengesetzt, die den traditionellen Diskurs der Kontinuität mit lediglich geringfügigen Anpassungen weiterführten (Wollmann 2001, S. 20). Das änderte sich jedoch fast schlagartig in den frühen 1990er Jahren. Was war geschehen?
2.2.3 New Public Management in den 1990er Jahren
Zu Beginn der 1990er Jahre entfalteten fast gleichzeitig mehrere starke Modernisierungsimpulse ihre Wirkung, die zu einer Wende im verwaltungspolitischen Diskurs und zu neuen Reformstrategien in Richtung New Public Management führten. Die Folgenden stehen dabei im Vordergrund (im Folgenden: Wollmann 2000c, S. 923f; Wollmann 2001, S. 21f):
- Vor dem Hintergrund der enormen Kosten der deutschen Wiedervereinigung und begleitet von den Sparzwängen der Maastricht-Kriterien der Europäischen Union, nahm seit Beginn der 90er Jahre der budgetäre Druck auf Bund, Länder und Kommunen dramatisch zu. Modernisierungskonzepte des New Public Management, die eine effizientere und wirksamere Verwaltung in Aussicht stellten, erschienen parteiübergreifend und auf allen Regierungsebenen als geeignetes und dringend erforderliches Lösungsmodell.
- Die vergleichsweise hohe (Selbst-)Bewertung der deutschen Verwaltungsqualität und Modernisierungsfähigkeit wurde 1993 durch einen internationalen Wettbewerb der Bertelsmann Stiftung zum Thema „Demokratie und Effizienz in der Kommunalverwaltung“ schwer erschüttert. Die Ergebnisse, bei der die Städte Phoenix (USA) und Christchurch (Neuseeland) gemeinsam den Spitzenplatz erreichten während Duisburg das Schlusslicht bildete, machten deutlich, dass selbst die vermeintlich innovativen Kommunalverwaltungen in Deutschland sich im Vergleich mit internationalen Spitzenkommunen gut zehn Jahre im Rückstand befanden (Reichard 1994, S. 24). Dieser Schock löste starke Zweifel an der Legitimation des traditionellen, deutschen Verwaltungsmodells aus und schob die Diskussion um New Public Management enorm an.
- Innerhalb des Diskurses, der sich um NPM-Konzepte entwickelte, veränderte sich die Teilnehmerschaft der Modernisierungskoalition. Anstelle der traditionellen Modernisierer errangen zunehmend reformorientierte Verwaltungsgeneralisten, NPM-orientierte Wissenschaftler aber auch Betriebswirte und Unternehmensberater die Meinungsführerschaft. Die Nachwuchskräfte der 70er Jahre hatten inzwischen die Chefbüros erreicht und befanden sich in der Lage, ihrer Unzufriedenheit mit überkommenen Funktionsweisen und Ergebnissen der Verwaltung entgegenzuwirken. Die Entwicklung des NPM in Deutschland wird daher auch als „Revolution der Verwaltungschefs“ bezeichnet (Jann 1998, S. 71).
- Einen ähnlichen Sinneswandel vollzog die KGSt, die sich bis zum Ende der 80er Jahre als eher traditioneller Verwaltungsmodernisierer profiliert hatte. Ihr damaliger Leiter Gerhard Banner distanzierte sich am Anfang der 1990er Jahre deutlich vom traditionellen Modell der hierarchischen Arbeitsteilung und Atomisierung der Verantwortung, die im Endeffekt ein „System organisierter Unverantwortlichkeit“ zur Folge hat (Reichard 1994, S. 16f). Von nun an propagierte die KGSt ein Neues Steuerungsmodell (NSM), das NPM-inspirierte Modernisierungskonzepte der niederländischen Stadt Tilburg mit eigenen Komponenten verband.
Erkannte man zu Beginn der vorigen Reformphasen Performance Gaps in der rationalen Planungsfähigkeit oder in unbürokratischer, schlanker Staatstätigkeit, so wurde nun die generelle Modernisierungsunfähigkeit des öffentlichen Sektors zum Hauptproblem. Diese Modernisierungslücke betrifft insbesondere das strategische Management, das durch Überlastung der Verwaltungsleitung mit kurzfristigen Routineaufgaben zu kurz gerate. Zusätzlich fehle es den bürokratischen Steuerungsinstrumenten (Rechtsnormen, hierarchische Anweisungen, zentralistische Ressourcenbewirtschaftung) an der Eigenschaft, Zielvorgaben zu entwerfen sowie klare Verantwortungsstrukturen aufzubauen, die es nachgeordneten Bereichen attraktiv erscheinen lassen, vorgegebene Ziele eigenverantwortlich und effizient zu erfüllen. Ebenso sind die Instrumente zur Messung der Zielerreichung sowie der tatsächlichen Kosten und Leistungen unzureichend. Schließlich sei der öffentliche Sektor kaum noch in der Lage, qualifiziertes Personal anzuwerben und bestehende Personalpotenziale durch Leistungsanreize zu motivieren (Reichard 1994, S. 14f; Jann 1998, S. 71).
Das von der KGSt entworfene Neue Steuerungsmodell ist zur deutschen Version des internationalen NPM-Trends geworden und stellt ein Gegenbild zum traditionellen, bürokratischen Verwaltungssystem mit seinen wahrgenommenen Mängeln dar. Ursprünglich wurde es für Kommunalverwaltungen entwickelt, reüssierte aber bald zum Oberbegriff der Verwaltungsreform in Deutschland der 1990er Jahre. Banner argumentiert, dass dies insbesondere der Unterstützungsleistung einer Reformkoalition aus kommunalen Spitzenverbänden, Stiftungen, Wissenschaftlern und Beratungsunternehmen zu verdanken war. Die Regierungen von Bund und Ländern folgten dem Diskurs nur zögerlich (Banner 2001, S. 296ff).
Konzeptionell und inhaltlich unterschied sich das NSM kaum von NPM-Modernisierungen anderer Staaten, jedoch lag sein Schwerpunkt deutlich bei der Optimierung der Steuerungsinstrumente und Binnenstrukturen, weniger beim Aufgabenabbau der 80er Jahre. Der öffentliche Sektor sollte verbessert, nicht abgeschafft werden. Die wesentlichen Elemente des Neuen Steuerungsmodells lassen sich folgendermaßen darstellen (im Folgenden: Banner 2001, S. 283f; Jann 1998, S. 72ff; Reichard 1994, S.35f):
Leitbild „Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung“:
- Die Nachfrage und Kundenbedürfnisse bestimmen die Organisation der Leistungserstellung.
- Leistungen werden in Produktzyklen gedacht und passen sich der Nachfrage und den vorhandenen Ressourcen an.
- Wettbewerb mit privaten Anbietern und Leistungsvergleiche mit anderen Kommunen oder Behördenbereichen sind selbstverständlich.
- Mitarbeiter erhalten mehr Gestaltungsmöglichkeiten und werden über Leistungsziele gesteuert.
Um dieses Leitbild zu verwirklichen, sind institutionelle Veränderungen unabdingbar, die im Kern aus drei, eng zusammenhängenden Schritten bestehen:
1. Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur
- Kontraktmanagement: Kontrakte sind klare, verbindliche Absprachen zwischen Politik und Verwaltung, aber auch zwischen verschiedenen Ebenen der Verwaltung über die zu erbringenden Leistungen, die verwendeten Mittel und die Art der Berichterstattung über das Leistungsergebnis. Es kommt damit zu einer deutlichen Verantwortungsabgrenzung zwischen steuernden und ausführenden Bereichen. Zudem wird Steuerung durch ständige Eingriffe und Einzelanordnungen ersetzt durch strategische Steuerung „auf Abstand“.
- Dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung: Die Aufmerksamkeit der Fachbereiche soll auf das Leistungsergebnis gerichtet werden. Zur Erstellung der definierten Verwaltungsleistungen oder „Produkte“ sollen ihnen Budgets zugeteilt werden, mit denen sie selbst verantwortlich entscheiden, auf welche Weise die Leistung erzeugt wird (eigenerstellt, von einer anderen Einheit oder extern bezogen). Während Art und Menge der Leistung durch Kontrakte vorgegeben sind, erhalten die ausführenden Bereiche dezentrale Verantwortung dafür, wie sie die ihnen zugeteilten Ressourcen (Geld, Stellen, Personal, Sachmittel) zur Auftragserfüllung einsetzen. Es ergibt sich eine unternehmensähnliche Konzernstruktur.
- Zentrale Steuerungs- und Controllingaufgaben: Damit die Kommunalverwaltung als Einheit steuerbar bleibt und sich die selbst steuernden Fachbereiche nicht zu stark autonomisieren, muss ein zentraler Steuerungs- und Controllingdienst die Gesamtkoordination der Fachplanungen, die Analyse der Leistungen oder die Beteiligungsverwaltung gewährleisten.
2. Outputsteuerung
- Produkte: Die unzähligen Einzelaktivitäten der Verwaltung sollen zu überschaubaren Leistungsbündeln (Produkten) zusammengefasst werden. Für jedes Produkt muss festgelegt sein, welche Ziele es erreichen soll, welches die Zielgruppe ist und in welcher Menge und Qualität es erzeugt werden muss. Die politisch-strategischen Ziele der Kommune sowie die Bedürfnisse der Adressaten stehen bei der Produktbildung im Vordergrund. Damit wird das Handeln der Behörden nicht mehr von den Ressourcen-Inputs bestimmt, sondern durch die Erwartungen von Politik und Bürgern.
- Rechnungswesen: Haushaltsplanung und –vollzug, Berichtswesen und Controlling müssen den Produktbegriff integrieren. Bei jedem Produkt sollen die Herstellungskosten (Personal-, Sach- und kalkulatorische Kosten) transparent werden, damit in der Haushaltsplanung die erwünschten Outputs der Verwaltung mit dafür notwendigen Ressourcen (Produktbudgets) verkoppelt werden können. Der Haushaltsplan wird damit zum Hauptkontrakt zwischen politisch-administrativer Führung und Facheinheiten der Verwaltung.
- Qualitätsmanagement: Damit die Verwaltungsleistungen wirklich kundenorientiert erbracht werden, muss ein durchgängiges Qualitätsmanagement stattfinden. Durch systematische Kundenbeobachtung und -befragung, aber auch durch Aufnahme von Verbesserungsvorschlägen der Verwaltungsmitarbeiter soll ermittelt werden, ob die Verwaltungsprodukte den Erwartungen von Bürgern und Unternehmen entsprechen und was verbessert werden kann.
3. Aktivierung der neuen Struktur durch Wettbewerb
Um das neue Modell „unter Strom“ zu setzen und das kommunale Dienstleistungsunternehmen zu zielorientierten Leistungen anzuspornen, muss es dem Wettbewerb ausgesetzt werden. In Monopolbereichen der Hoheitsverwaltung dienen dazu Wettbewerbssurrogate wie interkommunale Leistungsvergleiche. Aufgabenbereiche hingegen, die mit dem privaten Sektor im Wettbewerb stehen können, sollen vollständig einem Vergleich unterzogen werden. Leistungstiefenanalysen prüfen dabei, ob eine Leistung kostengünstiger fremd erstellt werden kann (Contracting Out). Gleichzeitig soll aber auch die strategische Relevanz der Eigenerstellung sowie die Steuerbarkeit und Rückholbarkeit der Aufgabe in die Prüfung einfließen.
Das Neue Steuerungsmodell sollte jedoch keinen Modellbaukasten darstellen, bei dem lediglich die Zusammensetzung der Elemente zur Problemlösung führt. Vielmehr beabsichtigte die KGSt, die Mindestanforderungen zur Steuerung und Verbesserung moderner Verwaltungen zu definieren, die anhand örtlicher Bedürfnisse und Rahmenbedingungen konkretisiert werden müssten (Jann 1998, S. 76). Gleichzeitig wurde das NSM zu einer Messlatte der Verwaltungsmodernisierung von Kommunen, Ländern und Bund, die ihre Reformaktivitäten zunehmend anhand dieses Modells orientierten und koordinierten.
Für die Kommunen entwickelt, ist die Verbreitung und Anwendung des NSM ein Musterbeispiel für einen Bottom-Up- Reformdiskurs. Nach den ersten Pilotversuchen breitete sich die NSM-Reformwelle wie ein „Buschfeuer“ (Reichard 1994, S. 7) unter den deutschen Kommunen aus. Entsprechend des dezentralen politischen und administrativen Systems in Deutschland sowie der Empfehlungen der KGSt ließen sich bei der örtlichen Umsetzung unterschiedliche Akzente beobachten. Nur beispielhaft sei aufgezählt, dass in Städten wie Herten, Osnabrück, Nürnberg, Offenbach oder Bochum bereits 1992 Umstrukturierungsprozesse in Gang gesetzt wurden, um Hierarchien zu verflachen und den Verantwortungs- und Gestaltungsspielraum der Fachbereiche zu stärken sowie die städtischen Betriebe durch ein geschlossenes Beteiligungsmanagement im Sinne einer Holding zusammenzufassen. In Berlin hingegen wurden nach der Einführung von Globalbudgets bis 1995 Produktkataloge in allen Bezirksämtern erstellt, die in der Summe 8.741 Leistungen, 1.565 Produkte, 395 Produktgruppen sowie 65 Produktbereiche auswiesen, um Erfolg und Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns outputorientiert darstellen zu können. In anderen Städten wiederum stand umfangreiche Personalentwicklung im Vordergrund, um betriebswirtschaftlichen Sachverstand (Controlling, Doppik, Kosten- und Leistungsrechnung), Teamarbeit und Kundenorientierung zu fördern und die personellen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells zu schaffen. Die Städte Essen und München lieferten hierbei charakteristische Ansätze.
Die Einrichtung von Bürgerzentren, Bürgerbüros oder Serviceämtern zur Verbesserung der dezentralen, bürgerorientierten Servicequalität wurde in einer wachsenden Anzahl von Städten und Gemeinden populär, um möglichst viele Leistungen direkt vor Ort anzubieten und den Bürgern umständliche Behördengänge zu erleichtern. Durch Vernetzung unterschiedlicher regionaler Datenbanken konnten publikumsintensive Verwaltungsangebote (etwa das Ausstellen von Pässen und Ausweise, Bewilligung von Sozialhilfe und Wohngeld oder Kfz-Zulassungen) an einer Stelle gebündelt und durch entsprechend generalistisch geschultes Personal bearbeitet werden.
Integrierte, umfassende Projekte, die interne Reorganisationsmaßnahmen mit einer expliziten Außenorientierung zu verbinden suchten, entwickelten sich erst allmählich. Die Stadt Duisburg etwa führte im Verlauf der 90er Jahren neue Steuerungsinstrumente in den Bereichen Personal, Organisation (Matrixorganisation, Bürgerzentren, optimierte Regiebetriebe) sowie Finanzen und Kontrolle (zentrales Controlling) ein und entwickelte durch die Einführung von Public Private Partnerships kooperative Formen der Leistungserstellung zwischen öffentlichen und privaten Trägern. Zusätzlich werden seitdem Quantität und Qualität der städtischen Dienstleistungen einem laufenden Städtevergleich unterzogen, bei dem auch Bürgerumfragen durchgeführt werden (alle Beispiele: König 1997, S. 63-73).
Mit geringer Verzögerung beteiligten sich auch die Verwaltungen der Bundesländer an der Entwicklung neuer Steuerungsmodelle, wobei die Stadtstaaten zunächst die Führerschaft übernahmen. Das Land Berlin, bereits erwähnt, entwickelte nach dem Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung vom 19. Juli 1994 einen flächendeckenden Gesamtansatz, der neben der Steigerung von Effizienz und Effektivität des Verwaltungshandelns auch die Dienstleistungsqualität und die Attraktivität der Berliner Behörden verbessern sowie die bürgerschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten erweitern sollte. In zehn Teilprojekten sollten neben dem bereits beschriebenen Produktkatalog ein Qualitätsmanagementsystem, Kosten- und Leistungsrechnung sowie Controlling eingeführt werden, wobei zur Realisierung verstärkt auf Software-gestützte Rechnungs- und Berichtsysteme gesetzt wurde.
Nordrhein-Westfalen führte zunächst die in den 80er Jahren begonnenen Untersuchungen zur Aufgabenkritik fort und legte erst im Frühjahr 1995 einen Entwurf zur Modernisierung der Landesverwaltung nach dem Neuen Steuerungsmodell vor. Auch hierbei wurde beabsichtigt, möglichst alle Verwaltungsbereiche von einem einheitlichen Reformkonzept zu erfassen. Wesentliche Elemente zur Steuerungsoptimierung waren dabei die Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung, Budgetierung, Kontraktmanagement und Controlling. Durch betriebswirtschaftliches Rechnungswesen und Produktbildung sollten die Kosten der Verwaltungsleistungen transparenter gemacht werden. Zusätzlich wurden Leistungsanreize und Fortbildungsmöglichkeiten insbesondere für Führungskräfte in den Zielkatalog aufgenommen. In allen Bundesländern zeichnete sich im Verlauf der 90er Jahre ab, dass insbesondere im Bereich Rechnungswesen und Controlling sowie zur Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren verstärkt moderne Informationstechnik und Fachsoftware eingesetzt wurde (Beispiele: König 1997, S. 77-100).
Weniger konsistent als in Kommunen und Ländern entwickelte sich die Modernisierung der Bundesverwaltung in dieser Phase. Zu Beginn der 90er Jahre blieb der Bund, wie auch in den Jahren zuvor, inaktiv bezüglich NPM-orientierter Reformen, behielt jedoch den Privatisierungskurs bei. Empfehlungen aus der Verwaltungswissenschaft, den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin für eine Generalüberholung der Ministerialverwaltung nach Konzepten des NPM zu nutzen, blieben zunächst unberücksichtigt. Die Kritik an den zu hierarchischen und überdifferenzierten Ministerien war jedoch schon seit den Untersuchungen PRVR allgemein bekannt. Im Gegenteil, mit dem Kombinationsmodell, das für alle Bundesministerien sowohl Dienstsitze in Berlin als auch in Bonn vorsah, entschied sich der Bund für eine teure, komplizierte und zur Modernisierung der Ministerialverwaltung ungeeignete Vorgehensweise (Jann/Wewer 1998, S. 242f).
Erst 1997 wurden mit dem Abschlussbericht des Sachverständigenrates Schlanker Staat (SVR) Modernisierungsbausteine ernsthaft mit dem Regierungsumzug verbunden. Der SVR legte in seinem über 1.000-seitigen Bericht eine große Vielzahl diskutierter Modernisierungsoptionen vor, wie die Reduzierung der Zahl der Abteilungen und die Abschaffung von Unterabteilungen, ebenso NSM-Elemente wie Produktbildung, Kosten- und Leistungsrechnung und Controlling sowie Qualitätsmanagement unter Nutzung von Informationstechnik (Jann/Wewer 1998, S. 248f). Tatsächlich begannen die Bundesministerien, auf der Basis einer Überprüfung ihrer organisatorischen Strukturen einen Zielkatalog „Regierungsumzug“ zu erarbeiten, welcher organisatorische Straffungen und Auflösungen von Leitungspositionen vorsah. Weiterhin sollte in einem Standardisierungsprojekt dem unkoordinierten Vorgehen der Bundesbehörden bei der Entwicklung der Kosten und Leistungsrechnung (KLR) entgegengewirkt und einheitliche, standardisierte Methoden zur Verfügung gestellt werden. Besonders der nachgeordnete Bereich zeigte sich bei der Einführung moderner Managementkonzepte, wie betriebswirtschaftliche Rechnungsmethoden, aber auch dem Qualitätsmanagement, äußerst aktiv (König/Füchtner 1998, S. 63f). Nach dem Regierungsumzug im Spätsommer 1999 zeichnete sich jedoch ab, dass die Arbeitsfähigkeit der Bundesministerien durch die unterschiedlichen Haupt- und Nebensitze trotz moderner Informations- und Kommunikationstechnik häufig beeinträchtigt wird und die Interaktionsprobleme zwischen alter und neuer Hauptstadt zur administrativen Selbstbeschäftigung geraten (Wollmann 2000a, S. 708f).
Zwar sind so gut wie alle Behörden auf kommunaler, auf Landes- und besonders auf Bundesebene noch Baustellen, was das Neue Steuerungsmodell angeht. Es ist aber unübersehbar, dass betriebswirtschaftliche Kompetenz und Instrumente sich immer fester in der deutschen Verwaltung etabliert haben. Auch handelt die Verwaltung besonders im kommunalen Dienstleistungsbereich wesentlich bürgerorientierter. Jedoch hat die Euphorie der Anfangsphase des New Public Management in Deutschland inzwischen an Schwung verloren. Probleme haben sich in den Instrumenten und deren Umsetzung bemerkbar gemacht, von denen folgende aufgezeigt werden können:
- Die Budgetierung wurde meist nur einseitig als Input-Budgetierung eingeführt und von den Kämmerern zur Beschneidung der Ausgaben der Fachbereiche verwendet. Nur selten dürfen Fachbereiche eingesparte Finanzmittel behalten und im eigenen Sinne nutzen (Banner 2001, S. 286).
- Statt zentraler Steuerungsdienste setzen häufig umbenannte Querschnittsbereiche ihre bisherige Steuerung durch Einzelanweisung fort. Andererseits mangelt es zentralen Steuerungsdiensten oft an einem geeigneten Informationswesen, das die strategische Steuerung teilautonomisierter Einheiten gewährleisten kann und Zentrifugalkräfte verhindert (ebd.).
- Die Produktkataloge, die unter Aufwendung teilweise hoher Kosten ausgearbeitet wurden, erweisen sich oft als zu kleinteilig und unhandlich. Häufig unterbleibt daher weit gehend die Bildung geeigneter Indikatoren zur Bewertung der Zielerreichung und deren Verknüpfung mit den verwendeten Ressourcen, weshalb sich nahezu kein Nutzen der Produktkataloge als Steuerungs- und Evaluationsinstrument ergibt (Wollmann 2000c, S. 924f).
- Die Kosten- und Leistungsrechnung bleibt eine teure Statistik, wenn die bewertete Verwaltungsleistung nicht mit Marktpreisen oder durch interkommunale Leistungsvergleiche verglichen und gegebenenfalls mit Konsequenzen (Rationalisierung, Vergabe, Verzicht etc.) behandelt wird (Banner 2001, S. 287).
- Die Trennung zwischen steuernder Politik und ausführender Verwaltung unterstellt, dass der Politik Ziele und Instrumente der Problemverarbeitung klar sind. Meist ist dies jedoch nicht der Fall. Ziele sind häufig gegensätzlich und instabil und über die geeigneten Instrumente zur Zielerreichung herrscht noch größere Unsicherheit. Daraus ergibt sich geradezu ein Einfallstor für professionelle Bürokraten zur politischen Mitgestaltung, weshalb kaum eine Trennung zwischen beiden Bereichen erfolgen kann (Jann 1998, S. 77f).
Möglicherweise ist der Erfolg des Neuen Steuerungsmodells geringer als erwartet, weil seine Komplexität von den Modernisierern zunächst unterschätzt wurde. Viele griffen sich einzelne Elemente, bevorzugt Budgetierung und KLR zur Kostendämmung, heraus und vermieden Eingriffe in gewachsene Machtstrukturen (Banner 2001, S. 290f). Denn das Konzept des NSM steht dem mikropolitischen Handeln der Akteure naiv gegenüber und rechnet nicht mit dem Anwachsen von Implementationsproblemen bei umfangreichen Eingriffen in gewachsene Machtverhältnisse (Bogumil/Schmid 2001, S. 112). Für ganzheitliche Reformansätze, welche die volle Wirkung des NSM erst entfalten, konnten nur wenige Verwaltungen Kräfte und Ressourcen aufbringen. Hinzu kommt, dass der Bund sich lange an der konzeptionellen Entwicklung nicht beteiligt hat. Ebenso verwundert es nicht, dass Politik und Gesellschaft Modellen misstrauen, die verselbstständigten Fachbereichen mehr Spielraum einräumen, aber bei der Generierung von Informationen zur Steuerung und Evaluation regelmäßig versagen und partizipatorische Aspekte im Ansatz ausblenden (Wollmann 2000c, S. 930).
2.2.4 Vom schlanken zum aktivierenden Staat
Aufgrund der Probleme ist das Neue Steuerungsmodell ist im Lauf der Jahre sowohl binnenorganisatorisch vertieft als auch um Schnittstellen zur Umwelt erweitert worden. Denn der Modernisierungsdruck bleibt. Ressourcenknappheit, Internationalisierung und Interdependenzen zwischen öffentlichem und privatem Sektor nehmen eher zu als ab und zwingen die Kommunen zu weiteren Schritten. Ressourcenverbrauchskonzept, strategisches Management und Bürgerkommune weisen zurzeit in der Kommunalverwaltung neue Wege (Banner 2001, S. 291 sowie 301f).
Aber auch der Bund hat sich nach dem Regierungswechsel 1998 vom Konzept des Schlanken Staates verabschiedet und versucht mit dem neuen Leitbild des Aktivierenden Staates eine bürgerorientierte Hinwendung von Regierung und Verwaltung und deren Modernisierung zu verwirklichen. Im Vordergrund steht dabei, die Verwaltung nicht vorrangig durch Privatisierung und Aufgabenabbau zu entlasten, sondern den Bürger zur Mitwirkung an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben sowie den Entscheidungen darüber zu animieren. Zusätzlich sollten isolierte Einzelmaßnahmen der Bundesressorts vermieden und ein ganzheitlicher Reformzusammenhang erreicht werden (Reichard/Schuppan 2000, S. 81f). Am 1. Dezember 1999 legte die Bundesregierung unter Gerhard Schröder das Programm Moderner Staat – Moderne Verwaltung vor, das eine konzertierte Gesamtreform anstrebt. Das Bundesministerium des Innern (BMI) stellte vier Leitprinzipien vor (BMI 1999, S. 12):
1. Neue Verantwortungsteilung zwischen Staat (als Garant, Aktivator) und Gesellschaft (Eigeninitiative, Engagement, Partner der Verwaltung)
2. Mehr Bürgerorientierung durch transparentes und nachvollziehbares Verwaltungshandeln und den Einsatz benutzerfreundlicher Informationstechnik
3. Staatliche Vielfalt durch Kooperation und Verantwortungsteilung der staatlichen Ebenen (Stärkung dezentraler Einheiten auf Landes- und kommunaler Ebene)
4. Effiziente Verwaltung durch Leistungsvergleiche, Personalentwicklung und den breiten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik
Für die Zielbestimmung und Steuerung des Modernisierungsprozesses wurde ein Staatssekretärsausschuss zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung unter Leitung des Bundesministeriums des Innern (Staatssekretärin Brigitte Zypries) eingesetzt. Unterstützt wird dieses Gremium von der neuen Stabstelle Moderner Staat – Moderne Verwaltung im Geschäftsbereich der Staatssekretärin des BMI (Reichard/Schuppan 2000, S. 88).
Noch erscheint es zu früh zu bewerten, ob aus dem Leitbild des Aktivierenden Staates tatsächlich eine neue Reformwelle entsteht oder ob es nur eine Übergangsphase bis zu einem anderes orientierten Diskurs darstellt. Zudem bleibt abzuwarten, in welcher Weise sich Länder und Kommunen dem Modell der Bundesregierung anschließen werden. Aus den Leitprinzipien sind inzwischen jedoch erste Projekte und Initiativen entstanden, über deren Umsetzung zumeist dezentral in den Ministerien entschieden wird. Von einem Projekt bzw. einer Initiative soll im weiteren Verlauf der Arbeit berichtet werden.
Die folgende Tabelle fasst, in Anlehnung an eine Übersicht von Hellmut Wollmann sowie an den Betrachtungsrahmen dieses Kapitels, die wesentlichen Modernisierungsmerkmale der 60er bzw. frühen 70er und der 90er Jahre zusammen. Die 80er Jahre werden aufgrund der relativen Unentschlossenheit und der fragmentierten Entwicklung als Übergangsphase gewertet und daher hier nicht berücksichtigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Verwaltungsmodernisierungsphasen im Überblick
60er und frühe 70er Jahre 90er Jahre
- Reformimpuls / Problemdruck Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen
- Planungslücke Wirtschaftlichkeit und Steuerbarkeit der Verwaltung
- Modernisierungslücke
- Modernisierungsleitbild Aktiver Staat
- Planungseuphorie Schlanker Staat
- NSM/Managerismus-Euphorie
- Fiskalpolitische Rahmenbedingungen Günstige Budgetsituation fördert ausgabensteigernde Verwaltungsmodernisierung Kritische Budgetsituation erzwingt ausgabensenkende Verwaltungsmodernisierung
Modernisierungsdiskurs Intensive, insbes. von Juristen und Verwaltungs- und Politikwissenschaftlern geführte Planungsdiskussion Intensive, insbes. von Ökonomen und Unternehmensberatern geprägte, betriebswirtschaftlich angeleitete Modernisierungsdebatte
- Verwaltungs-kultur und Verwaltungstradition Dominanz juristischen Denkens
- Klassisches kontinentaleuropäisches Verwaltungsmodell Verstärktes wirtschaftliches (Management-)Denken
- Infragestellung durch angelsächsisches Modell
- Modernisierungspraxis Binnenstruktureller Aufbau von Planungskapazitäten
- Stärkung der Kommunen durch Gebietsreformen
- Erhöhung der finanziellen Planungsoptionen
- Extensive Personalpolitik Einführung von BWL-Instrumenten
- Dezentralisierung der Verantwortung
- Outsourcing, Privatisierung und Public- Private Partnerships
- Output- und Kundenorientierung / Dienstleistungsunternehmen
- Personalqualifikation und Personalabbau
- Durchsetzung Zunächst Top-down
- Starke Beteiligung von Ländern und Kommunen Bottom-up
- Verzögerte und weniger engagierte Beteiligung von Bund und Ländern
Informations- und Kommunikations-technik (IuK) Beginnende Einführung von IuK als überwiegend binnenadministrative Verwaltungsautomation und Einführung zentraler Rechenzentren Ausbreitung von IuK und spezieller Fachanwendungen sowie Dezentralisierung des Datenzugriffs (nach: Wollmann 2000a, S. 720f)
Die Vielzahl der Reformaktivitäten der vergangenen 30 Jahre in Deutschland lässt sich demnach bestimmten Phasen zuordnen, die zeitlich und inhaltlich voneinander abgrenzbar sind. Im folgenden Kapitel soll dargestellt werden, wie sich parallel dazu die Informations- und Kommunikationstechnik innerhalb der Verwaltung immer enger mit Reformprojekten verband und schließlich zu jenem Phänomen führte, dass heute als Electronic Government bezeichnet wird.
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