Die Schweiz in der internationalen Kapitalismusforschung
Ansätze und Modellcharakter
©2001
Diplomarbeit
99 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Schweiz - geographisch mitten in Europa, jedoch politisch nicht in Europa - ist ein Sonderfall. Ausgestattet mit wenig natürlichen Ressourcen und einer infrastrukturell anspruchsvollen Landschaft entwickelte sich die Schweiz zu einer Industriegesellschaft mit hervorragenden makroökonomischen Ergebnissen. Die Arbeitslosenquote lag im Jahresdurchschnitt 2000 bei 2,0% bei einer gleichzeitig niedrigen Teuerungsrate. Das Erreichen einer solchen Performanz ist das erklärte Ziel in nahezu allen europäischen Volkswirtschaften und der Europäischen Union.
Auch in der internationalen Kapitalismusforschung wird die Schweiz als Sonderfall betrachtet. Die verschiedenen Ansätze klassifizieren die Schweiz jeweils unterschiedlich und oft ist sie Grenzfall und Ausnahme.
Gang der Untersuchung:
Im ersten Teil dieser Arbeit werden die einzelnen Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung vorgestellt und deren jeweilige ökonomische Herleitung sowie die soziologischen und politischen Aspekte verdeutlicht.
Im zweiten Teil steht die Positionierung der Schweiz in den einzelnen Ansätzen im Vordergrund. Dort, wo im Ansatz die Schweiz eingeordnet wird, soll dieser Versuch argumentativ für die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederholt werden, verbunden mit der Analyse, ob sich Änderungen ergeben. Ist die Schweiz nicht Teil der angeführten Länder, so wird der Versuch unternommen, mit der Logik des Ansatzes eine Einordnung der Schweiz vorzunehmen.
Der dritte Teil der Arbeit umfasst die Entwicklung eines ökonomischen und politischen Modellcharakters der Schweiz anhand verschiedener Dimensionen und analog zu bestehenden Modellen in der Literatur. Das Modell schliesst Besonderheiten im politischen System, wie das Spektrum der regierenden Parteien, das Gesetzgebungsverfahren und das besondere Abstimmungsprozedere, sowie Eigenarten im Arbeitsmarktsystem, ein.
Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung7
2.Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung8
2.1Blyth - Responsive Bargaining8
2.1.1Grundlagen des Ansatzes8
2.1.2Politikbereiche des Responsive Bargaining8
2.1.3Verfahren und Strukturen eines Responsive Bargaining10
2.1.4Empfehlung für die institutionelle Ausgestaltung12
2.2Bruno und Sachs Corporatism13
2.2.1Grundlagen des Ansatzes13
2.2.2Strukturunterschiede in den Arbeitsmärkten13
2.2.3Korporatismus14
2.2.4Reagibilität des Nominallohns16
2.3Calmfors und Driffill - Hump-shape Curve17
2.3.1Grundlagen des […]
Die Schweiz - geographisch mitten in Europa, jedoch politisch nicht in Europa - ist ein Sonderfall. Ausgestattet mit wenig natürlichen Ressourcen und einer infrastrukturell anspruchsvollen Landschaft entwickelte sich die Schweiz zu einer Industriegesellschaft mit hervorragenden makroökonomischen Ergebnissen. Die Arbeitslosenquote lag im Jahresdurchschnitt 2000 bei 2,0% bei einer gleichzeitig niedrigen Teuerungsrate. Das Erreichen einer solchen Performanz ist das erklärte Ziel in nahezu allen europäischen Volkswirtschaften und der Europäischen Union.
Auch in der internationalen Kapitalismusforschung wird die Schweiz als Sonderfall betrachtet. Die verschiedenen Ansätze klassifizieren die Schweiz jeweils unterschiedlich und oft ist sie Grenzfall und Ausnahme.
Gang der Untersuchung:
Im ersten Teil dieser Arbeit werden die einzelnen Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung vorgestellt und deren jeweilige ökonomische Herleitung sowie die soziologischen und politischen Aspekte verdeutlicht.
Im zweiten Teil steht die Positionierung der Schweiz in den einzelnen Ansätzen im Vordergrund. Dort, wo im Ansatz die Schweiz eingeordnet wird, soll dieser Versuch argumentativ für die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederholt werden, verbunden mit der Analyse, ob sich Änderungen ergeben. Ist die Schweiz nicht Teil der angeführten Länder, so wird der Versuch unternommen, mit der Logik des Ansatzes eine Einordnung der Schweiz vorzunehmen.
Der dritte Teil der Arbeit umfasst die Entwicklung eines ökonomischen und politischen Modellcharakters der Schweiz anhand verschiedener Dimensionen und analog zu bestehenden Modellen in der Literatur. Das Modell schliesst Besonderheiten im politischen System, wie das Spektrum der regierenden Parteien, das Gesetzgebungsverfahren und das besondere Abstimmungsprozedere, sowie Eigenarten im Arbeitsmarktsystem, ein.
Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung7
2.Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung8
2.1Blyth - Responsive Bargaining8
2.1.1Grundlagen des Ansatzes8
2.1.2Politikbereiche des Responsive Bargaining8
2.1.3Verfahren und Strukturen eines Responsive Bargaining10
2.1.4Empfehlung für die institutionelle Ausgestaltung12
2.2Bruno und Sachs Corporatism13
2.2.1Grundlagen des Ansatzes13
2.2.2Strukturunterschiede in den Arbeitsmärkten13
2.2.3Korporatismus14
2.2.4Reagibilität des Nominallohns16
2.3Calmfors und Driffill - Hump-shape Curve17
2.3.1Grundlagen des […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ID 4822
Muschick, Ingo: Die Schweiz in der internationalen Kapitalismusforschung - Ansätze und
Modellcharakter
Hamburg: Diplomica GmbH, 2001
Zugl.: Wien, Wirtschaftsuniversität, Diplomarbeit, 2001
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2001
Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
7
2.
Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung
8
2.1.
Blyth
-
Responsive
Bargaining 8
2.1.1.
Grundlagen
des
Ansatzes 8
2.1.2.
Politikbereiche des Responsive
Bargaining
8
2.1.3.
Verfahren und Strukturen eines Responsive Bargaining
10
2.1.4.
Empfehlung für die institutionelle
Ausgestaltung 12
2.2.
Bruno
und
Sachs
-
Corporatism
13
2.2.1.
Grundlagen
des
Ansatzes 13
2.2.2.
Strukturunterschiede in den Arbeitsmärkten
13
2.2.3.
Korporatismus
14
2.2.4.
Reagibilität
des
Nominallohns
16
2.3. Calmfors und Driffill - Hump-shape Curve
17
2.3.1.
Grundlagen
des
Ansatzes 17
2.3.2.
Hump-shape
Kurve
19
2.3.3. Alternative
Verläufe
der
Hump-shape
Kurve
21
2.3.4.
Dimensionen von Dezentralisierung
23
2.4.
Cameron
-
Labour
Quiescence
25
2.4.1.
Grundlagen
des
Ansatzes 25
2.4.2.
Ursachen von Inflation und
Arbeitslosigkeit
26
2.4.3.
Sozialdemokratie und makroökonomische Performanz
28
2.4.4.
Empfehlung für die institutionelle
Ausgestaltung 29
2.5.
Schmitter
-
Societal
Corporatism
30
2.5.1.
Grundlagen
des
Ansatzes 30
2.5.2.
Korporatismus und politische
Prozesse
31
2.5.3.
Problem
der
Nichtregierbarkeit
32
2.5.4.
Empfehlung für die institutionelle
Ausgestaltung 32
2.6.
Tarantelli
-
Neocorporatismo 33
2.6.1.
Grundlagen
des
Ansatzes 33
2.6.2.
Dimensionen der Zentralisierung 35
2
2.6.3.
Bestimmung
des
Neokorporatismus
36
2.6.4.
Empfehlung für die institutionelle
Ausgestaltung 37
3.
Ansatzweise
Einordnung
der
Schweiz 38
3.1. Blyth
38
3.1.1. Zentralisierung
und
Verhandlungsebenen
38
3.1.2.
Lohnrunden
und
Lohnspiralen
39
3.1.3.
Beschäftigung
im
öffentlichen
Sektor
41
3.2. Bruno und Sachs
43
3.2.1.
Institutionen
43
3.2.2.
Korporatismus
45
3.2.3.
Reagibilität
des
Nominallohns
47
3.3.
Calmfors
und
Driffill
49
3.3.1.
Hump-shape Kurve und die Position der Schweiz
49
3.3.2.
Determinanten der Position der Schweiz
53
3.4. Cameron
57
3.4.1.
Makroökonomische Performanz der Schweiz
57
3.4.2.
Bestimmung der Organizational Power in der Schweiz
61
3.5. Schmitter
64
3.5.1.
Position
der
Schweiz
64
3.5.2.
Problem der Nichtregierbarkeit und makroökonomische Performanz
66
3.6. Tarantelli
69
3.6.1.
Abschätzung des Neokorporatismus in der Schweiz
69
3.6.2.
Modellcharakter
anderer
Staaten 72
4.
Modellcharakter
der
Schweiz 74
4.1.
Politisches
System
74
4.1.1.
Grundlagen des Systems
74
4.1.2.
Politisches
Spektrum
76
4.1.3.
Gesetzgebungsverfahren 78
4.2. System Arbeitsmarkt
81
4.2.1.
Erster
Arbeitsmarkt 81
4.2.2.
Zweiter
Arbeitsmarkt
85
3
4.2.3.
Probleme
und
Herausforderungen
89
5.
Zusammenfassung
92
6.
Literaturverzeichnis
94
4
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung
1
Hump-shape
Kurve
20
Abbildung 2
Hump-shape Kurve bei monopolistischer Konkurrenz
21
Abbildung 3
Hump-shape Kurve bei offener Volkswirtschaft
22
Abbildung 4
"Hump-shape Kurve" bei inländischen und ausländischen
Gütern
als
perfekte
Substitute 23
Abbildung 5
"Hump-shape Kurve" bei Dezentralisierung nach Profession
24
Abbildung 6
"Hump-shape Kurve" bei Dezentralisierung nach Regionen
25
Abbildung
7
Neokeynesianisches
Paradigma
34
Abbildung
8
Monetaristisches
Paradigma
35
Abbildung 9
"Hump-shape Kurve" für die Schweiz, Deutschland und
Österreich
1978-1995
51
Abbildung 10
Arbeitslosenquote in Abhängigkeit der Verhandlungsebene
für die Schweiz, Deutschland und Österreich 1978-1995
52
Abbildung 11
Relation zwischen Steigerungen der Löhne und Inflation
58
Abbildung 12
Relation zwischen Streikaktivität und Steigerung der Löhne
59
Abbildung 13
Relation zwischen Arbeitslosigkeit und Streikaktivität
60
Abbildung 14
Relation zwischen Regierungskontrolle linker Parteien und
Arbeitslosigkeit 61
Abbildung 15
Relation zwischen organisationaler Macht der Arbeitnehmer
und Regierungskontrolle linker Parteien
63
Abbildung 16
Relation zwischen Societal Corporatism und
gewerkschaftlichem
Organisationsgrad
66
Abbildung 17
Relation zwischen Unruliness und Unstableness
68
Abbildung 18
Relation zwischen Grad an Neokorporatismus und
Okun'schem
Gesetz
1980-1983
72
Abbildung
19
Erster
Arbeitsmarkt
der
Schweiz
81
Abbildung 20
Zweiter Arbeitsmarkt der Schweiz
85
5
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1
Jährliche Veränderung der realen Stundenverdienste in der
verarbeitenden Industrie
41
Tabelle
2
Jährliche
Inflationsrate 41
Tabelle 3
Korporatismus-Index
45
Tabelle
4
Reallohnlücke
46
Tabelle 5
Zahl der Streiks und Aussperrungen
47
Tabelle
6
Index
der
Nominallohnreagibilität
47
Tabelle
7
Arbeitsmarkt-Indizes
49
Tabelle 8
Zentralisierungsgrad von Lohnverhandlungen und makro-
ökonomische
Performanz,
Jahresdurchschnittwerte
1978-1995
50
Tabelle 9
Einfuhr pro Einwohner in US-Dollar
54
Tabelle 10
Ausfuhr pro Einwohner in US-Dollar
54
Tabelle 11
Steuereinnahmen und Steuern auf den Faktor Arbeit als
Anteil am BIP
56
Tabelle 12
Strukturelle Attribute und Bewertung der Aktivität der
Arbeitnehmerschaft,
1965-1980
61
Tabelle 13
Brutto-Organisationsgrad der Gewerkschaften
62
Tabelle 14
Indikatoren des Societal
Corporatism
65
Tabelle 15
Relative Nichtregierbarkeit in hochentwickelten
Industriegesellschaften 67
Tabelle 16
Dimensionen der fiskalischen Ineffectiveness von Regierungen
in
hochentwickelten
Industriegesellschaften 68
Tabelle 17
Grad an Neokorporatismus und dessen drei Dimensionen
71
Tabelle 18
Erwerbsquote
82
Tabelle 19
Zivile Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren in Prozent
83
Tabelle 20
Anteil der Beschäftigten in Teilzeittätigkeit in Prozent
aller Beschäftigten
84
Tabelle 21
Ausgaben für aktive Arbeitsmarktprogramme in Prozent
des BIP
86
Tabelle 22
Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung in Prozent des BIP
87
6
1. Einleitung
Die Schweiz - geographisch mitten in Europa, jedoch politisch nicht in Europa - ist ein
Sonderfall. Ausgestattet mit wenig natürlichen Ressourcen und einer infrastrukturell
anspruchsvollen Landschaft entwickelte sich die Schweiz zu einer Industriegesellschaft mit
hervorragenden makroökonomischen Ergebnissen. Die Arbeitslosenquote lag im
Jahresdurchschnitt 2000 bei 2,0% bei einer gleichzeitig niedrigen Teuerungsrate. Das
Erreichen einer solchen Performanz ist das erklärte Ziel in nahezu allen europäischen
Volkswirtschaften und der Europäischen Union.
Auch in der internationalen Kapitalismusforschung wird die Schweiz als Sonderfall
betrachtet. Die verschiedenen Ansätze klassifizieren die Schweiz jeweils unterschiedlich und
oft ist sie Grenzfall und Ausnahme. Im ersten Teil dieser Arbeit werden die einzelnen
Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung vorgestellt und deren jeweilige
ökonomische Herleitung sowie die soziologischen und politischen Aspekte verdeutlicht.
Im zweiten Teil steht die Positionierung der Schweiz in den einzelnen Ansätzen im
Vordergrund. Dort, wo im Ansatz die Schweiz eingeordnet wird, soll dieser Versuch
argumentativ für die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederholt werden, verbunden mit
der Analyse, ob sich Änderungen ergeben. Ist die Schweiz nicht Teil der angeführten
Länder, so wird der Versuch unternommen, mit der Logik des Ansatzes eine Einordnung
der Schweiz vorzunehmen.
Der dritte Teil der Arbeit umfasst die Entwicklung eines ökonomischen und politischen
Modellcharakters der Schweiz anhand verschiedener Dimensionen und analog zu
bestehenden Modellen in der Literatur. Das Modell schliesst Besonderheiten im politischen
System, wie das Spektrum der regierenden Parteien, das Gesetzgebungsverfahren und das
besondere Abstimmungsprozedere, sowie Eigenarten im Arbeitsmarktsystem, ein.
7
2.
Ansätze der internationalen Kapitalismusforschung
2.1. Blyth - Responsive Bargaining
2.1.1.
Grundlagen des Ansatzes
Der in dieser Arbeit erste Ansatz der internationalen Kapitalismusforschung wurde
aufgestellt von Conrad A. Blyth, der sich mit der Interaktion zwischen
Kollektivverhandlungen und Regierungspolitik in ausgewählten Mitgliedsstaaten der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) befasste.
Wichtigste Ziele der Regierungspolitik in OECD-Staaten sind Vollbeschäftigung und stabile
Preise (Blyth 1979: 59). Nach Blyth (1979) stehen den Regierungen fünf traditionelle
Werkzeuge zur Erreichung der Ziele zur Verfügung: Geldpolitische Massnahmen,
finanzpolitische Massnahmen mit Staatsausgaben und Steuern, Wechselkurspolitik, direkte
Eingriffe und eine fünfte Kategorie der Überzeugungsarbeit - 'Persuasion'. Diese fünfte
Kategorie umfasst nach Blyth (1979) die indirekte Beeinflussung von Interessengruppen,
formelle oder auch informelle Zusammentreffen von Regierungsvertretern mit
Gewerkschaften und Arbeitgebern und weitere Massnahmen, um einen Konsens über
ökonomische und soziale Ziele zu erreichen (Blyth 1979: 60).
Das normale Prozedere der Lohnbildung in den OECD-Ländern sind
Kollektivverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern (Blyth 1979: 61).
Auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten werden in dieser Art und Weise bestimmt.
Die Ergebnisse dieser Kollektivverhandlungen beeinflussen direkt wie auch indirekt die
Erreichung der obengenannten Ziele der Politik: Vollbeschäftigung und Preisstabilität.
Demnach sind Regierungen daran interessiert, dass die Ergebnisse der Arbeitgeber-
Arbeitnehmer-Verhandlungen nicht kontraproduktiv auf ihr Zielsystem wirken - "it is to get
results from collective bargaining which do not upset the goverment's other aims" (Blyth
1979: 63). Dazu bedarf es reagibler Kollektivverhandlungen als Entsprechung für ein
'Responsive Bargaining' (Blyth 1979: 64).
2.1.2.
Politikbereiche des Responsive Bargaining
Blyth (1979) unterscheidet vier Bereiche der Politik, welche den Erfolg von Responsive
Bargaining bestimmen, unter zwei Nebenbedingungen, der Stärke der Marktkräfte und der
8
Schwierigkeit, ökonomische Vorhersagen zu treffen. Die vier Politikbereiche des Responsive
Bargaining sind: Lohnbildung, Preisbildung, Steuer- und Sozialpolitik und
Informationspolitik (Blyth 1979: 64).
Reagible Kollektivverhandlungen entsprechen am ehesten einer antizyklischen Lohnpolitik,
welche dem Typus der Lohnverhandlungen in der Praxis entgegensteht (Blyth 1979: 64).
Dort herrschen prozyklische Lohnabschlüsse vor, da die Marktkräfte, wie auch
Gewerkschaften und Arbeitgeber, ebenso prozyklisch agieren. Eine Aufschwungphase stellt
die Gewerkschaften in Lohnverhandlungen besser, da die Unternehmensgewinne steigen,
und die Arbeitgeber bereit sind, durch höhere Entlohnung qualifizierte Beschäftigte zu
halten und anzulocken. Diese Faktoren führen zu steigenden Löhnen über dem
Produktivitätswachstum und somit zu steigenden Preisen und Inflation, da die Arbeitgeber
ihre Gewinne aufrechterhalten wollen (Blyth 1979: 64). In der umgekehrten Situation einer
Rezession ist die Position der Arbeitgeber gestärkt, da sie mit Entlassungen und weniger
Neueinstellungen drohen. Die Gewerkschaften forcieren Steigerungen der Löhne zum
Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten und in summa führt dies ebenso zum
Anstieg des Preisniveaus und Inflation (Blyth 1979: 65).
Antizyklische Lohnpolitik, und somit Responsive Bargaining, wird von Blyth (1979) als ein
Mittelweg beschrieben, wobei in konjunkturellen Aufschwungphasen die Gewerkschaften
nur moderate Lohnerhöhungen anstreben. In Rezessionen passen auch die Arbeitgeber
ihre Verhandlungsmacht an, so dass die reale Kaufkraft der Löhne nicht sinkt und
inflationäre Tendenzen abgeschwächt werden - "the top of the boom is scraped off to fill in
the hole ot the recession" (Blyth 1979: 65). Die Lohnsteigerungen werden an das
langfristige Produktivitätswachstum der gesamten Volkswirtschaft gekoppelt und ein
langfristiges Wachstum der Realeinkommen wird verfolgt (Blyth 1979: 65).
Analog zur antizyklischen Lohnpolitik werden Preisveränderungen im Falle eines
Responsive Bargaining antizyklisch durchgeführt. Preisentscheidungen sind auch nicht
unabhängig von Lohnabschlüssen, Lohnabschlüsse wiederum nicht von vorhergegangenen
Preissteigerungen (Blyth 1979: 66). Reagible Kollektivverhandlungen stellen sicher, dass
wiederum die Preise dem Produktivitätswachstum folgen, wie auch in den
Lohnverhandlungen Steigerungen der Löhne durch nicht-gesamtwirtschaftliche
Produktivitätssteigerungen minimiert werden - "responsive collective bargaining requires
9
that employers reduce prices (or minimize their increase) as much as possible following
productivity increases, and that to make this possible collective bargains should minimise
the pay increases won from productivity increases" (Blyth 1979: 66).
Die Steuer- und Sozialpolitik der Regierungen sind Bestandteil reagibler
Kollektivverhandlungen, da, wie schon erwähnt, das Wachstum des Realeinkommens die
Bezugsgrösse in Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhandlungen darstellt. Dabei wird das
Realeinkommen nicht nur als Nominallohn bezogen auf das Preisniveau verstanden,
sondern auch zu zahlende Steuern und empfangende Sozialleistungen integriert (Blyth
1979: 67). Regierungen sind demnach angehalten, ihre Steuer- und Sozialpolitik derart zu
gestalten, dass die Ergebnisse von reagiblen Kollektivverhandlungen in ihr Zielsystem
passen. So wären Arbeitgeber bereit, höhere Lohnabschlüsse zu akzeptieren, wenn von
staatlicher Seite Reduktionen von Steuern oder Sozialbeiträgen angeboten werden (Blyth
1979: 67).
Auch mit ihrer Informationspolitik stellt die Regierung sicher, dass reagible
Kollektivverhandlungen nicht Ergebnisse produzieren, welche konfliktär zu den eigenen
Zielen stehen. Dies wird erreicht, indem den Gewerkschaften und Arbeitgebern die
Informationen zur Verfügung gestellt werden, welche auch Basis politischer Entscheidungen
sind (Blyth 1979: 71). Solche Informationen sind ökonomische Vorhersagen und
Szenarien.
2.1.3.
Verfahren und Strukturen eines Responsive Bargaining
Dieser und der folgende Abschnitt enthalten den eigentlichen Ansatz Blyths
Kapitalismusforschung - die Verfahren und Strukturen von reagiblen
Kollektivverhandlungen, welche als vorteilhaft angesehen werden und welche institutionelle
Ausgestaltung empfehlenswert ist. Blyth (1979) erkennt drei Dimensionen des Responsive
Bargaining, welche in den betrachteten OECD-Staaten unterschiedlich ausgeprägt sind:
Zentralisierung von Strukturen und Verhandlungsebenen, Lohnrunden und "Bockspringen"
sowie den Staat als Arbeitgeber. Responsive Bargaining funktioniert jedoch nur richtig,
wenn die Vorbedingung der Verhandlungsfreiheit gegeben ist - "collective bargaining must
be
free
if it is to function properly" (Blyth 1979: 73).
10
Die Zentralisierung von Strukturen bezieht sich auf das Ausmass an nationaler und
zentraler Formierung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und die damit
verbundene konzentrierte Verhandlungsmacht (Blyth 1979: 75). Blyth (1979) differenziert
fünf mögliche Verhandlungsebenen, eine nationale Ebene, Verhandlungen auf regionaler
Ebene und auf Branchenebene, sowie die Bestimmung des Lohnes auf Betriebsebene und
am konkreten Arbeitsplatz. Die Unterscheidung nach den Ebenen unterstellt eine
vorherrschende Verhandlungsebene, so dass beispielsweise zentrale Lohnabschlüsse immer
Folgeverhandlungen auf tieferen Stufen nach sich ziehen (Blyth 1979: 76). Für die
Regierungen sind nationale Ansprechpartner auf beiden Verhandlungsseiten am
vorteilhaftesten, sofern sie entsprechend kompetent sind und von allen ihren Mitgliedern
getragen werden (Blyth 1979: 76).
Die Lohnbestimmung über Kollektivverhandlungen kann eine Ursache von Inflation sein,
auch Lohnspirale ('Wage-wage-spiral') genannt. Dabei steigen die gesamten Löhne
schneller als die Produktivität und bei dadurch hervorgerufenen Preissteigerungen ist jede
Interessenvertretung der Arbeitnehmer schlechter gestellt, welche weniger als die
allgemeine Lohnsteigerung fordert oder durchzusetzen vermag, da sie zumindest relative
Rückgänge des Reallohns in Kauf nehmen muss (Fellner 1961: 53-54 zitiert bei Blyth
1979: 78). Blyth (1979) zieht eine klare Trennung zwischen der geltenden
Lohnzuwachsrate und dem Prozess des "Bockspringen" ('Leapfrogging'). Eine
vorherrschende Lohnzuwachsrate, ohne vorhergehende Abstimmung der Lohnabschlüsse,
kann durch 'Pattern Bargaining' entstehen, dass heisst, es existieren Leitverträge, auf welche
sich folgende Lohnverhandlungen beziehen und deren vereinbarten Zuwächse
übernehmen (Tarantelli 1986: 101). Durch eine vorherrschende Lohnzuwachsrate muss
die Lohnspirale mit inflationärem Druck jedoch nicht automatisch ausgelöst werden (Blyth
1979: 79). Gefährlich im Sinne einer Lohnspirale ist der Prozess des "Bockspringen".
Dabei fordern Gewerkschaften in regelmässig wiederkehrenden Lohnverhandlungen
Zuwächse des Lohns als auch die Beibehaltung von Differenzen zu anderen
Gewerkschaften und deren Lohnabschlüssen. So kommt es zur Bildung der Lohnspirale
und zunehmender Inflation. Förderlich für eine solche Entwicklung sind dezentrale
Strukturen und Verhandlungen auf tiefer Ebene, wobei sich die Lohnrunde über einen
langen Zeitraum erstreckt und Branche nach Branche abschliesst (Blyth 1979: 79). Gegen
11
das "Bockspringen" helfen fixe Intervalle zwischen den Lohnrunden und kurze Perioden des
Inkrafttretens am Ende einer Lohnrunde (Blyth 1979: 79).
In allen von Blyth (1979) analysierten OECD-Staaten ist der öffentliche Sektor der grösste
Arbeitgeber im Land. Jeder Lohnabschluss in diesem Sektor beeinflusst die Budgetsituation
des Staates und es existiert ein Trade-off zwischen einer Disflationspolitik mit niedrigen
Lohnzuwächsen und hohen Steigerungen verbunden mit der Wahrnehmung des Staates als
"guten" jedoch inflationsstützenden Arbeitgeber (Blyth 1979: 80). Das Ziel sollte also
lauten, faire und wettbewerbsfähige Löhne zu zahlen und damit Streiks in öffentlichen
Betrieben und Behörden zu vermeiden (Blyth 1979: 80). Bei allzu zerstreuten
Lohnverhandlungen im öffentlichen Sektor ist anzunehmen, dass dies den Prozess des
"Bockspringen" unterstützt und ein Übergreifen auf den privaten Sektor nicht
ausgeschlossen werden kann (Blyth 1979: 81). Die Konsequenzen sind wieder
zunehmende allgemeine Preissteigerungen. In der Praxis sind häufiger
Schlichtungsverfahren anzutreffen, da den staatlichen Unterhändlern nicht mehr als der
vom Finanzministerium budgetierte Spielraum zur Verfügung steht (Blyth 1979: 81-82). So
lässt sich sicherstellen, dass die Lohnabschlüsse im öffentlichen Sektor in das Zielsystem
der Regierung passen und reagible Kollektivverhandlungen stattfinden können.
2.1.4.
Empfehlungen für die institutionelle Ausgestaltung
Im vorhergehenden Abschnitt wurde schon klar, welche Verfahren und Strukturen für
reagible Kollektivverhandlungen vorteilhaft sind. Zusammengefasst sind es die zentralen
Strukturen der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung mit angemessener Erfahrung im
Verhandeln auf nationaler Ebene, die konzentrierten Lohnrunden und die konsistente
Lohnpolitik im öffentlichen Sektor (Blyth 1979: 82).
Blyth (1979) erkennt in einer sehr engen Kooperation zwischen Gewerkschaften,
Arbeitgebern und der Regierung den einzig gangbaren Weg zu Prosperität und Stabilität
einer Volkswirtschaft. Die Ergebnisse von reagiblen Kollektivverhandlungen sind dann
immer Kompromisse, welche drei konfliktäre Interessen vereinen: die allokative Effizienz
von Verhandlungen direkt am Arbeitsplatz als Interesse des Arbeitgebers, die
Koordinierung von Lohnabschlüssen mit anderen politischen Zielen als Interesse der
Regierung und die Bezahlung eines gerechten Lohns im Interesse der Gewerkschaft (Blyth
1979: 87). Kollektivverhandlungen sind also in summa nicht nur reagibel hinsichtlich der
12
Interessen und Bedürfnisse von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, sondern auch im
Sinne der Regierung. Diese besitzt die Aufgabe, das nationale Interesse und
Interessengruppen wie die Arbeitslosen und die Pensionäre am Verhandlungstisch zu
repräsentieren (Blyth 1979: 87).
2.2. Bruno und Sachs - Corporatism
2.2.1.
Grundlagen des Ansatzes
Michael Bruno und Jeffrey D. Sachs (1985) beschreiben anhand ihres Ansatzes der
internationalen Kapitalismusforschung die simultane Erfahrung von gesamtwirtschaftlicher
Stagnation, Arbeitslosigkeit und Inflation in OECD-Ländern im Verlauf der 70er Jahre des
vorherigen Jahrhunderts. Diese Entwicklung begann mit dem Angebotsschock der ersten
Ölpreiskrise im Jahre 1973 (Bruno/Sachs 1985: 217).
Im Vergleich der OECD-Länder untereinander stellen die Autoren fest, dass einerseits die
Erfahrung von Arbeitslosigkeit und Inflation durch den Ölpreisschock breit gestreut ist, und
dass andererseits ein kurzfristiger Trade-off zwischen den beiden makroökonomischen
Grössen besteht, vergleicht man die Arbeitslosigkeit und Inflation in den Perioden 1965-
73 und 1973-79 (Bruno/Sachs 1985). Die Stärke dieses Trade-offs unterscheidet sich in
den einzelnen OECD-Staaten, wobei die verschiedenen Arbeitsmarktstrukturen einen
wesentlichen Einfluss ausüben - "the more favorable trade-off relates strongly to key labor
market variables" (Bruno/Sachs 1985: 217).
2.2.2.
Strukturunterschiede in den Arbeitsmärkten
Bruno und Sachs (1985) setzen die makroökonomische Performanz und die strukturellen
Unterschiede in den Arbeitsmärkten von OECD-Staaten in Beziehung und stellen fest, dass
die Fähigkeit zur Reallohnzurückhaltung die Ursache für bessere Ergebnisse hinsichtlich
Arbeitslosigkeit und Inflation darstellt. Im Vordergrund steht dabei die Situation eines
Angebotsschocks und wie durch das Verhalten des Reallohns der Stagflationsprozess, also
das gleichzeitige Auftreten von Stagnation und Inflation, beeinflusst wird (Bruno/Sachs
1985: 221-222). In Ländern, in welchen nach der ersten Ölkrise moderate
Reallohnsteigerungen erreicht werden konnten, blieben Arbeitslosigkeit und Inflation auf
13
relativ niedrigem Niveau (Bruno/Sachs 1985: 222). Dort, wo moderate Lohnabschlüsse
nur nach langwierigen politischen und wirtschaftlichen Konflikten durchsetzbar waren, stieg
die Arbeitslosigkeit und Inflation im Vergleich zur ersten Ländergruppe (Bruno/Sachs 1985:
222). Nach Bruno und Sachs (1985) sind sechs institutionelle Strukturen einer
Reallohnzurückhaltung förderlich, so zentralisierte Lohnverhandlungen, bei denen die
grosse Masse der Mitglieder von Gewerkschaften und Arbeitgebern nicht über die
Ratifizierung der ausgehandelten Verträge abstimmt. Weiters dienen den moderaten
Lohnabschlüssen Strukturen, wie die hohe Koordinierung auf Arbeitgeberseite, durch z.B.
nationale Arbeitgeberverbände, wie eine geringe Präsenz der Gewerkschaften direkt in den
Betrieben, wie auch ein geringes Ausmass an Lohnindexierung, wobei eine vollständige
Indexierung an das Preisniveau die Reallöhne konstant bleiben lässt und exogen gegeben
(Bean/Layard/Nickell 1987: 25). Zwei letzte vorteilhafte Strukturen sind unregelmässige
Kollektivverhandlungen und, sofern dezentrale Verhandlungen stattfinden, asynchrone
Verhandlungen in den einzelnen Branchen oder Regionen.
Die aufgeführten institutionellen Strukturen lassen sich nach Bruno und Sachs (1985) in
zwei Dimensionen einordnen, zum einen die Ebene, wo verhandelt wird, zum anderen die
Fähigkeit des Faktors Arbeit, sich über die Nominallöhne an veränderte
Marktbedingungen anzupassen. Die erste Dimension wird unter Punkt 2.2.3. beschrieben
und als Korporatismus bezeichnet, einem häufig genutzten Begriff in politologischen
Länderanalysen, der die Ebene und das Ausmass an Zentralisierung der Verhandlungen
umfasst (Bruno/Sachs 1985: 222). Der Abschnitt 2.2.4. hat die zweite Dimension, die
Reagibilität des Nominallohns, zum Thema, also die Anpassungsmechanismen Indexierung
und die Art der Neuverhandlung von Verträgen (Bruno/Sachs 1985: 222).
2.2.3.
Korporatismus
Die Autoren definieren Korporatismus "as a mode of social organization in which
functional groups rather than discrete individuals wield power and transact affairs"
(Bruno/Sachs 1985: 222). Im Kontext von Arbeitsmärkten heisst es konkreter:
"institutionalized negotiation, bargaining, collaboration, and accord about wages and
'income policies' (and perhaps additional economic issues) between representatives of the
major economic groupings in the society (most typically labor confederations and
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employers' associations) and often including, in addition, representatives of the
government" (Cameron 1982: 5 zitiert bei Bruno/Sachs 1985: 222).
Nach der zuletzt zitierten Definition lassen sich strukturelle Charakteristika ableiten, die das
genaue Ausmass an Korporatismus in einem Land beschreiben. Dazu gehören das
Ausmass an Lohnverhandlungen auf nationaler anstatt betrieblicher Ebene, die Macht der
nationalen Arbeitnehmervertretungen gegenüber den Mitgliedern, die Organisationsebene
auf der Arbeitgeberseite und die Macht der Gewerkschaftsvertreter in den Betrieben, wobei
mehr Macht in diesem Bereich weniger Korporatismus bedeutet (Bruno/Sachs 1985: 222-
223). Das Schlüsselkriterium zur Unterscheidung zwischen korporatistischen und nicht-
korporatistischen Ländern ist die Abstimmung über Vereinbarungen aus
Kollektivverhandlungen (Bruno/Sachs 1985: 223). In Staaten mit Verhandlungen auf
nationaler oder Branchenebene, demnach in korporatistischen Ländern, sind
Abstimmungen der Gewerkschaftsmitglieder über die Ergebnisse der Arbeitgeber-
Arbeitnehmer-Verhandlungen selten, in nicht-korporatistischen Systemen sind diese
Abstimmungen auf der betrieblichen Ebene häufiger (Bruno/Sachs 1985: 223).
Unter Zuhilfenahme der Charakteristika eines korporatistischen Systems adaptierten die
Autoren einen Korporatismus-Index, welcher jedoch im Abschnitt 3.2.2. näher erläutert
wird. Bruno und Sachs (1985) stellen fest, dass der Grad an Korporatismus mit dem
Anstieg vom Misery-Index, verstanden als Anstieg der Inflation und Rückgang des
Wachstums des realen Bruttosozialprodukts in der Periode 1973-79, stark negativ
korreliert. Korporatistische Volkswirtschaften erreichen demnach niedrigere
Inflationszuwächse bei gleichem realwirtschaftlichem Wachstumsrückgang (Bruno/Sachs
1985: 227-228). Ebenso lässt sich eine positive Korrelation zwischen dem Grad an
Korporatismus und der Reallohnzurückhaltung feststellen, einem der
Inflationsbeherrschung zugrundeliegender Zusammenhang (Bruno/Sachs 1985: 229). Für
einen gegebenen Rückgang des Wirtschaftswachstums kann erwartet werden, dass eine
bessere Performanz hinsichtlich der Inflation mit einer geringeren Lohnlücke ('Wage Gap')
zusammenhängt, denn "this is one of the major channels through which corporatism
affects the inflation performance" (Bruno/Sachs 1985: 229). Das Konzept der Lohnlücke
wird als Lücke zwischen Reallöhnen und Produktivität verstanden, als Überschreitung des
Reallohnniveaus über dem Grenzprodukt der Arbeit bei Vollbeschäftigung des Faktors
(Bruno/Sachs 1985: 178).
15
Ein wesentlicher Mechanismus, welcher den Grad an Korporatismus und die Lohnlücke
verbindet, ist das höhere Mass an Konsens, das in korporatistischen Ländern vorgefunden
werden kann (Bruno/Sachs 1985: 230). Das bedeutet, in jenen Staaten wird weniger
gestreikt, und durch die Lohnzurückhaltung, dadurch eine geringe Lohnlücke, erkaufen
sich die Gewerkschaften eine gewichtigere Rolle im wirtschaftspolitischen Prozess
(Cameron 1982: 5-9 zitiert bei Bruno/Sachs 1985: 231).
In nicht-korporatistischen Ländern mit dezentralen Verhandlungssystemen verhindert die
Rivalität zwischen einzelnen Gewerkschaften die Lohnzurückhaltung, da sich eine lokale
Gewerkschaft für Zuwächse des Reallohns ihrer Mitglieder einsetzen muss, um
Konkurrenzgewerkschaften kein Angriffspotential zu bieten (Bruno/Sachs 1985: 232).
2.2.4.
Reagibilität des Nominallohns
Die Reagibilität des Nominallohns bezieht sich auf das Timing der
Nominallohnsteigerungen, der zeitlichen Abfolge der Lohnveränderungen und der Laufzeit
der Vereinbarungen sowie auf die Indexierung von Löhnen. Das Timing im
gewerkschaftlich organisierten Sektor ist von enormer Wichtigkeit, da ein starker Einfluss
auf sowohl den nicht-organisierten Sektor als auch auf die Lohnbildung im öffentlichen
Sektor besteht (Bruno/Sachs 1985: 232). Einzelne OECD-Staaten können unterschieden
werden, inwieweit die Lohnverhandlungen in den Betrieben oder Branchen synchron
ablaufen, wie lang die abgeschlossenen Verträge ihre Gültigkeit behalten und ob sich die
einzelnen Verträge zeitlich überlappen.
Bruno und Sachs (1985) fassen diese Faktoren in einem Index der Nominallohnreagibilität
zusammen, der wiederum später, im Abschnitt 3.2.3., erläutert werden soll. Der Grad an
Reagibilität des Nominallohns wirkte zweifach auf die makroökonomische Performanz
nach den Angebotsschocks in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts (Bruno/Sachs
1985: 240). Erstens, Länder mit niedriger Nominallohnreagibilität, das heisst mit keiner
oder geringer Indexierung und langer Laufzeit der Verträge nach asynchronen
Verhandlungen, konnten durch Lohnstarrheit und somit Lohnzurückhaltung besser den
kräftigen Druck auf die Gewinne ('Profit Squeeze') vermeiden (Bruno/Sachs 1985: 237ff).
Und zweitens war es diesen Ländern besser möglich, eine expansive Nachfragepolitik zur
Verringerung der Arbeitslosigkeit zu nutzen (Bruno/Sachs 1985: 240).
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Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Nominallohnreagibilität sagen, es sei das
"amalgam of institutional bargaining" (Bruno/Sachs 1985: 241), das bestimmt, wie sich
plötzliche und unerwartete Preisänderungen auf die Nominallöhne niederschlagen.
2.3. Calmfors und Driffill - Hump-shape Curve
2.3.1.
Grundlagen des Ansatzes
Lars Calmfors und John Driffill analysieren mit ihrem Ansatz der internationalen
Kapitalismusforschung die Wirkungen unterschiedlicher Zentralisierung der
Lohnverhandlungen auf den aggregierten Reallohn. Verschiedene Modelle befassen sich
mit der Mikrofundierung dieses Themas, so beispielsweise die Effizienzlohnhypothese und
Modelle des Gewerkschaftsmonopols (Calmfors 1993: 6).
Gemäss der Effizienzlohnhypothese erfolgt die Bestimmung des Lohns einseitig durch die
Arbeitgeber, welche die Nachteile eines höheren Lohns durch diverse Vorteile, wie eine
verringerte Fluktuation in der Arbeitnehmerschaft, verbesserte Arbeitsmoral und weniger
Drückebergerei ('Shirking') substituieren (Calmfors 1993: 6). Dadurch werden Löhne
bezahlt, welche sich über dem markträumenden Niveau befinden, und so den
Arbeitgebern helfen, Arbeitnehmer zu halten und neue zu rekrutieren
(Layard/Nickel/Jackman 1991: 24). Gleichzeitig ist es möglich, durch die durch höhere
Löhne induzierte Arbeitslosigkeit höhere Gewinne zu erwirtschaften, da
gewinnschmälernde Kündigungen und Vakanzen reduziert werden
(Layard/Nickel/Jackman 1991: 24).
Durch ein gewerkschaftliches Monopol wird erklärt, dass bei der einseitigen Durchsetzung
höherer Löhne zwischen dem Nutzen einer Reallohnsteigerung und dem damit assoziierten
Beschäftigungsrückgang abgewogen wird (Calmfors 1993: 6). Durch die
Verhandlungsmacht der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten ('Insider') werden
Löhne über dem markträumendem Niveau durchgesetzt, welche Arbeitslose hervorbringen,
die jedoch auf die Lohnverhandlungen direkt keinen Einfluss ausüben ('Outsider')
(Layard/Nickel/Jackman 1991: 25ff).
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Modelle mit dem höchsten Realitätsanspruch sind explizite Verhandlungsmodelle
('Bargaining Models'), "in which unions and employers negotiate about how the revenues
from production are to be shared" (Calmfors 1993: 6). Dabei steht immer im Vordergrund,
wie zwischen dem Nutzen höherer Löhne für die Arbeitnehmer und dem Nutzen höherer
Gewinne für den Arbeitgeber substituiert werden soll (Calmfors 1993: 6). Die
Zentralisierung der Lohnbestimmung wird nach Calmfors (1993) als Mass der Kooperation
zwischen Gewerkschaft untereinander und zwischen Arbeitgebern untereinander
verstanden. Generell wird davon ausgegangen, dass das Mass an Kooperation auf jeder
Seite gleich ist und so Symmetrie herrscht (Calmfors 1993: 6).
Ein Anreiz zur Reallohnzurückhaltung entsteht dann, wenn Reallohnsteigerungen für eine
Gruppe von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern negative Externalitäten für eine andere
Gruppe derselben erzeugen und durch kooperatives Verhalten internalisiert werden
können (Calmfors 1993: 6). Calmfors (1993) führt sieben Arten negativer
Lohnexternalitäten auf, die bei unkooperativem Verhalten und somit dezentralen
Verhandlungen in Erscheinung treten. Die Konsumentenpreis-Externalität erklärt, wie
höhere Löhne einen Beitrag zum Ansteigen des allgemeinen Preisniveaus leisten - "one
man's wage increase is mainly another man's price increase" (Layard/Nickel/Jackman
1991: 132 zitiert bei Calmfors 1993: 6) und für zentrale Verhandlungen analog: "one
man's wage increase is the same man's price increase" (Layard/Nickel/Jackman 1991:
132). Die Inputpreis-Externalität erscheint, wenn Lohnerhöhungen Preissteigerungen von
Produkten erzeugen, welche von anderen Unternehmen als Inputs genutzt werden und so
die Produktion und Beschäftigung in diesen Unternehmen verringern (Calmfors 1993: 6-
7). Die Fiskal-Externalität kann zweifach wirken, denn einmal verursachen höhere Löhne in
einem Sektor der Volkswirtschaft steigende Arbeitslosenzahlen, wodurch der Staat mehr
Arbeitslosenunterstützung zahlen muss, die wiederum durch erhöhte Steuern oder
verringerte Staatsausgaben finanziert werden muss (Calmfors 1993: 7). Zum zweiten rufen
steigende Löhne eine sinkende Produktion hervor, wodurch sich die aggregierte
Steuerbemessungsgrundlage verringert und die Steuersätze steigen (Calmfors 1993: 7).
Die Externalität der Arbeitslosigkeit wird erzeugt, indem steigende Reallöhne in einem
Sektor die Arbeitslosigkeit erhöhen und so die Stellensuche für Entlassene erschweren
(Calmfors 1993: 7). Die Investitions-Externalität beschreibt, dass durch die Fluktuation der
Arbeitnehmerschaft Einige der gegenwärtig Beschäftigten ein Unternehmen verlassen,
18
bevor sie die durch aktuelle Investitionen in den Kapitalstock folgenden Lohnsteigerungen
nutzen können (Calmfors 1993: 7). Dadurch wird der Anreiz bei dezentral verhandelnden
Gewerkschaften geschwächt, Reallohnzurückhaltung auszuüben, um solche Investitionen
zu fördern (Calmfors 1993: 7). Eine durch Neid hervorgerufene Externalität bezieht sich
auf ein in der mikroökonomischen Theorie vernachlässigtes Phänomen, welches besagt,
dass die Wohlfahrt eines Arbeitnehmers negativ von den Löhnen der Anderen abhängt
(Calmfors 1993: 7). So besitzen Lohnerhöhungen Neid-Externalitäten, welche die
Wohlfahrt Anderer mindern (Calmfors 1993: 7). Die letzte Externalität steht mit
Effizienzlöhnen im Zusammenhang, wobei der Arbeitseifer eines Arbeitnehmers von seinem
relativen Lohn abhängt und so jede Lohnerhöhung von Arbeitgeberseite, aus den zu
Beginn dieses Abschnittes beschriebenen Interessen, den Einsatz von Arbeitnehmern an
anderer Stelle vermindert (Calmfors 1993: 7).
Die beschriebenen Externalitäten bilden die Grundlage für die Beschreibung, warum
zentrale Lohnverhandlungssysteme einen geringeren aggregierten Reallohn hervorrufen
und damit, nach Unterstellung einer fallenden Arbeitsnachfragekurve, mehr Beschäftigung
erzeugen (Calmfors 1993: 8).
2.3.2.
Hump-shape Kurve
Der Calmfors-Driffill-Ansatz besagt, ganz allgemein, dass zentrale und eben auch
dezentrale Lohnverhandlungssysteme Reallohnzurückhaltung und damit mehr
Beschäftigung hervorbringen (Calmfors 1993: 8). Die Gründe für den Fall zentraler
Verhandlungen liegen in der Internalisierung der im vorhergehenden Abschnitt
beschriebenen Lohnexternalitäten. Für dezentrale Systeme erzwingen Marktkräfte den
Abschluss moderater Lohnerhöhungen (Calmfors 1993: 8). Den höchsten aggregierten
Reallohn verbunden mit der geringsten Beschäftigung erzielen Zwischenformen, so
Lohnverhandlungen auf Branchenebene. Dabei sind sowohl die Internalisierungseffekte wie
auch die Marktkräfte zu schwach, um die Löhne in Schranken zu halten (Calmfors 1993:
8). Graphisch ausgedrückt ergibt sich dann eine Beziehung zwischen Verhandlungsebene
und Reallohn, die einer Buckelkurve ('Hump-shape Curve') wie in Abbildung 1 entspricht.
19
Betrieb Branche Zentral
Verhandlungsebene
Reallohn
Abbildung 1: Hump-shape Kurve. Quelle: Calmfors 1993: 9
Die Gründe, warum die Hump-shape Kurve diese Form aufweist, lassen sich detailliert in
einem Verhandlungsmodell klären. Dabei zielen die Gewerkschaften auf einen steigenden
realen Konsumlohn, d.h. ein mit dem Konsumentenpreisindex deflationierter Nominallohn,
sowie auf die Beschäftigung, und die Arbeitgeber auf den realen Wert der Profite, d.h. mit
dem Konsumentenpreisindex deflationierte nominelle Gewinne (Calmfors 1993: 8). Bei
Lohnerhöhungen in einer Branche, demnach eine Form zwischen dezentralen und
zentralen Abschlüssen, werden die Löhne simultan in allen Unternehmen der Branche
erhöht. Dabei entstehen auf beiden Verhandlungsseiten Anreize, die gestiegenen Löhne
über Preiserhöhungen an die Konsumenten zu transferieren (Calmfors 1993: 8). Der reale
Produktlohn, ein mit dem Produzentenpreis deflationierter Nominallohn, wird jedoch durch
die steigenden Preise zurückgehalten, und dient generell als Bestimmungsgrundlage für die
Beschäftigung (Calmfors 1993: 8). Der Beschäftigungsverlust durch die gestiegenen realen
Konsumlöhne wird so reduziert und schwächt den Anreiz der Gewerkschaften, moderate
Lohnerhöhungen anzustreben. In gleichem Masse haben auch die Arbeitgeber einen
solchen geringeren Anreiz, da die höheren Preise die Gewinnschmälerung durch den
gestiegenen realen Konsumlohn reduzieren (Calmfors 1993: 8).
In den beiden Extrema der Hump-shape Kurve, dezentrale Lohnabschlüsse auf
Betriebsebene und zentrale Abschlüsse auf nationaler Ebene, kann ein tieferer Reallohn
erreicht werden. Dabei gelten die Annahmen vollständiger Konkurrenz, einer
geschlossenen Volkswirtschaft und der alleinigen Existenz der Konsumentenpreis-
Externalität aus Abschnitt 2.3.1. (Calmfors 1993: 10). Für den Fall der Dezentralität kann
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ein Unternehmen den relativen Preis nicht erhöhen, wenn der reale Konsumlohn in nur
diesem Unternehmen steigt (Calmfors 1993: 10). Daher findet kein Ausgleich des
Beschäftigungsverlustes durch den höheren realen Konsumlohn statt und die Gewinne
geben nach (Calmfors 1993: 10). Dieses Ergebnis wird auch im Fall der zentralen
Abschlüsse erreicht, da die realen Konsumlöhne nun über alle Sektoren hinweg steigen
und die relativen Preise konstant bleiben (Calmfors 1993: 10). Analog zu dezentralen
Systemen ergeben sich gleiche Beschäftigungs- und Gewinneffekte und der Reallohn liegt
unter dem Niveau der Zwischenformen (Calmfors 1993: 10).
2.3.3.
Alternative Verläufe der Hump-shape Kurve
Es ergeben sich alternative Verläufe der Hump-shape Kurve, wenn man die Annahmen aus
dem vorherigen Abschnitt variiert und Fälle wie monopolistische Konkurrenz, offene
Volkswirtschaft und perfekte Substitution der inländischen und ausländischen Güter
betrachtet.
Im Gegensatz zur vorher angenommenen Marktform der vollständigen Konkurrenz ist es
den Unternehmen im Falle monopolistischer Konkurrenz möglich, auf Lohnsteigerungen
mit relativen Preiserhöhungen zu reagieren (Calmfors 1993: 10). Daher wird bei
Verhandlungen auf Betriebsebene der Anreiz für Lohnzurückhaltung geschwächt und der
resultierende Reallohn ist höher als bei vollständiger Konkurrenz (Calmfors 1993: 10). Die
Kurve hat den in Abbildung 2 dargestellten Verlauf und weiterhin den höchsten Reallohn
bei Verhandlungen auf Branchenebene.
Betrieb Branche Zentral
Verhandlungsebene
Reallohn
Abbildung 2: Hump-shape Kurve bei monopolistischer Konkurrenz. Quelle: Eigene Darstellung
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Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Jahr
- 2001
- ISBN (eBook)
- 9783832448226
- ISBN (Paperback)
- 9783838648224
- DOI
- 10.3239/9783832448226
- Dateigröße
- 799 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Wirtschaftsuniversität Wien – Volkswirtschaft
- Erscheinungsdatum
- 2001 (Dezember)
- Note
- 2,0
- Schlagworte
- varieties capitalism strukturunterschiede korporatismus handlungsempfehlungen ländervergleich arbeitsmarkt performanz