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Publizistisches Rollenverständnis und internetspezifischer Qualitätsanspruch im Online-Journalismus

©2002 Diplomarbeit 229 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In dieser Arbeit wird versucht, einerseits für den Journalismus im Allgemeinen geltende Qualitätskriterien für die Bedingungen des Online-Journalismus umzudeuten und anderseits internetspezifische Qualitätskriterien im Besonderen aufzustellen. Weil hierzu ein komplementäres Verständnis journalistischer Qualität zu Grunde gelegt wird, geht es im Ansatz dieser Arbeit nicht nur um die Produkt- bzw. Akteursebene, sondern auch um diverse Möglichkeiten der Qualitätssicherung. Auch für diese Aspekte erfolgt ein Zugang, der von Überlegungen zum Journalismus allgemein, zu onlinespezifischen Möglichkeiten zur Sicherung journalistischer Qualität führt. Hierzu gehören onlinespezifische Ethik-Kodices, Ausbildung, Online-Awards und Evaluierungskriterien für User, die eine Medienkompetenz für das Internet verkörpern, die weit über die bloße Browsernutzung und Handhabung von Suchmaschinen hinausreicht.
Gang der Untersuchung:
Nach einer notwendigen Definitionsarbeit im 2. Kapitel, bei der aus einer „pragmati-schen“ sowie einer systemtheoretischen Perspektive eine Bestimmung von Online-Journalismus vorgenommen wird, geht es aber zuvor noch um die publizistische Rolle von Online-Journalisten (Kapitel 3). Hier existieren diverse Zuschreibungen. Sind Online-Journalisten redundant angesichts eines „Kommunikationsideals“ im Internet? Ist jeder Nutzer nicht auch schon Journalist? Oder existieren nicht doch Bedürfnisse für journalistische Tätigkeiten im Web? Aus der Kritik an diversen Rollenzuschreibungen wird in dieser Arbeit eine Position entwickelt, die den Online-Journalisten als „optionalen Gatekeeper“ beschreibt. Optional deshalb, weil prinzipiell keine Webinformationen vorenthalten werden können, jedoch eine Dienstleistung im besten Wortsinn erbracht wird, die User nach ihren jeweiligen Bedürfnissen nutzen können.
Dieser „Qualitätsjournalismus online“ darf nicht nur, er muss sogar für sich werben, um Aufmerksamkeit im Web zu erlangen. Und weil - um ein bekanntes Sprichwort heranzuziehen - „Qualität seinen Preis hat“, geht es in der Schlussbetrachtung dieser Arbeit um ein Tabu, nämlich um die Frage, ob Kostenlosigkeit für Journalismus im Web tatsächlich ein Paradigma darstellen muss oder es nicht doch einen bestimmten Wert für diesen Qualitäts-journalismus gibt, für den auch eine tatsächliche Zahlungsbereitschaft unterstellt werden kann.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung1
2.Online-Journalismus als publizistisches […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5299
Siebel, Henning: Publizistisches Rollenverständnis und internetspezifischer Qualitätsanspruch
im Online-Journalismus / Henning Siebel - Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Siegen, Universität - Gesamthochschule, Diplom, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Kapitel
Inhalt
Seite
1.
Einleitung
1 ­ 3
2.
Online-Journalismus als publizistisches Segment im
Internet: Definition(en), Differenzierungen, Abgrenzungen
4
2.1
Was ist Journalismus? Annäherungen an einen nur
scheinbar einfach zu fassenden Begriff
4 ­ 11
2.2
Exkurs: Journalisten als Gatekeeper
11 ­ 14
2.3
Was ist Online-Journalismus?
14 ­ 16
2.3.1
Abgrenzungen und Differenzierungen von Para- und
Pseudojournalismus (pragmatisch orientierter Ansatz)
16
2.3.1.1
Parajournalismus
17 ­ 19
2.3.1.2
Pseudojournalismus
19 ­ 21
2.3.2
Systemtheoretisch orientierte Bestimmung von Online-
Journalismus
21 ­ 27
3.
Zur publizistischen Rolle und Funktion von Online-
Journalismus/Online-Journalisten
28
3.1
Redundanz des Online-Journalismus (Dr. Mike Sandbothe) 29 ­ 31
3.2
Dekonstruktion des Journalismus durch das Internet
(Matthias W. Zehnder)
31 ­ 33
3.3
Der Online-Journalist als ,,Informationsanalytiker" und
,,Meta-Designer" (Ursula Maier-Rabler/Erich Sutterlütti)
33 ­ 36
3.4
Rollenkritik als Plädoyer: Der Online-Journalist als
,,optionaler Gatekeeper" (eigene Position)
37
3.4.1
Kritik der Positionen von Sandbothe und Zehnder:
Optionalität vs. Absolutheit
37 ­ 38
3.4.1.1
Die Problemfelder Informationsqualität,
Informationsquantität und Informationsselektion im WWW
und die Rolle journalistischer Gatekeeper
38 ­ 48
3.4.1.2
Journalisten sind nicht die einzigen Gatekeeper im WWW
48 ­ 50

3.4.1.3
Publizistische Egalität im Internet?
50 ­ 52
3.4.2
Kritik der Positionen von Maier-Rabler und Sutterlütti:
Rollenerweiterung vs. Rollenbegrenzung
53 ­ 55
3.5
Fazit und Ausblick
55
3.5.1
Werden Online-Journalisten zu Generalisten?
55 ­ 59
3.5.2
Chance für lokale Kompetenzzentren im globalen Netz?
59 ­ 61
3.5.3
Entwicklung der Beschäftigungsstrukturen
61 ­ 62
4.
Dimensionen journalistischer Qualität und
Qualitätssicherung (allgemeine Ebene)
63 ­ 65
4.1
Journalistische Qualitätskriterien: Beispiel ,,Magisches
Vieleck"
65 ­ 70
4.2
Bewertung journalistischer Qualität
70 ­ 73
4.3
Ebenen journalistischer Qualitätssicherung
73 ­ 74
4.3.1
Qualitätssicherung auf der Akteursebene
75 ­ 77
4.3.2
Qualitätssicherung auf der Ebene der Medienunternehmen
77 ­ 80
4.3.3
Qualitätssicherung im Mediensystem (Infrastruktur-Faktor) 80 ­ 85
4.3.4
Qualitätssicherung auf der gesellschaftlichen Ebene
85 ­ 86
4.3.5
Qualitätssicherung auf der Publikumsebene
86 ­ 87
5.
Internetspezifischer Qualitätsanspruch im Online-
Journalismus
88 ­ 89
5.1
,,Status quo" der journalistischen Erscheinungsformen im
Internet: Anbieter, Ziele, Strategien und Gestaltungsweisen
im Überblick (Fokus Online-Zeitungen; Deutschland)
89
5.1.1
Anbieter von Online-Journalismus in Deutschland und
weltweit
90 ­ 91
5.1.2
Denkbare Strategien
91 ­ 93
5.1.3
Feststellbare Strategien
93 ­ 95
5.1.4
Inhaltliche Gestaltung
96 ­ 103
5.1.5
Personelle Ausstattung der Online-Redaktionen
103 ­ 104
5.1.6
Berufsnormen im Online-Journalismus
104 ­ 105
5.2
Ausgewählte journalistische Qualitätskriterien in ihrer
Bedeutung für Qualität im Online-Journalismus
106

5.2.1
Glaubwürdigkeit und ethisch reflektiertes Handeln
106 ­ 107
5.2.1.1
Befunde zur Online-Glaubwürdigkeit
107 ­ 113
5.2.1.2
Onlinespezifische Glaubwürdigkeitsprobleme und
Glaubwürdigkeitskriterien im Journalismus
113 ­ 118
5.2.2
Aktualität
118 ­ 124
5.2.3
Reflexivität und Transparenz
124
5.2.3.1
Public Journalism als Chance für den Online-Journalismus 125 ­ 129
5.2.3.2
Reflexion auf der Meta-Ebene
129 ­ 131
5.3
Internetspezifische Gestaltungskriterien als zweifache
Qualitätsdimension im Online-Journalismus: Originalität
(Angebots- bzw. Kommunikatorebene) und Interaktion
(Rezipientenebene)
132 ­ 135
5.3.1
Hypertextualität, Multi-Optionalität und modulare
Inhaltsaufbereitung
135
5.3.1.1
Hypertextualität: Charakteristika und Begrifflichkeiten
135 ­ 138
5.3.1.2
Verstehensprobleme bei Hypertextstrukturen
138 ­ 140
5.3.1.3
Gestaltungsprinzipien auf der operationalen Ebene unter
dem Gesichtspunkt der Verstehensleistung
(Rezeptionsfokus)
140 ­ 149
5.3.1.4
Gestaltungsprinzipien auf der inhaltlichen Ebene unter dem
Gesichtspunkt der Originalität (Kommunikatorfokus)
149 ­ 156
5.3.2
Interaktivität
156
5.3.2.1
Definitionen
157 ­ 159
5.3.2.2
Interaktive Gestaltungselemente
159 ­ 170
5.3.3
Multimedialität (Hypermedialität)
170
5.3.3.1
Multimediale Elemente und ihre spezifischen
Problematiken
171 ­ 176
5.3.3.2
Multimedialität unter dem Aspekt von Originalität - zwei
Beispiele
176 ­ 181
5.3.4
Serviceleistungen
182
5.3.4.1
Serviceleistungen auf der journalistischen Inhaltsebene
182 ­ 183
5.3.4.2
Zusätzliche Serviceleistungen ­ Beispiel Süddeutsche
Zeitung
183 ­ 184
5.4
Weitere Elemente von Qualitätssicherung im Online-
185

Journalismus
5.4.1
Onlinespezifische Ethik-Kodices
185 ­ 189
5.4.2
User-Evaluierung
189 ­ 192
5.4.3
Ausbildung von Online-Journalisten (in Deutschland)
192 ­ 196
5.4.4
Online-Awards
196 ­ 200
6.
Schlussbemerkung: Muss qualitativ hochwertiger Online-
Journalismus kostenlos sein?
201 ­ 206
Anhang
Literaturverzeichnis
I ­ XIV
Weiterführende Links zu Online-Journalismus
XV ­ XVI
Erklärung
XVII

1
1. Einleitung
Ist Online-Journalismus tatsächlich ,,in der Abwärtsspirale"?
1
Neuberger stellt ihm jeden-
falls ,,zum Ausklang der Pionierzeit"
2
kein gutes Zeugnis aus: Er verliert seine Identität,
weil er im Web kaum noch von externer Unternehmenskommunikation (Pseudojournalis-
mus
3
) zu unterscheiden ist, die auf Redaktionen ohnehin verzichten kann. Parajournalis-
mus
4
auf nutzergenerierten Nachrichtenplattformen macht sich breit, ohne dass hier
journalistische Qualitätskriterien noch eine Rolle spielen. Journalistische Inhalte verkom-
men zur Ware, die je nach Verkaufsstrategie in diverse e-commerce-Angebote eingebettet
wird (Syndication). Die Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbung wird unter der
Prämisse eines Servicegedankens aufgehoben.
5
Der Blick auf ein Zukunftsszenario gestal-
tet sich daher bei Neuberger düster:
Der Journalismus wird im Internet verschwinden. Er wird mit den anderen Angeboten zu einer unter-
schiedslosen Masse verschmelzen. Übrig bleibt nur noch »Content«.
6
Immerhin betrachtet Neuberger diese Entwicklungen nicht als unumkehrbar.
7
Eine derart resignative Einschätzung ist jedoch keine Prämisse dieser Arbeit ­ im Gegen-
teil. Der Verlust der Monopolstellung des Journalismus im World Wide Web für dass Er-
reichen von (Internet)-Öffentlichkeit wird als Herausforderung betrachtet. Diese Arbeit
stellt daher ein Plädoyer dar, den ,,Kampf" um die knappen Aufmerksamkeiten in der On-
line-Kommunikation aufzunehmen. Dies kann aber nur Erfolg haben ­ und das ist der zent-
rale Ansatz dieser Arbeit ­ wenn aus dem Online-Journalismus, wie er sich derzeit
überwiegend präsentiert,
8
ein ,,Qualitätsjournalismus online" wird:
Ein Journalismus, der sich als Instanz für Verlässlichkeit im Web präsentiert und
sich somit von den multiplen ,,Content-Anbietern" abhebt.
Ein Journalismus, der angesichts zweifelhafter Informationsqualität aufgrund der
Fülle undimensionierter Daten und Fakten Glaubwürdigkeit im Web verkörpert und
dafür etablierte journalistische Qualitätskriterien nicht aufgibt und zudem neue, on-
linespezifische Qualitätskriterien beachtet.
1
Neuberger 2001b,
http://www.message-online.com/4_01/41_neuberg.htm
(4.12.2001).
2
Ebd.
3
Vgl. Kap. 2.3.1.2.
4
Vgl. Kap. 2.3.1.1.
5
Vgl. Neuberger 2001b.
6
Ebd.
7
Vgl. ebd.
8
Vgl. Kap. 5.1.

2
Ein Journalismus, der angesichts vollkommener Unübersichtlichkeit und sich täg-
lich potenzierender Informationsquantität Orientierung bietet und somit vom auto-
ritären Gatekeeper zu einer Selektionsinstanz wird, der sich Nutzer in der
berechtigten Überzeugung zuwenden, ,,Qualitätsware" zu erhalten.
Ein Journalismus, der die Möglichkeiten von Interaktivität ernst nimmt und eine
tatsächliche Rezipientenorientierung bietet.
Ein Journalismus, der originell und innovativ mit den internetspezifischen Gestal-
tungselementen agiert und gleichzeitig die Verstehensleistung der Rezipienten an-
gemessen berücksichtigt.
In dieser Arbeit wird daher versucht, einerseits für den Journalismus im Allgemeinen gel-
tende Qualitätskriterien für die Bedingungen des Online-Journalismus umzudeuten und
anderseits internetspezifische Qualitätskriterien im Besonderen aufzustellen. Weil hierzu
ein komplementäres Verständnis journalistischer Qualität
9
zu Grunde gelegt wird, geht es
im Ansatz dieser Arbeit nicht nur um die Produkt- bzw. Akteursebene, sondern auch um
diverse Möglichkeiten der Qualitätssicherung. Auch für diese Aspekte erfolgt ein Zugang,
der von Überlegungen zum Journalismus allgemein, zu onlinespezifischen Möglichkeiten
zur Sicherung journalistischer Qualität führt. Hierzu gehören onlinespezifische Ethik-
Kodices, Ausbildung, Online-Awards und Evaluierungskriterien für User, die eine Me-
dienkompetenz für das Internet verkörpern, die weit über die bloße Browsernutzung und
Handhabung von Suchmaschinen hinausreicht.
Nach einer notwendigen Definitionsarbeit im 2. Kapitel, bei der aus einer ,,pragmati-
schen" sowie einer systemtheoretischen Perspektive eine Bestimmung von Online-
Journalismus vorgenommen wird, geht es aber zuvor noch um die publizistische Rolle
von Online-Journalisten (Kapitel 3). Hier existieren diverse Zuschreibungen. Sind Online-
Journalisten redundant angesichts eines ,,Kommunikationsideals" im Internet? Ist jeder
Nutzer nicht auch schon Journalist? Oder existieren nicht doch Bedürfnisse für journalisti-
sche Tätigkeiten im Web? Aus der Kritik an diversen Rollenzuschreibungen wird in dieser
Arbeit eine Position entwickelt, die den Online-Journalisten als ,,optionalen Gatekeeper"
beschreibt. Optional deshalb, weil prinzipiell keine Webinformationen vorenthalten wer-
9
Vgl. Kap. 4.

3
den können, jedoch eine Dienstleistung im besten Wortsinn erbracht wird, die User nach
ihren jeweiligen Bedürfnissen nutzen können.
Dieser ,,Qualitätsjournalismus online" darf nicht nur, er muss sogar für sich werben
10
, um
Aufmerksamkeit im Web zu erlangen. Und weil ­ um ein bekanntes Sprichwort heranzu-
ziehen ­ ,,Qualität seinen Preis hat", geht es in der Schlussbetrachtung dieser Arbeit um ein
Tabu, nämlich um die Frage, ob Kostenlosigkeit für Journalismus im Web tatsächlich ein
Paradigma darstellen muss oder es nicht doch einen bestimmten Wert für diesen Qualitäts-
journalismus gibt, für den auch eine tatsächliche Zahlungsbereitschaft unterstellt werden
kann.
10
Vgl. Krzeminski/Ludes 1996, S. 278 - 281.

4
2. Online-Journalismus als publizistisches Segment im Internet: Definition(en),
Differenzierungen, Abgrenzungen
Es soll in diesem Kapitel darum gehen, Journalismus im Allgemeinen bzw. Online-
Journalismus im Besonderen aus einer theoretischen Perspektive näher zu definieren. Da-
bei wird sich zeigen, dass sich die Definitionsarbeit schwieriger gestaltet, als es zunächst
scheinen mag. Eine Aufarbeitung jahrzehntelanger Journalismusforschung kann hier nicht
geleistet werden, es geht aber darum, zumindest grundlegend zwischen personenzentrier-
ten und systemischen Auffassungen von Journalismus zu unterscheiden. Zu klären ist e-
benfalls, ob gängige Beschreibungen von Journalismus auch für Online-Journalismus noch
im gleichen Maße gelten, zum Beispiel bei Berücksichtigung des journalistischen Mono-
polverlusts zum Herstellen von Öffentlichkeit im Internet. Unter Berücksichtigung der
spezifischen Bedingungen der Online-Kommunikation soll daher Online-Journalismus von
Para- und Pseudojournalismus sowie aus systemischer Perspektive von journalismusnahen
Segmenten abgegrenzt werden.
2.1 Was ist Journalismus? Annäherungen an einen nur scheinbar einfach zu fassen-
den Begriff
Auf den ersten Blick erscheint eine Definition des Begriffs ,,Journalismus" nicht sonder-
lich kompliziert zu sein:
Haupt- oder Nebenberuf von Personen, die sich mit Sammeln, Sichten, Prüfen und Verbreiten von
Nachrichten oder mit der Kommentierung aktueller Ereignisse befassen.
11
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff ,,Journalist":
Es gibt verschiedene Berufsbezeichnungen für den Personenkreis, der hauptberuflich bei publizisti-
schen Medien tätig ist, indem er die Gestaltung aktueller Aussagen bestimmt, vornimmt oder an ihr
mitwirkt. [...] Das Wort Journalist deutet darauf hin, dass die so bezeichnete Person Umgang mit den
Tagesneuigkeiten hat [...].
12
Es fällt hierbei sofort auf, dass für die Termini ,,Journalismus" und ,,Journalist" nahezu i-
dentische Beschreibungen vorgenommen werden. ,,Journalismus" wird ebenso als Be-
rufsbezeichnung verwandt wie ,,Journalist". Diese exemplarischen Definitionen liefern
darüber hinaus die typisch-gängigen Merkmale, die dem Journalismus zugeschrieben wer-
den: Eine Tätigkeit für die Massenmedien in verschiedenen Formen, verbunden mit dem
hohen Stellenwert der Aktualität, die fast immer besonders herausgehoben wird. Es sind
11
Koszyk, Kurt; Pruys, Karl Hugo (Hrsg.) [1973]: dtv-Wörterbuch zur Publizistik. 3. Aufl. München: Deut-
scher Taschenbuch Verlag. S. 170.
12
Noelle-Neumann, Elisabeth; Schulz, Winfried [1974]: Publizistik. Frankfurt a. M. S. 56 f., zit. in
Scholl/Weischenberg 1998, S. 28.

5
personenzentrierte Journalismus-Begriffe, die laut Scholl/Weischenberg der Tradition ei-
ner normativ-ontologischen Publizistikwissenschaft entstammen, in der es primär um die
Herausstellung publizistischer Persönlichkeiten ging.
13
Die journalistische Leistung ist
nach diesem Ansatz eine reine Individual-Leistung autonomer Individuen; diese Auf-
fassung verfolgt nach Scholl/Weischenberg zugleich einen medienzentrierten Praktizis-
mus.
14
Auf den zweiten Blick erscheint ein solcher Journalismusbegriff aber doch recht dürftig
und zu kurz greifend, so dass eine Kritik von Weischenberg als gerechtfertigt erscheint:
Dieser Journalismusbegriff ­ der sich nicht nur in der journalistischen Praxis, sondern auch in Teilen
der zuständigen Wissenschaft gehalten hat ­ verkürzt die Funktionen des Systems Journalismus aber
auf das Tun und Lassen von Journalisten. [...] Doch diese ontologische Perspektive verstellt den Blick
auf die sozialen, rechtlichen, technologischen, politischen und ökonomischen Bedingungen, die je-
weils festlegen, was Journalismus ist und welche Folgen Journalismus hat. [...] Man kann ,,den Jour-
nalismus" deshalb auch nicht definitorisch festlegen, sondern muss die Normen, Strukturen,
Funktionen und Rollen, die für seine konkrete Existenz ausschlaggebend sind, im einzelnen ermit-
teln.
15
Mit dieser Kritik wird ein zweiter, gegenläufiger Ansatz zur personenzentrierten Journa-
lismusauffassung deutlich: Das Verständnis des Journalismus als System.
16
Hierzu sollen
nachfolgend einige grundsätzliche Überlegungen vorgenommen werden, um diesen sys-
temtheoretisch orientierten Ansatz zu verdeutlichen. Bei der Abgrenzung und Definition
von Online-Journalismus in Kapitel 2.3 wird dieser Ansatz dann noch einmal aufgegriffen,
um redaktionelles Handeln zu erhellen. Zudem ist das systemische Verständnis von J
nalismus Grundlage für die komplementäre Betrachtung journalistischer Qualität in den
Kapiteln vier und fünf dieser Arbeit.
our-
Genauer gesagt geht es hier um eine konstruktivistische Systemtheorie, die beispielsweise
die Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster konturiert und unter anderem
auch eine große Bedeutung für einen Teil der Medienforschung an der Universität Siegen
(LUMIS-Institut
17
) hat.
18
Bevor nun die Anwendung dieses Ansatzes auf den Journalismus
kurz skizziert werden soll, müssen einige grundsätzliche Annahmen geklärt werden:
13
Ein bedeutender Vertreter dieser Auffassung ist bspw. der Zeitungswissenschaftler Emil Dovifat. Vgl.
Scholl/Weischenberg 1998, S. 31 ­ 35.
14
Vgl. ebd., S. 27 ff.
15
Weischenberg 1994, S. 429.
16
Damit sind aber nur zwei rein grundsätzliche Auffassungen gekennzeichnet. Die Differenziertheit und die
diversen Strömungen jahrzehntelanger Journalismusforschung können hier nicht nachgezeichnet werden, da
sie Ansatz und Umfang dieser Arbeit in erheblichem Maß sprengen würden.
17
Das Institut wurde im Herbst 2001 in das neu gegründete ,,Institut für Medienforschung" der Universität
Siegen überführt.

6
Das ,,Basistheorem" des Konstruktivismus: Wirklichkeit ist nicht objektiv gegeben und wird von
Menschen als Abbild in deren kognitives System eingespeichert, sondern muss im Gegenteil jeweils
subjektiv konstruiert werden, was die Bedingung der Möglichkeit zu selektivem Verhalten bindend
voraussetzt. [...] Wirklichkeiten werden durch Kommunikation konstruiert, so dass hier relevante Se-
lektionsinstanzen zu suchen sind. Wenn Wirklichkeiten durch Kommunikation konstruiert werden und
zugleich auch Wirkungen durch Kommunikation hervorgerufen werden, dann müssen zwischen Wir-
kungen und Wirklichkeitskonstruktionen affine Relationen bestehen.
19
Es existiert demnach keine Realität ,,an sich", also ohne jemanden, der beobachtet. Wei-
schenberg treibt diesen Aspekt mit einem Wortspiel auf die Spitze:
Es sind aber Beobachter, die beobachten. Ihre Beobachtungen beruhen auf Unterscheidungen, die je-
weils nicht selbst mit beobachtet werden können, sondern nur in einer ,,Beobachtung zweiter Ord-
nung"[...].
20
Bezogen auf den Journalismus hat dieser Ansatz insofern grundlegende Bedeutung, als
somit die Möglichkeit relativiert wird, gewissermaßen über eine objektiv gegebene Wirk-
lichkeit zu berichten.
21
Weischenberg hebt jedoch hervor, dass es hier nicht um eine Auf-
gabe klassischer journalistischer Funktionen und Methoden geht:
Sie [gemeint sind die Journalisten; Anm. d. Verf.] müssen sich aber bewusst sein, dass ihre Produkte
sowohl das Ergebnis der Wahrnehmungsbedingungen des journalistischen Beobachters als auch der
Bedingungen sind, in deren Rahmen die journalistischen Beobachtungen zustande kommen. Auch
journalistische Beobachtung ist stets das Ergebnis von systemabhängigen Unterscheidungen. Dieser
Zusammenhang besitzt für die Auseinandersetzung mit dem modernen Journalismus besondere Be-
deutung; es handelt sich bei diesem Journalismus eben nicht um die Summe von journalistisch tätigen
Personen, sondern um ein komplex strukturiertes und mit anderen gesellschaftlichen Bereichen auf
vielfältige Weise vernetztes soziales System.
22
Scholl/Weischenberg heben hervor, dass dieses Systemverständnis nicht zur Auffassung
führen darf, dass gewissermaßen nur noch Systeme handeln. Die einzelnen Akteure (Jour-
nalisten) handeln und tragen auch Verantwortung, nur sind sie in soziale Prozesse einge-
bunden:
23
Journalistische Wirklichkeitskonstruktion ist zwar immer subjektabhängig, aber deshalb nicht willkür-
lich. Sie wird in einem permanenten sozialen Prozess mit anderen abgestimmt und durch intersubjek-
tive Vereinbarungen ­ gerade daran orientieren sich Medien und Journalisten ­ verbindlich.
24
Zentral für das systemische Verständnis ist daher, dass Journalismus nicht über das beruf-
liche Handeln einzelner Journalisten definiert wird, sondern über seine Funktionen in
und für Gesellschaften. Die Funktion des Systems Journalismus hat als erster Manfred
Rühl mit ,,Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation"
25
beschrieben. Auch Rühl geht dabei nicht von einer objektiv gegebenen Wirklichkeit aus:
18
Vgl. hierzu grundlegend z.B. Blöbaum 1994 sowie zusammenfassend Kap I. ,,Grundlagen der Medien-
kommunikation" in K. Merten et al. 1994 sowie Scholl/Weischenberg 1998.
19
Merten 1994, S. 309.
20
Weischenberg 1994, S. 427.
21
Vgl. Kap. 4.1.
22
Weischenberg 1994, S. 428.
23
Vgl. Scholl/Weischenberg 1998 S. 15 ­ 16.
24
Weischenberg 1995, S. 111.
25
Rühl, Manfred [1980]: Journalismus und Gesellschaft. Bestandsaufnahme und Theorie-Entwurf. Mainz. S.
319, zit. in. Scholl/Weischenberg 1998, S. 16.

7
Journalismus konstituiert in konkreten sozialen Situationen eine symbolische Wirklichkeit durch die
kontinuierliche Thematisierung bestimmter Ereignisse. Mit dieser Primärfunktion wird Journalismus
,,gesellschaftsfähig" in dem Sinne, als moderne Gesellschaftsordnungen zunehmend erkennen und an-
erkennen, dass für ihr Leben und Überleben journalistische Leistungen und Wirkungen unentbehrlich
geworden sind.
26
Im System Journalismus werden somit Themen aus den übrigen sozialen Systemen (im
systemtheoretischen Verständnis als Umwelt bezeichnet) selektiv aufgegriffen und bear-
beitet und dann der Umwelt wieder zur Verfügung gestellt. Altmeppen skizziert Journalis-
mus, bzw. Medien i.w.S. als autopoietische Systeme:
Medien sind operationell geschlossen, auf die Operationen und Entscheidungen im System kann aus
der Umwelt kein Einfluss genommen werden. Medien sind aber informationell offen. Das System
nimmt Informationen aus der Umwelt auf und verwertet diese Informationen bei seinen Operationen
und Entscheidungen. Und schließlich richten sich Medien nach einem eigenen Code, was bedeutet,
dass Medien ihre Entscheidungen anhand eines organisationsübergreifenden Entscheidungsmodus
treffen.
27
Dabei wird laut Rühl auch ein Aktualitätsprinzip verfolgt, was jedoch nicht nur rein zeit-
lich zu verstehen ist.
28
So werden zum Teil Berichterstattungsanlässe erzeugt, wenn diesen
Themen hohes Aufmerksamkeitspotenzial zugesprochen wird.
29
Im Gegensatz zur perso-
nenzentrierten Auffassung erfolgt auch die Betrachtung der journalistischen Leistung in ei-
nem systemischen Kontext, d.h. Journalismus ,,passiert" unter der Bedingung der schon
kurz erwähnten strukturellen Faktoren (Normen, Strukturen, Funktionen, Rollen), die letzt-
lich den Journalismus konstruieren und seine Identität stiften. Beispielhafte Faktoren sind
das jeweilige Mediensystem (in Deutschland bspw. das duale System im Bereich Fernse-
hen), Zwänge innerhalb der Medieninstitutionen (z.B. Redaktions- und Verlagspolitik) o-
der auch die persönlichen Einstellungen der Medienakteure.
30
Dies sind Beispiele für - im
systemtheoretischen Verständnis - journalistische Programme, auf die im Rahmen der De-
finition von Online-Journalismus noch kurz eingegangen wird.
Ein weiterer, wesentlicher Faktor, der die Handlungsweise des Systems Journalismus kon-
turiert, ist die Beziehung zum Publikum (Rezipienten):
Funktionaler Bestandteil des Systems ist auch das Medienpublikum, das Medienaussagen rezipiert
und verarbeitet. Diese Handlungen sind in vielfältiger Weise mit denen der Produzenten verknüpft,
zum Beispiel durch Abgleich von Kommunikationsabsichten der Journalisten und Kommunikations-
erwartungen der Rezipienten. [...] Denn erst durch Verarbeitungsprozesses ,,im Rezipienten" kann das
zustande kommen, was üblicherweise als ,,Medienfunktionen" ausgewiesen wird: Information, Bil-
dung, Unterhaltung.
31
26
Ebd. S. 325 zit. in Blöbaum 1994, S. 260.
27
Altmeppen 2000, S. 131.
28
Vgl. Kap. 5.2.2.
29
Vgl. Weischenberg 1994, S. 429 sowie Scholl/Weischenberg 1998, S. 17.
30
Vgl. Scholl/Weischenberg 1998, S. 28 ­ 29.
31
Weischenberg 1994, S. 430.

8
Die Gestaltung der Publikumsbeziehung unter den Bedingungen von Online-
Kommunikation ist in dieser Arbeit zudem noch ein elementarer Faktor der Qualität von
Online-Journalismus.
32
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach der konstruktivistischen Systemtheorie (in
der Interpretation von Weischenberg) für das System Journalismus vier Ebenen von Ein-
flussfaktoren existieren (Mediensystem, Medienakteure, Medieninstitutionen, Medienaus-
sagen), die hier nicht mehr im Detail dargestellt werden sollen. Diese Ebenen werden
jedoch noch in den Kapiteln 4.3.1 bis 4.3.5 bei den Dimensionen journalistischer Qualitäts-
sicherung behandelt und eine wichtige Rolle für ein komplementäres Verständnis j
listischer Qualität spielen.
ourna-
Einen Überblick bietet das folgende Schaubild, das von Scholl/Weischenberg als Sys-
tem/Umwelt-Paradigma
33
bezeichnet wird:
34
32
Vgl. hierzu insbesondere Kap. 5.2.3.1, 5.3.1 und 5.3.2.
33
Vgl. hierzu Scholl/Weischenberg 1998, S. 20 ­ 23 sowie Weischenberg 1994, S. 431 ­ 451.
34
Grafik aus Scholl/Weischenberg 1998, S. 21.

9
Journalistische Kompetenz
Ungeachtet einer eher personenzentrierten oder systemischen Betrachtungsweise geht es
im Journalismus um das Erbringen bestimmter Leistungen: Berufsspezifische Kompetenz
ist hierzu unabdingbar. Die Frage notwendiger Kompetenzen wird ebenfalls in den Kapi-
teln vier (für den Journalismus allgemein) und fünf (bezogen auf den Online-Journalismus)
noch eingehend behandelt.
Journalismus und Demokratie: Das klassische Verständnis seiner Funktionen
Die Leistung des Journalismus wird nach systemischem Verständnis von seiner Funktion
unterschieden. In demokratisch verfassten Gesellschaften werden dem Journalismus bzw.
den Massenmedien i.w.S. zentrale Funktionen zugewiesen, auf die nachfolgend kurz ein-
gegangen wird. Nach Chill/Meyn sind dies im einzelnen die
Informationsfunktion,
Mitwirkung an der Meinungsbildung sowie
Kontrolle und Kritik.
Neben diesen zentralen Funktionen gehören noch Bildung und Unterhaltung dazu.
35
Durch
die Informationsfunktion soll das öffentliche Geschehen für die Bürger transparent werden.
Die Berichterstattung soll sie in die Lage versetzen, wirtschaftliche, soziale und politische
Zusammenhänge zu verstehen. Nur indem die Intentionen und Handlungen der am politi-
schen Prozess Beteiligten deutlich werden, kann auch eine eigene Partizipation (z.B. als
Wähler) erfolgen. In diesem Verständnis ist auch die Meinungsbildungsfunktion elementar.
Mit Hilfe der Medien sollen Fragen von öffentlichem Interesse frei und offen erörtert wer-
den, um Entscheidungen für bestimmte Standpunkte zu ermöglichen. In diesem Zusam-
menhang ist eine viel diskutierte Frage, ob alle Interessengruppen angemessen zu Wort
kommen. Vertreter von vermeintlichen Minderheitsmeinungen in einer Gesellschaft for-
dern daher die Artikulationsfunktion der Medien ein, diese sollen zum Anwalt der Minder-
heiten werden, um auch diesen Meinungen eine Plattform zu bieten. Kritiker eines
,,anwaltschaftlichen" Journalismus argumentieren jedoch, dass somit Einzelinteressen un-
zulässigerweise in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt würden.
36
35
Vgl. Chill/Meyn 1998, http://www.bpb.de/info-franzis/info_260/i_260.html (22.11.2001).
36
Vgl. ebd.

10
Da in einer modernen, differenziert strukturierten Gesellschaft eine Vielzahl von mehr oder weniger
großen, zum Teil in Konkurrenz zueinander stehenden Interessengruppen existiert, gehört es auch zu
den Aufgaben der Massenmedien, diesen Meinungspluralismus in einem angemessenen Verhältnis
widerzuspiegeln.
37
In demokratischen Gesellschaften hat die parlamentarische Opposition die Aufgabe, die
Regierung zu kontrollieren. Die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien wird als Ergän-
zung betrachtet:
Ohne Presse, Hörfunk und Fernsehen, die Missstände aufspüren und durch ihre Berichte unter ande-
rem parlamentarische Anfragen und Untersuchungsausschüsse anregen, liefe die Demokratie Gefahr,
der Korruption oder der bürokratischen Willkür zu erliegen. Gegen den Einwand, Kritik könne dem
Ansehen des Gemeinwesens schaden, wird eingewandt: Nicht jene, die Mängel aufdecken, schaden
dem Staat, sondern all diejenigen, die für solche Missstände verantwortlich sind. Andererseits wird
argumentiert, die Kontrolle der Medien dürfe sich nicht auf den Staat beschränken, sondern müsse
sich auf die gesamte Gesellschaft erstrecken. Den Medien als Teil dieser Gesellschaft könne dabei
nicht zugestanden werden, eine Art eigenständige vierte Gewalt neben den Institutionen des demokra-
tischen Staates zu sein.
38
Scholl/Weischenberg relativieren allerdings diese klassischen Vorstellungen der journalis-
tischen Funktionen als zu idealisiert:
Traditionell wird dem Journalismus freilich ein Bündel von konkreteren Aufgabenzuweisungen mit
auf den Weg gegeben, die sich normativ aus allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, his-
torischen und rechtlichen Grundlagen sowie professionellen und ethischen Standards ableiten lassen.
Dazu zählen in erster Linie Information, Kritik und Kontrolle sowie (politische) Bildung und Erzie-
hung. Journalismus soll dadurch Orientierungs- und Integrationsleistungen erbringen. Insgesamt ist
jedoch, wie Produkt- und Wirkungsanalysen zeigen, eher daran zu zweifeln, dass diesen Aufgaben-
zuweisungen, die häufig als ,,Funktionen der Massenmedien" [...] bezeichnet wurden, die tatsächli-
chen Leistungen des Journalismus entsprechen. [...] Auf jeden Fall ist die Erfüllung dieser Aufgaben
abhängig von konkreten ökonomischen, organisatorischen, technischen und anderen Bedingungen, die
jeweils für den Journalismus insgesamt oder auch nur für Segmente des Journalismus ausschlagge-
bend sind.
39
Tatsächlich sei zum Beispiel in Deutschland die Ausübung der Funktion einer ,,Vierten
Gewalt" auf einige wenige Medien (bspw. ,,Spiegel") beschränkt.
40
Dass diese Funktionen nicht vom Journalismus in seiner Gesamtheit erfüllt werden, recht-
fertigt aus meiner Sicht jedoch nicht das pauschale Negativ-Urteil. Betrachtet man die Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland, so hat der Journalismus regelmäßig seine
Kontrollfunktion ausgeübt. Immer wieder kommt es zu erheblichen Leistungen durch in-
vestigativen Journalismus (jüngstes Beispiel CDU-Spendenaffäre). Gerade bei diesem ak-
tuellen Beispiel waren diverse Medien beteiligt (Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter
Rundschau, verschiedene ARD-Nachrichtenmagazine, ZDF-Frontal). Hilfreicher wäre hier
eine Diskussion darüber, wie die von Scholl/Weischenberg angesprochenen Rahmenbe-
dingungen das Erbringen gesellschaftlicher Leistungen (besser) ermöglichen können. Kon-
37
Ebd.
38
Ebd.
39
Scholl/Weischenberg 1998, S. 29.
40
Vgl. ebd. S. 29.

11
turen hierzu ergeben sich aus der Betrachtung der infrastrukturellen Voraussetzungen für
journalistische Qualität in Kapitel 4.
Eine ausführliche Kritik von Journalismus-Konzepten und seinen Funktionen würde eine
eigene Thematik begründen und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Es
sollte aber prinzipiell deutlich geworden sein, dass Journalismus mit einer lexikalisch-
knappen Definition nicht ausreichend beschrieben werden kann. Für die Beschreibung des
Journalismus unter Internetbedingungen reicht die Definitionsarbeit jedoch noch nicht aus.
Hierzu muss vor allem die Perspektive der ,,User" mit einbezogen werden. Denn es geht
nicht mehr nur um Rezeptionserwartungen in einem eher passiven Rollenverständnis, son-
dern um die Frage nach den Auswirkungen für den Journalismus, wenn Rezipienten selbst
zu Kommunikatoren werden. Welche Rolle hierbei der Journalismus einnehmen kann -
und aus meiner Sicht sogar muss - ist noch ein wesentlicher Bestandteil in den Betrach-
tungen dieser Arbeit. Bei der systemtheoretisch abgeleiteten Definition von Online-
Journalismus
41
soll zudem noch deutlich werden, dass zwar einige hilfreiche Abgrenzun-
gen vorgenommen werden können, das Festhalten an einem ausschließlich auf die traditi-
onellen Medien ausgerichteten Systemverständnis - zumindest in der hier vorgestellten
Position - jedoch gleichzeitig das Ausbilden eines eigenständigen Online-Journalismus e-
her behindert.
2.2 Exkurs: Journalisten als Gatekeeper
In diesem Exkurs sollen Ansatz und Entwicklung des Verständnisses journalistischer Ga-
tekeeper kurz beleuchtet werden. Dies ist erforderlich, weil in Kapitel drei dieser Arbeit
mit der Rollenbeschreibung eines ,,optionalen Gatekeepers" eine Umdeutung des klassi-
schen Gatekeeper-Verständnisses vorgenommen wird, um eine mögliche Aufgabe von On-
line-Journalisten zu beschreiben.
Der Gatekeeper-Ansatz aus der empirischen Journalismusforschung in den USA hat aber
seinen Ursprung in einem ganz anderen Kontext. Der Terminus Gatekeeper (Schleusen-
wärter, Pförtner) stammt von dem Sozialpsychologen Kurt Lewin, der in den 40er Jahren
das Einkaufsverhalten nordamerikanischer Hausfrauen untersucht hat. Er wollte herausfin-
den, wie der selektive Vorgang des Einkaufens ursächlich die Ernährungsgewohnheiten
der jeweiligen Familien bestimmt.
41
Vgl. Kap. 2.3.2.

12
In den Befunden sah Lewin eine Bestätigung für seine Theorie, wonach in formalisierten Institutionen
jeder Art soziale und ökonomische Kanäle existieren, in denen es Veränderungen auf Grund von Ent-
scheidungen an bestimmten Stellen gibt; diese Stellen nannte er Pforten.
42
In einem 1943 veröffentlichten Aufsatz nahm Lewin Generalisierungen seiner Untersu-
chung vor und wies unter anderem auf das Anwendungsbeispiel von Nachrichten hin, die
ihren Weg durch Kommunikationskanäle nehmen. Dies führte dazu, dass sich Kommuni-
kationswissenschaftler für Lewins Ansatz interessierten. David Manning White führte die
Gatekeeping-Theorie als erster in die Kommunikationswissenschaft ein, indem er das
Konzept auf die Nachrichtenauswahl übertrug. White untersuchte den Weg vom Ereignis
bis zum Rezipienten. Als Gatekeeper fungiert dabei zunächst der Agentur-Korrespondent,
der über die Weitergabe an seine Redaktion entscheidet, in der Nachrichtenagentur ent-
scheiden wiederum verschiedene Instanzen über Aufnahme und Bearbeitung der Nach-
richt, bis sie schließlich an die Zeitungsredaktion weitergegeben wird. Und hier sitzt nach
Whites Ansicht der entscheidende Gatekeeper, der darüber bestimmt, ob die Nachricht in
der Zeitung erscheint oder nicht und auf welcher Seite und in welcher Aufmachung sie
platziert wird. Konkret untersuchte er die Arbeit eines für die Bearbeitung von Agentur-
meldungen zuständigen Nachrichtenredakteurs (,,Mr. Gates") einer Morgenzeitung im
Westen der USA:
43
Die Auswahl des Mr. Gates erwies sich Whites Befunden zufolge als hochgradig subjektiv. Der Re-
dakteur vertraute nur auf sein ganz persönliches Urteil. Seine Selektionskriterien waren äußerst vage:
Bestimmte Ereignisse wurden als nicht veröffentlichungswert kategorisiert; zum selben Ereignis wur-
de eine Fassung aus mehreren ausgewählt, wobei objektivierbare Kriterien für die Negativauswahl of-
fenbar fehlten. [...] Sein Bild vom Leser war genauso vage wie sein Selektionsprogramm. Aber er
wollte durchaus sein Publikum zufrieden stellen und Nachrichten auswählen, von denen er annahm,
dass seine Leser sie wünschten. Als Basiskriterien für die Selektion von Nachrichten nannte er Klar-
heit, Prägnanz und die in der Nachricht vorzufindende Auffassung vom Ereignis sowie die Länge der
Story.
44
Whites Schlussfolgerung, dass der Nachrichtenredakteur unabhängig entscheidet und aus
einer rein subjektiven Perspektive dem Publikum nur das anbietet, was er selbst als
,,wahr" erachtet, deckt sich jedoch nicht mit dem ursprünglichen Ansatz von Lewin, der
ausdrücklich von Gruppenentscheidungen in einem strukturellen Umfeld ausging.
45
Wei-
schenberg sieht daher in Whites Ansatz eine erhebliche Einschränkung für die Allgemein-
gültigkeit. Zum einen weil die geringe Redaktionsgröße einer ländlichen Zeitung eine sehr
spezifische Organisationsform darstellt, zum andern habe White nicht begründet, warum er
42
Weischenberg 1992, S. 305.
43
Vgl. ebd. S. 305 ­ 306.
44
Ebd. S. 306 ­ 307.
45
Vgl. Scholl/Weischenberg 1998, S. 40.

13
den Gatekeepern an den vorderen Stellen im Kommunikationsfluss, die ja entscheidende
Vorselektionen vornehmen, nur eine untergeordnete Bedeutung zuwies.
46
Die Organisationsstruktur in Zeitungsredaktionen berücksichtigte Warren Breed in seiner
Dissertation, in der er die Arbeit von 120 Journalisten untersuchte. Ihm ging es um die
Frage, warum sich eine spezifische Zeitungspolitik durchsetzt, obwohl die Journalisten ei-
gentlich übergeordnete Berufsnormen verfolgen müssten. Breed betonte einen Prozess der
beruflichen Sozialisation, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Redakteure primär
an Arbeitskollegen und innerredaktionellen Gegebenheiten orientieren, um sich problemlos
in den Redaktionsablauf zu integrieren. Auf institutionelle Zwänge innerhalb von Zei-
tungsredaktionen wies auch Walter Gieber hin, der 1956 die Nachrichtenredaktionen von
16 Tageszeitungen in Wisconsin untersuchte. Im Gegensatz zu Whites Überhöhung der
Redakteursrolle, konzedierte Gieber den Redakteuren eine eher passive Funktion im Rah-
men der Informationsselektion:
47
Für Nachrichtenredakteure sind die mechanischen Zwänge der Arbeit wichtiger als Bedeutung und
Wirkung der Nachrichten selbst; die Werte des Chefs werden akzeptiert und verinnerlicht. Die Repor-
ter nehmen die Nachrichtenpolitik als Teil der bürokratischen Struktur hin. Der Nachrichtenredakteur
hat nur vage Vorstellungen vom Publikum und kann daher mit ihm nicht wirklich kommunizieren.
48
Die Untersuchungen von Breed und Gieber bildeten den Ausgangspunkt für eine Fülle von
weiteren Gatekeeper-Studien, in denen es primär um Auswahl- und Bearbeitungsprozesses
in Redaktionen ging, zum einen unter Berücksichtigung der bürokratischen Strukturen und
der Sozialisation, zum andern unter Beachtung professionsspezifischer Kriterien, bspw. der
,,Nachrichtenwerte",
49
als Prämisse für Informationsselektion. Dies kann im Rahmen die-
ser Arbeit im einzelnen nicht nachgezeichnet werden. Auf die Bedeutung redaktioneller
Entscheidungsprogramme als standardisierte Mechanismen im Sinne der Systemtheorie
wird allerdings noch in Kapitel 2.3.1 eingegangen.
Das Verständnis von Gatekeeping im Sinne eines komplexen Prozesses mit einer Fülle von
selektionssteuernden Bedingungen führte in den 70er Jahren zu Forschungsansätzen der
Kybernetik. So untersuchten Bailey und Lichte zum Beispiel den Entscheidungsprozess für
die Ausstrahlung eines NBC-Films aus dem Jahr 1968, in dem es unter anderem um die
Exekution eines Vietkong-Offiziers durch die südvietnamesische Polizei ging. Bailey und
46
Vgl. Weischenberg 1992, S. 307.
47
Vgl. ebd. S. 307 ­ 308.
48
Ebd. S. 308 ­ 309.
49
Vgl. exemplarisch Ruhrmann, Georg: Ereignis, Nachricht und Rezipient. In: K. Merten et al. 1994. S. 237
­ 243.

14
Lichte führten ein ganzes Netz von Einflussfaktoren zur Ausstrahlungsentscheidung an und
stellten fest, dass nicht einzelnen Personen zentrale Gatekeeper-Funktionen zuzuordnen
waren, sondern:
50
,,The organization was the gatekeeper."
51
Die heutige Gatekeeper-Forschung geht von standardisierten und routinierten Prozessen
der Informationsselektion in Redaktionen aus, es stehen daher nicht mehr Personen im
Mittelpunkt des Interesses, sondern Institutionen mit ihren jeweiligen Einflussfaktoren und
Entscheidungsmustern. Geprägt von einer systemtheoretischen Perspektive definiert Dern-
bach daher eine institutionelle Vorstellung von Gatekeeping wie folgt:
Heute gelten Organisationen bzw. organisierte Redaktionen als Gatekeeper, die nach standardisierten
Mustern Nachrichten zur Bearbeitung und Verbreitung in und für eine spezifische Umwelt (publizisti-
sche Öffentlichkeit bzw. spezifisches Publikum) auswählen.
52
2.3 Was ist Online-Journalismus?
Die Definitionsarbeit für Online-Journalismus erscheint wiederum zunächst recht einfach
zu sein:
It is defined as gathering and distributing news content exclusively on the Internet and seen here con-
ceptually as a fourth kind of journalism next to print, radio and television journalism with its own spe-
cific journalistic characteristics.
53
Zu Grunde liegt die traditionelle Vorstellung einer Massenkommunikation, bei der profes-
sionelle Kommunikatoren Informationsangebote
54
an ein disperses Publikum (Rezipien-
ten) machen. Dies stellt sich für das Internet jedoch komplexer dar. Online-
Kommunikation vereint asymmetrische und symmetrische Kommunikation sowie one-to-
one-, one-to-few- und one-to-many-Kommunikation. Bei paralleler Nutzung verschiedener
Internetmodi treten diese Kommunikationsformen sogar zeitgleich auf. Man kann deshalb
50
Vgl. Scholl/Weischenberg 1998, S. 41.
51
Bailey, George A.; Lichty, Lawrence [1972]: Rough justice on a Saigon street, Journalism Quarterly, 42, S.
229, zit. in Scholl/Weischenberg 1998, S. 41.
52
Dernbach 1998, S. 55.
53
Yeshua/Deuze 2000,
http://home.pscw.uva.nl/deuze/publ15.htm
(22.12.2001).
54
Dieser Terminus wurde bewusst anstelle des singulären Begriffs ,,Information" gewählt. Es soll nämlich
deutlich werden, dass in dieser Arbeit grundsätzlich nicht von einem Kommunikationsverständnis ausgegan-
gen wird, bei dem unversehrte Stimuli auf Rezipienten ,,treffen" (Container-Metapher bzw. Stimulus-
Response-Modell), da dies in der Kommunikationswissenschaft seit längerem als nicht mehr haltbar erachtet
wird. Vielmehr wird von Rezipienten ausgegangen, die selektiv handeln, wobei externe Faktoren (öffentliche
Meinung etc.) und interne Faktoren (pers. Einstellungen, Rezeptionserwartungen usf.) eine wichtige Rolle
spielen. Für dieses konstruktivistische Kommunikationsverständnis vgl. exemplarisch: Merten, Klaus [1995]:
Konstruktivismus in der Wirkungsforschung. In: Empirische Literatur- und Medienforschung. Beobachtet
aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des LUMIS-Instituts 1994. Hrsg.: S.J. Schmidt. Siegen: Universität
Siegen. S. 72 ­ 86 (= LUMIS-Schriften Sonderreihe; Bd. VII).

15
beim Internet von einem Hybrid-Medium
55
sprechen. Die Schwierigkeit der Definition von
Online-Kommunikation aufgrund der Verschiedenartigkeit der Kommunikationssituatio-
nen verdeutlicht Quandt:
Nutzer können in derselben Nutzungssession E-Mails empfangen, selbst eine E-Mail schreiben, auf
Informationssuche gehen oder ungezielt im Internet surfen (also das WWW nutzen), zwischendurch
,,chatten", um dann abschließend Daten von FTP-Servern herunterzuladen. Zudem gibt es große
Grauzonen zwischen den Diensten: WWW-Seiten ermöglichen teilweise E-Mail-Funktionalität, integ-
rieren Chat-Rooms oder eröffnen Download-Möglichkeiten. Was ist hier noch Massen-, was Indivi-
dualkommunikation ­ und was kann man gar nicht mehr als Kommunikation bezeichnen?
56
In der Kommunikationswissenschaft sind verschiedene Ansätze unternommen worden, die
Kommunikationssituation im Internet sinnvoll zu definieren. Ein Ansatz soll hier kurz
skizziert werden. Rössler schlägt vor, von einem Kommunikationsraum zu sprechen, in
dem verschiedene Kommunikationsmodi gebraucht werden. Dabei hebt er weniger auf die
üblichen technischen Unterscheidungen ab, sondern rekurriert auf den Gebrauch der Modi
sowie ihren medialen und soziokulturellen Charakter. Hier unterscheidet er die Dimensio-
nen Individualität, Interaktivität und Medialität und weist jedem Modus unterschiedliche
Potenziale zu. Das World Wide Web hat nach dieser Auffassung zum Beispiel nur ein ge-
ringes Potenzial zur Individualität von Kommunikation, verfügt aber in hohem Maß über
(Multi)Medialität.
57
Damit ist zwar ­ wie Quandt anmerkt ­ keine exakte Grenzziehung
möglich, dies spiegelt aber zugleich auch die tatsächliche Nutzungssituation wider. Die
Kommunikationswissenschaft muss sich also vorerst damit begnügen, dass es nicht mög-
lich ist das Internet mit einer Definition zu beschreiben und muss zugleich akzeptieren,
dass hier die verschiedensten Formen von Individual-, Gruppen- und Massenkommunika-
tion möglich werden.
58
Loosen/Weischenberg konstatieren daher aus meiner Sicht treffend:
Computervermittelte Kommunikation kann sowohl Qualitäten der interpersonalen als auch der Mas-
senkommunikation aufweisen. Allerdings verschwinden damit nicht die Grenzen zwischen diesen
Kommunikationsmodi, nur weil sie alle im Internet realisiert werden können. Sie lassen sich nur
leichter überschreiten. [Hervorhebung durch den Verf.]
59
Wie Quandt bemerkt, wird im Zusammenhang mit dem Internet häufig von der vollkom-
menen Auflösung der Kommunikator-Rezipient-Beziehung gesprochen, jeder Sender ist
demnach auch gleichzeitig Empfänger. Dies trifft in dieser totalen Vereinfachung zwar
nicht zu, weil dabei zum Beispiel intentionale Aspekte außer Acht gelassen werden, hat
55
Dies ist jedoch nur eine der Wortschöpfungen, mit der Kommunikationswissenschaftler eine griffige Be-
zeichnung für das Internet suchen. Quandt listet exemplarisch noch ,,Netz-Medium", ,,Telematik" oder ,,Me-
diamatik" auf, vgl. Quandt 2000a, S. 488.
56
Quandt 2000a, S. 488.
57
Vgl. Rössler, Patrick [1998]: Online-Kommunikation. Beiträge zur Nutzung und Wirkung. Wiesbaden,
Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 28 ­ 37, zit. in Quandt 2000a, S. 490 ­ 491.
58
Vgl. Quandt 2000a, S. 491 ­ 492.
59
Loosen/Weischenberg 2000, S. 91.

16
aber zum Teil zu idealisierten Vorstellungen ,,neuer Öffentlichkeiten"
60
geführt und zur
Frage, ob denn Journalismus überhaupt noch Sinn macht, wenn Informationen ohnehin für
jedermann frei zugänglich sind und mit geringem Aufwand publiziert werden können.
61
Die Frage zur Positionierung und zum Sinn von Journalismus im Internet wird daher aus-
führlich im folgenden Kapitel 3 erörtert.
Es soll unter der Fragestellung dieses Abschnitts darum gehen, zwischen der publizisti-
schen Vielfalt im Internet zu differenzieren und zu klären, was angesichts der viel zitierten
Metapher einer informationellen Überflutung überhaupt als Journalismus bezeichnet wer-
den kann. Wie dieser Journalismus im Internet gegenwärtig in seiner konkreten
Gestaltungsform aussieht und wie er unter Beachtung qualitativer Aspekte aussehen
könnte, ist dann ausführlicher Gegenstand von Kapitel 5.
2.3.1 Abgrenzungen und Differenzierungen von Para- und Pseudojournalismus
(pragmatisch orientierter Ansatz)
Die eingangs beschriebene Kommunikationssituation im Internet hat den wesentlichen
Hintergrund einer sehr niedrigen Publikationsschwelle. Während die Produktion von In-
formationsangeboten in den klassischen Medien an hohe Investitionskosten für Druck-,
Sende- und/oder Übertragungstechnik gebunden ist, reduziert sich dies im Internet auf ein
Minimum. Zumindest aus technisch-ökonomischer Sicht ­ einmal ungeachtet etwaiger
kognitiver oder intentionaler Hürden ­ reicht ein PC mit Internetzugang aus, um im Web
zu publizieren.
Prinzipiell haben die klassischen Medien damit ihre Monopolstellung für die Verbreitung
von Informationen und das Herstellen von Öffentlichkeit verloren. Das ,,Herstellen und
Bereitstellen von Themen zur öffentlichen Kommunikation"
62
als Rühls Primärfunktion
des Journalismus bleibt diesem unter Internetbedingungen nicht mehr allein vorbehalten.
Diese Funktion nehmen ­ vor allem im WWW ­ auch User und andere Anbieter wahr.
Dies soll nachfolgend verdeutlicht werden.
60
Vgl. Kap. 3.4.1.3.
61
Vgl. Quandt 2000a, S. 492 f.
62
Vgl. Kap. 2.1.

17
2.3.1.1 Parajournalismus
Als ,,Parajournalismus"
63
bezeichnet Neuberger ,,öffentliche Laienkommunikation"
64
bzw.
,,nutzergenerierten Content".
65
Hierzu rechnet er insbesondere die Plattformen im WWW
(z.B. ,,shortnews.de", ,,dooyoo"), die jedem User Raum für selbst verfasste ,,Meldungen"
geben.
66
Übergeordnete Instanzen oder redaktionelle Bearbeitungen fehlen.
67
Professio-
nelle journalistische Kriterien werden durch Eigeninitiative und Selbstkontrollen innerhalb
dieser Gemeinschaftsprojekte ersetzt, Neuberger spricht daher auch von einem ,,peer-to-
peer-Journalismus"
68
, also einer ,,Öffentlichen Kommunikation unter Gleichen".
69
Das
Angebot ,,shortnews.de" sieht sich daher als eine als News-Community. Laut Selbstdarstel-
lung liefern ,,mehrere tausend Web-Reporter seriöse, aktuelle und unterhaltsame Nachrich-
ten aus aller Welt".
70
Eine besondere Qualifikation um ,,Web-Reporter" zu werden ist
dabei offensichtlich nicht erforderlich. Zur ,,Bewahrung der hohen Qualität"
71
der ,,Nach-
richten" kann jeder User Bewertungen abgeben. Ob aber tatsächlich Informations- oder
Wahrheitsgehalt und damit letztlich auch die Brauchbarkeit dieser ,,Nachrichten" sinnvoll
überprüft werden können, darf zumindest bezweifelt werden.
Die Websites von Privatpersonen, Verbänden, Interessengruppen und Parteien, die eine
große Gruppe innerhalb der Vielfalt des World Wide Web darstellen, dienen in der Regel
offenkundig der Selbstdarstellung bzw. dem Gewinnen von Interessenten oder Wählern
und dürften überwiegend nicht ,,Gefahr laufen", mit Journalismus verwechselt zu wer-
den.
72
Daneben existieren aber auch Angebote, die sich ­ beispielsweise durch den Zusatz
,,Zeitung" ­ als Journalismus deklarieren (möchten). Dies wird bereits allein dadurch er-
leichtert, dass die Verwendung des Begriffs ,,Journalist" an keinerlei Voraussetzungen ge-
knüpft ist:
63
Neuberger 2000a, S. 310.
64
Der Begriff ,,Laie" wird von Neuberger nicht weiter erläutert, es erscheint aber plausibel, hierunter das
Fehlen journalistischer Kompetenz im weitesten Sinne zu verstehen. Es fehlt also entweder eine journalis-
tische Ausbildung (z.B. Volontariat) oder es fehlen vergleichbare Kenntnisse, die z.B. an einer Journalisten-
schule, einem (medien)wissenschaftlichen Studium, freier Mitarbeit o.ä. erworben wurden.
65
Neuberger 2001b,
http://www.message-online.com/4_01/41_neuberg.htm
(4.12.2001).
66
Vgl. ebd.
67
Dies ist aus meiner Sicht ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber freien Mitarbeitern oder Prak-
tikanten, die zum Teil auch ohne explizit journalistische Ausbildung (im weitesten Sinne) zum Beispiel für
Lokalzeitungen oder den Hörfunk tätig sind. Denn hier erfolgt noch eine Be- oder Überarbeitung durch Re-
dakteure.
68
Neuberger 2001b.
69
Ebd.
70
Vgl.
http://www.shortnews.de/
71
Ebd.
72
Vgl. auch die Untersuchung von Rössler in Kap. 3.4.1.

18
Journalist kann sich nennen, wer Lust dazu hat. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt; es gibt
kein gültiges Berufsbild, keine Mindestvoraussetzung der Qualifikation, nichts.
73
Dies soll an zwei Beispielen exemplifiziert werden: Unter der Bezeichnung ,,Bruchshecke
News Network"
74
existiert zum Beispiel das Webangebot der Familie Kalteich aus Freu-
denberg-Oberheuslingen. Drei Familienmitglieder betätigen sich laut Impressum als ,,Re-
daktion" und stellen ortsteilbezogene Lokal-,,Nachrichten" online. Zum größten Teil
werden die Beiträge selbst verfasst, zum Teil erfolgen Übernahmen einer lokalen Tageszei-
tung, dieser werden auch entsprechend deklariert. Der journalistische Anstrich soll offen-
bar durch die Übernahme des CNN-Logos untermauert werden, wobei das ,,C" im Logo
durch ein ,,B" ersetzt wurde.
Als ,,erste Tageszeitung in Deutschland, die nur im Internet erscheint"
75
deklariert sich der
,,Regioblick" aus Aachen. Die Intention ist primär das Verbreiten lokaler Nachrichten. Ü-
ber die Qualität des Inhalts können hier keine Ausführungen gemacht werden, da der Auf-
ruf von Artikeln nur mit kostenpflichtiger Anmeldung möglich ist. Finanziert wird der
Regioblick durch eine Abo-Gebühr (5 Euro im Monat oder 2 Euro für 10 Tage), d.h. die
Artikel sind passwortgeschützt. Interessant gestaltet sich ein Blick auf das Impressum. Alle
Mitarbeiter werden als Redakteure bezeichnet, obwohl in den selbst verfassten Lebensläu-
fen der Mitarbeiter durchweg keine originär journalistische Ausbildung zu verzeichnen ist.
Laut Herausgeber Dieter Cohnen ist eine journalistische Qualifikation für die Mitarbeit
auch nicht erforderlich:
Jede/r hat die Chance, Journalist/in zu sein. Wir bieten die Möglichkeit, es unter Beweis zu stellen.
76
Diesen Ansatz spiegelt auch der nachfolgende Auszug aus dem Impressum wider:
Unser Anspruch ist vor allem "Echt sein, aus dem Bauch heraus schreiben, die Region so beschreiben,
wie sie ist" - und nicht, wie sie gerne von dem ein oder anderem [sic!] Politiker oder Ortprominenten
gesehen werden soll. Das ist nicht ständig Kritik über, das ist beschreiben... Ihre Heimat, Ihre Umge-
bung, in der Sie leben und aus der Sie bestimmt umfassender berichten können, als irgendjemand, der
oder die nur zum Berichterstatten mal vorbeikommt. Ihre Voraussetzungen: Lust am Schreiben,
die Fähigkeit, verständlich zu formulieren, die Wahrheit wiederzugeben und ganz wichtig - Ihre
Zuverlässigkeit. [Hervorhebung durch den Verf.] Denn wer bei RegioBLICK mitmacht, geht eine
Verpflichtung ein... Unseren Lesern spannende und interessante Informationen aus erster Hand zu lie-
fern. Der Haken: Die Mitarbeit bei RegioBLICK wird derzeit (leider) noch nicht in Geld entlohnt.
77
73
von La Roche, Walter [1997]: Einführung in den praktischen Journalismus. Mit genauer Beschreibung al-
ler Ausbildungswege. 14. neubearb. Aufl. München, Leipzig: List. S. 17.
74
Vgl.
http://www.kalteich.de/
(17.11.2001).
75
Vgl.
http://www.regioblick.de/
(17.11.2001).
76
E-Mail des Herausgebers als Antwort auf eine Anfrage d. Verf. E-Mail liegt dem Verf. vor.
77
http://www.regioblick.de/
(17.11.2001). [Kleine Honorare sind aber laut Herausgeber für die Zukunft ge-
plant; Anm. d. Verf.]

19
Neuberger sieht im Parajournalismus ­ in seinem eher pragmatischen Ansatz ­ das Haupt-
problem im ungenügenden Einhalten journalistischer Standards.
78
Aus diesem Grund kön-
nen aus meiner Sicht auch Formen eines ,,Borderline-Journalismus"
79
unter
Parajournalismus subsumiert werden:
Inbegriff dieses »Borderline«-Journalismus ist Matt Drudge, der berühmt wurde, weil er in der Nacht
vom 17. auf den 18. Januar 1998 eine unbestätigte Meldung in seinem Online-Magazin Drudge Re-
port veröffentlichte und damit die Lewinsky-Affäre in den USA auslöste. Er gehört zu jenen neuen
Anbietern im Internet, bei denen zweifelhaft ist, ob sie über ein journalistisches Selbstverständnis ver-
fügen. In seinem »Drudge Manifesto« (2000) feiert er jedenfalls die grenzenlose Freiheit der »Zeroes«
(Nullen), die sich aus den Fesseln des Journalismus befreit haben. Dem Drudge Report eifert in
Deutschland die Boulevardsite »Thema1.de« nach.
80
2.3.1.2 Pseudojournalismus
Pseudojournalismus liegt nach Neuberger vor, wenn externe Unternehmenskommunikation
im Web den Anschein von Journalismus erweckt.
81
Auch Unternehmen erhalten ja via In-
ternet einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit. Eine reine Selbstdarstellung erscheint da-
bei jedoch nicht sonderlich attraktiv. Nach einer Pionierphase mit dem bekannten Motto
,,Wir sind auch im Internet" geht es nun um sinnvolle Generierung von Inhalten für die ex-
terne Unternehmenskommunikation. Um Aufmerksamkeitspotenziale zu entfalten, ist ein
spezifischer Mehrwert erforderlich. Redaktionelle Inhalte können hier eine Art Lockvogel-
Funktion erfüllen, in dem sie für ,,Traffic"
82
sorgen und ein konsumfreundliches Umfeld
schaffen. Dies ist vor allem für den Bereich e-commerce interessant, da hier unmittelbar
Kaufentscheidungen online getroffen werden können. Exklusive redaktionelle Inhalte stel-
len aber zugleich auch einen Imagegewinn dar. Wie Neuberger anmerkt, ändern sich im In-
ternet die Grenzen zwischen relevanten Märkten im Vergleich zu den traditionellen
Massenmedien.
83
Der schon beschriebene Monopolverlust für öffentliche Kommunikation bedingt nämlich
nicht nur Marktkonkurrenz zwischen etablierten Medienanbietern, hinzu kommen Unter-
nehmen, die verstärkt Mehrfachstrategien verfolgen und auf ,,Content" (mittlerweile ein
neudeutsches Modewort) setzen.
84
So treten führende Internet-Provider (wie T-Online)
78
Vgl. Neuberger 2001b.
79
Ebd.
80
Ebd.
81
Vgl. ebd.
82
Damit ist das Erzielen einer hohen Zugriffsrate auf Webangebote gemeint.
83
Vgl. Neuberger 2000b, S. 27.
84
Zu den Strategien der klassischen Medien bzgl. des Internet vgl. ,,Status Quo" in Kap. 5.

20
längst nicht mehr als reine Anbieter von Internetzugängen auf, sondern liefern auf ihren
Portalen umfangreiche redaktionelle Inhalte zu einer Fülle von Themen.
85
Zu beobachten
sind auch Verflechtungen und Kooperationen. So bieten Suchportale wie ,,Web.de" oder
,,Dino-Online" neben ihrer eigentlichen Funktion als Suchmaschine auch Nachrichten an.
Hierauf wird an späterer Stelle unter dem Aspekt ,,Syndication" noch kurz eingegangen.
Darüber hinaus ist eine bunte Fülle von Entertainment (z.B. Gewinnspiele), Service (z. B.
Handytarife) und e-commerce im Angebot. Direktbanken (z.B. Consors, Comdirect) war-
ten zum Beispiel mit umfangreichen Wirtschaftsdaten auf.
86
Gerade bei den Finanzsites e-
xistieren nach Neuberger spezifische Problematiken. So sind durch Recherchen der
Zeitschrift Net-Business Interessenverflechtungen von Finanzsites mit Fondsgesellschaften
und Emissionshäusern offengelegt worden, die sich zum Beispiel im Deklarieren von Fir-
menmeldungen als redaktionelle Beiträge äußerten.
87
Diese ,,Scheinformen des Journalismus im Netz"
88
stellen nach Neuberger eine Entwick-
lung in der Webpublizistik dar, die an Bedeutung zu gewinnen scheint:
Insgesamt kann man eine Annäherung zwischen Journalismus und externer Unternehmenskommuni-
kation im Internet beobachten. Die Unternehmen suchen über das Internet einen direkten Kontakt zu
ihren Kunden. Anlass für die Online-Nutzer, aus der Angebotsfülle eine ganz bestimmte Unterneh-
mens-Site auszuwählen, kann ein Mehrwert in Form von Unterhaltung oder Service sein aber auch der
Erhalt aktueller Informationen.
89
Kennzeichnend und vor dem Hintergrund journalistischer Ethik auch problematisch ist da-
bei Folgendes: Es werden lediglich Elemente des Journalismus genutzt, um einseitig in-
teressengeleitete Inhalte zu produzieren, die primär dem e-commerce dienen.
90
Altmeppen spricht in diesem Zusammenhang von ,,journalismusnahen Segmenten", die er
aus systemtheoretischer Sicht vom (Online)-Journalismus abgrenzt, wie im folgenden Ab-
schnitt noch zu zeigen sein wird. Problematisch ist Pseudojournalismus vor allem für die
Nutzer. Für diese ist nicht immer klar zu erkennen, wann es sich im WWW um rein inte-
ressengeleitete ,,Informationen" handelt und wann seriöser Journalismus vorliegt. Er-
schwert wird dies noch durch die schon angesprochene Syndication. Gemeint ist damit das
Produzieren von journalistischen Inhalten durch Medien für Unternehmens-Websites.
91
So
ist zum Beispiel seit kurzem die ,,Netzeitung" der Nachrichtenlieferant für das Suchportal
85
Vgl.
www.t-online.de
.
86
Vgl. Neuberger 2000b, S. 27 ­ 28.
87
Vgl. Neuberger 2001b.
88
Neuberger 2000a, S. 310.
89
Neuberger 2000b, S. 27.
90
Vgl. hierzu auch Kap. 5.2.1.
91
Vgl. Neuberger 2000b, S. 28 sowie Neuberger 2001b.

21
,,Lycos".
92
Warum diese Form der Zusammenarbeit nicht unproblematisch ist, verdeutlicht
Neuberger an einem weiteren Beispiel:
Durch Syndication werden die Beiträge aus ihrem ursprünglichen, für das Verständnis wichtigen Kon-
text gerissen. Selbst wenn die Quelle angegeben sein sollte, geraten sie in ganz andere, auch nicht-
journalistische Zusammenhänge. Also etwa dann, wenn sich Buchrezensionen eines als kritisch
bekannten Nachrichtenmagazins (Der Spiegel) wörtlich übernommen auch im Angebot eines Online-
Buchhändlers (www.libri.de) wiederfinden, hier also offensichtlich der Verkaufsförderung dienen sol-
len.
93
Nach Neuberger sind für die Identifikation und Definition von Journalismus im Web
Abgrenzungen in zweierlei Hinsicht erforderlich. Zum einen ist eine klare Trennung von
anderen Inhaltsanbietern (wie beschrieben) erforderlich, was neben Professionalität (Ab-
grenzung vom Parajournalismus) auch das Anerkennen journalistischer Berufsnormen um-
fasst wie Autonomie der Redaktion, Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt usf.
(Abgrenzung vom Pseudojournalismus). Zum andern konstituiert sich laut Neuberger ein
Online-Journalismus auch durch eine Abgrenzung vom Muttermedium (sofern vorhan-
den):
94
Von einem Onlinejournalismus wird man berechtigterweise erst dann sprechen können, wenn statt
Nachrichtenrecycling mediengerechte Inhalte speziell für das World Wide Web produziert werden,
mit denen das journalistische Potenzial des Internet annähernd ausgeschöpft wird.
95
Somit ist nach Neubergers Auffassung der Aspekt ,,Eigenständigkeit" ein grundlegender
Faktor zur Bestimmung des Online-Journalismus. In der Systematik dieser Arbeit wird die
journalistische Eigenständigkeit jedoch als Qualitätsmerkmal angesehen und nicht bereits
als definitorisches Grundelement. Welche Kriterien im einzelnen einen Qualitätsjournalis-
mus im Web kennzeichnen können, wird in Kapitel 5 noch eingehend behandelt.
2.3.2 Systemtheoretisch orientierte Bestimmung von Online-Journalismus
Altmeppen greift ebenfalls die bereits von Neuberger vorgenommene Problematisierung
multipler Inhaltsanbieter im Web sowie die schon diskutierte Vielschichtigkeit des Internet
als Hybridmedium auf, verfolgt aber einen noch grundsätzlicheren Ansatz für die Bestim-
mung von Journalismus im Internet:
92
Vgl.
http://www.lycos.de
(26.1.2002).
93
Neuberger 2001b.
94
Vgl. Neuberger 2000a, S. 310.
95
Ebd.

22
Was sich also in erster Linie ändert, sind die Konstitutionsbedingungen für Medien und die Möglich-
keiten der Kommunikationsformen. Dass der Journalismus von den Veränderungen der Netzkommu-
nikation beeinflusst wird, hat also weniger mit dem Journalismus selber zu tun, als vielmehr damit,
dass er an die technologischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Kontexte der Medien gebunden
ist. Die Frage nach der Zukunft des Journalismus steht also in engem Zusammenhang mit dem Begriff
,,Online-Medien".
96
Laut Altmeppen wird der Medien-Begriff mit Blick auf das Internet inflationär gebraucht.
So wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Internet oft selbst als Online-Medium be-
zeichnet, genauso aber die einzelnen Modi wie das WWW. Und zudem erfolgt auch noch
eine inhaltliche Bezeichnung von WWW-Seiten als Online-Medien.
97
Altmeppen fragt da-
her folgerichtig:
Es wird zu diskutieren sein, ob World Wide Web-Seiten von Unternehmen und Organisationen wie
Yahoo und amazon, Daimler-Chrysler und Deutsche Bank, Beate Uhse und Harald Schmidt als Onli-
ne-Medien gelten können. Im derzeitigen Sprachgebrauch sind dies ebenso Online-Medien wie die
Webausgaben von Tageszeitungen und Fernsehsendern.
98
Was Altmeppen hier problematisiert, ist die oft mangelnde Trennschärfe beim Gebrauch
des Medien-Begriffs, die darauf zurückzuführen ist, dass der Begriff in unterschiedlichen
Kontexten verwendet wird. Nach Schmidt lässt sich der Medien-Begriff vierfach differen-
zieren:
Beim Reden über ,,Medien" sollte genau unterschieden werden zwischen
konventionalisierten Kommunikationsmitteln im Sinne der zur Kommunikation verwendeten
Materialien einschließlich der Konventionen ihres Gebrauchs (z.B. Schrift plus Grammatik und
Lexikon),
Medienangeboten, das heißt Resultaten der Verwendung von Kommunikationsmitteln (z.B.
Texte),
Techniken, die zur Erstellung von Medienangeboten verwendet werden (z.B. Schreibcomputer),
Institutionen bzw. Organisationen, die zur Erstellung von Medienangeboten erforderlich sind
(z.B. Verlage), einschließlich aller damit verbundenen ökonomischen, politischen, rechtlichen
und sozialen Aspekte.
99
Für die nachfolgend zu diskutierende Ab- und Eingrenzung von Online-Medien im Sinne
Altmeppens liegt der institutionelle Medien-Begriff zu Grunde.
Altmeppens Überlegungen basieren im wesentlichen auf drei Annahmen: Innerhalb von
Online-Medien findet eine Ausdifferenzierung von Journalismus statt, da er seine Operati-
onsweisen an die neuen Kommunikationsformen im Internet anpassen muss. Seine Funkti-
onen bleiben dabei aber bestehen. Basierend auf dem institutionellen Medien-Begriff
können nur Teilbereiche der Online-Kommunikation als ,,Online-Medien" bezeichnet wer-
96
Altmeppen 2000, S. 123 ­ 124.
97
Vgl. ebd. S. 124.
98
Ebd. S. 124.
99
Schmidt, Siegfried J. [1994]: Konstruktivismus in der Medienforschung: Konzepte, Kritiken, Konsequen-
zen. In: K. Merten et al.

23
den. Dies sind für Altmeppen die Ableger traditioneller Medien. Diese zweite Annahme im
Sinne einer Schlussfolgerung erscheint allerdings problematisch und vor allem auch nicht
innovativ und wird sowohl am Schluss dieses Kapitels als auch unter dem Qualitätsaspekt
der internetspezifischen Gestaltungskriterien noch zu diskutieren sein. Die von Neuberger
mit dem Begriff ,,Pseudojournalismus" belegten Inhalte betrachtet Altmeppen als Trans-
formationen in der Online-Kommunikation im Sinne einer Übernahme von Elementen des
Journalismus. Zur Abgrenzung der ,,Ausdifferenzierung" im Journalismus selbst, belegt er
diese Transformationen mit dem Begriff ,,Entdifferenzierung".
100
Das Merkmal der Ausdifferenzierung beschreibt Altmeppen vor einem systemtheoreti-
schen Hintergrund:
Ausdifferenzierung ist eine Entwicklungsstufe, bei der der Journalismus aufgrund steigender Komple-
xität Subsysteme ausbildet, die zur Bewältigung spezifischer Problemlagen beitragen. Ausdifferenzie-
rung ist also ein Prozess innerhalb des Journalismus.
101
Zum Verständnis dieser Definition ist es erforderlich, den systemtheoretischen Zusam-
menhang nachzuvollziehen. Gemeint ist der Strukturzusammenhang innerhalb des Journa-
lismus, also die Frage nach den Bedingungen, wie Journalismus in einer Medieninstitution
produziert wird.
102
Diese spezifischen Strukturen heißen in der Terminologie der System-
theorie Programme:
Die Standards, Routinen, Formen und Techniken des Journalismus werden als Programme identifi-
ziert, die auf die journalistische Funktion zugeschnitten sind, Informationen aktuell zu vermitteln. Die
im Journalismus entwickelten Programme müssen sich bewähren und durchsetzen. Sie werden im
Zeitverlauf von Journalisten als routinisierte Entscheidungs- und Handlungsprogramme eingeübt und
weitergegeben. [...] Mit den Programmen werden Handlungssequenzen stabilisiert. Es sind gewisser-
maßen organisierte, verfestigte Selektions(vor)entscheidungen. Als Routineprogramme entlasten sie
Journalisten bei permanent auftretenden Entscheidungszwängen. [...] Unter dem Gesichtspunkt von
Problemlösung sind die journalistischen Programme auf unterschiedliche Zwecke ausgerichtet.
103
In einer vereinfachten Aufteilung lassen sich Organisations- und Arbeitsprogramme diffe-
renzieren. In Organisationsprogrammen werden die übergeordneten Ziele festgelegt, die
Arbeitsprogramme beschreiben die konkreten Verfahren, unter anderem zur Entschei-
dungsfindung, Darstellung, Selektion oder Präsentation. Zur Verdeutlichung: Ein Ent-
scheidungsprogramm, bspw. in der Redaktion einer Zeitung, regelt die Sammlung,
Auswahl und Verarbeitung von Material. Dies wird bedingt durch bestimmte Routinen in-
nerhalb der Redaktion. Beeinflusst werden diese Routinen unter anderem durch die Auftei-
lung in verschiedene Ressorts und die Arbeitsrollen der einzelnen Redakteure, die
wiederum zum Beispiel durch Verhaltenserwartungen seitens des Redaktionsleiters oder
100
Vgl. Altmeppen 2000, S. 125.
101
Ebd.
102
Vgl. Schaubild System/Umwelt-Paradigma in Kap. 2.1. Dies kennzeichnet die zweite ,,Schale".
103
Blöbaum 1994, S. 220.

24
des Verlags und die Gestaltung der Volontärsausbildung mit geprägt sind. Auf der andern
Seite sind die Arbeitsprogramme aber auch geformt durch medienübergreifende Normen
und Werte (z.B. Pressekodex), die sich als generelle Standards herausgebildet haben.
104
Im
Sinne der Systemtheorie sind diese Faktoren gleichsam als verwobenes Netz zu verstehen,
auch hier wird die Abgrenzung zur tradierten Auffassung singulärer Gatekeeper deutlich:
Kennzeichnend für das redaktionelle Entscheidungshandeln ist das Ineinandergreifen von vielfältigen
Faktoren. In den großen Institutionen der Medienkommunikation gibt es nicht den allein herrschenden
Verleger oder Intendanten, der die Tagesparole erlässt; Kontrollprozesse in Redaktionen sind vielmehr
als soziale Mechanismen zu verstehen. Die formellen und informellen Kommunikationsstrukturen er-
weisen sich dabei als ambivalent: Einerseits dienen sie der Koordination von Handlungen der einzel-
nen Entscheidungsträger; sie sind in diesem Sinne also funktional für das System Redaktion.
Andererseits erweisen sie sich aber auch ­ oft unbewusst für die Journalisten ­ als Formen von Kon-
trolle und als Anpassungsmechanismen an die redaktionelle Linie.
105
Ausdifferenzierungen der journalistischen Arbeitsprogramme sind im Internet - im Unter-
schied zum Journalismus der traditionellen Medien - in vielerlei Hinsicht denkbar. Perma-
nente Aktualisierungen erlauben einen neuartigen Produktionszyklus, die Produkttiefe ist ­
im Gegensatz zum tradierten Journalismus ­ sehr groß, es können eine Fülle von Zusatz-
und Hintergrundinformationen angeboten werden. Mit Hilfe von Hyperlinks werden dem
Rezipienten lediglich Nutzungspfade zur Verfügung gestellt. Die Rezeption erfolgt somit
sehr individuell, was eine gewisse Beschneidung der Kommunikator-Autorität bedeutet,
usf.
106
Diese inhaltlichen Aspekte sollen aber an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden,
da es hier um die Frage der Gestaltung von Online-Journalismus geht, die noch eingehen-
der Betrachtungsgegenstand in dieser Arbeit sein wird.
Die Anforderungen durch die technischen Möglichkeiten der Online-Kommunikation ei-
nerseits und die Existenz bestimmter Organisationsstrukturen anderseits, reichen nach
Altmeppen aber noch nicht aus, um Online-Medien zu definieren:
Für eine valide Definition von Medien fehlt auf der letzten Ebene noch eine Bestimmung der Anfor-
derungen, die an Medien gestellt werden, eine Auskunft über die Aufgaben und Leistungen, kurz: ü-
ber die Funktion der Medien.
107
Bei der Bestimmung der Medien-Funktion hebt Altmeppen auf die gesellschaftliche Leis-
tung des Journalismus ab,
108
die eine unabdingbare Konstituente für die Definition von
(Online)-Medien darstellt, so dass sich eine Art Dreiklang von Faktoren zeigt:
104
Vgl. Weischenberg 1994, S. 435 ­ 438 sowie Altmeppen 2000, S. 125 ­ 126. Für eine ausführlichere Dar-
stellung vgl. exemplarisch Altmeppen, Klaus-Dieter [1999]: Redaktionen als Koordinationszentren.
Beobachtungen journalistischen Handelns. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
105
Weischenberg 1994, S. 438
106
Vgl. Altmeppen 2000, S. 126 ­ 127.
107
Ebd. S. 130 ­ 131.
108
Vgl. Kap. 2.1.

25
Ein Resümee der Definitionsarbeit läuft darauf hinaus, Medien ­ und auch Online-Medien ­ über die
Wechselwirkungen von Technik, Organisation und Funktion zu definieren. Die Technik ist gewiss ei-
ne konstituierende Grundlage, um Medienkommunikation öffentlich zu machen. Sie allein schafft a-
ber nicht annähernd einen Grund dafür, von Medien zu sprechen, wie dies bei Internet und WWW
derzeit häufig der Fall ist. [...] Als zweiter Faktor gehört eine Organisationsform dazu, die im Kern
mindestens bestimmte medienspezifische Strukturierungen hinsichtlich publizistischer Leistungen
enthalten sollte. Zu den Merkmalen und Eigenschaften, die die traditionellen Medien auszeichnen, ge-
hören konsentierte Entscheidungs-, Organisations- und Arbeitsprogramme, die publizistische Leistun-
gen sicherstellen sollen. Online-Medien ohne diese Leistungen können, und das ist der dritte Punkt,
keine funktionalen Anforderungen an Medien erfüllen. Die Funktion der Medien besteht im ,,Dirigie-
ren der Selbstbeobachtung des Gesellschaftssystems,"
109
wobei die Funktion des Dirigierens darin
liegt, eine Orientierung für die Rezipienten zu bieten. Aufgrund dieser Funktion legitimiert das Me-
diensystem seine Autonomie, Informationen (auch unterhaltende) zu sammeln, zu beschaffen, zu be-
arbeiten und der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Im Gegensatz zu ähnlichen Operationen
anderer Organisationen (insbesondere Public Relations und Werbung) erzeugt und bearbeitet das Me-
diensystem die Informationen nicht im Auftrag bestimmter Interessen, [...] sondern aufgrund gesell-
schaftlich delegierter Zuschreibung. [Hervorhebungen durch den Verf.]
110
Dieser letzte Aspekt ist für Altmeppen zentral. Unternehmenswebseiten nutzen zwar das
technische Potenzial des Internet und werden in organisierten Strukturen produziert, aber
sie leisten nicht die Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Diese Webseiten sind daher der
PR, Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung zuzurechnen und werden von Altmeppen als
,,journalismusnahe Segmente"
111
abgegrenzt. In Abwandlung der schon mehrfach ange-
führten Definition zum Wesen des Journalismus von Rühl, ist die Funktion dieser Segmen-
te nach Altmeppen eine ,,interessengeleitete Herstellung und Bereitstellung von Themen
zur Anschlusskommunikation".
112
Es sollen zum Beispiel Kaufentscheidungen evoziert
werden. Altmeppen stellt daher zutreffend fest, dass ein reines Kopieren journalistischer
Arbeitsweisen noch keinen Journalismus darstellt:
Journalismus findet dort nicht statt, auch wenn die Programme des Journalismus in diesem Segment
angewendet werden. Da jedoch keine gemeinsame funktionale Basis vorhanden ist, handelt es sich in
diesem Segment vielmehr um eine Entdifferenzierung: Dieser Teil der Netzkommunikation wird von
den funktionalen und organisationalen Leistungen des Journalismus entkoppelt, die Netzkommunika-
tion wird im Sinne spezifischer Organisationsinteressen instrumentalisiert. [...] Unter den bisherigen
Voraussetzungen sind nur bestimmte Bereiche von Internet und WWW als (Online-)Medien zu be-
zeichnen, nämlich die Ableger der traditionellen Medien
113
Aus meiner Sicht erscheinen Altmeppens Abgrenzungen durchaus sinnvoll, um Webpubli-
zistik zu systematisieren. Allerdings ist seine Medien-Definition doch sehr von Idealisie-
rungen geprägt. So liegen für die traditionellen Medien einerseits natürlich auch
Intentionen im Sinne von Anschlusskommunikation vor, da ­ zum Beispiel bei einer Zei-
tung ­ die Auflage ja auch verkauft werden soll und die platzierten Anzeigen möglichst
109
Luhmann, Niklas [1996]: Die Realität der Massenmedien. 2. erw. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag.
S. 173, zit. in ebd. S. 131.
110
Altmeppen 2000, S. 131.
111
Ebd. S. 132.
112
Ebd. S. 133.
113
Ebd. S. 135.

26
große Reichweiten erzielen sollen. Anderseits ist das Urteil ,,Pseudojournalismus" recht
hart, wenn Altmeppen alle Anbieter damit belegt, die nicht ins klassische Medien-Raster
passen. Weniger eng wird dies zum Beispiel in der Online-Journalismus-Studie der Uni-
versität Münster gesehen. Bei der Auswahl von Medientypen im Online-Journalismus ist
u.a. auch die Online-Redaktion des Unternehmens ,,T-Online" Untersuchungsgegenstand
und wird den originären Online-Angeboten zugeordnet, unterstellt wird dabei die Strategie
eines ,,Journalismus als Mehrwert".
114
Natürlich ist der Spagat zwischen ökonomischem und gesellschaftlichem Handeln für den
Journalismus zweifellos vorhanden, diese Thematik würde aber sicherlich einen eigenstän-
digen Betrachtungsgegenstand darstellen und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ausrei-
chend vertieft werden. Hilfreich ist aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang die
Position von Ruß-Mohl, der für die gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen des
Journalismus das Prinzip des ,,Sowohl als auch" vertritt. Die Diskussion um ein ,,Entweder
oder" hält Ruß-Mohl für fehlgeleitet. Und auch Krzeminski/Ludes sehen zum Beispiel für
(Qualitäts)-Journalismus durchaus Spielraum ,,jenseits einer Dichotomie von Ethik und
Markt".
115
Das Prinzip von Ruß-Mohl setzt bereits beim Rezipienten an, den er sowohl als
Marktteilnehmer als auch als Staatsbürger betrachtet. Journalismus ist somit in einem
analogen Verständnis einerseits kommerzielles Geschäft, anderseits auch öffentliche Auf-
gabe. Wirtschaftswissenschaftler würden dies mit dem Begriff ,,meritorisches Gut"
116
be-
legen. Journalismus befriedigt somit für die erstgenannte Rezipientenrolle eine individuelle
Nachfrage, die in der Summe z.B. Einschaltquoten oder Verkaufsauflagen ergibt. Ander-
seits genügt es laut Ruß-Mohl nicht, bloßer Marktteilnehmer zu sein. Für eine funktionie-
rende Demokratie werden auch Staatsbürger gebraucht, die am politischen Leben
partizipieren. Hierzu leistet der Journalismus seine wichtige Informationsaufgabe, für die
ein kollektives Interesse unterstellt werden kann, das aber nicht unbedingt auf dem Markt
abzulesen ist. Hieraus kann ebenfalls abgeleitet werden, ­ und dies wird in Kapitel 4 noch
ausführlich behandelt ­ dass die Sicherung journalistischer Qualität nicht allein über die
Marktmechanismen möglich ist. Anderseits hält es Ruß-Mohl für einen Denkfehler, die aus
dem kollektiven Informationsinteresse abzuleitende öffentliche Aufgabe des Journalismus
allein öffentlich-rechtlichen Institutionen zuzuschreiben, vielmehr plädiert er für eine brei-
114
Vgl. Loosen/Weischenberg 2000, S. 76. Interessant in diesem Zusammenhang: Von den 25 Mitarbeitern
in der Redaktion von T-Online (1999) werden immerhin 18 als Journalisten bezeichnet. Vgl. ebd. S. 78.
115
Vgl. Krzeminski/Ludes 1996.
116
Ruß-Mohl 1994a, S. 89.

27
tere Definition der laut Verfassung sicherzustellenden informationellen Grundversor-
gung:
117
Sodann besteht auch im Bereich der Grundversorgung kein Anlass, den Marktmechanismen prinzi-
piell zu misstrauen ­ etwa dergestalt, dass sie überhaupt nicht in der Lage wären, effizient Informatio-
nen bereitzustellen und zu verteilen. Jedenfalls dürfte sich sehr schwer tun, wer etwa ,,beweisen"
wollte, dass die Informationsleistung privatwirtschaftlich betriebener Zeitungsverlage oder Nachrich-
tenagenturen prinzipiell schlechter ist als die öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten.
118
Als problematisch muss aus meiner Sicht in jedem Fall Altmeppens schon anfangs ange-
sprochene Schlussfolgerung angesehen werden, dass nur die WWW-Ableger der traditio-
nellen Medien als Online-Medien bezeichnet werden können. Immerhin räumt Altmeppen
ein, dass sich dies zukünftig noch ändern könne.
119
Zum einen übersieht er aber dabei rein
internetbasierte online-journalistische Angebote im Web (e-zines), die auch zum Zeitpunkt
seiner Überlegungen schon existiert haben. Zum andern ist diese Festlegung im Rahmen
einer zukunftsorientierten Perspektive eher als kontraproduktiv und wenig innovativ anzu-
sehen. Wie noch zu zeigen sein wird, sind die Ableger traditioneller Medien stark durch
inhaltliche Übernahmen aus den Muttermedien geprägt und nutzen nur unzureichend die
technischen Möglichkeiten des Internet. Altmeppens Definition unterscheidet sich daher in
diesem Punkt elementar von der Auffassung Neubergers, der ja gerade in der Abnabelung
vom Muttermedium eine Grundbedingung für einen eigenständigen Online-Journalismus
sieht. Allerdings ist einzuräumen, dass diese beiden Definitionen nur bedingt vergleichbar
sind (deshalb wurde ihnen in dieser Arbeit auch jeweils ein eigenständiger Unterpunkt ge-
widmet), da Neuberger eher eine pragmatisch-inhaltliche Perspektive verfolgt hat, während
Altmeppen sich auf der mehr abstrakten systemtheoretischen Ebene bewegt.
117
Vgl. Ruß-Mohl 1994a, S. 81 ­ 89.
118
Ebd. S. 86.
119
Vgl. Altmeppen 2000, S. 135.

28
3. Zur publizistischen Rolle und Funktion von Online-Journalismus/Online-
Journalisten
Bei der Betrachtung der verschiedenen Positionen in der Medien- bzw. Kommunikations-
wissenschaft für (zukünftige) Rollen von Online-Journalisten ist festzustellen, dass sich die
Auffassungen zum Teil diametral gegenüberstehen. In diesem Kapitel soll nun zunächst
der Versuch unternommen werden, exemplarische Positionen aufzuzeigen und konstruktiv
zu kritisieren. Den Anfang macht Dr. Mike Sandbothe. Er verkörpert die Positionen, die
dem Internet die Verwirklichung eines neuen Kommunikationsideals zuschreiben. Der Re-
zipient (User) kann aus einem gigantischen hypertextuellen Informationspool schöpfen und
somit sein Grundrecht auf Information auf völlig neue Art und Weise befriedigen. ,,Journa-
listische Filter" stören dabei nur. Ganz so weit geht Matthias W. Zehnder in der nachfol-
gend vorgestellten Position nicht. Jedoch sieht er im Internet tendenziell die Chance, eine
publizistische Egalität herzustellen, die zu einer Beschneidung (Dekonstruktion) der jour-
nalistischen Aufgaben führt.
Ursula Maier-Rabler und Erich Sutterlütti plädieren für einen starken Wandel des journa-
listischen Rollenverständnisses, welcher bis hinein in neue Bezeichnungen für Kommuni-
katoren in einem hypertextuellen Netzwerk reicht: Der ,,Informationsanalytiker" soll das
Generieren von Information dem Potenzial kompetenter Nutzer überlassen und lediglich
die Pfade zu Primärinformationen herstellen (Meta-Design). Während die Inhaltsprodukti-
on dann in den Hintergrund rückt, erfahren laut Maier-Rabler/Sutterlütti andere journalisti-
sche Aufgaben eine Aufwertung. Das Anlegen jener Pfade meint nicht das bloße
Bereitstellen von Links, sondern zusätzlich das Verfassen von Analysen und Kommenta-
ren, um die vorhandene Primärinformation nutzbringend zu bewerten. Aus der Kritik die-
ser drei Rollenbeschreibungen wird dann eine eigene Position entwickelt, in der es um eine
Umdeutung des traditionellen Gatekeeper-Begriffs geht. Dabei spielen vor allem die As-
pekte von Informationsquantität, Informationsqualität und Informationsselektion ange-
sichts der herrschenden Unübersichtlichkeit im Web eine Rolle.
Um mögliche Veränderungen von Beschäftigungsstrukturen im Online-Journalismus, Ü-
berlegungen zu geänderten Aufgabenprofilen sowie mögliche Chancen für lokale Themen
im globalen Netz geht es dann beim Ausblick am Ende dieses Kapitels.

29
3.1 Redundanz des Online-Journalismus (Dr. Mike Sandbothe
120
)
Sandbothe wehrt sich gegen eine resignative Haltung gegenüber der Datenflut, die das
World Wide Web liefert. Das Empfinden einer informationellen Überflutung resultiert
nach seiner Auffassung primär aus einer unzureichenden Nutzung der Ordnungsangebote,
die für das Internet vorhanden sind. Dies sind im wesentlichen: Bookmarks, die individuell
strukturiert werden können, Suchmaschinen sowie so genannte ,,personal agents". Letztere
sind Computerprogramme, die eigenständig ­ nach entsprechenden Vorgaben ­ Selekti-
onsaufgaben im Web übernehmen.
121
Den Umgang mit diesen Ordnungsangeboten zu erlernen, ist eine Komponente einer inter-
netspezifischen Medienkompetenz, die Sandbothe für eine Basisqualifikation im Informa-
tionszeitalter hält. Die zweite Komponente liegt in der ,,Ausbildung einer
internetspezifischen Urteilskraft".
122
In Anlehnung an Kant unterscheidet er dabei eine be-
stimmende und eine reflektierende Form:
Aufgabe der bestimmenden Urteilskraft ist es, einen besonderen Fall unter ein bereits vorgegebenes
Allgemeines zu subsumieren. Die reflektierende Urteilskraft denkt demgegenüber von einem gegebe-
nen Besonderen her auf ein Allgemeines hinaus, das noch nicht vorgegeben ist. Beide Arten von Ur-
teilskraft spielen für eine angemessene Medienkompetenz im Zeitalter des Internet eine wichtige
Rolle.
123
Das traditionelle Mediensystem hat nach Sandbothe dem Rezipienten bislang durch seine
vornehmlich journalistischen Instanzen die Notwendigkeit zur eigenen Evaluation von In-
formationen abgenommen, bzw. die Bewertung durch die bestimmende Urteilskraft er-
leichtert. Dies gelang vor allem durch stabile Präferenzen der Rezipienten, zum Beispiel
für eine bestimmte Zeitung oder eine Nachrichtensendung im Fernsehen, einhergehend mit
durch Rezeptionserfahrungen aufgebautem Vertrauen. Dies ist nach seiner Auffassung im
Internet anders:
Die komplexe mediale Situation des Internet hebt die klassischen Rubrizierungs- und Bewertungsras-
ter auf, die durch die ausdifferenzierten Medienkulturen der Buch- und Verlagswelt vorgegeben wa-
ren. [...] In den digital vernetzten Medienwelten des Internet wird demgegenüber von den Nutzerinnen
und Nutzern eine höhere und eigenständigere Bewertungskompetenz gefordert.
124
Ausgebildete Urteilskraft der Rezipienten gepaart mit der Nutzung von Ordnungs-Tools
haben in seiner Schlussfolgerung Auswirkungen auf das journalistische System:
120
Dr. Mike Sandbothe ist Dozent an der philosophischen Fakultät der Universität Jena.
121
Vgl. Sandbothe 1998,
http://www.uni-jena.de/ms/massmed.html
(30.9.2001).
122
Sandbothe 1999,
http://www.uni-jena.de/ms/global.html
(30.9.2001).
123
Ebd.
124
Sandbothe 1998.

30
Unter Internet-Bedingungen beginnen Nutzerinnen und Nutzer ­ unterstützt durch intelligente techno-
logische Tools ­ einen Teil derjenigen Selektionstätigkeiten zu übernehmen, die im klassischen Me-
diensystem von der Zunft der Journalisten durchgeführt werden.
125
Sandbothe sieht hier die ideale Verwirklichung des Grundrechts auf Information, zu der
aber auch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Kostengüns-
tige Zugänge, preiswerte Nutzung von Datenbanken und kostenlose Nutzung von Internet-
Terminals in Bibliotheken gehören zu seinen Vorschlägen.
In einer internetspezifischen Medienkompetenz sieht er darüber hinaus einen ,,epistemolo-
gischen Aspekt"
126
:
In der klassischen Medienlandschaft suggeriert jedes Informations- und Nachrichtenmedium eine ver-
bindliche, glaubwürdige und adäquate Repräsentation der Wirklichkeit. Im Internet aber wird diese
Suggestion gerade durch die selektive und evaluative Recherchepraxis der Nutzerinnen und Nutzer
unterlaufen.
127
Bei der Verarbeitung von Internetquellen geht es seiner Meinung nach vielmehr um die
Konstruktion eines Sachverhaltes; aus einer Vielzahl von Informationsangeboten, die sich
eventuell auch widersprechen, erarbeitet der Rezipient gewissermaßen sein eigenes Wirk-
lichkeitsbild.
128
Letztendlich macht aber dann das Zusammenspiel von Urteilskraft und
Nutzung der Ordnungsangebote einen Journalismus im Web obsolet, er wirkt laut Sand-
bothe - und das ist das Entscheidende an seiner Position - sogar eher behindernd:
Das aber setzt einen freien, nicht über journalistische Zwischeninstanzen gefilterten Zugang [Her-
vorhebungen durch den Verf.] zum Internet und zu den über das Web nutzbaren Datenbanken vor-
aus.
129
Im Vermitteln dieser Fähigkeiten sieht Sandbothe eine Herausforderung an die Medienpä-
dagogik. Dabei geht es ihm aber nicht um die bloße Vermittlung technischer Fähigkeiten.
Netzzugang, Computer und Software an den Schulen könnten hier nicht a priori für die
notwendige Medienkompetenz sorgen. In Schulen und Universitäten müsse umgedacht
werden, weil bislang ein Frontalunterricht, mit dem Lehrenden als ,,omnikompetenten
Verwalter des Wissens",
130
die vorherrschende Strategie zur Wissensvermittlung darstel-
le.
131
Die Unterrichtssituation als Ganzes muss seiner Meinung nach in die Ausbildung einer re-
flektierenden Urteilskraft einbezogen werden:
125
Ebd.
126
Ebd.
127
Ebd.
128
Vgl. auch die Ausführungen zum Konstruktivismus in Kap. 2.1.
129
Sandbothe 1998.
130
Sandbothe 1999.
131
Vgl. ebd.

31
Sie beginnt vielmehr in der alltäglichen Kommunikationssituation des normalen, nicht computerisier-
ten Face-to-Face-Unterrichts, der gerade in einer mediengeprägten Bildungswelt eine spezifische Re-
validierung erfährt. Entscheidende Voraussetzung dafür, dass Menschen im Prozess des Lernens den
Mut und die Fähigkeit zur eigenständigen Beurteilung und reflektierenden Verflechtung von Themen,
Perspektiven, Interessen und Personen entwickeln können, ist die Enthierarchisierung und Dezentrie-
rung der dem Unterricht an Schule und Hochschule zugrunde liegenden Kommunikationsstruktur. [...]
Der Vorsprung des Lehrers besteht also nicht in erster Linie im Verfügen über vorgegebene Lehrbe-
stände, sondern vielmehr in seiner Kompetenz, die Vielfalt der sich ständig erweiternden Informati-
onsströme auf nachvollziehbare, pragmatische und kooperative Weise zu kanalisieren und zusammen
mit den Lernenden in ein situiertes Wissen zu transformieren, das der lernenden Gemeinschaft nütz-
lich ist und zugute kommt.
132
3.2 Dekonstruktion des Journalismus durch das Internet (Matthias W. Zehnder
133
)
Die niedrige Publikationsschwelle für Veröffentlichungen im Internet hat laut Zehnder
weit reichende Folgen für den Journalismus, und zwar sowohl in Bezug auf seine Rolle für
die Gesellschaft als auch für die journalistische Arbeitsweise. Es bleibt unter Internetbe-
dingungen kein journalistisches Privileg mehr, Öffentlichkeit zu erreichen oder herzustel-
len:
Ein Computer, ein Internetzugang und ein paar gute Ideen reichen, um wenigstens theoretisch Millio-
nen von Internet-Benutzern zu erreichen.
134
Das Publikum tritt somit aus einer Rolle als passiver Rezipient heraus, konkurriert im In-
ternet mit den Journalisten gewissermaßen gleichberechtigt, wenn auch ­ wie Zehnder ein-
räumt ­ Journalisten bislang noch professioneller mit Information umgehen können.
Einseitige Sender-Empfänger-Konstellationen (one-to-many-Kommunikation) werden im
Internet durch many-to-many-Konstellationen ersetzt. Die Nutzer rufen im Web gezielt In-
formationen nach eigener Interessenlage ab. Dieses ,,Ziehen" von Information (engl. ,,to
pull") ist nach Zehnder der Grund dafür, beim Internet von einem ,,Pull-Medium" zu spre-
chen.
135
Eine zweite Auswirkung, die unmittelbar die journalistische Arbeitsweise betrifft, ist nach
Zehnders Auffassung ein erhöhter Kommunikationsdruck. Per E-Mail ist ein unmittelbares
Leser-Feedback möglich, zudem ist dieses Kommunikationsmittel mit der Erwartungshal-
tung einer schnellen Antwort verknüpft:
Journalisten sind damit nicht mehr die unberührbaren Sender von Informationen, die hinter den schüt-
zenden Mauern eines Verlagshauses sitzen und ihre Artikel schreiben. Sie sind Knoten in einem offe-
nen Netzwerk und müssen damit rechnen, dass sie auf ihre Arbeit angesprochen werden.
136
132
Ebd.
133
Matthias W. Zehnder ist Schweizer Publizist (Schwerpunkt ,,Neue Medien"), betreibt eine Informations-
agentur in Basel und ist Chefredakteur des Lifestyle-Magazins ,,Smile".
134
Zehnder 1998a, S. 186.
135
Vgl. ebd. S. 186 ­ 187.
136
Ebd. S. 187.

32
Zehnder ist davon überzeugt, dass im Zeitverlauf ein Angleichungsprozess stattfinden
wird. Der noch bestehende professionellere Umgang mit Informationen durch Journalisten
gegenüber den Internetnutzern wird demnach schwinden. Um im Internet zu recherchieren,
ist keine journalistische Ausbildung nötig. Ähnlich wie Sandbothe argumentiert Zehnder,
dass weiterentwickelte Suchmaschinen und elektronische Agenten den Selektionsprozess
erheblich vereinfachen können. Als Beispiel nennt Zehnder die Suchmaschine ,,Askjee-
ves"
137
, die bereits Abfragen in natürlicher Sprache erlaubt. Elektronische Agenten können
seiner Meinung nach zukünftig sogar Fähigkeiten von Journalisten ersetzen, da sie kom-
plexe Abfragen ermöglichen, durch eine dynamische Programmierung auf veränderte An-
forderungen selbstständig reagieren und in der Lage sind, mehrschichtige Selektionsziele
zu verfolgen.
138
Diese Vereinfachungen erlauben - so Zehnder - eine derart einfache Recherche, dass dieser
Teil der Arbeit von Journalisten in gewisser Weise obsolet wird, die journalistischen Funk-
tionen verändern sich damit vom Sammeln von Informationen in Richtung eines kompe-
tenten Führers durch eine ,,kollektiv verfügbare Welt des Wissens".
139
Zehnders Prognose
lautet daher:
Die Demokratisierung der Informationsproduktion und die Egalisierung der Produktionsmittel ebnen
das Gefälle zwischen Journalist und Publikum ein. Das Internet hat damit nichts Geringeres als eine
Dekonstruktion des Journalismus im heutigen Sinne zur Folge.
140
Ein Ende des Berufsstands ,,Journalist" will Zehnder mit dem aufgezeigten Dekonstrukti-
onsprozess jedoch nicht prognostizieren, die Veränderungen berührten aber den Status des
Berufsstands. Eine Redundanz (wie Sandbothe) des Journalismus im Internet sieht Zehnder
also nicht, räumt aber ein, dass es in mancher Hinsicht effizienter sein kann, auf journalis-
tische Informationen zurückzugreifen. Dazu fordert er jedoch von den Journalisten stei-
gende Ansprüche an ihre Arbeitsleistung ein, die er an zwei Hauptpunkten fest macht:
141
1. Selektion von Information: Diese hat im Internet Vorrang vor der Textproduktion.
Wenn sich der Journalist also als professioneller Kommunikator einen Vorsprung
vor den Nutzern bewahren will, muss er sich besondere Fähigkeiten aneignen; dies
137
Vgl.
http://www.askjeeves.com
(31.1.2002).
138
Vgl. ebd. S. 188.
139
Ebd. S. 189.
140
Ebd. S. 189.
141
Vgl. ebd. S. 190.

33
umfasst einen ,,virtuosen Umgang mit den Werkzeugen des Informationszeital-
ters".
142
2. Das Schaffen von Nutzergemeinden: Hier sind neue moderative Fähigkeiten ge-
fragt. Wie aufgezeigt, bekommt die Kommunikation mit den Nutzern eine höhere
Bedeutung. Dies ist ­ auch im ökonomischen Sinn ­ nötig, um Nutzer an das eige-
ne Produkt zu binden, es letztlich auch zu verkaufen.
3.3 Der Online-Journalist als ,,Informationsanalytiker" und ,,Meta-Designer" (Ursula
Maier-Rabler
143
/Erich Sutterlütti
144
)
Die Ansatzpunkte für die nachfolgenden Überlegungen der Autoren gründen sich auf die
Kritik an der bislang etablierten Informationsdarstellung in hypertextuellen Netzwerken
(wie dem WWW) und der Forderung nach neuen Qualifikationsprofilen für die Informati-
onsanbieter in diesen Netzwerken.
Zur ihrer Kritik: Maier-Rabler/Sutterlütti konstatieren, dass die Inhalte elektronischer
Netzwerke bislang noch stark von der Übernahme linear strukturierter Inhalte aus den tra-
ditionellen Medien geprägt sind. Eine häufig anzutreffende Informationsaufbereitung
durch Verwendung identischer Inhalte stellt demnach lediglich eine Verdoppelung des be-
reits Existierenden dar und erzeugt Redundanzen, die für eine innovative und benutzer-
freundliche Gestaltung in elektronischen Netzen kontraproduktiv sind. Qualitäten eines
universellen Mediums wie dem Internet werden nicht ausgeschöpft, was laut den Autoren
durchaus auch eine gesellschaftspolitische Dimension hat: Enorme Investitionen in die
Netz-Infrastruktur mit immer schnelleren Datenleitungen erscheinen nur vor dem Hinter-
grund der Generierung sinnvoller Inhalte gerechtfertigt.
145
142
Ebd. S. 190.
143
Dr. Ursula Maier-Rabler ist Assistenzprofessorin am Institut für Kommunikationswissenschaft
(IKS) der Universität Salzburg und Gesellschafterin von ,,nikt online communication", einer Agentur für
Web-Konzeptionen, die aus der Arbeitsgruppe für Neue Informations- und Kommunikationstechnologien des
Instituts hervorgegangen ist.
144
Erich Sutterlütti (M.A.) ist geschäftsführender Gesellschafter von ,,nikt online communication".
145
Vgl. Maier-Rabler/Sutterlütti 1997, S. 243 ­ 245.

34
Die Autoren gehen in ihrem Aufsatz nachfolgend auf Entwicklung, Geschichte und Bedeu-
tung(en) des Prinzips ,,Hypertextualität" ein, hierzu wird auf die ausführliche Behandlung
von Hypertext im 5. Kapitel dieser Arbeit verwiesen.
146
Hypertextualität betrachten die
Autoren jedenfalls als ein ,,neues Informationsprinzip"
147
, dessen Potenzial bislang nur
eingeschränkt umgesetzt wird:
Das informationstechnologische Potenzial der digitalen, elektronischen Kommunikationsnetzwerke
bietet wesentlich mehr als die hypertextuelle Umsetzung von bislang isoliert voneinander existieren-
den Informationsbeständen bzw. die hypertextuelle Aufbereitung von geschlossenen Informationsein-
heiten.
148
Zugänglichkeit und Benutzbarkeit sind für die Autoren wesentliche Faktoren eines hyper-
textuellen Informationsraums. Dabei hängen die Faktoren zum einen von infrastrukturellen
und ökonomischen Bedingungen, zum andern von Fragen des Inhalts, der Aufbereitung
und Rezeption ab. Um die folgenden Überlegungen eines ,,neuen Informationsprinzips" zu
verstehen, ist es notwendig, die Idealvorstellung von Maier-Rabler/Sutterlütti nachzuvoll-
ziehen. Ihre Vorstellung lehnt stark an die Idee des ,,docuverse"
149
von Ted Nelson an.
Hierbei sind sämtliche Arten von Texten (Schrift, Bilder, Filme, Töne, Grafiken usw.) in
einer Art elektronischer Digital-Weltbibliothek verfügbar. Die Dokumente besitzen eine
virtuelle Omnipräsenz und haben eine eindeutige Adresse. Gespeichert werden nur die O-
riginaldokumente, ihre Lesarten (Kommentare) und ihre Varianten, d.h. ihre Überarbeitun-
gen im Zeitverlauf, was gewissermaßen "ein Blättern in der Zeit" ermöglicht (im
Unterschied zur ahistorischen Struktur des WWW). Redundanzen werden durch diese
Speicherform erheblich reduziert. Die Autoren räumen ein, dass diese Vorstellung in der
Praxis von einer Umsetzung noch weit entfernt ist. Mögliche Gründe liegen ihrer Meinung
nach auf den Ebenen der Produktion, Distribution und Konsumption: die mangelnde Quali-
fikation der Inhaltsproduzenten, ihre Angst vor einem möglichen Kontrollverlust über die
Inhalte, mangelnde Rezeptionskompetenz der Nutzer aufgrund eines auf Faktenvermittlung
ausgerichteten Bildungssystems, mangelnde technologische Bedingungen wie lange Über-
tragungsraten und zu hohe Online-Kosten werden hierfür als ursächlich betrachtet.
150
Um nun zur eigentlichen Rolle eines professionellen Kommunikators in einem universellen
hypertextuellen System zu kommen, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen
auf die Ebene der Inhaltsproduktion: Bei der Qualifikation eines Informationsanbieters in
146
Zur Geschichte von Hypertext und den Ideen von Hypertext-Pionier Ted Nelson vgl. exemplarisch: Nyce,
J. M., P. Kahn (Hrsg.) [1991]: From Memex to Hypertext: Vannevar Bush and the Mind's
Machine. Boston u. a.: Academic Press.
147
Maier-Rabler/Sutterlütti 1997, S. 250.
148
Ebd. S. 250.
149
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Hypertextualität in Kap. 5.3.1.1 und 5.3.1.2.
150
Vgl. Maier-Rabler/Sutterlütti 1997, S. 251 ­ 253.

35
einem Hypertext-System muss laut Maier-Rabler/Sutterlütti berücksichtigt werden, dass
unter Hypertext-Bedingungen die Grenzen zwischen Produktion und Rezeption, also zwi-
schen Inhaltsproduzent und Nutzer, aufgelöst werden. Bei einer universellen Verfügbarkeit
der elektronischen Dokumente liegt nach Vorstellung der Autoren die Hauptqualifikation
von Kommunikatoren im Schaffen von ,,Meta-Designs"
151
, d.h. es werden Kontexte entwi-
ckelt, um den Zugang zu Inhalten herzustellen, die Produktion von Inhalten rückt in den
Hintergrund. Gemeint ist somit, ein System ,,selbstgenerierender Information"
152
zu etab-
lieren:
Ausgehend vom Idealzustand einer optimalen Vernetzungsdichte könnten grundsätzlich alle beliebi-
gen Primärdaten oder Originaldokumente für die Generierung eines virtuellen ,,Produkts" zur Verfü-
gung stehen. Das Hauptaugenmerk bei einem solchen System für die eigenständige Generierung von
sinnvoller Information liegt dann nicht wie im traditionellen linearen Denken bei der sinnvollen, ko-
häsiven und kohärenten Aneinanderreihung von Primärinformationen, sondern in der Definition sinn-
voller Verknüpfungen und in der Entwicklung gehaltvoller Pfade (Metadesign). Die Hauptleistung des
Informationsanbieters ist dann nicht mehr die Darstellung und Beschreibung von Primärinformatio-
nen, sondern die Entwicklung eines sogenannten Informationsdesigns, welches netzwerkartig über die
bestehenden Primärinformationen gelegt wird.
153
Es kann hierbei keine 1:1-Übernahme von Texten (im weiteren Sinne) aus dem traditionel-
len Mediensystem erfolgen, weil dies zu den nicht gewünschten Redundanzen und Wie-
derholungen führen würde. Die Überlegungen haben demnach grundsätzliche
Auswirkungen auf die (journalistische) Textproduktion:
In einem elektronischen Hypertextsystem würde Text 1 mit jenen Originalpassagen aus Text 2 und
Text 3 verknüpft sein, auf die Bezug genommen wird, ohne diese Passagen innerhalb von Text 1 zu
duplizieren. Bekannte traditionelle Formen, wie direkte Zitate oder Übernahmen, die in der linearen
Form noch zur Kohärenz beitragen, existieren in einer solchen Form nicht mehr.
154
Stattdessen soll laut Maier-Rabler/Sutterlütti die Analysefähigkeit der Kommunikatoren in
Hypertextsystemen eine basale Qualifikation bilden. Die Produktion ,,wirklich" neuer Tex-
te beschränkt sich nämlich dann auf die Analyse und Bewertung des ohnehin Vorhande-
nen, diese Kommentare bereichern als Rezeptionshilfe das Angebot im hypertextuellen
Netz. Wie alle Hypertexte bleiben diese Interpretationen aber selbst Angebot, die Ent-
scheidungsfreiheit liegt beim Rezipienten:
155
In Abhängigkeit der jeweiligen Rezeptionskompetenz des zukünftigen Benutzers (Lesers, Sehers, Hö-
rers etc.) können diese Angebote, angenommen, verändert oder abgelehnt werden.
156
Diese noch recht abstrakte Vorstellung eines ,,Meta-Designers" in einem System selbstge-
nerierender Information konkretisieren die Autoren am Beispiel der Arbeit eines Sport-
151
Die Autoren beziehen sich hierbei auf Youngblood, Gene [1991]: Metadesign. Die neue Allianz und A-
vantgarde. In: Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Hrsg.: F. Rötzer. Frankfurt a. M.: Suhr-
kamp. S. 305 ­ 322.
152
Maier-Rabler/Sutterlütti 1997, S. 256.
153
Ebd. S. 256.
154
Ebd. S. 254.
155
Vgl. ebd. S. 254.
156
Ebd. S. 254.

36
journalisten und seiner Berichterstattung über das Grand-Slam-Tennisturnier ,,French O-
pen".
157
Bei der traditionellen journalistischen Berichterstattung muss laut Maier-
Rabler/Sutterlütti sehr viel Information dupliziert werden, in dem aus vorhandenem Mate-
rial (Spielerbibliographien, Statistiken etc.) zitiert wird, zudem selektiert der Journalist
aus Spielen oder Interviews und berichtet über Begleitveranstaltungen und evtl. auch über
den Ort des Geschehens. Im System selbstgenerierender Information könnte jedoch der
Nutzer in freier Entscheidung selbst auf die vorhandenen Primär- und Hintergrundinforma-
tionen zurückgreifen, weil diese Informationen in ihrer Totalität in einem universellen
Netzwerk vorhanden sind. Während der Journalist alter Prägung aus diesen Informationen
auswählt und innerhalb ,,seines" Mediums dupliziert, wäre er im aufgezeigten neuen Sze-
nario für die Etablierung eines Meta-Designs verantwortlich:
Die Aufgabe eines Journalisten (Informationsbrokers, Informationsanalytikers) wäre in diesem Kon-
text, die Zugänge für den interessierten Benutzer zu den elektronisch vorhandenen Primärinformatio-
nen zu definieren (Metadesign) und seine Analysen und Kommentare als neu erzeugte
Primärinformation in das System zu stellen. Die Hauptaufgabe eines solchen zukünftigen Berufsbilds
würde dann eher das Wissen um die Existenz relevanter Primärinformationen und das Entwickeln von
sinnvollen Informationsdesigns sowie die Erzeugung von ,,neuen" Primärinformationen in der Form
von Analysen und Kommentaren sein.
158
In dieser neuen Aufgabenbeschreibung sehen die Autoren keine Reduzierung der journalis-
tischen Kompetenz. Zum einen sind neue Qualifikationen wie das Entwickeln von Infor-
mationsdesigns und das Erzeugen sinnvoller Verknüpfungen erforderlich, zum andern
erhalten Elemente des traditionellen journalistischen Handwerkzeugs, vor allem Analysen
und Kommentare, einen Bedeutungszuwachs. Im Unterschied zu Sandbothe wird bei dieser
Argumentation Journalismus nicht redundant, sondern nach wie vor ­ wenn auch in abge-
wandelter Form ­ noch gebraucht.
159
Unabdingbar für das Gelingen selbstgenerierender Informationssysteme ist aber eine spezi-
fische Rezeptionskompetenz der Nutzer. Hier argumentieren Maier-Rabler/Sutterlütti ähn-
lich wie Sandbothe. Ein fundamentales Umdenken in der (nicht nur schulischen)
Wissensvermittlung - weg vom Prinzip ,,Antworten statt Fragen", hin zur Vermittlung von
Neugier nach neuem Wissen und dem Erstellen eigener Kontexte - ist erforderlich:
Die heute oft festgestellte Unzufriedenheit mit der Informationsüberfülle in elektronischen Netzwer-
ken, das Sich-verloren-Fühlen inmitten des Überangebots, ist unserer Meinung nach zu einem hohen
Maße damit verbunden, dass die meisten Menschen nach Antworten suchen. Sie suchen Antworten
auf Fragen, die sie nicht zu stellen gelernt haben.
160
157
Vgl. ebd. S. 259 ­ 261.
158
Ebd. S. 259.
159
Vgl. ebd. S. 262 ­ 263.
160
Ebd. S. 255.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832452995
ISBN (Paperback)
9783838652993
DOI
10.3239/9783832452995
Dateigröße
4.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Siegen – Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften
Erscheinungsdatum
2002 (April)
Note
1,0
Schlagworte
journalistische qualität online-journalismus rolle qualitätssicherung online-zeitungen
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