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Wünsche und Realität von Jugendlichen im Spannungsfeld zwischen Selbstaktualisierung und Verbundenheit zur Peer-Gruppe

Ein Vergleich der Situation im Jugendzentrum und im Leben allgemein

©1999 Diplomarbeit 308 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Auf dem Hintergrund entwicklungspsychologischer Konzepte und humanistischer Menschenbilder werden Wunsch und Realisierung von Jugendlichen im Bereich der Selbstaktualisierung untersucht. Die Klärung des Zusammenhangs zwischen Selbstaktualisierung und Beziehung zur Peer-Gruppe wird versucht, die Lebenssituation allgemein und im Jugendzentrum verglichen und in Verbindung mit Lebenszufriedenheit und Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum gebracht.
150 Jugendliche in Wiener Jugendzentren wurden mittels Auszügen aus folgenden Fragebögen befragt: „Dimensions of Privacy Preferences“ von Marshall, „Braunschweiger Selbstaktualisierungsskalen“ von Bottenberg & Keller und Kuningesichter zur Erhebung der Lebenszufriedenheit und der Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum.
Am auffälligsten beschreiben sich arbeitslose Jugendliche. Sie geben einen geringeren Wunsch nach Selbstaktualisierung an und empfinden sich als weniger selbstaktualisierend. Selbstaktualisierung wiederum steht für die Jugendlichen in engem Zusammenhang mit Lebenszufriedenheit.
Die hohe Bedeutung des Jugendzentrums für die Jugendlichen zeigt sich in den empfundenen großen Möglichkeiten zur Selbstaktualisierung und der hohen Zufriedenheit. Jugendzentren können besonders zwischen den Geschlechtern einen Beitrag zur Chancengleichheit leisten.
Die Ergebnisse lassen nur auf einen vagen Zusammenhang zwischen Selbstaktualisierung und Beziehung zur Peer-Gruppe schließen.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
EINLEITUNG9
KURZZUSAMMENFASSUNG11
A.THEORETISCHER HINTERGRUND DER UNTERSUCHUNG12
1.DAS JUGENDALTER IM SPIEGEL DER FORSCHUNG12
1.1Jugendforschung12
1.2Begriffsbildung13
1.3Geschichte der Jugend17
1.4Verschiedene Theorien der Jugend und Adoleszenz22
1.5Was ist Entwicklung?27
1.6Biologische Veränderungen in der Pubertät und Adoleszenz31
1.7Allgemeine Einflüsse der körperlichern Veränderungen in der Pubertät auf die Psyche36
2.PSYCHOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN IM JUGENDALTER41
2.1Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsstrategien im Jugendalter41
2.2Kognitive Entwicklung47
2.3Moralische Entwicklung51
2.4Die Ablösung von der Familie56
2.5Die Entwicklung von Sexualität und Partnerschaft59
3.PEERGRUPPE UND PRIVATHEIT IN DER ADOLESZENZ61
3.1Freundesbeziehungen und die Peergruppe61
3.2Das Konzept der Privatheit71
4.SELBSTKONZEPT, IDENTITÄT UND ENTWICKLUNG77
4.1Konzepte der Identität und des Selbstkonzepts78
4.2Die Entwicklung von Identität bzw. Selbstkonzept […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

KURZZUSAMMENFASSUNG

A. THEORETISCHER HINTERGRUND DER UNTERSUCHUNG
1. Das Jugendalter im Spiegel der Forschung
1.1. Jugendforschung
1.2. Begriffsbildung
1.2.1. Pubertät
1.2.2. Adoleszenz
1.2.3. Jugend und Jugendalter
1.3.Geschichte der Jugend
1.3.1. Historische und psychohistorische Daten zum Jugendalter
1.3.2. Strukturwandel der Jugendphase
1.4. Verschiedene Theorien der Jugend und Adoleszenz
1.4.1. Biogenetische Theorien
1.4.2. Psychoanalytische Theorien
1.4.3. Psychologische Theorien
1.4.4. Soziologische Theorien
1.5. Was ist Entwicklung?
1.5.1. Konzepte zur Entwicklung
1.5.1.1. Vererbungstheoretischer Ansatz: Entwicklung als Reifeprozeß
1.5.1.2. Milieutheoretischer Ansatz: Entwicklung als Lernprozeß
1.5.1.3. Interaktionstheoretischer Ansatz: Entwicklung durch Assimilation und Akkomodation
1.5.1.4. Integrativer Ansatz aus heutiger Perspektive
1.5.2. Der Anteil von Erbe und Umwelt
1.5.2.1. Aufholmöglichkeiten nach Deprivation
1.6. Biologische Veränderungen in der Pubertät und Adoleszenz
1.6.1. Wachstum, körperliche Proportionen und motorische Entwicklung
1.6.2. Sexualhormone und äußere Merkmale der sexuellen Reifung
1.6.3. Einflüsse auf Wachstum und Reifungsablauf
1.7. Allgemeine Einflüsse der körperlichern Veränderungen in der Pubertät auf die Psyche
1.7.1. Der Einfluß der Sexualhormone auf das Verhalten
1.7.2. Entwicklung der äußeren Geschlechtsmerkmale und Selbstwertgefühl
1.7.3. Allgemeine somatische Entwicklung und Selbstwertgefühl
1.7.4. Die psychischen Auswirkungen der allgemeinen körperlichen Reifungsvorverschiebung
1.7.5. Körperliche Veränderungen und soziale Reaktionen
2. Psychologische Veränderungen im Jugendalter
2.1. Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsstrategien im Jugendalter
2.1.1. Entwicklungsaufgaben nach Havinghurst
2.1.2. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben im Rahmen des aktionalen Entwicklungsparadigmas
2.1.3. Zu den Bewältigungsstrategien Jugendlicher in Bezug auf die Entwicklungsaufgaben
2.2. Kognitive Entwicklung
2.2.1. Neue kognitve Strukturen in der Adoleszenz
2.2.2. Entwicklung kognitiver Stile
2.2.3. Introspektionsfähigkeit
2.3. Moralische Entwicklung
2.3.1. Konzepte zur allgemeinen Entwicklung des moralischen Urteils
2.3.2. Normen, Werthaltungen und Einstellungen im Jugendalter
2.4. Die Ablösung von der Familie
2.4.1. Struktur und Rolle der Familie in der Adoleszenz
2.4.2. Der Ablösungsprozeß aus der Sicht der Tiefenpsychologie
2.5. Die Entwicklung von Sexualität und Partnerschaft
3. Peergruppe und Privatheit in der Adoleszenz
3.1. Freundesbeziehungen und die Peergruppe
3.1.1. Peergruppen als Jugendkultur
3.1.2. Bedeutung und Aufgaben der Peergruppe aus psychologischer Sicht
3.1.3. Der Einfluß der Peer-Gruppe auf die Selbstfindung und Identität
3.1.4. Determinanten für die Gestaltung der Peer-Beziehungen
3.1.5. Einfluß der Peer-Gruppe auf das Verhalten und die Lebenszufriedenheit von Jugendlichen
3.2. Das Konzept der Privatheit
3.2.1. Konzeptionen von Privatheit
3.2.2. Privatheit als integratives Konzept der Mensch-Umwelt-Beziehungen aus der Sicht der Selbstkonzeptforschung
3.2.3. Soziodemographische Determinanten der Privatheit
3.2.4. Privatheit als Faktor psychischer Gesundheit und Selbstaktualisierung
4. Selbstkonzept, Identität und Entwicklung
4.1. Konzepte der Identität und des Selbstkonzepts
4.1.1. Integrative Theorie nach Epstein (1979)
4.2. Die Entwicklung von Identität bzw. Selbstkonzept in der Adoleszenz
4.2.1. Allgemeines
4.2.2. Identitätsentwicklung nach Erikson (1971)
4.2.3. Empirische Ergebnisse
4.3. Klärung von Phänomenen in verschiedenen Verhaltensbereichen durch die Theorie der Identität bzw. des Selbstkonzepts
4.3.1. Erwerb der Geschlechtsrollen in der Adoleszenz
4.3.2. Identität, Selbstkonzept und Berufswahl
4.3.3. Ein Beitrag der Selbstkonzeptforschung zur Erklärung von Delinquenz
5. Selbstaktualisierung in der Adoleszenz
5.1. Das Konzept der Selbstaktualisierung
5.1.1. Der Stellenwert der Selbstaktualisierung im Konzept der humanistischen Psychologie
5.1.2. Die Umweltabhängigkeit der Selbstaktualisierung
5.1.3. Die Bedeutung der Selbstaktualisierung in verschiedenen Lebensbereichen
5.1.4. Kritik an Maslows (1954, 1968) Theorie der Selbstaktualisierung
5.2. Selbstaktualisierung im Zusammenhang mit seelischer Gesundheit und Identität
5.2.1. Selbstaktualisierung und Identität
5.2.2. Selbstaktualisierung und seelische Gesundheit
5.2.2.1. Verschiedene Modelle dazu
5.2.2.2. Modell der seelischen Gesundheit in der Selbstaktualisierungstheorie nach Maslow (1954, 1968)
5.2.2.3. Empirische Ergebnisse
5.2. Selbstaktualisierung im Jugendalter
5.3.1. Lebenspläne von Jugendlichen
5.3.2. Die Bedürfnishierarchie in der Adoleszenz
5. 4. Kreativität und der schöpferische Prozeß im Rahmen der Theorie der Selbstaktualisierung
5.4.1. Konzepte zur Definition und Bedeutung der Kreativität und des schöpferischen Prozesses
5.4.2. Kreativität und schöpferischer Prozeß in Maslows (1954, 1968) Theorie der Selbstaktualisierung
5.4.3. Kreativität und Selbstaktualisierung im Zusammenhang mit seelischer Gesundheit
6. Zur Lebenssituation Jugendlicher
6.1. Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden Jugendlicher
6.1.1. Konzepte zu Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden
6.1.2. Selbstaktualisierung, soziale Beziehungen und Lebenszufriedenheit
6.1.3. Empirische Ergebnisse
6.2. Die Situation von Jugendlichen in Schule, Ausbildung und Beruf
6.2.1. Jugendliche in Schule und Ausbildung
6.2.2. Jugendliche im Beruf
6.2.3. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit
6.3. Jugendliche in ihrer Freizeit
6.3.1. Bevorzugte Freizeitaktivitäten und Determinanten dafür
6.3.2. Konsum versus Selbstaktualisierung
6.3.3. Die Bedeutung von Jugendzentren für die Freizeitgestaltung von Jugendlichen
6.3.4. Freizeitgestaltung im Zusammenhang mit der Bewältigung normativer Entwicklungsaufgaben
6.4. Jugendliche Migranten
6.4.1. Situation und Problematik jugendlicher Migranten im Spiegel der Sozialisationsforschung
6.4.1.1. Geschlechtsspezifische Sozialisation von Mädchen
6.4.2. Jugendliche Migranten in der Streßforschung
6.4.3. Empirisch-psychologische Daten über jugendliche Migranten
6.4.4. Besonderheiten der Identitätsfindung bei Migrantenjugendlichen
7. Konflikte und Schwierigkeiten im Jugendalter
7.1. Zur Entstehung von Konflikten und Schwierigkeiten
7.1.1. Die Bedeutung sozialer Beziehungen
7.2. Einige psychosoziale Konflikte in der Adoleszenz
7.3. Psychiatrische Krisen und Notfälle im Jugendalter
7.3.1. Suizidversuch und Suizid
7.3.2. Dissoziales Verhalten und Delinquenz
7.3.4. Drogenkonsum
8. Jugendarbeit und Jugendzentrum
8.1. Zum Begriff Jugendarbeit
8.2. Die Geschichte der Jugendarbeit
8.2.1. Erste Ansätze der offenen Jugendarbeit
8.3. Funktionen und Aufgaben der Jugendarbeit
8.3.1. Gesellschaftstheoretischer Bezugsrahmen der Jugendarbeit
8.3.2. Funktionen der Jugendarbeit aus sozialräumlicher Perspektive
8.3.3. Jugendarbeit, Jugendzentren und Selbstaktualisierung
8.4. Das Jugendzentrum
8.4.1. Das Jugendzentrum aus sozialräumlicher Sicht
8.4.2. Allgemeine Arbeitsprinzipien im Jugendzentrum
8.5. Schwerpunkte der Arbeit im Jugendzenrum
8.5.1. Mädchenarbeit im Jugendzentrum
8.5.2. Die Arbeit mit Jugendlichen ausländischer Eltern

B. EMPIRISCHER TEIL
9. Fragestellungen und Durchführung der Untersuchung
9.1. Zielsetzungen und Fragestellungen
9.1.1.Zielsetzungen der Untersuchung
9.1.2. Fragestellungen
9.2. Beschreibung der Erhebungsinstrumente
9.2.1. Die Selbstaktualisierungsskalen von Bottenberg & Keller (1975)
9.2.2. Dimensions of Privacy Preferences (Marshall, 1974)
9.2.3. Messung der Lebenszufriedenheit und der Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum durch Kunin-Gesichter
9.3. Skalenbildung und Datenreduktion
9.3.1. Bildung von Skalen
9.4. Untersuchungsplan
9.4.1. Operationalisierung der Variablen
9.4.2. Statistische Hypothesenformulierung
9.5. Durchführung der Untersuchung
9.6. Beschreibung der gewählten Auswertungsinstrumente
9.6.1. Chi-Quadrat-Test
9.6.2. Kolmogorov-Smirnov-Test
9.6.3. t-Test für unabhängige Stichproben
9.6.4. Einfaktorielle multivariate Varianzanalyse für unabhängige Stichproben
9.6.5. Duncan-Test
9.6.6. Zweifaktorielle multivariate Varianzanalyse für unabhängige Stichproben
9.6.7. U-Test von Mann & Whitney
9.6.8. Rangvarianzanalyse nach Kruskal & Wallis
9.6.9. Korrelationsanalytische Verfahren
9.6.10. Regressionsanalytische Verfahren
10. Auswertung und Ergebnisse der Untersuchung
10.1. Deskriptivstatistik – Charakterisierung der Stichprobe
10.1.1. Verteilung der untersuchten Jugendzentren
10.1.2. Alter in Jahren
10.1.3. Geschlecht der Versuchspersonen
10.1.4. Ausbildung der Versuchspersonen
10.1.5. Nationale Zugehörigkeit der Jugendlichen
10.1.6. Häufigkeit des Besuchs im JZ
10.2. Ergebnisse der statistischen Signifikanztests zu den Fragestellungen
10.2.1. Unterschiede in den Skalen nach soziodemographischen Variablen
10.2.1.1. Nationalität
10.2.1.2. Ausbildungsniveau
10.2.2. Wechselwirkungen der soziodemographischen Variablen
10.2.3. Selbstaktualisierung und Privatheit im Jugendzentrum im Vergleich zur allgemeinen Lebenssituation und Diskrepanzen zwischen Wunsch und Realität
10.2.5. Untersuchung einzelner, nach inhaltlichen Kriterien ausgewählter Items
10.2.5.1. Geschlecht
10.2.5.2. Alter
10.2.5.3. Besuchshäufigkeit
10.2.6. Lebenszufriedenheit und Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum
10.2.6.1. Zufriedenheit nach erhobenen soziodemographischen Variablen
10.2.6.2. Wechselwirkungen der erhobenen soziodemographischen Variablen
10.2.6.3. Diskrepanz zwischen der Lebenszufriedenheit und der Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum
10.2.6.3. Zusammenhänge zwischen der Zufriedenheit und Privatheit bzw. Selbstaktualisierung
10.2.6.4. Prädiktoren der Zufriedenheit
10.3. Zusammenfassung der Ergebnisse
10.3.1. Inwiefern hängen Selbstaktualisierung, Privatheit, Lebenszufriedenheit oder die Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum von soziodemographischen Merkmalen der Befragten ab?
10.3.2. Bestehen Zusammenhänge zwischen Realisierung und Wunsch in den Aspekten der Privatheit und der Selbstaktualisierung?
10.3.3. Bestehen Zusammenhänge zwischen den Aspekten der Selbstaktualisierung und Privatheit untereinander?
10.3.4. Unterscheiden sich Realisierung und Wunsch der Selbstaktualisierung und Privatheit bezogen auf das Leben allgemein und das Jugendzentrum?
10.3.5. Bestehen Zusammenhänge zwischen Selbstaktualisierung und Privatheit und der Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum?
10.3.6. Bestehen Zusammenhänge zwischen Selbstaktualisierung und Privatheit und der Lebenszufriedenheit?
11. Interpretation der Ergebnisse

C. DISKUSSION UND AUSBLICK

D. ZUSAMMENFASSUNG

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG
1 Fragebogen

LEBENSLAUF

EINLEITUNG

Diese Diplomarbeit befaßt sich mit Tendenzen zur Selbstaktualisierung bei Jugendlichen. Selbstaktualisierung in einem weiteren Verständnis schließt nicht nur schöpferisches Tätigsein, sondern eher eine allgemeine für neue Erfahrungen offene und autonome Lebenseinstellung mit ein. Ich möchte den Wünschen von Jugendlichen und ihrer realen Lebenssituation in diesem Bereich auf den Grund gehen.

Diese Arbeit verfolgt auch ein bißchen das Ziel, dem negativen Bild, das in dem Medien oft von Jugendlichen gezeichnet wird, entgegenzuwirken. Jugendliche sind nicht nur konsumorientierte, passive Mitglieder unserer Gesellschaft, die unter den Folgen einer entsolidarisierten, kapitalistischen Gesellschaftsordnung leiden und wenn, dann durch destruktives Verhalten auf sich aufmerksam machen. Jugendliche versuchen wie in jeder Zeit auch heute nach eigenen, neu konstruierten Vorstellungen zu leben. Selbstaktualisierung wird als hoher Wert gehandelt. Wenn dies heute nicht so sichtbar ist, dann weil weniger Jugendliche zu Selbstaktualisierung in öffentlichen Tätigkeiten wie Engagement in politischen Gruppen neigen. Die Formen und Möglichkeiten zur Selbstaktualisierung haben sich in Anpassung an sich ändernde Zeiten gewandelt.

Die hohe Bedeutung von Gleichaltrigen für Jugendliche ist weithin bekannt. Dies steht im Gegensatz zur gängigen Theorie der Selbstaktualisierung, die besagt, daß Selbstaktualisierung durch Rückzug von der Gemeinschaft gekennzeichnet ist. Diese Theorie spricht allerdings Jugendlichen die Fähigkeit zur Selbstaktualisierung überhaupt ab. Es bleibt herauszufinden, ob Jugendliche in diesem Konzept unterschätzt werden. Möglicherweise können sich Jugendliche eine eigene Form der Selbstaktualisierung aufbauen, die in engem Zusammenhang mit der Gleichaltrigengruppe steht und so die beiden Aspekt Selbstaktualisierung und Gemeinschaft vereinigt. Meiner Ansicht nach würde diese Vereinigung eine große integrative Leistung darstellen, die für die Zukunft auf eine Gesellschaft, die weniger von Konkurrenzdenken und trotzdem von der Verwirklichung individueller Ideen geprägt ist, hoffen läßt.

Um dem Phänomen der Selbstaktualisierung mit allen Widersprüchlichkeiten genauer auf den Grund zu gehen wird das Verhältnis zwischen Wünschen und Realität der Jugendlichen untersucht.

In dieser Arbeit wird versucht, die Bedeutung der Umwelt für die Entwicklung des Einzelnen herauszustreichen, indem die Ergebnisse, die sich auf die allgemeine Lebenssituation der Jugendlichen beziehen, in Beziehung gesetzt werden zu Ergebnissen, die das Jugendzentrum betreffen. Individuum und Gesellschaft müssen meiner Ansicht nach in einer engen Wechselwirkung gesehen werden. In Jugendzentren wird diese Verantwortung wahrgenommen, es werden den Jugendlichen Räume und Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, um selbst aktiv zu werden.

Ich hoffe, ich kann mit dieser Arbeit auch dazu beitragen, daß Jugendzentren sich vom verbreiteten Image als Ort für „Problemjugendliche“ lösen können und in einer positiven Form als Kommunikationsort für Jugendliche, wo sie ihre Fähigkeiten und Wünsche ausleben können und, wenn sie es für notwendig halten, Unterstützung bekommen, wahrgenommen werden.

Die Ergebnisse dieser Arbeit können in diesem Sinne auch als eine Art Evaluation bezüglich der positiven und unterstützenden Funktionen eines Jugendzentrums interpretiert werden.

Abschließend möchte ich festhalten, daß trotz der in dieser Arbeit gewählten männlichen Bezeichnungen selbstverständlich auch Frauen und Mädchen angesprochen sind. Mir ist bewußt, daß diese Regelung sehr unsensibel gegenüber den Betroffenen sowie den Bemühungen um Gleichstellung von Frauen und Mädchen in allen Lebensbereichen ist. Ich habe diese Form jedoch in Ermangelung anderer einfach zu praktizierender Formen aus Bequemlichkeit gewählt.

KURZZUSAMMENFASSUNG

Auf dem Hintergrund entwicklungspsychologischer Konzepte und humanistischer Menschenbilder sollen Wunsch und Realisierung von Jugendlichen im Bereich der Selbstaktualisierung untersucht werden. Die Klärung des Zusammenhangs zwischen Selbstaktualisierung und Beziehung zur Peer-Gruppe wird versucht, die Lebenssituation allgemein und im Jugendzentrum verglichen und in Verbindung mit Lebenszufriedenheit und Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum gebracht.

150 Jugendliche in Wiener Jugendzentren wurden mittels Auszügen aus folgenden Fragebögen befragt: „Dimensions of Privacy Preferences“ von Marshall, „Braunschweiger Selbstaktualisierungsskalen“ von Bottenberg & Keller und Kuningesichter zur Erhebung der Lebenszufriedenheit und der Zufriedenheit mit dem Jugendzentrum.

Am auffälligsten beschreiben sich arbeitslose Jugendliche. Sie geben einen geringeren Wunsch nach Selbstaktualisierung an und empfinden sich als weniger selbstaktualisierend. Selbstaktualisierung wiederum steht für die Jugendlichen in engem Zusammenhang mit Lebenszufriedenheit.

Die hohe Bedeutung des Jugendzentrums für die Jugendlichen zeigt sich in den empfundenen großen Möglichkeiten zur Selbstaktualisierung und der hohen Zufriedenheit. Jugendzentren können besonders zwischen den Geschlechtern einen Beitrag zur Chancengleichheit leisten.

Die Ergebnisse lassen nur auf einen vagen Zusammenhang zwischen Selbstaktualisierung und Beziehung zur Peer-Gruppe schließen.

A. THEORETISCHER HINTERGRUND DER UNTERSUCHUNG

1. Das Jugendalter im Spiegel der Forschung

1.1. Jugendforschung

Die psychologische Erforschung des Jugendalters kann erst seit dem Ende des ersten Weltkriegs als organisierte wissenschaftliche Disziplin mit Breitenwirkung gesehen werden. Veränderungen der sozialen, familiären und psychologischen Bedingungen lassen sich als Einflußfaktoren auf die konzentrierte wissenschaftliche Beschäftigung erkennen. Als besonders relevante Komponenten erscheinen dafür einerseits die bürgerliche und proletarische Jugendbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts, die auf die Existenz und Probleme Jugendlicher aufmerksam machte und erstmals eine Art Jugendkultur schaffte, und andererseits die Ausdifferenzierung der wisenschaftlichen Psychologie sowie der Wunsch, psychologische Erkenntnisse auf alle Lebensbereiche auszudehnen (Janig, 1990).

Die klassische Jugendpsychologie hat unter diesen Voraussetzungen in den 20er und 30er Jahren das Konstrukt des klassischen bzw. normalen Jugendlichen geschaffen. Dieser Versuch ist durch eine negative Einstellung gegenüber Jugendlichen insgesamt, durch eine Abwehr des Sexuellen und durch eine Männlichkeitsideologie mit der entsprechenden Minderachtung der Frau gekennzeichnet (Janig, 1990).

Die Autoren befassen sich dabei mit Jugendlichen aus der bürgerlichen Mittelschicht, was nur auf ca. 10-15 % der Jugendlichen insgesamt zutraf. Sie sehen den Jugendlichen in einer individuumszentrierten Weise als unreifen und unfertigen Menschen (z.B. Spranger, 1924; zitiert nach Janig 1990). Der hohe Erwartungsdruck gegenüber Jugendlichen, der idealisierten Gestalt des von Jugendforschern entworfenen „normalen“ Jugendlichen, dem es sich nachzueifern lohnt, zu entsprechen, wird durch Verständnislosigkeit für ihre Probleme und das Fehlen realer Vorbilder noch verstärkt.

Zu Beginn der 50er Jahre ist die Auffassung von Jugend noch weitgehend durch psychologische Ansätze bestimmt, die in der Folge durch eine soziologische Betrachtungsweise abgelöst wird. Der Zusammenhang von Jugend und Gesellschaft wird dabei aus der Perspektive des gesellschaftlichen Systems analysiert. Schelsky (1957, zitiert nach Remschmidt, 1992) sieht die Ursache für Verhaltensunsicherheit und Orientierungsprobleme im Jugendalter im strukturellen Konflikt zwischen familiärem System und gesellschaftlich-öffentlichen Lebensbereichen.

Ab Mitte der 70er Jahre wurden Jugendliche mehr als handelnde Subjekte begriffen und eine interdisziplinäre Jugendforschung gefordert (Remschmidt, 1992).

In den letzten Jahrzehnten entstand in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen eine Jugendforschungstradition. Heute gibt es ein differenziertes Spektrum sozialwissenschaftlicher Jugendmodelle, die jeweils spezifische Sichtweisen einnehmen. Diese kommen der realen Lebenssituation Jugendlicher näher, sind aber auch von dem Umfeld, in dem sie entstanden sind, abhängig (Janig, 1990). Es besteht eine Tendenz zu konkreten Fragestellungen, die sich mit aktuellen Problemen Jugendlicher befassen. Im Moment findet nicht nur in der Jugendforschung eine starke und einseitige Ausrichtung auf den angloamerikanischen Kulturraum statt. Es stellt sich hierbei die Frage, ob die ökonomischen, bildungspolitischen und das Alltagsleben der Familien betreffenden Aspekte in Österreich mit denen in den USA vergleichbar sind (Janig, 1990). Es wird zunehmend interdisziplinär gerabeitet, es werden mehr qualitative Forschungsmethoden, mit denen grundsätzlich andere Fragestellungen als mit rein naturwisenschaftlichen Methoden bearbeitet werden können, verwendet.

Die gegenwärtige Jugendforschung wird von Ferchhoff (1990) hart kritisiert:

Seiner Ansicht nach hinkt sie bei der wirklichkeitsnahen Deutung von Jugendphänomenen zeitlich weit hinterher. Die Erkennnisse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen laufen häufig ins Leere. Er kritisiert die Versuche Jugendforschungsergebnisse in politischer, verbandlicher und ökonomischer Absicht zu funktionalisieren. Er meint, die Forschungsergebnisse können nicht zur direkten Lösung von Jugendproblemen beitragen.

1.2. Begriffsbildung

Im allgemeinen werden vier Begriffe zur Charakterisierung desselben Lebensabschnitts verwendet: Pubertät, Adolesezenz, Jugend und Jugendalter (Janig, 1990).

1.2.1. Pubertät

Darunter versteht man den auf die Kindheit folgenden Lebensabschnitt. Er erscheint vorwiegend durch biologische Phänomene - Reifungsvorgänge - gekennzeichnet. Dieser Begriff wird vor allem in der biologisch orientierten Psychologie bzw. Jugendforschung und in der psychoanalytischen Literatur in einer fest umrissenen Bedeutung verwendet (Janig, 1990).

Nach Remschmidt (1992) umschreibt das Wort Pubertät die biologischen und physiologischen Veränderungen, die mit körperlicher und sexueller Reifung verbunden sind. Die Pubertät beginnt mit dem Auftreten der Regelblutung bei Mädchen und mit der ersten Ejakulation bei Jungen. Dies findet nach Remschmidt (1992) mit etwa 12 Jahren bei Mädchen und ca. 14 Jahren bei Jungen statt. Diese Grenzen für den Beginn der Pubertät sind insofern umstritten, als daß bereits vor deren Eintreten puberale Veränderungen begonnen haben.

Manche Autoren (z.B. Schenk-Danzinger, 1990) unterscheiden zwischen Vorpubertät und Pubertät. Als Vorpubertät wird nach dieser Einteilung die Zeitspanne zwischen dem ersten Auftreten der sekundären Geschlechtsmerkmale und dem ersten Funktionieren der Geschlechtsorgane im Sinne der Periode oder des Samenerguß bezeichnet. Die Pubertät beginnt mit dem Erwerb der vollen Fortpflanzungsfähigkeit. Unterschiede zwischen Vorpubertät und Pubertät werden teils quantitativer Art als graduelle Abstufungen in einzelnen, in beiden Phasen wichtigen Entwicklungsbereichen wie zunehmende Ablösung von der Familie und Zunahme außerfamiliärer Gruppenkontakte gesehen. Teils werden sie aber auch als qualitative Verschiedenheiten betrachtet, so wie das Fehlen der sexuellen Not in der Vorpubertät im Gegensatz zur Pubertät. Andere qualitative Unterschiede sind das Fehlen der Introspektion als Basis der Selbstfindung sowie das Fehlen einer Blickrichtung in die Zukunft, die Lebensplanung ermöglicht, in der Vorpubertät im Gegensatz zur Pubertät (Schenk-Danzinger, 1990). Die psychischen Reaktionen und Veränderungen werden nicht nur im direkten Zusammenhang mit den körperlichen Veränderungen und Hormonen, sondern auch soziokulturell als Reaktion auf das Bewußtwerden der körperlichen Geschehnisse und das veränderte Verhalten der Umwelt interpretiert.

1.2.2. Adoleszenz

In der psychoanalytischen Theorie bezeichnte Adoleszenz die psychische Bewältigung der Geschlechtsreifung und die Anpassung der Persönlichkeit des Kindes an die Pubertät, worunter wie schon zuvor erwähnt die biologischen Reifungsvorgänge verstanden werden (Bernfeld, 1938, zitiert nach Janig, 1990). In Anschluß an die psychoanalytische Theorie der Pubertät und Adoleszenz, körperliche Veränderungen geben den Anstoß für alle folgenden psychischen Wandlungen, bezeichnet Remschmidt (1992) die Pubertät als Beginn der Adoleszenz. Er setzt die Adoleszenz zwischen 12 bzw. 14 und 25 Jahren an. Die Grenzen sind jedoch als zeitlich unscharf zu betrachten. Besonders die obere Grenze wird zunehmend durch soziale Merkmale definiert.

Nach Remschmidt (1992) muß diese Zeit mehrdimensonial betrachtet werden.

Ein solcher umfassenderer Adoleszenzbegriff bezeichnet biologisch gesehen die Gesamtheit der somatischen Veränderungen, wobei die körperliche Entwicklung und die sexuelle Reifung am auffälligsten sind. Psychologisch gesehen beinhaltet die Adoleszenz die Gesamtheit der individuellen Vorgänge, die mit Erleben, Auseinandersetzung, Bewältigung der somatischen Wandlungen und den sozialen Reaktionen darauf verbunden sind. Soziologisch betrachtet ist die Adoleszenz ein Zwischenstadium, in dem die Betroffenen die biologische Geschlechtsreife erreicht haben, ohne in Besitz der allgemeinen Rechte und Pflichten gekommen zu sein, rechtlich bedeutet sie eine Zunahme von Teilmündigkeiten (Remschmidt, 1992).

Diese allgemeine Charakterisierung der Adoleszenz wird von verschiedenen Theorien je nach deren Ausgangspunkt abgewandelt. Weitgehend anerkannt ist es, die Adoleszenz in mehrere Stadien zu unterteilen. Nach Remschmidt (1992) ist eine Unterteilung in zumindest zwei Phasen sinnvoll. Die erste Phase ist durch die somatischen, psychischen und psychosozialen Veränderungen gekennzeichnte. Die Jugendlichen nehmen eine Zwischenstellung ein. Sie haben den Status der Kindheit verloren, in der Kultur der Jugendlichen jedoch noch nicht Fuß gefaßt. Die Vorstellungen vom Leben als Jugendlicher oder erwachsener sind noch unrealistisch. In der zweiten Phase kommt es zu einer Reorganisation der Persönlichkeit. Die Verunsicherung nimmt ab, Orientierung wurde gewonnen, Kontakt zu Gleichaltrigen gefunden und der Status der Kindheit größtenteils abgestreift. Die Identitätsfindung mit ihren Schwierigkeiten steht im Zentrum, es kann zu Auseinandersetzungen mit den Strukturen der Gesellschaft kommen (Remschmidt, 1992).

Die Adoleszenz kann entweder als Übergangs- oder als eigenständige Phase betrachtet werden, wobei neuere Erkenntnisse eine Betrachtung der Adoleszenz als eigenständige Phase nahelegen. Jugendliche sollen nicht nur unter dem Blickwinkel des noch nicht realisierten Erwachsenenstatus, sondern als Gruppe mit spezifischen Bedürfnissen und Problemen betrachtet werden (Remschmidt, 1992). Adoleszenten haben phasenspezifische Normen, Einstellungen, Verhaltensweisen, Gesellungsformen, Rollenverhalten und Konflikte (Erikson, 1965; Eisenstadt, 1966; zitiert nach Remschmidt, 1992).

1.2.3. Jugend und Jugendalter

In der Jugendforschung herrscht nach Janig (1990) eine Uneinigkeit in der Begriffsverwendung. Jugend, Jugendalter und Adoleszenz bezeichnen zusammenfassend betrachtet dasselbe Phänomen. Die Begriffe Jugend und Jugendalter werden seiner Ansicht nach häufig in der Soziologie synonym mit dem Begriff der Adoleszenz, der häufiger in der Psychologie verwendet wird, zur Beschreibung dieses spezifischen Lebensabschnitts verwendet. Von der Richtung der Forschung hängt auch die Schwerpunktsetzung innerhalb der Definition ab. Adoleszenz scheint enger in Verbindung mit biologischen Veränderungen bzw. mehr als Folge derselben gesehen zu werden als Jugend und Jugendalter.

Jugend ist kein natürliches Ereignis körperlicher oder innerpsychischer Reifungsprozesse, das zwangsläufig auf die Kindheit folgt, sondern ein sozial determinierter Tatbestand in Verbindung mit sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen (Lenz , 1989). Dementsprechend sind auch die Definitionen durch das Umfeld der betreffenden Jugendlichen, den Zweck ihrer Erstellung, dem wissenschaftlichen Kontext des Forschers und sein Weltbild geprägt (Janig, 1990).

Definitionsgemäß kann Jugend kann als lebensgeschichtliches Phänomen im Sinne eines Lebensabschnitts und als soziokulturelle Teilpopulation mit kultureller, ökonomischer und politscher Bedeutung und mit dem Alter als Abgrenzungskriterium gesehen werden.Zwei Formen der inhaltlichen Bestimmung sind in der Jugendforschung bedeutsam, nämlich zum einen die inhaltliche Bestimmung in Abgrenzung von Kindheit und Erwachsenenalter, deren Definition dem Begriff der Adoleszenz ähnelt. Die Übergänge werden einerseits durch das Kriterium der Geschlechtsreife, andererseits durch Berufseintritt und Heirat markiert Insgesamt ist kritisch anzumerken, daß diese Definition an der männlichen Normalbiographie orientiert ist (Lenz, 1989). Die andere Form der inhaltlichen Bestimmung ist die Angabe einer bestimmten Altersgrenze.

Lenz (1989) stellt fest, daß die Jugendphase keine eindeutigen Anfangs- und Endpunkte aufweist, sondern daß die Übergänge in Teilschritten, in unterschiedlichem Lebensalter und unterschiedlicher Reihenfolge erfolgen.

1.3.Geschichte der Jugend

Ein Rückblick auf die Geschichte und die verschiedenen Auffassungen der Adoleszenz besonders im Laufe der eurpäischen Geschichte kann zu einem besseren Verständnis der Adoleszenz und ihrer Probleme heute beitragen (Remschmidt, 1992). Generationsgestalten, deren Angehörige sich Phasen sensibler Prägung durch ähnliche habituelle Lebensgefühle verbunden fühlen, können helfen, die Vielfalt der erscheinungsweisen von Jugend in einer historischen Epoche auf den Punkt zu bringen (Ferchhoff, 1990). Gemeinsamkeiten der Jugendphase in verschiedenen Zeitepochen helfen Überbewertungen nur epochaler Kennzeichen des Verhaltens von Jugendlichen zu verhindern, Unterschiede lassen gesellschaftliche und psychologische Hintergründe der Adoleszenz erkennen.

Die Existenz einer allgemeinen Jugendphase setzt zwei gesellschaftliche Phänomene voraus. Zum einen werden die beruflichen und sozialen Anforderungen an Erwachsene höher, sodaß eine qualifizierte Ausbildung nötig ist. Zum anderen müssen die Kosten für die Unterhaltung bzw. Ausbildung einer Generation getragen werden können. Nach Remschmidt (1992) trifft beides nur in industrialisierten Gesellschaften und nur in neuester Zeit zu, wobei teilweise noch immer soziale und Geschlechtsunterschiede wirksam werden. Vorher waren mit Jugend ausschließlich männliche Angehörige der Oberschicht gemeint.

1.3.1. Historische und psychohistorische Daten zum Jugendalter

Die Geschichte der Jugend in der Antike meint insbesondere die Geschichte der Jugendlichen in Griechenland, wo sich eine Jugendphase innerhalb der städtischen Kultur bei freien Bürgern ausbhildet. Es kommt zu einer Gliederung des Lebenslaufs in verschiedene Stufen und zu einer Polarisierung von Jung und Alt, wobei Menschen im mittleren Alter die positiven Eigenschaften beider Gruppen zugeschrieben werden (Remschmidt, 1992). Der damalige Jugendbegriff ist mit dem heutigen nicht vergleichbar. Es handelt sich dabei um Männer zwischen 18 und 20 Jahren, die von der Arbeit befreit sind, um sich Bildung und Kultur zu widmen.

Im Mittelalter ist die Stadtkultur ab dem 10. und 11. Jahrhundert die wichtigste Voraussetzung für die Entstehung einer Jugendphase. Unter Jugend wird je nach sozialem Stand etwas anderes verstanden. Die Spezialisierung von Kunst und Handwerk sowie die Vorbereitung auf das Rittertum macht eine längere Ausbildungund in diesem Sinne eine Jugend erforderlich. Das Leben der unteren Schichten läßt hingegen keinen Raum dafür (Remschmidt, 1992).

Ende des 17. Jahrhunderts tauchen die Begriffe Familie und Kindheit in heutigem Sinn erstmals auf. In den oberen Schichten findet sich eine ansatzweise Grenzziehung zwischen Kind und Erwachsenen. Im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft wird Jugend durch die allgemeine Schulpflicht und die Entstehung der bürgerlichen Familie, in der die Kinder immer länger verweilen, bestimmt.

In der Aufklärungszeit wird Jugend als allgemeine Entwicklungsphase gesehen. Sie wird idealisiert als Stadium der Nichtentfremdung im Gegensatz zum Zustand der Gesellschaft stehend. Während in der Kindheit Ausleben der Leiblichkeit und ähnliches wichtig sind, tritt der Jugendliche in eine Welt des Gefühls und des Geschlechtlichen ein. Lebensthematik wird die Beziehung zu den Menschen. Durch die Auseinandersetzung mit der menschlichen Welt wird der Jugendliche ein wahrer Mensch.

Mit der Industrialisierung und Verstädterung seit Ende des 19. Jahrhunderts wird Jugend ein universelles Phänomen. Langsam und teilweise werden auch Mädchen miteinbezogen.

In der Position des Vaters in der bürgerlichen Familie und im Vater-Sohn-Verhältnis spiegelt sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die durch äußere Umstände bedingte Funktionsänderung der Familie in Hinblick auf die wirtschaftliche Produktion und auch bezüglich ihrer Erziehungs-, Ausbildungs- und Sozialisationsfunktionen und das gleichzeitige Nachhinken der psychosozialen Muster in der innerfamiliären Kommunikation wider. Diese zu erzieherischen Übergriffen führende Situation hat in der Jugendbewegung den Protest einer ganzen Jugendgeneration herausgefordert (Janig, 1990).

Aus der anderen Lebenssituation in den Arbeiterfamilien bildet sich das zahlenmäßig starke jugendliche Arbeiterproletariat heraus. Die Bindung an die industriellen Arbeitsverhältnisse zur eigenen Existenzsicherung verhindert den Zugang dieser Jugendlichen zu bürgerlicher Bildung und damit weiterem sozialen Aufstieg und verbesserten ökonomischen Bedingungen.

Die bürgerliche und proletarische Jugendbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts ist ein Ausdruck des Widerstands gegen eine Erwachsenengesellschaft, die sich den geänderten Werten und Normen nicht angepaßt hat (Janig, 1990). Die zahlenmäßig geringen Jugendlichen in Jugendbewegungen hoffen, ein Leben mit jugendspezifischen Rechten und Raum für eine eigenständige Persönlichkeitsentfaltung zu finden.

Nach dem ersten Weltkrieg werden Jugendliche rechtlich und sozial besser gestellt. Sie werden als Gruppe räumlich und zeitlich immer stärker separiert, eine gewisse Angleichung der Schichten in diesem Alter findet statt.

In der Hitlerjugend wird die Jugend als Gruppe außerhalb der jeweiligen Familienzugehörigkeit gesellschaftlich integriert (Remschmidt, 1992).

Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts kommt es nach Bauer (1991) zu einem weiteren Funktionsverlust der Familie als zentrale Sozialisationsinstanz. Für Jugendliche ergeben sich seit dieser Zeit immer früher Entfaltungsräume in der Gruppe der Gleichaltrigen. Sie sind weniger auf die Familie angewiesen, um soziale Erfahrungen zu machen. Sie haben innerhalb der Familie mehr Privatsphäre. Zeiten rezeptiver, praxisentzogener Lernprozesse dehnen sich aus, schulische Muster werden zu einer zentralen Sozialisationsinstanz. Das führt zu einer jugendlichen Teilkultur, aus der sich verschiedene, nach Inhalten und Stilen variierende Subkulturen entwickelt haben.

In den 70er Jahren entstehteine vielfältige Alternativkultur als Reaktion auf die unterbleibene Gesellschaftsreform. Durch den Wunsch, zumindest die eigene Lebenswelt nach eigenen Vorstellungen zu gestalten hat sich die Jugend zunehmend differenziert und ihre Eigenständigkeit als Sozialgruppe untermauert. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen ist zugunsten der Auseinandersetzung mit der eigenen Person in den Hintergrund geraten (Remschmidt, 1992).

Heute ist der erfolgreiche Einstieg ins Berufsleben durch schulische Qualifikation nicht gewährleistet. Jugend ist nicht mehr die Zeit der Freiheit, sondern der Ambivalenz. Kindliche Abhängigkeit und erwachsenen Autonomie überlagern sich. Größere persönliche Freiheit wird durch formale Begrenzungen und Konkurrenz um Ressourcen eingeschränkt. Cliquen bieten in einer durch Wertediffusion und raschen gesellschaftlichen Wandel gekennzeichneten Umgebung Identifikationsmöglichkeiten gegen die Unsicherheit und Vehikel zur Identitätssuche (Bauer, 1991). Sowohl in arbeits- als auch in kulturorientierter Perspektive herrscht eine Vielfalt der Lebensstile. Es kommt zu einer Entstrukturalisierung und Entstandartisierung der Jugendphase.

1.3.2. Strukturwandel der Jugendphase

Der Begriff des Strukturwandels bezeichnte Entstandartsisierung, Pluralisierung und Individualisierung der Jugendphase, was besonders in den urbanen Zentren stattfindet. Es kommt zu einer Homogenisierung von individuellen Lebensbedingungen über soziale Schichten und Geschlechtszugehörigkeit hinweg, bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung von möglichen Lebensformen und sukzessiver Erosion ehemals verbindlicher sozialer und kultureller Lebenszusammenhänge (Ferchhoff, 1990, Lenz, 1989). Das trägt Gefahren der Isolation und Orientierungslosigkeit und Chancen der Veränderung und Selbstgestaltung von Lebensräumen in sich (Böhnisch, 1990).

Die Autoren (Bauer, 1991; Böhnisch, 1990; Ferchhoff, 1990; Janig, 1990; Lenz, 1989) sind sich darüber einig, daß es die Jugend als Ganzes nicht gibt. Je allgemeiner eine Aussage „die Jugend“ meint, desto vager wird sie für den einzelnen Jugendlichen sein (Bauer, 1991). Es bestehen große Unterschiede zwischen Jugendlichen und ihren Lebenslagen.

Trotz dieser Einwände hat der Generationenbegriff und der Vergleich von Generationen auch heute noch eine teilweise Berechtigung, da sich durch die Zugehörigkeit zu einer Generation trotz der Unterschiede zwischen Jugendlichen besondere, prägende Lebensbedingungen, Erfahrungsbereiche und Grunderfahrungen ergeben (Ferchhoff, 1990; Lenz, 1989). Es darf dabei nicht vergessen werden ,daß sich die Jugendlichen mit diesen Erfahrungen unterschiedlich auseinandersetzen, und sich Generationen daher immer aus unterschiedlichen Generationseinheiten zusammensetzen.

Ein Gesamtbild von Jugend negiert besonders die mit dem Geschlecht und der sozialen Herkunft der Jugendlichen verbundenen Unterschiede (Lenz, 1989). Nach Lenz (1989) ist der Modell-Jugendliche immer männlich. Die Sozialgeschichte der Jugend zeigt aber starke Differenzen zwischen den Geschlechtern, die auch durch die unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens mitverursacht wurden bzw. werden.

Viele Autoren (z.B. Böhnisch, 1990; Ferchhoff, 1990; Lenz, 1989) stimmen überein, daß die sozial vorgegebenen Differenzierungen in der Gegenwart im Zuge der Entstrukturalisierung der Jugendphase jedoch an Bedeutung verlieren. Auch milieuspezifischer Besonderheiten wie soziale Herkunft, Kofessionen oder regionale Unterschiede lösen sich zunehmend auf. Gleichzeitig mit diesen Homogenisierungstendenzen kommt es aber zu einer weiteren Pluralisierung und Ausdifferenzierung von Lebensformen. Die Unterschiedlichkeit von Jugendlichen besteht nicht mehr durch zugewiesene, soziale Merkmale, sondern hat sich auf die kulturelle Ebene der verschiedenen, individuell wählbaren Lebenskonzepten verlagert (Lenz, 1989). Dieser Prozeß findet nach Ferchhoff (1990) seit den 50er Jahren statt und ist in einen allgemeinen, gesellschaftlichen Individualisierungsprozeß eingebettet und geht mit gesellschaftlichen Wandlungen in ökonomischen und soziokulturellen Bereichen einher.

Es kommt im Rahmen des hohen materiellen Lebensstandarts und des Sozialstaats zur Freisetzung des Individuums aus traditionellen Sozialmilieus und Lebensformen (Lenz, 1989). Die gesellschaftlichen Deutungsmuster der eigenen Existenz werden in den Hintergrund gedrängt (Böhnisch, 1990). Diese Veränderung der Sozialstrukturen kann als Schaffung von Freiräumen aber auch als Verlust traditionell gewachsener Sicherheiten verstanden werden.

Zusätzlich zu den Veränderungstendenzen innerhalb der Lebensphase Jugend schiebt sich nach Ansicht einiger Autoren (Zinnecker, 1981, zitiert nach Lenz, 1989) eine neue Lebensphase zwischen Jugend und Erwachsenenleben, nämlich die Postadoleszenz bzw. Nachjugendphase. Damit sind Menschen gemeint, die nach der Jugendzeit als Schüler nicht ins Erwachsensein, sondern in eine Nachphase des Jungseins übertreten. Sie verselbständigen sich in soziokultureller Hinsicht nicht aber wirtschaftlich. Nach Zinnecker (1981, zitiert nach Lenz, 1989) kommt es durch die Verlängerung von Schul- und Ausbildungszeiten, durch

Arbeitslosigkeit und verselbständigte Szenen in den Großstädten zur Ausbildung der Postadoleszenz. Das Konzept der Postadoleszenz wird kontrovers diskutiert. Hauptkritikpunkt daran ist die Tatsache, daß das Spektrum der Lebenskonstellationen zu heterogen ist, um von einer einheitlichen Lebensform der Postadoleszenz sprechen zu können (Hurrelmann, 1986, zitiert nach Lenz , 1989).

Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Jugend sowohl in horizontaler (Stellung im Lebenszyklus) als auch in vertikaler (gesellschaftliche Differenzierungen) Perspektive so heterogen ist wie die Gesellschaft, der sie angehört (Ferchhoff, 1990). Jugend heute nach diesem Strukturwandel kann nur mehr im Plural betrachtet werden. Viele verschiedene Jugendliche leben nach verschiedenen Lebenskonzepten

1.4. Verschiedene Theorien der Jugend und Adoleszenz

Die Phase der Jugend und Adoleszenz wurde zu verschiedenen Zeiten in Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Situation unterschiedlich beurteilt. Das Bild der Jugend und Adoleszenz ist heute sehr differenziert, und es ist fraglich, ob es überhaupt möglich ist, das gesamte Detailwissen in eine Theorie zu integrieren. Allgemeine theoretische Ansätze zur Jugendphase tendieren dazu, entweder einen Gesichtspunkt unzulässig zu verallgemeinern oder die Situation einer kleinen Gruppe von Jugendlichen zur allgemeingültigen Theorie zu erheben (Remschmidt, 1992). Einige theoretische Ansätze zur Adoleszenz werden im folgenden vorgestellt:

1.4.1. Biogenetische Theorien

Bogenetische Theorien sehen Entwicklung als Entfaltung von Anlagen. Entwicklung vollzieht sich gesetzmäßig, in Form von aufeinanderfolgenden und aufeinanderaufbauenden Entwicklungsstufen. Diese Vorstellungen sind stark von biologischen Modellvorstellungen geprägt. Biogenetische Theorien gehen von den Grundannahmen der endogenen Steuerung der Entwicklung, der Entwicklung als diskontinuierlicher, irreversibler Stufenfolge und der Betonung von Reifungsprozessen, wodurch Entwicklungsart und -geschwindigkeit determiniert sind, Aus (Trautner, 1978, zitiert nach Remschmidt, 1992).

Zusätzlich zu den biogenetischen Theorien der Adoleszenz, die von Stufen und Phasen ausgehen, gibt es auch biogenetische Wachstumsmodelle der Adoleszenz, die einen kontinuierlichen Entwicklungsablauf annehmen. Diese Theorien begründen sich in den biologischen Gegebenheiten des Körperwachstums und der Wachstumsgeschwindigkeit. Der Wachstumsbegriff umfaßt Funktionsveränderungen wie etwa im körperlichen, intellektuellen, psychomotorischen oder Gedächtnisbereich über die Zeit. Beobachtungen werden im Längschnitt aufgezeichnet. Nach diesen Theorien ist der Zuwachs im Rahmen verschiedener Fähigkeiten und Funktionen in der Adoleszenz sehr stark, zugleich wird der Höchststand erreicht (Remschmidt, 1992).

Kritisch ist anzumerken, daß biogenetische Theorien zu stark von somatischen Gegebenheiten ausgehen und diese unzulässig verallgemeinern. Das Stufenkonzept kann in heutigen Untersuchungen nicht bestätigt werden. Möglicherweise unterliegen die Stufen einem starken soziokulturellen Wandel, sodaß sie heute gar nicht mehr erwartet werden können (Remschmidt, 1992).

1.4.2. Psychoanalytische Theorien

In der klassischen Psychoanalyse nach Sigmund Freud (19.., zitiert nach Remschmidt, 1992) ist der Beginn der Adoleszenz durch die Freisetzung libidinöser Energien gekennzeichnet. Im Laufe der Adoleszenz lernt der Jugendliche, diese Kräfte mit Hilfe der Abwehrmechanismen zu kanalisieren. Das Ich kann sich durch die Abwehrmechanismen vor einer Überflutung durch Kräfte des Es schützen und so einen Anpassungsprozeß herbeiführen.

Die klassische Psychoanalyse sieht den wesentlichen Entwicklungsvorgang in der Adoleszenz in der Entstehung eines Gleichgewichts zwischen Ich-Funktionen und Triebkräften. Diese Theorie hat stark biologische Wurzeln, soziale Momente werden nur im Sinne der Möglichkeit der Übertragung libidinöser Energien auf andere Personen berücksichtigt (Remschmidt, 1992).

In neoanalytischen Weiterentwicklungen steht die Bedeutung der Ich-Funktionen im Vordergrund, soziale Einwirkungen auf den Jugendlichen werden stärker einbezogen. Neoanalytische Theorien ähneln dem Kozept der Coping-Strategien in der kognitiven Psychologie. Coping-STrategien werden in der Psychoanalyse als bewußte Ich-Prozesse aufbefaßt (Remschmidt, 1992).

Die Individuations- und Identitätstheorien sehen die Adoleszenz als eine Wiederauflage der Auseinandersetzung mit der frühen Kindheit. Die Persönlichkeit ist in beiden Individuationsprozessen sehr verwundbar, es besteht das Bedürfnis, sich zu verändern. Bei Nichtbewältigung der Entwicklungsanforderungen treten pathologische Symptome auf Die Jugendlichen finden ihr Selbst in Abhebung von konformistischen Verhaltensweisen anderer.

Dieses Modell kann viele typische Verhaltensweisen Jugendlicher erklären, ist jedoch insgesamt mehr an theoretischen Annahmen als an empirischen Befunden orientiert. Nach Remschmidt (1992) waren Blos (1967, 1968, 1973) und Erikson (1965, 1971, beide zitiert nach Remschmidt, 1992) die wichtigsten Forscher auf diesem Gebiet.

1.4.3. Psychologische Theorien

Diese Theorien befassen sich aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Adoleszenz. Bei allen psychologischen Theorien zur Entwicklung im allgemeinen und zur Adoleszenz im besonderen spielen Lernprozesse eine große Rolle (Remschmidt, 1992). Da die verschiedenen Lerntheorien jedoch nicht zu einer eigenen Konzption der Adoleszenz geführt haben, werden sie im folgenden nicht ausdrücklich dargestellt:

Nach dem biographisch-deskriptiven Ansatz vollzieht sich die Entwicklung in der Adoleszenz kontinuierlich, stetig und unter Einfluß der jeweiligen Umgebung. Der Übergang zum Erwachsenendasein mit seinen typischen Konflikten und Lösungen wird am besten durch das Studium der menschlichen Bographie über längere Lebensspannen hinweg, untersucht. Das eigene Erleben ist für das Verhalten und jede Art der Problemlösung von höchster Relevanz. Bewältigungsstrategien formen sich an der Art und Qualität der Belastungen und unter Berücksichtigung der eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Nach Thomae (1984, zitiert nach Remschmidt, 1992) ist Bewältigungsverhalten thematisch strukturiert. In der Auseinandersetzung mit Entwicklungsaufgaben werden bestimmte Daseinstechniken wie beispielsweise Anpassungstechniken angewendet. Es kommt zu einer typischen, sowohl von der Persönlichkeit als auch von der Umwelt abhängigen Lösung.

Für die Adoleszenz typische Themen sind regulative Thematik, antizipatorische Regulation, Daseinsseigerung bzw. Aktivation, soziale Inegration, soziale Abhebung, Kreativität und Selbstverwirklichung sowie normative Technik. Häufige Reaktionsformen in der Adoleszenz sind Leistung, Widerstand, verschiedene Anpassungsformen und die Pflege von sozialem Kontakt.

Der Ansatz der Feldtheorie der Adoleszenz geht nach Remschmidt (1992) auf Lewin (1967) zurück. Das Verhalten des Einzelnen ist dabei eine Funktion der Person und ihrer Umgebung, wobei Person und Umgebung wechselseitig voneinander abhängig sind. In der Adoleszenz gerät der Jugendliche in eine Zwischenstellung zwischen dem gesicherten Lebensraum des Kindes und dem Raum als Erwachsener. Er ist Marginalperson bzw. Außenseiter. Die Entwicklung im Lebensraum in der Adoleszenz beinhaltet die Ausweitung und zunehmende Differenzierung des Lebensraums in Hinblick auf Größe und Umfang des Feldes, Differenzierung und zeitliche Perspektive. Zwischen den Elementen des Lebensraum bildet sich eine Ordnung heraus, und im Hinblick auf eine bessere Einstellung auf die Anforderungen der Umwelt wird die Organisation des Lebensraums weniger rigide.

Für das Konzept der Feldtheorie ist es unerheblich, ob Verhaltensweisen ehre umwelt- oder anlagebedingt sind.

Kognitive Ansätze beziehen sich auf die Entwicklungtheorie nach Piaget (1948, zitiert nach Remschmidt, 1992), die die Wandlung und Weiterentwicklung kognitiver Prozesse betont und großen Wert auf Anpassungsleistungen, die durch Prozesse der Akkomodation und Assimilation erklärt werden, legt. Weitere Ausgangspunkte der kognitiven Theorien zur Adoleszenz sind einerseits die Streß- und Belastungsforschung und andererseits das Konzept der Entwicklungsaufgaben nach Havinghurst (1972, zitiert nach Remschmidt, 1992).

Die Belastungen der Adoleszenz sind durch die notwendige Bewältigung der alterstypischen Entwicklungsaufgaben gegeben. Coping-Prozesse setzen ein, wenn Gefährdungen an das Individuum herangetragen werden (Lazarus, 1966, 1980, zitiert nach Remschmidt, 1992), das herkömmliche Verhaltensrepetoire erschöpft und eine neue Verhaltensweise nötig ist, um die Situation konstruktiv zu bewältigen. Adoleszenz läßt sich so als Phase, in der es aufgrund entwicklungpsychologischer Gegebenheiten zu einer besonderen Aktivierung von Coping-Prozessen kommt, die zugleich ein Stimulus für Weiterentwicklung sind, auffassen (Remschmidt, 1992).

Die Fokaltheorie der Adoleszenz beruht auf den Forschungen von Coleman (1974, 1980, zitiert nach Remschmidt, 1992), der versucht, verschiedene theoretische Ansätze zu integrieren. Die Überbewertung einzelner Aspekte in den erschiedenenTheorien zur Adoleszenz versucht er zu überbrücken, indem er davon ausgeht, daß jeweils bestimmte Probleme oder Beziehungsmuster in verschiedenen Aletrsstufen in den Mittelpunkt treten, daß jedoch kein Problem oder Beziehungsmuster für eine Altersstufe spezifisch ist. Die Problemkreise überlappen sich, es entstehen individuell verschiedene Varianten.

Eine Übergeneralisierung wie in anderen Theorien wird durch die mögliche Variation des Problemfokus bezogen auf einzelne Altersgruppen und Individuen vermieden, Individuelle Varianten bezüglich aller Aspekte der Problemkreise sind jederzeit möglich.

Im Normalfall wendet sich der Jugendliche immer nur einem Problemkreis zu, der Prozeß der Anpassung in der Adoleszenz zieht sich daher längere Zeit hin, und die Belastungen verteilen sich und können angemessen bewältigt werden. Bei pathologischen Entwicklungsverläufen treten aus verschiedenen im körperlichen und psychischen Bereich liegenden Gründen mehrere Problemkreise zur gleichen Zeit auf. Die Belastungen summieren sich und die Anpassungsfähigkeit des Einzelnen wird überfordert (Remschmidt, 1992).

1.4.4. Soziologische Theorien

In soziologischen Ansätzen liegen die wichtigsten Determinanten für die Entwicklung im Jugendalter in der Umwelt des jeweiligen Individuums. Jugendliche werden durch die jeweilige Gestaltung der Gesellschaft beeinflußt und sind ein Abbild der gesellschaftlichen Lagen.

Nach Coleman (1984, zitiert nach Remschmidt, 1992) sind soziologische Theorien der Adoleszenz durch Konzentration auf Rollen, Interesse an der Entwicklung des Selbst und Interesse am Prozeß der Sozialisation gekennzeichnet.

In rollentheoretischen Ansätzen ist nach Elder, Borgatta & Lambert (1968, zitiert nach Remschmidt, 1992) Entwicklung durch Aufbau und in weiterer Folge Differenzierung eines Rollenrepertoires, das ein wichtiger Teil des Selbst ist, gekennzeichnet. Eine Rolle wird hierbei als zusammenhängende Folge von Verhaltensweisen, die auf die Verhaltensweisen anderer Personen abgestimmt sind, definiert. Rollen sind infolgedessen durch die jeweilige soziokulturelle Umgebung bestimmt, Rollenübernahme und Status dem sozialen Wandel unterworfen. In den letzten Jahren wird der interaktionstheoretische Ansatz, also Wechselbeziehungen zwischen dem Adoleszenten und den intra- oder extrafamiliären Bezugspersonen betont.

In der Adoleszenz ist die Binnendifferenzierung von Rollen notwendig, um den adoleszenztypischen Entwicklungsaufgaben gerecht zu werden und entspricht den gesellschaftlichen Erwartungen. Die Neuübernahme von Rollen ist infolge der ausgeprägten Veränderungen in der Adoleszenz im Vergleich zur Kindheit schwierig, was durch das Fehlen klar definierter Erwartungen der Gesellschaft für die Adoleszenz verstärkt wird.

Die handlungstheoretische Theorie der Adoleszenz basiert auf der interaktionsorientierten Handlungstheorie von Mead (1968, zitiert nach Remschmidt, 1992). Handlungstheoretische Ansätze verstehen Handeln als bewußtes, zielgerichtetes, geplantes und beabsichtigtes Verhalten eines Menschen (Heitmeyer & Hurrelmann, 1988, zitiert nach Remschmidt, 1992). Die Beziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft sind wechselseitig. Interaktives Handeln, also wechselseitige Beeinflussung, und kommunikatives Handeln, also gemeinsame Verständigungsmuster, sind für das Jugendalter wichtig und spezifisch. Der Aufbau neuer Handlungskompetenzen durch die gestaltende Kraft des Individuums in der Auseinandersetzung mit der inneren und äußeren Realität kennzeichnet die Adoleszenz. Der Aufbau selbst geschieht durch aktive, konstruktive und kreative Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen. Die neu erworbenen Handlungskompetenzen erschließen neue Handlungsräume in der Gesellschaft.

Die Handlungstheorien greifen insgesamt stark auf psychologische Konzepte zurück, beachten aber den gesellschaftlichen Aspekt mehr.

Sozialökologische Ansätze meinen, daß objektive Umgebungsmerkmale ebenso wichtig sind wie subjektive Vorgänge oder das Erleben dieser Umgebung durch das Individuum. Nach Bronfenbrenner (1977, zitiert nach Remschmidt, 1992) ist Entwicklung als ständiges Wechselspiel zwischen dem menschlichen Organismus und der sich ebenfalls permanent verändernden Umwelt zu sehen. Dabei lassen sich verschiedene Ebenen des Ökosystems unterscheiden. Das Mikrosystem umfaßt die unmittelbare Umgebung, das Mesosystem die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Lebensbereichen. Das Exosystem besteht aus gesellschaftlichen Institutionen, in denen das Individuum nicht mehr enthalten, aber seinen Einwirkungen ausgesetzt ist. Das Makrosystem bezeichnet die in einer Gesellschaft herrschenden kulturellen und subkulturellen Normen und Ideologien.

Die sozialökologische Theorie ist sehr allgemein und bezieht sich nicht speziell auf das Jugendalter, sie hat bisher noch wenig empirische Stützung erfahren (Remschmidt, 1992).

1.5. Was ist Entwicklung?

Entwicklungspsychologische Untersuchungen können sich nicht auf das Kindes- und Jugendalter beschränken, da Entwicklung ein lebenslanger Prozeß ist. Erfahrungen und Krisen in späterem Alter sind oft durch Erlebnisse in Kindheit und Jugendalter mitbestimmt. Auch in bestimmten Bereichen wie beispielsweise Intelligenz vollziehen sich das ganze Leben lang Veränderungen in Abhängigkeit von Anforderungen der Berufs- und Lebenswelt (Rollett, 1991).

1.5.1. Konzepte zur Entwicklung

Es gibt viele Erklärungsprinzipien von Entwicklung. Die bekanntesten sind die reifungstheoretische, die milieutheoretische und die interaktionstheoretische (der Mensch als aktiver Erkunder) Erklärung.

1.5.1.1. Vererbungstheoretischer Ansatz: Entwicklung als Reifeprozeß

Mit Reifung bezeichnet man Entwicklungsveränderungen, die sich aufgrund biologischer Wachstumsprozesse vollziehen. Unter folgenden Bedingungen ist eine reifungstheoretische Erklärung wahrscheinlich:

- universelles, kulturübergreifendes Auftreten
- Bindung der Entwicklung an einen zeitlich begrenzten Lebensabschnitt
- Nachholbarkeit
- Nichtumkehrbarkeit im Sinne gleichbleibender Entwicklungssequenzen ohne Möglichkeit der Vorwegnahme späterer Sequenzen

Ein Beispiel für Entwicklung durch Reifung ist die Geschlechtsreifung in der Pubertät (Rollett, 1991). In dieser Theorie ist der Mensch ein vorprogrammiertes Reifeprodukt.

1.5.1.2. Milieutheoretischer Ansatz: Entwicklung als Lernprozeß

Der heranwachsende Organismus wird als abhängig von Außeneinflüssen angesehen. An die Stelle der Reifungsprozesse treten Lernpozesse als Determinanten der Entwicklung. Unter Lernen wird die Veränderung des Verhaltens und Erlebens durch Erfahrung verstanden. Nach Rollett (1991) beruht der milieutheoretische Ansatz auf dem behavioristischen Menschenbild. Weitere Einflüsse für diesen Ansatz zur Erklärung von Entwicklung sind die Lernpsychologie Skinners (1954), der Lernen als Ergebnis von Verstärkung beschreibt, und der Ansatz des sozialen Lernens von Bandura & Walters (1963, beide zitiert nach Rollett, 1991), der Lernvorgänge als direkte Nachahmung von Verhaltensmustern der sozialen Unwelt erklärt.

Der Mensch wird als passiver Empfänger gesehen.

1.5.1.3. Interaktionstheoretischer Ansatz: Entwicklung durch Assimilation und Akkomodation

Diese Sichtweise von Entwicklung geht auf die Erkanntnisse von Piaget (1948, 1954, zitiert nach Rollett, 1991) zurück. Entwicklung vollzieht sich durch die Integration von angeborenen und Umgebungseinflüssen. Sie wird als strukturierendes Lernen aufgefaßt. Der Mensch ist dabei aktiver Erkunder, der immer bemüht ist, sich weiter zu entwickeln. Sobald zwischen den vorhandenen Problemlösungsmöglichkeiten und den sich ergebenden Aufgaben ein Ungleichgewicht entsteht, wird versucht, durch die Entwicklung neuer Problemlösungsmethoden wieder ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Umwelt herzustellen. Intelligenz ist dieser Theorie nach die höchste Form der Anpassung an die Umwelt. Durch das Denken kann sich der Mensch von den unmittelbaren Einflüssen seiner Umgebung lösen. Durch das Denken können Wahrnehmungsillusionen berichtigt werden, es ist im Gegensatz zur Wahrnehmung flexibel und anpasungsfähig.

Zwei Austauschprozesse zwischen Mensch und Umwelt finden statt. Unter Assimilation werden die Wirkungen des Subjekts auf die Umwelt verstanden. Der Umwelt werden die Schemata des Subjekts aufgedrängt. Akkomodation bezeichnet die Wirkung der Umwelt auf das Subjekt. Das Subjekt stellt ein Ungleichgewicht zwischen seinen Denk- und Handlungsschemata und den Umweltanforderungen fest und verändert sie durch eine Veränderung der eigenen Denk- und Verhaltensweisen.

Anpassung bezeichnet das Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkomodation.

1.5.1.4. Integrativer Ansatz aus heutiger Perspektive

Nach Schenk-Danzinger (1988) wird Entwicklung heute als ein komplexer, fortschreitender Prozeß von Wechselwirkungen zwischen der strukturellen Reife im Sinne von Altersreife, individuell-genetischen Anlagen, Umwelteinflüssen und Art und Intensität der individuellen Selbststeuerung verstanden. In diesem Persönlichkeitsmodell stehen alle Faktoren in wechselseitiger Abhängigkeit und lassen in einem integrierenden Prozeß relativ konstante Verhaltensformen entstehen, aus denen sich die Persönlichkeit bildet. Im individuellen Leben kann der eine oder der andere Faktor stärker wirksam werden.

Unter individuell-genetischen Anlagen wird in diesem Zusammenhang Vererbung und die strukturelle Reifung zum Menschen verstanden. Die Umwelteinflüsse bilden Lernangebote, darunter werden soziokulturelleEinflüsse auf die Entwicklung, nämlich Kulturkreis, weitere (z.B. Sozialschicht) und engere (z.B. Familie) Umwelt summiert. Selbststeuernde Faktoren

sind innerseelische dynamische Faktoren und setzen sich zusammen aus bewußter Selbststeuerung etwa Streben nach Selbstverwirklichung, Motivationen, Arbeitshaltungen und aus unbewußten dynamischen Prozessen wie sie von Adler (1930, 1947) in Bezug auf die Entstehung von Leitbildern und Leitlinien und von Freud (1969, beide zitiert nach Schenk-Danzinger, 1988) bezüglich der Bewältigung des Trieblebens in den Auseinandersetzungen mit Ich und Über-Ich durch die Ausbildung von Abwehrmechanismen geschildert wurden.

1.5.2. Der Anteil von Erbe und Umwelt

Ob in einer Theorie eher die Vererbungs- oder die Milieukomponente betont wird, hängt vor allem in der älteren Literatur stärker als mit der Befundlage mit der politischen Einstellung der Untersucher zusammen (Rollett, 1991). Heute ist das Interesse an dieser Problematik zurückgegangen. Es ist unbezweifelbar, daß beispielsweise Intelligenzleistungen sowohl genetisch bedingt als auch von Umwelteinflüssen abhängig sind. Es tritt die Frage, welchen Veränderungsspielraum ein bestimmtes Merkmal besitzt, in den Vordergrund. Denn unabhängig vom Anteil, der im Endeffekt der Vererbung oder der Umwelt zukommt, ist die genetische Ausstattung eines Individuums zunächst nichts als eine Potenz, die in der und durch die Umwelt aktualisiert werden muß. Bei vielen Menschen wird die potentielle Intelligenz beispielsweise nicht ausgenützt, da die geistige Entfaltung nicht nur von den Lernmöglichkeiten, sondern auch von der emotionalen Situation des Individuums und im Fall von Kindern und Jugendlichen auch vom Erziehungsstil der Eltern abhängt.

Es ist auch ein Irrtum, Umweltabhängigkeit mit veränderlich und Erbdetermination mit unveränderlich gleichzusetzen. Beispielsweise sind Unfallfolgen als von der Umwelt hervorgerufene Schädigungen, oft nicht mehr rückgängig zu machen.

Im Zusammenhang mit dem Veränderungsspielraum eines Merkmals wird die Förderung von benachteiligten Kindern besonders wichtig. Förderung ist umso wirksamer, je früher sie einsetzt. Der durch gezielte Förderung mögliche Zuwachs von beispielsweise Intelligenz bleibt allerdings nicht im vollen Ausmaß bestehen, wenn das Förderprogramm beendet wird. Geförderte Kinder und Jugendliche erreichen in jedem Fall bessere Schulabschlüsse als nicht Geförderte. Programme, die emotionale und soziale Bereiche miteinbeziehen, haben den besten Erfolg (Rollett, 1991).

1.5.2.1. Aufholmöglichkeiten nach Deprivation

Bei der Untersuchung der Aufholmöglichkeiten nach Deprivation muß man beachten, daß die geschilderten Menschen Deprivationszuständen sehr evrschiedener Art und Dauer ausgesetzt waren.

Schenk-Danzinger (1988) hat sich mit diesem Phänomen genauer befaßt. Sie stellt fest, daß sich besonders in den ersten Lebensjahren die Veränderungen innerhalb eines zeitlichen Spielraums vollziehen, der ein „früheres“ und „späteres“ Auftreten in Abhängigkeit von den äußeren Bedingungen gestattet. Untermauert wird diese Feststellung durch Beobachtungen von White (1972, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1988), der Anstaltskinder in reizarmer Umgebung förderte.

Es gibt besonders im kognitiven (Meierhofer & Keller, 1970, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1988) aber auch im motorischen und sprachlichen Bereich einen relativ großen Spielraum für das Aufholen auch nach länger dauernden Deprivationszuständen. Wo genau die Grenze des Spielraums liegt, innerhalb derer das Aufholen gerade noch möglich ist, ist noch ungeklärt. Ein Daueraufenthalt im deprivierenden Milieu verursacht jedenfalls irreparable Schäden (Skeels, 1966, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1988). Es ist ungeklärt, bis zu welchem Alter verspätete Reizzufuhr noch wirksam werden kann, und ab welchem Alter Lernmöglichkeiten gelöscht werden. Eine kritische Grenze dürfte das Ende des Vorschulalters sein. Bezüglich der kognitiven Entwicklung nach verminderter Reizzufuhr nimmt man an, daß die betroffenen Personen ein wesentlich höheres Niveau der kognitiven Entfaltung erreicht hätten, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Lernimpulsen konfrontiert worden wären.

Aufholmöglichkeiten sind nicht im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung möglich. Schäden im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung nach Deprivationszuständen lassen sich wahrscheinlich nur durch vorherige Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse zumindest bis zu einem gewissen Grad vermeiden (Schenk-Danzinger, 1988).

1.6. Biologische Veränderungen in der Pubertät und Adoleszenz

Einige Autoren ( z.B.Remschmidt, 1992) unterteilen - wie schon erwähnt - die Jugendzeit in Pubertät und Adoleszenz, andere wie z.B. Schenk-Danziger (1990) teilen die Zeit des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen in zwei in einander übergehende Phasen mit eigenen biologischen und psychosozialen Merkmalen: in die Vorpubertät und die eigentliche Pubertät.

Die von mir im folgenden beschriebenen körperlichen Veränderungen Jugendlicher werden also in Abhängigkeit von der Definition jeweils der Vorpubertät oder der Pubertät im Rahmen der Adoleszenz zugeordnet.

In beiden Fällen verläuft die Entwicklung bezüglich Beginn der Veränderungen, Veränderungen selbst, Bedürfnisse und Verhaltensformen von Jungen und Mädchen im selben Kulturkreis erstmals verschieden. Die Entwicklung erfolgt bei Mädchen mit einem zeitlichen Vorsprung von zwei Jahren (Schenk-Danzinger, 1990). Sie tritt früher ein und ist auch früher abgeschlossen. Es lassen sich von psychosozialen und transkulturellen Unterschieden unabhängige Stadien der Reifung unterscheiden (Remschmidt, 1992).

1.6.1. Wachstum, körperliche Proportionen und motorische Entwicklung

Vor dem puberalen Wachstumsschub, der zwischen elf und dreizehn Jahren einsetzt, ist die Wachstumsgeschwindigkeit von Mädchen und Jungen etwa gleich. Das rasche Längenwachstum ist individuell sehr unterschiedlich. Insgesamt betrachtet kommt es bei Mädchen zwei Jahre früher zu einer raschen Zunahme der Wachstumsgeschwindigkeit, sie erreichen jedoch nicht dieselbe Höhe wie Jungen (Remschmidt, 1992; Schenk-Danzinger, 1990). Der Wachstumsgipfel variiert um das zwölfte bzw. vierzehnte Lebensjahr.

Das Wachstum erfolgt nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten und ist unharmonisch. Es beginnt mit den unteren Extremitäten und endet mit dem Rumpf. Die Jugendlichen müssen lernen, ihre Bewegungskoordinationen den veränderten Verhältnissen anzupassen.

Die Veränderungen der Körperproportionen sind bei Jungen ausgeprägter als bei Mädchen. Einige Geschlechtsunterschiede werden erst mit der Pubertät deutlich wie breitere Schultern bei Jungen oder breitere Hüften bei Mädchen. Ein gewisses Ausmaß an Asynchronie der Reifung ist für diese Altersstufe typisch (Remschmidt, 1992; Schenk-Danzinger, 1990).

Die Zunahme des Körpergewichts parallel zum erhöhten Längenwachstum ist eine Folge tiefgreifender morphologischer Veränderungen mit hohen Zuwachsraten für das Skelett, die Muskeln, die inneren Organe und das Fettgewebe (Remschmidt, 1992). Die Gewichtszunahme ist bei Mädchen größer (Schenz-Danzinger, 1990).

Parallel zum Wachstum des Skeletts und der Muskulatur nimmt die Körperkraft zu. Zunächst wird die entsprechende Muskelstruktur ausgebildet, dann die jeweilige Funktion übernommen. Bei Jungen kommt es zu einem stärkeren Zuwachs an körperlicher Kraft durch stärkeres Muskelwachstum. Hierfür sind im wesentlichen soziokulturelle Bedingungen verantwortlich, aber auch biologische Faktoren wie die größere Anzahl von Muskelzellen und die verstärkte Ausschüttung der Androgene, die eine Wirkung auf die Muskelentwicklung haben, bei Jungen und Unterschiede in den Körperproportionen von Mädchen und Jungen (Remschmidt, 1992).

In der Adoleszenz kommt es von einem relativ stabilen Muster in der Kindheit zu einer passageren Unsicherheit der Motorik. Die Entwicklung der Grobmotorik hängt stark mit dem Wachstum der Körper- und Muskelkraft und mit verschiedenen anderen Fähigkeiten wie Bewegungsgeschwindigkeit und Koordination zusammen. Geschlechtsunterschiede resultieren aus biologischen Einflüssen, die durch den soziokulturell bedingten Übungsgewinn der Jungen noch verstärkt werden. Feinmotorik erfordert rasche, gezielte und genaue Bewegugen der kleinen Muskeln. Sie hängt stärker als die Grobmotorik von Intelligenz, Erfahrung und Übung ab. Geschlechtsunterschiede existieren bei gleicher Übung nicht. Motorische Koordination ist für Fein- und Grobmotorik erforderlich. Unsicherheiten in der motorischen Koordination von Jugendlichen können soziale Ursachen wie überhöhte Anforderungen an die motorischen Fähigkeiten durch hohe Körpergröße im Vergleich zum Alter oder Unsicherheit, die sich auch im motorischen Bereich äußert, haben. Mögliche biologische Variablen sind die Veränderungen der Körperproportionen, wodurch sich die Koordinationsabläufe auf einem neuen Niveau erst einstellen müssen, Diskrepanzen zwischen den Wachstumsgeschwindigkeiten verschiedener Bereiche, die zu Unsicherheiten im Zusammenspiel führen und die Tatsache, daß sich durch die zeitliche Sequenz Muskelwachstum-Muskelkraft-Koordination eine angemessene Funktion erst langsam durch Übung ausbilden kann (Remschmidt, 1992).

1.6.2. Sexualhormone und äußere Merkmale der sexuellen Reifung

Während der ganzen Kindheit läßt sich ein langsames Wachstum der Gonaden feststellen, auch Geschlechtshormone sind nachweisbar. Zu Beginn der Pubertät steigt der Plasmahormonspiegel bei beiden Geschlechtern in charakteristischer Weise an. Die ersten Zyklen bei Mädchen sind noch anovulatorisch, es existieren erhebliche Schwankungen im Laufe eines Zyklus. Bei Jungen erfährt der Hoden in der Pubertät eine ausgeprägte Umgestaltung sowohl in der Funktion als auch in der Größe (Remschmidt, 1992).

Das Einsetzen der endokrinen Veränderungen um die Pubertät kann als Aktivierung eines bereits vorhandenen Regelsystems angesehen werden. Bei Mädchen hängen die puberalen Veränderungen eher mit der Erreichung eine bestimmten Körpergewichts zusammen als mit dem chronologischen Alter (Katchadourian, 1977, zitiert nach Remschmidt, 1992). Überschreitet das Gewicht eine kritische Schwelle, so wird eine Stoffwechseländerung herbeigeführt, die in weiterer Folge die Reifungsabläufe in Gang setzt (Frisch, 1974, zitiert nach Remschmidt, 1992). Wodurch der Regelkreis der Jungen auf das Erwachsenenniveau gebracht wird ist unbekannt.

Bezüglich der äußeren Merkmale der sexuellen Reifung gibt es eine starke Streuung hinsichtlich des zeitlichen Auftretens der einzelnen Merkmale. Die Reihenfolge des Auftretens der einzelnen Merkmale wird im allgemeinen unabhängig von frühem oder spätem Eintreten der Pubertät eingehalten. Der Zeitpunkt des Pubertätsbeginns ist nach Remschmidt (1992) größtenteils genetisch bedingt.

Die äußeren weiblichen Genitalien erfahren in der Pubertät einen Wachstumszuwachs. Gleichzeitig erhöht sich die Sensibilität für erotische Reize, wobei psychologische Momente stark mitpielen. Der Beginn der Brustentwicklung liegt zwischen dem 10. und 11. Lebensjahr mit großen Streuungen. Die Periode tritt um das 13. Lebensjahr zum ersten Mal auf, rund zwei Jahre nach dem Pubertätsbeginn, wenn der Pubertätswachstumsschub schon weitgehend abgelaufen ist. Der Zeitpunkt der ersten Periode ist nicht nur von genetischen Faktoren, sondern auch von soziokulturellen Faktoren wie Rasse, soziale Schicht und Ernährung abhängig. Die inneren Genitalien durchlaufen einen zwischen dem 12. und 13. Lebensjahr beginnenden Wachstumsschub. Uterus und Vagina werden größer und ausdifferenzierter (Remschmidt, 1992).

Auch bei Jungen erfolgt der Reifungsablauf in gesetzmäßiger Weise und mt ähnlich großen Variationen wie bei Mädchen. Die obere Grenze des Normbereichs für die beginnende Pubertät liegt zwischen 15 und 16 Jahren. Dies wird angezeigt durch die beginnende Schambehaarung und Vergrößerung des Penis und der Hoden. Zwischen Beginn der Penisvergrößerung und voller Penisentwicklung liegen etwa zwei Jahre. Auch bei Jungen ist ein geringfügiger Größenzuwachs der Brust zu beobachten, dessen Maximum des Wachstums um das 14. Lebensjahr liegt. Die erste Ejakulation erfolgt rund ein Jahr nach Beginn des Hodenwachstums, meist durch Masturbation. Der Zeitpunkt der ersten Ejakulation variiert sehr stark. Ein Orgasmus ist schon vor dem Auftreten der ersten Ejakulation möglich. Andere Veränderungen imPubertätsablauf bei Jungen betreffen vor allem sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Axillar- und Gesichtsbehaarung, Stimmbruch und Veränderungen der Haut. Das Bartwachstum setzt zuerst auf der Oberlippe ein. Der Stimmbruch erfolgt durch eine Vergößerung des Kehlkopfs und tritt relativ spät und aprupt innerhalb der Pubertätsveränderungen auf. Der Vorgang kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen.

1.6.3. Einflüsse auf Wachstum und Reifungsablauf

Beginn und Dauer der Pubertät werden wie schon erwähnt durch die körperliche Entwicklung bestimmt. Die zeitliche Bestimmung dieser Phase nach Lebensjahren variiert sehr stark zwischen den einzelnen Jugendlichen. Insgesamt betrachtet hat sich die körperliche Reifung vom Neugeborenen bis zum Jugendlichen gegenüber früher ständig etwas vorverschoben. Diese zeitliche Vorverschiebung betrifft vor allem die Geschlechtsreife und das Längenwachstums in Kindheit und Jugend. Nach Remschmidt (1992) gibt es Hinweise (Katchadourian, 1977; Prader, 1986, beide zitiert nach Remschmidt, 1992), daß dieser Trend zum Stillstand gekommen ist.

Das Phänomen des vorverlegten Längenwachstums wird Akzeleration genannt (Remschmidt, 1992). Da das Längenwachstum früher einsetzt und auch entsprechend früher aufhört, sind zwar Kinder und Jugendliche um einiges größer als früher, bei Erwachsenen ist dieser Größenunterschied jedoch geringer. Die Zunahme des Längenwachstums ist auch mit einer Gewichtszunahme und einer Vorverlegung damit zusammenhängender Phänomene wie motorische Entwicklung gekoppelt.

Die Vorverlegung der körperlichen Reifung ist je nach Siedlungsform und Sozialschicht unterschiedlich (Wurst, 1964, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1990). Sie ist am größten in Industriesiedlungen und ist in der Mittel- und Oberschicht größer als in der Unterschicht. Nach Schenk-Danzinger (1990) besteht zwischen dem Grad der Reifungsvorverschiebung und der Intelligenz ein geringer Zusammenhang zugunsten der früher reifenden Jugendlichen. Sie sind besser angepaßt, verfügen über eine bessere Selbststeuerung und eine höhere Anregbarkeit. Lehr (1969, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1990) führt diese Tatsache auf die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht, deren Erziehungsmethoden diese Art der Persönlichkeitsentwicklung fördern, zurück.

Erklärungsmodelle für die Ursachen der Reifungsvorverlegung beziehen sich auf eine Zunahme der Vitaminzufuhr, stärkere Bestrahlung mit künstlichem Licht, Reizüberflutung in den Großstädten, eine Auslese der vom Land in die Stadt zuwandernden Bevölkerungsschichten und bessere Ernährung. Es herrscht Übereinstimmung, daß die Entwicklungsbeschleunigung eine Folge der gesteigerten Aktivation des innersekretorischen Systems ist. Die Meinungen über die Ursachen dieser Aktivation gehen jedoch auseinender (Schenk-Danzinger, 1990). Nach einer multifaktoriellen Theorie von Wurst (1964, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1990) liegt die Ursache für diese Phänomen in einer Kombination von besserer Ernährung, besseren hygienischen Verhältnissen und einer stärkeren Stimulierung der Gesamtpersönlichkeit durch erhöhte Reizzufuhr.

1.7. Allgemeine Einflüsse der körperlichern Veränderungen in der Pubertät auf die Psyche

1.7.1. Der Einfluß der Sexualhormone auf das Verhalten

Die Frage, ob und in welcher Weise ein Zusammenhang zwischen endokrinen Veränderungen und Verhalten festzustellen ist, ist schwer zu beantworten.

Bei Jungen bestehen eindeutige Verbindungen zwischen der Höhe des Testoseronspiegels und dem Auftreten nächtlicher Pollutionen, Masturbation und erstem Verliebtsein. Zum Zeitpunkt des steilsten Testoseronanstiegs zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr treten diese psychischen Reaktionen zum ersten Mal bzw. besonders häufig auf. Da auch schon präpubertär ähnliche emotionale Reaktionen auftreten, läßt sich kein eindeutiger Schluß auf die Verursachung diese Verhaltens ziehen. Die wichtigsten sexuellen Verhaltensweisen treten in der Pubertät aber mit weitaus größerer Intensität als vorher auf (Remschmidt, 1992). Sexualhormone scheinen nicht direkt sexuelles Verhalten hervorzurufen, aber im Sinne einer Aktivatorfunktion Potenz und entsprechendes Sexualverhalten zu fördern.

Ein ähnlicher Zusammenhang ist zwischen weiblichen Sexualhormonen und Verhalten zu beobachten. Die Sexualhormone sind auch bei Mädchen für das Erwachen sexueller Bedürfnisse und sexuellen Verhaltens mitverantwortlich. Es gibt keinen Beweis für einen direkten Einfluß der weiblichen Hormone auf Emotionen, sie scheinen hinsichtliche psychischer Abläufe eine Aktivatorwirkung einzunehmen. Ein Beispiel dafür sind Stimmungsschwankungen, die während des Menstruationszyklus auftreten können. Es stellt sich die Frage, inwieweit Hormone auch verantwortlich sind für die individuellen Differenzen bezüglich triebhafter Bedürfnisse nach der Pubertät. Dafür scheinen eher andere Mechanismen wie Erziehungseinflüsse maßgebend zu sein (Remschmidt, 1992).

Zusammenhänge zwischen Testoseron und aggressivem Verhalten werden diskutiert. Korrelate dieses Zusammenhangs wurden im Tierversuch bei Affen gefunden. Bei Menschen führt ein hoher Testoseronspiegel zu Ungeduld und Irritierbarkeit und damit eher zu aggressiv-destruktivem Verhalten. Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in Phänomenen wie Geschlechtstrieb, Aggressivität, Dominanz oder Durchsetzungsfähigkeit bestehen schon pränatal (Remschmidt, 1992). Die verschiedenen hormonellen Veränderungen in der Pubertät sind nur teilweise verantwortlich für gewisse emotionale Unterschiede und Unterschiede im Rollenverhalten.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß in Verbindung mit dem puberalen Anstieg der Sexualhormone die zugehörigen psychischen Phänomene erstmals oder stark intensiviert auftreten. Sie werden jedoch nicht direkt durch die hormonellen Veränderungen hervorgerufen, sondern entstehen durch ein Zusammenwirken von hormoneller Aktivatorfunktion und Umwelteinflüssen. Die hormonellen Veränderungen führen zu einer größeren Empfänglichkeit für stimulierende Einflüsse und bahnen so die entsprechenden psychischen Verhaltensweisen (Remschmidt, 1992).

1.7.2. Entwicklung der äußeren Geschlechtsmerkmale und Selbstwertgefühl

Äußere Merkmale der sexuellen Reifung sind für die Jugendlichen von großer psychologischer Bedeutung. Bei Mädchen steht besonders die Entwicklung der Brust aufgrund der starken Sichtbarkeit derselben und der daraus resultierenden Angst vor Mißbildungen oder Asymetrien in engem Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl. Die Periode hat für sie große Bedeutung für die sexuelle Identitätsentwicklung. Die Periode ist von der psychischen und sozialen Bedeutung her mit keinem Ereignis in der Pubertät der Jungen vergleichbar. Sie wird oft ambivalent oder überwiegend negativ erlebt, da sie physisch dramatisch wirkt und hauptsächlich neagtive Konsequenzen wie Einschränkungen im Alltag und Schwangerschaftsängste mit sich bringt (Remschmidt, 1992). Negative Emotionen hängen auch mit einer Tabuisierung des Themas zusammen. Ungenügende Aufklärung von Mädchen ist ein belastender Faktor bezüglich der Periode, die dann unvorbereitet eintritt. Auch ein zu früher Periodeeintritt, besonders aber ein später Eintritt derselben sind belastend.

Bei Jungen steht die erste Ejakulation mit ihrer psychischen Bedeutung im Vordergrund.

Die Ejakluation wird meistens durch Masturbation erreicht. Letztere ist häufig mit Schulgefühlen verbunden. Durch die Verbindung mit sexueller Befriedigung wird sie jedoch meist positiv erlebt. Die für das Selbstwergefühl beeinträchtigenden Spekulationen, ob man überhaupt in der Lage ist, einen Orgasmus zu haben, fallen weg. Auch für ungenügend aufgeklärte, also nicht vorbereitete Jungen entstehen Schwierigkeiten im Rahmen des Auftretens der ersten Ejakulation. Axillar- und Gesichtsbehaarung sind für Jungen als weithin sichtbares Zeichen der Männlichkeit und Mittel zum Vergleich mit der Bezugsgruppe von hoher psychosozialer Bedeutung. In ähnlicher Weise ist auch die Größe der Genitalien für Jungen als Zeichen von Potenz und Männlichkeit bedeutsam (Remschmidt, 1992).

Zusammenfassend betrachtet sind die sekundären Geschlechtsmerkmale für beide Geschlechter wichtig, da sie das Gefühl geben, den Status als Frau oder Mann erreicht zu haben. Gleichzeitig besteht noch große Unsicherheit bezüglich der damit verbundenen Rollen und Funktionen.

1.7.3. Allgemeine somatische Entwicklung und Selbstwertgefühl

Zu Beginn der Pubertät kommt es erstmals zu einer kritischen Einstellung gegenüber der eigenen Person. Die somatische Entwicklung als sichtbarstes Merkmal und hierbei wie schon erwähnt besonders die Sexualentwicklung wird intensiv beobachtet und hat großen Einfluß auf die Selbsteinschätzung und das Selbstwertgefühl.

Eine ängstliche Beobachtung normativer Vorstellungen ist in der Adoleszenz allgegenwärtig. Die normativen Vorstellungen sind kulturspezifisch. Eine Hypersensibilität gegenüber scheinbaren Normabweichungen kann aktuelle Konfliktreaktionen wie aggressives oder depressives Verhalten provozieren oder chronische Beeinträchtigungen im Sinne neurotischr Fehlentwicklungen verursachen. Auch Depersonalisations- und Derealisationserlebnisse sind möglich. Die intensive Selbstbeobachtung kann schließlich zu narzißtischen Krisen und zur Pubertätshypochondrie führen (Remschmidt, 1992).

Die Intensität der Selbstbeobachtung ist bei Mädchen und Jungen in verschiedenen Bereichen in Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Einschätzung des jeweiligen Bereichs unterschiedlich. Jungen legen dem Männlichkeitsbild der Gesellschaft entsprechend mehr Wert auf körperliche Kraft, Sportlichkeit und muskulöse Figur. Mädchen beobachten bevorzugt Gesicht, Figur und Haut. Bei beiden Geschlechtern gelich ausgeprägt ist die Angst vor bleibender körperlicher Disproportionierung, die ein kurzes Übergangsstadium in der Entwicklung darstellt.

Eine allgemeine Früreifung bringt Probleme für den Betroffenen mit sich, größer sind jedoch die Probleme im Zusammenhang mit der Spätentwicklung. Diese ist häufig mit Minderwertigkeitsgefühlen verbunden. Ein spätreifender Jugendlicher leidet mehr darunter als ein Frühreifender, der sich sicher sein kann, daß die anderen ihm nachkommen werden. Die Angtsvorstellundes Spätreifenden, daß er klein und unscheinbar bleiben könnte, kann zu problematischen Kompensationsmechanismen führen (Schenk-Danzinger, 1990). Die Schwierigkeiten frühreifender Jugendlicher sind vorübergehend, während spätreifende Jugendliche nach Mussen (1969, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1990) auch im weiteren Verlauf der Pubertät mit einer ungünstigeren sozialen Situation konfrontiert sind. Sie haben ein negatives Selbstbild, Gefühle der Unzulänglickeit und empfinden sich als unterdrückt. Für spätreifende Mädchen sind die psychischen Ausirkungen nach Schenk-Danzinger (1990) nicht so groß wie für Jungen. Das Mädchen kann sich isoliert und von „Geheimnissen“ ausgeschlossen fühlen, ist aber nicht im selben Ausmaß wie Jungen von Anerkennung durch die Gruppe abhängig.

Im allgemeinen äußern männliche Jugendliche mehr positive Gefühle hinsichtlich ihres Körperbildes und ihrer körperlichen Entwicklung als Mädchen (Remschmidt, 1992).

1.7.4. Die psychischen Auswirkungen der allgemeinen körperlichen Reifungsvorverschiebung

Akzeleration und Reifungsvorverschiebung gehen nicht Hand in Hand mit einer entprechend raschen Intelligenzentwicklung, bewirken allerdings eine Veränderung des Weltbildes der Betroffenen. Die Kinder bzw. Jugendlichen wissen nicht, wie sie mit den Bedürfnissen und Empfindungen, die ihnen ihr reifender Körper aufdrängt, umgehen sollen (Schenk-Danzinger, 1990). Die Reifungsvorverschiebung verursacht eine verfrühte hormonelle Umstellung und bedeutet so eine Verkürzung der Kindheit.

Nach Roth (1961, zitiert nach Schenk-Danzinger, 1990) bewirkt die hormonelle Umstellung folgende Veränderungen im psychischen Bereich: Selbstbehauptungtendenzen (mehr bei Jungen), Hingabetendenzen und Zärtlichkeitsbedürfnis (mehr bei Mädchen), ein früheres Ansprechen auf sexuelle Reize im Sinne einer Erotisierung der Umwelt, sowie eine Verlagerung der Interessen aus der Familie heraus und eine frühere Beziehungsaufnahme zum anderen Geschlecht.

Für Mädchen stellt die frühe körperliche Reife ein besonderes Problem dar. Wenn die Vorpubertät schon mit acht oder neun Jahren und die erste Periode schon mit zehn oder elf Jahren einsetzt, erfolgt ein echter Einbruch in die Kindheit.

Sowohl für die frühreifenden Jugendlichen als auch für die Erwachsenen in ihrer Umgebung ergeben sich Orientierungsprobleme. Die Jugendlichen sehen älter aus, benehmen sich rein äußerlich teilweise wie ältere Jugendliche, sind psychisch in mancher Hinsicht aber noch völlig kindlich und meist stark verunsichert. Abhängig vom Verhalten der Umwelt kann diese Diskrepanz zwischen körperlicher und psychischer Entwicklung zum Problem und ständigen Konfliktherd werden. Ein frühreifender Jugendlicher wird häufig von der Umwelt überschätzt, es werden Leistungen von ihm verlangt, die ein Versagen unvermeidlich machen. Der Rollenkonflikt, der sich aus den unterschiedlichen Verhaltenserwartungen von Eltern, Gleichaltrigengruppe und Schule ergibt, verstärkt die Probleme. Durch zu hohe Erwartungen, die der frühreifende Jugendliche nicht erfüllen kann, wird er in seinem ohnehin beeinträchtigten Selbstwertgefühl verletzt, und es können sich negative Wechselwirkungen herausbilden, die letztendlich in aktivem oder passivem Widerstand des Jugendlichen enden. Auch „Trotz“, Rückzug und Regression in kindliche Verhaltensweisen sind oft Reaktionen auf das überfordende Verhalten der Umwelt (Schenk-Danzinger, 1990).

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832445256
ISBN (Paperback)
9783838645254
DOI
10.3239/9783832445256
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Psychologie
Erscheinungsdatum
2001 (September)
Note
1,0
Schlagworte
lebenszufriedenheit peer-group
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Titel: Wünsche und Realität von Jugendlichen im Spannungsfeld zwischen Selbstaktualisierung und Verbundenheit zur Peer-Gruppe
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