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Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis "The Buddha of Suburbia"

©2001 Magisterarbeit 111 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Hanif Kureishi, zeitgenössischer „Postcolonial Storyteller”, ist Autor von Theaterstücken, Drehbüchern, Romanen, Kurzgeschichten und Essays. The Buddha of Suburbia, der 1990 erschienene erste Roman des Autors, ist typisch für Kureishis Werk in seiner Darstellung individueller Identitätsprozesse, wie sie sich unter den spezifischen Lebensbedingungen im London postmoderner und postkolonialer Zeit vollziehen. In diesem Sinne setzt sich die vorliegende Arbeit aus einer sowohl postmodernen wie auch postkolonialen Perspektive exemplarisch mit den Problemen und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in The Buddha of Suburbia auseinander. Der Analyse liegt die Annahme einer prozeßhaften, hybriden, rollenbestimmten Identität zugrunde, die vom Individuum nicht autonom, sondern unter Beeinflussung durch das soziale Umfeld ausgebildet wird. Eine grundlegende Aussage der vorliegenden Arbeit ist, daß Kureishi sich nicht darauf beschränkt, Identitätsprozesse von Immigranten und deren Nachkommen darzustellen, denen im allgemeinen Identitätsprobleme zwischen den Kulturen der alten und der neuen Heimat zugeschrieben werden. Im untersuchten Roman wird aufgezeigt, daß die Ausbildung und Entwicklung von Identität für alle Menschen mit Problemen verbunden sein kann, genauso aber Möglichkeiten eröffnet.
Der erste Teil dieser Arbeit dient der Erläuterung einiger theoretischer Hintergründe zum Identitätsbegriff. Die hier skizzierten Konzepte entstammen insbesondere dem Bereich der Sozialwissenschaften und fungieren als Instrumente zur literaturwissenschaftlichen Analyse des Romans. Es folgt ein kurzer Abriß über The Buddha of Suburbia. In einem zweiten Teil wird der Roman unter dem Gesichtspunkt der Identität als autobiographischer Bildungsroman postkolonialer und postmoderner Prägung charakterisiert. Ein dritter Teil schließlich beschäftigt sich mit Faktoren und Strategien der Identitätsbildung in Kureishis Roman. Hier wird die Funktion intertextueller Bezüge im Hinblick auf die Identitätsprozesse der Figuren untersucht, um anschließend besonderes Augenmerk auf die Parallelisierung von fiktionalem und sozialem Rollenspiel zu richten. In diesem Zusammenhang wird der Kreisprozeß von Authentizitätsglauben, Stereotypiserung, Erwartungshaltung und Rollenspiel dargestellt, der die Figuren im Prozeß ihrer Identitätsbildung wesentlich beeinflußt. Hier wird einerseits herausgearbeitet, wie Kureishis Figuren aufgrund bestimmter Merkmale in Rollen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 4656
König, Katrin: Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis "The
Buddha of Suburbia" / Katrin König - Hamburg: Diplomica GmbH, 2001
Zugl.: Mannheim, Universität, Magister, 2001
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Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
I
Inhalt
Inhalt
Inhalt
Inhalt
Einleitung
Einleitung
Einleitung
Einleitung
1
1
1
1
1
Der theoretische Rahmen
3
1.1 Entwurf eines Identitätsbegriffs
4
1.1.1 Drei Kontexte des Identitätsbegriffs
4
1.1.2 Identitätsprozeß und Identitätsdynamik
5
1.1.3 Identität als dialektischer Kreisprozeß
8
1.1.4 Selbstkonzept
9
1.2 Identitätsfindung und ­stiftung in der Gesellschaft
10
1.2.1 Der vormoderne Gesellschaftstypus
11
1.2.2 Der (post)moderne Gesellschaftstypus
13
1.3 Das Individuum in der pluralistischen Gesellschaft
15
1.3.1 Pluralistische Lebenswelt(en)
15
1.3.2 Soziale Rollen und Stereotypisierung
17
1.3.3 Individualität, Authentizität, Hybridität
19
1.4. Hanif Kureishi und The Buddha of Suburbia
22
2
The Buddha of Suburbia:
Autobiographischer Bildungsroman
postkolonialer bzw. postmoderner
Prägung
26
2.1 The Buddha of Suburbia
als autobiographischer Bildungsroman
26
2.1.1 The Buddha of Suburbia als fiktionale Autobiographie 26
2.1.2 The Buddha of Suburbia als Bildungsroman
39
2.1.3 Identität im autobiographischen Bildungsroman
The Buddha of Suburbia
30
2.2 Identität im postkolonialen Bildungsroman
The Buddha of Suburbia
34
2.2.1 Akkulturation, Assimilation, Hybridität
35
2.2.2 Orientalismus und Other
38
2.2.3 Stereotypisierung 42
2.2.4 Schauspiel und Mimicry
44

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
II
3
Faktoren, Elemente und
Strategien der Identitätsbildung
in The Buddha of Suburbia
48
3.1 Intertextualität und Identität
in The Buddha of Suburbia
48
3.1.1 Eklektizismus und Hybridtität
48
3.1.2 Selbst- und Fremdbilder
51
3.1.3 Gruppenzugehörigkeit und Individualität
54
3.1.4 Textuelle Schablonen und rollenbestimmte Identität
57
3.1.5 Versuche der Sinnstiftung durch Referenzen
59
3.2 Theater, Rollen und Identität
64
3.2.1 Bühnenrolle vs. soziale Rolle
65
3.2.2 Der Einfluß von Zuschauer und Publikum
67
3.3 Rollenerwartungen durch Interaktion mit dem Other
72
3.3.1 Faszination
72
3.3.2 Xenophobie
76
3.3.3 Assimilierung
77
3.4 Rolle vs. Authentizität:
Elemente des Rollenspiels und Strategien
der Identitätsbildung in The Buddha of Suburbia
79
3.4.1 Maske/Hautfarbe
80
3.4.2 (Bühnen)Sprache
83
3.4.3 Kostüm/Kleidung
87
3.4.4 Dekonstruktion des Authentizitätsideals
91
Abschließende Bemerkungen
97
Bibliographie
100
Erklärung
105

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
1
Einleitung
,,Identitäten sind außerordentlich schwierige,
spannungs-geladene, widersprüchliche und
unbeständige Wesensheiten. Nur derjenige, der
behauptet, eine einfache, bestimmte und klar
umrissene Identität zu haben, hat ein
Identitätsproblem."
Sami Ma'ari, arabischer Dichter
1
Hanif Kureishi, zeitgenössischer ,,Postcolonial Storyteller",
2
ist Autor von
Theaterstücken, Drehbüchern, Romanen, Kurzgeschichten und Essays. The
Buddha of Suburbia,
3
der 1990 erschienene erste Roman des Autors, ist typisch
für Kureishis Werk in seiner Darstellung individueller Identitätsprozesse, wie
sie sich unter den spezifischen Lebensbedingungen im London postmoderner
und postkolonialer Zeit vollziehen. In diesem Sinne setzt sich die vorliegende
Arbeit aus einer sowohl postmodernen wie auch postkolonialen Perspektive
exemplarisch mit den Problemen und Möglichkeiten von
Identitätskonstruktionen in The Buddha of Suburbia auseinander. Der Analyse
liegt die Annahme einer prozeßhaften, hybriden, rollenbestimmten Identität
zugrunde, die vom Individuum nicht autonom, sondern unter Beeinflussung
durch das soziale Umfeld ausgebildet wird. Eine grundlegende Aussage der
vorliegenden Arbeit ist, daß Kureishi sich nicht darauf beschränkt,
Identitätsprozesse von Immigranten und deren Nachkommen darzustellen,
denen im allgemeinen Identitätsprobleme zwischen den Kulturen der alten und
der neuen Heimat zugeschrieben werden. Im untersuchten Roman wird
aufgezeigt, daß die Ausbildung und Entwicklung von Identität für alle
Menschen mit Problemen verbunden sein kann, genauso aber Möglichkeiten
eröffnet.
1
Kenneth J. Gergen, Das übersättigte Selbst: Identitätsprobleme im heutigen Leben
(Heidelberg, 1996), S. 254.
2
Kenneth
Kaleta,
Hanif Kureishi: Postcolonial Storyteller (Austin, 1998).
3
Hanif
Kureishi,
The Buddha of Suburbia (London, 1990). Im folgenden wird Kureishis
Roman als Buddha zitiert.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
2
Der erste Teil dieser Arbeit dient der Erläuterung einiger theoretischer
Hintergründe zum Identitätsbegriff. Die hier skizzierten Konzepte entstammen
insbesondere dem Bereich der Sozialwissenschaften und fungieren als
Instrumente zur literaturwissenschaftlichen Analyse des Romans. Es folgt ein
kurzer Abriß über The Buddha of Suburbia. In einem zweiten Teil wird der
Roman unter dem Gesichtspunkt der Identität als autobiographischer
Bildungsroman postkolonialer und postmoderner Prägung charakterisiert. Ein
dritter Teil schließlich beschäftigt sich mit Faktoren und Strategien der
Identitätsbildung in Kureishis Roman. Hier wird die Funktion intertextueller
Bezüge im Hinblick auf die Identitätsprozesse der Figuren untersucht, um
anschließend besonderes Augenmerk auf die Parallelisierung von fiktionalem
und sozialem Rollenspiel zu richten. In diesem Zusammenhang wird der
Kreisprozeß von Authentizitätsglauben, Stereotypiserung, Erwartungshaltung
und Rollenspiel dargestellt, der die Figuren im Prozeß ihrer Identitätsbildung
wesentlich beeinflußt. Hier wird einerseits herausgearbeitet, wie Kureishis
Figuren aufgrund bestimmter Merkmale in Rollen gedrängt werden und wie sie
andererseits diese Merkmale als Elemente des Rollenspiels nutzen können, um
das Klischeedenken der Umwelt zum eigenen Vorteil auszunutzen. Die Arbeit
schließt mit der Erläuterung der These, daß Kureishis Roman das Ideal einer
,,authentischen" Identität zugunsten einer rollenbestimmten, hybriden und
veränderbaren Identitätsform als unzulänglich entlarvt.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
3
1
Der theoretische Rahmen
Bei der Planung einer Arbeit zum Themenkomplex ,,Identität" trifft man in der
wissenschaftlichen Literatur auf eine Fülle von Begriffsbestimmungen
verschiedenster Ausrichtung. Am Ende der Suche nach einer bündigen
Definition des Identitätsbegriffs steht die Erkenntnis, daß es eine solche nicht
gibt, oder zumindest keine, die allgemein akzeptierte wäre.
4
Diese
Definitionsvielfalt mag als symptomatisch gelten für den über die Jahrhunderte
erfolgten Wandel des Verständnisses menschlicher Identität: Wurde sie in den
archaischen Gemeinschaften überwiegend durch vorgegebene Umstände
bestimmt, so begreift man Identität in den industrialisierten Gesellschaften
heutiger Zeit als vom Einzelnen beeinflußbare, ja sogar immer wieder zu
definierende Größe. Denn wo die postmoderne Theorie von unserer
pluralistischen Lebenswelt spricht
5
und eine in ,,funktional ausdifferenzierte
Teilbereiche untergliederte"
6
Gesellschaft diagnostiziert, in welcher das
individuelle Handeln von zahlreichen sozialen Rollen bestimmt werde,
7
scheint
es nur folgerichtig, daß parallel zur Verabschiedung von Identität als
einheitlicher, stabiler Größe die Identitätsforschung ein Labyrinth von
Theorieansätzen geschaffen hat: Objekt und Subjekt der Identitätsforschung
beißen sich förmlich in den Schwanz. Eine Hauptursache für die uneinheitliche
Belegung des Begriffs ist, daß Identität Untersuchungsgegenstand
verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen wie Psychologie, Soziologie,
Sozialpsychologie, Philosophie, Geschichte ist und das Phänomen auch
innerhalb einer Fachrichtung auf unterschiedliche Weise angegangen und
definiert wird.
8
4
Vgl. Hans-Peter Frey und Karl Haußer, ,,Entwicklungslinien sozialwissenschaftlicher
Identitätsforschung," in: Dies. (Hg.), Identität: Entwicklungen psychologischer und
soziologischer Forschung (Stuttgart, 1987), S. 3.
5
Vgl. Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, 5. Aufl. (Berlin, 1997), S. 202.
6
Stefan
Glomb,
Erinnerung und Identität im britischen Gegenwartsdrama (Tübingen, 1997),
S. 9.
7
Vgl. Erving Goffman, Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag (München
1983), S. 18.
8
Vgl. Peter Lohauß, Moderne Identität und Gesellschaft: Theorien und Konzepte (Opladen,
1995), S. 27.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
4
1.1 Entwurf eines Identitätsbegriffs
1.1.1
Drei Kontexte des Identitätsbegriffs
Frey/Haußer geben einen Überblick über das Begriffsdickicht,
9
indem sie
verschiedene Identitätskonzepte drei wesentlichen Kontexten zuordnen.
Kriterien für diese Zuordnung sind
a wer als Subjekt bzw. Objekt der Identifizierung in Erscheinung tritt
und
b die Unterscheidung zwischen Außen- und Innenperspektive.
Hierbei bezeichnet Außenperspektive eine Fremdidentifizierung, bei der
Subjekt und Objekt der Identifizierung getrennt sind, während
Innenperspektive die Selbstidentifizierung meint, bei der Subjekt und Objekt
sich in einer Person vereinigen.
10
Die sich ergebenden Kontexte liefern ein
geeignetes Instrumentarium zur Analyse der Identitätsprozesse in Buddha.
Ein erster Bedeutungskontext des Begriffs Identität bezieht sich auf den Fall
,,sozialer, öffentlicher, `situierter' Identität, die dem Individuum in einem
sozialen System zugeschrieben wird."
11
Die soziale Identität kombiniert
Kennzeichen und Rollenerwartungen, anhand derer das soziale Umfeld den
Einzelnen identifizieren und zuordnen kann. Identität verkörpert damit einen
,,von außen zugeschriebener Merkmalskomplex".
12
In diesem Kontext werden
die Identitätsmerkmale eines Menschen aus der Außenperspektive definiert.
13
Eine Person stellt das Objekt der Identifizierung dar, während andere
Menschen als identifizierende Subjekte auftreten. Auf diesem
Begriffsverständnis fußen u.a. Betrachtungen zu Fremdbild, Status- und
Rollenzuschreibung oder Typisierung.
14
In einem zweiten Bedeutungskontext wird der Begriff Identität zur
Bezeichnung sozialer Systeme verwendet. Hier sind nicht einzelne Personen
Objekt der Identifizierung, sondern Gruppen, Organisationen, Schichten,
9
Frey/Haußer beziehen sich in ihrer Übersicht in erster Linie auf die sozialwissenschaftliche
Identitätsforschung.
10
Frey/Haußer, S. 6.
11
ebd., S. 3.
12
ebd.
13
Vgl.
ebd., S. 4.
14
Vgl.
ebd., S. 3.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
5
Klassen oder Kulturen. Als identifizierende Subjekte kennzeichnen Personen
ein soziales System, indem sie ihm spezifische Eigenschaften zuschreiben.
Hierbei können die Subjekte sowohl Angehörige des Systems sein (,,Wir
Engländer/Einwander-er/Muslime sind...") als auch Außenstehende (,,Die
Weißen/Angehörigen der working class/Schauspieler... sind..."). Dieser
Identitätsbegriff beschränkt sich ebenfalls auf die Außenperspektive, da ein
soziales System auch für eines seiner Mitglieder ,,nicht identisch mit ihm selbst
[ist]. Das Mitglied ist höchstenfalls ein Teil davon."
15
In diesen
Zusammenhang fallen Termini wie Gruppenidentität und kulturelle, ethnische
oder nationale Identität genauso wie Autostereotyp, Heterostereotyp, Image
und Klassenbewußtsein.
16
Der dritte Kontext des Identitätsbegriffs bezieht sich auf den Umstand, daß
,,eine Person sich selbst definiert",
17
also in einem selbstreflexiven Prozeß
zugleich als Subjekt und Objekt der Identifizierung ihrer selbst auftritt.
Voraussetzung für dieses Verständnis von Identität ist die Fähigkeit des
Menschen, ,,sich selbst zum Gegenstand der eigenen Wahrnehmung zu machen
und als Ich zu identifizieren."
18
In diesem Zusammenhang kommt der
Innenperspektive tragende Bedeutung zu. ,,Identität als Selbst-Erfahrung"
19
wird von der durch die Außenperspektive definierten öffentlichen bzw.
sozialen Identität unterschieden.
20
Sie wird in diesem Kontext
als selbstreflexiver Prozeß eines Individuums verstanden. Eine Person stellt
Identität über sich her, indem sie ihr Wissen, ihre Erfahrungen über sich selbst
verarbeitet (...) eine Person [identifiziert] sich selbst, ihr ,,Selbst" bzw. Aspekte
davon aus der Innenperspektive.
21
Dieses Verständnis von Identität steht hinter Begriffen wie
persönliche/individuelle/subjektive Identität.
22
1.1.2
Identitätsprozeß und Identitätsdynamik
Die spezifisch menschliche Fähigkeit zur Selbstreflexion setzt eine Zweiteilung
des Bewußtseins in Subjekt und Objekt voraus: Das reflektierende Subjekt
15
ebd., S. 4.
16
ebd.
17
ebd.
18
Gildemeister/Robert in Lohauß, S. 29.
19
Vgl. Frey/Haußer, S. 7: Der Begriff Selbst/Self wird von Frey/Haußer definiert als "das
Objekt meiner Reflexion über mich, (...) meine empirische Selbst-Erfahrung".
20
Vgl.
ebd., S. 17.
21
ebd., S. 4.
22
Vgl.
ebd.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
6
vollzieht den Bewußtseinsprozeß, während das Objekt der Reflexion
Gegenstand desselben ist. Diese Idee einer ,,zweipoligen, reflexiven
Konstellation"
23
des menschlichen Selbst-Bewußtseins ist in der
wissenschaftlichen Diskussion mit unterschiedlichen Termini belegt worden.
So sprach Immanuel Kant (anschließend an Descartes und Leibnitz) vom
,,zweifachen Ich", welches als ,,Ich als Subjekt" und ,,Ich als Objekt" in jedem
Gedankengang enthalten sei.
24
William James griff diese Unterscheidung auf
und trennte das ,,empirische Selbst oder `Me' als dem Objekt, das erkannt
wird" vom ,,'reinen Ich' oder `I' als dem Subjekt, das erkennt." Damit legte er
im Jahre 1890 den Grundstein für die angelsächsische Selbst- bzw.
Identitätstheorie.
25
In der Terminologie G.H. Meads schließlich wird der
Subjektpol als ,,I" vom ,,Me" als empirischem Ich getrennt, und dieses Konzept
einer zweigeteilten Struktur des menschlichen Selbst-Bewußtseins wird in der
Identitätsforschung bis dato weitgehend beibehalten.
26
Der Ausgangspunkt persönlicher Identität wird von sogenannten natürlichen
Faktoren gebildet, wie sie beispielsweise Geschlecht, Nationalität, ethnischer
Hintergrund oder die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht darstellen.
27
Doch wie die bisherigen Ausführungen implizieren, ist persönliche Identität
kein Geburtsmal, welches uns von der ersten Minute unseres Lebens an
unabänderlich zeichnet: Sie ist ,,keine Eigenschaft im Sinne eines dauerhaften
Besitzes"; Identität als selbstreflexiver Prozeß bedeutet vielmehr einen
wandelbaren Zustand, ,,der nicht einfach da ist, sondern von der Person in
bewußter Selbstreflexion hergestellt, ja erarbeitet werden muß."
28
Hierbei ist
der Identitätsprozeß des Einzelnen nie abgeschlossen, da die Aussagen, die er
oder sie über sich trifft, niemals vollständig oder endgültig sein können.
29
Die
vom Individuum vollzogenen Prozesse einer Herstellung und Darstellung
persönlicher Identität werden auch als Identitätsdynamik bezeichnet. Sie
vollzieht sich als Vermittlungsprozeß zwischen Innen- und Außenperspektive:
,,Herstellen und Darstellen von Identität heißt nichts anderes, als zwischen
23
Glomb, S. 10.
24
ebd.
25
Vgl. Lohauß, S. 27.
26
Vgl. Frey/Haußer, S. 6.
27
Vgl. Lohauß, S. 43.
28
Frey/Haußer, S. 11.
29
ebd.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
7
Außen und Innen, aber auch zwischen Innen und Außen Relationen
aufzubauen."
30
Diesen Prozeß selbstreflexiver Identitätsbildung vollzieht das Individuum
keineswegs autonom, abgekapselt von der sozialen Umwelt. ,,Identität als
Selbst-Erfahrung ist auf die von der Außenwelt vorgenommenen Verortungen
angewiesen",
31
denn um zu einer Aussage über sich selbst zu gelangen, greift
eine Person auch auf Informationen aus ihrer Umwelt zurück.
32
Sie verwendet
Techniken empirischer Erkenntnis, indem sie introspektiv ihre gespeicherten
Erfahrungen abfragt, Beobachtungen der Außenwelt hinzunimmt und vergleicht
und so letztlich zu Aussagen über sich selbst kommt.
33
Außen- und Innenperspektive spielen hier ineinander: Das Verhalten des
Gegenübers wird vom Einzelnen als Reaktion auf die eigene Persönlichkeit aus
der Außenperspektive begriffen, welche die soziale Umwelt ihm gegenüber
einnimmt. Diese Reaktionen der Außenwelt werden in einem aktiven Prozeß
selbstreflexiver Auswahl und Interpretation zu innerweltlichen
Bestimmungsfaktoren der persönlichen Identität verarbeitet.
34
Die aus der
sozialen Umwelt erhaltenen Informationen sind hierbei natürlich immer durch
die subjektive Wahrnehmung des Individuums gebrochen; es handelt sich um
,,die in die Innenperspektive des Subjekts übernommene wahrgenommene
Außenperspektive, nicht die Außenperspektive selbst."
35
In diesem Sinne
bezeichnen Endruweit/Trommsdorff die Innenperspektive auch als
Selbstansprüche, die der Einzelne an sich stellt, die wahrgenommene
Außenperspektive hingegen als soziale Anforderungen. Der Identitätsprozeß
besteht somit aus einer Balanceleistung des Einzelnen, der Innen- und
Außenperspektive aneinander anzugleichen versucht. Hierbei wird es immer
wieder der Fall sein, daß die Innenperspektive einer Person sich nicht mit der
von ihr wahrgenommenen Außenperspektive deckt: Dann empfindet sich das
Individuum selbst nicht so, wie es glaubt, von den anderen gesehen zu werden.
Es bleibt festzuhalten, daß das Individuum ,,bei der Auswahl seiner subjektiven
Bedeutsamkeit, seiner 'Identitätsgegenstände` und deren persönlicher
30
ebd., S. 17.
31
ebd., S. 4.
32
ebd., S. 18.
33
ebd., S. 11.
34
Vgl.
ebd., S. 16.
35
ebd., S. 18.

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The Buddha of Suburbia
8
Bewertung (...) nicht autonom [ist]."
36
In den Worten Robert Hettlages ist das
,,Selbstbewußtsein des Subjekts", also seine Identität,
nicht solipsistisch zu gewinnen, sondern durchzieht den privaten und
öffentlichen Raum gleichzeitig. Es ist nämlich immer an eine Anerkennung, d.h.
eine Interaktion mit einem Publikum, gebunden. (...) Ich-Identität kommt erst
zum Vorschein, wenn das Subjekt mit seinen Wünschen, Ansprüchen,
Dienstleistungen, Erzählungen usw. von einem Auditorium anerkannt wird.
37
Die drei skizzierten Kontexte des Identitätsbegriffs sind folglich derart
miteinander verknüpft, daß die den ersten zwei Bedeutungen (Identität als von
außen zugeschriebener Merkmalskomplex; Identität als Kennzeichnung
sozialer Systeme) zuzurechnenden Elemente wie Fremdbild,
Rollenzuschreibung, Stereotypisierung, Gruppenidentität usf. das Individuum
in seinem selbstreflexiven Identitätsprozeß beeinflussen.
1.1.3
Identität als dialektischer Kreisprozeß
Harré begreift das Zusammenspiel von Innen- und Außenperspektive
-
die
gesellschaftliche Komponente des Identitätsprozesses
-
als dialektischen
Kreisprozeß in drei Schritten. Im ersten Schritt, der Appropriation, vollzieht
sich der Übergang von der Außen- zur Innenperspektive. Das Individuum
nimmt aus der Außenwelt Informationen über sich selbst auf, die seinen
Identitätsprozeß beeinflussen werden. Hier ist zu wiederholen, daß die vom
Individuum wahrgenommene und in die Innenperspektive übertragene
Außenperspektive keineswegs der objektiven Außenperspektive entsprechen
muß. Im zweiten Teilschritt, der Transformation, vollzieht das Individuum
durch Verarbeitung der im Prozeß der Appropriation erhaltenen Informationen
einen ,,aktiven Entwicklungsprozeß":
Durch Selektion, Attribution, Vergessen, Verdrängen, Erinnern, Vergleichen,
Assimilieren kann die Person Außenerfahrung und biographisch akkumulierte
Selbst-Erfahrung voneinander scheiden und somit ihre Individualität
entwickeln.
38
Schließlich erfolgt im Schritt der Publication die Darstellung der
transformierten Identität nach außen. Diese Veröffentlichung von Identität
beschränkt sich nicht auf eine bloße Reproduktion der wahrgenommenen
Außenperspektive. Infolge der (während der Transformation stattfinden)
36
Vgl. Günter Endruweit und Gisela Trommsdorff, Wörterbuch der Soziologie (Stuttgart,
1989), S. 280.
37
Robert Hettlage, ,,Identitätsmanagement: Soziale Konstruktionsvorgänge zwischen
Rahmung und Brechung." Identitäten in Europa: Wandel und Inszenierung kollektiver
Zugehörigkeiten. WeltTrends, Nr. 15 (1997), S. 7.

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The Buddha of Suburbia
9
internen Informationsverarbeitung beinhaltet sie auch ,,innovative" und
,,idiosynkratische" Elemente.
39
Harrés ,,allgemeines Paradigma zur Analyse der
Identitätsdynamik"
40
veranschaulicht, daß Identität im Sinne der dynamischen
Konstruktion von Selbstkonzepten als kreativer Prozeß zu verstehen ist, in dem
das Individuum einen Ausgleich von Innenperspektive und der Beeinflussung
durch soziale Kontakte herstellen muß.
1.1.4
Selbstkonzept
Das menschliche Bewußtsein kann also unterteilt werden in einen erkennenden
Subjektpol und einen ,,bewußt wahrgenommene[n] und beschreibbare[n]
Objektpol".
41
Letzterer wird auch als Selbstkonzept bezeichnet, das wiederum
begriffen wird als die Gesamtheit aller Sichtweisen, welche ein Mensch von
sich selbst entwickelt hat.
42
Nach Mead manifestiert sich das Selbstkonzept in
der ,,geordneten Menge aller im Gedächtnis gespeicherten selbstbezogenen
Informationen."
43
Die Selbstkonzepte einer Person sind der empirischen
Erforschung zugänglich: Mit Fragen wie ,,Wer bin ich? Was bin ich? Wie bin
ich?" initiiert die Selbstkonzeptforschung eine gezielte Selbstreflexion, um aus
den Antworten Aussagen über Selbstkonzepte der Probanden abzuleiten.
44
Genauso lassen aber das allgemeine Verhalten einer Person, ihre Handlungen
und ihre Aussagen über sich selbst und andere Rückschlüsse auf ihr(e)
Selbstkonzept(e) zu ­ auch fiktionale Texte können demnach auf die
Selbstkonzepte ihrer Charaktere hin untersucht werden.
Legt man den Prozeßcharakter von Identität zugrunde, so folgt daraus, daß
die Selbstkonzepte niemals im Leben eines Menschen den Status der
Endgültigkeit erreichen: immer wieder aufs Neue unterliegen sie möglicher
Veränderung.
45
Greift man auf die eingangs skizzierten Kontexte des
Identitätsbegriffs zurück, so lassen sich die Selbstkonzepte einer Person als das
Ergebnis ihres selbstreflexiven Identitätsprozesses bezeichnen. Beachtet man
weiter die Abhängigkeit der Selbstkonzepte von der sozialen Umwelt einer
38
Glomb, S. 18.
39
ebd.
40
Frey/Haußer, S. 17.
41
Glomb, S. 10f.
42
Vgl. Endruweit/Trommsdorff, S. 281.
43
Glomb, S. 13.
44
Vgl. Frey/Haußer, S. 8ff.
45
Vgl. Glomb, S. 12.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
10
Person ­ Selbstkonzepte werden ,,immer in Abhängigkeit von kulturellen
Vorgaben und gegenwärtigen Interaktionen"
46
konstruiert ­ kann der
Identitätsprozeß zusammenfassend wie folgt beschrieben werden: Er stellt sich
dar als eine im ständigen Wandel begriffene (Re-)Konstruktion von
Selbstkonzepten im Spannungsfeld von Innen- und Außenperspektive.
1.2 Identitätsfindung und ­stiftung
in der Gesellschaft
Böhner beschreibt, daß persönliche Identität entscheidend von der Gesellschaft
bzw. Gesellschaftsform beeinflußt wird, in der ein Individuum lebt:
Gesellschaften [bilden] immer die Identitäten aus (...), die ihnen entsprechen und
die Identität des einzelnen [ist] das Resultat der Interaktion und der Angleichung
an eine Umwelt über die wechselseitige Verstärkung von Fremd- und
Selbstsicht.
47
Im folgenden soll nun skizziert werden, wie sich die Auffassung darüber, was
Identität ist, analog zu wesentlichen gesellschaftlichen Entwicklungen
gewandelt hat. Hierbei sollen besonders die Implikationen berücksichtigt
werden, welche die als ,,pluralistisch" und ,,postmodern" bezeichnete
Gesellschaftsform für die Identität der Menschen hat.
Identität hat sich zu einem beherrschenden Thema der aktuellen
gesellschaftswissenschaftlichen und politischen Diskussion entwickelt,
48
das
,,gegenwärtig ­ bis zum Überdruß ­ unausweichlich [ist]".
49
Der Welle
wissenschaftlicher Publikationen zu diesem Thema entspricht die Beliebtheit,
derer sich der Begriff ,,Identitätskrise" in der Alltagssprache erfreut.
50
Es hat
den Anschein, als sei Identität ein Problemkomplex, der Menschen ganz
konkret im alltäglichen Leben berührt. Da die Vokabel der Identitätskrise kein
kurzlebiges Modewort blieb, sondern ein langfristiges Phänomen zu
bezeichnen scheint, stellt sich die Frage, warum dem Thema Identität heute
von Wissenschaft und Allgemeinheit gleichermaßen eine derartige Bedeutung
beigemessen wird. Um dem auf die Spur zu kommen, müsse man
-
so
46
ebd., S. 28.
47
Ines Böhner, `My Beautiful Launderette' und `Sammy and Rosie Get Laid': Filmische
Reflexion von Identitätsprozessen (Frankfurt, 1996), S. 275.
48
Vgl. Lohauß, S. 7.
49
Odo Marquard in Glomb, S. 2.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
11
Luckmann
-
den Blick ,,hinter die begriffs- und kulturgeschichtlichen
Vorgänge auf Veränderungen in der gesellschaftlichen Ordnung" lenken.
51
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Vorstellung einer persönlichen
Identität des Einzelnen keineswegs erst in jüngerer Zeit entstanden ist, sondern
,,eine Geschichte [hat], die zumindest so alt ist, wie die Geschichte der Gattung
homo sapiens."
52
Allerdings wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte mit der
gesellschaftlichen Entwicklung auch die Bedeutung, welche der persönlichen
Identität des Einzelnen beigemessen wurde: Laut Schimanek besteht ein
Entsprechungsverhältnis von Gesellschaftsform und der Identitätsform der sie
konstituierenden Menschen.
53
So ist es in der Tat eine für moderne Industrie-
gesellschaften typische Erscheinung, persönliche Identität als problematische
Größe zu begreifen, die in eine ,,Krise" geraten könne:
Persönliche Identität ist keine moderne Erfindung, wohl aber daß persönliche
Identität zu einem Problem für breite Kreise der Bevölkerung wird. (...) Die
massenweise Problemhaftigkeit der persönlichen Identität ist ein Phänomen der
neueren und neuesten Zeit.
54
1.2.1
Der vormoderne Gesellschaftstypus
Eine Gliederung von Gesellschaften in zwei Grundtypen, die ihre jeweils
eigenen Implikationen für die menschliche Identitätskonzeption haben, wird
von Berger/Luckmann anhand ihrer Krisenanfälligkeit getroffen:
Dem ersten, für Sinnkrisen nicht besonders anfälligen Typ sind Gesellschaften
zuzuordnen, die ein einziges und allgemein verbindliches Wertesystem
entwickelt haben, in das die verschiedenen Sinnschichten und Sinnbereiche gut
eingepaßt sind: von den Erfahrungs- und Handlungsschemata des täglichen
Lebens bis hin zu den übergeordneten und auf außeralltägliche Wirklichkeiten
gerichteten Kategorien der Lebensführung und Krisenbewältigung. Der gesamte
Sinnbestand wird von gesellschaftlichen Institutionen bewahrt und verwaltet.
55
In Gesellschaften diesen Typs (denen Berger/Luckmann die archaischen
Gesellschaften, die alten Hochkulturen und in Grundzügen auch die
vormodernen Gesellschaften der Neuzeit zuordnen)
56
war somit eine
Vorbedingung dafür gegeben, daß persönliche Identität
50
Vgl.
ebd., S. 3.
51
Vgl. Thomas Luckmann in Glomb, S. 3.
52
Vgl. Thomas Luckmann, ,,Persönliche Identität, soziale Rolle und Rollendistanz", in: Odo
Marquard/Heinz Stierle (Hg.), Identität (München, 1996), S. 294.
53
Vgl. Udo Schimanek in Glomb, S. 6.
54
Luckmann, S. 293.
55
Peter L. Berger und Thomas Luckmann, Modernität, Pluralismus und Sinnkrise: Die
Orientierung des modernen Menschen (Gütersloh, 1995), S. 26.
56
ebd.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
12
im größeren Teil der Menschheitsgeschichte (...) für den überwiegenden Teil der
Menschen (...) nicht das Ergebnis einer subjektive Reflexion [war], die sich aus
der Gegenüberstellung von Ich und seinem sozialen Lebenskreis ergab, sondern
eine gesellschaftliche Gegebenheit.
57
In einer Gesellschaft, die ,,keinen Boden für Wachstum und Ausbreitung
subjektiver und intersubjektiver Sinnkrisen" bot, war auch persönliche Identität
eine vergleichsweise fixe Größe.
58
In Gesellschaften dieser Art stellten
insbesondere drei Faktoren die Rahmenbedingungen, unter denen die sich
Ausbildung persönlicher Identität vollzog: Erstens war Identität zum Großteil
durch die Lebensumstände vorbestimmt, in die das Individuum hineingeboren
wurde. Zweitens war sie fremdreferentiell strukturiert, indem ,,den Individuen
die für ihre Identität bedeutsamen Orientierungsmuster von außen an die Hand
gegeben wurden",
59
beispielsweise durch den Glauben an eine bestimmte
Religion. Drittens sah das Individuum sich und seine Welt in einer verläßlichen
Sinnordnung verankert, so daß die eigene Identität als sinnfällig empfunden
werden konnte. Auf diese Weise wurde der Einzelne in archaischen
Gesellschaften
in eine stabile, durch die Verwandtschaftsordnung getragene Sozialstruktur
hineingeboren, verbrachte sein Leben in einem überschaubaren Umkreis
unmittelbarer Sozialbeziehungen von hoher Vertrautheit und Stabilität und hatte
Teil an einem für alle gleich verbindlichen religiös legitimierten Weltauffassung,
die im Einklang stand mit dem jeweiligen Selbstbild.
60
Fragen des individuellen Sinns und Seins ­ und damit der persönlichen
Identität ­ stellten sich in der vormodernen Gesellschaft nur in geringem Maße:
Das Schicksal legte praktisch alle Lebensphasen ,,nach vorbestimmten Mustern
[fest], Kindheit, rites de passage, Beruf, Heirat, Kindererziehung, Altern,
Krankheit und Tod" und bestimmte weitgehend auch die Innenwelt des
Einzelnen, ,,seine Gefühle, seine Deutungen der Welt, seine Werte und seine
persönliche Identität."
61
Das Selbstbild wurde wesentlich geprägt durch vom
Individuum nicht zu beeinflussende Umstände; als Beispiele seien hier nur der
gesellschaftliche Status der Eltern und das Geschlecht der Person genannt.
Vom derartig vorgezeichneten Lebensweg abzuweichen, war kaum möglich:
Der Sohn würde traditionell den Beruf des Vaters ergreifen, die Tochter
verheiratet werden. Die einer solchen Gesellschaft entsprechende
57
Luckmann, S. 294.
58
ebd.
59
Glomb, S. 6.
60
ebd., S. 3.
61
Berger/Luckmann, S. 49.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
13
Identitätsform ist als ,,fremdreferentiell strukturiert" zu bezeichnen, da die
Orientierungsmuster, an denen die Einzelperson ihre Identität ausrichtete, ihr
von außen an die Hand gegeben [wurden]: in Form einer stabilen, als gottgewollt
angesehenen Sozialstruktur, eines für alle sozialen Schichten gleichermaßen
anwendbaren religiösen Weltbildes, sowie der Einordnung der individuellen
Biographie in einen weiter gesteckten göttlichen Heilsplan, innerhalb dessen klar
definiert war, wie ein gottgefälliges Leben auszusehen hatte.
62
In den vormodernen Gesellschaften fungierte in erster Linie die Religion als
absolutes Sinnsystem, das für die gesamte Bevölkerung Gültigkeit besaß, an
dem das Individuum sich in seiner Lebensführung wie selbstverständlich
orientierte und das ihm eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens
und der Welt bot. Unter derartigen Lebensumständen gab es schwerlich
Auslöser für eine Identitätskrise, ,,persönliche Identität war eine
Selbstverständlichkeit, die in den seltensten Fällen fraglich wurde."
63
Im
Rahmen umfassender gesellschaftlicher Veränderungen, die sich unter den
Namen der ,,Moderne" und ,,Postmoderne" vollzogen, büßten jene drei
Faktoren, auf die das Individuum seine Identität wie selbstverständlich
aufbaute ­ persönliche Lebensumstände, Fremdreferentialität und ein
übergeordnetes Sinnsystem ­ ihre Verläßlichkeit ein.
1.2.2
Der (post)moderne Gesellschaftstypus
Wie bereits gesagt, wird die in einer Gesellschaft vorherrschende
,,Identitätsform" unter anderem bestimmt durch die Existenz ­ bzw. den
Niedergang ­ eines übergreifenden Sinnsystems. In diesem Sinne skizzieren
Berger/Luckmann den Grundtyp einer krisenanfälligen Gesellschaft. Im
Gegensatz zu den vormodernen Gesellschaftsformen kann es in einer solchen
vergleichsweise einfach zu subjektiven und intersubjektiven Sinnkrisen
kommen, die sich wiederum auf die Identität der diese Krise(n) erfahrenden
Menschen auswirken. Krisenanfällig sind laut Berger/Luckmann
Gesellschaften, in denen zwar womöglich noch eine übergeordnete
Wertordnung vorhanden ist, sich aber ,,die `großen' (wirtschaftlichen,
politischen, religiösen) Institutionen von dem übergeordneten Wertesystem
abgelöst" haben und ,,das Handeln des einzelnen in den von ihnen
62
Glomb, S. 6.
63
Luckmann, S. 294.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
14
verwalteteten Funktionsbereichen" bestimmen. In einer derartigen Gesellschaft
setzen
die wirtschaftlichen und politischen Institutionen (...) den funktionsbezogenen
(`zweckrationalen') objektiven Sinn der Handlungsschemata in dem Bereich, für
den sie zuständig sind, verbindlich durch. Daneben `bieten' die religiösen
Institutionen (`wertrationale') Kategorien für die Lebensführung an.
64
Diese Beschreibung entspricht dem Prototyp der funktional differenzierten
modernen Gesellschaft, deren Sozialstruktur in institutionelle Teilbereiche
aufgespalten ist, die in besonderem Maße darauf ausgelegt sind, spezifisch
definierte Grundfunktionen zu erfüllen. In der vormodernen Gesellschaft
wurden ,,ökonomische, politische, religiöse und verwandtschaftliche
Funktionen"
65
lediglich als verschiedene Aspekte überwiegend einheitlicher
Handlungsabläufe empfunden. In der modernen Gesellschaft hingegen sind
,,Wirtschaft, Herrschaft, Religion und Familie Handlungsstrukturen, die als
solche besondere Institutionen darstellen."
66
In jedem dieser Teilsysteme
herrschen individuelle Handlungsnormen, die in anderen Bereichen nicht
zwangsläufig auch gültig sein müssen. Aufgrund dessen können ,,die
Sinnhorizonte der verschiedenen Institutionen und der von ihnen bestimmten
sozialen Rollen"
67
dem Individuum keine übergreifenden, plausiblen
Sinnzusammenhänge bieten. Die Zersplitterung der Gesellschaft in
Teilbereiche mit jeweils eigenen Sinnsystemen, die sich nicht zu einer
umfassenden Sinneinheit ergänzen, bleibt für die persönliche Identität nicht
ohne Folgen: Denn scheitert der Versuch des einzelnen, angesichts der von ihm
durchschrittenen sozialen Teilbereiche und gespielten Rollen einen
einheitlichen Sinnzusammenhang herzustellen, so kann ihn dies in eine
(Identitäts-)Krise stürzen.
In der postmodernen Gesellschaft sucht man vergebens nach einer
einheitlichen, verbindlichen und allgemein akzeptierten Weltauffassung.
68
Mit
der allmählichen Ausformung des modernen funktional differenzierten
Gesellschaftstyps und der damit verbundenen ,,Pluralisierung von
Lebenswelten" sowie der ,,Relativierung aller Gesichtspunkte, die das Handeln
und Erleben orientieren"
69
u.a. auch die Religion ihren Status als Sinnmonopol
64
Berger/Luckmann, S. 29.
65
Luckmann, S. 305.
66
ebd.
67
ebd.
68
Vgl.
ebd., S. 307.
69
Udo Schimanek in Glomb, S. 6.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
15
ein. Der Rückgang der Religion wird in Wissenschaft und Alltagsverstand als
einer der Gründe (oder vielleicht sogar der Hauptgrund) für das Zerbrechen
einer universellen Sinnordnung begriffen.
70
Überhaupt ist der Alltag in den
heutigen Industriegesellschaften, will man der postmodernen Theorie Glauben
schenken, geprägt von der ,,exhaustion of all metanarratives which claim to
legitimate foundations for truth."
71
Die Grands Récits im Sinne Lyotards,
Sinnsysteme ,,which purport to explain and reassure",
72
befanden sich während
der letzten fünfzig Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, im Zeitalter der
Postmoderne,
73
kontinuierlich auf dem Rückzug.
1.3 Das Individuum in der
pluralistischen Gesellschaft
1.3.1
Pluralistische Lebenswelt(en)
Der postmoderne Zustand, in dem der Mensch in der westlichen Welt sich
heute befindet, ist ,,von einer Pluralität von Stimmen gekennzeichnet, die um
das Recht auf die Wirklichkeit wetteifern ­ um als legitime Äußerungen des
Wahren und Guten akzeptiert zu werden."
74
An die Stelle der Ausrichtung
persönlicher Identität auf ein einziges, übergeordnetes Sinnsystem ist somit ein
,,zunehmendes Bewußtsein [um die] Vielfalt von Perspektiven"
75
getreten. Der
Begriff Pluralismus bezeichnet
ganz allgemein ein typisches Strukturmerkmal moderner Gesellschaften und
gegenwärtiger politischer Systeme, das durch das Nebeneinander und durch die
Konkurrenz einer Vielzahl von Interessen und einer Vielzahl von politischen
Kräften (politischer Pluralismus) charakterisiert ist.
.76
70
Vgl.
ebd., S. 39
71
Philip Rice and Patricia Waugh in Dies. (Hg.), Modern Literary Theory: A Reader, 3. Ausg.
(London, 1996), S. 290.
72
Peter Barry, Beginning Theory: An Introduction to Literary and Cultural Criticism
(Manchester and New York, 1995), S. 86.
73
Vgl. Ansgar Nünning, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (Stuttgart und Weimar,
1998), S. 438: Nach Ansgar Nünning bezeichnet der Begriff Postmoderne ,,die
kulturgeschichtliche Periode nach der Moderne bzw. [die] ästhetisch-philosophischen
Ansätze und kulturellen Konfigurationen dieser Zeit", wobei die ,,künstlerischen,
politischen und medialen Umbrüche der 60er Jahre in den USA als Ausgangspunkt für die
Postmoderne [gelten]". Im Gegensatz dazu wird der Begriff Postmodernismus zur
Bezeichnung der ,,für diese Epoche typischen literarischen Stilrichtungen und kulturellen
Phänomene" verwendet.
74
Gergen, S. 30.
75
ebd., S. 186.
76
Alf
Mintzel,
Multikulturelle Gesellschaften in Europa und Nordamerika (Passau, 1997), S.
149.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
16
Die pluralistische Gesellschaft ist entsprechend gekennzeichnet durch ,,die
Koexistenz verschiedener Wertordnungen und Wertordnungsfragmente (...)
und somit das Nebeneinander sehr unterschiedlicher Sinngemeinschaften",
wobei es zwangsweise ,,zu Begegnungen und unter Umständen sogar zum
Aufeinanderprallen verschiedener Wertordnungen und Weltansichten
[kommt]."
77
Der moderne Pluralismus entsteht dann, wenn der Pluralismus
selbst sich zu einem grundlegenden Wert in der Gesellschaftsordnung
entwickelt.
78
In den vormodernen Gesellschaften lebte der Mensch in einer
,,festgefügten und klar bestimmbaren Welt, an der er sein Verhalten, seine
Erwartungen und seine Identität mit einiger Zuversicht orientieren konnte."
79
Der moderne Pluralismus jedoch unterminiert die Selbstverständlichkeit jener
Sinn- und Wertsysteme, an denen der Mensch einst sein Handeln und seine
Identität ausrichtete:
80
Welt, Gesellschaft, Leben und Identität (...) können vielfältigen Deutungen
unterworfen werden, und jede Interpretation ist mit eigenen
Handlungsperspektiven verknüpft. Keine Deutung, keine Perspektive kann mehr
als allein gültige und fraglos richtige übernommen werden.
81
Das Nebeneinander zahlloser ,,styles, knowledges, stories that we tell ourselves
about the world"
82
beeinflußt auch das zeitgenössische Verständnis dessen, was
Identität sei. Mangels vorgegebener, übergreifender Sinnstrukturen muß das
Individuum in der pluralistischen Gesellschaft seine Identität selbstreferentiell
konstituieren.
83
Infolge des pluralisierenden Neben- und Miteinanders
verschiedenster sozialer, ethnischer, sprachlicher oder religiöser Kulturen
haben die Grands Récits ihr Monopol als Sinnstifter weitgehend verloren. An
die Stelle eines großen Sinnsystems treten im Zuge der Pluralisierung
zahlreiche Minierzählungen, an die sich der einzelne im Prozeß der
Identitätsbildung zwar anlehnen kann, die aber nicht mehr länger als allgemein
gültig begriffen werden, und die von heute auf morgen ihren sinnstiftenden
Charakter verlieren können. Diese Aufforderung zur aktiven Konstruktion der
eigenen Identität kann als Chance freudig aufgegriffen, aber auch als
Belastung, ja sogar Überforderung empfunden werden. In der pluralistisch
77
Berger/Luckmann, S. 30f.
78
ebd.
79
ebd., S. 44f.
80
ebd., S. 62.
81
ebd., S. 44f.
82
Rice/Waugh, S. 290.
83
Glomb, S. 6.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
17
geprägten Welt muß jede Person die Fixpunkte, auf die sie ihr Leben und
gleichzeitig ihre Identität ausrichten kann und will, für sich selbst bestimmen.
Es stellt sich die Frage, wo diese Orientierungspunkte zu finden sind in einer
Zeit, in der es an allgemeiner Verbindlichkeit mangelt. Eingeschränkte
Verbindlichkeiten sind ,,höchsten noch in zeitlich sich rasch wandelnden
Teillebenswelten zu finden."
84
Und so folgt auf die Abkehr von den
Metaerzählungen die Orientierung an Minierzählungen, wie sie etwa
Subkulturen oder modische Strömungen darstellen.
1.3.2
Soziale Rollen und Stereotypisierung
Der Identitätsprozeß des Individuums wird wesentlich durch das Erlernen
sozialer Rollen beeinflußt. Die Identität eines Menschen steht nicht von Geburt
an fest, vielmehr ,,entwickelt [sie] sich im Verlaufe der Sozialisation und
Enkulturation durch Interaktionen mit anderen und durch das Lernen von
sozialen Rollen."
85
Eine soziale Rolle kann definiert werden als ,,die Ausübung
von Rechten und Pflichten (...), die mit einem bestimmten Status verknüpft
sind."
86
Besonders für die industrielle Gesellschaftsordnung des späten 20.
Jahrhunderts ist die Existenz anonymer Rollen prägend und unausweichlich.
87
Das soziale Agieren des einzelnen besteht zu weiten Teilen aus
Rollenhandlungen. Diese Handlungen sind oft nicht die bewußten Aktionen
eines Individuums, sondern dienen lediglich der Erfüllung einer Funktion,
einer anonymen Rolle, die auch von tausend anderen gespielt werden könnte.
Solange die ,,spezialisierten Rollenverpflichtungen im jeweiligen
institutionellen Zusammenhang 'adäquat' erfüllt" werden, bleibt die
individuelle Identität des Rollenträgers nur von nebensächlicher Bedeutung.
88
In Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Teilbereichen, in denen eine
Person sich bewegt, wird sie unterschiedliche Rollen spielen müssen, vielleicht
aber auch wollen, sei es in der Familie, am Arbeitsplatz, unter Freunden oder
84
Frey/Haußer, S. 10.
85
Mintzel, S. 177.
86
Goffman, S. 18.
87
Natürlich mußte auch in der vormodernen Gesellschaft das Individuum verschiedene
,,Rollen" erfüllen und Funktionen bekleiden: Als Elternteil, bei der Arbeit oder beim
Zusammensein mit Freunden. Anders als in der heutigen Gesellschaft waren jedoch all
diese von einem Menschen erfüllten Funktionen auf ein übergreifendes Sinn- und
Wertesystem hin ausgerichtet.
88
Vgl. Luckmann, S. 306..

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
18
Fremden. Gemäß einer ,,situativ operierenden Identitätskonzeption"
89
bringt
die Person somit die aktuell geforderten Facetten ihrer Persönlichkeit zum
Vorschein: Bei Rollen geht es ,,immer nur um einen Ausschnitt des Verhaltens
eines Menschen, der als Rolle erwartet wird."
90
Treten neue, unvertraute
Situationen auf, so muß der Mensch sich in seiner Identität an diese anpassen:
Identität wandelt sich fortwährend, so daß nicht von der einen, konstanten
Identität einer Person im Zeitablauf gesprochen werden kann.
Die angesprochenen Rollenerwartungen, die die Umwelt dem einzelnen
entgegenbringt, findet ihren Ursprung oftmals in einer stereotypisierten
Wahrnehmung finden. Der Begriff Stereotyp bezeichnet eine
festgefügte, für lange Zeit gleichbleibende, durch neue Erfahrungen kaum
veränderbare, meist positiv oder negativ bewertende und emotional eingefärbte
Vorstellung über Personen und Gruppen (...), Ereignisse oder Gegenstände in der
Umwelt.
Da Stereotypen auf Urteilen fußen, die nur anhand weniger ausgesuchter
Eigenschaften gebildet werden, reduzieren sie die Wirklichkeit.
91
Merkmale,
die zu einer Stereotypisierung einladen, können u.a. sein:
92
·
Geschlecht
·
Herkunft
·
soziale Gruppenzugehörigkeit
·
Sprache
·
Alter
·
Hautfarbe
·
soziale Stellung
·
äußere Merkmale (z.B. Kleidung)
Weist eine Person ein solches Merkmal auf, so projiziert das Publikum die
damit verbundenen stereotypisierten Vorstellungen auf die betreffende Person.
Bezieht eine solche Ansicht sich auf eine andere als die eigene Gruppe, wird
sie als Heterostereotyp bezeichnet. Das Autostereotyp hingegen bezeichnet das
Vorstellungsklischee, das bezüglich der eigenen Person bzw. der eigenen
Bezugsgruppe existiert.
93
Als ,,Ausdruck einer vereinfachten Wahrnehmung"
94
erleichtern Stereotypen die Orientierung im Alltag, da sie es erlauben, die
Komplexität der Welt zu schematisieren und zu organisieren. Sie führen
allerdings auch dazu, daß sich der einzelne im sozialen Kontext oftmals auf die
Rollenerwartungen beschränkt sieht, die seine Umwelt ihm entgegenbringt,
wobei diese von Situation zu Situation unterschiedlich sein können. Das
89
Böhner, S. 232.
90
Luhmann in Böhner, S. 87.
91
Werner Fuchs et al. (Hg.), Lexikon zur Soziologie, 2. Aufl. (Opladen, 1988), S. 749.
92
Vgl. Böhner, S. 210.
93
Vgl. Fuchs et al., S. 86.

Probleme und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen in Hanif Kureishis
The Buddha of Suburbia
19
Wissen des Individuums um die Vielzahl und Verschiedenheit der tagtäglich
gespielten Rollen wirkt sich auf das Verständnis der eigenen Identität aus: Es
ist dem einzelnen in der heutigen Gesellschaft unmöglich geworden, ,,sich
durchgängig mit nur einer Rolle zu identifizieren." Am Ende dieses Prozesses
steht das Bewußtsein der Relativität sämtlicher Rollen.
95
Die Anonymisierung
und Relativierung sozialer Rollen tragen wiederum zu Sinn- und
Identitätskrisen des Individuums in der funktional ausdifferenzierten
Gesellschaft bei:
Handlungen in den Institutionen unseres sozialen Lebens sind in den subjektiven
Sinnzusammenhang der Einzelbiographie nicht mehr fraglos einfügbar. (...) der
objektive Sinn einer Handlung fällt in den meisten für den Bestand der
Gesellschaft wichtigen Bereichen der Alltagsexistenz nicht mehr wie
selbstverständlich mit dem subjektiven Sinn des Handelns für das Ich
zusammen.
96
Die Rollenbestimmtheit persönlicher Identität bewirkt daher, daß das
Individuum in der modernen Gesellschaft angesichts der Vielzahl zu
erfüllender anonymer Rollen ,,seine Identität im Subjektiven suchen"
97
muß
und ,,der einzelne bei der Produktion seiner Identität auf sich selbst
verwiesen"
98
wird. Auf diese Weise wird das Streben nach Individualität,
danach, sich als einzigartige Persönlichkeit von der Masse abzuheben, zu
einem zentralen Aspekt des Identitätsprozesses.
1.3.3
Individualität, Authentizität, Hybridität
Individualität ist nicht ausschließlich ein nur aus eigenem Willen gewähltes
Ziel vieler Menschen, sondern auch eine gesellschaftliche Norm, die aus dem
,,abendländischen Bild von der Sonderstellung des Menschen"
99
resultiert.
Heute sind die Menschen nicht nur gezwungen, ihre Identität selbst
herzustellen
-
zusätzlich ist es ihnen auferlegt, sich selbst und ihrem sozialen
Umfeld gegenüber die Einmaligkeit dieses Identitätskonstrukts zu
signalisieren.
100
Dieser ,,kulturell oktroyierte Individualitätszwang" kann den
94
Böhner, S. 95.
95
Vgl. Glomb, S. 5.
96
Luckmann, S. 306.
97
ebd.
98
Glomb, S. 5.
99
Frey/Haußer, S. 9.
100
Vgl. Glomb, S. 6: ,,Mit der Notwendigkeit, den Prozeß der Identitätsarbeit in Eigenregie zu
bewerkstelligen, geht zusätzlich (...) eine normative Forderung [einher], die Eigenschaften,
die mich einmalig machen, als Identitätskriterien zu betonen, zu entwickeln und
herauszuarbeiten. Mit der Notwendigkeit, den Prozeß der Identitätsarbeit in Eigenregie zu
bewerkstelligen, geht zusätzlich (...) eine normative Forderung [einher], die Eigenschaften,

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832446567
ISBN (Paperback)
9783838646565
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Mannheim – Philosophie
Note
1,0
Schlagworte
hanif kureishi identität postkolonialismus postmoderne literaturwissenschaft
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