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Sabine Christiansen: Talkshow-Monographie

©2001 Seminararbeit 25 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bereits im Rahmen eines fachwissenschaftlichen Seminars zum Thema „Medien und Sozialarbeit“ wurde ich auf den Umstand aufmerksam, dass infolge innovativer Konzepte wie jenes von „Big Brother“ oder von Nachmittagstalks gesellschaftlich wieder allgemein über Fernsehdesigns und besonders über die soziologische Relevanz von Talksendungen diskutiert wird. „,Talk’ - das ist im weitesten Sinne gesprochenes Wort. Mediale Sprechsituationen unterliegen wesentlich anderen Voraussetzungen als die sprachliche Alltagskommunikation“. Wird aus diesem konzeptionellen Inhalt nun eine Fernsehsendung produziert, so entsteht eine „Sendeform des Bildmediums Fernsehen, die unmittelbar auf ursprünglich orale Kulturtechniken des Erzählens zurückgreift“, um somit Talk und Show zu einer Synthese zusammenzuführen. „Dabei steht der ’Talk’ im Mittelpunkt, während die Show-Elemente ... als Übergang und Rahmenprogramm dienen“. Den Begriff der Talkshow allerdings definitorisch einzugrenzen, fällt dem Analysator dieser Gattung schwer. „Synonyme wie Schau-Plauderei, Plauderei-Schau, Gerede-Schauen, Prominenten-Plausch, Plauderstunde, Schwatzbude oder Sprechstunde bleiben allenfalls Hilfskonstruktionen“.
Bemerkenswert bleibt über solche Überlegungen allerdings der enorme Zuwachs dieser Sendeform, beispielsweise zwischen 1980 und 1993. „Nimmt man den relativen Anteil der Talkshow am Gesamtprogrammvolumen als Grundlage, so ist der Umfang der Talkshow im Verlauf dieser 13 Jahre nach erheblichen Schwankungen um 65% angewachsen“. Interessant gestaltet sich unter diesem Gesichtspunkt die Frage nach den sozialen Auswirkungen einer Dominanz der Talkshow in der Rezeption audiovisueller Medien. Wenn nämlich „der Talk dem Alltagsgeschehen so nahe ist, wenn sich Strukturen des Gesprächs hier wie dort wiederholen, dann ist ungewiß, ob die Zuschauer beide Ebenen voneinander trennen können, ob es nicht zu einem ,Downloaden’ der elektronischen Programme in die Programme der Lebenswelt kommt“. Dass sich „Fernsehentertainment und persönliches Gespräch in informellen Zusammenhängen“ in solchem Maße verquickt darstellen bzw. einer Konkurrenz ausgesetzt sehen, hat im Bereich politisch beeinflussender Sendungen darüberhinaus Auswirkungen auf die diesbezügliche Meinungsbildung des Fernsehpublikums, welches sich durch eine Steigerung der Informationsgewinnungsmöglichkeiten eine Intensivierung der demokratischen Partizipation erhofft. Somit gewinnt die funktionale Sinnhaftigkeit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsübersicht

0. Einführung

1. Daten zur Sendung

2. Traileranalyse

3. Kurzinhalt der Einzelsendung
3.1. Anmoderation
3.2. Gäste
3.3. Filmbeitrag
3.4. Gesprächsverlauf.
3.5. Stimmung im Studio.
3.6. Neutralitäts- und Identifikationsfunktion
3.7. Gesprächsleitung.
3.8. Kommunikationsverhalten der Hauptgäste
3.9. Abmoderation
3.10. Ziel

4. Studioambiente
4.1. Architektur
4.2. Anordnung der Akteure
4.3. Innengestaltung

5. Formale Merkmale.

7. Fazit und Ausblick.

8. Literaturverzeichnis

0. Einführung

Bereits im Rahmen eines fachwissenschaftlichen Seminars zum Thema „Medien und Sozialarbeit“ wurde ich auf den Umstand aufmerksam, dass infolge innovativer Konzepte wie jenes von „Big Brother“ oder von Nachmittagstalks gesellschaftlich wieder allgemein über Fernsehdesigns und besonders über die soziologische Relevanz von Talksendungen diskutiert wird. „,Talk’ – das ist im weitesten Sinne gesprochenes Wort. Mediale Sprechsituationen unterliegen wesentlich anderen Voraussetzungen als die sprachliche Alltagskommunikation“ (Schmid, 1975, S. 113). Wird aus diesem konzeptionellen Inhalt nun eine Fernsehsendung produziert, so entsteht eine „Sendeform des Bildmediums Fernsehen, die unmittelbar auf ursprünglich orale Kulturtechniken des Erzählens zurückgreift“ (Bleicher, 1999, S. 203), um somit Talk und Show zu einer Synthese zusammenzuführen. „Dabei steht der ’Talk’ im Mittelpunkt, während die Show-Elemente ... als Übergang und Rahmenprogramm dienen“ (Mühlen, 1985, S.18). Den Begriff der Talkshow allerdings definitorisch einzugrenzen, fällt dem Analysator dieser Gattung schwer. „Synonyme wie Schau-Plauderei, Plauderei-Schau, Gerede-Schauen, Prominenten-Plausch, Plauderstunde, Schwatzbude oder Sprechstunde bleiben allenfalls Hilfskonstruktionen“ (Steinbrecher & Weiske, 1992, S.12). Bemerkenswert bleibt über solche Überlegungen allerdings der enorme Zuwachs dieser Sendeform, beispielsweise zwischen 1980 und 1993. „Nimmt man den relativen Anteil der Talkshow am Gesamtprogrammvolumen als Grundlage, so ist der Umfang der Talkshow im Verlauf dieser 13 Jahre nach erheblichen Schwankungen um 65% angewachsen“ (Fley, 1997, S.42). Interessant gestaltet sich unter diesem Gesichtspunkt die Frage nach den sozialen Auswirkungen einer Dominanz der Talkshow in der Rezeption audiovisueller Medien. Wenn nämlich „der Talk dem Alltagsgeschehen so nahe ist, wenn sich Strukturen des Gesprächs hier wie dort wiederholen, dann ist ungewiß, ob die Zuschauer beide Ebenen voneinander trennen können, ob es nicht zu einem ,Downloaden’ der elektronischen Programme in die Programme der Lebenswelt kommt“ (Plake, 1999, S.27). Dass sich „Fernsehentertainment und persönliches Gespräch in informellen Zusammenhängen“ (ebd., S.28) in solchem Maße verquickt darstellen bzw. einer Konkurrenz ausgesetzt sehen, hat im Bereich politisch beeinflussender Sendungen darüberhinaus Auswirkungen auf die diesbezügliche Meinungsbildung des Fernsehpublikums, welches sich durch eine Steigerung der Informationsgewinnungsmöglichkeiten eine Intensivierung der demokratischen Partizipation erhofft. Somit gewinnt die funktionale Sinnhaftigkeit politischer Talkshows ebenso an gesamtgesellschaftlicher Bedeutung wie deren Imagebildung und Gestaltung, welche ich am Beispiel von „Sabine Christiansen“ im folgenden näher beleuchten will.

Nach einer einführenden Klärung der formalen Daten ist es zunächst sinnvoll, den Trailer der Sendung zu analysieren, um anschließend deren umfassenden Inhalt in chronologischer Reihenfolge zu erläutern. Zur verständlicheren Veranschaulichung des programmatischen Konzepts weise ich darauffolgend auf die vielfältigen Aspekte des Studioambiente und auf die formalen Merkmale hin, bevor ich abschließend ein Fazit ziehe und einen Ausblick auf die Zukunft von politischen Talkshows im Zusammenhang ihrer gesellschaftlichen Funktion gewähre.

Bei der Erstellung dieser Arbeit war mir neben der Lektüre von Fachliteratur zudem ein Besuch auf der Internet-Homepage der Sendung behilflich.

1. Daten zur Sendung

Wöchentlich sonntags lädt die 1957 geborene Moderatorin Sabine Christiansen zur gleichnamigen Talkshowreihe. Seit 1997 wird „Sabine Christiansen“ durch den Norddeutschen Rundfunk in Berlin produziert, um über die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) in Mainz unmittelbar live ausgestrahlt zu werden. Die Sendung, welche im folgenden Gegen-stand dieser Monographie sein soll, wurde am 16.04.2000 von 2240 Uhr bis 2340 Uhr ausgestrahlt, aufgrund einer vorangestellten Sondersendung später, als dies sonst der Fall ist. Überschrieben mit dem Titel „Verkehr verkehrt Mega-Staus, Bahn-Frust, Klimakatastrophe“ erreichte die Show an diesem Abend einen Marktanteil von 23,0 %.

2. Traileranalyse

Sabine Christiansen kommt. Dies ist nicht nur die Aussage des Schriftzuges, der ihren Namen zeigt und zu beschwingten Jazz-Klängen in laufender Wiederholung während des gesamten Trailers sowohl bildschirmfüllend als auch gleichzeitig als schmales Laufband in der Mitte vorüberzieht, stets angenehm zurückgenommen, fast unauffällig in transparentem Blau-/Grau-Wechselspiel. Lediglich beim ersten Einblenden des kleineren Namenszuges wird mit einer harten Schwarz-/Weiß-Farbgebung bereits der Charakter einer Diskussionsveranstaltung angedeutet. Nein, die Moderatorin selbst schreitet zur ersten Kameraeinstellung forschen Schrittes aufrecht und energisch, fast gehetzt, zur Tat, gleich einem Vorstandsvorsitzenden zu wichtiger Besprechung. Eine durch sonst eher im Internet gebräuchliche Gestaltungsmittel – vorbeihastende graue Streifen auf dezentem blauem Hintergrund – verstärkte Suggestion, die im Interieur des Studios ihre Fortsetzung finden wird. Die zweite Einstellung des Vorspanns zeigt eine gestikulierende Christiansen in einem Monitor mit rot leuchtendem Aufnahmelämpchen, bevor sich dem Rezipienten verdeutlicht, dass es sich bei der folgenden Sendung um eine politiklastige Talkshow handelt. Live-Aufzeichnungen von Joschka Fischer und Kurt Biedenkopf sind zu sehen, Rudolf Scharping und Olaf Henkel, Hans Eichel und Angela Merkel sowie Salman Rushdie und Guido Westerwelle, zwischen diesen vier Paaren jeweils eine sich engagiert äußernde Christiansen. Da mit Ausnahme von Frau Merkel, die lediglich eben Luft holend den Zeigefinger hebt, sämtliche dargestellten Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur offensichtlich gerade heftig argumentierend gezeigt werden, liegt bereits zum jetzigen Zeitpunkt der Schluss nahe, im folgenden keine bloße Prominentengala zu erleben, sondern statt einer gäste- eine themenzentrierte Talkshow aus der Rubrik „Politik“. Anschließend sieht man Christiansen zweimal einfach nur aufmerksam zuhörend, dazwischen ein jovialer Gerhard Schröder sowie Antje Radtke und Wolfgang Schäuble, beide wieder debattierend, bevor der Trailer nach 21 Sekunden mit einem weiß eingeblendeten „Sabine Christiansen“-Schriftzug vor einer sich öffnenden stilisierten Weltkugel mit Längen- und Breitengraden endet, in der sich das Fernsehstudio gleichsam als Innenansicht des Globus offenbart.

3. Kurzinhalt der Einzelsendung

3.1. Anmoderation

Nach einer kurzen Begrüßung von Studio- und Fernsehpublikum führte Sabine Christiansen mit gefalteten Händen und starrer Körperhaltung in den monothematischen Abend ein. Auf das zurückliegende Reisewochenende an Ostern Bezug nehmend zählte sie die Problembereiche der deutschen Verkehrslandschaft auf: Staus im Alltag, mangelnder Autobahnausbau, Flugzeugschleifen über den Flughäfen und die Bahn im allgemeinen, welche sich durch ein marodes Streckennetz, Geldmangel und die sogenannte Ökosteuer massiven Schwierigkeiten gegenübersehe.

3.2. Gäste

Mit Ansprache der weltweiten Klimaschutzziele leitete sie zur Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen über, wodurch sich die Gelegenheit bot, ihre Studiogäste vorzustellen: Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnis90/GRÜNE), Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD), der frühere Bundesumweltminister (1987 – 1994) und jetzige Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer (CDU), der Chef der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, der Leiter Verkehr des Automobilclubs von Deutschland, Johannes Hübner sowie der Präsident des Bundesverbandes Spedition und Logistik, Manfred Boes. Mit sechs Hauptgästen war die Diskussionsrunde diesmal also sehr gut bestückt, wenn sich auch deren Typisierung als schwierig gestaltet, da sich alle genannten Herren zwar in den höchsten gesellschaftlichen Positionen ihrer jeweiligen Wirkungskreise befinden, der Begriff der Prominenz sich aber kaum fassen lässt. Gemäß des Konzepts der Sendung kommen als Gäste gleichwohl nur „thematisch kompetente Personen in Frage. Wenn sie darüber hinaus entweder betroffen oder verantwortlich sind ..., so entsprechen sie den Idealvorstellungen“ (Steinbrecher & Weiske, 1992, S.39). Gemeinsam ist den Gästen daher ihre Herkunft aus Politik und Wirtschaft, womit sie als kompetent dazu erachtet werden können, ein aktuelles Thema des Zeitgeschehens, das ihre eigenen Interessenssphären tangiert, zu erörtern.

3.3. Filmbeitrag

Im sehr zurückhaltenden Präsenzpublikum befanden sich in dieser Einzelsendung ausnahmsweise keine Experten als Nebengäste. Diese kamen hingegen als betroffene Verkehrsteilnehmer im direkt an eine kurze Überleitung anschließenden Filmbeitrag nach der Vorstellung der Hauptgäste zu Wort. Die zynisch mit Liedern wie „It´s nice to go travelling“ oder „Baby, you can drive my car“ hinterlegte Kurzreportage reihte durch einen Sprecher kommentierte Bilder aneinander, welche die Unpünktlichkeit, das verrottende Schienennetz sowie die Serviceprobleme der Deutschen Bahn zeigten, dann die Staus auf den Autobahnen mit Bezug auf Klimmts Anti-Stau-Programm sowie die stark steigenden Unterhaltskosten für Kraftfahrzeuge, und schließlich die Warteschleifen von Flugzeugen ob der Überlastung der Flugräume bei gleichzeitig fehlender Besteuerung von Kerosin durch die ökologische Steuerreform. Als Experten gaben während dieser Schilderungen immer wieder unzufriedene Bahngäste und Autofahrer sowie ein Verkehrspolizist die eigenen Erfahrungen wieder.

3.4. Gesprächsverlauf

Hierdurch angeregt zur Erörterung von zukunftsweisenden Gesamtkonzepten gegen die deutschen Verkehrsprobleme eröffnete Christiansen sogleich mit der Frage nach den Möglichkeiten einer Rückführung des CO2-Ausstoßes als Bestandteil des zu findenden Konzeptes. Zunächst allerdings nutzten die beiden berliner Koalitionäre Trittin und Klimmt dies zu einer Pro- und Contra-Auseinandersetzung über eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen. Allgemein lässt sich konstatieren, dass der Umweltminister hauptsächlich die originären Themen seines Ressorts einbringen konnte und damit, bedingt durch eine wiederholte Ansprache der Ökosteuer, die Suche nach übergreifenden Verkehrskonzepten immer wieder auf den Umweltschutz zurückführte. Auch war er der einzige Teilnehmer in der Runde, der die Bahn gegen die Vorwürfe seiner Gesprächspartner verteidigte, während Klimmt von der Bahn forderte, den fortgesetzten milliardenschweren Subventionen durch sein Verkehrsministerium nun eine weitere Professionalisierung aus eigener Kraft folgen zu lassen. „Nach jüngsten Analysen des Medienspiegels verfolgen die

Talkshow-Gäste bei ihren Fernsehauftritten vor allem drei Absichten:

- Vermittlung politischer Botschaften in einem unterhaltenden Senderahmen,
- Möglichkeit zur ausgiebigen Selbstdarstellung mit dem gewünschten Effekt, einen hohen Bekanntheitsgrad zu erreichen,
- Werbung für ... gemeinnützige Ziele (Steinbrecher & Weiske, 1992, S.73).

So lag beispielsweise der argumentative Schwerpunkt Johannes Hübners vom Automobilclub von Deutschland auf der Organisation eines visionären Modulverkehrs, welche die Bahn zu leisten hätte, um die Verkehrsteilnehmer im Zuge einer andauernden Kostendiskussion nicht weiter durch die Politik zu belasten. Manfred Boes vom Bundesverband Spedition und Logistik dagegen ging, anstatt Lösungen anzubieten, in seiner Kritik weiter und griff die Bahn ob ihrer Unwirtschaftlichkeit gegenüber des Güterverkehrs auf der Straße scharf an, verteidigte letzteren gegen den Vorwurf der mangelnden Umweltverträglichkeit und lehnte eine von Klimmt geforderte Schwerlastabgabe zur Umsetzung seines Anti-Stau-Programms ab. Der Gesprächsteilnehmer, der die ungünstigste Ausgangsposition in diesem Streitgespräch innehatte, war naturgemäß Hartmut Mehdorn, der die Deutsche Bahn AG sowie seine Mitarbeiter leidenschaftlich in Schutz zu nehmen wusste. Der ehemalige Staatsbetrieb auf dem Weg zur privatwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit habe nicht nur mit einem ungerechtfertigt schlechten Image zu kämpfen, was beispielsweise auch dazu führe, dass der Bahn nur Müll, Gift und Sperrgüter zu transportieren aufgetragen werde, viele Unternehmer ihr jedoch für gewöhnliche Fracht weniger bezahlen wollten als LKW-Spediteuren, sondern darüberhinaus noch mit einem signifikant höheren Maß an Treibstoffkosten als die umweltschädlicheren Fluggesellschaften. Daraus ergebe sich eine durch äußere Faktoren determinierte Chancenungleichheit, während die Bahn jedoch ihre Bahnhöfe großzügig ausbaue, mit einer Pünktlichkeit von 97% das Anschlusssystem aufrechterhalte und die genannten Schwierigkeiten fortlaufend evaluiere und bearbeite. Demgegenüber kam dem frühere Bundesbau- und Umweltminister Klaus Töpfer im Rahmen der Kontroverse eine Sonderrolle zu. Als einziger Diskussionsteilnehmer, der zurzeit in Deutschland an keinem politischen Prozess beteiligt ist oder irgendgeartete finanzielle bzw. ideologische Interessen durchzusetzen hat, und sich als UN-Mitarbeiter sogar nichteinmal parteipolitisch äußern darf, hatte er die Möglichkeit, sich als übergeordnete moralische Instanz darzustellen. So konnte er das Thema im gesamten Verlauf des Abends immer wieder auf seine Kritik lenken, die derzeitige Verkehrspolitik der westlichen Industrienationen sei als eine ökologische Aggression gegenüber den Entwicklungsländern anzusehen, da diese zwar keinen Nutzen daraus zögen, die CO2-Emissionen allerdings zuvorderst auf deren territorialen Gebieten das Klima beeinflussten. So wollte Töpfer zwar nicht die Bahn angreifen, warb jedoch für eine Rückführung des Streitpunktes auf die Bewältigung des gesamten Verkehrs hinsichtlich der Trends zu Verkehrsballungszentren und Urbanisierung sowie für Visionen einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung. Es sei mehr Fantasie nötig, z.B. eine kostengünstige Lagerhaltung, um Transporte unnötig zu machen, oder Teleshopping, womit er zudem das Schlusswort gestaltete.

3.5. Stimmung im Studio

Trotz einer reißerischen Intensität des vorangestellten Filmbeitrags benötigten die Diskussionsteilnehmer etwa die Hälfte der Sendung, um das Konzept eines gästeorientierten Gruppengesprächs anzunehmen, was bei aller Suggestion einer persönlichen Konversation in geselliger Runde zunächst zur Verstärkung der Hierarchie in der Kommunikation zwischen der Moderatorin und dem jeweiligen Diskutanden beitrug. Kühle Distanz wahrte Christiansen in den direkten Dialogen zudem durch das Siezen ihrer Gäste, die infolge des formalen Rahmens ihre Argumente bei allem Engagement sachlich und überlegt zu präzisieren wussten.

3.6. Neutralitäts- und Identifikationsfunktion

Die Wahrung strikter Neutralität gegenüber allen Gesprächspartnern durch die Moderatorin ließ durch die bereits erläuterte Sonderrolle des UN-Umweltdirektors Töpfer eine dramaturgisch bedeutsame Ausnahme zu. An ihn richtete sie überproportional oft das Wort, um, bisweilen längere Monologe des Vorredners oder verfahrene Streitsituationen zwischen Mehdorn und einem der anderen Teilnehmer auf dem Forum unterbrechend, das Thema auf den weniger konfliktbeladen scheinenden Teilaspekt des globalen Klimaschutzes zurückgeführt zu wissen, bevor ein weiterer Problemkomplex behandelt wurde. Darüberhinaus fiel eine der Rolle des Moderators als Identifikationsfigur für Fernseh- und Studiopublikum entsprechende starke Zuschauerorientierung von Christiansen auf, welche die Neutralität weiter beeinträchtigte. So wurden nicht „Aussagen, Meinungen und Argumente verschiedener Gesprächspartner miteinander konfrontiert, um ... zu einer Problematisierung, Kontroverse oder zumindest zu einer mehrperspektivischen Behandlung eines Themas zu gelangen“ (Troesser, 1986, S.226), stattdessen ließ Christiansen bisweilen im Rahmen von Fragestellungen und Überleitungen eine zweifelnde bzw. positiv gestimmte Einstellung gegenüber des angesprochenen Diskussionsgegenstandes in bloßer Übereinstimmung mit den emotionalen Bekundungen des Präsenzpublikums erkennen, welches nahezu generell Aussagen auf dem Forum gegen die Bahn und gegen eine Belastung des Straßenverkehrs sowie allgemeine Äußerungen zur Verbesserung des Klimaschutzes durch Beifall unterstützte. Doch auch die Zuschauer vor dem Fernseher zuhause konnten sich mit der Moderatorin verbunden fühlen. Christiansen bemühte sich nämlich zwar, allumfassend informiert und grundsätzlich kompetent zu wirken, berief sich aber niemals auf eigene Recherchen, die schließlich auch dem Publikum nicht möglich sind. Stattdessen stellte sie ihre Fragen auf die Basis von vermuteter öffentlicher Meinung und von in der Presse verbreiteten und damit allseits bekannten Fakten, beispielsweise über Pläne der Bundesregierung und Probleme der Bahn. So hat man es zwar zunächst „mit einem (interpersonalen) Kommunikationsprozeß zu tun, der zwischen den ... diskutierenden Personen abläuft, das dieses Gespräch [aber] ‚öffentlich’ ist, d.h. von einer potentiell unbegrenzten Anzahl von Personen empfangen werden kann, handelt es sich darüberhinaus um einen Massenkommunikationsprozeß: viele Menschen versuchen nämlich an der Diskussion Anteil zu nehmen, ohne direkt an ihr teilnehmen zu können“ (Burkart, 1983, S.5). Nach Vilhelm Flusser findet im Rahmen einer Fernsehtalkshow eine Synergie von dialogischen mit diskursiven Medien statt, da Kreisdialoge durch den Fernseher übertragen werden. Infolge dieses Zusammenwirkens beider Medienaspekte wird suggeriert, jeder könne mit jedem sprechen, und die eigenen Gedanken könnten sowohl aus der Sicht des Studiogastes als auch aus der des Rezipienten mit der ganzen Welt geteilt werden. Durch das Einbringen von laienhaftem Wissen über die Thematik durch die Moderatorin konnte sich also eine breite Bevölkerungsschicht vor dem Fernseher wirklich in der Runde von hochkarätigen Entscheidungsträgern, inmitten einer parasozialen Interaktion, vertreten fühlen.

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832445539
ISBN (Paperback)
9783838645537
DOI
10.3239/9783832445539
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2001 (September)
Note
1,0
Schlagworte
netzdialoge medienpädagogik diskursrituale medienkompetenz kommunikation
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