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From: Zapatistas. To: Öffentlichkeit. Subject: Revolution

Der Einfluß des Internet auf Konfliktprozesse am Beispiel des Chiapas-Konflikts

©1999 Diplomarbeit 111 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Chiapas-Konflikt (1994-1999) ist angeblich der erste Konflikt, in dem Revolutionäre das Internet einsetzten und aufgrund der Eigenarten des neuen Mediums eine signifikante Politikänderung seitens der Regierung erreichten. Rund 400 spärlich bewaffnete Guerilleros hatten am ersten Januar 1994 der mexikanischen Regierung den Krieg erklärt. Die schickte zunächst 12.000 mit modernen Waffen ausgerüstete Soldaten nach Chiapas, die die zapatistische Revolte niederschlagen sollten. Zwölf Tage dauerte der Krieg. Obwohl die Zapatisten eindeutig militärisch unterlegen waren, erklärte die mexikanische Regierung einen einseitigen Waffenstillstand und bot Verhandlungen an. Im Februar 1995 passierte etwas Ähnliches noch einmal: Die Regierung brach den Waffenstillstand, lenkte aber nach fünf Tagen wieder ein und begann erneut Verhandlungen mit den Zapatisten, die 1996 in ein gemeinsames Friedensabkommen mündeten.
Warum hat die mexikanische Regierung zweimal eingelenkt, obwohl sie militärisch überlegen war und den Aufstand leicht hätte niederschlagen können? Militärstrategen argumentieren, der Chiapas-Aufstand sei der Prototyp für einen neuen, den Staat gefährdenden Konflikttyp des Informationszeitalters. Traditionelle militärische Parameter wie etwa Truppenstärke seien in dieser Art des Konflikts zwar noch wichtig, gekämpft werde aber zunehmend auch im virtuellen Gebiet des Cyberspace. Die von einem Militärgürtel eingekreisten Zapatisten hätten mit Hilfe des neuen Mediums Internet internationale Sympathie für ihr Anliegen geweckt, weltweite Unterstützung mobilisiert und mit neuartigen Cyberkriegsstrategien wie Fax- oder E-Mail-Kampagnen gegen die Regierung gekämpft.
Neben Militärstrategen führen Journalisten und Online-Aktivisten eine Debatte, die davon ausgeht, das neue Medium Internet beeinflusse den Charakter von revolutionären Konflikten. Als Beleg für diese These wird fast immer der Chiapas-Konflikt angeführt. Doch das Forschungsfeld ist jung, und bislang fehlen die empirischen Grundlagen und differenzierten Hypothesen, um generelle Aussagen darüber treffen zu können, auf welche Weise der Einsatz des Internet Konfliktabläufe beeinflusst. Die vorliegende Untersuchung füllt einen Teil der Forschungslücke. Anhand des angeblichen Prototyps für einen neuartigen Internet-Konflikt hinterfragt sie mit der Methode der heuristischen Fallstudie, ob eine neue, für die Regierung bedrohliche Konfliktform entstanden ist. Hat das Internet […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltverzeichnis

I. Einleitung

II. Untersuchungsrahmen
1. Argumentation und Aufbau der Arbeit
2. Methodik und Materialbasis

III. Forschungsstand: Einfluß des Internet auf Konfliktprozesse
1. Neue Medien in der Theorie der Internationalen Beziehungen
2. Die politische Wirkung des Internet laut Kommunikationswissenschaft
3. Militärische Konfliktszenarien des Informationszeitalters
4. Fazit: Interdisziplinärer Ansatz bei Konflikten im Informationszeitalter

IV. Theoretischer Teil
1. Traditionelle Medienstrategien in revolutionären Konflikten
1.1. Medieneinsatz in Revolutionen
1.2. Begriffsklärung: Revolutionärer Prozeß in Lateinamerika
1.3. Schlüsselrolle der Medien bei der Mobilisierung von Unterstützern
1.4. Symbolische Politik als favorisierte Medienstrategie
1.5. Zusammenfassung
2. Die Wirkung des Internet auf politische Prozesse
2.1. Das Internet als Motor der Informationsrevolution
2.2. Politische Vorteile für transnationale Netzwerke
2.3. Medienwirkung und Politik: Öffentlichkeit als Schlüsselvariable
2.4. Internetöffentlichkeit: Eine systematisch-exklusive Sphäre
2.5. Fazit: Eingeschränkte politische Wirkung des Internet
3. Hypothesen: Einsatz des Internet in Konflikten

V. Fallstudie: Der Chiapas-Konflikt zwischen Realität und Virtualität
1. Historien und Hintergründe des Konflikts
2. Der Cyberspace als Schlachtfeld von Regierung und Zapatisten
3. Informationsfluß: Medienstrategien, Öffentlichkeit und Mobilisierung
3.1. Die indirekte Strategie: NGOs und Sympathisanten als Vermittler
3.2. Die direkte Strategie: Symbolische Politik der EZLN
4. Fazit: Die Rolle des Internet im Chiapas-Konflikt

VI. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

VII. Literatur
1. Monographien und Sammelbände
2. Aufsätze aus Sammelbänden und Zeitschriften, Online-Dokumente
3. Zeitungsartikel

VIII. Anhang
1. Glossar
2. Zapatistische Internetressourcen
3. „Urgent Action“-Aufruf gegen Ernesto Zedillo
4. Formular einer Faxkampagne gegen Ernesto Zedillo
5. Publikationsverzeichnis
6. Eidesstattliche Erklärung
7. Lebenslauf

I. Einleitung

Subcomandante Marcos wischt sich den Schweiß von der Stirn. Ist verdammt heiß heute, im mexikanischen Urwald. Aber die globale Zivilgesellschaft muß die Wahrheit wissen. Der Guerilla-Chef steckt das Stromkabel seines Laptops in den Zigarettenanzünder des Trucks und beginnt zu tippen: „An das mexikanische Volk, die globale Zivilgesellschaft und die nationalen und internationalen Cybernauten. . .“ Ein Mausklick fügt Marcos’ digitale Unterschrift auf die E-Mail, ein anderer schickt das Kommuniqué durch den Cyberspace rund um die Welt. Menschen aus aller Welt sind in diesem Moment online, rufen die Botschaft auf, lesen, welche Verbrechen die mexikanische Armee soeben begangen hat und starten empört eine Protestaktion. Wenige Stunden später schon quillt bei Präsident Carlos Salinas de Gotari das Fax über, klingelt das Telefon Sturm, ist das E-Mail-Postfach verstopft. Salinas schwitzt mindestens genauso wie Marcos. Er wird mit der Guerilla-Truppe verhandeln.[1]

Der Chiapas-Konflikt (1994-1999) ist angeblich der erste Konflikt, in dem Revolutionäre das Internet einsetzten und aufgrund der Eigenarten des neuen Mediums eine signifikante Politikänderung seitens der Regierung erreichten. Rund 400 spärlich bewaffnete Guerilleros hatten am ersten Januar 1994 der mexikanischen Regierung den Krieg erklärt. Die schickte zunächst 12.000 mit modernen Waffen ausgerüstete Soldaten nach Chiapas, die die zapatistische Revolte niederschlagen sollten. Zwölf Tage dauerte der Krieg. Obwohl die Zapatisten eindeutig militärisch unterlegen waren, erklärte die mexikanische Regierung einen einseitigen Waffenstillstand und bot Verhandlungen an. Im Februar 1995 passierte etwas Ähnliches noch einmal: Die Regierung brach den Waffenstillstand, lenkte aber nach fünf Tagen wieder ein und begann erneut Verhandlungen mit den Zapatisten, die 1996 in ein gemeinsames Friedensabkommen mündeten.

Warum hat die mexikanische Regierung zweimal eingelenkt, obwohl sie militärisch überlegen war und den Aufstand leicht hätte niederschlagen können? Militärstrategen argumentieren, der Chiapas-Aufstand sei der Prototyp für einen neuen, den Staat gefährdenden Konflikttyp des Informationszeitalters. Traditionelle militärische Parameter wie etwa Truppenstärke seien in dieser Art des Konflikts zwar noch wichtig, gekämpft werde aber zunehmend auch im virtuellen Gebiet des Cyberspace. Die von einem Militärgürtel eingekreisten Zapatisten hätten mit Hilfe des neuen Mediums Internet internationale Sympathie für ihr Anliegen geweckt, weltweite Unterstützung mobilisiert und mit neuartigen Cyberkriegsstrategien wie Fax- oder E-Mail-Kampagnen gegen die Regierung gekämpft.

Neben Militärstrategen führen Journalisten und Online-Aktivisten eine Debatte, die davon ausgeht, das neue Medium Internet beeinflusse den Charakter von revolutionären Konflikten. Als Beleg für diese These wird fast immer der Chiapas-Konflikt angeführt. Doch das Forschungsfeld ist jung, und bislang fehlen die empirischen Grundlagen und differenzierten Hypothesen, um generelle Aussagen darüber treffen zu können, auf welche Weise der Einsatz des Internet Konfliktabläufe beeinflußt. Das Ziel dieser Untersuchung ist, einen Teil der Forschungslücke zu füllen. Anhand des angeblichen Prototyps für einen neuartigen Internet-Konflikt hinterfragt sie mit der Methode der heuristischen Fallstudie, ob eine neue, für die Regierung bedrohliche Konfliktform entstanden ist. Hat das Internet tatsächlich eine wichtige Rolle im Chiapas-Konflikt gespielt? Wie könnte das neue Medium Konfliktprozesse beeinflussen?

Es wird empfohlen, vor der Lektüre der Arbeit einen Blick in das Glossar im Anhang zu werfen, da Spezialbegriffe dort erklärt werden.

II. Untersuchungsrahmen

1. Argumentation und Aufbau der Arbeit

Der Forschungsstand zur Rolle des Internet in Konflikten ist mager. Zwar führen Journalisten, Online-Experten und Militärstrategen eine Debatte über die potentiellen Wirkungen des Internet in revolutionären Konflikten, die Wissenschaft hat sich aber noch nicht vertieft mit dem Thema befaßt: Die Theorie der Internationalen Beziehungen beachtet kaum kommunikationswissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Internetwirkung [Kapitel III.1.], und in der Kommunikationswissenschaft kommen die Theorien über politische Prozesse zu kurz [Kapitel III.2.].

Die einzigen Analysten, die beide Welten kombinieren, sind U.S.-Verteidigungsstrategen, die „netwars“ und „cyberwars“ als neue Konfliktformen des Informationszeitalters beschreiben [Kapitel III.3.]. Ihr Szenario: Wenn Revolutionäre das Internet einsetzen und / oder sich mit transnational agierenden NGOs vernetzen, können sie einen lokalen Konflikt mit speziellen Taktiken (Hacking, Verbreitung von weltweiter Propaganda) auf einer globalen Ebene eskalieren lassen, so daß ein „Netzkrieg“, ein neuartiger, für den Nationalstaat gefährlicher Konflikt entsteht. Als Prototyp eines solchen Netz- oder Cyberkriegs nennen sie den revolutionären Aufstand der Zapatisten in Mexiko (seit 1994).[2] Der strategische Einsatz des Internet von Guerilleros und Netzwerken habe die mexikanische Regierung dazu gezwungen, mit aufständischen Indios zu verhandeln, die ihr kurz zuvor den Krieg erklärt hatten.

Nach der linear-kausalen Argumentation der Militärstrategen führt das strategisch eingesetzte Medium Internet fast automatisch zu einem neuartigen Konflikt des Informationszeitalters. Allerdings ist folgender Einwand angebracht: Die RAND-Analysten begehen wie frühe Medienwirkungsforscher den Fehler, anhand eines einfachen Ursache-Wirkung-Modells zu argumentieren, daß eine Medienbotschaft automatisch stark den Politikprozeß beeinflußt. Heute geht die Kommunikationswissenschaft aber von einem differenzierteren Medieneinfluß aus. Vor allem das Öffentlichkeitssystem, in dem sich Meinungen bilden, ist dabei immer eine intervenierende Variable in Wirkungsprozessen.

Diese Arbeit nähert sich interdisziplinär der Frage, wie der Einsatz des Internet revolutionäre Konflikte beeinflußt [Kapitel III.4.]. Mit Hilfe kommunikationswissenschaftlicher Instrumente differenziert sie die Annahme, daß das Medium Internet eine starke Wirkung entfaltet und entwickelt – ausgehend von dem Grundgedanken der Militärstrategen - ein Argument, wie das Internet den Ablauf eines Konfliktes beeinflussen könnte. Anhand der politikwissenschaftlichen Methode der heuristischen Fallstudie [Kapitel II.2.] werden die Hypothesen später am Chiapas-Aufstand, dem angeblichen Prototyp für eine neue Konfliktform, auf ihre Plausibilität hin überprüft [Kapitel V.] und anschließend verfeinert [Kapitel VI.].

In ihrem theoretischen Teil befaßt sich die Untersuchung zunächst mit der Frage, ob schon früher (vor der Verbreitung des Internet) spezifische Eigenschaften eines neuen Mediums den Charakter eines revolutionären Konflikts beeinflußten [Kapitel IV.1.]. Der Historiker und Revolutionsexperte Jeremy Popkin bejaht dies. Seiner Ansicht nach bestimmen Medienrevolutionen über die Öffentlichkeit, die sie erzeugen, wie revolutionäre Prozesse ablaufen. Indem Aktivisten während der französischen Revolution das neuverfügbare Kommunikationsmedium „Zeitung“ einsetzten, konnten sie in einer neu entstehenden, breiten Öffentlichkeit ihre revolutionären Ideen propagieren. Das Medium half, die Massen zu mobilisieren. Der Einsatz von Zeitungen war, so Popkin, kein hinreichender, aber ein notwendiger Grund dafür, daß aus dem französischen Aufstand eine Revolution wurde.

Exportiert man Popkins Aussagen ins Informationszeitalter und kombiniert sie mit den Ideen der Militärstrategen, lautet die Folgerung: Wenn Revolutionäre das neu verfügbare Medium Internet einsetzen, entsteht über die neue Art der Öffentlichkeit, die sie (bzw. die Netzwerke ihnen) erschließen, eine revolutionäre Dynamik, ein neuartiger Konflikt.

Um beurteilen zu können, ob mit Hilfe einer modernen Medienstrategie tatsächlich ein neuer Konflikttyp entstehen kann, muß man das Grundmuster von Medienstrategien und den Ablauf von revolutionären Konflikten verstehen. Welche Phasen charakterisieren einen revolutionären Konflikt? An welchem Punkt und zu welchem Zweck setzen Revolutionäre Medien ein? Guerilleros hatten bisher meist ein Problem: Wenn sie mit Hilfe der Medien Anhänger mobilisieren wollten, blieb ihnen wegen ihres geringen Finanzbudgets meist nur die Strategie der „Symbolischen Politik“ – sie inszenierten Ereignisse, damit Medien über sie berichteten.

Diese Situation hat sich anscheinend mit der Ausbreitung des Internet verändert. Anhand einer detaillierten Analyse der spezifischen Eigenschaften des Mediums Internet wird klar, daß es revolutionären Akteuren und netzwerkartig organisierten Gruppen neue politische Kommunikations- und Organisationsmöglichkeiten bietet [Kapitel IV.2.1, IV.2.2.]. Sie können per Internet direkt, ohne mediale Vermittler, ohne die Beschränkung durch Raum, Zeit oder Zensur, mit einem weltweiten, stetig wachsenden Publikum zu relativ geringen Kosten kommunizieren und ihm Informationen vermitteln. Vor allem transnationale Netzwerke wie Menschenrechtsgruppen scheinen mit Hilfe des Internet besser arbeiten zu können. Diese technischen Möglichkeiten sagen aber nicht viel über die tatsächliche Medienwirkung aus. Entscheidend ist das Konzept der „Öffentlichkeit“, das Popkin bereits für traditionelle revolutionäre Medienstrategien beschrieben hat.

Der folgende Teil der Untersuchung definiert genauer die intervenierende Variable Öffentlichkeit, über die Medien politische Prozesse beeinflussen. Besonderes Augenmerk gilt der Art der Öffentlichkeit, die das Internet erreicht bzw. schafft [Kapitel IV.2.3., IV.2.4.]. Es wird dargelegt, daß die von Medien hergestellte Öffentlichkeit nicht die Realität widerspiegelt, und dennoch Politiker die massenmedial erzeugte Öffentlichkeit oft für die Meinung der Bevölkerung halten. Sie überschätzen daher, wie Medien auf ihre Wähler wirken, reagieren empfindlicher auf Medienberichte, als sie eigentlich müßten.

Das Internet könnte diesen Effekt verstärken. Die neuartige, potentiell weltweite Öffentlichkeit, die es Revolutionären erschließt, kann Entscheidungsträger dazu verleiten, dem Internet eine zu starke Wirkung zu unterstellen. Kommunikationswissenschaftliche Analysen und empirische Daten zeigen, daß das Internet nicht – wie es auf den ersten Blick scheint – ein Weltpublikum erreicht. Internetöffentlichkeit ist eine Teilöffentlichkeit, die Dritte (Medienvertreter) braucht, damit Themen einem breiteren Publikum bekannt werden. Sie ist systematisch-exklusiv: Bestimmte Bevölkerungsgruppen kommen nicht darin vor – mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht das primäre Zielpublikum mexikanischer Revolutionäre: die bäuerliche, oft analphabetische und ohne Strom lebende Indiobevölkerung.

Da das Erreichen einer breiten Öffentlichkeit ein notwendiger Faktor für Medienwirkungsprozesse ist, ist es eher unwahrscheinlich, daß Akteure mit dem Internet politische Prozesse signifikant beeinflussen. Es könnte allerdings sein, daß Politiker die per Internet erreichte Öffentlichkeit überschätzen, und so dennoch Wirkungen entstehen.

Aufbau und Argumentation der Arbeit spitzen sich in Hypothesen zu [Kapitel IV.3.], die dann mit Hilfe der politikwissenschaftlichen Methode der heuristischen Fallstudie am Chiapas-Konflikt, dem angeblichen Prototyp für eine neue Konfliktform des Informationszeitalters, auf ihre Plausibilität geprüft werden [Kapitel V.]. Ziel dieser Arbeit ist, nach der Fallstudie differenziertere Hypothesen über den Einsatz des Internet in Konfliktprozessen zu formulieren [Kapitel VI.].

2. Methodik und Materialbasis

Die Untersuchung verwendet die politikwissenschaftliche Methode der heuristischen Fallstudie.[3] Fallstudien können auf allen Stufen des Theoriebildungsprozesses verwendet werden, um in Thesen oder Hypothesen formulierte Überlegungen an einem beobachteten Phänomen, einem konkreten Fall zu überprüfen.[4] Eine besondere Rolle spielen sie auf den unteren Stufen[5] – als heuristische bzw. „Hypothesen-bildende“ Fallstudien.[6]

Bei dieser Art von Fallstudien geht es darum, theoretische Generalisierungen in Gebieten zu entwickeln, in denen bislang keine Theorie existiert.[7] In einem ersten Schritt formuliert man mögliche Hypothesen. Da man das theoretische Gerüst in diesem frühen Stadium der Theoriebildung noch nicht testen kann, überprüft man es auf seine Plausibilität.[8] Anschließend wird versucht, spezifischere Hypothesen zu formulieren, die in anderen Untersuchungen an einer größeren Zahl von Fällen getestet werden können.

Die Auswahl des Falls nach formalen und inhaltlichen Kriterien entscheidet über den Erfolg einer Fallstudie.[9] Im Hinblick auf die heuristische Fallstudie ist entscheidend, einen Fall auszuwählen, der eine wichtige Rolle im Theoriebildungsprozeß spielt – zum Beispiel, weil sich dort ein neuartiges, bislang unerforschtes Phänomen beobachten läßt.[10]

„Hypothesis-generating case studies. . . are of great theoretical value. They may be particularly valuable if the case selected for analysis provides. . . a sort of crucial experiment in which certain variables of interest happen to be present in a special way.“[11]

Der verwendete Fall des Interneteinsatzes im Chiapas-Konflikt hat genau diesen Experimentcharakter: Er ist der erste bekannte Konflikt, in dem angeblich Revolutionäre das Internet einsetzten und aufgrund der Eigenarten des neuen Mediums eine signifikante Politikänderung seitens der Regierung erreichten. Ein weiterer Vorteil dieses Falls ist, daß ein Großteil der Kommunikation in elektronischen Archiven heute noch im Internet abrufbar ist und er daher auch mit vertretbarem Aufwand im Detail analysiert werden kann.[12] Diese und andere Quellen, auf die zurückgegriffen wird, genügen zwar oft nicht streng wissenschaftlichen Kriterien. Durch die Gegenüberstellung und genaue Prüfung der Faktenangaben der Quellen wird aber eine hinreichende Datenbasis für die Fallstudie geschaffen.

Zur Analyse des ausgewählten Falls verwendet diese Untersuchung überdies die Methode des „Process-Tracing“[13], mit der sie den Informationsfluß im Zeitverlauf nachzeichnet und die Plausibilität der kausalen Zusammenhänge zwischen den Variablen analysiert.

Im Fall des Chiapas-Konflikts können so einige, bislang im theoretischen Rahmen unbeachtete intervenierende Variablen, die ein bestimmtes Verhalten auslösen, entdeckt werden. Mit Hilfe der Fallstudie werden Erklärungen für den spezifischen Fall entwickelt, die dann abschließend in die Konzepte und Variablen des vorher aufgestellten Theoriegerüstes einfließen und die ursprünglichen Hypothesen verfeinern [Kapitel VI.]. Indem diese Untersuchung die Variablenbeziehungen differenziert beschreibt, entgeht sie der Gefahr, falsche generalisierende Schlußfolgerungen zu ziehen.[14]

Ziel dieser Arbeit ist es, eine einfache Kausalannahme (Der Einsatz des Internet erzeugt eine neue Art des Konflikts) theoretisch zu differenzieren, Hypothesen zu formulieren [Kapitel IV.3.] und dann die noch relativ vagen theorieabgeleiteten Hypothesen anhand der Fallstudie zu elaborieren und zu verfeinern [Kapitel V.5.]. In einem nächsten Schritt, der nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung sein wird, können die detaillierteren Hypothesen an anderen, auch vergleichenden Fällen fokussiert getestet werden.

III. Forschungsstand: Einfluß des Internet auf Konfliktprozesse

Vor zehn Jahren ließ sich zum ersten Mal beobachten, wie das Internet in Konflikten eingesetzt wurde. Chinesische Studenten faxten ihre Augenzeugen-Berichte des Tiananmen-Massakers an internationale Aktivistennetze, die diese Informationen per E-Mail an ein weltweites Publikum verbreiteten.[15] Via Internet organisierten die Studenten Proteste und Treffen, sammelten Spenden und lancierten politische Appelle.[16] Die Wirkung war so groß, daß die chinesische Regierung einige Telefonleitungen kappte und Usenet-Computer-Konferenzen beobachtete, wo viele dieser Aktivitäten stattfanden.[17] In Indonesien koordinierten Studenten per Internet Protestaktionen gegen das Suharto-Regime und mobilisierten Unterstützer. Die politische Opposition und Journalisten boten aktuelle, unzensierte Nachrichten auf Websites an oder schickten sie per E-Mail an ein nationales und internationales Publikum.[18]

Weitere Beispiele waren der Einsatz des Internet während des Putsches in der Sowjetunion im August 1990, im Golfkrieg und im Kosovo-Konflikt.[19] Und Guerilla-Bewegungen, wie die palästinensische Hamas, Perus Sendero Luminoso, die in Deutschland verbotene türkische Arbeiterpartei PKK oder der militante Arm der I.R.A. verbreiten über das Internet Propaganda.[20] Immer mehr transnationale Kriminalitätsorganisationen und Terroristen entdecken angeblich das Internet.[21] Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor Terroristen und Rechtsextremisten im Netz.[22]

Diese Beispiele lassen Journalisten, Online-Experten und Militärstrategen vermuten, daß das Internet eine starke Rolle in Konflikten spielt. Inzwischen ist eine regelrechte Cyberkonflikt-Hysterie entstanden, die sich in den Schlagzeilen der Zeitungen spiegelt: „Mit E-Mail und Internet gegen Diktatoren. Südostasiens Oppositionelle entdecken neue Kampfmethoden“[23], „Online-Aktivists Step Up the Fight“[24], „The Resistance Network. ‚Countrynets’ expose dictatorships and unite activists“[25], „Internet attacks Burma!“[26], „Hacking for Human Rights?“[27]

Momentan scheint sich zu wiederholen, was bei jeder Einführung einer neuen Kommunikationstechnik passiert: Eine Technikeuphorie bzw. übertriebene Skepsis entsteht, die sich ausgerechnet auch noch mit Hilfe der neuen Technik schneller verbreitet.[28] Zwar stecken in diesen populärwissenschaftlichen, oft spekulativen Szenarien zur Wirkung der neuen Technik einige wahre Gedanken, sie sind aber nicht systematisch-analytisch verfaßt, sondern eher journalistisch und sensationell.

Die Wissenschaft hat sich noch kaum vertieft mit dem Thema befaßt, obwohl sie einiges dazu beisteuern könnte. Die folgenden Kapitel geben einen Überblick über die jeweils noch rudimentären Annahmen von Politik- und Kommunikations-wissenschaftlern sowie Militärsstrategen. Ziel ist, im weiteren Verlauf der Untersuchung diese Annahmen interdisziplinär zu kombinieren, um weitergehende Hypothesen entwickeln zu können.

1. Neue Medien in der Theorie der Internationalen Beziehungen

Immer mehr Theoretiker der Internationalen Beziehungen stellen einen fundamentalen Wandel der internationalen Umgebung fest. James Rosenau spricht von „postinternational politics“[29], und nach John Ruggie sind wir Zeugen eines „shift, not in the play of power politics but of the stage on which that play is performed“[30]. Ein entscheidender Faktor, der das Bühnenbild des internationalen Politikspiels mitgestaltet, ist die „Informationsrevolution“[31] – ein Schlagwort, das weitreichende Umbrüche der Kommunikationsprozesse durch Digitalisierung und Vernetzung beschreibt. Die Konsequenzen der Informationsrevolution kommen aber überraschenderweise, abgesehen von wenigen Ausnahmen[32], noch nicht in der gegenwärtigen Debatte des Forschungsfelds Internationale Beziehungen vor. Selbst Analysen, die betrachten, wie Ideen oder Wissen Weltpolitik formen, beachten kaum die Form, in der Ideen und Wissen gespeichert, übermittelt und verbreitet werden. Das Medium bleibt unbeachtet im Hintergrund.

Während in der Kommunikationswissenschaft seit zwei Jahren Studien zur Wirkung des neuen Mediums Internet einen Boom erleben, untersucht die Politische Wissenschaft zwar Konsequenzen der Informationsrevolution wie beispielsweise die Netzwerkbildung[33], vernachlässigt dabei aber wichtige Aspekte des stark vom jeweils verwendeten Medium abhängigen Kommunikationsprozesses. Dahinter steht, daß die Politikwissenschaft generell kommunikationswissenschaftliche Forschung und das Phänomen Massenkommunikation nur wenig beachtet.[34] Und selbst Studien am Schnittpunkt beider Disziplinen haben sich bisher immer auf die Wirkung des Inhalts statt auf die Wirkung des Mediums konzentriert.[35] Bleibt in solchen Studien das Medium unsichtbar, kann man auch nicht spezielle Wirkungen eines neuen Mediums untersuchen. In den Internationalen Beziehungen existieren daher kaum Werkzeuge, die das gegenwärtig beobachtete Phänomen Informationsrevolution analysieren könnten.

Eine Ausnahme ist der kanadische Politikwissenschaftler Ronald Deibert, der versucht hat, die systemverändernden Wirkungen der Informationstechnik auf globaler Ebene zu analysieren. Er argumentiert, „changes in modes of communication – the various media by which information is stored and exchanged – have siginificant implications for the evolution and character of society and politics at a world level.“[36] Aufgrund der Informationsrevolution entsteht eine neue gesellschaftliche Epistemologie und eine neue Struktur des internationalen Systems. Für diese Arbeit bleibt aber seine Makroperspektive in den Details des Kommunikationsprozesses und der konkreten Annahmen zur Medienwirkung zu unscharf.

2. Die politische Wirkung des Internet laut Kommunikationswissenschaft

Nachdem Medienwirkungsforscher lange Zeit über die Macht des Fernsehens in Konflikten debattiert haben[37], ist in den letzten Jahren eine neue Diskussion über die politische Wirkungen des Internet entstanden.[38] Das Internet, so die Kernpunkte der Debatte, fördert einerseits Demokratie, weil es eine stärkere Partizipation der Bürger erlaubt und der freie Fluß an Informationen geschlossene diktatorische Systeme aufbricht. Andererseits ermöglicht das neue Medium aber auch bisher unbekannte Konfliktformen, da es Terroristen oder Protest-Akteuren ein neues wirkungsvolles Werkzeug in die Hand gibt.

Die Demokratie-Debatte wird momentan am erschöpfendsten von Kommunikations- und kaum Politikwissenschaftlern geführt.[39] Auch in der Praxis setzen gemeinnützige Stiftungen das Internet in Projekten ein, die in Dikaturen oder Ländern mit Militärregimen einen freien Informationsfluß fördern sollen.[40] Während sich in der Demokratie-Debatte erste seriöse, differenzierte Erkenntnisse abzeichnen, gibt es zur Rolle des Internet in Konflikten noch eine sehr unausgewogene Diskussion.

Den Kommunikationswissenschaftlern fällt es schwer, Medientheorien auf politikwissenschaftliche Phänomene anzuwenden. Bisher haben sie erst in Ansätzen systematisch untersucht, auf welche Weise die Massenmedien in politische Prozesse eingreifen und politische Strukturen verändern, da den Wissenschaftlern oft die Problemstellungen und Kategorien politikwissenschaftlicher Forschung fremd sind.[41] Der kommunikationswissenschaftliche Politikbegriff beschränkt sich meist auf die funktionale Rolle der Massenmedien bei der politischen Meinungsbildung.[42] Medienforscher analysieren komplexe Politikprozesse, wie sie vor allem im Forschungsfeld der Internationalen Politik vorkommen, selten kausal mit Hilfe intervenierender Variablen.

Anders sieht es bei Untersuchungen zu Medienwirkungsprozessen aus. Hier haben Forscher lange Zeit den Fehler gemacht, diese zu streng kausal aufzufassen und anzunehmen, daß Medien im Sinne eines Stimulus-Response-Modells mobilisierten.[43] In den vergangenen 20 Jahren hat sich aber innerhalb der Kommunikationswissenschaft das Gebiet „Politische Kommunikation“ entwickelt[44], in dem theoretische Hypothesen und Modelle, empirische Befunde und plausible Interpretationen vorliegen. Grundidee der Politischen Kommunikation ist, daß medial vermittelte Botschaften einer bestimmten Medienlogik gehorchen, die bestimmt, was Öffentlichkeit und Entscheidungsträger als Probleme wahrnehmen und daher auch als Probleme behandeln.

3. Militärische Konfliktszenarien des Informationszeitalters

Die Frage, wie das Internet auf politische Prozesse wirkt, wird momentan noch am deutlichsten von Militärstrategen und Journalisten beantwortet. Ihrer Meinung nach entsteht durch den Einsatz des Internet nicht nur eine neue Konfliktform, es werden sogar Kriege in Zukunft auf völlig neue Weise verlaufen:

„Monitore als moderne Schlachtfelder; um zu schießen, tippt man im richtigen Moment auf die Tastatur. Die tödliche Munition kommt von der Festplatte: Wissen, Information, Daten. Cyberlegionäre, Netzterroristen, Kampfroboter, Lauschangriffe vervollständigen das Horrorszenario der digitalen Kriegsführung.“[45]

Die Vision einer neuen informationstechnischen Kriegswelle, die bei Alvin und Heidi Toffler noch relativ differenziert begann[46], ist inzwischen ein beliebtes Szenario von Journalisten und Aktivisten geworden. „Informationskrieg“ ist ein Modebegriff geworden, der sehr schwammig für alle neuen Arten des Kriegs, Terrorismus, Verbrechens und des radikalen Aktivismus verwendet wird, die aus der Dynamik des Informationszeitalters entstehen.[47] U.S.-Militärstrategen, die die von innovativen Kommunikationstechniken verursachte Revolution in militärisch-strategischen Angelegenheiten („Revolution in Military Affairs“) untersuchen, haben 1993 diese technologiegetriebene Debatte entfacht, als sie in einer Studie neben Informationskriegs-Szenarien[48] zwei neue Konfliktformen der Zukunft beschrieben: „Cyberwar“ und „Netwar“.[49] Da, so die Autoren, in Zukunft Informationssysteme eines Landes dezentral von „Hackern“ angegriffen werden könnten, muß sich ein hierarchisch organisierter Staat vor den neuen Feinden wirksamer schützen.

Im Folgenden werden die beiden Konzepte kurz dargestellt, da sie wesentlich für das Verständnis der Arbeit sind.

- Szenario1: Cyberkrieg – der Krieg des 21. Jahrhunderts

„Cyberwar“ ist ein militärisches Konzept, das die RAND-Autoren John Arquilla und David Ronfeldt als ein neues Paradigma militärischer Auseinandersetzungen sehen. Dieses Konzept enthält zwei Elemente. Zum einen beschreibt es eine neue Kriegsform, zum anderen bezeichnet es Angriffe auf Computersysteme eines Staates. Zunächst zu der Veränderung bisheriger Kriegsstrategien.

Traditionelle militärische Parameter wie beispielsweise Truppenstärke, sind in dieser Konfliktkonstellation zwar noch wichtig, aber verbesserte Informationstechniken verändern ihren Charakter. Der Soldat im Bodenkrieg wird immer mehr zu einer vernetzten Einheit einer weit entfernten elektronischen Kommandozentrale. Feldsoldaten werden durch tragbare, in die Kleidung integrierte Computer und Kommunikationsmedien informationstechnisch aufgerüstet. Untereinander sind sie durch Video- und Audiosysteme vernetzt. Unbemannte Überwachungsdrohnen, die mit Infrarotkamera Bilder von feindlichen Soldaten und Truppenbewegungen schießen, unterstützen die Bodentruppen. Mit Hilfe des „Global Positioning System“ (GPS) kann man den Standort jedes einzelnen Soldaten auf den Zentimeter genau bestimmen. Mensch und Lenkwaffen interagieren auf bisher ungeahnte Weise: Soldaten können mit Lasern bestimmte Zielobjekte markieren, die die Artillerie daraufhin zentimetergenau zerstört. Die Strategie versucht zu verhindern, daß eigene Soldaten ums Leben kommen.

Das zweite Element des Cyberkriegskonzeptes findet nur noch im virtuellen Raum statt. Die Krieger des 21. Jahrhunderts, so die Militärstrategen, werden einen Cyberkrieg um Informationssuperiorität führen, in welchem sie informationsgestützte Anwendungen, Informationssysteme und computergestützte Netzwerke des Gegners angreifen. „As an innovation in warfare, we anticipate that cyberwar may be to the 21st century what blitzkrieg was to the 20th century.“[50]

Tatsächlich versuchen pro Woche mehr als hundert Hacker in das Pentagon-Computersystem einzudringen.[51] U.S.-Präsident Bill Clinton sagte, er fühle sich von Computer-Hackern bedroht.[52] Sein Koordinator für „Counter-Terrorism“ spricht bereits von „information warfare“[53], und der stellvertretende U.S.-Verteidigungsminister kommentierte Mitte 1999 eine russische Spionage-Aktion: „We are in the middle of a cyber war.“[54]

Im Oktober 1998 hat das Pentagon den Cyberspace offiziell neben dem Weltraum, dem Land und den Meeren als Schlachtfeld erklärt, indem es die Kommandostruktur seiner Militärdoktrin von C2W (Command and Control Warfare) zu C4I2 (Command, Control, Communication, Computation, Intelligence and Interoperability) erweiterte. Militärs sollen bald, so das Ziel der Pentagon-Planer, nur noch in einem virtuellen Kampfraum agieren. Eine Spezialeinheit der U.S.-Armee experimentiert bereits mit den „Konzepten des 21. Jahrhunderts“.

Das Szenario des Cyberkriegs ist insofern für diese Arbeit relevant, da das folgende Netzkrieg-Szenario auf ihm aufbaut und einige Elemente integriert.

- Szenario2: Der Netzkrieg – nichtstaatliche Akteure als Agressoren

Unter dem Begriff Netzkrieg verstehen Arquilla und Ronfeldt einen informationsbezogenen Konflikt, keinen wirklichen Krieg.[55] Hauptakteure des neuartigen Konflikts ist die in Netzwerken organisierte „new generation of revolutionaries and activists [which] gained strength and flexibility through networking“[56]. Zu den Informationszeitalter-Revolutionären zählen nach Meinung der RAND-Strategen explizit Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, andere gesellschaftliche und politische Bewegungen sowie Terroristen.[57]

Weil sich diese Akteure nach dem Netzwerkprinzip organisieren, können Informationen schnell zu den einzelnen Netzwerkmitgliedern fließen und diese in kürzester Zeit zu Handlungen oder Protestaktionen per Internet mobilisieren. Außerdem können sie Cyberkrieg-Taktiken anwenden: Computer-Hacking, Desinformationskampagnen per Telefon, Fax oder E-Mail, und die Verbreitung von Propaganda über computerisierte Billboards und Konferenzsysteme setzen Staaten auf neue Weise unter Druck.

Selbst ein einfacher revolutionärer Aufstand wird, so die Militäranalysten, durch die Verbindung zu transnationalen Netzwerken ein für die angegriffene nationale Regierung bedrohlicher „social netwar“.[58] Sie nennen nur zwei Beispiele für das neue Phänomen Netzkrieg: Internetproteste gegen französische Atomtests im Südpazifik hätten Netzkriegscharakter gehabt. Der erste und bislang einzige wirkliche Netzkrieg, so die RAND-Strategen, sei aber der revolutionäre Aufstand der Zapatisten im mexikanischen Bundesstaat Chiapas am 1.1.1994 gewesen.

- Chiapas als Schauplatz des neuen Konflikttyps

In Chiapas konnte die kleine Gruppe aufständischer zapatistischer Rebellen, so die RAND-Strategen, mit Hilfe von Netzkriegstrategien nationale und internationale Unterstützung mobilisieren, und so die mexikanische Regierung zwingen, die Militäroffensive zu stoppen.[59] Die Zapatisten waren, da sie strategisch das Internet einsetzten, eine Bedrohung für die mexikanische Sicherheit. Verstärkend kam hinzu, daß NGOs virtuell und physisch nach Chiapas „schwärmten“ und die Zapatisten unterstützen.[60] Chiapas wurde damit zum Schauplatz eines neuen Konflikttyps des nächsten Jahrhunderts.[61]

Im Netzkriegsszenario bleibt der Prozeß einer möglichen Wirkung des Mediums Internet unklar. Es wird nicht deutlich, wer tatsächlich das Internet einsetzt (Zapatisten oder NGOs). Die Militäranalysten setzen das Vorhandensein des Internet während eines Konflikts mit einer starken politischen Wirkung gleich. Sie nehmen an, Netzwerkmitglieder in aller Welt würden mit Hilfe des Mediums automatisch mobilisiert. Diese Annahme eines Wirkungsautomatismus ist falsch. Das vom Funktionalismus angehauchte Argument, Technologie alleine verursacht einen tiefgreifenden Wandel, übersieht, daß technische Systeme immer mit sozialen Systemen verknüpft sind. Die reine Existenz eines Instruments (Internet) sagt noch nicht viel über dessen Verwendung aus. Denn neben den potentiellen Konfliktakteuren muß auch deren Zielpublikum das Internet nutzen, damit eine Wirkung entstehen kann.

Die Arbeitsmethode der nicht ganz unabhängigen Forscher – RAND ist ein Think Tank des U.S.-Verteidigungsministeriums, und Kritiker unterstellen dem Pentagon ein Interesse an derartigen Studien, um den Bestand und die Erhöhung seines Etats zu rechtfertigen – ist „naiv“-induktiv.[62] Sie beschreiben nur Phänomene, aus denen sie ihre Netzkriegsfolgerungen ziehen, ohne kontrafaktisch zu argumentieren. Auch die politische Wirkung am konkreten Fall in Chiapas bleibt unklar.[63] Das Argument, NGOs seien eine intervenierende Variable in Konflikten des Informationszeitalters, ist interessant, sagt in der Form mit undifferenzierten Annahmen zur Medienwirkung aber noch nicht viel aus.

4. Fazit: Interdisziplinärer Ansatz bei Konflikten im Informationszeitalter

Die Theorie der Internationalen Beziehungen beachtet kaum kommunikationswissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Internetwirkung, und in der Kommunikationswissenschaft kommen die (internationalen) politischen Wirkungenszusammenhänge zu kurz. Die einzigen, die beide Welten kombinieren, sind Militärstrategen, die den linear-kausalen Grundgedanken entwickeln, daß das neue Medium Internet zu einer neuen Art des Konflikts führt. Neu insofern, als lokale revolutionäre Bewegungen mit Internet-Kriegsstrategien und Unterstützung durch NGOs einen enormen Druck auf Staaten ausüben. Wie genau dieser Druck aussieht und wie die Wirkung der Medien abläuft, bleibt dabei aber im Dunkeln.

Aufgrund der festgestellten Defizite beider Disziplinen nähert sich diese Arbeit Informationszeitalter-Konflikten interdisziplinär und modifiziert das Grundargument der Militärstrategen. Die Politikwissenschaft hilft, das Konzept transnationaler Netzwerke zu verstehen[64] und stellt die Methode der Fallstudie bereit. Die Kommunikationswissenschaft liefert Ansätze, die die Medienwirkung des Internet differenzieren.

IV. Theoretischer Teil

Ziel dieses Abschnitts der Untersuchung ist, das noch rudimentäre und bereits kritisierte Argument der Militärstrategen theoretisch zu differenzieren, um so erste in Hypothesen formulierte Aussagen zu erhalten, wie das Internet Konfliktprozesse beeinflussen könnte.

Um beurteilen zu können, ob mit Hilfe einer modernen Medienstrategie tatsächlich ein neuer Konflikttyp entstehen kann, befaßt sich Kapitel IV.1. zunächst mit der Frage, welche Rolle neuverfügbare Medien bisher in Revolutionen gespielt haben, und ob bereits früher solche Medien aufgrund ihrer Eigenschaften den Charakter revolutionärer Prozesse beeinflußten. Anschließend wird der Begriff „revolutionärer Prozeß“ für die nachfolgende Fallstudie operationalisiert. Wichtig ist zu verstehen, an welchem Punkt des Konfliktprozesses und zu welchem Zweck Revolutionäre Medienstrategien verwenden, da die Erkenntnisse den Aufbau der Fallstudie strukturieren werden.

Herzstück des Theorieteils ist Kapitel IV.2., in dem auf der Basis kommunikationswissenschaftlicher Medienwirkungsannahmen „Öffentlichkeit“ als eine intervenierende Variable, die Politikprozesse beeinflußt, diskutiert wird. Das Kapitel untersucht zunächst, welche Veränderungen sich aufgrund der mit dem Internet entstehenden Kommunikations- und Organisationsmöglichkeiten für die Medienstrategien revolutionärer Gruppen erwarten lassen. Welche neuen Kommunikationsarten sind möglich? Ein detaillierte Raster wird entwickelt, anhand dessen in der Fallstudie Internetkommunikation analysiert wird. Nach der Differenzierung der Variable Öffentlichkeit können abschließend in Kapitel IV.3. vorläufige Aussagen zur Wirkung von Internetkommunikation auf Konfliktprozesse formuliert werden.

1. Traditionelle Medienstrategien in revolutionären Konflikten

Welche Rolle haben Medien oder eine bestimmte Medienstrategie bisher in Revolutionen bzw. revolutionären Konflikten gespielt? Erst vor wenigen Jahren hat der Historiker und Revolutionsexperte Jeremy Popkin als erster untersucht, wie der Einsatz von Medien mit Revolutionen zusammenhängt.[65]

1.1. Medieneinsatz in Revolutionen

„Medienrevolutionen“ wie etwa das Auftauchen neuer Kommunikationstechniken oder plötzliche Umbrüche im Mediensystem eines Landes, argumentiert Popkin, bestimmen die Art, in der revolutionäre Prozesse ablaufen.[66] Aktivisten setzen die jeweils neueste Kommunikationstechnik für ihre Zwecke ein, da sie sich mehr Effektivität - geringere Transaktionskosten und größere Wirkung - von den neuen, alternativ zu den traditionellen Medien verfügbaren Kanälen erhoffen. Dabei entwickelt dieses „Revolutionsmedium“ aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften eine Eigendynamik, die auch den Ablauf der revolutionären Bewegung beeinflußt. In Frankreich war diese Kommunikationsrevolution der Boom der Presseerzeugnisse; das neue Medium, das die Revolutionäre von 1789 einsetzten, und das der Französischen Revolution auch den Charakter einer Medienrevolution verlieh, waren die überall hervorschießenden Tageszeitungen. Die Propaganda der Aktivisten konnte wegen des neuen Mediums nun schneller auf neuen Kanälen ablaufen. Die Empfänger bekamen alternative Informationen zu den offiziellen Meldungen. Revolutionäre konnten ein Zielpublikum erreichen wie nie zuvor, und Herrschende hatten kaum Kontrollmöglichkeiten.

[...]


[1] Vgl. Isabel Vincent, „Mexican Guerillas Online“, Toronto Globe and Mail (21.6.1996); Leonard Doyle, „Mexican Rebels invade internet“, The Irish Times (7.3.1995).

[2] Vgl. John Arquilla und David Ronfeldt, The Zapatista „Social Netwar“ in Mexico (Santa Monica, CA: RAND, 1998); dieselben, „Cyberwar Is Coming!“, Comparative Strategy, vol.12/2 (1993), S.141-165.

[3] Die Fallstudie ist eine epistemologische Methode, die Behauptungen zu kausalen Prozessen prüft. Zur Methode vgl. Alexander George und Timothy McKeown, „Case Studies and Theories of Organizational Decisionmaking“, Advances in Information Processing in Organizations, vol.2 (1985), S.21-58.

[4] Zum Einsatz von Fallstudien in der Theoriebildung siehe Harry Eckstein, „Case Study and Theory in Political Science“, in Fred Greenstein und Nelson Polsky (eds.), Handbook of Political Science, Band 7: Strategies of Inquiry (Reading, MA: Addison-Wesley, 1975), S.79-137.; S.86-92; Klar formulierte Hypothesen bestehen in der Regel aus kausal miteinander verknüpften abhängigen, unabhängigen und intervenierenden Variablen. Ein Fall kann definiert werden als „a pheonomenon for which we report and interpret only a single measure on any pertinent variable.“ [Quelle: ibid.; S.85].

[5] „Case studies will be particularly useful at an early stage of theory development“ [Quelle: Alexander George und Timothy McKeown, „Case Studies and Theories of Organizational Decisionmaking“, op.cit.; S.51f].

[6] Harry Eckstein unterscheidet sechs verschiedene Typen von Fallstudien. Zwei davon sind „heuristic case studies“ und „plausibility probes“. Diese Arbeit ist eine Mischung aus beiden. [Vgl. Harry Eckstein, „Case Study and Theory in Political Science“, op.cit.].

[7] Vgl. Arend Lijphart, „Comparative Politics and the Comparative Method“, American Political Science Review, vol.65/3 (1971), S.682-693; S.692.

[8] „Although in the final analysis only comparative studies can really test theories, well-chosen case studies can shed much light on their plausibility, hence whether proceeding to the final, generally most costly, stage of theory building is worthwhile.“ [Quelle: Harry Eckstein, „Case Study and Theory in Political Science“, op.cit.; S.93.].

[9] Viele Fallstudien machen den formalen Fehler, die Fälle nach der abhängigen Variable, also dem zu erklärenden Teil der Hypothese auszusuchen. Auch inhaltlich gibt es bessere und schlechtere Fälle, um ein Argument zu testen. Problematisch wird das Testen, wenn es an dem Fall geschieht, anhand dessen man die Theorie entwickelt hat.

[10] Eine vergleichende Fallstudie bietet sich nicht an, da theoretische Erkenntnisse noch zu unausgereift sind. Es müßten zum gegenwärtigen Forschungsstand zu viele verschiedene Faktoren konstant gehalten bzw. variiert werden – eine Aufgabe, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

[11] Vgl. Arend Lijphart, „Comparative Politics and the Comparative Method“, op.cit.; S.692.

[12] Zu den verwendeten elektronischen Archiven siehe Anhang [VIII.2.].

[13] „The most distinctive feature of case studies is what we have termed a process-tracing approach to analyzing behaviour.“ [Quelle: Alexander George und Timothy McKeown, „Case Studies and Theories of Organizational Decisionmaking“, op.cit.; S.54; zur Process-tracing Methode vgl. S.34-41].

[14] Die Gefahr besteht einerseits darin, daß oft Aussagen, die für eine spezifische Kausalbeziehung des untersuchten Falls zutreffen, generalisiert werden, und andererseits, daß Forscher bestimmte Variablen, die in dem untersuchten Fall auftreten, nicht generalisieren, da sie sie nur in der spezifischen Fallkonstellation für bedeutsam halten.

[15] Vgl. Ronald Deibert , Parchment, Printing, and Hypermedia. Communication in World Order Transformation (New York: Columbia Univ. Press, 1997); S.162; für einen guten Überblick zur Rolle der Informationstechnologien in „democratic uprisings“ Adam Jones, „Wired World: Communication Technology, Governance and the Democratic Uprising“, in Edwar Comor, The Global Political Economy of Communication: Hegemony, Telecommunication and the Information Economy (New York: St. Martin’s Press, 1994), S.145-164.

[16] Howard Frederick, „Computer Networks and the Emergence of Global Civil Society: The Case of the Association for Progressive Communications (APC)“, in Linda Harasim (ed.), Global Networks: Computers and International Communication (Cambridge, MA: MIT Press, 1993), S.283-295. [Online: http://cygnus.sas.upenn.edu/African_Studies/Global_Comm/Global_Society .html].

[17] Vgl. Howard Frederick, „Computer Networks and the Emergence of Global Civil Society“, op.cit.; und John Quaterman , The Matrix: Computer Networks and Conferencing Systems Worldwide (Bedford, MA: Digital Press, 1990), S.xxiii; zum demokratiefördernden Einsatz des Internet in China vgl. ohne Autor „Chinese Dissidents turn to online Forums“, The Washington Post (23.6.99); ohne Autor, „Democracy activists in China and abroad realize the Internet’s potential to promote social change“, USA Today (26.8.1999).

[18] Peter Siedler, „Mit E-Mail und Internet gegen Diktatoren. Südostasiens Oppositionelle entdecken neue Kampfmethoden“, NZZ (18.9.1998); Peter Eng, „Online-Aktivists Step Up the Fight“, The Bangkok Post (29.4.1998); etwa 130.000 Menschen lasen täglich Informationen der „Indonesia-L“- Mailingliste. Viele Nachrichten der Liste wurden ausgedruckt, und so erreichten sie auch Menschen, die sich keine Computer leisten konnten.

[19] Im Golfkrieg explodierte geradezu die Aktivität der Computernetze. Während traditionelle Kommunikationskanäle vom Pentagon zensiert wurden, berichteten die Netzwerke akkurat über die Wirkungen. Im Kosovo organisierten Studenten in Belgrad ihren Protest per Internet, außerdem sendete die verbotene Radiostationen B92 nun aus dem Cyberspace. Westliche Medien (Deutsche Welle, Voice of America, BBC) übernahmen die „Real Audio“-Berichte aus dem Internet.

[20] Virtuelle Heimat der in Deutschland verbotenen PKK ist seit Mitte 1998 www.pkk.org; seit 1998 hat die HAMAS ihre Homepage [www.algonquinc.on.ca/~abba0002]; Die algerische islamische Heilsfront FIS ebenfalls, und die 1969 von der IRA abgespaltene PIRA präsentiert sich über die Homepage der „Sinn Fein“-Partei: http://sinnfein.ie.

[21] Der Bombenanschlag im April 1995 auf ein Staatsgebäude in Oklahoma richtete die Medienaufmerksamkeit auf den Einsatz von Computernetzen seitens der Terroristen. Der Kopf der Terroristen befand das Internet „absolutely vital“ für seine Zwecke. [Jared Sandberg, „Militia Groups Meet, Recruit in Cyberspace“, Wall Street Journal (26.4.1995)]; im Internet zirkulieren mehrere „Terroristen-Handbücher“, die unter anderem beschreiben, wie man Sprengkörper baut.

[22] Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, „Rechtsextremistische Bestrebungen im Internet“ (Köln, 1999).

[23] Peter Siedler, „Mit E-Mail und Internet gegen Diktatoren. Südostasiens Oppositionelle entdecken neue Kampfmethoden“, NZZ (18.9.1998).

[24] „Southeast Asian dissidents armed with computers and modems are winning skirmishes as they marshal the border-breaching Internet against autocratic regimes.“ [Quelle: Peter Eng, „Online-Aktivists Step Up the Fight“, The Bangkok Post (29.4.1998)].

[25] Lin Neuman, „The Resistance Network. Too many people believe if it isn’t on CNN, it isn’t important. ‚Countrynets’ expose dictatorships, unite activists, and give hope to the oppressed around the world“, Wired Magazine (1/1996).

[26] Richard Ehrlich, „Internet attacks Burma!”, The Bangkok City Times (23.3.1998).

[27] Rebecca Vesely, „Oppressors, Beware! Net Fights for Rights“, Wired Magazine (5.3.1997); Wired News Room, „Hacking for Human Rights?“ (14.7.1998)].

[28] Euphorische Technikdiskussionen begleiteten bisher alle Kommunikationstechnik-Revolutionen: Photographie und Telegraphie (1830), Rotationsdruck (1840), Schreibmaschine (1860), transatlantische Kabel (1866), Telefon (1876), bewegte Bilder (1894), drahtlose Telegraphie (1895), magnetische Kassettenaufnahmen (1899), Radio (1906) und Fernsehen (1923). [Vgl. James Beniger , The Control Revolution: Technological and Economic Origins of the Information Society (Cambridge, MA: Harvard Univ. Press, 1986); S.7.

[29] Vgl. James Rosenau, Turbulence in World Politics: A Theory of Change and Continuity (Princeton, NJ: Princeton Univ. Press, 1990).

[30] John Ruggie, „Territoriality and Beyond: Problematizing Modernity in International Relations“, International Organisation, vol.47 (Winter 1993), S.130f.

[31] Vgl. Kapitel IV.2.1.

[32] Vgl. Ronald Deibert , Parchment, Printing, and Hypermedia, op.cit.; James Rosenau, Turbulence in World Politics: A Theory of Change and Continuity, op.cit., berücksichtigt die Techniken am Rande; James Der Derian, Anti-Diplomacy: Spies, Terror, Speed, and War (Oxford: Blackwell, 1992); Timothy Luke , Screens of Power: Ideology, Domination, and Resistance in Informational Society (Urbana: Univ. of Illinois Press, 1989); Edward Cornor (ed.), The Global Political Economy of Communication: Hegemony, Telecommunication, and the Information Economy (New York: St. Martin’s Press, 1994).

[33] Vgl. Kapitel IV.2.2.

[34] Vgl. Winfried Schulz, Politische Kommunikation: Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung zur Rolle der Massenmedien in der Politik (Opladen: Westdeutscher, 1997); S.12.

[35] Beispiele davon sind Studien zu Propaganda, „Framing“ internationaler Ereignisse und Kommunikation während Krisen, Kriegen oder Verhandlungen. Für einen ausführlichen Überblick siehe Ronald Deibert , Parchment, Printing, and Hypermedia, op.cit., S.19f; Innerhalb der Forschungstradition zu Internationalen Beziehungen gibt es keinen ernst zu nehmenden Vertreter, der sich auf Kommunikation zentriert – die Ausnahme ist Karl Deutsch, der aber seine Studien vor der Informationsrevolution schrieb und den Informationsfluß unabhängig vom jeweils verwendeten Medium analysierte [Vgl. Karl Deutsch, The Nerves of government: Models of Political Communication and Control (New York: Free Press, 1963); und derselbe, Nationalism and Social Communication (Cambridge, MA: MIT Press, 1966)].

[36] Ronald Deibert , Parchment, Printing, and Hypermedia, op.cit., S.2; Deibert entwickelt einen analytischen Rahmen, „a lens through which we can interpret the relationship between large-scale changes in modes of communication and world order transformation.“ [ibid; S.3].

[37] Das Fernsehen hat eine Schlüsselrolle in revolutionären Prozessen von 1989 gespielt, indem es Vorgänge sichtbar machte, Emotionen weckte, Menschen dazu brachte, sich den Revolutionen anzuschließen und so revolutionäre Veränderungen beschleunigte. Bilder zeigten das Durchschneiden des Stacheldrahts an der ungarisch-österreichischen Grenze 1989, die Exhumierung der Leiche des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy, Flüchtlinge in der Prager Botschaft, Demonstrationen in Leipzig und Ost-Berlin, die sanfte Revolution in der Tschechoslowakei oder die Hinrichtung des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu.

[38] Überblicksbeiträge zum Thema „Internet und Politik“ sind Hagen, Lutz (ed.), Online-Medien als Quellen politischer Information. Empirische Untersuchungen zur Nutzung von Internet und Online-Diensten (Opladen: Westdeutscher, 1998); Kleinsteuber, Hans (ed.), Der „Information Superhighway“ (Opladen: Westdeutscher, 1996); Leggewie, Claus und Maar, Christa (eds.), Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie (Köln: Bollmann, 1998); der Politikbegriff wird dort sehr vage gehalten.

[39] Zuerst schwärmten U.S.-Forscher von „Teledemocracy”, sahen ein neues athenisches Zeitalter heraufdämmern, in dem der mit neuen Artikulationsmöglichkeiten gewappnete Einzelne zu einem wichtigeren Mitspieler im politischen Prozeß würde [Vgl. Christopher Arterton, Teledemocracy. Can Technology Protect Democracy? (Newbury Park: Sage, 1987; Jeffrey Abramson, Christopher Arterton und Garry Orren, The Electronic Commonwealth. The Impact of New Media Technologies on Democratic Politics (New York: Basis Books, 1988); Lawrence Grossmann, The Electronic Republic. Reshaping Democracy in the Information Age (New York: Viking, 1995)]; inzwischen sprechen auch die deutschen Wissenschaftler von der „Digitalen Demokratie”, der „elektronischen Demokratie” oder „Cyber-Demokratie” [Vgl. Claus Leggewie und Christa Maar (eds.), Internet & Politik, op.cit.; Martin Hagen, Elektronische Demokratie. Computernetzwerke und politische Theorie in den USA (Hamburg: Lit, 1997)]. Beispiele für kritische deutsche Stimmen sind: Helmut Scherer, „Partizipation für alle? Die Veränderung des Politikprozesses durch das Internet”, in Patrick Rössler (ed.), Online-Kommunikation. Beiträge zu Nutzung und Wirkung (Opladen: Westdeutscher, 1998), S.171-88; und Claus Leggewie, „Demokratie auf der Datenautobahn – oder: Wie weit geht die Zivilisierung des Cyberspace?”, in derselbe und Christa Maar (eds .), Internet & Politik, op.cit., S.15-51].

[40] Ein Paradebeispiel ist das Burma-Projekt der Soros-Foundation [www.soros.org/burma].

[41] Vgl. Winfried Schulz, Politische Kommunikation, op.cit.; S.12.

[42] Medien übernehmen in den Augen dieser Funktionalisten (dem Großteil der über die politische Wirkung von Medien schreibenden Kommunikationswissenschaftler) in der Demokratie drei zentrale politische Funktionen: Das Bereitstellen von Informationen, die Artikulation von Meinungen und Interessen der Bevölkerung und die Kontrolle und Kritik der Entscheidungsträger.

[43] Vgl. Fußnote 114.

[44] Publiziert worden sind vor allem Handbücher oder Überblickspublikationen; Vgl. Keith Sanders, Lynda Lee Kaid u.a., Political communication yearbook 1984 (Carbondale: Southern Illinois Univ. Press, 1985); David Swanson und Dan Nimmo, New directions in political communication. A resource book (Newbury Park, CA: Sage Publications, 1990); Doris Graber, „Political communication: Scope, progress, promise“, in Ada Finifter (ed.), Political science. The state of the discipline (Washington D.C.: American Political Association, 1983), S.305-332; ein guter deutschsprachiger Überblick ist Winfried Schulz, Politische Kommunikation, op.cit.

[45] Spiegel Online, „Kunst und Krieg im Netz“ (24.3.1999); ein Beitrag über die Ars Electronica 1998 – ein Medienfestival, das unter dem Thema „Information Warfare“ stand. Noch schärfer führen Technikjournalisten des U.S.-Onlinemagazins „Wired“ die Konfliktdiskussion. [Vgl. Ashley Craddock, „Upending Net’s Rebel Nature“, Wired Magazine (15.6.1998); Niall McKay, „The Golden Age of Hacktivism“, Wired Magazine (22.9.98)].

[46] Vgl. Alvin und Heidi Toffler, War and Anti-War: survival at the dawn of the 21st century (Boston: Little, Brown, 1993); und Alvin Toffler, The Third Wave (London: Pan Books, 1983).

[47] Ein detaillierter und differenzierter Überblick ist Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann, „Krieg und Frieden im Internet“, Telepolis, 2.9.1998; außerdem die Dokumentation der Ars Elektronica 1998 – Gerfried Stocker und Christine Schöpf (eds.), Information. Macht. Krieg. (Wien: Springer, 1998).

[48] Ein RAND-Konfliktszenario für 2002 beschreibt, wie lybische Cyberterroristen sich per Modem in den Boardcomputer eines Airbusses einwählen und das Flugzeug zum Absturz bringen. U.S.-Vizepräsident Al Gore warnte daraufhin vor einem „elektronischen Pearl Harbour“.

[49] Seit Mitte der 80er Jahre analysierte das U.S. Militär, welchen Wert Daten und Informationen im Konfliktfall haben und wie man sie systematisch nutzen kann. In diesem Zusammenhang entstand eine Studie des RAND-Think Tanks: John Arquilla und David Ronfeldt, „Cyberwar Is Coming!“, op.cit.

[50] Vgl. John Arquilla und David Ronfeldt, „Cyberwar Is Coming!“, op.cit.; Zitat auf S.30; Nachdem mit dem Ende des Kalten Kriegs reale militärische Bedrohungen wegfielen, begannen U.S.-Strategen, relativ öffentlich über das Thema „information warfare“ zu diskutieren. [Vgl. diverse RAND-Studien: John Arquilla und David Ronfeldt, In Athenas Camp. Preparing for Conflict in the Information Age (Santa Monica, CA: RAND, 1997) und dieselben, The Zapatista „Social Netwar“ in Mexico, op.cit.] Die Beispiele, die die beiden für einen Cyberkrieg geben, reichen von den Mongolen bis zum Ausschalten des irakischen Kommando-Systems in der ersten Angriffswelle alliierter Luftstreitkräfte im Golfkrieg 1991. Die Iraker waren daraufhin wehrlos, da sie nun unwissend über die Aktionen der Alliierten waren. Hacker und Cyberguerilleros sind die neuen Angstbilder hochentwickelter Länder, deren gesamte computergestütze Infrastruktur, die Informationen sammelt, speichert, verarbeit, anzeigt, übermittelt oder verbreitet, leicht manipulierbar ist; zum Beispiel die auf relativ instabilen Betriebssystemen laufenden Computernetze der zivilen Verwaltung, Industrie, Banken, Versicherungen oder Strom- und Gasgesellschaften.

[51] Ein Sprecher des Pentagon: „Es gibt tatsächlich jede Woche hunderte von Versuchen, in unsere Computersysteme einzubrechen. Die Ursache für die gleichbleibend hohen Zahlen ist die Tatsache, daß es als besondere Herausforderung gilt, in ein Computersystem des Pentagon einzudringen.“ [Quelle: Stern-Newsletter Edupage (12.3.1999)].

[52] Bill Clinton in einem Interview gegenüber der BBC (6/1996) [http://news.bbc.co.uk/hi/english/ world/newsid_316000/316014.stm].

[53] Richard Clarke ebenfalls gegenüber der BBC: „What we’re concerned about is in the future, nations will have that same capability to destroy each other’s infrastructure, not by bombs, but by cyber attack.“ [Quelle: BBC, ibid.].

[54] Zit. nach Matthew Campbell, „US losing cyber war to Russion hackers“, The Sunday Times (25.7.1999); In der Spionage-Aktion „Moonlight Maze“ gelang es russischen Hackern im Januar 1999, Militärgeheimnisse aus den Pentagoncomputern zu kopieren.

[55] „The term ‚netwar’ denotes an emerging mode of conflict (and crime) at societal levels, involving measures short of war, in which the protagonists use – indeed, depend on using – network forms of organization, doctrine, strategy, and communication.“ [Quelle: John Arquilla und David Ronfeldt, In Athenas Camp, op.cit.; Zitat auf S.278].

[56] John Arquilla und David Ronfeldt, „Looking Ahead: Preparing for Information-Age Conflict“, in dieselben, In Athenas Camp, op.cit.; S.457f.

[57] John Arquilla und David Ronfeldt, In Athenas Camp, op.cit.; S.285: „They [netwars] may be waged against the policies of specific governments by advocacy groups and movements – e.g. regarding environment, human-rights or religious issues.“

[58] John Arquilla und David Ronfeldt, „Looking Ahead“, op.cit.; S.457f.

[59] John Arquilla und David Ronfeldt, „Looking Ahead“, op.cit.; S.457f.

[60] „The dozens of U.S., Canadian, and other activist NGOs whose representatives rushed, electronically as well as physically, into Mexico to pressure the Mexican government to deal with the 1994 Zapatista uprising through political negotiations rather than armed force. The result was that fighting died out after about two weeks and was followed by two years of energetic negotiations, while the NGOs worked to make sure that ‚information operations’ continued to predominate over military operations.“ [Quelle: John Arquilla und David Ronfeldt, „Looking Ahead“, op.cit.; S.470].

[61] John Arquilla und David Ronfeldt, The Zapatista „Social Netwar“ in Mexico, op.cit.; S.23.

[62] Alan Chalmers beschreibt diese Methode, von Beobachtungensaussagen Gesetze und Theorien abzuleiten, als „naiven Induktivismus“ [Vgl. Alan Chalmers, Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie (Berlin, u.a.: Springer, 1994) (3rd ed.); S.8-11].

[63] Arquilla und Ronfeldt schreiben selbst: „We caution the reader that we lack data on government decisionmaking about much of the conflict in Chiapas, and. . . thus many of our points here should be read as speculative rather than definitive.“ [Quelle: John Arquilla und David Ronfeldt, The Zapatista „Social Netwar“ in Mexico, op.cit.; S.82].

[64] Vgl. Kapitel IV.2.2. zu Netzwerktheorien.

[65] Selbst die klassischen Revolutionswälzer vernachlässigen die Rolle der Medien. [Vgl. Timothy Wickham-Crowley, Exploring Revolution, op.cit.; Jack Goldstone, Revolution and Rebellion in the Early Modern World (Berkeley: Univ. of California Press, 1991); Theda Skocpol , States and Social Revolutions: A Comparative Analysis of France, Russia and China (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1979)]; Historiker oder Soziologen, die Experten einer Revolution sind, kennen sich mit kommunikationswissenschaftlicher Medienwirkungsforschung nur bedingt aus; Medienwissenschaftler wiederum sind nur selten versiert in historischen, revolutionären Bewegungen. Einig sind sich die meisten Theoretiker nur in allgemeinen Erkenntnissen, wie etwa, daß Medien politische Mißstände öffentlich machen und Unterstützung mobilisieren können, oder, daß sie auch eine wichtige Plattform für Akteure sozialer Proteste sind.

[66] Jeremy Popkin, „Media and Revolutionary Crisis“, in Jeremy Popkin (ed.), Media and Revolution. Comparative Perspectives (Lexington, KY: The Univ. Press of Kentucky, 1995), S.12-30; Popkin ist ein Experte zur Französischen Revolution von 1789, hat „seine“ Revolution unter einem neuen, fächerübergreifenden Gesichtspunkt untersucht mit dem Ziel, den Zusammenhang von neu verfügbaren Medien und revolutionären Bewegungen zu erklären.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832449360
ISBN (Paperback)
9783838649368
Dateigröße
937 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Sozialwissenschaften
Note
1,7
Schlagworte
nicht-regierungs-organisationen internet konflikt mexiko chiapas
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Titel: From: Zapatistas. To: Öffentlichkeit. Subject: Revolution
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