Ideologie und Erziehung am Beispiel der Lehrpläne für Kindergärten der Provinz Jiangsu
©1997
Diplomarbeit
82 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen.
Immer wieder erscheinen Bücher, die sich mit Erziehung beschäftigen. Auch über das Erziehungswesen in China wird geschrieben. Allerdings berichten Autoren vorwiegend über die Hochschulausbildung und die Erwachsenenbildung. Die Erziehung in Schulen und Universitäten beeinflusst das ganze weitere Leben. Wer seine ganze Schulzeit gesagt bekommt, was er zu tun hat, wird auch als Erwachsener bei der Arbeit nicht selbständig entscheiden. Das Forschungsinteresse steigt, aber kaum jemand beachtet, dass die Erziehung nicht erst in der Schule beginnt, sondern schon im Kindergarten. Im Kindergarten werden die Grundlagen für das spätere Leben gelegt.
Ich kann mit dieser Arbeit nicht umfassend das gesamte Erziehungssystem im Kindergarten darstellen, jedoch soll diese Arbeit einen Einblick geben. Ursprünglich sollte die Arbeit einen Vergleich zwischen deutschen und chinesischen Kindergärten beinhalten. Die unterschiedlichen traditionellen Bilder des Kindes und die heutigen verschiedenen Bedingungen im sozialen und familiären Bereich lassen einen solchen Vergleich aber nicht zu.
Die starke Ähnlichkeit von Schule und Kindergarten war für mich sehr überraschend. In diesem Punkt weicht die deutsche Lehrmeinung sehr stark ab. Die Kinder sollen im Kindergarten die Möglichkeit haben, sich selbst und ihre Umwelt durch das Spiel kennenzulernen.
Die großen Unterschiede in der Erziehung lassen sich wahrscheinlich auch auf die unterschiedlichen politischen Systeme zurückführen.
Ich denke, dass sich die Führer des chinesischen politischen System nur halten können, wenn das Volk diszipliniert ist und gelernt hat, höherstehende Personen zu achten. Die Grundlagen hierfür werden schon im Kindergarten gelegt.
Ich hoffe, dass ich diese These durch meine Arbeit belegen kann.
Im ersten Kapitel sollen die Strukturen und die Funktionen der Familie dargestellt werden. Die Familie war schon immer in der chinesischen Geschichte eine Sonderinstitution der Gesellschaft mit großer Bedeutung für die Erziehung. Die Strukturen und Funktionen wirken teilweise noch bis in die heutige Familie, teilweise werden sie durch die neuen Entwicklungen und von der Familienpolitik erschüttert. Am Ende bleibt die Frage offen, welche Maßnahmen man treffen könnte, um die Nebenwirkungen während der sozialen Umwälzungen zu kompensieren.
Der zweite Teil soll die Reform und die heutige Struktur des Kindergartens […]
Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen.
Immer wieder erscheinen Bücher, die sich mit Erziehung beschäftigen. Auch über das Erziehungswesen in China wird geschrieben. Allerdings berichten Autoren vorwiegend über die Hochschulausbildung und die Erwachsenenbildung. Die Erziehung in Schulen und Universitäten beeinflusst das ganze weitere Leben. Wer seine ganze Schulzeit gesagt bekommt, was er zu tun hat, wird auch als Erwachsener bei der Arbeit nicht selbständig entscheiden. Das Forschungsinteresse steigt, aber kaum jemand beachtet, dass die Erziehung nicht erst in der Schule beginnt, sondern schon im Kindergarten. Im Kindergarten werden die Grundlagen für das spätere Leben gelegt.
Ich kann mit dieser Arbeit nicht umfassend das gesamte Erziehungssystem im Kindergarten darstellen, jedoch soll diese Arbeit einen Einblick geben. Ursprünglich sollte die Arbeit einen Vergleich zwischen deutschen und chinesischen Kindergärten beinhalten. Die unterschiedlichen traditionellen Bilder des Kindes und die heutigen verschiedenen Bedingungen im sozialen und familiären Bereich lassen einen solchen Vergleich aber nicht zu.
Die starke Ähnlichkeit von Schule und Kindergarten war für mich sehr überraschend. In diesem Punkt weicht die deutsche Lehrmeinung sehr stark ab. Die Kinder sollen im Kindergarten die Möglichkeit haben, sich selbst und ihre Umwelt durch das Spiel kennenzulernen.
Die großen Unterschiede in der Erziehung lassen sich wahrscheinlich auch auf die unterschiedlichen politischen Systeme zurückführen.
Ich denke, dass sich die Führer des chinesischen politischen System nur halten können, wenn das Volk diszipliniert ist und gelernt hat, höherstehende Personen zu achten. Die Grundlagen hierfür werden schon im Kindergarten gelegt.
Ich hoffe, dass ich diese These durch meine Arbeit belegen kann.
Im ersten Kapitel sollen die Strukturen und die Funktionen der Familie dargestellt werden. Die Familie war schon immer in der chinesischen Geschichte eine Sonderinstitution der Gesellschaft mit großer Bedeutung für die Erziehung. Die Strukturen und Funktionen wirken teilweise noch bis in die heutige Familie, teilweise werden sie durch die neuen Entwicklungen und von der Familienpolitik erschüttert. Am Ende bleibt die Frage offen, welche Maßnahmen man treffen könnte, um die Nebenwirkungen während der sozialen Umwälzungen zu kompensieren.
Der zweite Teil soll die Reform und die heutige Struktur des Kindergartens […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ID 3171
Liedtke-Aherrahrou, Sandra: Ideologie und Erziehung am Beispiel der Lehrpläne für
Kindergärten der Provinz Jiangsu / Sandra Liedtke-Aherrahrou -
Hamburg: Diplomica GmbH, 2001
Zugl.: Hamburg, Universität, Diplom, 1997
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http://www.diplom.de, Hamburg 2001
Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG 4
1.
DIE FAMILIE IN CHINA
7
1.1
Die gegenwärtige Familie unter der Familienpolitik 7
1.1.1.
Demographische Daten
8
1.1.2.
Der Inhalt und die Maßnahmen der
Familienpolitik
9
a)
Die ,,Ein - Kind - Politik"
9
b)
Die Hauptmethoden zur Geburtenregelung sind: 9
1.1.3.
Die Folgen der Familienpolitik
10
1.2. Die moderne Familie
11
1.2.1.
Das Alltagsleben in der Familie
11
a)
Wohnverhältnisse
11
b)
Einkommensverhältnisse
11
c)
Konsumverhalten:
12
1.2.2.
Die Rollenverteilung innerhalb der Familie
12
1.3
Kleinkindererziehung gestern und heute
13
1.3.1.
Das traditionelle Bild vom Kind in China
14
1.3.2.
Die traditionelle Kleinkinderziehung
14
1.3.3.
Kindererziehung im modernen China
16
1.4. Resümee 17
2
REFORM UND GEGENWÄRTIGE STRUKTUR
DES KINDERGARTENS
18
2.1
Vorschulische Erziehung
19
2.1.1.
Vorschulerziehung als Objekt
gesellschaftswissenschaftlicher Forschung
19
2.1.2.
Staatliche Planung und Kontrolle
20
2.1.3.
Pädagogische Fachkräfte im Kindergarten.
21
2.2. Aufbau innerhalb des Kindergartens
22
2.2.1.
Arbeitsaufteilung im Kindergarten
22
2.2.2.
Klasseneinteilung im Kindergarten
24
2.3
Die Lehrfächer im Kindergarten
24
2.3.1.
Die Hauptinhalte und Grundgedanken in den
einzelnen Fächern
25
a)
Sportunterricht
25
b)
Sprachunterricht
25
c)
Allgemeinwissen
25
d)
Rechenunterricht
26
2
e)
Musikunterricht
26
f) Zeichen- und Bastelunterricht
26
2.3.2.
Die verschiedenen Unterrichtsarten und
-methoden im Kindergarten
27
2.3.3.
Die Hauptunterschiede zwischen Kindergarten
und Schule
28
2.3.4.
Der Tagesablauf im Kindergarten
30
2.4. Resümee 31
3.
DIE LEHRPLÄNE FÜR KINDERGÄRTEN DER
PROVINZ JIANGSU
32
3.1.
Allgemeine Ziele im Kindergarten
32
3.1.1.
Entwicklungsziele
32
3.1.2.
Gesundheit und Bewegungsfähigkeiten
33
3.1.3.
Sprach- und Erkenntnisfähigkeiten
34
3.1.4.
Moral und gesellschaftliche Fähigkeiten
35
3.2. Der Lehrplan für die Xiao Ban
36
3.2.1
Die Themen des 1. Semesters in der Xiao Ban 36
3.2.2.
Das 2. Halbjahr in der Xiao Ban
41
3.3. Der Lehrplan der Zhong Ban
47
3.3.1.
Das 1. Halbjahr
48
3.3.2.
Das 2. Halbjahr
50
3.4 Der Lehrplan für die Da Ban
53
3.4.1.
Das erste Halbjahr
54
3.4.2.
Das 2. Halbjahr
57
3.5. Untersuchung Themen bezogener Beispiele auf
ideologische Hintergründe
60
3.6. Resümee 63
4.
PRAKITKUMSBERICHTE DER BESUCHTEN
KINDERGÄRTEN
64
4.1. Der Praktikumsbericht im Kindergarten Nr. 2
64
4.1.1
Formale Struktur des Kindergartens Nr. 2 in
Nanjing
64
4.1.2. Äußeres
Erscheinungsbild
65
4.1.3.
Finanzierung
66
4.1.4.
Unterricht in der Da Ban I
67
4.1.5.
Mathematikunterricht in der Da Ban I
67
4.1.6.
Fächerübergreifende Beobachtungen in der
Da Ban
68
4.2. Bericht über den Kindergarten Nr. 1 in Nanjing 69
4.2.1.
Der Unterricht in der Da Ban III
69
3
4.2.2.
Ein Vormittag in der Da Ban III
70
4.2.3.
Fächerübergreifende Beobachtungen in der
Da Ban III
71
4.3. Resümee 72
5.
SCHLUßBEMERKUNG 73
Anhang
Literaturliste
4
Einleitung
Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen.
Immer wieder erscheinen Bücher, die sich mit Erziehung
beschäftigen. Auch über das Erziehungswesen in China
wird geschrieben. Allerdings berichten Autoren vorwie-
gend über die Hochschulausbildung und die Erwachse-
nenbildung. Die Erziehung in Schulen und Universitäten
beeinflußt das ganze weitere Leben. Wer seine ganze
Schulzeit gesagt bekommt, was er zu tun hat, wird auch
als Erwachsener bei der Arbeit nicht selbständig entschei-
den. Das Forschungsinteresse steigt, aber kaum jemand
beachtet, daß die Erziehung nicht erst in der Schule be-
ginnt, sondern schon im Kindergarten. Im Kindergarten
werden die Grundlagen für das spätere Leben gelegt.
Ich kann mit dieser Arbeit nicht umfassend das gesamte
Erziehungssystem im Kindergarten darstellen, jedoch soll
diese Arbeit einen Einblick geben. Ursprünglich sollte die
Arbeit einen Vergleich zwischen deutschen und chinesi-
schen Kindergärten beinhalten. Die unterschiedlichen tra-
ditionellen Bilder des Kindes und die heutigen verschie-
denen Bedingungen im sozialen und familiären Bereich
lassen einen solchen Vergleich aber nicht zu.
Die starke Ähnlichkeit von Schule und Kindergarten war
für mich sehr überraschend. In diesem Punkt weicht die
deutsche Lehrmeinung sehr stark ab. Die Kinder sollen im
Kindergarten die Möglichkeit haben, sich selbst und ihre
Umwelt durch das Spiel kennenzulernen.
Die großen Unterschiede in der Erziehung lassen sich
wahrscheinlich auch auf die unterschiedlichen politischen
Systeme zurückführen.
Ich denke, daß sich die Führer des chinesischen politi-
schen System nur halten können, wenn das Volk diszipli-
5
niert ist und gelernt hat, höherstehende Personen zu ach-
ten. Die Grundlagen hierfür werden schon im Kindergarten
gelegt.
Ich hoffe, daß ich diese These durch meine Arbeit bele-
gen kann.
Im ersten Kapitel sollen die Strukturen und die Funktionen
der Familie dargestellt werden. Die ,,Familie" war schon
immer in der chinesischen Geschichte eine Sonderinstitu-
tion der Gesellschaft mit großer Bedeutung für die Erzie-
hung. Die Strukturen und Funktionen wirken teilweise
noch bis in die heutige Familie, teilweise werden sie durch
die neuen Entwicklungen und von der Familienpolitik er-
schüttert. Am Ende bleibt die Frage offen, welche Maß-
nahmen man treffen könnte, um die Nebenwirkungen
während der sozialen Umwälzungen zu kompensieren.
Der zweite Teil soll die Reform und die heutige Struktur
des Kindergartens darstellen. Hierbei soll zunächst die
veränderte Einstellung der staatlichen Stellen zum Kin-
dergarten beleuchtet werden. Des- weiteren geht es um
den internen Aufbau des Kindergartens, sowie um eine
zusammenfassende Darstellung der verschiedenen Unter-
richtsarten. Jedes Land hat eigene Vorstellungen, wie
man Kinder unterrichten sollte, danach werden dann
Lehrpläne entwickelt.
Der Hauptteil meiner Arbeit beschäftigt sich dann mit den
Lehrplänen für Kindergärten der Provinz Jiangsu. Diese
Pläne sind sehr detailliert und geben jede Unterrichts-
stunde vor. Doch auch heute, wo der Kommunismus an
Einfluß verliert, stellt sich die Frage, in wie weit soll Wis-
sen und Ideologie vermittelt werden. Wenn heute noch die
Ideologie im Vordergrund stände, würden die Kinder wirk-
lich für die Zukunft ausgebildet werden?
Im vierten Teil der Arbeit möchte ich von meinen persönli-
chen Eindrücken während meiner Praktika im chinesi-
6
schen Kindergarten berichten. Dieser vierte Teil ist eine
rein subjektive Darstellung, die auch von den Lernzielen
der Lehrpläne abweicht. Ich möchte mehr zeigen, wie die
Erziehung sich auf die Kinder ausgewirkt hat, als darzu-
stellen, ob die Ziele des Lehrplans erfüllt wurden.
In meiner Schlußbemerkung möchte ich dann doch noch
einmal die Frage aufwerfen, ob China für die Zukunft ge-
rüstet ist, wenn das Erziehungssystem nicht verändert
wird.
Meine Absicht ist es, mit dieser Arbeit das Interesse an
der Kleinkindererziehung zu wecken. Wenn wir das deut-
sche Sprichwort ,,Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans
nimmer mehr" umkehren, bedeutet es dann nicht, das was
man als kleines Kind gelernt hat, einen sein ganzes Leben
begleitet? Könnte es nicht sein, daß sich die ganze Ent-
wicklung der Kinder in China ändern würde, wenn die
Vorschulerziehung anders wäre? Ich kann diese Frage
nicht mit dieser Arbeit beantworten, jedoch möchte ich
zumindest Denkanstöße geben.
7
1.
Die Familie in China
Zu Beginn dieser Arbeit soll die heutige Situation der chi-
nesischen Familie dargestellt und anschließend kurz auf
die traditionelle und moderne Erziehung des Kindes in
China eingegangen werden.
1.1
Die gegenwärtige Familie unter der Familien-
politik
Tabelle 1: Größe chinesischer Familien
1931 und 1998 (%)
1
Family Size
Year 1931 1982
1.
Mem. 2.50 7.97
2.
Mem. 8.30 10.08
3.
Mem. 15.40 16.05
4.
Mem. 19.00 19.54
5.
Mem. 17.90 18.35
6.
Mem. 13.00 13.11
7.
Mem. 8.80 7.95
8.
Mem. 15.10 6.94
Total 100.00 100.00
Mem. = Members
,,... daß sie (die Familie) sich, bildlich gesprochen, stets
wie ein Ballon vergrößern konnte, wenn Reichtum sie auf-
blies, ..."
2
Das Bild gehörte schon zur Vergangenheit, als die alten
Vorstellungen noch vorherrschten. Heute sieht das Ganze
1
Aus: ,,New China's Population", China Financial & Economic
House, New York, S. 146.
2
Vergl. Bialas-Chen Ya-Pin, ,, Die Sicherheitsfunktion des Famili-
enhaushalts" in ,,Beiträge zur Ökonomie von Haushalt und Ver-
brauch" Hrg. v. Prof. Dr. Erich Egner u.a., Berlin 1983, S. 82.
8
anders aus. Auf Tabelle 1 ist der Rückgang der Großfami-
lienhaushalte innerhalb von 50 Jahren um die Hälfte er-
kennbar, während die sogenannte Kernfamilie sich immer
mehr vorbereitet.
1.1.1. Demographische Daten
Tabelle 2: Alterspyramiden der chinesischen
Bevölkerung
3
Die Tabelle 2 zeigt, daß die starke Geburtenhäufigkeit et-
wa zwischen den fünfziger und siebziger Jahren liegt. Es
muß, außer den kulturellen Gründen, noch andere, wie
ideologische und gesellschaftliche Ursachen dafür geben.
Nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahr
1949, ging die Kommunistische Partei Chinas davon aus,
daß mehr Menschen gleich mehr Kraft für den Aufbau des
Sozialismus bedeuten würden. Dies haben auch die me-
dizinischen Fortschritte bei der Bekämpfung der Säug-
lingssterblichkeit und bei der Verbesserung der Bedingun-
gen für eine höhere Lebenserwartung ermöglicht. Aber
schon bald mußte man feststellen, daß der Mensch nicht
nur als Produzent lebt, sondern auch als Konsument. Um
3
Aus ,,United Nation World Population at the Turn of the Centry",
New York 1989, S. 124.
9
dieses Problem zu entschärfen, schaffte man neue Maß-
nahmen in der Familienpolitik.
1.1.2. Der Inhalt und die Maßnahmen der
Familienpolitik
a)
Die ,,Ein - Kind - Politik"
Die Ein - Kind - Politik wurde 1979 von der Regierung ein-
geführt. Es handelt sich um einen Vertrag, der zwischen
dem Staat und den Ehepaaren geschlossen wird. In dem
Vertrag verpflichten sich die Ehepaare nicht mehr, als ein
Kind zu bekommen. Mit Abschluß des Vertrages treten
Begünstigungen oder Benachteiligungen in Kraft. Die Ein -
Kind - Familie wird bei der Vergabe von Kindergartenplät-
zen, bei der medizinische Versorgung und bei der Bereit-
stellung von Wohnraum bevorzugt. Bei Vertragsbruch
müssen einmal gewährte Geldleistungen zurückerstattet
werden.
b)
Die Hauptmethoden zur Geburtenregelung
sind:
I. Spätheirat: Das Heiratsalter wird auf dem Lande
auf das 20. Lebensjahr für Frauen und das 21.
Lebensjahr für Männer, in der Stadt auf das 22.
für Frauen und das 23. für Männer festgesetzt.
II. Verhütungsmaßnahmen: Alle Verhütungsmittel
werden Ehepaaren kostenlos zur Verfügung ge-
stellt.
III. Aufklärung und Hebung des Bildungsniveaus:
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß unter den
200 Mio. Analphabeten über 70 % Frauen sind.
4
4
Vergl. Karin Tomala ,,Die chinesische Bevölkerungspolitik und das
Recht auf Familienplanung im Lichte der Weltbevölkerungs-
10
1.1.3. Die Folgen der Familienpolitik
Insgesamt stieß die Familienpolitik in der Stadt im Ver-
gleich zu den stärker traditionell geprägten ländlichen Ge-
bieten, auf eine positive Resonanz, denn das Bildungsni-
veau in der Stadt liegt wesentlich höher als auf dem Land.
Außerdem werden die institutionelle Alterssicherung und
Krankenversicherung in der Stadt erfolgreicher durchge-
führt als auf dem Land. So konnte sich das ,,Ein - Kind -
Modell" auf dem Land, trotz aller Strafandrohungen und
Gewaltanwendungen in Form von Zwangsabtreibung,
nicht durchsetzen. Vielfach werden Frauen mißhandelt,
aus dem Haus vertrieben und geborene Mädchen ver-
steckt, verkauft, ausgesetzt oder gar getötet. Die Gebur-
tenrate, und somit die natürliche Zuwachsrate war also
gegen den Plan gestiegen. Aufgrund der schlechten Si-
tuation, in der sich Frauen und Mädchen auf dem Land in-
folge der ,,Ein - Kind - Politik" befanden, aber auch auf
Grund der ausländischen Proteste gegen eine ,,brutale
Bevölkerungspolitik", sah sich im Jahr 1984 die Regierung
gezwungen, die Geburtenpolitik zu lockern. Danach dür-
fen die Bauern im Abstand von vier Jahren zwei Kinder
haben. Solange das Bildungsniveau auf dem Land sich
nicht verbessert, sondern eher verschlechtert, solange die
traditionellen Wertvorstellungen, wie ,,mehr Kinder - mehr
Glück", prägend sind, und solange die Kosten der grund-
legenden Absicherung für das Alter und für Krankheit auf
dem Lande noch von den Bauern selbst getragen werden,
sind die Folgen der Familienpolitik nicht die Ergebnisse
freier Entscheidung und Verantwortung des Einzelnen.
entwicklung" in: ,,Asien" Nr. 43 Hamburg 1992, S.11.
11
1.2.
Die moderne Familie
Die Tabellen 1 und 2 zeigen, daß sich die sogenannte
Kernfamilie, die aus beiden Elternteilen und einem unver-
heirateten Kind besteht, von den siebziger Jahren bis zur
Mitte der achtziger Jahre schnell verbreitet hat. Die ,,ex-
tended family", die noch zusätzlich einen Schwiegersohn
oder - tochter einschließt, ist mit 55% die häufigste Fami-
lienform. Die ,,corporate family", die Eltern und mehrere
verheiratete Kinder umfaßt, ist dagegen von 23% auf 6%
zurückgegangen.
Die Zwei-Generationen-Familie stellt den weitaus größten
Anteil der Familien. Die Anzahl der Singlehaushalte liegt
bei 8% und setzt sich aus Verwitweten, Unverheirateten
und Geschiedenen zusammen.
1.2.1. Das Alltagsleben in der Familie
a)
Wohnverhältnisse
In großen und mittelgroßen Städten betrug die durch-
schnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche 1978 nur 3,7m
2
.
Als Ursachen für diesen ,,Rekord" werden das explosive
Bevölkerungswachstum und die Vernachlässigung des
Wohnungsbaus während der Kulturrevolution genannt.
Die bäuerliche Familie verfügt im Allgemeinen mit dem
Verhältnis 10:3 über mehr Wohnfläche als die städtische
Familie.
b)
Einkommensverhältnisse
Die Einkünfte einer durchschnittlichen Familie in China
reichen für Wohnung, Nahrungsmittel, Kleidung und
eventuell für elektronische Geräte, wie Fernseher,
Kühlschrank oder Waschmaschine, aus. Dazu ist es
notwendig, daß beide Partner berufstätig sind. Vom
Einkommen der Eltern fließt ein großer Teil in die
12
fließt ein großer Teil in die Ausbildung der Kinder. Ein wei-
terer Teil wird schon früh für die spätere Hochzeit (Aus-
steuer) der Kinder auf die Seite gelegt.
Ein Unterschied des Einkommens zwischen Mann und
Frau ist in China nicht deutlich. So ist der Mann in der Re-
gel auch nicht der Haupternährer der Familie.
Ein neues Phänomen verbreitet sich in den letzten Jah-
ren: Die Nebenbeschäftigung der Berufstätigen, die ihr
Konsumverhalten etwas freizügiger als bisher gestalten
wollen.
c)
Konsumverhalten:
Für Miete, Wasser und Elektrizität verbraucht eine Stadt-
familie durchschnittlich 5% des Familieneinkommens, et-
wa 60% schöpft der tägliche Bedarf ab. Farbfernseher,
Kühlschränke, Waschmaschinen, eventuell Videorekorder
und Stereoanlagen, werden zur Zeit voller Stolz in die
Familie eingeführt. Viele Familien in der Stadt sparen nur
für Motorräder, Klimaanlagen und Videokameras.
Für die bäuerliche Familie scheint es nach wie vor die
wichtigste Aufgabe zu sein, mit dem, vom Mund
abgesparten Geld, ein Haus, möglichst groß, für den Sohn
zu bauen, damit er eine passende Ehe schließen kann.
1.2.2. Die Rollenverteilung innerhalb der Familie
Wie schon erwähnt, sind die Frauen meistens berufstätig.
Es ist nicht nur aus finanziellen Gründen ein Muß, son-
dern auch ein Ergebnis der Emanzipationsbewegung. Die
Frau wird so durch Beruf und Familie doppelt belastet.
An den Mann werden Erwartungen von außerhalb und in-
nerhalb der Familie herangetragen. Ein guter Ehemann
sollte nicht nur zu Anerkennung im Beruf gelangen, son-
dern sich auch an der Hausarbeit beteiligen. In der Stadt
13
helfen viele Männer ihren Frauen beim Einkaufen oder
Kochen. Die ,,Frauenarbeit", wie Putzen oder Waschen,
müssen die Frauen meist allein erledigen.
Die Aufgabe, sich um das Kind zu kümmern, übernehmen
die Großeltern gern, sofern sie in der Nähe wohnen.
Das Verziehen der Kinder in der Familie ist eine der
Hauptursachen für das immer egoistischere und aggressi-
vere Verhalten mancher Kinder. Deshalb haben viele Leu-
te große Sorgen um die verlorengehenden traditionellen
Tugenden, wie zum Beispiel, die Ehrfurcht, die die Kinder
den Erwachsenen eigentlich entgegenbringen müßten.
5
Das Verwöhnen beginnt mit der Überfütterung. Das Über-
schütten mit Spielzeug und Taschengeld, sowie der ü-
bermäßige Fernseh- und Videokonsum sind neue
Verwöhnphänomene. Wenn man diese Art des
Verwöhnens betrachtet, muß man auch die hohen
Erwartungen sehen, die die Eltern an die Kinder stellen.
Schon im Kindergarten werden die Kinder mit der zukünf-
tigen Karriere konfrontiert, indem sie beginnen, entweder
im musischen, malerischen oder intellektuellen Bereich zu
arbeiten. Auf dem Land sieht das anders aus. Die Kinder
helfen in der Regel bei der Landarbeit und im Haushalt.
Diese Arbeit nebenbei führt dann später oft zum Schulab-
bruch, was, seit der Landwirtschaftsreform auf dem Land
gar nicht selten vorgekommen ist. Dies macht die schon
vorhandene Bildungsschere zwischen Stadt und Land
noch größer.
1.3
Kleinkindererziehung gestern und heute
In der langen Geschichte Chinas mag sich vieles verän-
dert haben, doch die Erziehung ist bis zum Anfang dieses
Jahrhunderts kaum verändert worden. Der nachfolgende
5
Vergl. ,,China Spring" 5/1993, New York, S. 22 ff.
14
Teil soll kurz darstellen, welches Bild die Chinesen vom
Kind hatten und wie Kinder im traditionellen Sinne erzo-
gen wurden. Dem gegenüber steht die heutige moderne
Erziehung.
1.3.1. Das traditionelle Bild vom Kind in China
Im Bild vom Kind zeigen sich hauptsächlich zwei konträre
Positionen, die von zwei philosophischen Denkrichtungen
gekennzeichnet werden.
Nach dem Taoismus ist dies das Bild von ,,Pu", dem ,,un-
behauenen Jadestein", der für das taoistische Bemühen
stand, alle Wesen in ihrer natürlichen Spontaneität zu be-
lassen oder dahin zurückzuführen. So sind die Kinder
auch nicht nur mit Toleranz und Nachsicht behandelt,
sondern auch mit gewisser Bewunderung betrachtet wor-
den.
Nach der konfuzianischen Einstellung ist es das Bild von
,,Yu", der Jadestein, der noch geschliffen werden muß,
bevor er seinen Wert offenbart. Danach sind Erziehung
und Selbsterziehung unabdingbar. Eine möglichst frühe
und strenge Erziehung der Kinder wurde gefordert.
6
Die Erziehungsmethode und deren Inhalte, bis zum Ende
der Kaiserzeit entsprachen auch vorwiegend dem konfu-
zianischen Bild über das Kind, obwohl sich beide Bilder in
der Erziehung oft ineinander verflochten haben.
1.3.2. Die traditionelle Kleinkinderziehung
Die Sozialisation des Kindes kann in zwei Phasen einge-
teilt werden.
6
Vergl. Linke G. ,,Der Jadestein, der noch geschliffen werden muß-
Zur Sozialgeschichte des Kindes in der chinesischen Kaiserzeit" in
,,Zur Sozialgeschichte der Kindheit" Hrg. v. Martin Jochen u.a.,
Freiburg/München 1986, S. 75f.
15
Gestillt wurden die Kinder bis weit ins dritte Lebensjahr
hinein, Jungs in der Regel etwas länger als Mädchen.
Während der Stillzeit wurde das Kind entweder von der
Mutter oder einer älteren Schwester in einem Tuch stän-
dig auf dem Rücken getragen. Vor Ende der Stillzeit fand
keine Sauberkeitserziehung statt. Erst Ende der frühen
Kindheit, mit ca. vier Jahren, versuchte man beim Kind ein
Schamgefühl gegenüber dem Körper und seinen Funktio-
nen zu wecken. Die härtesten Maßregelungen in diesem
Alter waren strenge Worte. Im Leben eines Chinesen galt
die Kindheit als die sorglose Zeit. Zum Teil mag das darin
liegen, daß lediglich eine Art Gelegenheitserziehung statt-
fand, die sich auf das Erlernen richtiger Eßgewohnheiten
und Bescheidenheit gegenüber den Älteren beschränkte.
Darüber hinaus wurden die Kinder in diesem Alter eher
verwöhnt und verhätschelt.
Zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr fand ein
zentraler Einschnitt in das Leben des Kindes statt. Von da
an setzte ein systematisches Gehorsamkeitstraining ein.
Das Ziel dieses Trainings war es, das Kind zu einem
pflichtbewußten, lebenstüchtigen, ordentlichen, geduldi-
gen und respektvollen Menschen zu erziehen. Im wesent-
lichen erstreckte sich das Ziel auf die Charakterbildung,
mit den rituellen Geschehnissen vertraut zu machen und
die Befähigung, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und
somit Sicherung der Altersversorgung der Eltern zu si-
chern.
Der erste Punkt, die Charakterbildung, war ein wesentli-
ches Erziehungsziel für alle Kinder. Unterschiede gab es
allerdings bei den Medien, die moralischen Werte zu ver-
mitteln.
Kinder, die die Schule besuchten oder Privatunterricht be-
kamen, übernahmen die Normen und Werte aus den kon-
fuzianischen Klassikern.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 1997
- ISBN (eBook)
- 9783832431716
- ISBN (Paperback)
- 9783838631714
- Dateigröße
- 537 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Hamburg – unbekannt
- Note
- 2,0
- Schlagworte
- familienpolitik erziehungswissenschaft china vorschulerziehung
- Produktsicherheit
- Diplom.de