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Führung und Selbstorganisation

Bausteine zu einem „nicht-trivialen“ Führungsverständnis

©1996 Diplomarbeit 95 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Hohe Vernetzung, steigende Komplexität, stagnierende Wirtschaft, gleichgültige Mitarbeiter. Führungskräfte von heute haben es in der Tat nicht leicht. Doch wer oder was ist eigentlich Schuld, wenn die Produktivität von Mitarbeitern zu wünschen übrig lässt? Gibt es den oder die Schuldigen wirklich?
In der vorliegenden Arbeit wird anhand der Systemtheorie aufgezeigt, welche Möglichkeiten sich heute für die Personalführung bieten und welche Konsequenzen diese für die herkömmlichen Führungstheorien haben.
Hierzu wird in Abschnitt 2 ein kurzer Rückblick auf klassische Führungstheorien geworfen, um anschließend auf moderne Bezugsgesichtspunkte einzugehen. Herausgestellt werden soll in diesem Zusammenhang, dass konventionelle, individualistisch orientierte Führungstheorien, vor dem Hintergrund einer zunehmenden Innen- und Außenkomplexität von Unternehmungen, keine zufriedenstellenden Erklärungen und Hilfestellungen mehr bieten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Auf der Grundlage der Systemtheorie sowie des Phänomens der Selbstorganisation wird anschließend in Abschnitt 3 skizzenhaft gezeigt, in welcher Weise diese Theorien die Möglichkeit eröffnen, Probleme in Unternehmen umzuinterpretieren und dadurch andere als die traditionellen Lösungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu rücken.
Gerade die Funktion eines „neuen“ Bezugsrahmens kann die Interpretation von bestehenden Problemen sowie deren Lösungsmöglichkeiten erweitern und durch Hinterfragung verschiedener Annahmen über das Wesen von Organisationen, die spezifischen Problemdefinitionen von Phänomenen wie Mitarbeiterführung, Machtbeziehungen, etc. leiten. Phänomene auf der Mikroebene werden dabei im Rahmen einer (meist implizit angenommenen) Perspektive über das Wesen des Makrosystems oder des Makrokontextes interpretiert und erkannt.
Der nachfolgende Abschnitt 4 schließlich versucht, die aus der systemtheoretischen Betrachtung resultierenden, veränderten Vorstellungen von Führung und Führungsproblemen auf der Mikroebene herauszustellen, um den für die Verfasserin nötigen Sichtwechsel von einem trivialen zu einem nicht-trivialen Verständnis menschlicher und sozialer Systeme argumentativ zu untermauern.
„Selbstorganisation“ und „Führung“ erweisen sich aus dieser Interpretationssicht als Konzepte, die sich, entgegen dem ersten Anschein, nicht ausschließen, sondern eher „konvergierende Tendenzen“ in Richtung auf eine „Evolutionäre […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5505
Hentschke, Heidi: Führung und Selbstorganisation: Bausteine zu einem ,,nicht-trivialen"
Führungsverständnis / Heidi Hentschke - Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Hannover, Universität, Diplomarbeit, 1996
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Seite
Inhaltsverzeichnis ...
I
Abkürzungsverzeichnis ...
III
Abbildungsverzeichnis ...
III
1.
Einleitung ...
1
2.
Traditionelle Führungstheorien auf dem Prüfstand ...
4
2.1 Gegenwärtiger Stand der Führungsforschung ...
4
2.1.1 Begrifflicher Bezugsrahmen ...
4
2.1.2 Die Führungsforschung in der Krise? ...
6
2.2 Menschenbilder als idealtypische Grundlagen
der Führungs- und Organisationstheorie ...
8
2.2.1 Funktionen und Stellenwert ...
8
2.2.2 Menschenbildtypologie nach Schein ...
9
2.2.3 Systemtheoretische Betrachtung der ,,Welt" als ,,triviale"
bzw. ,,nicht-triviale" Maschine nach v. Foerster ...
12
2.3 Traditionelle führungstheoretische Ansätze im Überblick ...
14
2.3.1 Die Eigenschaftstheorie der Führung (Trait Approach)
14
2.3.2 Verhaltenstheoretische Ansätze (Behavioral Approach) 16
2.3.3 Situative Ansätze (Situational Approach) ...
18
2.4 Kritik an der traditionellen Sichtweise
von Führung als ,,Trivialmaschine" ...
22
2.4.1 Kritik zur Konzeption personaler Führung
als ,,Trivialmaschine" ...
22
2.4.2 Kritik zur Konzeption des organisatorischen
Führungskontextes als ,,Trivialmaschine" ...
24
2.4.3 Auf dem Weg zu einem
,,nicht-trivialen" Führungsverständnis ...
25

3.
Der Einfluß der Systemtheorie auf die Organisationstheorie:
Ein Bezugsrahmen der Selbstorganisation ...
27
3.1 Systeme ­ Eine Begriffsbestimmung im Rahmen
der allgemeinen Systemtheorie ...
27
3.2 Besondere Kennzeichen von Organisationen
als humane soziale Systeme ...
31
3.2.1 Organisationsbegriffe im Wandel ...
31
3.2.2 Besondere Kennzeichen humaner sozialer Systeme .
32
3.3 Selbstorganisation ...
39
3.3.1 Die intrinsischen Charakteristika
selbstorganisierender Systeme ...
39
3.3.2 Zur Selbstorganisation von Unternehmen ...
44
3.4 Zusammenfassung ...
46
4.
Das Innovationspotential der Selbstorganisations-Theorien
für die Führungsforschung ...
49
4.1 Personalführung im organisationalen Kontext ...
49
4.2 Führung und Kommunikation ...
51
4.3 Selbstorganisation als Interpretation
der Organisationswirklichkeit ...
53
4.4 Führung und die intrinsischen Charakteristika
der Selbstorganisation ...
56
4.4.1 Führung und Komplexität ...
56
4.4.2 Führung und Autonomie ...
58
4.4.3 Führung und Selbstreferenz ...
60
4.4.4 Führung und Redundanz...
62
4.5 Führung und Entwicklung ...
64
4.6 Interaktionstheorien ...
66
5.
Fazit ... 68
Literaturverzeichnis ...
71
Ehrenwörtliche Erklärung ... 86

Abkürzungsverzeichnis
Abb.
Abbildung
Aufl.
Auflage
Bd.
Band
bzw.
beziehungsweise
d.h.
das heißt
ebenda
am genannten Ort
erw.
erweiterte
et al
et alteri
etc.
et cetera
f.
folgende (Seite)
ff.
folgende (Seiten)
Hrsg.
Herausgeber
Jg.
Jahrgang
korr.
korrigierte
neubearb.
neubearbeitete
NTM
Nicht-triviale Maschine
o. Hrsg.
ohne Herausgeber
o. V.
ohne Verfasser
S.
Seite
Sp.
Spalte
u.a.
unter anderem
überarb.
überarbeitete
usw.
und so weiter
v.
von
vgl.
vergleiche
vs.
versus
z.B.
zum Beispiel

Abbildungsverzeichnis
Seite
Abbildung 1:
Triviale Maschine ...
12
Abbildung 2:
Nicht-triviale Maschine ...
13
Abbildung 3:
Einteilung von Systemen ...
28
Abbildung 4:
Traditionelle Koordinationsformen und
Selbstorganisation ...
44
Abbildung 5:
Gelenkte Selbstorganisation ...
48
Abbildung 6:
Modell eines ,,sozialen Systems"
gemäß der weichen Systemmethodik von Heil ...
52
Abbildung 7:
Der Regelkreis des selektiven Managements ...
54

1
1. Einleitung
Das ausklingende 20. Jahrhundert ist durch vielfältige Veränderungen ge-
kennzeichnet,
1
die sich für Unternehmen vor allem in einer drastischen Er-
höhung der Umweltkomplexität bemerkbar machen.
Zeitlich gesehen wird die Umweltsituation, nicht zuletzt durch neue Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien, immer schneller und diskonti-
nuierlicher, so daß Unternehmen gezwungen werden, ihre Reaktionsfähig-
keit permanent zu erhöhen.
Auf der sachlichen Ebene kommt eine zunehmende Vernetzung der Pro-
blemstellungen und ihrer Folgewirkungen hinzu, die Organisationen vor die
Aufgabe stellt, sich in einer Vielzahl von Bezügen zurechtzufinden. Neben
ökonomische treten ökologische und soziale Anforderungen in den Mittel-
punkt des Wirtschaftsgeschehens, die Entwicklungen und Trends nur noch
schwer identifizierbar und noch weniger prognostizierbar machen.
Gerade der gesellschaftliche Wertewandel wird in diesem Zusammenhang
für die Unternehmen sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis zu-
nehmend spürbar. Arbeitnehmer stellen ebenso veränderte Ansprüche an
ihre Arbeit wie Konsumenten an die Organisation und ihre Produkte.
2
Gleichzeitig werden die heutigen Organisationen selbst durch eine erhöhte
Komplexität geprägt, die aus einer zunehmenden Zahl und Vielfalt von
Spezialisierungen resultiert. Noch vor 150 Jahren waren Großorganisationen
relativ einfach zu erfassen und zu beschreiben, weil die von ihnen zu erfül-
lenden Aufgaben mit den Sinnesorganen erfahrbar waren (z.B. Bau eines
Gebäudes) und die meisten Mitarbeiter sich zumindest mit ähnlich ausge-
richteten Tätigkeiten befaßt haben. Heute findet man in Unternehmen nur
noch wenige Menschen, die mit identischen Aufgabenstellungen betraut
werden. Zusätzlich bildet sich in jeder dieser Unternehmen eine spezifische
Berufssprache mit verschiedenen Kategorien und Begriffen heraus. Kom-
munikation und Koordination sind damit zu einem zentralen Problem avan-
ciert, aus dem sich die Fragestellung für die Gestaltung und Funktionsfä-
higkeit von Unternehmen in einer qualitativ neuen Weise stellt.
3
Besonders betroffen sind Führungskräfte, die die anstehenden Einflüsse
erkennen und umsetzen müssen, um nicht nur das Überleben und die Ent-
wicklungsfähigkeit einer Unternehmung sicherzustellen,
4
sondern ebenso
der Verantwortung ihren Mitarbeitern gegenüber gerecht werden zu kön-
1
Vgl. Bleicher, K. (1992), S. 123.
2
Vgl. Schmitz, C. (1993), S. 42f.
3
Vgl. Malik, F. (1993), S. 8f.
4
Vgl. Bleicher, K. (1992), S. 123.

2
nen.
5
Gerade weil technische und ökonomische Systeme weitgehend aus-
gereizt sind, bleibt der Faktor Mensch ­ und damit das Interesse an Füh-
rungsfragen ­ als letzte Kategorie für ,,Optimierungsprogramme" übrig.
6
Prinzipiell sieht sich jeder Versuch einer Deutung des strukturellen Wandels
und der Entwicklung von Gesellschaft und Ökonomie mit der Auswahl ge-
eigneter Theorien, Erklärungsmuster und Paradigmen konfrontiert. Episte-
mologisch geht es darum, das Ganze und seine Teile in ihrem Zusammen-
hang und in einer Gegenüberstellung mit der Umwelt zu berücksichtigen.
Aufgrund der komplexen Strukturen und vielfach vernetzten Systeme darf
das Zusammenfügen einzelner Teilerkenntnisse heute jedoch nicht mehr
additiv erfolgen. Das unser westliches Weltbild (und damit auch Führungs-
und Managementtheorien) beeinflussende cartesianisch-newtonsche Para-
digma, welches auf einem analytischen, linearen und reduktionistischen Ur-
sache-Wirkungs-Denken fußt, kann damit als Erklärungsmuster nicht mehr
genügen.
7
Im folgenden soll deshalb erkundet werden, welche Möglichkeiten sich
heute für die Personalführung bieten und welche Konsequenzen diese für
die Führungstheorie haben.
Hierzu wird in Abschnitt 2 ein kurzer Rückblick auf klassische Führungstheo-
rien geworfen, um anschließend auf moderne Bezugsgesichtspunkte einzu-
gehen. Herausgestellt werden soll in diesem Zusammenhang, daß konven-
tionelle, individualistisch orientierte Führungstheorien, vor dem Hintergrund
einer zunehmenden Innen- und Außenkomplexität von Unternehmungen,
keine zufriedenstellenden Erklärungen und Hilfestellungen mehr bieten, um
die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
8
Auf der Grundlage der Systemtheorie sowie des Phänomens der Selbstor-
ganisation wird anschließend in Abschnitt 3 skizzenhaft gezeigt, in welcher
Weise diese Theorien die Möglichkeit eröffnen, Probleme in Unternehmen
umzuinterpretieren, und dadurch andere als die traditionellen Lösungsmög-
lichkeiten in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken.
Gerade die Funktion eines ,,neuen" Bezugsrahmens kann die Interpretation
von bestehenden Problemen sowie deren Lösungsmöglichkeiten erweitern
und durch Hinterfragung verschiedener Annahmen über das Wesen von Or-
ganisationen, die spezifischen Problemdefinitionen von Phänomenen wie
5
Vgl. Haken, H. (1991), S. 65.
6
Vgl. Wiendieck, G. (1990), S. 40f.
7
Vgl. Matis, H. (1989), S. 77f.
8
Vgl. Püschel, U.P. (1992), S. 11.

3
Mitarbeiterführung, Machtbeziehungen, etc. leiten. Phänomene auf der Mi-
kroebene werden dabei im Rahmen einer (meist implizit angenommenen)
Perspektive über das Wesen des Makrosystems oder des Makrokontextes
interpretiert und erkannt.
9
Der nachfolgende Abschnitt 4 schließlich versucht, die aus der systemtheo-
retischen Betrachtung resultierenden, veränderten Vorstellungen von Füh-
rung und Führungsproblemen auf der Mikroebene herauszustellen, um den
für die Verfasserin nötigen Sichtwechsel von einem trivialen zu einem nicht-
trivialen Verständnis menschlicher und sozialer Systeme argumentativ zu
untermauern.
,,Selbstorganisation" und ,,Führung" erweisen sich aus dieser Interpretati-
onssicht als Konzepte, die sich, entgegen dem ersten Anschein, nicht aus-
schließen, sondern eher ,,konvergierende Tendenzen" in Richtung auf eine
,,Evolutionäre Führungskonzeption" darstellen. Selbstorganisation wird hier
deshalb nicht als alleiniges Organisations- und Führungsinstrument gese-
hen, das in Organisationen zu implementieren ist. Vielmehr wird der Stand-
punkt vertreten, daß Selbstorganisation in Unternehmen ohne Fremdorga-
nisation und damit ohne Einfluß von außen, und das bedeutet wohl ohne
Führung, gar nicht denkbar ist.
10
9
Vgl. Dachler, H.P. (1985), S. 352f.
10
Vgl. Knyphausen, D. zu (1991), S. 48.

4
2. Traditionelle Führungstheorien auf dem Prüfstand
2.1 Gegenwärtiger Stand der Führungsforschung
2.1.1 Begrifflicher Bezugsrahmen
Der Versuch, den Sachverhalt ,,Führung" zu erfassen, zu beschreiben und
einer Abgrenzung zuzuführen, erweist sich, vor dem Hintergrund seiner
Heterogenität und dem Fehlen eines geeigneten Begriffssystems als Be-
zugsbasis, als schwieriges Unterfangen.
11
Diese Uneinheitlichkeit resultiert
einerseits aus der Tatsache, daß der Führungsbegriff auf einem kulturge-
bundenen, normativen Konzept basiert, das je nach Welt- und Menschen-
bild von Wissenschaftlern und Praktikern unterschiedlich aufgefaßt wird,
12
und andererseits neben den Wirtschaftswissenschaften auch eine ganze
Reihe weiterer Sozialwissenschaften begonnen haben, sich aus ihrer Sicht-
weise mit dem Führungsphänomen zu beschäftigen. So ergibt allein in
Deutschland eine grobe Einschätzung (basierend auf dem Personenregister
des Handwörterbuchs der Führung) weit über eintausend deutschsprachige
Autoren.
13
Aus diesem Grund wird im folgenden eine Arbeitsdefinition von Führung
versucht, die sich lediglich auf die für den Verlauf dieser Arbeit wesentlichen
Aspekte beschränkt.
Die Kernbedeutung traditioneller Führung erschließt sich aus der gegensei-
tigen Bedingtheit von ,,Führerschaft" und ,,Gefolgschaft.
14
Aus dieser Per-
spektive heraus bieten sich zur Erklärung des Führungsphänomens zwei
grundsätzlich verschiedene Ansätze an:
Zum einen kann Führen und Folgen in der Mikrosicht individualpsycholo-
gisch aus subjektiven Motiven, Bedürfnissen und Trieben der beteiligten
Individuen (Menschenführung), zum anderen in der Makrosicht system-
funktionell aus den objektiven Zwecken und Bedingungen des in Frage ste-
henden Kollektivs betrachtet werden (Unternehmensführung).
Verschiedene Erklärungen in der Sache ergeben sich für beide Ansätze nur
dann, wenn sich soziale Systemzwecke und individuelle Motive grundsätzlich
unterscheiden.
15
Menschen-, oder synonym dazu Mitarbeiter- bzw. Personalführung, wird also
in direktem Kontakt zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern realisiert.
16
I n
11
Vgl. Wild, J. (1994), S. 316.
12
Vgl. Wunderer, R./Grunwald, W. (1980a), S. 53.
13
Vgl. Steinle, C. (1995), Sp. 523f.
14
Vgl. Seidel, E./Jung, R.H./Redel, W. (1988), S. 6.

5
diesem Sinne wird Führung von den meisten Autoren
17
als eine ­ mehr oder
weniger qualifizierte ­ soziale Einflußnahme definiert. Verstanden wird dar-
unter die Fremdbestimmung des Verhaltens der Geführten durch den oder
die Führer,
18
und damit eine zielorientierte Beeinflussung des Mitarbeiters
durch den Vorgesetzten.
19
Konventionelle Unternehmensführung wird betriebswirtschaftlich mit dem
Fällen von ,,strategisch-taktischen" Entscheidungen, als den Entscheidungen
im unternehmenspolitischen Bereich, begreiflich gemacht. Hier findet die in
der älteren Literatur häufige Gleichsetzung von Unternehmensführung und
Unternehmenspolitik ihre Erklärung.
Auch die neuere Entwicklung der Managementlehre, die sich z.B. mit der
Unterscheidung dreier Generationen ,,strategischer Planung" (die Fortent-
wicklung der ,,strategischen Planung" zu einem ,,strategischen" und ,,evolu-
tionären" Management
20
) beschäftigt, ändert an dieser klassischen Aussa-
ge im Grundsatz nichts.
Damit steht Unternehmensführung in einem anderen konzeptionellen Zu-
sammenhang als Menschenführung: Als Kontext der Menschenführung wird
die ,,soziale Interaktion" gesehen, während der Kontext der Unterneh-
mensführung ­ zumindest im Sinne des üblichen normativen Unterneh-
mensführungskonzepts ­ die ,,rationale Handlung" ist.
21
Die Führung von
Menschen stellt demnach primär auf den Führungsstil, also die unmittel-
bare Beziehung zwischen Führern und Geführten, und die Führung sozialer
Organisationen als ,,übertragene" Führung auf die Führungsorganisation
ab.
22
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich zunächst mit den traditio-
nellen Denkweisen und Führungstheorien der Personalführung, um diese im
Anschluß daran einer kritischen Würdigung zu unterziehen und im Rahmen
der Systemtheorie eine mögliche veränderte Betrachtung von Führung im
Organisationskontext aufzuzeigen.
15
Vgl. ebenda, S. 17.
16
Vgl. Wunderer, R. (1993), S. 113.
17
Vgl. z.B. Wunderer, R./Grunwald, W. (1980a), S. 62 oder Staehle, W.H. (1991), S. 303.
18
Vgl. Seidel, E./Jung, R.H./Redel, W. (1988), S. 5.
19
Vgl. Drumm, H.J. (1992), S. 355.
20
Vgl. dazu Kirsch, W./Esser, W.-M./Gabele, E. (1979), S. 343ff.
21
Vgl. Seidel, E./Jung, R.H./Redel, W. (1988), S. 29.
22
Vgl. ebenda S. 48.

6
2.1.2 Die Führungsforschung in der Krise?
In der heutigen Zeit sind viele Unternehmen weit davon entfernt, Spitzen-
leistungen zu produzieren und ,,exzellent" zu sein. Trotz aller Bemühungen,
Innovationen voranzutreiben, Wandel zu forcieren und flexibel zu reagie-
ren, bleiben ihre Erfolge meist hinter dem zurück, was angestrebt wird und
angesichts der Wettbewerbssituation sinnvoll wäre. Das Ungenügen der
vielen positiven Versuche, sich in der Vielfalt der Aufgaben zurechtzufinden,
stößt zunehmend auf Unzufriedenheit und Überraschung.
23
Traditionelle Erfolgskonzepte scheinen nicht mehr wirksam zu sein und
werfen die Frage nach den heutigen Quellen von Erfolg und Mißerfolg auf.
24
Einer der Gründe für das ,,Mißlingen" der Anstrengungen kann z.B. in den in
der Einleitung bereits erwähnten Veränderungen des Umfeldes der Unter-
nehmen gesehen werden: Der japanischen Herausforderung folgt die euro-
päische und dieser möglicherweise die islamische; die ökologische Her-
ausforderung löst die technologische ab und wird ihrerseits abgelöst durch
die kybernetische. Diese permanente Alternation hinterläßt bei der einzel-
nen Führungskraft Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Orientierungs- und Ent-
wicklungsmöglichkeiten sowie deren Richtung.
25
Hinzu kommt, daß auch die Beziehung zu den Mitarbeitern neue Anforde-
rungen an die Führungskräfte stellt. Aufgrund der zunehmenden Delegation
von Aufgaben und Kompetenzen sowie der Einbindung in Teams und Pro-
jektgruppen haben Mitarbeiter ein neues Arbeitsverständnis entwickelt, das
eine kritischere und anspruchsvollere Sichtweise über das Führungsverhal-
ten ihrer Vorgesetzen impliziert. Eine passive Rolle der Geführten erweist
sich als nicht mehr attraktiv; sie sehen sich immer mehr als Beteiligte und
Partner, die mitführen und mitgestalten wollen.
26
Ein weiterer wichtiger Aspekt wird darin gesehen, daß Mitarbeiter ein und
derselben Führungskraft diese sehr unterschiedlich beschreiben, woraus für
die klassische Führungsforschung schwerwiegende Konsequenzen resultie-
ren. Traditionelle Führungstheorien sind bisher davon ausgegangen, daß
sich Vorgesetzte auf eine charakteristische Weise verhalten, und daß eben
dieses Verhalten mit bestimmten organisationalen Ergebnissen in Verbin-
dung steht, so daß ein angemessenes bzw. erfolgreiches Verhalten identifi-
ziert und unter Umständen trainiert oder gefördert werden kann. Trotz der
23
Vgl. Schmitz, C. (1993), S. 41.
24
Vgl. Link, J. (1995), S. 13.
25
Vgl. Böning-Team (1992), S. 38.
26
Vgl. Hausmann, H. (1994), S. 40.

7
Berücksichtigung unvermeidlicher Unschärfen, durch die Mittelung mehrerer
Beobachterurteile, wird heute festgestellt, daß die Durchschnittsbildung auf-
grund der stark differierenden Einzelaussagen ungerechtfertigt und sinnlos
ist.
27
Die veränderten Anforderungen an die Führung lassen sich im Grunde ge-
nommen also in zwei verschiedene Kategorien aufteilen. Zum einen han-
delt es sich um solche, die Führung hinsichtlich ihrer ,,instrumentalen Taug-
lichkeit" beurteilen. Primär zielen diese auf Kriterien ab, die zur Erfüllung
einer Führungsaufgabe in bezug auf den Fortbestand der Unternehmung
beitragen. ,,Erfolgreiche" Führung äußert sich in diesem Sinne in engagier-
ten und innovativen Mitarbeitern, wettbewerbsfähigen Produkten und
Dienstleistungen, einem guten Betriebsklima sowie in einer produktiven
Nutzung der Mittel und in einer gelungenen inner- wie außerbetrieblichen
Integration. Bei der Beurteilung des Führungserfolgs stehen hier vorwie-
gend ,,äußere" Maßstäbe im Vordergrund.
Zum anderen werden Sinnkriterien eingefordert: Sowohl ,,erfolgreiche Füh-
rung", als zu recht begehrte Qualifikation, die aufgrund ihrer sehr be-
grenzten Zeitperspektive heutzutage nicht mehr genügt, um das Verständ-
nis von Führung ausreichend zu begründen
28
als auch die in bezug auf die
Mitarbeiter geforderte Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit
29
lassen das Bedürfnis er-
wachsen, eine zeitlich umfassendere und gleichzeitig tiefergehende Wer-
tung heranzuziehen. Dabei handelt es sich ­ vorgezeichnet durch den all-
gemeinen Wertewandel ­ um die Grundfrage, ob Führung überhaupt einen
Sinn habe. Die Antwort darauf folgt im Gegensatz zu den Erfolgskriterien
vor allem ,,inneren", d.h. individuellen Maßstäben.
30
Angesichts dieser vielfältigen Veränderungen in ihrer Führungswelt erken-
nen Führungskräfte zunehmend, daß gängige Managementlehren, mecha-
nistische Führungstechniken und lineare Denkmuster nicht mehr greifen.
Angst vor Reformen und dem Verlust ihrer Autorität treiben sie deshalb zu-
nehmend in die Enge, wodurch sie in ihrer Handlungsfähigkeit einge-
schränkt werden
31
und deshalb häufig konsequent weiter bei dem bleiben,
was sie schon immer getan haben: Sich auf bewährte, vertraute Führungs-
und Managementlehren berufen.
32
27
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 136.
28
Vgl. Tschirky, H. (1991), S. 27.
29
Vgl. Dyllick, T. (1983), S. 8.
30
Vgl. Tschirky, H. (1991), S. 27.
31
Vgl. Hausmann, H. (1994), S. 40.
32
Vgl. Böning-Team (1992), S. 38.

8
Unter diesem Aspekt ist deshalb Distanz und die Suche nach Konzepten
gefordert, die nicht bereits a priori einer bestimmten Interessenperspektive
verhaftet sind.
33
2.2 Menschenbilder als idealtypische Grundlagen der Führungs- und
Organisationstheorie
2.2.1 Funktionen und Stellenwert
Sowohl die Führungs- und Organisationsliteratur als auch die Personal- und
Organisationsentwicklung weisen häufig auf den zentralen Stellenwert von
Menschenbildern hin.
34
Als vereinfachte Abbilder der ,,Wirklichkeit" reduzieren sie die verschiedenen
in der Realität vorkommenden Menschentypen auf wenige Grundformen
(Klassifikationsfunktion) und ermöglichen somit eine schnelle Zuordnung
des betrachteten Menschen auf diese Typologien (Lokalisationsfunktion).
Grundsätzlich lassen sich zwei Grundformen erkennen, die entweder zwi-
schen zwei polaren Alternativen differenzieren (Dualistische Menschenbil-
der) oder ein breites Spektrum von Alternativen anbieten (Pluralistische An-
sätze).
35
Daß Menschenbilder auch das Verhalten von Führungskräften beeinflussen,
läßt sich aus der sozialpsychologischen Einstellungsforschung ableiten, wo-
bei die Art der Beeinflussung sehr unterschiedliche Formen annehmen
kann.
36
Wirkungen können sich z.B. bezüglich der Reaktion gegenüber Mit-
arbeitern zeigen (z.B. wie sie deren Fähigkeiten etc. einschätzen), das
Steuern von Macht und Einfluß sowie den praktizierten Führungsstil.
37
Das soziale Handeln wird oft maßgeblich durch diese subjektiv verzerrte
oder selektive Wahrnehmung bestimmt. Führungskonzeptionen und Men-
schenbilder, die ein Vorgesetzter durchsetzt, können so soziale Realität
erlangen. Unterstellt eine Führungskraft ihren Mitarbeitern beispielsweise
bestimmte Eigenschaften und/oder Verhaltensweisen, so wird sich diese
Annahme häufig empirisch bestätigen (self-fulfilling prophecy). Eine ,,ob-
jektive" Überprüfbarkeit des ,,Wahrheitsgehaltes" von Menschenbildern und
impliziten Persönlichkeitstheorien ist demzufolge nicht erreichbar.
38
33
Vgl. Türk, K. (1990), S. 55.
34
Vgl. Weinert, A.B./Langer, C. (1995), S. 75.
35
Vgl. Scholz, C. (1993), S. 402ff.
36
Vgl. Weinert, A.B. (1987), Sp. 1438.
37
Vgl. Weinert, A.B./Langer, C. (1995), S. 76.
38
Vgl. Wunderer, R./Grunwald, W. (1980a), S. 86f.

9
Historisch gesehen fungieren die Annahmen über den Menschen in der Or-
ganisation als Rechtfertigung der jeweiligen organisatorischen und politi-
schen Systeme und reflektieren weitgehend das philosophische Welt- und
Menschenbild ihrer Zeit.
39
Gerade in der Organisationspsychologie haben mehrere Theoretiker und
Praktiker Menschenbilder entwickelt oder Klassifikationsversuche unter-
nommen. Teilweise wurden diese Typologien ihrer geschichtlichen Entwick-
lung nach geordnet und um Führungsstrategien erweitert. Obwohl sich diese
Klassifikationen zum Teil stark unterscheiden, kristallisieren sich immer
wieder zwei gemeinsame Grundgedanken heraus. Erstens handelt es sich
bei allen Typisierungen um die Vereinfachung konkreter und individueller
Bilder über den Menschen und zweitens hegen alle Autoren die Vermutung,
daß Führungskräfte in solchen Schemata denken oder zumindest denken
sollten.
40
Die größte Popularität haben dabei die Modelle von McGregor und
Schein erreicht, dessen Ansatz im folgenden exemplarisch vorgestellt
wird.
41
2.2.2 Menschenbildtypologie nach Schein
Schein entwickelte seine Theorie 1965 und folgte in seinen Überlegungen
dem pluralistischen Menschenbildansatz.
42
Seine Klassifikation spiegelt die
historische Entwicklung der Organisationstheorie vom Scientific Management
über die Human-Relations-Bewegung bis zum psychologischen Ansatz der
60er Jahre wider.
43
Gestützt auf Literaturaussagen und eigenen Erfahrungen
im Bereich der Unternehmensberatung,
44
unterscheidet er vier verschiedene
Gruppen von Hypothesen, die auf vier ,,managerial assumptions about hu-
mans" konzentriert sind.
45
1. Der rational ökonomische Mensch (rational-economic man)
Dieser technisch-nüchternen Haltung liegt Taylors Konzept der ,,wissen-
schaftlichen Betriebsführung" zugrunde.
46
Als ,,Homo oeconomicus" wird
39
Vgl. Schein, E.H. (1980), S. 77.
40
Vgl. Drumm, H.J. (1992), S. 357.
41
Vgl. Weinert, A.B./Langer, C. (1995), S. 75.
42
Vgl. Scholz, C. (1993), S. 406.
43
Vgl. Drumm, H.J. (1992), S. 358.
44
Vgl. Scholz, C. (1993), S. 406.
45
Vgl. Staehle, W.H./Sydow, J. (1992), Sp. 1289.
46
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 26.

10
der rational-ökonomische Mensch vor allem durch materielle Anreize
motiviert und ist aus diesem Grund manipulierbar und passiv.
47
2. Der soziale Mensch (social man)
In erster Linie wird der soziale Mensch durch soziale Bedürfnisse moti-
viert. Seine Identität leitet er aus Interaktionen mit seiner Arbeitsgruppe
ab
48
und wird daher stärker durch soziale Normen seines Umfeldes als
durch Anreize und Kontrollen des Vorgesetzten gelenkt.
49
Dieses Men-
schenbild lag der Human-Relations-Bewegung zugrunde.
50
3. Der sich-selbst-verwirklichende Mensch (self-actualizing man)
Der Typus des sich-selbst-verwirklichenden Menschen wird primär von
den obersten beiden Ebenen der Maslowschen Bedürfnispyramide, also
Autonomie und Selbstkontrolle, bestimmt und ist folglich nur in Ausnah-
mefällen auf Anreize und Kontrollen von außen angewiesen.
51
4. Der komplexe Mensch (complex man)
Die Grundtheorie dieses Modells nimmt Merkmale aller drei zuvor ge-
nannten Typen in unterschiedlicher Ausprägung und Mischung auf. Der
komplexe Mensch ist durch verschiedene Handlungsmotive und Bedürf-
nisse gekennzeichnet, die sich im Zeitablauf ändern.
52
Vielschichtigkeit,
Flexibilität, Wandlungs- und Lernfähigkeit sind nur einige Attribute, die
dem Menschen hier zugesprochen werden. Die Grundlage bildet daher
ein situativer Ansatz, bei dem in Abhängigkeit von persönlichen Eigen-
schaften des Untergebenen und der Führungssituation eine individuelle,
zeitabhängige Führungsform gewählt werden muß.
53
Der komplexe
Mensch wird als individuelles Wesen anerkannt und entzieht sich so je-
dem Ordnungsschema.
54
47
Vgl. Staehle, W.H. (1991), S. 176.
48
Vgl. Drumm, H.J. (1992), S. 358.
49
Vgl. Staehle, W.H. (1991), S. 176.
50
Vgl. Drumm, H.J. (1992), S. 358.
51
Vgl. ebenda, S. 358.
52
Vgl. Drumm, H.J. (1993), S. 358.
53
Vgl. Scholz, C. (1993), S. 406.
54
Vgl. Drumm, H.J. (1992), S. 358.

11
Die verschiedenen Annahmen über die Bedürfnis- und Motivationsstruktur
des Menschen haben für Schein organisatorische Konsequenzen zur Folge:
·
Beim rational-ökonomischen Menschen müssen klassische Führungs-
und Kontrollfunktionen ausgeführt werden;
·
der soziale Mensch muß in seinen Bedürfnissen nach Anerkennung und
Zugehörigkeit zu einer Gruppe unterstützt werden;
·
der sich-selbst-verwirklichende Mensch sollte in seiner individuellen Ent-
wicklung gefördert werden;
·
und beim komplexen Menschen ist die jeweils vorhandene Situation zu
diagnostizieren und angemessen zu gestalten.
55
Schein macht weder konkrete Aussagen über die Verbreitung noch über den
Realitätsbezug seiner vier Grundtypen, betont aber seine eigene Präferenz
für den ,,komplexen Menschen",
56
da dieser seiner Ansicht nach den heuti-
gen Menschen in der Industriegesellschaft repräsentiert. Dessenungeachtet
schließt er nicht aus, daß die Annahmen der anderen Menschenbilder bei
bestimmten Mitarbeitern in bestimmten Situationen ihre Gültigkeit besit-
zen.
57
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Schein weniger eine ei-
genständige Klassifikation vorgenommen hat, als vielmehr unterschiedliche
Menschenbilder aus verschiedenen Forschungsansätzen resümiert.
58
55
Vgl. Scholz, C. (1993), S. 406.
56
Vgl. Schein,E.H. (1980), S. 95ff.
57
Vgl. Hentze, J./Brose, P. (1986), S. 105.
58
Vgl. Scholz, C. (1993), S. 407.

12
2.2.3 Systemtheoretische Betrachtung der ,,Welt" als ,,triviale" bzw.
,,nicht-triviale" Maschine nach v. Foerster
Traditionelle Beschreibungen des Tätigkeitsfeldes einer Führungskraft, wie
Planen, Koordinieren und Organisieren, lassen sich alle auf eine zweckbe-
zogene Einflußnahme reduzieren, die eine möglichst vollkommene Kon-
trolle über die Unternehmung oder ihre Mitarbeiter zum Ziel hat. Führungs-
kräfte denken und handeln in diesem Verständnis als Homo faber, als
Techniker im weitesten Sinn, wobei in diesem Zusammenhang kein gene-
reller Unterschied zwischen lebenden und nichtlebenden Objekten gemacht
wird. Die Welt wird als eine Maschine begriffen,
59
die beherrscht und ge-
steuert werden muß und kann. Von Foerster hat mit seiner Unterscheidung
zwischen trivialen und nicht-trivialen Maschinen eine Gelegenheit geboten,
die Angemessenheit dieser Denkweise zu überprüfen.
60
Triviale Maschinen sind, wie Abbildung 1 zeigt, dadurch gekennzeichnet,
daß sie in eindeutiger Weise auf einen Input reagieren und deshalb einen
vorhersagbaren
Output
produzieren.
61
Auf die Führung bezogen
bedeutet diese Aussage,
daß ein bestimmter Input
(z.B. Anweisung, Personal
etc.) in das zu steuernde
soziale Gebilde (z.B. Mitar-
beiter, Team oder Gesamtorganisation) den beabsichtigten Output (Erfolg)
durch einen direkten kausalen Wirkungszusammenhang herbeiführt.
62
Da-
mit ist das Verhalten der Trivialmaschine, wegen der unveränderlichen Be-
ziehung (f) zwischen Input (x) und Output (y), vorhersagbar und ge-
schichtsunabhängig.
Neben dieser synthetischen Determiniertheit ist die Trivialmaschine auch
analytisch determinierbar, weil für jedes x nur das korrespondierende y no-
tiert zu werden braucht.
63
Mit Hilfe dieser eindeutigen Determinierung ist
das ,,Identifikationsproblem" trivialer Maschinen lösbar.
64
59
Von Foerster gebraucht den Begriff der ,,Maschine" in diesem Zusammenhang nicht als Maschine im
herkömmlichen Sinn, sondern als eine ganz bestimmte Denkweise, eine das eigene Handeln orien-
tierende Wirklichkeitsauffassung. Vgl. dazu die Ausführungen von Foerster, H. von (1988), S. 20,
Portele, G. (1989), S. 24f. und Fischer, H.R. (1993b), S. 26.
60
Vgl. Fischer, H.R. (1993b), S. 20.
61
Vgl. Probst, G.J.B. (1987b), S. 77.
62
Vgl. Wimmer, R. (1993), S. 99.
63
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 233.
64
Vgl. Foerster, H. von (1990), S. 81.
Abb. 1: Triviale Maschine
Quelle: Foerster, H. von (1990), S. 80.

13
Im Gegensatz zu trivialen wirken nicht-triviale Maschinen auf sich selbst
zurück, das heißt, sie sind hinsichtlich ihrer Zustandsveränderungen durch
zirkuläre Selbstorganisation
65
bestimmt.
66
Bei ihnen kommt ein innerer Zu-
stand z hinzu, der die Input-Output-Beziehung zwischen x und y sowie die
Beziehung zwischen aufeinanderfolgenden inneren Zuständen (z,z`) durch
die Inputs mitbestimmt.
67
In Abbildung 2 wird das Schema einer nicht-
trivialen Maschine verdeutlicht, die zwei verschiedene ,,innere Zustände"
und dementsprechend zwei verschiedene Verhaltensweisen (z=1; z=2) zur
Verfügung hat, die unter ,,1"
und ,,2" angeführt sind.
Während die Maschine im
Zustand ,,1" genauso arbei-
tet wie die zuvor vorgestellte
triviale
Maschine,
verhält
sich im Zustand ,,2" die
Transformationsregel
dia-
metral. Besonders bemer-
kenswert ist die Fähigkeit vom Zustand ,,1" in den Zustand ,,2" und/oder
zurück zu springen, wie die dritte Spalte mit der Überschrift ,,z´" andeutet.
68
Damit erhalten nicht-triviale Maschinen eine Art ,,Eigenleben", wobei die in-
ternen Zustände als eine Quelle von Geschichte interpretiert werden kön-
nen, die von außen nicht beobachtbar ist.
69
Unter nicht-triviale Maschinen fallen nach Fischer lebende Systeme, wie z.B.
Menschen, die in ihrer Unberechenbarkeit zwar den Nachteil der Unzuverläs-
sigkeit und Launenhaftigkeit, als großen Vorzug aber auch Spontanität,
Kreativität und Lernfähigkeit in sich vereinigen.
70
Von Foerster macht hier
also deutlich, daß die vorherrschenden kausalen Denkschemata wie Reiz-
Reaktion, Ursache-Wirkung, Ziel-Handlung usw. übereinfacht und irrefüh-
rend sind,
71
da sich das ,,Identifikationsproblem" nicht-trivialer Maschinen
als ebenso nicht-trivial gestaltet.
72
65
Zur näheren Erklärung des Phänomens der Selbstorganisation sei hier auf Abschnitt 3.3 verwiesen.
66
Vgl. Fischer, H.R. (1993b), S. 26.
67
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 233.
68
Vgl. Foerster, H. von (1990), S. 85.
69
Vgl. Probst, G.J.B. (1987b), S. 78.
70
Vgl. Fischer, H.R. (1993b), S. 27.
71
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 233f.
72
Vgl. Foerster, H. von (1990), S. 87.
Abb. 2:
Nicht-triviale Maschine
Quelle:
Foerster, H. von (1990), S. 85.

14
Zusammenfassend soll an dieser Stelle mit Hilfe eines Zitates von Portele
kurz noch einmal das differente Verhalten nicht-trivialer Maschinen im Ver-
gleich zu trivialen Maschinen herausgestellt werden:
,,Der Hauptunterschied zwischen einer trivialen und einer nicht-trivialen
Maschine (NTM) ist, daß ihre Operationen von ihren jeweiligen zeitlich
veränderbaren `inneren Zuständen' z abhängen, die ihrerseits wieder
abhängen von den vorangegangenen Operationen. Der interne Zu-
stand der nicht-trivialen Maschine ändert sich jedesmal, wenn die `Ma-
schine' einen Output berechnet."
73
2.3 Traditionelle führungstheoretische Ansätze im Überblick
In der Literatur lassen sich unterschiedliche Klassifikationen von Führung-
stheorien lokalisieren.
74
In Anlehnung an die amerikanische Führungslehre
(z.B. Hellriegel/Slocum, Brown/Moberg, Luthans) wird im Rahmen dieser Ar-
beit jedoch lediglich auf drei Ansätze eingegangen, die auch im deutsch-
sprachigen Raum einen hohen Stellenwert besitzen.
75
2.3.1 Die Eigenschaftstheorie der Führung (Trait Approach)
Der wahrscheinlich älteste wissenschaftliche Erklärungsansatz der Führung
ist die Eigenschaftstheorie (auch: Great-Man-Theory) in ihrer ursprünglichen
Form.
76
Ihre Herkunft geht auf psychologische Forschungen zurück, die der
Betriebswirtschaft entscheidende Impulse geliefert haben. Das Führungs-
phänomen wird hier von einer stark charakterologisch und individualistisch
orientierten Seite gesehen
77
und konzentriert sich auf die angeborenen
bzw. früh sozialisierten Eigenschaften einer Führungsperson.
78
Führerschaft
liegt somit nicht nur darin begründet, daß erfolgreiche Führer bestimmte Ei-
genschaften besitzen müssen, sondern auch darin, daß jeder, der diese Ei-
genschaften besitzt, automatisch zum Führer wird.
79
Komplementär zu die-
ser Selbstüberschätzung des Führers werden die Geführten, entsprechend
des Menschenbildes der Theorie X von McGregor
80
oder des bereits vorge-
73
Portele, G. (1989), S. 27.
74
Vgl.Wunderer, R./Grunwald, W. (1980a), S. 112.
75
Vgl. Hentze, J./Brose, P. (1986), S. 109.
76
Vgl. Jung, H. (1995), S. 408.
77
Vgl. Delhees, K.H. (1987), Sp. 748.
78
Vgl. Wunderer, R. (1993), S. 28.
79
Vgl. Jung, H. (1995), S. 408.
80
Vgl. dazu z.B. Staehle, W.H. (1991), S. 306.

15
stellten rational ökonomischen Menschen von Schein, als belohnungsorien-
tiert und passiv angesehen.
Unstimmigkeit herrscht vor allem darüber, welche Eigenschaften zu den
Führereigenschaften zählen. Deshalb wird versucht, das Problem durch fol-
gende Ermittlungen (scheinbar) empirisch zu lösen:
1. Inhaber von Führungspositionen werden untersucht und mit anderen
Menschen (bevorzugt Geführten) verglichen.
2. Inhaber von Führungspositionen werden miteinander verglichen, um Per-
sönlichkeitsunterschiede zwischen erfolgreichen und erfolglosen Führern
zu bestimmen.
3. Personen, die aus eigener Kraft in Führungspositionen aufsteigen oder
als Führer Anerkennung finden, werden analysiert.
81
Obwohl eine endliche Menge meßbarer Persönlichkeitszüge wie Intelligenz,
Willensstärke, Wissen, soziale Aktivität usw. festgestellt werden können
und z.B. Stogdill über einhundert Studien zur Identifizierung von Führungs-
eigenschaften ausgewertet hat, können keine konkreten positiven Korrela-
tionen zwischen Persönlichkeitszügen und Führungsposition konstatiert wer-
den.
82
Zum einen liegt das an der Tatsache, daß Führungseigenschaften
hypothetische Konstrukte sind, die nirgendwo dinglich erfaßt sind, sondern
aus bestimmten Anzeichen erschlossen werden
83
, zum anderen daran, daß
sich immer wieder zeigt, daß die Situation einen nicht zu unterschätzenden
Einfluß ausübt.
84
Generell ist man sich in der Führungsliteratur darüber einig, daß die tradi-
tionelle eigenschaftszentrierte Führungstheorie durch ihre rein personelle
Erfolgsbegründung abzulehnen ist.
85
Sie bietet keinen Hinweis darauf, wie
Eigenschaften in bestimmte Verhaltensweisen ,,übersetzt" werden und wo-
durch (unter welchen Bedingungen, auf welche Art, unter Einsatz welcher
Machtmittel) Einfluß ausgeübt wird.
86
In neueren Veröffentlichungen jedoch
sympathisieren einige Autoren erneut mit der ,,Great-Man-Theory", wobei
betont wird, daß gerade große Durchbrüche und schöpferische Leistungen
etwas mit ,,Charismatischer Führung" zu tun haben.
Weiterhin nehmen überarbeitete Versionen der Eigenschaftstheorie an, daß
Führungseigenschaften in gewisser Weise doch situativ bedingt sind und die
81
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 61.
82
Vgl. Staehle, W.H. (1991), S. 307 sowie Schettgen, P. (1991), S. 37.
83
Vgl. Delhees, K.H. (1987), Sp. 749.
84
Vgl. Staehle, W.H. (1991), S. 307.
85
Vgl. Wunderer, R./Grunwald, W. (1980a), S. 122.
86
Vgl. Neuberger, O. (1994), S. 63.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1996
ISBN (eBook)
9783832455057
ISBN (Paperback)
9783838655055
DOI
10.3239/9783832455057
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2002 (Juni)
Note
1,3
Schlagworte
systemtheorie führungsansätze organisation management personalführung
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Titel: Führung und Selbstorganisation
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