Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum
Eine Analyse am Beispiel der Stadt München
©1998
Magisterarbeit
130 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Die vorliegende Magisterarbeit Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München wurde im Wintersemester 1997/1998 an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Abschlußarbeit im Fach Politische Wissenschaft eingereicht. Sie zeigt am Beispiel der Auseinandersetzungen um die Förderung von schwervermittelbaren Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in zeitlich befristeten Beschäftigungsprojekten nach den Maßgaben des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) exemplarisch auf, wie sich politische Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene gestalten.
Der Zweite Arbeitsmarkt in München wurde unmittelbar nach dem Wechsel der politischen Mehrheiten im Stadtrat zu Beginn der Legislaturperiode 1984-1990 ins Leben gerufen. Da die Koalition aus SPD-Fraktion und grün-alternativen Stadträten gefordert hatte, neben schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen, von denen viele lediglich Hilfsarbeiterqualifikationen hatten, auch arbeitslosen Akademikern die Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung zu bieten, mußten qualitativ sehr unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten erschlossen werden. Das kommunale Beschäftigungsprogramm erstreckte sich daher nicht nur auf städtische Projekte, sondern bezog mit Selbsthilfegruppen, Wohlfahrtsverbänden und teilweise auch Privatunternehmen sehr unterschiedliche Träger ein. Ergänzend wurden von der Kommunalverwaltung Gutachten der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, aber auch der Gewerkschaftsvertreter eingeholt, so daß letztendlich neben den Stadtratsfraktionen, den verschiedenen städtischen Referaten und dem Arbeitsamt als wichtigstem stadtexternen Finanzier ein äußerst heterogener Kreis auf die Verteilung der finanziellen Mittel und die inhaltliche Ausgestaltung des Beschäftigungsprogramms Einfluß zu nehmen versuchte.
Diese spezifisch Münchner Konstellation kommunaler Beschäftigungsförderung ermöglichte es, die Interaktion eines weiten Spektrums von Akteuren unterschiedlichster politischer Couleur und teilweise gegensätzlicher beschäftigungspolitischer Zielsetzung zu untersuchen. Die Einflußnahme der einzelnen Stadtratsfraktionen, der beteiligten Fachreferate, der Selbsthilfegruppen, Verbände und der Vertreter der Wirtschaft und des Handels spiegelt sich in Wahlprogrammen, Fraktionsanträgen, Mitteilungen, Sitzungsprotokollen und Presseberichten wider und […]
Die vorliegende Magisterarbeit Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München wurde im Wintersemester 1997/1998 an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Abschlußarbeit im Fach Politische Wissenschaft eingereicht. Sie zeigt am Beispiel der Auseinandersetzungen um die Förderung von schwervermittelbaren Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in zeitlich befristeten Beschäftigungsprojekten nach den Maßgaben des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) exemplarisch auf, wie sich politische Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene gestalten.
Der Zweite Arbeitsmarkt in München wurde unmittelbar nach dem Wechsel der politischen Mehrheiten im Stadtrat zu Beginn der Legislaturperiode 1984-1990 ins Leben gerufen. Da die Koalition aus SPD-Fraktion und grün-alternativen Stadträten gefordert hatte, neben schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen, von denen viele lediglich Hilfsarbeiterqualifikationen hatten, auch arbeitslosen Akademikern die Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung zu bieten, mußten qualitativ sehr unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten erschlossen werden. Das kommunale Beschäftigungsprogramm erstreckte sich daher nicht nur auf städtische Projekte, sondern bezog mit Selbsthilfegruppen, Wohlfahrtsverbänden und teilweise auch Privatunternehmen sehr unterschiedliche Träger ein. Ergänzend wurden von der Kommunalverwaltung Gutachten der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, aber auch der Gewerkschaftsvertreter eingeholt, so daß letztendlich neben den Stadtratsfraktionen, den verschiedenen städtischen Referaten und dem Arbeitsamt als wichtigstem stadtexternen Finanzier ein äußerst heterogener Kreis auf die Verteilung der finanziellen Mittel und die inhaltliche Ausgestaltung des Beschäftigungsprogramms Einfluß zu nehmen versuchte.
Diese spezifisch Münchner Konstellation kommunaler Beschäftigungsförderung ermöglichte es, die Interaktion eines weiten Spektrums von Akteuren unterschiedlichster politischer Couleur und teilweise gegensätzlicher beschäftigungspolitischer Zielsetzung zu untersuchen. Die Einflußnahme der einzelnen Stadtratsfraktionen, der beteiligten Fachreferate, der Selbsthilfegruppen, Verbände und der Vertreter der Wirtschaft und des Handels spiegelt sich in Wahlprogrammen, Fraktionsanträgen, Mitteilungen, Sitzungsprotokollen und Presseberichten wider und […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ID 5296
Steinack, Katrin: Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum: Eine
Analyse am Beispiel der Stadt München / Katrin Steinack - Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: München, Universität, Magister, 1998
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die
der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen,
der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der
Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung,
vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im
Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht
vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
2
Inhalt
Inhalt ... 2
Vorbemerkung ... 5
Verzeichnis der Abkürzungen ... 6
1 DER ZWEITE ARBEITSMARKT ALS KOMMUNALPOLITISCHER
HANDLUNGSRAUM - EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK ...8
1.1 Kommunale Beschäftigungspolitik in der politikwissenschaftlichen
Analyse ... 10
1.2 Der Zweite Arbeitsmarkt in München als Analysegegenstand ... 16
1.2.1 Besonderheiten der politischen Konstellation in der Landeshauptstadt18
1.2.2 Besonderheiten des Münchner Beschäftigungsmodells ... 19
1.2.3 Leitfragen der Analyse... 20
1.2.4 Quellenlage ... 21
2 KOMMUNALE BESCHÄFTIGUNGSFÖRDERMAßNAHMEN ALS
SOZIALPOLITISCHES KONZEPT ZUR BEKÄMPFUNG VON
ARBEITSLOSIGKEIT ...23
2.1 Geschichtliche Entwicklung kommunaler Beschäftigungsförderung... 23
2.2 Rechtliche Grundlagen kommunaler Beschäftigungspolitik in der
Bundesrepublik ... 28
2.2.1 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen des
Arbeitsförderungsgesetzes ... 30
2.2.2 ,,Hilfe zur Arbeit" nach dem Bundessozialhilfegesetz ... 32
2.3 Das Modell Zweiter Arbeitsmarkt ... 35
2.3.1 Begriffsgeschichte und definitorische Eingrenzung ... 35
2.3.2 Organisatorische Grundlagen ... 38
Interne Koordination der Verwaltung... 39
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
3
Koordination mit externen Akteuren ... 41
2.3.3 Modelle der Umsetzung im Spannungsfeld von Prävention und
Reaktion ... 42
2.3.4 Der Zweite Arbeitsmarkt in der öffentlichen Kritik ... 48
Zusätzlichkeit... 48
Gleichwertigkeit... 50
Finanzierbarkeit ... 51
Effizienz ... 52
3 DIE ETABLIERUNG DES PROGRAMMS ZWEITER ARBEITS-
MARKT IN MÜNCHEN...53
3.1 Entwicklungen im Vorfeld des Projektstarts ... 54
3.1.1 Parteipolitische Positionen zur Kommunalwahl... 55
SPD: Eindämmung der Arbeitslosigkeit durch städtische Initiativen ... 55
CSU: Schaffen zusätzlicher Arbeitsplätze durch Förderung des
Mittelstands... 56
FDP: Wirtschaftsfreundliche Standortpolitik; subsidiäre Sozialpolitik ... 56
Die Grünen/ALM: Neue Arbeitsmodelle ohne Abbau sozialer
Besitzstände ... 57
3.1.2 Instabiler Start in die Legislaturperiode durch knappe
Mehrheitsverhältnisse ... 58
3.1.3 Der Entwurf des Planungsreferats als Diskussionsgrundlage... 60
3.2 Die Diskussion des Zweiten Arbeitsmarkts in Abhängigkeit von
kommunalpolitischer Position und Erfahrung ... 62
3.2.1 Die Debatten des Stadtrats um den Zweiten Arbeitsmarkt... 63
Ausgangspositionen der Stadtratsfraktionen und Referate ... 63
Korrektur des Entwurfs auf der Basis erster Erfahrungen ... 65
Veränderte Fronten nach veränderter Diskussionsgrundlage ... 67
3.2.2 Die Beteiligung des Arbeitsamtes und städtischer Referate an den
Auseinandersetzungen ... 71
3.2.3 Einflußnahme nicht-städtischer Träger kommunaler Wirtschafts-
und Sozialpolitik ... 74
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
4
3.2.4 Folgewirkungen der Diskussion ... 80
Zögerliche Umsetzung der Beschäftigungsmaßnahmen... 82
Vergebliche Vorstöße bei der Landesregierung ... 84
3.3 Fortführung der Fördermaßnahmen unter gewandelten
Mehrheitsverhältnissen ... 86
3.3.1 AFI als neues Konzept der Beschäftigungsförderung ... 89
3.3.2 Die Beurteilung des Richtungswechsels durch die Akteure ... 91
Gefährdung der Finanzierungsbasis durch das Veto der Arbeits-
verwaltung... 92
Juristische und inhaltliche Vorbehalte der neuen Stadtratsopposition ... 93
Der Entwurf des Planungsreferats als Kompromiß ... 95
Reaktionen externer Akteure auf die geänderten Fördermodalitäten ... 97
3.3.3 Umsetzung und Bewertung der Förderung nach neuen Vorgaben ... 97
4 DER ZWEITE ARBEITSMARKT IN MÜNCHEN TYPISCHES
BEISPIEL KOMMUNALER BESCHÄFTIGUNGSFÖRDERUNG ...100
4.1 Das Münchner Modell im bundespolitischen Vergleich ... 100
4.2 Der Zweite Arbeitsmarkt als Spiegel der lokalpolitischen
Gemengenlage ... 104
4.1.1 Selektive Förderung als Ausdruck eines geringen lokalen
Problemdrucks ... 104
4.1.2 Der Zweite Arbeitsmarkt als Arena machtpolitischer
Auseinandersetzungen ... 107
4.2.3 Geringer Erfolg als Ausdruck politischer Nachrangigkeit ... 109
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
5
Vorbemerkung
Mit der vorliegenden Arbeit soll am Beispiel des Zweiten Arbeitsmarkts der
Landeshauptstadt München in den Jahren 1984 bis 1990 der Stellenwert kom-
munaler Beschäftigungsförderprogramme ermittelt und analysiert werden.
Um die Entscheidungsabläufe auf der lokalen Ebene rekonstruieren und einord-
nen zu können, war es unumgänglich neben der einschlägigen Literatur zur
kommunalen Arbeitsmarktpolitik auch - zum Teil unerschlossenens - Aktenma-
terial heranzuziehen. Eine wichtige Grundlage zum Verständnis der kommunal-
politischen Auseinandersetzungen bildeten die im Stadtarchiv München befind-
lichen Ratsprotokolle. Herrn Dr. Ingo Schwab und den weiteren Mitarbeitern des
Stadtarchivs München danke ich für die freundliche Hilfe bei der Beschaffung
dieses Archivmaterials. Um die Geschehnisse abseits der Auseinandersetzungen
in den Stadtrats- und Ausschußsitzungen nachvollziehen zu können und die
Hintergründe der Positionen einzelner Akteure zu beleuchten, habe ich ergän-
zend Quellenmaterial aus unterschiedlichen Beständen miteinbezogen. In diesem
Zusammenhang sei Frau Eisinger von der Pressestelle der Industrie- und Han-
delskammer, Herrn Weingärtler vom Referat für Arbeit und Wirtschaft, Frau
Werner vom Sozialreferat sowie vor allem Stadträtin Hannelore Prechtel für ihre
Unterstützung gedankt.
Bedanken möchte ich mich zuletzt auch bei Oda Prinz und Dietmar Süß, die mir
beim Korrekturlesen behilflich waren. Durch ihre freundliche Kritik und kon-
struktiven Anregungen haben sie diese Arbeit enorm bereichert. Meiner Schwes-
ter Vreni sei zusätzlich dafür gedankt, daß sie mir in vielen beiläufigen Gesprä-
chen mit guten Ideen weitergeholfen hat und auch sonst immer da war.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
6
Verzeichnis der Abkürzungen
ABM
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme(n) nach §§ 91 ff. AFG
ABM-AO
16. Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit
über die Förderung von Allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaf-
fung aus Mitteln der Bundesanstalt (ABM-Anordnung) vom 13. De-
zember 1984
AFG
Arbeitsförderungsgesetz, Stand 1. Januar 1984
AFI Arbeitsförderungsinitiative
ALM
Alternative Liste München
Art. Artikel
AVAVG
Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung v.
16.07.1927
AZ Abendzeitung
Az. Aktenzeichen
BayGO
Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, Stand 1. April 1984
BfA
Bundesanstalt für Arbeit
BISS
Bürger in sozialen Schwierigkeiten
BLD Bayerischer
Landtagsdienst
BM Bürgermeister
BSHG
Bundessozialhilfegesetz, Stand 1. März 1984
BZ Berliner
Zeitung
CDU Christlich-Demokratische
Union
CSU Christlich-Soziale
Union
DGB Deutscher
Gewerkschaftsbund
Drs.
Drucksache des Bayerischen Landtags
FDP
Freiheitlich Demokratische Partei
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Stand November
1995
HWK
Handwerkskammer (für Oberbayern)
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für
Arbeit
IHK
Industrie- und Handelskammer (für München und Oberbayern)
KGSt Kommunale
Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
7
LHST Landeshauptstadt
MRU
Müchner Rathaus Umschau
OB Oberbürgermeister
P. Interne
Paginierung
PlPr.
Plenarprotokoll des Bayerischen Landtags
RAW
Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München
Sen.-APr.
Ausschußsitzungsprotokoll des Bayerischen Senats
Sen.-Drs.
Drucksache des Bayerischen Senats
Sen.-PlPr.
Plenarprotokoll des Bayerischen Senats
SGB Sozialgesetzbuch
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
StAM Stadtarchiv
München
SZ Süddeutsche
Zeitung
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
8
1 Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer
Handlungsraum - Einführung in die Thematik
,,Arbeit statt Sozialhilfe" und ,,Eine Chance für die Schwachen" - mit solchen
oder ähnlichen Forderungen treten Politiker unterschiedlicher Couleur seit ge-
raumer Zeit an die Öffentlichkeit, um für einen Abbau der Massenarbeitslosig-
keit durch das Schaffen künstlicher Beschäftigungsmöglichkeiten zu werben.
1
Während der CDU-Sozialpolitiker Ulf Fink mit der Unterstützung der Bundesre-
gierung vorschlägt, die Kommunen sollten 100.000 Sozialhilfeempfänger mehr
pro Jahr beschäftigen, plädiert die SPD-Bundestagsfraktion in einem ,,Zehn-
Punkte-Programm für mehr Arbeitsplätze" dafür, Sozialhilfeempfänger durch die
Zahlung von Lohnkostenzuschüssen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
2
Aber auch die Grünen fordern, die Arbeitslosenquote durch das Schaffen von
,,Übergangsarbeitsmärkten" mit ,,sozial abgesicherten Rotationsregeln" zu sen-
ken und Langzeitarbeitslose, Jugendliche ohne Schulabschluß und Ausländer
durch die Beschäftigung in ,,sozialen Betrieben" in Lohn und Brot zu bringen.
Mindestens die Hälfte des Etats der Bundesanstalt für Arbeit soll ihrer Auffas-
sung nach künftig für Arbeitsförderungsmaßnahmen ausgegeben werden.
3
Weder die Bundesregierung noch die Pläne der Oppositionsparteien sind als in-
novativ zu bezeichnen. Sie greifen damit Beschäftigungsmodelle auf, die bereits
seit Anfang der achtziger Jahre verstärkt von Kommunen umgesetzt werden.
Wesentliches Kennzeichen dieser Modelle ist die vorübergehende Beschäftigung
von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in zusätzlichen, meist auch ge-
meinnützigen, Stellen durch die Instrumentarien des Bundessozialhilfegesetzes
(BSHG) und des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Vor allem Langzeitarbeitslo-
se und Problemgruppen des Arbeitsmarkts sollen durch die vorübergehende
1
Siehe dazu ,,Eine Chance für die Schwachen", SZ v. 18.02.1998 und ,,`Ungeklärt wer das
bezahlt'. Geteiltes Echo auf Seehofers Pläne zur Sozialhilfereform", Berliner Zeitung v.
8.04.1995.
2
Zu den Plänen Finks siehe ,,Eine Chance für die Schwachen", SZ v. 18.02.1998 und ,,CDU-
Politiker fordern soziale Offensive", Berliner Zeitung v. 3.03.1998. Zum Programm der SPD-
Bundestagsfraktion vgl. ,,Berliner Gewerkschaften lehnen Kombi Löhne strikt ab. Neue Vor-
schläge von SPD und CDU zur Sozialhilfe".
3
Siehe dazu ,,Suche nach dem dritten Weg. Bündnis 90/Die Grünen propagieren den fürsor-
genden Staat", SZ v. 7.03.1998.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
9
Aufnahme einer Beschäftigung an diesem künstlich geschaffenen sogenannten
,,Zweiten Arbeitsmarkt" die Möglichkeit erhalten, sich für den ersten Arbeits-
markt zu qualifizieren.
Hintergrund des kommunalpolitischen Engagements ist die starke finanzielle
Belastung der Gemeinden durch die Folgeprobleme der Arbeitslosigkeit. Mit
dem stetigen Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Beginn der siebziger Jahre ist der
Sozialstaat in eine Krise geraten. Das wesentliche Ziel der Arbeitsmarktpolitik,
,,einen möglichst hohen Grad der Beschäftigung zu erreichen und zu erhalten,
um damit sowohl im volkswirtschaftlichen Interesse als auch im Interesse des
einzelnen Arbeitnehmers negative Folgen, die durch Arbeitslosigkeit entstehen,
zu minimieren", konnte in den vergangenen Jahren nicht mehr erreicht werden.
4
Durch die zeitlich beschränkte Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosen-
hilfe fallen Langzeitarbeitslose immer häufiger aus dem System der Arbeitslo-
senversicherung heraus. Sofern nicht andere Unterstützungsmechanismen grei-
fen (etwa familienintern durch den Arbeitsverdienst des Ehepartners), rutschen
sie und ihre Familien in die Sozialhilfebedürftigkeit ab.
5
Künftig übernehmen die
Kommunen als Träger der Sozialhilfe die finanzielle Hauptlast der
Massenarbeitslosigkeit.
6
Um zumindest einen Teil der Sozialhilfeempfänger wieder in die Verantwortung
der Bundesanstalt für Arbeit zu übermitteln, versuchen seit Anfang der achtziger
4
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.):
Übersicht über das Sozialrecht. Bonn, 4., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Juni 1997, S.
41.
5
Die Literatur zu den Folgewirkungen der langanhaltenden Massenarbeitslosigkeit ist kaum
mehr zu überblicken. Vgl. dazu exemplarisch Eugen Glomig: Sozialpolitik im Wandel. Eine
Herausforderung an den Sozialstaat. In: Joachim Jens Hesse (Hrsg.): Erneuerung der Politik
,,von unten"? Stadtpolitik und kommunale Selbstverwaltung im Umbruch. Opladen 1986, S.
109-121 und Walter Hanesch: Sozialpolitik und arbeitsmarktbedingte Armut. Strukturmängel
und Reformbedarf in der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit. In: Aus Politik und Zeitge-
schichte, Nr. B31-32/1995, S. 14-23.
6
Dazu, daß vor allem die Kommunen als Träger der Sozialhilfe unter den Folgen der Ar-
beitslosigkeit zu leiden haben, vgl. Bernhard Blanke/Hubert Heinelt/Carl-Wilhelm Macke: Ar-
beitslosigkeit und Kommunale Sozialpolitik. In: Wolfgang Bonß/Rolf G. Heinze: Arbeitslosig-
keit in der Arbeitsgesellschaft. Frankfurt/M. 1984, S. 299-330 sowie Olaf Sund: Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik. Die Funktion der Kommunen bei der Bewältigung des ökonomischen Struk-
turwandels. In: Hesse, Erneuerung, S. 92-108. Zur besonderen Situation von Großstädten, die
besonders stark von den sozialen Folgewirkungen der Arbeitslosigkeit betroffen sind, vgl. Jens
S. Dangschat: ,,Stadt" als Ort und als Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung. In: APuZ,
Nr. B31-32/1995, S. 30-62 und ders.: Entwicklung von Problemlagen als Herausforderung für
die soziale Stadt. In: Walter Hanesch (Hrsg.): Überlebt die soziale Stadt? Konzeption, Krise und
Perspektiven kommunaler Sozialstaatlichkeit. Opladen 1996, S. 77-108.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
10
Jahre immer mehr Gemeinden Langzeitarbeitslose zumindest vorübergehend zu
beschäftigen. Sie greifen dabei Elemente kommunalpolitischer Beschäftigungs-
politik auf, die sich in ihren Ursprüngen bis in das 17. Jahrhundert verückverfol-
gen lassen.
7
1.1 Kommunale Beschäftigungspolitik in der politikwissenschaftlichen
Analyse
Ungeachtet seiner Tradition wurde das Feld der kommunalen Beschäftigungspo-
litik in der Politikwissenschaft erst sehr spät beachtet.
8
Bis in die Mitte der sieb-
ziger Jahre hinein waren sozialpolitische Anstrengungen der Kommunen aus
politikwissenschaftlichen Untersuchungen ausgeklammert. Eine Analyse kom-
munaler Aktivitäten auf ,,unterster Ebene" erfolgte im wesentlichen aus histori-
scher Perspektive und erstreckte sich meist nur bis zum Ende der Weimarer Re-
publik. In der Regel wurde dabei der Bereich der Fürsorge detailliert dargestellt,
regionale Beschäftigungspolitik aber nur am Rande berücksichtigt.
9
Auch in den Studien, die sich detailliert mit kommunaler Sozialpolitik in der
Bundesrepublik befassen, blieb deren inhaltliche Ausprägung zunächst weitge-
hend unbeachtet.
10
Diskutiert wurde vor allem die grundlegende Frage, ob auf
7
Vgl. dazu ausführlich Abschnitt 2.1 dieser Arbeit.
8
Im Gegensatz zu der von Benzler/Heinelt vorgenommenen Abgrenzung, derzufolge sich
kommunale Politik allein auf die Kommune als abgeschlossenes Subsystem bezieht, wohingegen
lokale Politik auch auf die kommunale Politik einwirkenden Einflüsse von außen einbezieht,
sollen die im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Begriffe kommunale bzw. lokale Politik als
gleichwertige Synonyme verstanden werden. Neben politischen Entscheidungsprozessen vor Ort
umfassen die Begriffe damit auch Entscheidungen auf Bundes- und Länderebene, sofern diese
auf die politischen Vorgänge innerhalb der Gemeinde einwirken. Vgl. dazu Susanne Benz-
ler/Hubert Heinelt: Stadt und Arbeitslosigkeit. Örtliche Arbeitsmarktpolitik im Vergleich. Opla-
den 1991, S. 25f.
9
Die wenigen politologischen Untersuchungen, die sich überhaupt mit der Ebene kommuna-
ler Politik beschäftigten, rückten v.a. organisatorische Belange der Kommunalpolitik als Imple-
mentationsebene bundesstaatlicher Politik in den Vordergrund. Vgl. dazu z.B. Jürgen Bertram:
Staatspolitik als Kommunalpolitik. Stuttgart 1967 sowie Hiltrud und Karl-Heinz Naßmacher:
Kommunalpolitik in der BRD. Möglichkeiten und Grenzen. Opladen 1979. Zur historischen
Untersuchung kommunaler Sozialpolitik vgl. z.B. Christoph Sachße/Florian Tennstedt: Ge-
schichte der Armenfürsorge in Deutschland. 3 Bde. Stuttgart u.a. 1980-1992.
10
Bislang haben sich nur wenige Autoren schwerpunktmäßig mit den spezifischen Akteurs-
konstellationen und -interaktionen im Politikfeld ,,Maßnahmen gegen kommunale Arbeitslosig-
keit" beschäftigt. Vgl. dazu Bernhard Blanke/Susanne Benzler/Hubert Heinelt: Arbeitslosigkeit
im Kreislauf der Politik. Eine konzeptionell erweiterte Policy-Analyse zur Erklärung unter-
schiedlicher Aktivitäten gegen Arbeitslosigkeit auf lokaler Ebene. In: Gegenwartskunde, Nr.
4/1989, S. 529-560, die anhand der Arbeitsamtbezirke Bremen, Leer, Hannover, Dortmund,
Marburg, Göppingen, München und Schwandorf ein spezifisches Arenakonzept zum Umgang
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
11
kommunaler Ebene überhaupt eine eigenständige Politik möglich sei.
11
Erst seit
Mitte der achtziger Jahre wurde kommunale Beschäftigungspolitik in der Bun-
desrepublik hauptsächlich in Form von Lokalstudien untersucht. Der Kern der
Arbeiten lag zumeist in der Analyse regionalspezifischer Implementation zent-
ralstaatlicher Politik, da der Bundesanstalt für Arbeit ein rechtliches und fakti-
sches Kompetenzmonopol bei der Arbeitsmarktpolitik zuerkannt wurde.
Die Au-
toren beschränkten sich durchweg auf die Darstellung der Arbeitsmarktproble-
matik in Krisengebieten mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit.
Schwerpunkt der Analysen waren damit Nordrhein-Westfalen, das Saarland und
die strukturschwachen Stadtstaaten Bremen und Hamburg, die nach dem drasti-
schen Anstieg der Arbeitslosigkeit Anfang der achtziger Jahre versuchten, Ar-
beitssuchende in lokale Beschäftigungsförderprogrammen einzubinden.
12
In
von Kommunen mit örtlicher Beschäftigungsförderung entwickeln. Aufschlußreich ist auch die
Studie von Wolfgang Jaedicke u.a.: Lokale Politik im Wohlfahrtsstaat. Zur Sozialpolitik der
Gemeinden und ihrer Verbände in der Beschäftigungskrise. Opladen 1990, die am Beispiel der
Beschäftigungspolitik in Dortmund und Krefeld untersuchen, wie weit kommunale Sozialpolitik
Parteieinflüssen unterworfen ist.
11
So z.B. Klaus Offe: Zur Frage der ,,Identität der kommunalen Ebene". In: Rolf-Richard
Grauhan (Hrsg.): Lokale Politikforschung 2, Frankfurt/M. 1975, S. 303-309; Henning Scherf:
Gibt es politische Spielräume zur weitergehenden Kommunalisierung von Sozialpolitik? In: Jan
Jarre/Horst Westmüller (Hrsg.): Kommunale Sozialpolitik - Kommunale Arbeitsmarktpolitik.
Auf der Suche nach neuen Strategien und Kooperationsformen. Loccum 1985, S. 139-148 und
Hartmut Häußermann: Lokale Politik und Zentralstaat. Ist auf kommunaler Ebene eine eigen-
ständige oder ,,alternative" Politik möglich? In: Hubert Heinelt/Hellmut Wollmann (Hrsg.):
Brennpunkt Stadt. Stadtpolitik und lokale Politikforschung in den 80er und 90er Jahren. Basel,
Boston, Berlin 1991, S. 52-91.
12
Mit 3,8% war die Arbeitslosenquote im Bundesgebiet 1980 noch sehr niedrig; die Zeit-
spanne der Arbeitslosigkeit umfaßte durchschnittlich 6,4 Monate. Von 1980-1983 stieg die Zahl
der Arbeitslosen bundesweit von 822.000 auf über 2 Mio. Die Zahl der Arbeitslosenhilfeemp-
fänger erhöhte sich um 393%, die Zahl der Erwerbslosen ohne Leistungsbezug um 164% und die
Zahl der Arbeitslosen mit Sozialhilfebezug um 203%. Vgl. dazu Henning Schridde: Von der
Arbeitsmarkt- zur Armutspolitik? Wandel lokaler Arbeitsmarktpolitik in den 90er Jahren. In:
Bernhard Schäfers/Göttrik Wewer (Hrsg.): Die Stadt in Deutschland. Aktuelle Entwicklung und
Probleme. Opladen 1996, S. 123-142, hier S. 124. Im Gegensatz zum Freistaat Bayern, wo in
den Jahren 1976 bis 1983 die Beschäftigungsquote um 7,5% angestiegen war, hatte sich das
Arbeitslosenproblem vor allem in Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bremen drastisch
verschäft. Vgl. dazu Martin Koller: Beiträge der Regionalpolitik zur Arbeitsmarktpolitik. In:
Jarre/Westmüller, Kommunale Sozialpolitik, S. 32-43, hier S. 36. Zum saarländischen Vorgehen
vgl. Guido Freidinger: Saarbrücker Programm zur Bekämpfung der Berufsnot. In: Peter Greu-
lich/Brigitte Reinbold (Hrsg.): Kommunale Strategien gegen Arbeitslosigkeit und Verarmung.
Tagungsreader zu den Fachtagungen ,,Qualifizierung und Beschäftigung - Kommunale Strate-
gien gegen Jugendarbeitslosigkeit und Verarmung" vom 19.10.-21.10.1988 im ISS und ,,Strate-
gien lokaler Armutspolitik" vom 8.2.-10.2.1989 im ISS (ISS-Paper, Nr. 39). Frankfurt/M. 1989,
S.61-74. Das Hamburger Modell der Beschäftigungsförderung ist u.a. dargestellt bei Jobst Fied-
ler/Rolf Schroedter: Der ,,zweite Arbeitsmarkt" in Hamburg. Nützliche Beschäftigung statt Hin-
nahme und Finanzierung von Langzeitarbeitslosigkeit. In: Michael Bolle/Peter Grottian (Hrsg.):
Arbeit schaffen - jetzt! Reinbek bei Hamburg 1983, S. 165-185; Jobst Fiedler: Handlungsfelder
regionalisierter Arbeitsmarktpolitik. Das Beispiel Hamburg. In: Dietrich Garlichs/Friederike
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
12
jüngster Zeit finden sich auch Untersuchungen kommunaler Beschäftigungspoli-
tik in den neuen Bundesländern.
13
In der Forschung besteht Einigkeit, daß gerade die Kommunen durch ihre räum-
liche Nähe zum Bürger weit stärker als der Bund mit den direkten Auswirkungen
der Arbeitslosigkeit konfrontiert und damit einem weit höheren Handlungsdruck
ausgesetzt sind. Jedoch differieren die Meinungen, in welchem Maße Beschäfti-
gungspolitik als eigenständiger Bereich politischen Handelns von den Kommu-
nen tatsächlich wahrgenommen wird.
14
So bemängeln einige Autoren, daß sich
die Kommunen zunächst hinter dem Argument fehlender Zuständigkeit ver-
schanzen und versuchen, ihre sozialpolitische Eigenbeteiligung mit dem Verweis
auf Ressourcenknappheit, Überlastung und mangelnde Effektivität beschäfti-
gungspolitischer Maßnahmen vor Ort möglichst gering zu halten. Zwar sei für
die Gemeinden anhand der vielfältigen Probleme deutlich erkennbar, daß dem
Phänomen Arbeitslosigkeit nur ganzheitlich begegnet werden könne. Neben der
Vielzahl von Ämtern, Abteilungen und Unterabteilungen, die für sozialpolitische
Belange zuständig seien, mache aber auch die unflexible Selbstbeschränkung der
einzelnen Fachbereiche auf ein bestimmtes Klientel ein koordiniertes gemeinsa-
mes Vorgehen zur Beseitigung sozialer Mängel nicht möglich.
15
Maier/Klaus Semlinger (Hrsg.): Regionalisierte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Frank-
furt/M., New York 1983, S. 298-320; Jobst Fiedler/Alexander Fahrenholtz: Möglichkeiten und
Grenzen des Zweiten Arbeitsmarktes als Modell regionalisierter Arbeitsmarktpolitik. Das Bei-
spiel Hamburg. In: Hans E. Maier/Hellmut Wollmann (Hrsg.): Lokale Beschäftigungspolitik.
Basel u.a. 1986, S. 388-402. Zum Bremer Modell der Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern
siehe Tom Priester/Peter Klein: ,,Hilfe zur Arbeit". Ein Instrument für die kommunale Arbeits-
marktpolitik? Augsburg 1992. Zur Situation in Nordrhein-Westfalen vgl. beispielsweise Jaedicke
u.a., Lokale Politik.
13
Siehe dazu Hubert Heinelt/Gerhard Bosch/Bernd Reissert (Hrsg.): Arbeitsmarktpolitik nach
der Vereinigung. Berlin 1995. Aufgaben und Organisation kommunaler Arbeitsmarktpolitik in
den neuen Bundesländern wurde von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle zur Verwaltungsver-
einfachung (KGSt) bereits 1991 in einem Gutachten untersucht. Vgl. dazu Ingrid Schlei-
mer/Matthias Schulze-Böing: Städte fördern Beschäftigung. In: Der Städtetag, Nr. 6/1992, S.
354-358, hier S. 356 und Wolfgang Jaedicke/Alexander Wegener/Hellmut Wollmann: Arbeits-
marktpolitik und kommunale Verwaltung. In: Guido Freidinger/Matthias Schulze-Böing (Hrsg.):
Handbuch der kommunalen Arbeitsmarktpolitik. Marburg 1993, S. 29-52, hier S. 46ff.
14
Zur These, daß im wesentlichen der Problemdruck vor Ort Motor kommunaler Arbeits-
markt- und Beschäftigungspolitik ist, siehe z.B.; Hubert Heinelt: Kommunale Beschäftigungspo-
litik. In: Roland Roth/Hellmut Wollmann (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den
Gemeinden. Bonn 1993, S. 451-462, hier S. 453f.; Olaf Sund: Kommunale Beschäftigungspoli-
tik. In: Maier/Wollmann, Lokale Beschäftigungspolitik, S. 481-501, hier S. 482 sowie Heiner
Brülle/Ingrid Schleimer: Integrierte kommunale Beschäftigungs- und Sozialpolitik. In: Freidin-
ger/Schulze-Böing, Handbuch, S. 53-72, hier S.57.
15
Vgl. dazu z.B. Jaedicke u.a., Lokale Politik, S. 21 und S. 218f., die zwar ebenfalls einen
starken lokalen Problemdruck diagnostizieren, das Umgehen der Gemeinden damit aber als eher
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
13
Im Gegensatz dazu steht die Auffassung des Autorenteams Blanke/Benzler/
Heinelt, ein wesentliches Charakteristikum kommunaler Sozialpolitik sei, daß
sich - anders als auf Bundesebene, wo die Bekämpfung der Massenarbeitslosig-
keit als ein Bestandteil der Sozialpolitik dezentral in verschiedenen politischen
Fachbereichen behandelt wird - hier ein eigenes Politikfeld ,,Maßnahmen gegen
Arbeitslosigkeit" entwickeln konnte. Zwar werden die politischen Auseinander-
setzungen auf kommunaler Ebene ebenfalls durch ein komplexes Mit- und
Durcheinander verschiedenster Akteure bestimmt. Durch die räumliche Nähe
sind diese aber, anders als auf zentralstaatlicher Ebene, mit dem Problem der
Arbeitslosigkeit und deren Folgen unmittelbar konfrontiert. Sie können sich den
Handlungsanforderungen nicht entziehen und sind zur gemeinsamen Entwick-
lung problemadäquater Programme vor Ort gezwungen.
16
Ähnlich argumentiert Eckard Pankoke. Neben dem sozialgesetzlichen Ermes-
sensspielraum, den das Grundgesetz den Gemeinden zugesteht, macht er die
räumliche Nähe zur Klientel sowie damit verbundene Traditionslinien sozialpoli-
tischen Handelns vor Ort als bestimmende Elemente kommunaler Sozialpolitik
aus.
17
Pankoke weist dabei auf eine weitere wichtige Besonderheit des kommu-
nalen Handlungsraums hin: Weil auf lokaler Ebene die Grenzen zwischen Politik
und Verwaltung, zwischen kommunalen ,,Systemen" und lokaler ,,Umwelt" in-
einander verfließen, entstehen an Grenzstellen Rollenkonflikte und Doppelbin-
dungen; die lokalen Institutionen stehen einerseits in Konkurrenz zueinander,
müssen sich andererseits jedoch in die Notwendigkeit der Kooperation einfü-
gen.
18
Übertragen auf die kommunale Beschäftigungspolitik bedeutet dies, daß sich
beispielsweise sozialpolitisch initiierte Belange mit wirtschaftspolitischen As-
pekten vermischen; in der praktischen Umsetzung sind Mischfinanzierung und
Verbundsysteme symptomatisch für solche kommunalpolitischen Spannungsfel-
zögerlich bewerten und ihre Vermutung, die unmittelbare Nähe zu sozialen Problemen schlage
sich in einer größeren Handlungsbereitschaft nieder, empirisch nicht bestätigt sehen, sowie die
Ausführungen von Nizan Rauch/Jochen Schulz zur Wiesch: Wie Gemeinden mit der Arbeitslo-
sigkeit umgehen. In: Maier/Wollmann: Lokale Beschäftigungspolitik, S. 105-126.
16
Vgl. Blanke/Benzler/Heinelt, Arbeitslosigkeit, S. 531f.
17
Vgl. Eckart Pankoke: Kommunale Orientierungen sozialer Politik. Zur ,,Mittlerstellung"
kommunaler Selbstverwaltung. In: Jürgen Krüger/Eckart Pankoke (Hrsg.): Kommunale Sozial-
politik. München, Wien 1985, S. 330-349, hier S. 331.
18
Vgl. ebd., S. 339f.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
14
der. Der dadurch entstehende vielfältige Handlungsspielraum wird bestimmt
durch wechselseitiges Relativieren und Neutralisieren von Kontrollschwellen
und Kompetenzgrenzen. Ein häufiges Problem kommunaler Sozialpolitik ist da-
her die Vertrauensbildung zwischen quantitativ und qualitativ höchst unter-
schiedlichen Trägern mit divergierenden Zielvorstellungen bei der Übernahme
sozialpolitischer Verantwortung.
19
Dadurch, daß eine Vielzahl von Akteuren in
gemeinsamen Entscheidungen ihr Verhältnis zueinander bestimmen, läuft auch
praxisorientierte Realpolitik Gefahr, Austragungsort ideologischer Meinungsver-
schiedenheiten zu werden.
20
Um dies zu vermeiden, ist ein hohes Maß an Ver-
mittlungsfähigkeit nötig. Typisch für kommunalpolitische Entscheidungsprozes-
se sind daher ,,reflexive Mechanismen", in denen die beteiligten Institutionen
und Organisationen nicht nur inhaltliche Aspekte, sondern auch Verhandlungs-
modalitäten erörtern und Regelungs- und Vermittlungsprozesse zum Thema pro-
zeduraler Steuerung werden.
21
Zahlreiche Autoren haben zwar die besonderen politischen Konstellationen auf
Gemeindeebene auch für den Bereich der Beschäftigungspolitik erkannt. Aller-
dings wurden die direkten Auswirkungen der lokalen wirtschaftlichen und politi-
schen Gemengenlage auf den Prozeß der Entscheidungsfindung bisher kaum
untersucht.
22
Eine vergleichende Einordnung örtlicher Beschäftigungsprogram-
me in die bundespolitische Entwicklung wurde nur in wenigen Fällen vorge-
nommen.
23
19
Vgl. ebd., S. 341f.
20
Vgl. u.a. Stephan Wolff/Wolfgang Bonß: Kommunalität als Instrument und Ergebnis von
Sozialpolitik. In: Krüger/Pankoke, Kommunale Sozialpolitik, S. 98-128, hier S. 110f.
21
Vgl. Pankoke, Kommunale Orientierungen, S. 348.
22
Die
Untersuchung
lokaler
Beschäftigungspolitik gestaltet sich auch deswegen schwierig,
weil durch die dort bestehende Verflechtung unterschiedlicher Politikbereiche gängige Policy-
Analysen, die sich auf nominelle Politikfelder beschränken, nicht anwendbar sind. Vgl. dazu
ausführlich Hubert Heinelt: Die Beschäftigungskrise und arbeitsmarkt- und sozialpolitische Ak-
tivitäten in den Städten. In: Heinelt/Wollmann: Brennpunkt Stadt, S. 257-279 sowie den korres-
pondierenden Kommentar von Adrienne Windhoff-Héritier: Policy-analytische Konzeptionen
und Hypothesen im Licht lokaler Arbeitsmarktpolitik, ebd., S. 281-285. Zum Modell der Policy-
Analyse siehe grundsätzlich Adrienne Windhoff-Héritier: Policy-Analyse. Eine Einführung.
Frankfurt/M. 1989.
23
Die vergleichende Betrachtung der Beschäftigungspolitik verschiedener Kommunen ist
durch die spezifische ,,Arenafärbung" erschwert. Lassen sich quantitative Parameter, wie z.B.
lokale Arbeitslosenquoten, noch relativ einfach vergleichen, so wird die Gegenüberstellung spä-
testens bei der Betrachtung der örtlich unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen und sozia-
len Strukturen problematisch. Vgl. dazu Jaedicke u.a., Lokale Politik, S. 205ff., die bei der ver-
gleichenden Analyse der Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern in Krefeld und Dortmund
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
15
In der Regel beschränken sich die Studien darauf, entweder die Beschäftigung
von Sozialhilfeempfängern über das BSHG oder die Einsatzmöglichkeiten von
Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen (ABM) nach den Maßgaben des AFG zu ana-
lysieren.
24
Untersuchungen, in denen beide Maßnahmen gleichwertig Beachtung
finden, liegen kaum vor. Inhaltlich befassen sich die Arbeiten vorrangig mit dem
Wirkungsgrad der örtlichen Beschäftigungspolitik für die Zielgruppe der Lang-
zeitarbeitslosen. Durch die detaillierte Befragung von Akteuren und Beschäftig-
ten wird beispielsweise zu ermitteln versucht, wieviele der vormals Arbeitslosen
durch lokale Aktionsprogramme dauerhaft in feste Beschäftigungsverhältnisse
des ersten Arbeitsmarkts integriert werden konnten. Das Zusammenspiel der den
Zweiten Arbeitsmarkt maßgeblich gestaltenden politischen Akteure wird nur am
Rande betrachtet.
Dies gilt auch für die beiden Untersuchungen zur Münchner Beschäftigungsiniti-
ative, die vom Stadtrat als Kontrollinstrument in Auftrag gegeben worden waren
und den Erfolg des Programms ermitteln sollten.
25
Die im Münchner Sozialfor-
schungsinstitut entstandenen Studien aus den Jahren 1986 und 1988 nähern sich
dem Zweiten Arbeitsmarkt aus der Perspektive der dort beschäftigten Arbeitslo-
sen an. Neben einer typologisierenden Darstellung der durchgeführten Projekte
wurde durch die Auswertung von Interviews mit Experten, den Rechtsträgern
der Einzelmaßnahmen und den Beschäftigten selbst, Hindernisse und Chancen
der Beschäftigung am Zweiten Arbeitsmarkt herausgearbeitet und Verbesse-
rungsvorschläge ermittelt. Das wesentliche Ergebnis der Untersuchungen, die
dem Programm selbst zwar einen hohen Innovationsgehalt zubilligen, aber die
widersprüchliche Befunde feststellten. Die Autoren werten vor allem den Einfluß parteipoliti-
scher Faktoren als ambivalent. Größere Bedeutung scheint demgegenüber dem institutionellen
Kontext vor Ort, aber auch der nur schwer zu erfassenden Hegemonie politischer Orientierung in
der Öffentlichkeit zuzukommen.
24
Zu den Beschäftigungsmöglichkeiten nach §§19 und 20 BSHG siehe ausführlich Abschnitt
2.2.2 der Arbeit. Zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach §§ 91-99 AFG vgl. Unterkapitel
2.2.1.
25
Siehe dazu Ingrid Breckner u.a.: Wissenschaftliche Begleituntersuchung zum Programm 2.
Arbeitsmarkt München (Arbeitsberichte zur Stadtentwicklungsplanung Nr. 20, hrsg. vom Referat
für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München). München 1986 sowie die
Fortschreibung der Untersuchung durch Ingrid Breckner/Christiane Hemmer/Klaus M. Schmals:
Wissenschaftliche Begleituntersuchung zur Münchener Arbeitsförderungsinitiative. Fortschrei-
bung 1988 (Arbeitsberichte zur Stadtentwicklungsplanung Nr. 23, hrsg. Vom Referat für Stadt-
planung und Bauordnung der Landeshauptstadt München). München 1988.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
16
konkrete Umsetzung bemängeln, wird durch zwei weitere kurze Studien zum
Zweiten Arbeitsmarkt der bayerischen Landeshauptstadt bestätigt.
Allerdings beschränken sich diese - wie auch die soziologischen Untersuchungen
- auf den kurzen Zeitraum 1984-1987. Barbara Riedmüller, die verstärkt die In-
tentionen der daran beteiligten kommunalpolitischen Akteure betrachtet hat,
stellt dem lokalen Beschäftigungsprogramm ein verhaltenes Zeugnis aus. Zwar
sei es den politischen Parteien vordergründig gelungen, sich auf einen Minimal-
nenner zu einigen. Durch das mangelnde Interesse der Verwaltung, aktiv auf die
Umsetzung des Programms hinzuwirken, habe der Zweite Arbeitsmarkt jedoch
erheblich an Qualität eingebüßt.
26
Die Autoren Fuchs/Rucht/Treutner ordnen die Münchner Entwicklung in den
Kontext einer bundesweiten Kommunalisierung, Heterogenisierung und Dezent-
ralisierung von Arbeitspolitik ein.
27
In ihrer inhaltlichen Bewertung des Pro-
gramms bemängeln sie dessen unklare, teilweise widersprüchliche Zielformulie-
rungen und rügen das formalisierte komplexe Entscheidungsdickicht, in dem
sich die Träger der einzelnen Beschäftigungsprojekte nur schwer zurechtfin-
den.
28
Beide Studien orientieren sich vorrangig am Stadtrat selbst als Zentrum der Ent-
scheidungen, während andere Institutionen und Organisationen des wirtschafts-
politischen und sozialen Geschehens relativ blaß bleiben. Die Hintergründe ein-
zelner Entwicklungen ist somit oft nicht nachvollziehbar. Dieses Manko wird
dadurch verstärkt, daß beide Untersuchungen meist nicht erkennen lassen, an-
hand welcher Akten die vorgetragenen Erkenntnisse gewonnen wurden und wie
die Ergebnisse der Arbeit somit einzuordnen sind.
1.2 Der Zweite Arbeitsmarkt in München als Analysegegenstand
Es mag zunächst verwundern, daß das beschäftigungspolitische Vorgehen der
Landeshauptstadt München bereits in einer ganzen Reihe von Arbeiten unter-
26
Vgl. dazu Barbara Riedmüller: Lokale Beschäftigungspolitik. Entwicklungstendenzen und
Hindernisse am Beispiel München. In: Bernhard Blanke/Adalbert Evers/Hellmut Wollmann
(Hrsg.): Die Zweite Stadt. Neue Formen lokaler Arbeits- und Sozialpolitik. Leviathan Sonderheft
7/1986, S. 179-200, hier S. 194.
27
Vgl. dazu Gerhard Fuchs/Dieter Rucht/Erhard Treutner: Kommunale Arbeitspolitik im
Umbruch. Das Beispiel München. In: ZfS, Nr. 11-12/1987, S. 677-688, hier S. 681.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
17
sucht wurde. Die bayerische Landeshauptstadt gilt im Vergleich zu anderen
Großstädten als wohlhabend; die Quote Arbeitsloser und Sozialhilfeempfänger
liegt kontinuierlich unter dem Bundesdurchschnitt. Arbeitslosigkeit scheint zu-
nächst nicht vordringlichstes Problem der Münchner Politik zu sein.
29
Ein Blick auf die lokale Arbeitslosenstatistik macht jedoch deutlich, daß der
Münchner Arbeitsmarkt seit den 70er Jahren durch eine Veränderung der Be-
schäftigungssektoren gekennzeichnet war. Trotz einer insgesamt positiven Ent-
wicklung des Arbeitsplatzangebots stieg die Zahl der Arbeitslosen an. Die Be-
troffenen waren aufgrund ihres Alters, gesundheitlicher Einschränkungen oder
mangelnder Qualifikation kaum zu vermitteln.
30
Gleichzeitig nahm der Anteil
der Sozialhifeempfänger zu, die nach Verlust des Arbeitsplatzes auf Hilfe zum
Lebensunterhalt angewiesen waren.
31
Wie das entschlossene Vorgehen der Münchner Stadträte zeigt, die bereits ein
halbes Jahr nach der Kommunalwahl im März 1984 ein erstes Konzept zur Be-
schäftigung schwervermittelbarer Arbeitsloser verabschiedeten, wurde der ent-
stehende Sockel struktureller Arbeitsloser von der örtlichen Kommunalverwal-
tung zunehmend als Problem wahrgenommen.
32
Seit Jahresbeginn 1985 bemüh-
ten sich die Stadtpolitiker aktiv, mit dem Programm ,,Zweiter Arbeitsmarkt", das
1987 in ,,Arbeitsförderungsinitiative" umbenannt wurde, Langzeitarbeitslose
vorübergehend zu beschäftigen, um ihnen somit den Wiedereinstieg in reguläre
Beschäftigungsverhältnisse zu erleichtern.
Obwohl das Münchner Beschäftigungsförderprogramm bereits Objekt mehrerer
politologischer und soziologischer Untersuchungen war, ist die Wahl der bayeri-
28
Vgl. ebd., S. 679f.
29
1984 betrug die Arbeitslosenquote im Arbeitsamtbezirk München etwa 6,1%. Im Gegen-
satz dazu waren in Bremen 13,8%, in Hamburg 11,2% und in West-Berlin 10,2% der abhängigen
Erwerbspersonen auf der Suche nach Arbeit. Siehe dazu die Grafik im Anhang, S. I. Die Zahlen
für Hamburg, Bremen und Berlin finden sich in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches
Jahrbuch 1997. Wiesbaden 1997, S. 123. Zum Vergleich der Sozialhilfelasten vgl. die Grafik im
Anhang, S. II.
30
Vgl. dazu Ingrid Breckner: Soziale Beschäftigungspolitik und ökonomische Modernisie-
rung. Die Münchener Arbeitsförderungsinitiative auf dem Prüfstand. In: Oppl/Radke/Stiller,
Soziale Beschäftigungsformen, S. 73-89, hier S. 76.
31
Vgl. dazu Landeshauptstadt München: Soziale Leistungen in Zahlen 1980-86. München
1988, S. 26. 1980 war lediglich bei 8% der Haushalte, die Sozialhilfe bezogen, der Verlust des
Arbeitsplatzes Hauptursache der Hilfegewährung gewesen. Bis 1984 verdoppelte sich ihr Anteil;
1986 waren 20% der Empfängerhaushalte wegen Arbeitslosigkeit des Ernährers auf laufende
Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen.
32
Vgl. dazu Breckner, Soziale Beschäftigungspolitik, S. 76.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
18
schen Landeshauptstadt zum Gegenstand der vorliegenden Arbeit aus mehreren
Gründen sinnvoll:
1.2.1 Besonderheiten der politischen Konstellation in der Landeshauptstadt
Der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit umfaßt die gesamte Legis-
laturperiode 1984-1990. In diesen Jahren wurde von der rot-grünen Mehrheit im
Rathaus erstmals ein Konzept zur Beschäftigung Langzeitarbeitsloser entwickelt.
Es wurden bei der Umsetzung in die Praxis erste Erfahrungen gesammelt und
Modifizierungen auf Grund neugewonnener Erkenntnisse vorgenommen. Inte-
ressant ist hier nicht nur die politische Konstellation im Münchner Rathaus un-
mittelbar nach der Kommunalwahl im März 1984, als es dem SPD-Kandidaten
Georg Kronawitter gelang, den bisherigen CSU-Oberbürgermeister Erich Kiesl
abzulösen. Die hauchdünne Stimmenmehrheit der SPD-Fraktion mit den neu in
den Stadtrat eingezogenen Kandidaten der grün-alternativen Liste München
zwang den Oberbürgermeister von Anfang an zu Zugeständnissen an die Stadträ-
te der CSU und FDP. Nachdem im Sommer 1987 zwei SPD-Stadträte die Frakti-
on verlassen hatten, drängte deren Koalition mit FDP und CSU den Oberbür-
germeister mit den verbleibenden SPD-Stadträten und der Fraktion Die Grü-
nen/Alternative Liste München (ALM) in die Oppositionsrolle und führte zu
Umgestaltungen der bisherigen Beschäftigungspolitik.
Neben den stadtratsinternen Veränderungen sind jedoch auch die besonderen
Gegebenheiten zu berücksichtigen, denen die Landeshauptstadt München im
Verhältnis zur Bundes- und Landesebene unterworfen ist. München, nach Berlin
und Hamburg drittgrößte deutsche Stadt, verfügt anders als die beiden Stadtstaa-
ten nicht über die Autonomie eines eigenständigen Bundeslandes. Die Landes-
hauptstadt hat nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) lediglich das Recht, ,,alle
Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener
Verantwortung zu regeln". Damit steht die freie Kreisstadt München auf der
untersten Ebene der mittelbaren Landesverwaltung. Je nachdem, ob die Stadt in
ihrem eigenen oder in einem übertragenen Wirkungskreis handelt, unterliegt sie
somit der Rechts- und Fachaufsicht der Bayerischen Regierung.
33
33
Der eigene Wirkungskreis ist in Art. 7 und Art. 58 BayGO, der übertragene Wirkungskreis
in Art. 8, Art. 58 und Art. 9 Abs. 1 BayGO geregelt. Sowohl Rechts- als auch Fachaufsicht wer-
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
19
Ungeachtet ihres Status als Landeshauptstadt kommt München damit kein direk-
tes Mitspracherecht auf Landes- oder Bundesebene zu. Um auf Bundesebene
Gehör zu finden, ist die Stadtverwaltung auf das Entgegenkommen der bayeri-
schen Staatsregierung angewiesen. Das doppelte Spannungsverhältnis, in dem
sich die sozialdemokratische Münchner Stadtspitze mit der traditionell christ-
lich-konservativen Bayerischen Staatsregierung und der seit 1982 bestehenden
christlich-liberalen Mehrheit auf Bundesebene befindet, läßt vermuten, daß bei
der kommunalen Beschäftigungspolitik Kompromisse und Zugeständnisse ge-
macht werden müssen, um staatliche Unterstützung zu erhalten.
1.2.2 Besonderheiten des Münchner Beschäftigungsmodells
Doch nicht nur hinsichtlich der politischen Konstellation kann die Untersuchung
der Münchner Beschäftigungspolitik aufschlußreiche Ergebnisse liefern. Durch
die Grundsatzentscheidung, sowohl durch ABM-Stellen als auch über die
Möglichkeiten des § 19 BSHG Beschäftigungsmöglichkeiten für
Langzeitarbeitslose zu schaffen, orientierte sich der Zweite Arbeitsmarkt in
München an einer sehr weit gefaßten Klientel. Neben schwer vermittelbaren
Langzeitarbeitslosen, von denen viele lediglich Hilfsarbeiterqualifikationen
hatten, sollte auch arbeitslosen Akademikern die Möglichkeit einer sinnvollen
Beschäftigung geboten werden, so daß qualitativ sehr unterschiedliche Ar-
beitsmöglichkeiten erschlossen werden mußten.
Im Gegensatz zu den Modellen anderer Kommunen, erstreckte sich der 1984
konzipierte Zweite Arbeitsmarkt der bayerischen Hauptstadt nicht nur auf rein
städtische Projekte, sondern bezog Selbsthilfegruppen, Wohlfahrtsverbänden und
teilweise auch Privatunternehmen sehr unterschiedliche Träger in das Aktions-
programm ein. Ergänzend wurden von der Kommunalverwaltung Gutachten der
Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, aber auch der Gewerk-
schaftsvertreter eingeholt, so daß letztendlich neben den Stadtratsfraktionen, den
verschiedenen städtischen Referaten und dem Arbeitsamt als wichtigstem stadt-
den bei der kreisfreien Stadt München von der Regierung von Oberbayern ausgeübt.Vgl. zur
Rechtsaufsicht Art. 109 Abs. 1 und Art. 110ff. BayGO. Zur Fachaufsicht vgl. Art. 109 Abs. 2
und Art. 115 ff. BayGO. Zur rechtlichen Stellung der Gemeinden im Grundgesetz siehe auch
Dieter Hesselberger: Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung. Bonn 1995, S.
196ff. und Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen
1991, S. 374.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
20
externen Finanzier ein bunt zusammengewürfelter und dadurch äußerst hetero-
gener Kreis auf die Verteilung der Mittel und die inhaltliche Ausgestaltung des
Beschäftigungsprogramms Einfluß zu nehmen versuchte. Diese Konstellation
ermöglicht es, die Interaktion eines weiten Spektrums von Akteuren unterschied-
lichster politischer Couleur und teilweise gegensätzlicher beschäftigungspoliti-
scher Zielsetzung auch außerhalb des Stadtrats zu untersuchen.
1.2.3 Leitfragen der Analyse
Die vorliegende Arbeit stellt die Frage nach den Einflußfaktoren kommunalpoli-
tischen Entscheidungshandelns in den Vordergrund der Analyse. Anhand der
Diskussionen um die Etablierung und die Fortführung des Zweiten Arbeits-
markts wird ermittelt, wie die Entscheidungsfindung innerhalb und zwischen den
beteiligten Gruppierungen ablief, welche Interessen von den Akteuren geäußert
und welche Zielvorstellungen im Stadtrat letztendlich aufgegriffen und durchge-
setzt wurden. Die Auswertung von Wahlprogrammen, Fraktionsanträgen, Mittei-
lungen und Sitzungsprotokollen der verschiedenen kommunalpolitischen Akteu-
re ermöglicht es, die Einflußnahme der einzelnen Stadtratsfraktionen, der betei-
ligten Fachreferate, der Selbsthilfegruppen, Verbände und der Vertreter der
Wirtschaft und des Handels auf einer breiten Quellenbasis nachzuzeichnen. An-
hand einzelner Diskussionspunkte werden die wichtigsten Konfliktlinien aufge-
zeigt und in den kommunalpolitischen Kontext eingeordnet .
Untersucht werden soll außerdem, ob und wie sich die individuellen Zielsetzun-
gen und Rahmenvorstellungen der einzelnen Akteure hinsichtlich der Beschäfti-
gung Arbeitsloser im Zeitverlauf wandelten und welche Hintergründe dafür be-
stimmend waren. Besonders relevant ist hier eine detaillierte Analyse der ge-
wandelten Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat von 1987-1990.
Aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse soll der Zweite Arbeitsmarkt
Münchens im Spektrum allgemeiner beschäftigungspolitischer Maßnahmen in
der Bundesrepublik eingeordnet und sein Stellenwert für die lokale Sozial- und
Wirtschaftspolitik der bayerischen Landeshauptstadt ermittelt werden. Basierend
auf der Annahme, daß München als relativ wohlhabende Stadt mit niedriger Ar-
beitslosenquote einem geringeren Handlungsdruck als andere deutsche
Großstädte ausgesetzt war, wird zu überprüfen sein, ob das Thema Zweiter
Arbeitsmarkt hier nüchterner und überlegter als an anderen Orten angegangen
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
21
markt hier nüchterner und überlegter als an anderen Orten angegangen wurde
oder ob vielmehr gerade durch den geringen Handlungsdruck keine Notwendig-
keit gesehen wurde, ein Programm zu entwickeln, das den Anforderungen der
Reintegration Langzeitarbeitsloser gerecht wird.
1.2.4 Quellenlage
Um eine Antwort auf die dargestellten Fragen zu finden, werden neben den be-
reits erwähnten Publikationen in erster Linie unveröffentlichte Quellenmateria-
lien herangezogen. Zur Untersuchung des Verlaufs von Stadtrats- und Ausschuß-
sitzungen wurde vorwiegend auf den Bestand ,,Ratsitzungsprotokolle" des
Münchner Stadtarchivs zurückgegriffen. Ergänzend wurden darüber hinaus bis-
lang zum Teil noch unerschlossene Quellen aus den Beständen der Industrie-
und Handelskammer, des Referats für Arbeit und Wirtschaft der Landeshaupt-
stadt München sowie einzelner Stadtratsfraktionen und Parteien miteinbezogen.
Auf diesem Weg konnten neben den Sitzungsprotokollen der Projektgruppe
,,Zweiter Arbeitsmarkt" auch Briefwechsel der beteiligten Akteure und interne
Stellungnahmen der IHK in der Analyse berücksichtigt werden. Zusätzlich wur-
den Publikationen städtischer Einrichtungen, die Wahlprogramme der Parteien
zu den Kommunalwahlen 1984 und 1990 sowie Berichte der örtlichen Presse
über den Zweiten Arbeitsmarkt ausgewertet.
34
Nicht alle Quellen waren in gleichem Maße verwertbar. Während die Veröffent-
lichungen des Münchner Sozialreferats in erster Linie dazu dienten, die Entwick-
lung des Zweiten Arbeitsmarkts statistisch zu untermauern, lassen sich anhand
der äußerst detaillierten Ratssitzungsprotokolle Atmosphäre, Verlauf und Inhalt
der Verhandlungen im Stadtrat sowie in den mit dem Programm befaßten Aus-
schüssen anschaulich verfolgen. Leider waren die Akten der einzelnen Parteien
zur fraktionsinternen Entscheidungsfindung unzugänglich. Das Manko der
Ratssitzungsprotokolle, vorab gefaßte parteiinterne Beschlüsse widerzuspiegeln
und keinen Blick hinter die Kulissen fraktionsinterner Entscheidungsfindung zu
gewähren, konnte nur ansatzweise durch die Auswertung der Ergebnisprotokolle
34
Einbezogen wurde die Berichterstattung der Münchner Tageszeitungen Süddeutsche Zei-
tung (SZ), Abendzeitung (AZ) und der tz, die täglich erscheinende Münchner Rathaus Umschau
(MRU), das monatliche Magazin Münchner Stadtzeitung, die Münchner Obdachlosenzeitung
Bürger in sozialen Schwierigkeiten (BISS) und der Bayerische Landtagsdienst (BLD) als Organ
des Bayerischen Landtags und des Bayerischen Senats.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
22
währen, konnte nur ansatzweise durch die Auswertung der Ergebnisprotokolle
von Projektgruppensitzungen von Presseberichten behoben werden. Ergänzend
herangezogene interne Briefwechsel dienen weiter dazu, das Verhältnis zwi-
schen einzelnen Akteuren, aber auch die Außenwirkung der Münchner Arbeits-
förderungsinitiative kritisch zu beleuchten.
35
Neben der innerparteilichen Diskussion des Zweiten Arbeitsmarkts müssen auch
andere Teilaspekte aufgrund der schlechten Quellenlage blaß bleiben. Dies gilt
insbesondere für die Betrachtung der Position des Deutschen Gewerkschaftsbun-
des, dessen Unterlagen hierzu zum Großteil nicht mehr existieren. Aber auch die
Haltung der einzelnen Projektvertreter und Arbeitsloseninitiativen läßt sich
durch die dortige Personalfluktuation und Veränderungen der Schwerpunkte in
der inhaltlichen Arbeit nur bedingt an Hand von Originaldokumenten nachzeich-
nen. Ebenso konnten die internen Papiere der Wohlfahrtsverbände nicht einbe-
zogen werden. Um diese dokumentarische Lücke zu schließen, wurde hier - so-
weit möglich - auf allgemeine Stellungnahmen der Akteure (so etwa grundsätzli-
che Beiträge von DGB-Vertretern zum Zweiten Arbeitsmarkt) zurückgegriffen.
Bevor das Beschäftigungsprogramm der bayerischen Landeshauptstadt München
im Detail untersucht wird, soll im folgenden Kapitel der Zweite Arbeitsmarkt im
Bereich der Sozialpolitik eingeordnet werden. Um den Stellenwert der Beschäf-
tigungsförderung als genuin kommunales Handlungsfeld zu ermessen, wird zu-
nächst auf ihre geschichtliche Entwicklung eingegangen. Dabei wird herausge-
arbeitet, daß sowohl die Kommunalität als auch die inhaltliche Ausrichtung an
den Kriterien Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit traditionelle Kennzeichen der
Beschäftigungsförderung sind.
Nach einem kurzen Abriß über die unterschiedlichen Möglichkeiten der
Beschäftigungsförderung im Arbeitsförderungs- und im Bundessozialhilfegesetz
wird herausgearbeitet, welche spezifischen Aspekte den Zweiten Arbeitsmarkt in
der Bundesrepublik bestimmen und welche Formen der Umsetzung für die
kommunale Beschäftigungsförderung heute typisch sind. Zuletzt soll in diesem
35
Nur in einigen Fällen war es möglich, die politische Grundhaltung der dargestellten Perso-
nen durch weiterführende Presseberichte zu ermitteln. Dies gilt insbesondere für Akteure, die
innerhalb ihrer Partei oder ihrer Institution eine Führungsrolle einnahmen. Bei manchen anderen,
die lediglich in den Diskussionen um den Zweiten Arbeitsmarkt eine tragende Position innehat-
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
23
Kapitel die Bedeutung des Zweiten Arbeitsmarkts für die kommunale Sozialpoli-
tik kritisch beleuchtet werden.
2 Kommunale Beschäftigungsfördermaßnahmen als
sozialpolitisches Konzept zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit
Betrachtet man geschichtliche Entwicklung und wissenschaftliche Analyse kom-
munaler Beschäftigungspolitik, so fällt zunächst die Diskrepanz zwischen dem
Stellenwert, den kommunale Beschäftigungsprogramme in der politikwis-
senschaftlichen Analyse genießen und der langen Tradition, auf die regionale
Arbeitsprogramme zurückblicken können, ins Auge.
2.1 Geschichtliche Entwicklung kommunaler Beschäftigungsförde-
rung
Die vorübergehende Beschäftigung Arbeitsloser auf kommunaler Ebene ist kein
neues Instrument der Sozialpolitik: Bereits im frühen 17. Jahrhundert wurden in
Anlehnung an englische und niederländische Vorbilder in Bremen, Lübeck und
Hamburg erste Arbeitshäuser gegründet, in denen sozial Randständige wie Bett-
ler, Prostituierte, geistig Behinderte, verarmte Witwen und Waisen, gebrechliche
Alte, aber auch wandernde Handwerksgesellen, sich durch Arbeit einen beschei-
denen Unterhalt verdienten und gleichzeitig sozial diszipliniert wurden.
36
ten, konnte der politische Hintergrund durch die schlechte Quellenlage nicht nachgezeichnet
werden.
36
Der sozialpolitische Charakter der in der Folgezeit gegründeten Arbeitshäuser differierte
jedoch stark: Während für den baden-württembergischen Raum bereits sehr früh überwiegend
sozialpolitische Konzepte zur Beschäftigung Arbeitsloser entwickelt wurden, waren die Arbeits-
häuser in anderen Landstrichen stark merkantilistisch orientiert. Die kostengünstige, zugleich oft
ausbeuterische Beschäftigung von Insassen des Arbeitshauses im Manufakturwesen stellte für
etablierte Handwerksbetriebe eine ernsthafte Bedrohung dar, so daß man an manchen Orten
versuchte, Wettbewerbssituationen zu vermeiden. Beispielhaft kann hier das 1804 in München
eröffnete Beschäftigungshaus am Anger genannt werden, dessen Bedeutung ,,auf ideellem, nicht
auf materiellem Gebiet liegen" sollte. Vorrangiges Ziel der Anstalt war somit nicht die gewinn-
bringende Produktion. Vielmehr wollte man die Armen ,,nützliche Beschäftigungen ... lehren,
und so nicht blos den Bettel augenblicklich ... steuern, sondern denselben in den Wurzeln, Sitten-
losigkeit, Arbeits-Unkunde, oder Ungewohnheit ... ersticken." Dadurch, daß sich die Insassen
der Arbeitshäuser vorrangig auf die leicht zu erlernende Tätigkeit des Verspinnens von Baum-
wolle und Wolle konzentrierten, wurde eine Konkurrenz mit den in München ansässigen Zünften
vermieden. Vgl. dazu Angelika Baumann: ,,Armuth ist hier wahrhaft zu Haus...". Vorindustriel-
ler Pauperismus und Einrichtungen der Armenpflege in Bayern um 1800. München 1984, hier S.
263ff. Einen allgemeinen Überblick über Konzept und Geschichte der Arbeitshäuser bietet die
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
24
Ab den Jahren 1848/49 wurden arbeitslose Lohnarbeiter dann kurzzeitig zu so-
genannten ,,Notstandsarbeiten" in Gemeinden herangezogen. Hintergrund dieser
zusätzlich zur Armenpflege von den Kommunen betriebenen Beschäftigungs-
maßnahmen war zunächst die Angst vor politischen und sozialen Unruhen als
Resultat saisonaler und konjunktureller Massenarbeitslosigkeit.
37
Mit der ,,Grün-
derkrise" Mitte der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts lebte die Praxis der Not-
standsarbeiten wieder auf. Ab 1892 versuchten immer mehr Kommunen Ersatz-
arbeitsmöglichkeiten für Arbeitslose zu schaffen.
38
Bei der Auswahl geeigneter Beschäftigungsmaßnahmen galt das Kriterium der
,,Zusätzlichkeit", um die Gefährdung regulärer Arbeitsplätze zu vermeiden.
39
Die
Verrichtung dieser Notstandsarbeiten beschränkte sich dabei in der Regel auf die
Wintermonate. Beschäftigt wurden in erster Linie Bauarbeiter, die saisonal ar-
beitslos und den geforderten Arbeiten im Straßenbau, beim Steineklopfen und in
der Straßenreinigung körperlich gewachsen waren. Nur wenige Städte beschäf-
tigten zusätzlich qualifizierte Arbeitnehmer in geschlossenen Werkstätten oder
Büros.
40
Die Auswahl der Arbeitslosen für die kommunalen Beschäftigungsmaß-
nahmen erfolgte dabei überwiegend nach sozialen Gesichtspunkten.
41
Die ge-
zahlten Löhne waren unter den ortsüblichen Tarifen angesetzt und sollten eine
Darstellung von Christoph Sachße/Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutsch-
land. Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum ersten Weltkrieg. Stuttgart u.a. 1980, S. 113ff.
37
Siehe dazu Thea Dückert: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - ein beschäftigungspolitisches
Instrument? Frankfurt/M. 1984, S. 26f.
38
Vgl. dazu Udo Bullmann: Kommunale Strategien gegen Massenarbeitslosigkeit. Opladen
1991, S. 192f. sowie Anselm Faust: Arbeitsmarktpolitik im deutschen Kaiserreich. Arbeitsver-
mittlung, Arbeitsbeschaffung und Arbeitslosenunterstützung 1890-1918. Stuttgart 1986, S. 114f.
39
Vgl. dazu den detaillierten Überblick bei Stefan Sell: Strukturwandel der Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen. In: Zeitschrift für Sozialreform, Nr. 12/1994, S. 797-819, hier insbes. S.
798-806.
40
Vgl. dazu Faust, Arbeitsmarktpolitik, S. 115, der zu bedenken gibt, daß die Art der angebo-
tenen Ersatzarbeit einen großer Teil der Arbeitslosen ausschloß: ,,Die Unfall- und Krankheitsge-
fahr [war] für ungeübte und an geschlossene Werkräume gewöhnte Arbeiter recht hoch. Arbeiter
mit Präzisionsfertigkeiten befürchteten eine wenigstens vorübergehende Einschränkung ihrer
Wiederverwendbarkeit im angestammten Beruf. All dies hielt manche Erwerbslosen davon ab,
sich zu den Notstandsarbeiten zu melden".
41
Siehe dazu Dückert, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, S. 30 die betont, daß bei der Vergabe
zusätzlicher Arbeit Familienväter und ältere Arbeitnehmer ledigen Männern vorgezogen wurden.
Dagegen waren Frauen - ungeachtet ihres Familienstandes - allgemein von den Notstandsarbei-
ten ausgenommen. Vgl. dazu Faust, Arbeitsmarktpolitik, S. 116.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
25
Existenz etwas oberhalb der Leistungen der Armenpflege sichern, um somit die
Arbeitslosen weiterhin ,,arbeitsfreudig und -fähig zu erhalten".
42
Da es in den Gemeinden kein Gremium gab, welches die alleinige Zuständigkeit
für die lokale Beschäftigungsförderung inne hatte, und somit eine Vielzahl von
Ämtern mit großem administrativen Aufwand an der Arbeitsvermittlung beteiligt
waren, war die Beschäftigung Arbeitsloser relativ kostspielig. Um diese zusätzli-
chen organisatorischen Hürden zu umgehen, begannen die Kommunen ab 1890 -
verstärkt seit der Beschäftigungskrise von 1900/02 - durch die Verschiebung
öffentlicher Aufträge in den Winter und die damit verbundene Reduzierung sai-
sonal bedingter Arbeitslosigkeit, aktiv in die örtliche Arbeitsmarktpolitik ein-
zugreifen.
43
Als sich zu Beginn des ersten Weltkriegs die Situation am Arbeitsmarkt erneut
verschärfte, gingen die betroffenen Kommunen bereits mit einer gewissen Rou-
tine vor. Die Arbeitslosen wurden nun vor allem im Bereich der Kriegsprodukti-
on eingesetzt. Erstmals wurden auch arbeitslose Frauen mit Näharbeiten für die
Militärverwaltung beschäftigt.
44
Nachdem ab 1916 qualifizierte Arbeitskräfte
knapp wurden, löste die gezielte Vermittlung von Arbeitskräften die Förderung
zusätzlicher Beschäftigungsverhältnisse ab. Oberstes Aufsichtsorgan wurde laut
Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5.12.1916, die Militärbehörde.
Zum ersten Mal war damit ein zentrales Organ auf Reichsebene mit der Kontrol-
le und Koordination der Arbeitsmarktpolitik betraut worden.
45
Mit dem Kriegsende und der Gründung der Weimarer Republik wurden weitere
arbeitsmarktpolitische Parameter festgelegt. Die Weimarer Reichsverfassung
schrieb erstmals das Recht auf Arbeit und Arbeitslosenunterstützung fest. Auch
erfolgte durch den Aufbau einer gemeinsamen Zentralarbeitsgemeinschaft im
November 1918 die gegenseitige Anerkennung von Arbeitnehmerverbänden und
42
Meyer, Paul: Die Notstandsarbeiten und ihre Probleme. Ein Beitrag zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Jena 1914, S. 72. Zitiert nach Faust, Arbeitsmarktpolitik, S. 117.
43
Vgl. dazu Faust, Arbeitsmarktpolitik, S. 118f. sowie Dückert, Arbeitsbeschaffungsmaß-
nahmen, S. 27.
44
Vgl. dazu Faust, Arbeitsmarktpolitik, S. 240ff. Faust betont jedoch, daß den Frauen damit
nur kurzzeitig geholfen war. Als 1915 eine Verknappung von Rohstoffen einsetzte, war der Be-
darf an Militärkleidung bereits weitgehend gedeckt, so daß auf die zusätzlich beschäftigten Nä-
herinnen wieder verzichtet werden konnte. Vgl. ebd., S. 241f.
45
Vgl. dazu Dückert, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, S. 32f.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
26
Gewerkschaften.
46
Die Finanzierung der Notstandsarbeiten, für deren Koordinie-
rung nun das Reichsarbeitsministerium zuständig war, wurde ab Oktober 1919
aus Mitteln der Erwerbslosenfürsorge vorgenommen. Dabei durften die für Not-
standsarbeiten aufgewandten Gelder die dadurch erzielten Einsparungen der Er-
werbslosenfürsorge nicht überschreiten. Ab 1923 wurde die Orientierung an Ta-
riflöhnen aufgegeben; die nun erheblich schlechter bezahlten Notstandsarbeiten
wurden zunehmend als Gegenleistung für die Erwerbslosenfürsorge verstanden.
Die Beschäftigungsförderung Arbeitsloser erhielt durch dieses sozialdisziplinie-
rende Element einen neuen Charakter.
47
Diese Umdefinierung staatlicher Beschäftigungspolitik sollte mit dem 1927 ver-
abschiedeten Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (A-
VAVG), in dem Notstandsarbeiten als freie Arbeitsverhältnisse mit nach oben
offener Lohngrenze anerkannt wurden, rückgängig gemacht werden.
48
Grund-
gedanke des AVAVG war die in § 131 festgelegte Vorstellung, Arbeitslosigkeit
solle ,,in erster Linie durch Vermittlung von Arbeit verhütet und beendigt wer-
den".
49
§ 141 AVAVG regelte die seit Ende des ersten Weltkriegs praktizierte
Variante von Pflichtarbeit ohne Entgelt für den Kreis von Arbeitslosen, die keine
Ansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung geltend machen konnten und
damit auf die sogenannte ,,Krisenunterstützung" angewiesen waren. Demgegen-
über legte § 139 AVAVG die Parameter der staatlich finanzierten Notstandsar-
beiten zu Tarifbedingungen neu fest. Die im Rahmen der ,,wertschaffende Ar-
beitslosenfürsorge" verrichteten Arbeiten mußten neben dem bis dahin gültigen
Kriterium der ,,Zusätzlichkeit" nun volkswirtschaftlich wertvoll sein. Private
Träger waren von der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge ausgeschlossen.
50
War um die Jahrhundertwende vor allem das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Not-
standsarbeiten kontrovers diskutiert worden, so wurde in der von wirtschaftli-
chen und sozialpolitischen Nöten geschüttelten Weimarer Republik in erster Li-
46
Vgl. ebd., S. 35ff.
47
Vgl. ebd., S. 47ff.
48
Vgl. ebd., S. 50 sowie Bullmann, Kommunale Strategien, S. 193.
49
Reichsministerium des Inneren (Hrsg.): Reichsgesetzblatt I, 1927, S. 203. Zitiert nach Gui-
do Golla, Nationalsozialistische Arbeitsbeschaffung in Theorie und Praxis 1933 bis 1936. Köln
1994, S. 95, der sich als einer von wenigen Autoren mit der Beschäftigungspolitik des Dritten
Reichs intensiver auseinandergesetzt hat.
50
Vgl. Sell, Strukturwandel, S. 800.
Der Zweite Arbeitsmarkt als kommunalpolitischer Handlungsraum. Eine Analyse am Beispiel der Stadt München.
27
nie die Auswirkung der Beschäftigung Arbeitsloser auf gesamtvolkswirtschaftli-
che Belange erörtert. Vor allem die Unternehmen lehnten die Beschäftigung Ar-
beitsloser über das AVAVG aufgrund der damit verbundenen Kosten ab. Im Ge-
gensatz dazu sahen die Befürworter in Arbeitsförderungsmaßnahmen ein geeig-
netes Mittel, um die gesamtgesellschaftliche Kaufkraft zu steigern und somit die
marode Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
51
Im Nationalsozialismus gewann die staatliche Beschäftigung Arbeitsloser deut-
lich an Umfang.
52
In den Anfangsjahren des Dritten Reichs diente die Beschäfti-
gung von Arbeitnehmern an neugeschaffenen Arbeitsplätzen der Rüstungsin-
dustrie sowohl dem propagandawirksamen Abbau der Massenarbeitslosigkeit als
auch der Kriegsvorbereitung.
53
Korrespondierend zur nationalsozialistischen
Ideologie, die das Recht auf staatliche Versorgungsleistungen an individuelle
Leistungen für den Volkskörper knüpfte, wurde das Element der Pflichtarbeit
weit höher bewertet als die auf Freiwilligkeit basierende ,,wertschaffende Ar-
beitslosenfürsorge", welche zunehmend an Bedeutung verlor.
54
Die Verpflichtung, auf Niedriglohnbasis zu arbeiten, wurde in den folgenden
Jahren auf andere Bevölkerungsteile ausgeweitet. So wich der von der Präsidial-
regierung Brüning geschaffene ,,Freiwillige Arbeitsdienst", durch den arbeitslose
Jugendliche eine vorübergehende Beschäftigung erhalten sollten, ab Juni 1935
einer allgemeinen Arbeitsdienstpflicht im Rahmen des ,,Reichsarbeitsdienstes".
Alle jungen Männer, später auch Frauen, wurden dadurch für die Dauer eines
halben Jahrs zur Arbeit verpflichtet.
55
Mit der Beschäftigung von Zwangs-
arbeitern und der Errichtung von Arbeitslagern wurde die Pflicht zur Arbeit in
51
Vgl. ebd., S. 801.
52
Siehe dazu Volker Herrmann: Vom Arbeitsmarkt zum Arbeitseinsatz. Zur Geschichte der
Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1929 bis 1939. Frankfurt/M.
1993, S. 53, demzufolge gegenüber ca. 32.400 Notstandsarbeitern 1931 im Jahr 1933 bereits
288.100, 1934 dann 334.500 Notstandsarbeiter pro Monat registriert worden waren.
53
Vgl. dazu ausführlich Golla, Nationalsozialistische Arbeitsbeschaffung.
54
Vgl. dazu Herrmann, Arbeitsmarkt, S. 102ff. Obwohl sich die Unterstützungsmodalitäten
für Arbeitslose im Dritten Reich de jure nicht geändert hatten, wurden sie de facto durch eine
immer strengere Auslegung des Begriffs der ,,Arbeitswilligkeit" aus dem Kreis der Bezugsbe-
rechtigten ausgegrenzt.
55
Siehe ebd., S. 62ff und Andreas Kranig: Lockung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung im
Dritten Reich. Stuttgart 1983, S. 149 ff.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 1998
- ISBN (eBook)
- 9783832452964
- ISBN (Paperback)
- 9783838652962
- Dateigröße
- 1.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Ludwig-Maximilians-Universität München – Sozialwissenschaftliche Fakultät, Geschwister-Scholl-Institut für politische Wissenschaften
- Note
- 1,0
- Schlagworte
- zweiter arbeitsmarkt arbeitsmarktpolitik beschäftigungsförderung kommunalpolitik