Zusammenfassung
Gott ist tot. Gerade in der Debatte um Reproduktionsmedizin und Molekularbiologie wird ersichtlich, dass die Zeiten von Immanenz und Transzendenz, im Hinblick auf Erlösung und Verschiebung von Problemstrukturen auf das Jenseits, der Vergangenheit angehören. Der Mensch ist zum Meister seiner eigenen Disposition geworden und liegt in der Debatte um die daraus resultierende Ethik und Moral um Jahrhunderte zurück. Schon seit Jahrtausenden macht sich der Mensch Gedanken über schöne, gesunde und gute Nachkommen. Sokrates und Glaukon forderten Gesetze, damit nur die besten Männer mit den besten Frauen möglichst oft, und die schlechtesten Männer mit den schlechtesten Frauen möglichst wenig verkehren durften. Verlockend der Gedanke das Krankheiten schon in ihrer genetisch angelegten Struktur verhindert werden kann.
Geradezu zynisch zu wissen das eine Gesellschaft ohne Schwache und Verlierer nicht funktionstüchtig sein kann. Das biologische Schicksal ist voraussehbar, planbar und korrigierbar geworden und lässt nur erahnen, welches Potential an Kontrollierbarkeit hier möglich ist. Sicher ist allerdings eines, wir werden uns über eine völlig neue Konstruktion Mensch unterhalten müssen, und es wird auch unabdingbar sein demzufolge über eine völlig andere, noch nicht vorhersehbare Gesellschaftsordnung zu sprechen.
In der gesamten Biodiskussion sind die Demarkationslinien noch nicht klar gezogen und bieten daher in erster Linie für viele Menschen Unsicherheit und Unverständnis angesichts eines so umfassenden Themenkomplexes. Aber eines dürfte sicher sein. Endlich haben wir es geschafft. Endlich sind wir Herr, wenigstens auf biologischer Ebene, Herr unser selbst. Der letzte Schritt zur Individualisierung mit Rückgabegarantie ist getan und die Gewissheit besser sein zu können als die Schöpfung je sein konnte, ist endlich in greifbare Nähe gerückt. Die neuen Dispositionen ähneln einem fundamentalistischen Individualisten, eine Überforderung, eine biologische Atombombe auf geistiger Ebene. Wir sind nicht nur dazu verdammt worden die eigene Anthropologie neu zu konzipieren, ja sogar soweit zu verändern und jederzeit beliebig neu verändern zu können, wir sind auch dazu verdammt worden allem einen neuen Sinn geben zu müssen. Der Urzustand, die biologische Grenze, ist erobert und kann neu platziert werden. Wir sind zum Korrekturleser unser selbst degradiert.
Tatsache ist, dass die gesamte Diskussion um Bioethik und die daraus […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Gott ist tot. Gerade in der Debatte um Reproduktionsmedizin und Molekularbiologie wird ersichtlich, daß die Zeiten von Immanenz und Transzendenz, im Hinblick auf Erlösung und Verschiebung von Problemstrukturen auf das Jenseits, der Vergangenheit angehören. Der Mensch ist zum „Meister“ seiner eigenen Disposition geworden und liegt in der Debatte um die daraus resultierende Ethik und Moral um Jahrhunderte zurück. Schon seit Jahrtausenden macht sich der Mensch Gedanken über schöne, gesunde und gute Nachkommen. Sokrates und Glaukon forderten Gesetze, damit nur die besten Männer mit den besten Frauen möglichst oft, und die schlechtesten Männer mit den schlechtesten Frauen möglichst wenig verkehren durften.
Verlockend der Gedanke das Krankheiten schon in ihrer genetisch angelegten Struktur verhindert werden kann. Geradezu zynisch zu wissen das eine Gesellschaft ohne „Schwache und Verlierer“ nicht funktionstüchtig sein kann. Das biologische Schicksal ist voraussehbar, planbar und korrigierbar geworden und läßt nur erahnen, welches Potential an Kontrollierbarkeit hier möglich ist.
Sicher ist allerdings eines, wir werden uns über eine völlig neue Konstruktion Mensch unterhalten müssen, und es wird auch unabdingbar sein demzufolge über eine völlig andere, noch nicht vorhersehbare Gesellschaftsordnung zu sprechen.
In der gesamten Biodiskussion sind die Demarkationslinien noch nicht klar gezogen und bieten daher in erster Linie für viele Menschen Unsicherheit und Unverständnis angesichts eines so umfassenden Themenkomplexes.
Aber eines dürfte sicher sein. Endlich haben wir es geschafft. Endlich sind wir Herr, wenigstens auf biologischer Ebene, Herr unser selbst. Der letzte Schritt zur Individualisierung mit Rückgabegarantie ist getan und die Gewißheit besser sein zu können als die Schöpfung je sein konnte, ist endlich in greifbare Nähe gerückt.
Die neuen Dispositionen ähneln einem fundamentalistischen Individualisten, eine Überforderung, eine biologische Atombombe auf geistiger Ebene. Wir sind nicht nur dazu verdammt worden die eigene Anthropologie neu zu konzipieren, ja sogar soweit zu verändern und jederzeit beliebig neu verändern zu können, wir sind auch dazu verdammt worden alles einen neuen Sinn geben zu müssen. Der Urzustand, die biologische Grenze, ist erobert und kann neu plaziert werden. Wir sind zum Korrekturleser unser selbst degradiert.
Tatsache ist, daß die gesamte Diskussion um Bioethik und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Folgen in einem Vakuum stecken. Die Suche nach einer neuen Bioethik ist noch lange nicht abgeschlossen, eine neue Suche nach uns selbst und die Möglichkeit den Menschen als solches ganzheitlich zu erfassen und zu schützen. Ausgehend von den kurzen Überlegungen ist es nur klar, daß die Neudefinition Mensch eigentlich eine Neustrukturierung des Systems Mensch – Mensch und Mensch – Umwelt bedeutet mit all ihren logischen Konsequenzen.
In dieser Diplomarbeit versuche ich nicht nur zum Ausdruck zu bringen, daß der Weg in die eugenische Gesellschaft schon längst gegangen wird Das nicht nur die Debatte um eine „ethisch human“ orientierte Gesellschaft Gegenstand des neues Diskurses ist, sondern die Kreise sich viel weiter ziehen. Tatsache ist, daß dem Diskurs Neudefinition Mensch eine ganze Palette von Argumentationen aus z.b. Wirtschafts- und Versicherungssystemen ebenso aus der Nahrungsmittelindustrie und Bauernverbänden zukommen. Bereiche also denen in erster Linie Produktorientiertheit und Marktverbundenheit zugesprochen werden kann. Es geht sich nicht mehr um den rein philosophischen Diskurs ( wenn es sich jemals darum ging ), sondern um eine Neudefinition des Weltmarktes Mensch und seine biologisch – genetische Vermarktung. Wir befinden uns in einer Situation des Zerfalls und Wiederaufbaus ethischer Konventionen auf gesamthumaner Ebene. Wichtig wäre, daß an einem Wiederaufbau ethischer Grundprinzipien eine breite Öffentlichkeit beteiligt wäre, die in ihrem Wesen die Situation erkennen und diskutieren kann. Eine Öffentlichkeit, die in der Lage ist zu wissen, daß Fortschritt und Wissenschaft nie neutral sein kann und auch nicht will. Wir berechnen uns neu und reduzieren uns auf die Summe unserer Addition.
Dabei sind wir auf einer viel weiterführenden Diskussion. Es geht nicht nur um eine Neudefinition Mensch, quasi den homo ratio geneticus, sondern um eine Neuinterpretation der Schöpfungsgeschichte, in dem jegliches Lebewesen durchdacht, neukonzipiert und neuplaziert wird. Entscheidend dafür sind weder humanistische, sondern eher zweckorientierte Kriterien. Wir befinden uns also im Schiff der 2. Schöpfungsgeschichte, in denen sich die utilitaristischen Apologeten am Ruder befinden.
Die Frage muß sein was wir wollen? Die Frage muß sein wer die gängigen Entscheidungs- und Machtprozesse in der Hand hält und welche Interessen damit verbunden werden.? Wollen wir alles sein was wir sein können?
In dieser vorliegenden Diplomarbeit kann nicht auf alles eine Antwort gegeben werden. Aber die bioethischen Horizonte können abgesteckt, der Diskurs verdeutlicht werden. Es kann verdeutlicht werden, welchen Prozessen Gesellschaft unterliegt und wohin der Weg führen könnte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Der Horizont des bioethischen Diskurses
1.1 Eine Reise durch die Gentechnologie- medizinischer Diskurs
Die Idee der Kontrolle und das Bewußtsein von Allmächtigkeit hat den Menschen seit jeher beschäftigt und fasziniert. Ähnlich wie es Moses erging, als er die zehn Gebote empfangen hatte und sein Volk tanzend vor einem goldenen Kalb sah, so müßten Humanethiker in anbetracht der Entwicklungen im Bereich der Gen – und Molekularbiologie die Haare zu Berge stehen. Selbst die erzählende Literatur hat frühzeitig auf die große Versuchung der Neuinterpretation der Schöpfungsgeschichte hingewiesen. Was zu Anfangs noch in Mary Shelly’s „Frankenstein“ die Transplantation oder Verpflanzung von Organen, Gliedmaßen und Gehirn ( d.h. die Kontrolle und eingeschränkte Manipulation über den gesamten geistigen Horizont) in einen anderen Menschen beinhaltete findet spätestens in H.G. Wells „Die Insel des Dr. Moreau“ einen viel weiter gefaßten, universelleren und allmächtigeren Höhepunkt. Denn hier findet sich nicht nur die Erschaffung eines ganz bestimmten, höheren Wesens, sondern auch die Allmachtsfunktion des Herrn der Insel wieder, der seine Interessen und Machtfaktoren schützen will. Auch er wollte alle uns umgebenden Pflanzen- und Lebewesen in einen schöpferischen Plan einarbeiten und Dinge nach seinen Vorstellungen und Ansichten überarbeiten.
Ich werde im Laufe der Diplomarbeit immer wieder auf den Grundkonsens von Ethik und Moral zu sprechen kommen. Ethik darf allerdings nicht mit Moral verwechselt werden. Der Ausdruck der „Moral“ bezeichnet den Inbegriff jener von den menschlichen Sitten („mores“) herrührenden Verhaltensnormen, deren Übertretung nicht nur peinlich, sondern gesellschaftlich verboten ist.
Mit dem Ausdruck Ethik bezeichnet man die philosophischen, religiösen oder weltanschaulichen Verfahren zur Rechtfertigung solcher moralischer Normen. Allerdings unterliegt meiner Ansicht nach die Moral gerade in einer pluralistisch orientierten Gesellschaft einen raschen Wandel, was zur Folge ein wachsendes Bedürfnis nach Ethik hat. Die Grundfrage könnte wieder sein was unsere „moderne“ Gesellschaft zusammenhält. Wo liegt der gemeinsame Konsens und was wird im menschlichen und nicht- menschlichen Sinne als schützenswert erachtet? Ähnlich wie heute war ein Zuordnungsindikator zur Erreichung einer höhern, schützenswerteren Stufe ( im ethischen Sinne) die Möglichkeit der Wahrnehmung von Schmerz.
„.Aber es ist eine solche Kleinigkeit. Ein Geist, der sich dem, was die Wissenschaft uns zu lehren hat, wahrhaft öffnet, muß einsehen, daß es eine Kleinigkeit ist. Vielleicht kommt außer diesem kleinen Planeten, diesem Fleck kosmischen Staubes, den man längst nicht mehr sähe, ehe man den nächsten Stern erreichte – vielleicht, so sage ich, kommt dies, was wir Schmerz nennen, sonst nirgends vor. Aber die Gesetze, die wir tastend suchen ( naturwissenschaftliche Anm. d. V.) ... ah, selbst auf unserer Erde, selbst unter lebenden Wesen, was ist da der Schmerz.
. Der Schmerz ist nichts anderes als unser innere ärztlicher Ratgeber, um uns zu warnen und anzustacheln. Nicht alles lebendige Fleisch ist schmerzempfindlich, auch nicht alle Nerven sind es, nicht einmal alle Empfindungsnerven. ... Und dann die Menschen, je intelligenter sie werden, mit um so mehr Intelligenz werden sie für ihr eigenes Wohlbefinden sorgen, und um so weniger werden sie den Stachel nötig haben, der sie vor Gefahr warnen soll. Ich habe noch von keinem nutzloseren Ding gehört, das nicht durch die Evolution früher oder später ausgemerzt worden wäre. - Sie etwa? Und der Schmerz wird nutzlos. .. ( aus H.G. Wells „Die Insel des Dr. Moreau“ S. 117- 119).
Natürlich ist der Bereich der medizinischen Anwendungspalette zur Produktion und Kontrolle von menschlichen Embryonen sehr viel größer als „Dr. Moreau“ es jemals angenommen hat.
Was anfangs „nur“ eine beschleunigten und verbesserten Produktion von Tieren galt hatte sich durch die sehr hohe Erfolgsrate auch dem Menschen genähert. Utopisten sahen es schon lange voraus und es wurde im Jahre 1978 Wirklichkeit. Der britische Arzt Robert Edwards wurde zum „Vater“ des ersten Retortenbabys, d.h. des ersten Babys das völlig außerhalb des menschlichen Körpers gezeugt wurde.
Hier entwickelten sich auch die Anfänge der Kryokonservierung, d.h. das Tiefkühlen von befruchteten Eizellen zum Zwecke der Forschung und Wiedereinpflanzung. In Deutschland entfachte sich hierauf eine erste breite Ethikdebatte mit dem Ergebnis des ersten Embryonenschutzgesetzes.
Ich versuche nun kurz die Entwicklungs- und Arbeitsbereiche der gentechnischen Medizin darzustellen, um den medizinischen Horizont zu verdeutlichen.
Edwards nutzte zur „Zeugung seines ersten Kindes“ die:
1.1.1 Die In –Vitro -Fertilisation
Anders ausgedrückt bezeichnet man die In – Vitro – Fertisilation ( IVF ) auch als einen Embryonen - Transfer. Im Kern geht es um die Erzeugung von Leben im Reagenzglas ( in – Vitro ) . Ursprünglich stammt sie aus der Tier- und Nahrungsmittelproduktion und ist dann auf den Menschen übertragen worden. Sie war die erste Sterilitätsbehandlung und verbreitete sich als Methode weltweit sehr schnell. Als Grundvoraussetzung für eine effektive Befruchtung außerhalb des weiblichen Körpers gilt:
1. Die Hormonbehandlung der Frau mit dem Ziel einer Superovulation, d.h. es sollen sich so viele Eizellen wie möglich bilden.
2. Entnahme mehrerer reifer Eizellen unter Narkose und Befruchtung
3. Implantation der Embryonen
In diesem Verfahren werden der Frau nach vorheriger Stimulation durch vaginale Punktion Eizellen entnommen und außerhalb des Körpers mit den Samenzellen des Mannes zusammengeführt. In der Fachliteratur wird es auch als extracorporale Befruchtung aufgeführt. Als Indikator für die IVF gelten im allgemeinen das Fehlen oder die nicht korrigierbare Funktionsstörung der Eileiter, die Endometriose ( d.h. das Auftreten verschleppten Gebärmutterschleimhautgewebes außerhalb der Gebärmutter) und bestimmte Formen der männlichen Subfertilität ( Zeugungsunfähigkeit ). Nach dem Eintreten einer Befruchtung werden entsprechend dem Embryonenschutzgesetz maximal drei befruchtete Eizellen im Brutschrank weiterkultiviert. Zwei Tage nach der Eizellenentnahme erfolgt die Übertragung der Embryonen in die Gebärmutter, oder in einen intakten Eileiter ( Embryonentransfer). Bei der Übertragung von drei „qualitativ“ guten Embryonen kann eine Schwangerschaftsrate von 25-30% erreicht werden ( deutsches IVF – Register, 1995-1996). Je nach der Zahl der eingesetzten Embryonen muß mit 5-15% Mehrlingsschwangerschaften gerechnet werden. D.h., daß im Falle einer Mehrlingsschwangerschaft die „überflüssigen“ befruchteten Eizellen abgesaugt und entsorgt werden. 20% der Schwangerschaften sind nicht entwicklungsfähig und enden innerhalb der ersten drei Monate in einem Spontanabort.
Inzwischen wird die In – Vitro – Fertilisation akzeptiert, ja sogar durch Krankenkassen finanziert bzw. teilfinanziert. Zwischen 5.000 und 20.000 DM kostet die Zeugung einen Kindes im Reagenzglas und das bei einer Erfolgsquote von 15%.
Weitgehender sind in diesem Rahmen die ethischen Fragestellungen, die sich hier erstmals auftaten, und die es ganz ersichtlich machten, an welchen Grenzen sich bewegt wurde:
1. Dürfen lesbische Frauen die Technologie nutzen?
2. Wie alt darf eine Mutter sein?
3. Dürfen Tote Mütter werden?
4. Darf eine schwarze Frau ein weißes Kind zur Welt bringen?
5. Darf man abgetriebene Föten zu Forschungszwecken benutzen?
Diese Fragestellung setzte eine breite öffentliche Diskussion in Gange, die man dahingehend beantwortete, daß nur sterilen, verheirateten, heterosexuellen Frauen im gebärfähigem Alter zu einem Kind verholfen werden darf.
Daneben warf die In – Vitro – Fertilisation noch eine ganz andere Palette an ethisch- medizinischen Diskursen auf. Die Technik der Befruchtung im Reagenzglas hatte zur Folge, daß dem Menschen erstmals in der Geschichte menschliche Eizellen und Prä-Embryonen (noch nicht entwickeltes Fötus) in die Hände fielen. Als Nebenprodukt sozusagen. Mit diesem Produkt konnte man forschen, selektieren, ändern, klonen, und Chimären, ähnlich wie bei Dr. Moreau, Kreuzungen zwischen Menschen und Tieren , erzeugen. Im Prinzip stellte IVF nur eine Vorstufe zu einer neueren, weiterreichenden Forschung dar, in der die IVF allerdings unabkömmlich ist, der Präimplantationsdiagnostik ( PGD ).
Zu erwähnen bleibt noch der weitaus größte und zur Zeit auch gewinnbringenste Teil der IVF, die Erzeugung von „besseren“, d.h. resistenteren Nahrungsmitteln und Tieren. Die größte Verbreitung haben gentechnische Verfahren in der biomedizinischen und pharmakologischen Forschung. „Derzeit sind etwa 25 gentechnisch erzeugte Pharmaka und einige Enzyme – z.b. für Waschmittel – im Handel.“ ( aus: Bernhard Irrgang, Genethik, S.513 ). Das heißt, daß die IVF als eine der wichtigsten Grundlageforschungsgebiete bezüglich der Biomedizinischen Diskurses anzusehen ist.
IVF kann hier also als der eigentliche „Erfinder“ der Gentechnologie verstanden werden, unter der man im medizinischen Sprachgebrauch „das Verfahren zur Isolierung genetischen Materials zur Bildung neuer Nukleinsäuren in eventuell neuer Umgebung“ ( Bernhard Irrgang, Genethik, S. 513 ) versteht.
Die folgenden Daten sollen den kontinuierlichen Anstieg der produzierenden Laboratorien und die somit wachsende Anzahl an genmanipulierten Pflanzen und Nahrungsmitteln verdeutlichen.
Anzahl der Laboratorien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammenstellungen von Prof. Dr. W. Peil, Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen, Bornkampsweg 31, 22926 Ahrensburg
Mit Hilfe der Gentechnologie sollen also Nahrungspflanzen mit optimalen Nutzungseigenschaften, wie z.B. die verminderte Schadstoffaufnahme und Herbizidresistenz , erreicht werden. Als ein weiterer zukünftig wichtiger Forschungs- und Arbeitsbereich kann noch die Veredelung von minderwertigen Metallen genannt werden, der biologische Stein der Weisen.
Aus der IVF heraus entwickelte sich eine andere, viel weiter führende Diagnostik die nicht mehr als erstes Prioritätsziel die Befruchtung der Eizelle sondern die Kontrolle des Gens beinhaltet. Es entwickelte sich:
1.1.2 Die Präimplantationsdiagnostik
Die Präimplantationsdiagnostik bedeutet im Kern „eine gezielte genetische Diagnose an einzelnen embryonalen Stellen nach einer In-Vitro-Fertilisation vor einer Implantation“
(aus: Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Deutschen Gesellschaft für Humangenethik e.V. 07.06.2000).
Ziel ist demnach in der PGD (preimplantation genetic diagnosis) die Selektion mit gleichzeitiger genetische Diagnose an einem Embryo vor einer Implantation in die Gebärmutter.
Sie ist ,wie schon erwähnt, daher verbunden mit der IVF, die den Zugang zu Embryonen ermöglicht. Nach der hormonellen Stimulation der Frau, Gewinnung der Eizellen und deren Fertilisierung – normalerweise durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI, d.h. Spermien werden direkt in die Eizelle gespritzt) zur Vermeidung von Konterminationen mit überzähligen Spermien – werden den Embryonen am dritten Tag der Entwicklung bis zu drei Blastomeren entnommen. Genau an diesen Zellen wird dann mittels einer molekulargenetischer Methode eine genetische Diagnostik durchgeführt. Die Untersuchungsmethode wiederum spaltet sich hauptsächlich in zwei Hauptrichtungen. Man bedient sich hier :
1. der Polymeraskettenreaktion (polymerase chain reaction = PCR) und
2. der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH).
Während die PCR die Methode der Wahl ist, wenn es um die Diagnostik von bekannten monogenetischen Veränderungen geht, so findet die FISH vor allem dann Anwendung, wenn der X- chromosomale Erbgang einer Erkrankung bekannt ist, die zugrunde liegenden Veränderungen jedoch nicht identifiziert werden konnte.
Verschiedene Krankheiten waren bisher weltweit Indikation für eine PDG. Dazu gehörte u.a. die Mukoviszidose, Duchenne´Muskeldystrophie, Morbus tay-Sachs und Myotone Dystrophie (Morbus Steinert) ( aus: Prof. Dr. Klaus Diedrich: Bedürfnisse und Möglichkeiten der PDG ).
Ein wesentlicher, schwieriger Diskussionspunkt in der PID ist die Diagnostik an totipotenten embryonalen Zellen, d.h. an Zellen deren nähere Differenzierung noch nicht festgelegt ist. Diese Form der Untersuchung ist in anderen Ländern wie z.B. Holland oder England schon Gang und Gebe, in Deutschland allerdings durch das Embryonenschutzgesetz ( EschG ) noch verboten, da die Untersuchung als embryonenverbrauchend klassifiziert wird. Das ESchG verbietet grundsätzlich embryonenverbrauchende Untersuchungen, d.h. Untersuchungen die nicht als erste Priorität dem Schutz und Erhalt des Lebens sondern einzig und allein Forschungszwecken dienen.
1.2.3 PID und die Totipotenz der Zellen
Eine grundlegende Ungeklärtheit bei der Frage der PID ist die Totipotenz der Zellen, das Vermögen einer Embryonalzelle also, sich zu allem innerhalb des Organismus entwickeln zu können. Laut der BÄK ist es eindeutig, daß nach derzeitigem Stand der Wissenschaft Zellen nach Abschluß des 8-Zell-Stadium als nicht mehr totipotent gelten. Diese Eindeutigkeit ist eher der Wunsch nach Klarheit als ein differenziertes Ergebnis der verschiedenen Wissenschaftsrichtungen. Auch nach dem 8-Zell-Stadium kann es beispielsweise noch zu einer ein-eiigen Zwillingsbildung kommen, was doch eindeutig auf eine Totipotenz hinweist. So, wie der hirntote Mensch als tot definiert wurde, um ein handlungsfähiges Organtransplantationsverfahren zu ermöglichen, so wird der Embryo nach dem 8-Zell-Stadium als nicht mehr totipotent erklärt, um ohne Gewissensbisse PID betreiben zu können. Eine Frage also, wann man eigentlich beginnt Mensch zu sein, wird hier im medizinischen Diskurs mit Zeitpunkt des Zellstadiums beantwortet. Es wird auch allgemein von der These ausgegangen, daß eine Zelle neurologisch weder in der Lage ist z.B. Schmerz zu empfangen noch es als solches zu definieren, zu speichern und weiterzuleiten.
1.1.4 Von Keimbahnen und das Human Genom Projekt
Der medizinisch- ethische Diskurs in Deutschland dreht sich hauptsächlich noch über die In-Vitro-Fertilisation, wobei dieser Diskurs nahezu abgeschlossen und in eine „normale“ Behandlungsform übergegangen ist, und der Präimplantationsdiagnostik. Sie ist zwar noch durch das Embryonenschutzgesetz in der BRD verboten, es kann aber von der Voraussetzung ausgegangen werden, daß die PID in naher Zukunft aus vielfältigen Interessenlagen auch hier praktiziert wird.
Am Horizont zeichnen sich schon neue, noch weiterführende Methoden zur Menschenverbesserung ab, die selbst von Humangenetikern als noch nicht vorhersehbar definiert werden.
Als Vorreiter für die derzeitig als neueste Therapie der genetischen Zellen wird die sogenannte Keimbahntherapie angeführt.
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Wege zur Keimbahntherapie beschreiten:
1. Die homologe Ersetzung:
Hiermit ist die Veränderung eines bestehenden Gens in einem bestehenden Chromosom gemeint. Ein solcher Eingriff, der schon fast realisierbar ist, wird man wahrscheinlich bei Menschen nicht durchführen, da er schlicht nicht konkurrenzfähig mit einfacheren Techniken wie dem Test vor einer Implantation oder der Embryoselektion. Warum sollte eine Keimbahntherapie verwendet werden, um ein falsches Gen zu korrigieren, wenn man einen Embryo implantieren kann, der für eine richtige „Version“ dieses Gens ausgewählt wurde? Das wurde schon bei Eltern durchgeführt, bei denen das Risiko bestand, daß sie ein Kind mit Blasenentzündung bekommen.
2. Die doppelte Addition:
Hiermit ist die Einführung zusätzlicher Gene in einem zusätzlichen Chromosom in der Zelle gemeint. Dieses Verfahren wird, besonders bei multiplen Genen, billiger, sicherer und flexibler als die homologe Ersetzung sein. Weil es keine Interferenz mit den Genen einer Zelle gibt, würde die doppelte Addition mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu unerwünschten Störungen der Zusammenhänge zwischen ihnen führen. Idealerweise würde in das Ei ein stabiles künstliches Chromosom mit einer Reihe von Dockingstellen eingeführt, das jeweils mit einer eigenen unabhängigen Kassette an Genen gefüllt werden kann. Rudimentäre Chromosomen dieser Art wurden bereits entwickelt und verschiedene Firmen versuchen, sie zu verbessern.
Gerade hier liegt eine der wichtigsten ethischen Herausforderungen, der wir je gegenüberstanden. Denn hier geht es sich nicht mehr („nur“) um die Entdeckung und Entschlüsselung des menschlichen Genoms zu Rehabilitierungszwecken, sondern um die eigentliche Neudefinition Mensch.
„Die Keimbahntherapie verkörpert die größten Möglichkeiten und Herausforderungen der Molekulargenetik, weil sie verspricht (manche würden sagen: weil sie droht), letztlich unser ganzes Wesen zu transformieren, wenn immer tiefgreifendere Veränderungen an unseren Genomen vorgenommen werden. Diese Technik wird uns dazu zwingen, jede Vorstellung darüber, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, neu zu überdenken, da wir denselben Prozeß bewußter Gestaltung unterworfen werden, der die Welt um uns herum so dramatisch verändert hat. Wir werden nicht umhin kommen, uns auf neue Weise zu überlegen, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet, wie uns unsere Gene formen und in wie weit wir in dem Fluß des Lebens zwischen Eltern und Kindern eingreifen sollten.“ ( aus: Gregory Stock Metaman: The Merging of Humans and Machines into a Global Superorganism 1993)
Die Keimbahntherapie ist also in der Lage, genetische Strukturen nicht nur an einem einzelnen, sondern über Generationen hinaus zu verändern.
Ein grundlegender Stein in der Geschichte der Genetik bildet in diesem Zusammenhang das schon 1985 gegründete und international organisierte Human-Genom –Projekt. Mit Genom bezeichnet man die Gesamtheit aller Erbanlagen, die beim Menschen auf 50.000 bis 100.000 Gene geschätzt wird. Ziel des Projektes ist es, bis ins Jahr 2003 alle menschlichen Gene und ihre Orte auf der DNA in Chromosomen zu kennen und zu kartografieren. Im einzelnen versucht man, erblich bedingte Eigenschaften einem bestimmten Chromosom und dort dann einem konkreten Abschnitt zuzuordnen. Es entsteht auf diese Weise eine genetische Karte der einzelnen Chromosomen.
Zur Entschlüsselung der genetischen Information werden dann die genauen Abfolgen der Basenpaare auf der DNA dieses speziellen Chromosomen-Abschnittes bestimmt. Man nennt dieses mittlerweile standardisiertes Verfahren auch DNA-Sequenz-Analyse.
Die Keimbahntherapie nutzt dieses Wissen zur Veränderbarkeit genetischer Codes weiterführender. Denn die Wissenschaft hat erkannt, das die Veränderung der somatischen Zellen, also aller Zellen des Organismus außer den Keimzellen, langfristig nicht die erwünschten Resultate erzielt. Die Keimbahntherapie führt in diesem Zusammenhang schon einen gewaltigen Schritt weiter, denn es geht hier nicht mehr wie in der PGD um das genetische Screening und Manipulation von Zellen in einem gewissen Stadium, sondern hier wird der genetische Code so verändert, daß die Eltern später in der Lage sein werden, diese an ihre Kinder weiterzugeben. Die Weichen werden langfristig gestellt.
Auch wenn der Eingriff in die Keimbahn noch einige Jahrzehnte lang klinisch nicht durchführbar sein wird, so sind die sich hier bietenden Möglichkeiten enorm. Man kann mit sicherer Wahrscheinlichkeit Krebs, Aids und andere Krankheiten schon in ihrem Ursprung vermeiden. Die Intelligenz kann verbessert und das Altern verlangsamt werden.
Der einzigen fundamentalen Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist eine rein ethische. Wie weit werden wir in der Umgestaltung unseres Geistes und unseres Körpers gehen wollen?
Allgemein kann davon ausgegangen werden, daß die zukünftige Hauptfrage in der Keimbahntherapie nicht „ob“, sondern „wie“ und „wann“ dies geschieht.
Die grundsätzlichen Entdeckungen, die diese Techniken ermöglichen, werden gemacht, gleich ob wir sie aktiv anstreben oder nicht. Im Bereich der Keimbahntherapie werden vier Bereiche für eine Forschung und Weiterführung plädieren:
1.Medizin:
Die somatische Gentherapie, die nicht auf Geschlechtszellen ausgerichtet ist und deren Manipulation daher nicht an künftige Generationen weitergegeben werden, wurde eingeleitet von French Anderson und anderen. Auch wenn sie nicht zu wichtigen neuen Krankheitsbehandlungen geführt hat, finden sich beträchtliche Begeisterung und finanzielle Unterstützung zur Weiterbehandlung der vielen von ihr eröffneten Möglichkeiten. Gentherapie ist ein neuer Ansatz zur Behandlung von bislang unheilbaren Krankheiten, und vieles, was hier an Technik entwickelt wurde, wird auch auf Keimzellen anwendbar sein.
2.Fruchtbarkeitsforschung:
Als Louisa Brown mit Hilfe einer In-Vitro-Vertilisation 1979 geboren wurde, nannte man sie ein „Retortenbaby“. Damals gab es wegen dieser „gefährlichen“ Technik viele Bedenken. IVF ist aber heute und zur Option von Zehntausenden von Paaren geworden, die auf andere Weise keine Kinder bekommen können, mit einer hohen mittlerweile hohen Erfolgsquote. Erstaunlich viel Energie wird für die Verbesserung und Erweiterung der IFV aufgewendet, weil die Gesellschaft als ganze sich nicht der Ausdehnung der Reproduktionsmöglichkeiten auf unfruchtbare Paare widersetzt. Letztlich wird die Keimbahntherapie ein bedeutender und alles entscheidender Zusatz dieser Technik sein.
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Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2001
- ISBN (eBook)
- 9783832450113
- ISBN (Paperback)
- 9783838650111
- DOI
- 10.3239/9783832450113
- Dateigröße
- 1.4 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Hochschule Niederrhein in Krefeld – Sozialwesen (FB 06)
- Erscheinungsdatum
- 2002 (Februar)
- Note
- 1,75
- Schlagworte
- präimplantationsdiagnostik diskurs biozentrismus genmanipulation genetischer
- Produktsicherheit
- Diplom.de