Investorenverhalten und Rationalität
Ein empirischer Überblick
Zusammenfassung
In der modernen Kapitalmarkttheorie wird von effizienten Märkten und rational handelnden Investoren ausgegangen. Die efficient market hypothesis (EMH) definiert einen effizienten Markt als einen, in dem Preise stets die verfügbare Information beinhalten. Von Investoren wird angenommen, daß sie rational sind und Wertpapiere rational bewerten. Selbst wenn einige Marktteilnehmer sich nicht rational verhalten sollten, sind ihre Trades zufällig und gleichen einander aus, ohne die Preise zu beeinflussen, weil ihre Handelsstrategien unkorreliert sind. Gibt es irrationale Investoren, existieren Arbitrageure am Markt, die den Einfluß auf die Preise eliminieren. Darüber hinaus impliziert Rationalität auch die Unmöglichkeit, Überrenditen zu erzielen.
In der Zwischenzeit gibt es zahlreiche Untersuchungen, die belegen, daß sich Investoren nicht rational verhalten und die EMH scheitert. Für Erklärungen dieses Investorenverhaltens werden verhaltenswissenschaftlich fundierte Ansätze wie die Behavioral Finance herangezogen. Dieser Ansatz stellt die Rationalitätsannahme, die den Anlageentscheidungen zugrunde gelegt wird, in Frage. Dem seinen Nutzen maximierenden Individuum, das alle Alternativen korrekt in Betracht zieht, wird ein menschlicher Entscheider entgegengesetzt, dessen tatsächliches Verhalten zu beschreiben ist. Voraussetzung ist, daß nur solche Phänomene des Entscheidens in Betracht gezogen werden, die zum Einen systematisch anfallen und sich zum Anderen nicht im Kollektiv aufheben oder durch Marktkräfte verschwinden.
Gang der Untersuchung:
Im Folgenden werden Phänomene des Investorenverhaltens aufgezeigt, die diesen Kriterien entsprechen. Hierbei fokussiere ich mich auf den Dispositionseffekt und Overconfidence. Zunächst werden Erklärungsansätze dargestellt, um anschließend auf entsprechende empirische Untersuchungen, die belegen, daß sich Investoren systematisch nicht rational verhalten, einzugehen und kritisch zu diskutieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf privaten Investoren und den dazugehörigien Untersuchungen von [Barber & Odean].
In einem Ausblick stelle ich das Verhalten privater Investoren dem institutuioneller Anleger gegenüber.
Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
InhaltsverzeichnisI
AbkürzungsverzeichnisIII
1.Einleitung1
2.Erklärungsansätze für Ergebnisse der empirischen Evidenz
2.1Erklärungsansätze für den Dispositionseffekt
2.1.1Prospect Theory2
2.1.2Mental […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
In der modernen Kapitalmarkttheorie wird von effizienten Märkten und rational handelnden Investoren ausgegangen. Die „efficient market hypothesis“ (EMH) definiert einen effizienten Markt als einen, in dem Preise stets die verfügbare Information beinhalten. Von Investoren wird angenommen, daß sie rational sind und Wertpapiere rational bewerten.[1] Selbst wenn einige Marktteilnehmer sich nicht rational verhalten sollten, sind ihre Trades zufällig und gleichen einander aus, ohne die Preise zu beeinflussen, weil ihre Handelsstrategien unkorreliert sind. Gibt es irrationale Investoren, existieren Arbitrageure am Markt, die den Einfluß auf die Preise eliminieren. Darüber hinaus impliziert Rationalität auch die Unmöglichkeit, Überrenditen zu erzielen.[2]
In der Zwischenzeit gibt es zahlreiche Untersuchungen, die belegen, daß sich Investoren nicht rational verhalten und die EMH scheitert. Für Erklärungen dieses Investorenverhaltens werden verhaltenswissenschaftlich fundierte Ansätze wie die „Behavioral Finance“ herangezogen. Dieser Ansatz stellt die Rationalitätsannahme, die den Anlageentscheidungen zugrunde gelegt wird, in Frage. Dem seinen Nutzen maximierenden Individuum, das alle Alternativen korrekt in Betracht zieht, wird ein „menschlicher“ Entscheider entgegengesetzt, dessen tatsächliches Verhalten zu beschreiben ist. Voraussetzung ist, daß nur solche Phänomene des Entscheidens in Betracht gezogen werden, die zum Einen systematisch anfallen und sich zum Anderen nicht im Kollektiv aufheben oder durch Marktkräfte verschwinden.[3]
Im Folgenden werden Phänomene des Investorenverhaltens aufgezeigt, die diesen Kriterien entsprechen. Hierbei fokussiere ich mich auf den Dispositionseffekt und Overconfidence. Zunächst werden Erklärungsansätze dargestellt, um anschließend auf entsprechende empirische Untersuchungen, die belegen, daß sich Investoren systematisch nicht rational verhalten, einzugehen und kritisch zu diskutieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf privaten Investoren und den dazugehörigien Untersuchungen von [Barber & Odean].
In einem Ausblick stelle ich das Verhalten privater Investoren dem institutuioneller Anleger gegenüber.
2. Erklärungsansätze für die empirische Evidenz
2.1 Erklärungsansätze für den Dispositionseffekt
2.1.1 Prospect Theory
In ihrer richtungsweisenden Arbeit zur Prospect Theory entwickelten [Kahneman & Tversky] eine deskriptive Theorie, wie Menschen angesichts von Risiken und Unsicherheit Entscheidungen treffen. Wesentlichste Charakteristika der Prospect Theory sind die Referenzpunktabhängigkeit und der Verlauf der Wertefunktion.
In der Erwartungsnutzentheorie werden riskante Alternativen über ihre Endvermögensniveaus bewertet. In der Prospect Theory dagegen nicht, denn hier werden Ergebnisse, also Gewinne und Verluste, relativ auf einen Referenzpunkt bezogen.
Laut Prospect Theory verwenden Entscheider eine S-förmige Wertefunktion, die im Gewinnbereich konkav und im Verlustbereich konvex ist.[4] [5] Ergebnisse genau in Höhe des Referenzpunktes werden als neutral empfunden. Ergebnisse oberhalb als relative Gewinne, unterhalb als relative Verluste.[6]
Die Krümmung der Wertefunktion bringt zum Ausdruck, daß sich der Entscheider im Gewinnbereich risikoavers und im Verlustbereich risikofreudig verhält. Bietet man beispielsweise einem Entscheider an, an einer Lotterie teilzunehmen bei der er einen bestimmten Geldbetrag mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 0,5 gewinnen oder verlieren kann, wird seine Reaktion davon abhängen, in welchem Bereich der Wertefunktion er sich befindet. Ist er im Verlustbereich, so wird er an der Lotterie teilnehmen. Er ist in diesem Fall risikofreudig. Befindet er sich im Gewinnbereich, wird er nicht teilnehmen. Dieses Verhalten bezeichnet man als Risikoscheu. Ein wesentlicher Punkt, der in [Kahneman & Tverskys] Prospect Theory dargestellt wird, ist also Verlustaversion. Der Unterschiedlichkeit der Risikoeinstellung kommt bezüglich der Erklärung des Dispositionseffektes eine zentrale Bedeutung zu.
Referenzpunkt im Finanzmarktkontext kann z.B. der historische Kaufkurs einer Aktie sein. Ausgehend hiervon führen Kursbewegungen dazu, daß man sich im Gewinn-oder Verlustbereich aufhält und sich entsprechend der Prospect Theory verhält.[7]
2.1.2 Mental Accounting
Während die Prospect Theory das Widerstreben aufzeigt, einen Verlust zu realisieren, kann sie nicht die Abneigung erklären, sich in einem „tax swap“ zu engagieren. Ein „tax swap“ ist eine Transaktion, bei der eine Position in einer Aktie mit Kursverlusten aufgelöst und durch eine andere mit identischer Auszahlungsstruktur bzw. ähnlichen Renditeaussichten ersetzt wird. Kann man den realisierten Verlust steuermindernd geltend machen, so hat man bei unveränderten Chancen einen zusätzlichen Vorteil in Höhe der Steuerersparnis. Die Alternative, eine Aktie mit Verlust zu behalten, wird also stochastisch dominiert. Entgegen der Vorteilhaftigkeit eines solchen Vorgehens wird diese Möglichkeit von einer Reihe von Anlegern nicht wahrgenommen.[8]
Eine Erklärung dieses Verhaltens basiert auf dem auf [Thaler] zurückgehenden Konzept des „mental accounting“. Laut Thaler betrachten Investoren häufig nicht ihr gesamtes Portfolio, sondern führen für einzelne Investments gedanklich getrennte Konten. Diese Konten werden dabei unabhängig voneinander gesehen.[9]
[Thaler & Johnson] haben festgestellt, daß Entscheider große Schwierigkeiten damit haben, ein mentales Konto mit einem Verlust abzuschließen.[10] So hat der oben beschriebene „tax swap“ eindeutig Vorteile aus der Sicht des Gesamtportfolios, hat aber auch nicht zu unterschätzende Wirkungen auf der Ebene der Einzelinvestments, denn hier müßte das mentale Konto des zu ersetzenden Wertpapiers unwiederbringlich mit einem Verlust geschlossen werden. Wie schon erwähnt gibt es vielfältige Evidenz dafür, daß Anleger einen solchen Schritt nur mit sehr großem Widerwillen vollziehen.[11]
2.1.3 Selbstkontrolle, Regret-Aversion und Pride Effekt
Ein psychologisches Bedürfnis von Menschen ist es, Kontrolle auszuüben. Die Konzeption des Kontrollmotives geht davon aus, daß jeder Mensch ein Bedürfnis hat, sich als Verursacher von Änderungen seiner Umwelt wahrzunehmen. Dadurch entsteht ein Gefühl von Kompetenz und eigener Wertigkeit, daß das Selbstwertgefühl eines Menschen positiv beeinflußt.[12]
Typisch für Finanzmärkte ist die Kontrolle, bei der man Ursachen, Einflüsse und Faktoren einer bestimmten Situation zu erkennen versucht, um sich auf künftige, ähnliche Geschehnisse besser einstellen zu können. Die wenigsten Anleger sind sich allerdings im Klaren darüber, wie wenig sich zum Beispiel das Kursgeschehen vorhersagen läßt. Vorhersagen vermitteln das Gefühl, den Markt kontrollieren zu können. Je logischer diese aufgebaut sind, umso eher hält man es für wahrscheinlich, daß sie auch eintreffen werden.
Kontrollillusion tritt ein, wenn Menschen glauben, Herr einer bestimmten Situation zu sein, obwohl dies in der Realität nicht der Fall ist. Kontrollillusion bezogen auf die Vorhersehbarkeit von Ereignissen wird auch als Overconfidence bezeichnet, die im nächsten Abschnitt behandelt wird.[13]
[Thaler & Shefrin] betrachten Selbstkontrolle als ein intrapersonelles Problem, bei dem sich ein rationaler Part, der Prinzipal und ein emotionaler Part, der sogenannte Agent, gegenüberstehen. Sie argumentieren, daß der Prinzipal nicht stark genug sei, um emotionale Reaktionen zu verhindern.
Darüber hinaus behaupten [Thaler & Shefrin], daß Investoren ihre im Verlust befindlichen Aktien (Verlierer) behalten, um das Gefühl der Reue auszuschließen und im Gewinn befindliche Aktien (Gewinner) früh verkaufen, weil sie so auch früher das Gefühl der Genugtuung haben, in der Vergangenheit die richtige Wahl getroffen zu haben. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Regret-Aversion. Sie kennzeichnet das Bestreben, möglichst keine Fehlentscheidung zu treffen, weil man weder bereuen, noch enttäuscht sein will. Auch die Folgen eines Fehlverhaltens werden negativer empfunden, als ein Schaden, der durch Nichtstun entstehen könnte. Dies führt dazu, daß Menschen, wenn sie mit Entscheidungssitutationen unter Unsicherheit konfrontiert werden, eher zur Passivität neigen. Daher wird ein Marktteilnehmer in der Verlustzone zögern, seinen Verlust zu realisieren, da er Gefahr läuft, ausgerechnet zum ungünstigsten Moment auszusteigen.
Investoren können sich sehr wohl im Klaren darüber sein, daß das Halten von Verliereraktien nicht rational ist. Ihr Problem ist allerdings, daß sie nicht über genügend Selbstkontrolle verfügen, um Verluste durch den Abschluß eines „Kontos“ zu limitieren.
Auf der anderen Seite bewirkt der „Pride-Effekt“, also der Stolz und die Genugtuung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, daß Gewinne zu früh realisiert werden. Gewinne, die man sich selbst zuschreiben kann, werden höher bewertet, als Gewinne, die man nicht selbst verursacht hat.[14]
2.2 Overconfidence Bias und seine Erklärungsansätze
Der Overconfidence Bias ist die Verzerrung durch zu große Selbstsicherheit, indem übermäßiges Vertrauen in die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu einer systematisch verzerrten Wahrnehmung führt und in der Praxis dazu beiträgt, daß z.B. Prognoseintervalle zu eng ausgelegt werden.
Bei Untersuchungen zum Overconfidence Bias wird deshalb oft nach einem bestimmten Wert gefragt, wie beispielsweise der Einschätzung eines bestimmten Kurs-intervalles zum Jahresende. Die Befragten gehen häufig von zu engen Intervallen aus, sind sich also ihrer Einschätzung viel zu sicher, als dies objektiv gerechtfertigt wäre. So führten [Weber & Laschke] eine Anlegerbefragung anläßlich der IAM’98 durch, bei der Privatanleger zur Einschätzung der Kursentwicklung von sechs DAX-Werten befragt wurden. Hierzu gaben sie Kursintervalle an, aus denen sich ein Streuungsmaß berechnen läßt, das die erwartete Abweichung zum prognostizierten Kurs darstellt. [Weber & Laschke] verglichen dieses subjektive Streuungsmaß mit Werten, die aus historischen Kursreihen gewonnen wurden. Die befragten Privatanleger gingen hierbei von einer zu geringen Streuung des Kurses aus. Der Overconfidence Bias kann ihrer Ansicht nach auf motivationale und zahlreiche kognitive Ursachen zurückgeführt werden.[15]
2.2.1 Motivationale Ursachen
Entscheider schreiben ihre Erfolge eher ihren eigenen Fähigkeiten zu, als anderen Einflüssen. Mißerfolge hingegen werden extern begründet, da dies der Aufrechterhaltung des Selbstbewußtseins dient. Hinzu kommt, daß Entscheider oft ihre Einflußmöglichkeiten auf das Ergebnis einer Entscheidung überschätzen. Sie unterliegen dann einer Kontrollillusion. Haben sie ein paar mal hintereinander Erfolg gehabt, schätzen Entscheider ihre Kenntnisse und Fähigkeiten weitaus höher ein, als dies tatsächlich der Fall ist. Besonders ausgeprägt ist diese Situation, wenn nur ein ungenaues Feedback darüber kommt, ob der Erfolg einer Entscheidung nun von den eigenen Fähigkeiten oder von externen Einflüssen abhing. Der Overconfidence Bias wird in solchen Situationen am häufigsten beobachtet.[16]
Eine weitere Fehlattribution ist, daß Investoren die Qualität ihrer ursprünglichen Einschätzung überbewerten, wenn eine Nachricht über ein Unternehmen veröffentlicht wird, die ihre eigene Recherche bzw. Bewertung bestätigt. Im Gegensatz dazu werden neue Informationen ignoriert oder zumindest stark untergewichtet, wenn sie der ursprünglichen Einschätzung widersprechen. Dies dient ebenfalls zur Selbstbestätigung.[17]
2.2.2 Kognitive Ursachen
Der Overconfidence Bias läßt sich auch auf Fehler in der Informationswahrnehmung und –verarbeitung zurückführen. So übergewichten Entscheider z.B. den Informationsgehalt besonders herausragender Nachrichten und fokussieren sich zu stark auf die Stärke oder Bestimmtheit einer Aussage und berücksichtigen die Verläßlichkeit der Quelle zu wenig. Darüber hinaus verwendet der Entscheider verschiedene Heuristiken zur Informationsverarbeitung, die aber nicht immer optimal sind.[18]
2.2.2.1 Heuristiken als Mechanismen der Informationsverarbeitung
Menschen besitzen eine begrenzte Kapazität um Informationen zu verarbeiten. Sie verwenden deshalb zur Bewältigung dieser hohen Komplexität vereinfachende Heuristiken. Man bezeichnet Heuristiken als Mechanismen der Informationsverarbeitung, die mit geringem Aufwand zu einem schnellen Ergebnis kommen. Normalerweise sind diese Heuristiken ziemlich nützlich , führen aber machmal zu schweren, systematischen Fehlern.[19] Im folgenden werden drei wichtige Heuristiken mit ihren Auswirkungen vorgestellt.
2.2.2.1.1 Verfügbarkeitsheuristik
Nicht alle Informationen sind für Anleger gleich gut verfügbar. Schon aus Gründen der Effizienz wird auf leichter verfügbare Informationen zurückgegriffen.
[Kahneman & Tversky] untersuchten empirisch, wie sich diese kognitive Verfügbarkeit auf Einschätzungen von Wahrscheinlichkeiten und Häufigkeiten auswirkt. Sie zeigten, daß Entscheider Wahrscheinlichkeiten und Häufigkeiten umso höher ansetzen, je verfügbarer sie sind.[20]
[DeBondt & Thaler] konnten dies bei einer Untersuchung zur Informationsverarbeitung an Aktienmärkten nachweisen. Hier wurden deutliche Überreaktionen auf auffällige, aktuelle Informationen, wie z.B. überaschende Neuigkeiten, festgestellt. Dabei stellten sie die Hypothese auf, daß sich aufgrund dieser falschen Gewichtung nach einer gewissen Zeit gegenläufige Reaktionen einstellen.[21]
2.2.2.1.2 Verankerungsheuristik ( Anchoring )
In vielen Situationen neigen Menschen dazu, Schätzungen ausgehend von einem bestimmten Ursprungswert vorzunehmen. Mit der Zeit und zunehmendem Eingang von Informationen wird dieser Wert immer mehr dem wahren Wert angepasst (Adjustment). Die Anpassungen sind jedoch ungenügend, der Anpassungsprozess ist zu schwach ausgeprägt und der Ursprungswert erhält ein zu großes Gewicht.[22]
Auf Finanzmärkten ist die Verankerungsheuristik häufig anzutreffen, da sie bei jeder Schätzung auftritt, z. B. was das Kursziel einer Aktie betrifft.
Da man sich hierbei zu sehr auf den Ursprungswert bezieht, kann Anchoring dazu führen, daß man auf neue Informationen unterreagiert.[23]
2.2.2.1.3 Repräsentativitätsheuristik
Menschen bewerten die Wahrscheinlichkeit einer unsicheren Zukunft anhand des Ähnlichkeitsgrades bisher beobachteter Begebenheiten.[24]
Je größer die Ähnlichkeit einer oder mehrerer Ausprägungen für die typischen Merkmale einer Klasse, Gruppe oder Gesamtsituation ist, um so eher wird angenommen, daß es sich beim zu betrachtenden Fall um etwas sehr Typisches handelt. Die Frage ist also, inwiefern der zu betrachtende Fall repräsentativ für die Grundgesamtheit ist. Eine Repräsentativitätsheuristik versucht nun den Grad der geschätzten Übereinstimmung festzulegen. [Kahneman & Tversky] behaupten, daß intuitiv bei Zufallsstichproben Regelmäßigkeiten ausgeschlossen werden, weil man sie als nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit erachtet und von einer ausgewogenen Verteilung ausgeht.[25]
Die Repräsentativitätsheuristik wirkt sich in drei verschiedenen Varianten aus. Die erste ist die Tendenz, Wahrscheinlichkeiten von repräsentativen Ereignissen zu überschätzen. Bei der zweiten und dritten Variante handelt es sich um die häufig auftretende Neigung, empirische und kausale Zusammenhänge zu überschätzen oder sogar dort welche zu sehen, wo gar keine bestehen. Repräsentativität kann also zu einer Überreaktion auf neue Informationen führen.[26]
2.2.2.2 Kognitive Dissonanz
Fast alle Menschen geraten nach einer Entscheidung zwischen zwei oder mehreren Alternativen in einen Zwiespalt, weil die Alternative, für die man sich entschieden hat, auch negative Eigenschaften und die verworfene Alternative auch positive Eigenschaften aufweist. Diese Eigenschaften stehen im Widerspruch zur Meinung des Entscheiders, der seiner Ansicht nach die beste Wahl getroffen hat. Dieser Widerspruch wird als kognitive Dissonanz bezeichnet. Die Hauptaussage der Theorie der kognitiven Dissonanz lautet, daß jeder Mensch versucht, Unstimmigkeiten, die er als unangenehm empfindet, möglichst schnell zu beseitigen. Für das Auftreten von Dissonanz ist eine bestimmte Selbstverpflichtung, ein gewisses Commitment, notwendig. Dies ist der Fall, wenn man emotional an einer getroffenen Entscheidung hängt.[27] Die Höhe des Commitments und damit der Dissonanz hängt von den Faktoren Entscheidungsfreiheit, irreversible Kosten, Verantwortung und Normabweichung ab. Beispielhaft seien Entscheidungsfreiheit und Normabweichung betrachtet.
Dissonanz kann nur entstehen, wenn man Entscheidungen aus mindestens zwei Alternativen freiwillig trifft. Dies ist am Kapitalmarkt der Fall. Kleine, unbekannte Aktien, die im Portfolio gehalten werden, stellen beispielsweise eine Normabweichung gegenüber einer normalen „Strategie“, Standardwerte im Portfolio zu halten, dar. Entsprechend hoch ist das Commitment. Aus diesem Grund bevorzugen viele Anleger, Standardwerte in ihrem Portfolio zu halten. Verluste bei Nebenwerten würden stärker bewertet werden, als bei Standardwerten.[28] Um Dissonanz zu vermeiden oder aufzulösen werden Dinge selektiv wahr genommen, das heißt, daß nur registriert wird, was konsistent mit der eigenen Entscheidung ist.[29]
3. Evidenz
3.1 Der Dispositionseffekt
Der Dispositionseffekt ist die Tendenz, im Gewinneraktien zu früh zu verkaufen und Verlierer zu lange zu halten.[30]
3.1.1 Experimentelle Evidenz
3.1.1.1 Methodik & Ergebnisse
Ein überzeugender Test mit Daten aus realen Märkten ist normalerweise schwierig, weil die Erwartungen der Investoren nicht kontrolliert werden können und nicht leicht beobachtbar sind. Häufig besteht ein gewisses Restrisiko darüber, ob man
Determinanten der gefundenen Effekte vernachlässigt hat. Die Methode des Experimentes hat hier Vorteile, da sie eine weitgehende Kontrolle der Entscheidungsumgebung erlaubt und mögliche Störeinflüsse so ausgeschaltet werden können.[31]
[Weber & Camerer][32] führten deshalb eine experimentelle Studie durch. Hierbei mußten die Experimentteilnehmer Portfolioentscheidungen treffen, bei denen sie entweder in sechs unterschiedliche Aktien investieren oder Liquidität halten konnten.
Sie zeigten in ihrem Experiment wie „Reflection Effects“ (Unterschiede in der Risikoeinstellung für Gewinne und Verluste) kombiniert mit der Beziehung auf einen Referenzpunkt einen Dispositionseffekt erzeugen können. Dazu stellten sie vier Hypothesen auf:
1) Investoren verkaufen mehr Aktien, wenn der Verkaufspreis über dem Kaufpreis liegt, als umgekehrt.
2 ) Investoren verkaufen mehr Aktien, wenn der Verkaufspreis über dem Preis der letzten Periode liegt, als wenn der umgekehrte Fall gegeben ist.
3) Dispositionseffekte sind bei automatischem Verkauf der Aktien geringer als bei selbständigem Verkauf.
4) Das Handelsvolumen ist positiv mit der Höhe der Kursänderung korreliert.
[...]
[1] Vgl. Fama, Eugene. 1970, S. 383-417
[2] Vgl. Shleifer, Andrei, 2000, S.1-20
[3] Vgl.Weber, Martin & Behavioral Finance Group, 1999, S. 8 f
[4] (v``(x)<0, x>0; v``(x)>0, x<0)
[5] siehe Anhang: Abbildung 1
[6] Vgl. Kahneman, Daniel & Tversky, Amos 1979, S. 263-291
[7] Vossmann, F. & Weber,Martin 1999, S.10-11
[8] ebenda, S.11-12
[9] Vgl. Thaler, Richard H., 1985, S. 199-214
[10] Vgl. Thaler, Richard H. & Johnson, Erik J., 1990, S. 643-660
[11] Vgl. Thaler, Richard H., 1985, S. 199-214 und
Shefrin, Hersh & Statman, Meir, 1985, S. 779-780
[12] Vgl. Goldberg, Joachim & von Nitszch, Rüdiger, 2000, S. 140-141
[13] ebenda, S. 141-148
[14] Thaler, Richard & Shefrin, Hersh, 1981, S. 392-410 und
Shefrin, Hersh & Statman, Meir 1985, S.781-782
[15] Vgl. Laschke, A. & Weber, Martin, 1999, S. 6-13
[16] ebenda, S. 8-13
[17] ebenda
[18] ebenda
[19] Vgl. Goldberg, Joachim & von Nitzsch, Rüdiger, 2000, S.47
[20] Vgl. Kahneman, Daniel & Tversky, Amos, 1973, S. 237-251
[21] Vgl. DeBondt, Werner & Thaler, Richard 1985, S. 793-804
[22] Vgl. Kahneman, Daniel, & Slovic, Paul & Tversky, Amos, 1982 S. 14-18
[23] Vgl. Goldberg, Joachim & von Nitzsch, Rüdiger, 2000, S. 70
[24] Vgl. Fuller, Russel J., 2000, S.13
[25] Vgl. Kahneman, Daniel & Tversky, Amos, 1972, S. 430-454
[26] Vgl. Maas,Peter & Weibler, Jürgen, 1990, S. 82-85
[27] Vgl. Brehm, J.W. & Cohen, A.R., 1962: zitiert durch Goldberg, Joachim & von Nitzsch, Rüdiger, 2000, S. 120
[28] Vgl. Frey, D. & Gaska, A. 1993, S. 49-80
[29] Vgl. Goldberg, Joachim & von Nitzsch, Rüdiger 2000, S. 126
[30] Vgl. Shefrin, Hersh & Statman, Meir 1985, S. 778
[31] Vgl. Vossmann, F. & Weber, Martin, 1999, S. 6
[32] Vgl. Weber, Martin & Camerer, Colin F., 1998, S. 167-184
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2001
- ISBN (eBook)
- 9783832448165
- ISBN (Paperback)
- 9783838648163
- DOI
- 10.3239/9783832448165
- Dateigröße
- 992 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Wirtschaftswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre
- Erscheinungsdatum
- 2001 (Dezember)
- Note
- 2,3
- Schlagworte
- behavioral finance dispositionseffekt overconfidence investorenverhalten rationaltiät
- Produktsicherheit
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