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Europäische Immobilienbewertungsstandards

Die Wertermittlungsmethoden des Blue Book auf dem Prüfstand

©2001 Diplomarbeit 100 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Mit dem Zusammenwachsen Europas sowie der Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel ab dem Jahre 2002 und dem damit verbundenen Wegfall der Währungsrisiken innerhalb der Europäischen Union wird ein Prozess eingeleitet, der in der Bildung eines einzigen europäischen Marktes seinen Abschluss finden wird. Im Zuge dieses Prozesses wird es zwangsläufig zu einer Harmonisierung der nationalstaatlich rechtlichen sowie steuerlichen und im Hinblick auf die Immobilienwirtschaft auch der immobilienbewertungstechnischen Standards kommen müssen.
Die Frage nach dem Wert einer Immobilie oder eines Grundstückes stellt sich zu den unterschiedlichsten Anlässen, sei es zur Fundierung von Ankaufs- oder Verkaufsentscheidungen, zur Festlegung von Beleihungsgrenzen im Rahmen einer Kreditvergabe, zu Bilanzierungs- oder Versicherungszwecken, zur Performancemessung, zur Festlegung von Abgabenlasten im Rahmen der Besteuerung von Immobilien oder auch im Zuge von Vermögensauseinandersetzungen bei Scheidungen oder Erbschaften.
Die Anlässe zur Bewertung von Immobilien sind europa- und auch weltweit größtenteils identisch; nicht jedoch die zur Wertermittlung herangezogenen Methoden und Verfahren. Die unterschiedliche kulturelle, politische und wirtschaftliche Geschichte in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hat auch bei der Bildung der nationalen Immobilienmärkte zu unterschiedlichen Marktstrukturen, Geschäftspraktiken und Verhaltensweisen der Akteure auf dem Grundstücksmarkt geführt.
Diese Immobilienmärkte wurden und werden immer noch als nationale bzw. regionale Teilmärkte angesehen, weshalb es diesem Bereich der Wirtschaft auch gelang, sich lange Zeit der zunehmenden Globalisierung der Märkte zu entziehen. Die grenzenlose Mobilität des anlagesuchenden Kapitals sowie die damit einhergehende stetige Zunahme grenzüberschreitender Investitionen wird jedoch auch für die Immobilienmärkte zu einem steigenden internationalen Standortwettbewerb führen. Es zeigt sich, dass nationale Immobilienmärkte weder getrennt von anderen Ländern noch ohne Bezug zu den internationalen Finanzmärkten betrachtet werden können. Somit wird eine Vereinheitlichung oder zumindest ein Vergleichbarmachen der landestypischen Immobilienwertermittlungsstandards zunächst auf europäischer Ebene immer wichtiger.
In diesem Zusammenhang steht die Veröffentlichung der >>European Valuation Standards 2000<< der TEGoVA (The European Group of Valuers’ […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einleitung

Mit dem Zusammenwachsen Europas sowie der Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel ab dem Jahre 2002 und dem damit verbundenen Wegfall der Währungsrisiken innerhalb der Europäischen Union wird ein Prozess eingeleitet, der in der Bildung eines einzigen europäischen Marktes seinen Abschluss finden wird. Im Zuge dieses Prozesses wird es zwangsläufig zu einer Harmonisierung der nationalstaatlich rechtlichen sowie steuerlichen und im Hinblick auf die Immobilienwirtschaft auch der immobilienbewertungstechnischen Standards kommen müssen.

Die Frage nach dem Wert einer Immobilie oder eines Grundstückes stellt sich zu den unterschiedlichsten Anlässen, sei es zur Fundierung von Ankaufs- oder Verkaufsentscheidungen, zur Festlegung von Beleihungsgrenzen im Rahmen einer Kreditvergabe, zu Bilanzierungs- oder Versicherungszwecken, zur Performancemessung, zur Festlegung von Abgabenlasten im Rahmen der Besteuerung von Immobilien oder auch im Zuge von Vermögensauseinandersetzungen bei Scheidungen oder Erbschaften.

Die Anlässe zur Bewertung von Immobilien sind europa- und auch weltweit größtenteils identisch; nicht jedoch die zur Wertermittlung herangezogenen Methoden und Verfahren. Die unterschiedliche kulturelle, politische und wirtschaftliche Geschichte in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hat auch bei der Bildung der nationalen Immobilienmärkte zu unterschiedlichen Marktstrukturen, Geschäftspraktiken und Verhaltensweisen der Akteure auf dem Grundstücksmarkt geführt.

Diese Immobilienmärkte wurden und werden immer noch als nationale bzw. regionale Teilmärkte angesehen, weshalb es diesem Bereich der Wirtschaft auch gelang, sich lange Zeit der zunehmenden Globalisierung der Märkte zu entziehen. Die grenzenlose Mobilität des anlagesuchenden Kapitals sowie die damit einhergehende stetige Zunahme grenzüberschreitender Investitionen wird jedoch auch für die Immobilienmärkte zu einem steigenden internationalen Standortwettbewerb führen. Es zeigt sich, dass nationale Immobilienmärkte weder getrennt von anderen Ländern noch ohne Bezug zu den internationalen Finanzmärkten betrachtet werden können.[1] Somit wird eine Vereinheitlichung oder zumindest ein Vergleichbarmachen der landestypischen Immobilienwertermittlungsstandards zunächst auf europäischer Ebene immer wichtiger.

In diesem Zusammenhang steht die Veröffentlichung der >>European Valuation Standards 2000<< der TEGoVA (The European Group of Valuers’ Associations). Dieses Regelwerk, das sogenannte >>Blue Book<< unternimmt in seiner 4. Auflage erstmals den Versuch, die in Europa zur Anwendung kommenden Immobilienbewertungsverfahren auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und damit einen für Europa einheitlichen Immobilienbewertungsstandard zu schaffen.

Thematische Abgrenzung und Zielsetzung

Die im November 2000 erschienene 4. Auflage des Blue Book behandelt nicht nur die einzelnen Verfahren der Immobilienwertermittlung, sondern geht auch auf Ausbildung, Verhaltensweisen und Moralvorstellungen der Bewertungssachverständigen ein. Des weiteren wird die grundsätzliche Problematik bei der Bewertung von Immobilien zu Bilanzierungs-, Beleihungs-, sowie Versicherungszwecken sehr ausführlich behandelt. Weil diese Punkte aber bereits in früheren Ausgaben des Blue Book zu finden sind und eine sehr starke Übereinstimmung mit dem sogenannten >>Red Book<< der Royal Institution of Chartered Surveyors besteht, soll dies nicht Gegenstand der vorliegenden Diplomarbeit sein.

Zielsetzung sowie Intention dieser Diplomarbeit ist, die erstmals in der neuen Auflage des Blue Book enthaltenen Ausführungen zur methodischen Vorgehensweise bei der Bewertung von Immobilien zu untersuchen, diese auf ihre Anwendbarkeit zu überprüfen und in Bezug zur deutschen und angelsächsischen Wertermittlungspraxis zu stellen. Die Eignung des Blue Book einen für Europa einheitlichen Bewertungsstandard zu schaffen, könnte sicherlich am besten überprüft werden, indem sämtliche, in Europa zur Anwendung kommenden Immobilienwertermittlungsverfahren und -praktiken auf ihre Unterschiede untersucht werden, um Anhand dieser Unterschiede festzustellen, inwieweit eine Harmonisierung gelingt bzw. überhaupt möglich ist. Aus Platzgründen ist dies jedoch im Rahmen einer Diplomarbeit nicht möglich. Deshalb erfolgt die Überprüfung der Wertermittlungsverfahren des Blue Book stellvertretend anhand einer Untersuchung der Unterschiede, die zwischen der deutschen und der international weit verbreiteten angelsächsischen Wertermittlungspraxis bestehen. Es soll festgestellt werden, ob das Ziel des Blue Book, die Immobilienbewertungsstandards in Europa zu harmonisieren, mit den beschriebenen Wertermittlungsverfahren und dem zugrundegelegten Wertesystem erreicht werden kann. Grundkenntnisse bezüglich der deutschen Wertermittlungspraxis werden zum Verständnis dieser Arbeit vorausgesetzt.

Gang der Untersuchung

Um zu einem Überblick über die Akteure auf dem europäischen Grundstücksmarkt und über die Autoren des Blue Book zu gelangen, wird im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit das Sachverständigenwesen in Europa kurz dargestellt.

Im zweiten Kapitel erfolgt die Darstellung und Erläuterung der verschiedenen Wertbegriffe- und definitionen, die den Wertermittlungsmethoden zugrundegelegt sind.

Im Anschluss daran werden im dritten Kapitel die Wertermittlungsmethoden des Blue Book vorgestellt und in Bezug zur deutschen und angelsächsischen bzw. internationalen Wertermittlungspraxis gestellt. Besondere Beachtung finden hierbei die Unterschiede, die zwischen deutscher und angelsächsischer Praxis bestehen.

Im vierten und letzten Kapitel werden die Ausführungen des Blue Book zum Wertesystem und zu den einzelnen Wertermittlungsmethoden dahingehend untersucht, ob sie sich tatsächlich eignen, die Grundlage für einen einheitlichen, europäischen Wertermittlungsstandard zu bilden.

1. Europäisches Sachverständigenwesen

1.1 Das deutsche Sachverständigenwesen

Die Berufsbezeichnung >>Sachverständiger<< ist in Deutschland nicht geschützt. Für den Begriff des >>Sachverständigen<< gibt es weder eine gesetzliche Definition noch existiert ein Berufsgesetz für Sachverständige, so dass sich eigentlich jeder als Sachverständiger betätigen und auch so nennen kann.[2] „Anders als für Thermometermacher, Holzspielzeugmacher, Bürsten- und Pinselmacher oder Pferdewirte gibt es bis zum heutigen Tage für den Sachverständigen kein Berufsgesetz, d. h. wer sich als Sachverständiger betätigen und so nennen will, braucht keine behördliche Zulassung zu besitzen; er braucht auch nicht seine persönliche Integrität oder sein Fachwissen durch Ablegung einer vorgeschriebenen Prüfung nachzuweisen.“[3] (Siehe hierzu auch Anlage 20, S. 86: Die zehn Gebote des Bewertungssachverständigen)

Neben dem Tätigwerden als sogenannter „freier“ Sachverständiger, das wie bereits dargelegt weder den formellen Nachweis der Sachkunde noch die Mitgliedschaft in einem Berufsverband erfordert, haben Sachverständige zahlreiche Möglichkeiten ihre berufliche Qualifikation zum Ausdruck zu bringen.

Zum einen ist dies die Mitgliedschaft in einem der zahlreichen Berufsorganisationen und Verbände, in denen neben anderen Berufsgruppen auch Sachverständige für die Bewertung von Immobilien zusammengeschlossen sind. Zu diesen Organisationen zählen unter anderem:

- Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger e.V. (BVS)
- Bundesverband Deutscher Grundstücks-Sachverständiger (BDGS)
- Deutscher Verein für Vermessungswesen (DVM)
- Deutscher Verband Chartered Surveyors e.V. (DVCS)[4]

Zum anderen besteht für Sachverständige die Möglichkeit der öffentlichen Bestellung und Vereidigung durch die Industrie- und Handelskammer oder durch eine Handwerkskammer sowie die Zertifizierung durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle.

„Die nur in Deutschland anzutreffende, in den anderen europäischen Ländern unbekannte Institution des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen wurde geschaffen, damit Gerichten, Behörden, Wirtschaftsunternehmen und Privatleuten, für jedermann erkennbar, fachlich qualifizierte Sachverständige zur Verfügung stehen.“[5]

Eine weitere Besonderheit des deutschen Sachverständigenwesens stellen die ehrenamtlich tätigen Sachverständigen der Gutachterausschüsse dar. Ihre Bestellung erfolgt nach Landesrecht und ihre Aufgabe besteht vor allem darin, „den Grundstücksmarkt für die interessierte Öffentlichkeit transparenter zu gestalten und so eine marktgerechte Preisfindung zu ermöglichen.“[6] Die Aufgaben der Gutachterausschüsse lauten im einzelnen: Erstellung von Verkehrswertgutachten, Erstellung und Veröffentlichung von Kaufpreissammlungen, Ermittlung von Bodenrichtwerten sowie die Bereitstellung von weiterem Datenmaterial.[7]

1.2 The Royal Institution of Chartered Surveyors - RICS

Dieser Verband gilt auf dem Gebiet der Immobilienwirtschaft mit weit über 100.000 qualifizierten oder noch in Ausbildung befindlichen Mitgliedern als einer der größten Berufsverbände der Welt. Die Ursprünge der Royal Institution of Chartered Surveyors gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück; die offizielle Gründung erfolgte jedoch erst 1868 während der umfangreichen Eisenbahnbauten und den damit verbundenen Grundstücksgeschäften im Britischen Empire. In diesem Verband sind neben den Vermessungsingenieuren, die traditionell für die Immobilienbewertung zuständig sind noch zahlreiche weitere Sachverständige organisiert. Im einzelnen sind das: Planungs- und Entwicklungsingenieure, Bauingenieure, Baukostenkalkulatoren, Vermessungsingenieure für Land und Hydrographie, Lagerstätteningenieure sowie landwirtschaftliche Vermessungsingenieure.[8]

Im Jahre 1881 erhielt der Verband durch Königin Victoria die königliche Verleihungsurkunde, die sogenannte Royal Charter und wurde dadurch mit der Institutionalisierung der Aus- und Weiterbildung der Immobilienberufe in Großbritannien betraut.[9]

Die dadurch erlangte Monopolstellung auf dem Gebiet der Immobilienwirtschaft war jedoch im Rahmen der EU-Gesetzgebung nicht mehr zulässig, so dass sich neben den RICS noch zwei weitere Berufsverbände gebildet haben: Die Incorporated Society of Valuers and Auctioneers sowie das Institute of Revenues Rating and Valuation. Die Mitgliedschaft in einem dieser Verbände, vor allem aber die Mitgliedschaft bei der Royal Institution of Chartered Surveyors gilt für Immobiliensachverständige als Nachweis beruflicher Qualifikation und persönlicher Integrität.[10]

Diese drei Organisationen haben zusammen ein nationales Standardwerk, das Appraisal of Valuation Manual, das sogenannte Red Book veröffentlicht, in welchem die englischen Prinzipien der Immobilienbewertung dargelegt sind. Die Ausführungen des Red Book in Bezug auf Vertragsbedingungen, professionelle Verhaltensnormen sowie die Anweisung zur Güterbewertung sind für alle Mitglieder der RICS verpflichtend.[11]

Das Red Book enthält leider keinerlei Informationen zu Bewertungsmethoden oder Rechenverfahren; der Schwerpunkt liegt in der Durchführung und Berichterstattung von Wertermittlungen.[12]

Die Aufgaben und Zielsetzungen der RICS können in mehrere Hauptbereiche untergliedert werden:

- Die Definition und Sicherstellung berufständischer Standards
- Bereitstellung von Informationen
- Aufnahme, Ausbildung und Fortbildung der Mitglieder
- Beratung der Regierung
- Die Verfolgung einer europäischen Strategie im Hinblick auf die Harmonisierung der Bewertungsstandards (In diesem Zusammenhang steht die Gründung des europäischen (European Society of Chartered Surveyors – ESCS) sowie des deutschen Verbandes der Chartered Surveyors (Deutscher Verband Chartered Surveyors e.V.))[13]

1.3 The European Group of Valuers Association – TEGoVA

Am 4. Mai des Jahres 1977 kam es unter der Führung der RICS und der Mitwirkung belgischer, französischer, deutscher und irischer Immobilienbewertungssachverständiger zur Gründung des Interessenverbandes TEGOVOFA (The European Group of Valures of Fixed Assests, auf deutsch: Europäischer Verband der Bewerter für Sachanlagen).

Zu diesem Zeitpunkt gab es in der Europäischen Gemeinschaft weder ausreichende normative Bestimmungen hinsichtlich der Qualifikation von Immobilienwertermittlungssachverständigen noch einheitliche Richtlinien für die Durchführung von Wertermittlungen zur Bilanzierung des Immobilienvermögens von Kapitalgesellschaften. Erklärtes Ziel der TEGOVOFA war es, einzig und allein Empfehlungen für Mindeststandards bei der Wertermittlung von Grundstücken und Liegenschaften des Anlagevermögens von Kapitalgesellschaften zu geben.[14]

„Als politische Interessenvertretung der europäischen Sachverständigenverbände hat sich neben der TEGOVOFA die European Property Valuers Association (EUROVAL) mit Sitz in Brüssel entwickelt.“[15] Dieser Verband sah sein Aufgabengebiet vor allem in der Vertretung der Interessen der Bewerter für Beleihungen, Verkäufe, Steuern, Versicherungen und den privaten Bedarf.

Aufgrund der zu hohen Kosten für zwei eigenständige Verbände, fiel am 11. März 1997 der Entschluss, die TEGOVOFA und die EUROVAL nach belgischem Recht unter dem neuen Namen >>The European Group of Valuers Association<< (TEGoVA) zu vereinen und in Brüssel zu registrieren.[16]

1.3.1 Ziele und Aufgaben

Die Ziele und Aufgaben dieses neuen Verbandes lauten wie folgt:

- Das Verfassen und Verbreiten von Immobilienbewertungsstandards zur europaweiten Anwendung
- Die Interessenvertretung der Immobiliensachverständigen gegenüber der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament sowie allen übrigen europäischen Organisationen
- Die Empfehlung von Standardverfahren im Hinblick auf die Immobilien-wertermittlungsmethodik
- Die Informationsübermittlung dieser Standards an das International Valuation Standards Committee (IVCS)
- Die Sicherung eines angemessenen Ausbildungsstandards für die Immobiliensachverständigen in Europa[17]

Das IVCS bildet die internationale Organisationsebene des Sachverständigenwesens für die Bewertung von Immobilien. In diesem Verband sind gegenwärtig 39 Mitgliedsländer versammelt; unter anderen auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China, Japan, die Niederlande, Russland, Südafrika und die USA. „Das Ziel des IVCS ist es, durch die Erarbeitung internationaler Bewertungsstandards das Sachverständigenwesen weltweit zu harmonisieren.“[18]

Die von der TEGoVA erarbeiteten Leitsätze und Richtlinien zu allen wesentlichen Bewertungs- und Sachverständigenbelangen werden seit 1985 im sogenannten >>Blue Book<< bzw. >>Guide Blue<< veröffentlicht. Die hier zugrundegelegten Wertkonzepte und Bewertungsvorschriften orientieren sich an den Vorschlägen des IVSC, die sich ebenfalls im Red Book der RICS wiederfinden. „Somit überrascht es nicht, dass der Guide Blue und das Red Book in weiten Teilen übereinstimmen.“[19]

1.3.2 Mitglieder

Der Verband hat drei Arten von Mitgliedern:

- Vollmitglieder (lediglich Berufsverbände von Mitgliedsländern der Europäischen Union)
- angeschlossene Mitglieder (Berufsverbände europäischer Länder, die nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehören)
- Beobachter (alle Sonstigen wie z. B. die European Society of Chartered Surveyors)[20]

„Die Zulassung wird davon abhängig gemacht, dass die Verbände Berufe vertreten, die sich mit der Bewertung von Grundstücken, Gebäuden oder Zubehör befassen, einen erheblichen Anteil der Berufsausübenden ihres Landes vertreten und sie müssen ein registrierter und anerkannter Verband nach den Regeln ihres Herkunftslandes sein.“[21] Des weiteren müssen sich die Mitglieder dazu verpflichten, die Verhaltensnormen der TEGoVA zu vertreten und zu befolgen sowie die Definition eines Bewertungssachverständigen der TEGoVA anzuerkennen.

Insgesamt vertritt die TEGoVA die Interessen von 38 Verbänden aus 27 Ländern mit insgesamt 500.000 Mitgliedern und hat im Rahmen ihrer Zertifizierungstätigkeit mit dem >>Approved by TEGoVA<< ein neues Gütesiegel für Qualität und Transparenz in der Grundstückswertermittlung in Europa geschaffen.[22] (In der Anlage 19 auf Seite 84 f. findet sich eine Auflistung sämtlicher Mitglieder der TEGoVA.)

Bereits an der Zahl der Mitglieder und der dadurch vertretenen Länder zeigt sich der große Einflussbereich dieser Organisation und die damit verbundene politische Bedeutung der von der TEGoVA durchgeführten Aktionen wie zum Beispiel der Veröffentlichung von europäischen Immobilienbewertungsstandards.

2. Einführung in die Wertelehre – Wertbegriffe und Wertdefinitionen

Aus welchem Anlass die Bewertung einer Immobilie auch erfolgt, sei es aus Gründen des Ver- oder des Ankaufs, zu Beleihungszwecken oder aus Gründen der Bilanzierung und ungeachtet des angewandten Bewertungsverfahrens, liegt der Bewertung immer eine dem Anlass bzw. der Situation entsprechende Wertdefinition zugrunde. „Ebenso wichtig wie das Bewertungsverfahren selbst ist die Wertdefinition, die der Wertermittlung zugrunde liegt.“[23]

Um vor allem den zentralen Wertbegriff des Blue Book, den Market Value bzw. Marktwert besser interpretieren und im Hinblick auf seine Allgemeingültigkeit überprüfen zu können, wird zunächst der Verkehrswert als wichtigste deutsche Wertdefinition erläutert. Daraufhin wird der zentrale angelsächsische Wertbegriff, der Open Market Value dargelegt, welcher auch auf internationaler Ebene zur Anwendung kommt.

Weil sich das Blue Book sehr stark an den internationalen Rechnungslegungsstandards (International Accounting Standards – IAS) des International Accounting Standards Board (IASB) orientiert und sich oft auf diese bezieht, findet der bei der Bewertung des betrieblichen Sachanlagevermögens relevante Fair Value (fairer Wert) ebenfalls Erwähnung.[24]

2.1 Der deutsche Verkehrswertbegriff

Die Grundlage der Immobilienbewertung in Deutschland bildet der Begriff des Verkehrswertes, der bei fast jeder offiziellen Wertermittlung in Deutschland anzuwenden ist und der in § 194 des Baugesetzbuches wie folgt definiert ist:[25]

„Der Verkehrswert wird durch den Preis bestimmt, der zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstandes der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.“[26]

Etwas kürzer ausgedrückt versteht man unter dem Verkehrswert den Wert, der am Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr am wahrscheinlichsten zu erzielen wäre.[27]

Um den Verkehrswert zu ermitteln, stehen in Deutschland gemäß § 7 der WertV drei verschiedene Verfahren zur Verfügung:

- Das Vergleichswertverfahren: vergleicht mittelbar oder unmittelbar Handelswerte; der Vergleichswert bringt einen bereits vollzogenen Interessensausgleich zwischen Marktteilnehmern zum Ausdruck.
- Das Ertragswertverfahren: basiert auf wirtschaftlichen Überlegungen (Renditeerwartung eines möglichen Käufers) und ist zukunftsorientiert.
- Das Sachwertverfahren: orientiert sich an den Wiederbeschaffungs- bzw. Herstellungskosten und ist vergangenheitsorientiert.[28]

„Der Verkehrswert ist aus dem Ergebnis des herangezogenen Verfahrens unter Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt zu bemessen.“[29]

Zur Verkehrswertermittlung werden im Regelfall mehrere Verfahren angewandt und die Ergebnisse unterschiedlich gewichtet; „Mittelwert-Bildung gilt als sachlich falsch.“[30] Wann welches Verfahren angewandt wird und wie die Ergebnisse bei der Anwendung mehrer Verfahren gewichtet werden, liegt im Ermessen des Sachverständigen, dessen Wahl sich jedoch an den Usancen des Grundstücksmarktes orientieren muss.[31]

2.2 Der Open Market Value des Red Book (RICS)

Der Open Market Value (OMV) bzw. offene Martkwert ist in den Practice Statements des Red Book wie folgt definiert:

>>Eine Vorstellung des besten Preises, für den eine Grundstückstransaktion bedingungslos gegen Barzahlung am Bewertungsstichtag stattfinden könnte, unter den Annahmen:

- eines gewillten Verkäufers,
- dass unter Berücksichtigung der Art der Immobilie und der Marktsituation ein angemessener Zeitraum für Vermarktung, Übereinkunft über Preis und Bedingungen sowie für den Verkaufsabschluss vor dem Bewertungsstichtag liegt,
- dass die Marktverhältnisse, das Preisniveau und andere Umstände an jedem angenommenen früheren Zeitpunkt der Verkaufsabwicklung identisch mit denen am Bewertungsstichtag waren,
- dass zusätzliche Offerten von potentiellen Käufern mit besonderem Interesse nicht berücksichtigt werden und
- dass beide Parteien mit Marktkenntnis, Umsicht und ohne Zwang gehandelt haben.<<[32]

Der Open Market Value stellt das zentrale britische Wertkonzept mit internationaler Bedeutung dar. White, D./Turner, J./Jenyon, B. und Lincoln, N. legen in ihrem 1999 veröffentlichten Werk: >>Internationale Bewertungsverfahren für das Investment in Immobilien<< allen Wertermittlungen den OMV zugrunde. „Generell unterliegen unsere Bewertungen der Definition des offenen Marktwertes in Einklang mit den Richtlinien der Royal Institution of Chartered Surveyors.“[33]

Der OMV bildet auch das Pendant zum deutschen Verkehrswert. Unterschiede liegen jedoch im Bewertungsergebnis und in der Zahlungsart. Während der Verkehrswert eher einen durchschnittlichen Preis repräsentiert, den ein durchschnittlicher Käufer im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu zahlen bereit wäre, geht man beim OMV, wenn nicht sogar vom besten so doch zumindest von einem Preis aus, der sich im oberen Schwankungsbereich der Marktpreise bewegt. Außerdem wird bei der britischen Definition grundsätzlich von einem Verkauf gegen Barzahlung ausgegangen, was beim Verkehrswert als preisbeeinflussender Umstand angesehen wird, jedoch keinen Einfluss auf den Verkehrswert der Immobilie hat.[34]

Darüber hinaus ist der OMV weitgehend mit dem französischen (Valeur vénale) sowie dem holländischen (Onderhandseverkoopwaarde) Verkehrswertbegriff identisch, wobei in Frankreich lediglich der Preis und nicht der beste Preis geschätzt werden soll.[35]

2.3 Der Fair Value des International Accounting Standards Board

Bevor auf den Fair Value (fairer Wert) eingegangen wird, sollen Geschichte und Bedeutung des IASB kurz erläutert werden: Das International Accounting Standards Board (IASB) ist die Nachfolgeorganisation des am 29. Juni 1973 von sich mit der Rechnungslegung befassenden Berufsverbänden zahlreicher Länder (darunter Frankreich, Großbritannien, Deutschland, die USA, Irland, Japan, Kanada, die Niederlande, Mexiko sowie Australien) ins Leben gerufenen International Accounting Standards Committee (IASC).[36] Diese internationale Rechnungslegungsorganisation mit Sitz in London hat sich die Formulierung und Veröffentlichung von Rechnungslegungsgrundsätzen, den sogenannten International Accounting Standards (IAS) und deren weltweite Verbreitung zur Aufgabe gemacht.“[37]

Die Grundsätze zur Bewertung des betrieblichen Sachanlagevermögens für Unternehmenszwecke sowie des Sachanlagevermögens zur Erzielung von Einkünften sind in den IAS 16 und IAS 40 geregelt und gewinnen vor dem Hintergrund folgender, neuer Strategie der EU-Kommission zunehmend an Bedeutung: „Ab dem Jahre 2005 sollen alle europäischen börsennotierten Unternehmen verpflichtend IAS-Abschlüsse vorlegen.“[38]

[...]


[1] Vgl. Sayce, S. / Connellan, O. (2000), S. 4

[2] Vgl. Thomas, M. / Leopoldsberger, G. / Walbröhl, V. (1998), S. 383

[3] Kleiber, W. / Simon, J. / Weyers, G. (1994), S. 85

[4] Vgl. Thomas, M. / Leopoldsberger, G. / Walbröhl, V. (1998), S. 384

[5] Sohni, M. (1997), S. 9

[6] Thomas, M. / Leopoldsberger, G. / Walbröhl, V. (1998), S. 385

[7] Vgl. Baugesetzbuch § 193

[8] Vgl. Gerardy, T. / Möckel, R. / Troff, H. (1997), S. 9.5.2 ff.

[9] Vgl. Homann, K. (1998), S. 133

[10] Vgl. Thomas, M. / Leopoldsberger, G. / Walbröhl, V. (1998), S. 384

[11] Vgl. Sohni, M. (1997), S. 53

[12] Vgl. Gerardy, T. / Möckel, R. / Troff, H. (1997), S. 1.10.2/3

[13] Vgl. Sohni, M. (1997), S. 54 ff.

[14] Vgl. Gerardy, T. / Möckel, R. / Troff, H. (1997), S. 9.5.1/2

[15] Vgl. Sohni, M. (1997), S. 52

[16] Vgl. Gerardy, T. / Möckel, R. / Troff, H. (1997), S. 9.5.1/3

[17] Vgl. o. V. (2001f), S. 1

[18] Sohni, M. (1997), S. 51

[19] Thomas, M. / Leopoldsberger, G. / Walbröhl, V. (1998), S. 446

[20] Vgl. TEGoVA (2000), S. 323 ff.

[21] Gerardy, T. / Möckel, R. / Troff, H. (1997), S. 9.5.1/3

[22] Vgl. o. V. (2001a), S. 1

[23] White, D. / Turner, J. / Jenyon, B. / Lincoln, N. (1999), S. 21

[24] Vgl. Kleiber, W. (2000), S. 323

[25] Vgl. Thöne, C. (2000), S. 6

[26] Baugesetzbuch § 194

[27] Vgl. Knaus, E. (2000), S. 2

[28] Vgl. Vogels, M. (1996), S. 237 und Thöne, C. (2000), S. 7

[29] Wertermittlungsverordnung § 1 Abs.1 Satz 2

[30] Vogels, M. (1996), S. 237

[31] Vgl. Thöne, C. (2000), S.8

[32] Vgl. RICS (1995), PS 4.2

[33] White, D. / Turner, J. / Jenyon, B. / Lincoln, N. (1999), S. 21

[34] Vgl. Thomas, M. / Leopoldsberger, G. / Walbröhl, V. (1998), S. 420 und Thöne, C. (2000), S. 14

[35] Vgl. Gerardy, T. / Möckel, R. / Troff, H. (1997), S. 1.10.3/4 ff.

[36] Vgl. o. V. (2001d), S. 1 und o. V. (2001b), S. 1

[37] Vgl. o. V. (2001e), S. 1 und KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft (1999), S. 2

[38] Schurbohm, A. (2001), S. 17

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832444921
ISBN (Paperback)
9783838644929
DOI
10.3239/9783832444921
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart – Wirtschaft
Erscheinungsdatum
2001 (September)
Note
1,2
Schlagworte
immobilien immobilienbewertung immobilienwirtschaft tegova wertermittlung
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