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Interessenvertretung im Zeichen von Restrukturierung und Internationalisierung

Das Beispiel Volkswagen

©1999 Diplomarbeit 152 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Innerhalb des deutschen Institutionensystems industrieller Beziehungen konnten Betriebsräte, gewerkschaftliche Vertrauensleute und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, einschließlich der Gewerkschaftsvertreter, in ihrer Gesamtheit als betriebliche Interessenvertretung bezeichnet, die Interessen der Beschäftigten lange Zeit im Betrieb bzw. in den Unternehmen vertreten. Der Vertretungsauftrag korrespondierte nicht nur mit den Erwartungen der Beschäftigten, sondern auch mit der jeweiligen Unternehmensentwicklung und einer „sozial befriedeten Gesellschaft“.
Seit Ende der achtziger Jahre ist diese Harmonie zwischen sozialem Frieden, Unternehmensentwicklung und einem wachsenden materiellen und sozialen Gratifikationssystem, der die Belegschaft an den Erfolgen der Unternehmen partizipieren ließ, in besonderer Weise gefährdet. Restrukturierungsmaßnahmen in den Betrieben und eine zunehmende Globalisierung der Aktivitäten von Unternehmen zielen auf Veränderungen von Unternehmensstrukturen und Arbeitsbedingungen ab, wodurch die Unternehmen dem starren Korsett nationalstaatlicher Regulierungen und institutioneller Zwänge entfliehen wollen, um unter dem Primat des Wettbewerbs Kosten einzusparen, und um flexibler auf Marktanforderungen reagieren zu können.
Konkret erlangten deutsche Unternehmen die Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch der osteuropäischen staatssozialistischen Regime, sich dem „Modell Deutschland“ zu entziehen, indem Teile der Produktion oder gesamte Produktionszweige in nun zugängliche Niedriglohnländer in relativer Nähe verlagert werden konnten. Ob dies auch tatsächlich durchgeführt wurde, oder lediglich die Option zur Verlagerung „ins Spiel gebracht“ wurde, war in diesem Fall gleich. Das Drohpotential reichte aus, um die betrieblichen Interessenvertretungen in ein „concession bargaining“ zu zwingen, wenn die Interessenvertreter die Beschäftigung weiterhin effektiv sichern wollten. Dieses war zumeist mit dem Abbau oder Aufweichen von ehemals erkämpften Rechten auf der Betriebsebene verbunden. Darüber hinaus zeichnet Streeck (1998) ein noch viel düsteres Bild und prognostiziert die Aushöhlung des gesamten Institutionensystems industrieller Beziehungen.
Die Folgen des „concession bargaining“ führen die Interessenvertretungen in das Dilemma, zum einen ihre Funktion vor der Belegschaft zu legitimieren, indem sie weiterhin die Interessen der Belegschaft gegenüber den Management vertreten müssen, zum anderen dies aber […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 2712
Bollermann, Matthias: Interessenvertretung im Zeichen von Restrukturierung und Internationalisierung:
Am Beispiel Volkswagen / Matthias Bollermann -
Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 2000
Zugl.: Göttingen, Universität, Diplom, 1999
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Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
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Printed in Germany


Inhaltsverzeichnis
2
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG 5
2. PHASE I: DER KÄFER ALS SINNBILD FÜR ERFOLG UND MATERIELLEN
WOHLSTAND 13
2.1. D
IE
A
UTOMOBILINDUSTRIE IN DER
N
ACHKRIEGSZEIT
13
2.2. M
ASSENPRODUKTION BEI
VW
16
2.2.1. P
RODUKTSTRUKTUR UND
P
RODUKTIONSSTRATEGIE
18
2.2.2. K
ONZERNSTRUKTUR
21
2.2.3. T
AYLORISMUS ALS
K
ENNZEICHEN DER
A
RBEITS
-
UND
F
ERTIGUNGSORGANISATION
22
2.3. D
IE
I
NTERESSENVERTRETUNG VERZEICHNET ERSTE
E
RFOLGE
25
2.3.1. K
ONTINUITÄT AN DER
S
PITZE
: N
ORDHOFF UND
B
ORK
26
2.3.2. VW-
EIGENES
R
EGELWERK ALS
E
RGÄNZUNG ZU GESETZLICHEN
N
ORMEN
27
2.3.3. M
ATERIELLER
S
CHUTZ UND MATERIELLE
P
ARTIZIPATION ALS
A
UFGABENFELD
29
2.3.4. IG M
ETALL SETZT SICH DURCH
­
AUF ALLEN
E
BENEN
32
2.4. F
AZIT
: D
IE BETRIEBLICHE
I
NTERESSENVERTRETUNG IST ETABLIERT UND ANERKANNT
35
3. PHASE II: AUTOMOBILINDUSTRIE IM SUCHPROZEß - DIE TECHNISCHE LÖSUNG 38
3.1. F
LEXIBILISIERUNG DER
M
ASSENPRODUKTION
38
3.2. K
RISENHAFTE
E
NTWICKLUNG UND TECHNIKZENTRIERTE
P
ROBLEMLÖSUNG
43
3.2.1. N
EUE
M
ODELLE UND EINE STÄRKERE INTERNATIONALE
A
USRICHTUNG
44
3.2.2. ,,P
ERSONALPOLITIK DER MITTLEREN
L
INIE
"
FOLGT DEM MASSENHAFTEN
P
ERSONALABBAU
49
3.2.3. T
ECHNISCHE
R
ATIONALISIERUNGEN VOR ARBEITSORGANISATORISCHEN
E
LEMENTEN
53
3.3. U
MSTRUKTURIERUNGEN ERHÖHEN DIE
K
ONFLIKTBEREITSCHAFT
56
3.3.1. V
ERHÄLTNIS VON
U
NTERNEHMENSLEITUNG UND
I
NTERESSENVERTRETUNG
56
3.3.2. F
IXIERUNG HANDLUNGSLEITENDER
N
ORMEN STATT INTERPRETATIVER
A
USLEGUNG
60
3.3.3. T
RENNUNG VON BETRIEBLICHER UND ÜBERBETRIEBLICHER
E
BENE
65
3.3.4. G
EWERKSCHAFTLICHER
E
INFLUß DER
IG M
ETALL BLEIBT STABIL
70
3.4. F
AZIT
: D
IE
I
NTERESSENVERTRETUNG GESTALTET DEN
S
CHUTZ DER
B
ELEGSCHAFT
74

Inhaltsverzeichnis
3
4. PHASE III: GLOBALISIERUNG BESTIMMT DIE ENTWICKLUNG VON
UNTERNEHMEN UND INTERESSENVERTRETUNG 78
4.1. R
ESTRUKTURIERUNG UND
I
NTERNATIONALISIERUNG DER
A
UTOMOBILINDUSTRIE
78
4.2. P
LATTFORMSTRATEGIE UND INTERNATIONALE
V
ERBUNDPRODUKTION
85
4.2.1. W
ELTWEITE
P
RÄSENZ MIT EINER ERWEITERTEN
P
RODUKTPALETTE
87
4.2.2. I
NTERNATIONALE
S
TANDORTKONKURRENZ DURCH
M
ODULARISIERUNG
92
4.2.3. ,,S
TRUKTURKONSERVATIVE
" A
RBEITSKONZEPTE IM ATMENDEN
U
NTERNEHMEN
95
4.3. K
OOPERATIVE
K
ONFLIKTBEWÄLTIGUNG WELTWEIT
98
4.3.1. N
EUE
P
ERSONALPHILOSOPHIE BEGÜNSTIGT KOOPERATIVES
V
ERHÄLTNIS DER
B
EZIEHUNGEN
99
4.3.2. T
ARIFVERTRÄGE UND
B
ETRIEBSVEREINBARUNGEN ERGÄNZEN WEITERHIN DIE
B
ETRIEBSVERFASSUNG
102
4.3.3. I
NTERNATIONALE
I
NTERESSENVERTRETUNGSPOLITIK
108
4.3.4. G
EWERKSCHAFTLICHER
E
INFLUß LÄßT
I
NNOVATIONEN ENTSTEHEN
118
4.4. F
AZIT
: I
NTERESSENVERTRETUNG BEWÄLTIGT
G
LOBALISIERUNG MIT
C
O
-M
ANAGEMENT
123
5. SCHLUSSBETRACHTUNG 128
6. LITERATURVERZEICHNIS 139

Inhaltsverzeichnis
4
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1:
Kennzahlen der deutschen Pkw-Industrie, 1950-1968 [in Tsd. Einheiten]
14
Tabelle 2:
Unternehmenskennzahlen von Volkswagen, 1948-1968
19
Tabelle 3:
Beschäftigtenstruktur bei Volkswagen, 1950-1968
24
Tabelle 4:
Zu- und Abgänge der Beschäftigten bei Volkswagen, 1959-1968
25
Tabelle 5:
Ergebnisse der Betriebsratswahlen, 1953-1968, in Prozent (Sitze),
Werk Wolfsburg
33
Tabelle 6:
Kennzahlen der deutschen Pkw-Industrie, 1970-1988 [in Tsd. Einheiten]
40
Tabelle 7:
Unternehmenskennzahlen des Volkswagen-Konzerns, 1968-1989
46
Tabelle 8:
Ergebnisse der Betriebsratswahlen, 1972 - 1987, in Prozent (Sitze),
Werk Wolfsburg
72
Tabelle 9:
Kennziffern der deutschen Pkw-Industrie, 1988-1998 [in Tsd. Einheiten]
79
Tabelle 10:
Unternehmenskennzahlen des Volkswagen-Konzerns, 1988-1998
86
Tabelle 11:
Ausländische Produktions- und Montagestandorte des VW-Konzerns 1998
91
Tabelle 12:
Ergebnisse der Betriebsratswahlen, 1990 - 1998, in Prozent (Sitze), Wolfsburg 120
Abbildung 1
: Beschäftigungsentwicklung im In- und Ausland, 1966-1988
52
Abbildung 2:
Internationalisierungskennziffern des Volkswagen-Konzerns, 1988-1998
90
Abbildung 3:
Das Konzept des atmenden Unternehmens
97
Abbildung 4:
Ausgleich der Einkommensminderung am Beispiel der Lohngruppe ,,F"
105
Abbildung 5:
Mitbestimmungsstruktur im Volkswagen-Konzern
114
Übersicht 1:
Entwicklung des VW-Modells im sozio-ökonomischen Kontext
133

1. Einleitung
Innerhalb des deutschen Institutionensystems industrieller Beziehungen konnten Betriebsräte,
gewerkschaftliche Vertrauensleute und Arbeitnehmervertreter
1
im Aufsichtsrat, einschließlich
der Gewerkschaftsvertreter, in ihrer Gesamtheit als betriebliche Interessenvertretung bezeich-
net, die Interessen der Beschäftigten lange Zeit im Betrieb bzw. in den Unternehmen vertreten.
Der Vertretungsauftrag korrespondierte nicht nur mit den Erwartungen der Beschäftigten, son-
dern auch mit der jeweiligen Unternehmensentwicklung und einer ,,sozial befriedeten Gesell-
schaft" (Koch, 1985, S. 1).
Seit Ende der achtziger Jahre ist diese Harmonie zwischen sozialem Frieden, Unternehmen-
sentwicklung und einem wachsenden materiellen und sozialen Gratifikationssystem, der die
Belegschaft an den Erfolgen der Unternehmen partizipieren ließ, in besonderer Weise gefähr-
det. Restrukturierungsmaßnahmen in den Betrieben und eine zunehmende Globalisierung der
Aktivitäten von Unternehmen (Pries, 1999) zielen auf Veränderungen von Unternehmens-
strukturen und Arbeitsbedingungen ab, wodurch die Unternehmen dem starren Korsett natio-
nalstaatlicher Regulierungen und institutioneller Zwänge entfliehen wollen, um unter dem Pri-
mat des Wettbewerbs Kosten einzusparen, und um flexibler auf Marktanforderungen reagieren
zu können.
Konkret erlangten deutsche Unternehmen die Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch der ost-
europäischen staatssozialistischen Regime, sich dem ,,Modell Deutschland" zu entziehen, in-
dem Teile der Produktion oder gesamte Produktionszweige in nun zugängliche Niedriglohn-
länder in relativer Nähe verlagert werden konnten (Cattero, 1998, S. 228). Ob dies auch tat-
sächlich durchgeführt wurde, oder lediglich die Option zur Verlagerung ,,ins Spiel gebracht"
wurde, war in diesem Fall gleich. Das Drohpotential reichte aus, um die betrieblichen Interes-
senvertretungen in ein ,,concession bargaining" zu zwingen, wenn die Interessenvertreter die
Beschäftigung weiterhin effektiv sichern wollten. Dieses war zumeist mit dem Abbau oder
Aufweichen von ehemals erkämpften Rechten auf der Betriebsebene verbunden. Darüber hin-
aus zeichnet Streeck (1998) ein noch viel düsteres Bild und prognostiziert die Aushöhlung des
gesamten Institutionensystems industrieller Beziehungen.
Die Folgen des ,,concession bargaining" führen die Interessenvertretungen in das Dilemma,
zum einen ihre Funktion vor der Belegschaft zu legitimieren, indem sie weiterhin die Interes-
1
Im Bewußtsein, daß auch durch die verwandte Sprache auf die Emanzipation der Geschlechter in der Gesell-
schaft aufmerksam gemacht werden kann, wird in vorliegender Arbeit jedoch die maskuline Form des Sub-
jekts verwandt ­ der Lesbarkeit halber. Das Subjekt soll demgemäß als eine Variable für beide Geschlechter
verstanden werden.

Einleitung
6
sen der Belegschaft gegenüber den Management vertreten müssen, zum anderen dies aber nicht
zu rigoros sein darf, da zu starke Forderungen möglicherweise zum Belegschaftsabbau führen,
wenn die Verlagerungsoption ausgespielt wird. Anders ausgedrückt: die entstandene Ungleich-
heit in der Kongruenz der Handlungsfelder von Interessenvertretung und Unternehmen führt
innerhalb der Arbeitsbeziehungen zu einer Machtverschiebung zugunsten des Management,
was die erkämpften ,,industrial rights" auf nationaler Ebene gefährdet (Streeck, 1998).
Diese Prognose zum Anlaß nehmend setzt sich die vorliegende Arbeit mit der Analyse der be-
trieblichen Arbeitsbeziehungen bei Volkswagen auseinander, wobei die erkenntnisleitende
Fragestellung zugrunde gelegt wird, wie sich die betrieblichen Arbeitsbeziehungen infolge der
von außen an sie heran getragenen Veränderungsdynamik verändern bzw. entwickeln.
Aus der Unternehmensgeschichte von Volkswagen ist zu erkennen, daß der Konzern seit dem
Zweiten Weltkrieg einige Veränderungen erlebt hat, die aufgrund von Krisen eingetreten sind
(1974/75 und 1992/93), Reaktionen auf veränderte Marktbedingungen waren oder ihren Grund
in einer angestrebten Verbesserung der Produktivität hatten. Neue Konzern- und Produkt-
strukturen sowie veränderte Produktions- und Fertigungsstrategien waren die Folge.
Für die Unternehmensvertreter von Volkswagen sind Veränderungen, die sich auf eine potenti-
elle Neuformulierung der Unternehmenspolitik beziehen also genauso wenig neu, wie für die
betriebliche Interessenvertretung. Ihr gelang es selbst in den Unternehmenskrisen eine Politik
zu betreiben, die den Kompromiß zwischen Management und Belegschaftsvertretung unter
Wahrung der einzelwirtschaftlichen Rentabilität verfolgte.
Den kompromißhaften Charakter der Konfliktaustragung zwischen Management und Beleg-
schaftsvertretung charakterisierte Friedrich Weltz (1977) in einer Untersuchung über den Zu-
sammenhang von betrieblicher Beschäftigungspolitik und industriellen Beziehungen als Mo-
dell der kooperativen Konfliktverarbeitung. Am Konfliktgegenstand Rationalisierung wurden
die betrieblichen Arbeitsbeziehungen untersucht und schließlich die Konfliktverdrängung, die
offene Konfrontation und die kooperative Konfliktverarbeitung als Stile der betrieblichen indu-
striellen Beziehungen voneinander abgegrenzt (ebd., S. 291ff). Charakteristisch für den Stil
kooperativer Konfliktverarbeitung ist
· das Bestreben beider Seiten, die Konfrontation zu vermeiden;
· über die Bereitschaft zum Kompromiß Lösungen zu finden, in denen die Interessen beider
Seiten entsprechend berücksichtigt sind;
· der Verzicht auf die Vertretung maximalistischer Positionen;
· die Bezogenheit auf von beiden Seiten als gemeinsam difinierte betriebliche Interessen;
· die grundsätzliche Anerkennung des gesetzlichen und tarifvertraglich festgelegten Rah-
mens (ebd., S. 293).

Einleitung
7
In der Gegenwart von Restrukturierung und Globalisierung kristallisiert sich bei Volkswagen
eine Entwicklung heraus, die wiederum den Eindruck erweckt, betriebliche Interessenvertre-
tung und Unternehmensleitung suchen gemeinsam nach kompromißhaften Lösungen, um ent-
sprechend auf die Veränderungen in den Umgebungsbedingungen zu reagieren. Die Einfüh-
rung der 4-Tage-Woche 1994 und die Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Konzern-
leitung mit dem Weltkonzernbetriebsrat 1999 belegen eine Entwicklung, die beide Seiten in
Kooperation voran getrieben haben.
Entgegen der oben skizzierten Prognosen sind also im Volkswagen-Konzern andere Tendenzen
wahrnehmbar, die vermuten lassen, daß sich die betrieblichen Arbeitsbeziehungen zwar neu
ausdifferenzieren bzw. die betriebliche Interessenvertretung einem Funktionswandel unter dem
arbeits- und produktionspolitischen Aspekt unterliegt, der kooperative Charakter der Kon-
fliktbewältigung in Anlehnung an Weltz aber aufrecht erhalten bleibt. Diese Überlegungen füh-
ren zu folgenden Hypothesen, die in der vorliegenden Arbeit überprüft werden sollen:
1. Den betrieblichen Arbeitsbeziehungen von Volkswagen sind stabilisierende Elemente
immanent, die zur Aufrechterhaltung eines kooperativen Stils der Beziehungen bei-
tragen.
2. In den stabilen Kooperationsbeziehungen unterliegt die betriebliche Interessenvertre-
tung einem Funktionswandel, der als strategische Reaktion auf den äußeren Verände-
rungsdruck begriffen werden kann, um Belegschaftsinteressen weiterhin effektiv zu
vertreten.
3. Die neue Veränderungsdynamik, die von Restrukturierung und Globalisierung aus-
gehen, kann aufgrund der Anpassungsfähigkeit des Modells industrieller Beziehungen
bei Volkswagen, nicht zu einer Erosion der betrieblichen Arbeitsbeziehungen führen.
Um den Hypothesen nachzugehen und die stabilisierenden Elemente herauszufiltern, ein-
schließlich sie auf ihren stabilisierenden Gehalt für die gegenwärtige Entwicklung zu prüfen,
ist es notwendig, die Veränderungsbedingungen in der Unternehmensgeschichte von Volkswa-
gen genauer zu berücksichtigen. Nur von jenen Bestandteilen, die den betrieblichen Arbeitsbe-
ziehungen von Beginn der Unternehmensentwicklung immanent waren und einen stabilisieren-
den Charakter aufwiesen, kann angenommen werden, daß von diesen auch in Zukunft stabili-
sierende Effekte ausgehen.
Aus diesem Grund soll die historische Entwicklung des Konzerns berücksichtigt werden. Bei
diesem Vorgehen ergibt sich die soziologische Analyse des Modells betrieblicher Arbeitsbe-
ziehungen aus der spezifischen sozialhistorischen Unternehmensentwicklung, so daß im Rück-
griff auf die Entwicklung von Unternehmen und betrieblicher Interessenvertretung eine Aussa-
ge über die Stabilität und den Funktionswandel der Arbeitsbeziehungen getroffen werden kann.

Einleitung
8
Damit liegt die Arbeit methodologisch auf der gleichen Linie wie die Untersuchung von Kott-
hoff (1994) über die Stabilität und den Wandel betrieblicher Interessenvertretungen. Ihr inno-
vativer Charakter liegt aber in der systematischen Darstellung der Entstehungsbedingungen
betrieblicher Interessenvertretung bei Volkswagen und der Beschreibung von Veränderungen
des Stils betrieblicher Arbeitsbeziehungen bis in die heutige Zeit. Analog zur Diskussion über
die Pfadabhängigkeit (vgl. Piore/ Sabel, 1989; GERPISA No. 10) soll versucht werden, einen
Beleg anhand des Falles Volkswagen zu erlangen, daß nicht nur Verläufe von Unternehmen-
sentwicklungen, sondern auch die Entwicklung der betrieblichen Arbeitsbeziehungen pfadab-
hängig sein können.
Der Stil betrieblicher Arbeitsbeziehungen wird nicht allein durch einzelne Akteure determi-
niert, sondern es wird davon ausgegangen, daß sich Interessenvertretungspolitik aus einem
wechselseitigen Beziehungsgeflecht und ständigen Prozeß sozialer Dynamik aller Akteure her-
auskristallisiert, so daß sich die betriebliche Interessenvertretung in einem ,,ständigen Span-
nungsverhältnis zwischen Unternehmensleitung, eigener Organisation und Belegschaft befin-
det" (Koch, 1985, S. 13). Aus diesem Grund wird aus der Summe der Einzelbedingungen ­ die
Beziehung zwischen betrieblicher Interessenvertretung und Management, den rechtlich-
institutionellen Bedingungen, die Organisation und Struktur der Aufgabenfelder in Verbindung
mit dem Selbstverständnis und den Erwartungen der Belegschaft, sowie der gewerkschaftli-
chen Politik ­ der jeweilige Stil der Arbeitsbeziehungen bei Volkswagen charakterisiert.
Vor diesem Hintergrund verändern sich also die betrieblichen Arbeitsbeziehungen bei Volks-
wagen, wenn sich Einzelbedingungen nachhaltig verändern. Dieser Beziehungszusammenhang
macht es notwendig, die Entwicklung des Volkswagen-Konzerns in Zeiträume einzuteilen, die
voneinander, aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit, abgegrenzt werden können, um dann eine ex-
plizite Aussage zum Stil und der Funktion der betrieblichen Interessenvertretung innerhalb ei-
ner Entwicklungsphase zu treffen. Da die erkenntnisleitende Fragestellung explizit die wirt-
schaftliche Entwicklung bzw. die Veränderungen in den Umgebungsbedingungen mit den be-
trieblichen Arbeitsbeziehungen von Volkswagen verknüpft, sollen auch solche Verände-
rungsimpulse für die Abgrenzung der Zeiträume berücksichtigt werden.
Im Fall von Volkswagen bieten sich die Entwicklungsphasen des ,,Wirtschaftswunders", der
,,strategischen Umgestaltung" und der ,,mitbestimmten Globalisierung" an, wobei die Über-
gänge der einzelnen Phasen im einzelnen fließend sind. Veränderungen in der Unternehmens-
politik liegen zeitlich gleichermaßen auseinander, wie andere Einflußfaktoren auf die betriebli-
che Interessenvertretung, so daß die Phasenablösungen auch immer Übergangszeiten benötig-
ten, die aber für die Zuordnung der analysierten betrieblichen Arbeitsbeziehungen zu einem
Zeitraum nicht ausschlaggebend sind.

Einleitung
9
Die Zeiträume orientieren sich an der Einteilung von Pries (1999) und Jürgens (1998). Wäh-
rend Pries die Phaseneinteilung für die Analyse des Internationalisierungsgrades von Volkswa-
gen verwendet und dabei einen distributionsorientierten multinationalen und einen produktion-
sorientierten multinationalen Konzern, sowie einen transnationalen Konzern voneinander ab-
grenzt, beschreibt Jürgens das industrielle Modell von Volkswagen. Er trennt eine erste Phase,
als das Volkswagenmodell Ende der sechziger Jahre in Schwierigkeiten gerät, von der Wachs-
tumsphase Mitte der siebziger Jahre bis zum Ende der achtziger Jahre ab, in der das VW-
Modell erneuert wird. Schließlich charakterisiert Jürgens einen weiteren Krisenzeitraum von
VW bis 1993, bevor die vierte Phase der Umgestaltung des industriellen Modells bei Volkswa-
gen einsetzt.
In der vorliegenden Arbeit umfaßt die erste Phase den Zeitraum von der Konsolidierung der
Unternehmensverhältnisse in den späten vierziger Jahren bis zum Ende der sechziger Jahre.
Hier zeigt sich eine konsistente Entwicklung des Unternehmens, das in dieser Zeit zu einem
bedeutenden Wirtschaftsfaktor Deutschlands wurde. Nationales Wirtschaftswachstum schlägt
sich ebenfalls in einem stetigen Wachstum des Unternehmens nieder. Erhöhung von Produkti-
on, Absatz und Belegschaft korrespondieren mit der Angliederung weiterer Werke im In- und
Ausland und der Erfolg des Unternehmens wird über ein wachsendes soziales und materielles
Gratifikationssystem an die Belegschaft weitergegeben. Ein zunehmender Einfluß der IG Me-
tall ist durch die Wahlen zum Betriebsrat als auch durch den Aufbau des Vertrauenskörpers
erkennbar. Offen ausgetragene Konflikte zwischen Management und betrieblicher Interessen-
vertretung finden ebenso wenig statt wie spontane Belegschaftsreaktionen (Koch, 1985, S. 29).
Diese Phase entspricht in der Einteilung von Pries dem distributionsorientierten multinationa-
len Konzern.
Die zweite Phase faßt die ersten beiden Zeiträume von Jürgens zusammen, weil davon ausge-
gangen wird, daß sich während der schwierigen Phase von Volkswagen bereits Veränderungen
von Volkswagen vollziehen, die sich nach Bewältigung der Krise nachhaltig entfalten.
In diesem Zeitraum endet die Entwicklung stetiger Prosperität und Volkswagen erlebt sowohl
drastische Einbrüche als auch rasch folgende Zuwächse in Produktion und Absatz. Begleitet
wird die wechselhafte Entwicklung von Rationalisierungsmaßnahmen zur Steigerung der Ren-
tabilität des Konzerns. Wechselnde Vorstandsvorsitzende, die den Abbau des Gratifikations-
und Sicherungssystems genauso vorschlagen wie Massenentlassungen während der Krise,
kennzeichnen den grundlegenden Unterschied zur ersten Periode. Das rechtlich-institutionelle
System der Rahmenbedingungen wird mit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes
1972 erweitert, die zur Neustrukturierung der Arbeit und Organisation der betrieblichen Inter-
essenvertretung beiträgt. In dieser Phase kann die IG Metall ihre Position durch die Betriebs-
ratswahlen sichern.

Einleitung
10
Dieser Zeitraum entspricht der von Pries charakterisierten Entwicklung des Unternehmens zum
produktionsorientierten multinationalen Konzern, woran deutlich wird, daß Volkswagen auch
seine Unternehmenspolitik hinsichtlich der internationalen Aktivitäten in dieser Periode ändert.
Die Phase der ,,mitbestimmten Globalisierung" faßt wiederum die krisenhafte Entwicklung und
die Phase der Umgestaltung von Jürgens zusammen. Erweiterte Gremien auf Interessenvertre-
tungsseite und ein neues Management kennzeichnen eine Entwicklung des Konzern, die der
Entwicklung zum transnationalen Konzern von Pries entspricht. Eine unternehmenspolitisch
neue Ausrichtung, sowie der Ausbau des tariflichen Sicherungssystems und eine beschäfti-
gungsorientierte Personalphilosophie mit neuen Rekorden, die sich der Konzern im Hinblick
auf Absatz und Produktion sichern kann, lassen den Unterschied zur zweiten Phase deutlich
werden.
Innerhalb eines jeden Zeitraumes (Kapitel 2-4)
2
wird zuerst der nationale sozio-ökonomische
Kontext, in dem sich die Entwicklung von Volkswagen vollzogen hat, dargestellt (jeweils Ab-
schnitt 1), durch den die veränderten Rahmenbedingungen, die für Unternehmen und Interes-
senvertretung gleichermaßen ihre Wirkungen entfalten, berücksichtigt werden. Anschließend
werden die einzelnen Dimensionen der Unternehmenspolitik in dem Zeitraum beschrieben (je-
weils Abschnitt 2). Diese orientieren sich an den Kategorien von Pries (1998), der die Verände-
rungstendenzen in den deutschen Automobilunternehmen anhand der Dimensionen Produkt-
struktur/ Marktstrategie, Internationalisierungsstrategie, Restrukturierung des Produktions-
modells (Technik, Organisation, Arbeit) und konzerninterner Arbeits- und Funktionsteilung
beschrieben hat. Diese Kategorien werden benötigt, um die Gesamtentwicklung des Unterneh-
mens nachzuvollziehen, die über eine ausschließliche Analyse der Umstrukturierungen auf der
shop-floor-Ebene nicht zu erfassen sind.
Die industriellen Beziehungen werden mit den Dimensionen ,,Beziehung zwischen Manage-
ment und betrieblicher Interessenvertretung", ,,rechtlich-institutionelle Rahmenbedingungen",
,,Organisation und Struktur des Aufgabenfeldes in Verbindung mit dem Selbstverständnis und
den Erwartungen der Belegschaft an die Interessenvertretung" und ,,gewerkschaftliche Poli-
tik" charakterisiert (jeweils Abschnitt 3), bevor eine Beschreibung des Stils industrieller Be-
ziehungen für den Zeitraum in einem Fazit (jeweils Abschnitt 4) erfolgt.
Abschließend sollen die Ausdifferenzierungen der betrieblichen Arbeitsbeziehungen einer je-
den Phase als Stile betrieblicher Arbeitsbeziehungen bei Volkswagen dargestellt werden, bevor
die Erkenntnisse aus der Darstellung auf die Hypothesen bezogen werden und schließlich in
2
Die Ausführungen beziehen sich in der ersten Phase ausschließlich auf die bestehenden Verhältnisse und Ent-
wicklungen im Werk Wolfsburg, wenn nicht explizit auf die Gesamtentwicklung Bezug genommen wird. Erst
im Laufe dieser Periode kommt es zur räumlichen Ausweitung von Volkswagen, die dann in der zweiten Pha-
se stärker berücksichtigt wird.

Einleitung
11
Verbindung mit einem Ausblick vor dem Hintergrund der Fragestellung reflektiert werden
(Kapitel 6).
In diesem Zusammenhang sei auf den Sonderfall Volkswagen hingewiesen, den das Unter-
nehmen in dem deutschen Institutionensystem industrieller Beziehungen darstellt, und der
durch drei spezifische Faktoren determiniert wird.
Erstens ist mit dem originellen Produktionskonzept des Käfers bereits vor dem Zweiten Welt-
krieg ein Auto für einen Massenmarkt entwickelt worden, das auf die Zielgruppe von Durch-
schnittspersonen konzipiert war. Diese Idee ist von Volkswagen nach dem Krieg unverändert
umgesetzt worden, wodurch das Unternehmen ein öffentliches Image erhielt und deshalb be-
sonders im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand (Brumlop/ Jürgens, 1986, S. 75).
Zweitens ist Volkswagen von einem öffentlichen Charakter gekennzeichnet, der sich in der Zu-
sammensetzung des Aufsichtsrats widerspiegelt. Auch nach der Teil-Privatisierung 1960 und
dem Verkauf der Aktien, die bis 1988 in den Händen der Bundesregierung lagen, hat sich hier-
an nichts geändert, denn auch heute noch kann das Land Niedersachsen über die Einflußnahme
bei Volkswagen bspw. Regionalpolitik betreiben (Jürgens, 1998, S. 274).
Drittens weist das Unternehmen eine spezielle Struktur der industriellen Beziehungen auf. Zum
einen werden die kollektiven Vereinbarungen über einen Haustarif geregelt, der zwar spezifi-
sche Lösungen für Volkswagen zuläßt, die aber oftmals sowohl bei dem Arbeitgeberverband
Gesamtmetall als auch bei der zuständigen Gewerkschaft IG Metall kontrovers diskutiert wer-
den, wenn die Vereinbarungen zu stark von der Flächentarifvereinbarung abweichen (Brumlop/
Jürgens, 1986, S. 76).
Zum anderen sind die Institutionen und Verhandlungssysteme der Interessenvermittlung und
der Interessenvertretung charakteristisch bei VW. Im Aufsichtsrat besteht mehr eine tripartisti-
sche Kommunikationsstruktur als eine paritätische, weil drei zunächst voneinander unabhängi-
ge Gruppen in dem Gremium vertreten sind: Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter, Politiker
sowie sonstige Kapitalvertreter. Neben dieser Regelung, die seit dem Mitbestimmungsgesetz
von 1976 gilt, hat das Gesetz für eine weitere Innovation gesorgt. Der Posten des Arbeitsdi-
rektors, ein Mitglied des Vorstandes, der nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter
im Aufsichtsrat gewählt werden kann und lediglich für Kapitalgesellschaften der Montanindu-
strie vorgeschrieben war, ist bei Volkswagen übernommen worden (ebd., S. 77).
Ferner nimmt der Betriebsrat bei Volkswagen eine Schlüsselrolle ein. Das Gremium verfügt
über weitreichendere Beteiligungsrechte als Betriebsräte in anderen Unternehmen in bezug auf
Managemententscheidungen und personelle Entscheidungen. Außerdem ist die enge Verzah-
nung von betrieblicher Interessenvertretungspolitik und Gewerkschaftsinteresse zu berücksich-
tigen, was durch die personelle Vernetzung deutlich wird: Der Vorsitzende des Gesamtbe-

Einleitung
12
triebsrats ist ehrenamtliches Mitglied im Vorstand der IG Metall, während der Vorsitzender der
Gewerkschaft mit zwei weiteren Vertretern im Aufsichtsrat sitzt (Jürgens, 1998, S. 275f;
Brumlop/ Jürgens, 1986, S. 77).
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Skizzierung verschiedener Entwicklungsdimensionen
der betrieblichen Arbeitsbeziehungen bei Volkswagen als Zusammenspiel von Veränderungen
der betrieblichen Interessenvertretung und Unternehmenspolitik. Aufgrund der Komplexität,
bezieht sich die vorliegende Darstellung auf die konstituierenden Merkmale und muß daher
notwendigerweise holzschnittartig bleiben.
Die Skizzierung erfolgt durch eine Reinterpretation bereits vorliegender Literatur in bezug auf
die erkenntnisleitende Fragestellung. Ergänzend dazu sind insbesondere für die dritte Phase, in
der nur wenige Literaturanalysen vorliegen, Belege aus der Praxis und direkte Informationen
durch Expertengespräche bei Volkswagen, bzw. der IG Metall, an den jeweils passenden Stel-
len eingearbeitet. Sie sollen kein abschließendes Bild der ,,Wirklichkeit" darstellen, wohl aber
die praktische Relevanz und Aktualität der theoretischen Diskussion vermitteln.

2. Phase I: Der Käfer als Sinnbild für Erfolg und materiellen Wohl-
stand
Der erste Zeitraum ist von einer lang anhaltenden Phase wirtschaftlicher Prosperität in der
Automobilindustrie gekennzeichnet. Ein kaum stattfindender Wettbewerb auf dem Binnen-
markt und sehr gute Absatzmöglichkeiten im Ausland haben dafür gesorgt, daß sich die deut-
schen Automobilproduzenten, nach einem Zeitraum der Konsolidierung, Marktanteile auf dem
Weltmarkt durch eine hohe Exportquote sichern konnten.
Auch Volkswagen hat sich unter der Geschäftsführung von Heinrich Nordhoff von den Aus-
wirkungen des Krieges erholt und kann bereits in der frühen fünfziger Jahren erste Unterneh-
menserfolge realisieren. Eine expansive Phase kennzeichnet das Unternehmens in der zweiten
Hälfte dieses Zeitraumes. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, kann sich, ebenfalls sehr früh,
eine Interessenvertretung herausbilden, die für die materiellen Interessen der Belegschaft ein-
steht. Diese Politik ist ein erstes Merkmal der betrieblichen Arbeitsbeziehungen bei Volkswa-
gen.
2.1. Die Automobilindustrie in der Nachkriegszeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg galt die Rekonstruktion des Weltmarktes und des Welthandels
als eine zentrale wirtschaftspolitische Aufgabe der späteren Industrienationen. Die in den fünf-
ziger Jahren entstandene Weltwirschaftsordnung war auf das engste mit der uneingeschränkten
Vormachtstellung der USA verknüpft, die insbesondere, über die dem Bretton-Woods-System
3
eingeschriebene Weltgeldfunktion des Dollars, internationale Regulierungsaufgaben übernahm
(Schulten, 1992, S. 14). Die USA konnte bis zum Ende dieses Zeitraumes die dominierende
Position halten, die dann allerdings sukzessive schwächer wurde und eine tendenzielle Annähe-
rung der übrigen Industrieregionen Westeuropa und Südostasien an die USA stattfand. Gründe
dafür lagen in den Exporten und Direktinvestitionen der amerikanischen Konzerne, die zur
Verbreitung des bis dahin in Amerika vorherrschenden fordistischen Gesellschaftsmodells und
damit zu einer Angleichung der Wirtschaftsmodelle aller Industriestaaten beigetragen haben
(Altvater, 1987, S. 215ff). Charakteristisch für die Weltautomobilproduktion war bereits in den
50er Jahren eine hohe Exportquote der einzelnen Hersteller, was durch eine hohe Aufnahmefä-
3
Mit dem Bretton-Woods-System, eine Säule der Institutionen, die die politische Regulation des Weltmarktes
garantieren sollte, war das Ziel formuliert, gleichzeitig außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Vollbeschäf-
tigung zu erreichen, indem der Dollar an den Goldwert gebunden wurde. Die Währungen anderer Länder ori-
entierten sich daraufhin mit flexibel fixierten Wechselkursen am Dollar (Wellhöner, 1996, S.26f).

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
14
higkeit der jeweiligen Binnenmärkte der Industriestaaten aufgrund eines niedrigen Motorisie-
rungsgrades ermöglicht wurde. So exportierten die Unternehmen insbesondere in die Staaten
von Nordamerika und Westeuropa (Kasiske, 1982, S. 98).
Für den Erfolg der deutschen Automobilindustrie war aber noch ein zweites Kriterium aus-
schlaggebend. Neben den Exporten ermöglichte auch die Erhöhung der Kaufkraft im Inland
einen Prozeß der Massenmotorisierung. So war also die spezifische Kombination von großer
Inlandsnachfrage und steigender Nachfrage auf den ausländischen Märkten für den Aufbau ei-
ner stückkostengünstigen Massenproduktion verantwortlich, die, wie noch ausführlicher ge-
zeigt wird, Volkswagen vorbildlich umsetzt. Geringe konjunkturelle Schwankungen und eine
unaufhörliche Nachfrage, die eine Ausweitung der Produktionskapazitäten möglich machte,
waren weitere Bedingungen (Kasiske, 1982, S. 90). Die Situation auf dem deutschen Markt
war besonders in den ersten Jahren von einem fehlenden Wettbewerb zwischen den einzelnen
Großanbietern (Daimler-Benz, BMW, Volkswagen, Ford, Opel) gekennzeichnet, da jeweilige
Absatzsteigerungen die Wachstumschancen der Hersteller untereinander in keinster Weise be-
einträchtigte. Auch dies ist wiederum auf den Nachholbedarf der privaten Haushalte zurückzu-
führen, der es den Produzenten zusätzlich erlaubte, sich lediglich auf ein oder zwei Teilmärkte
bzw. Marktsegmente zu beschränken. Wenn ein Kleinproduzent in jener Zeit die Produktion
einstellte, so lag dies an den fehlenden finanziellen Mitteln und technischen Möglichkeiten zur
Anpassung an den generell expandierenden Markt (Kasiske, 1982, S. 90). Um einen Eindruck
von diesem Boom in der deutschen Automobilindustrie zu bekommen, sei auf die Steigerungs-
raten der Produktion hingewiesen.
Tabelle 1:
Kennzahlen der deutschen Pkw-Industrie*, 1950-1968 [in Tsd. Einheiten]
Jahr
1950
1952
1954
1956
1958
1960
1962
1964
1966
1967
1968
Produktion
219
318
561
911 1.307 1.817 2.109 2.650 2.830 2.296 2.862
Zulassungen
146
201
291
502
691
970 1.217 1.343 1.506 1.357 1.425
Export
83
137
298
485
733
983
986 1.378 1.533 1.362 1.786
Quelle: vda-Statistik; eigene Zusammenstellung
*) einschließlich Kombinationskraftwagen
Wie aus Tabelle 1 zu erkennen ist, steigen sowohl Produktions- und Absatzvolumen als auch
die Zulassungen auf dem deutschen Pkw-Markt in einem erstaunlichen Umfang. Der Vergleich
des Produktionsvolumens deutscher Hersteller mit den Zulassungszahlen belegt die uneinge-
schränkte Wachstumsmöglichkeit. Lediglich ein Bruchteil der Zulassungen wird von ausländi-
schen Marken bzw. Modellen abgedeckt. Der Einbruch gegen Ende der sechziger Jahre, von
dem sich die gesamte Branche schnell erholt, deutet bereits auf erste Sättigungstendenzen am
Markt hin und ist als Signal zu verstehen, daß zukünftige Käufe lediglich zur Befriedigung des
Ersatzbedarfs dienen. Dies ist deshalb erwähnenswert, als daß Ersatzkäufe von der allgemeinen

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
15
konjunkturellen Lage abhängig sind und deshalb zeitlich verschoben werden. Die Werbung
gewinnt in diesem Fall an Bedeutung (Kasiske, 1982, S. 103).
Die erreichte Stärke der deutschen Automobilindustrie basierte in erster Linie auf der Anwen-
dung des Produktionskonzeptes der industriellen Massenfertigung (Kern/ Schumann, 1984, S.
40). Wie in anderen Industriezweigen auch waren hier Taylorismus und Fordismus entschei-
dende Konzeptionen, die das Produktionskonzept charakterisierten.
Der nach Frederick Winslow Taylor benannte Taylorismus löste im Zuge der Industrialisie-
rungsbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts die vorherrschend handwerkliche Produktions-
weise mit einer starken Betonung auf eine qualifizierte Werkstattfertigung ab und stellte damit
einen ersten Paradigmenwechsel in der Arbeitsorganisation von Industriearbeit dar (Wagner,
1998, S. 7). Taylor verfolgte eine ,,wissenschaftliche Betriebsführung"
4
und ging dabei von ei-
nem negativen Menschenbild aus. Seiner Meinung nach neigten die Arbeiter grundsätzlich da-
zu, sich vor der Arbeit zu drücken, weshalb es angebracht erschien, die menschliche Initiative
durch die Unterordnung in einer arbeitsteiligen Betriebsorganisation so weit wie möglich zu
unterdrücken, um den Menschen als Störfaktor auszuschalten
5
(Eichener/ Heinze, 1993, S.
120). Wichtige Elemente dieser wissenschaftlichen Betriebsführung waren u.a. Zerlegung, Op-
timierung, mechanische Unterstützung und Standardisierung der einzelnen Arbeitsgänge auf-
grund systematischer Arbeitsstudien, eine horizontale wie auch vertikale Arbeitsteilung und
Spezialisierung, soziale Isolation am Arbeitsplatz zur Förderung der Konzentration auf die Ar-
beit und eine systematische Personalselektion, Qualifizierung und Arbeitsverteilung (Eichener/
Heinze, 1993, S. 120). Außerdem sah das Konzept die Trennung von direkt produzierenden
und indirekten Funktionen vor, die Einführung einer nachträglichen Qualitätskontrolle, um den
Qualitätsstandard auch bei hoher quantitativer Leistungssteigerung zu sichern, Arbeitszeitver-
kürzung bei gleichzeitiger Leistungsverdichtung (Effizienzsteigerung) und begrenzte Prämien
für die Erfüllung des Arbeitspensums (ebd., 1993, S. 121). Durch die Trennung von ,,Hand-
und Kopfarbeit" sah Taylors Konzept im Grunde die Entmündigung des Industriearbeiters vor,
dem jegliche Selbstbestimmtheit abhanden gekommen war.
Da die ,,wissenschaftliche Betriebsführung" in erster Linie für die Teilefertigung gedacht war,
mußte das Konzept für andere Branchen, wie bspw. der Automobilindustrie modifiziert wer-
den: ,,Henry Ford nahm Taylors Prinzipien auf und entwickelte sie zum ,Fordismus` - wie es
4
Zu einer umfangreichen Erläuterung und Darstellung der Ideen, Annahmen und Elemente, siehe Taylor 1967.
5
Das Prinzip der Arbeitsteilung ging auf eine Idee von Adam Smith zurück, der in den 70er Jahren des 18.
Jahrhunderts eine Nadelfabrik untersuchte und hier die Arbeitsteilung als Quelle wachsender Produktivität er-
kannte. Herrschaftsmotive waren, im Unterschied zu Taylor, hier aber noch nicht vorhanden (Piore/ Sabel,
1989, S. 31).

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
16
heute heißt - weiter, indem er sie mit der Strategie der standardisierten Großserienproduktion
und dem Prinzip der Fließfertigung verknüpfte" (ebd., S. 122).
Das Ziel von Ford war die Deckung der Massennachfrage durch Güter, die einfach, standardi-
siert, dauerhaft, zeitlos und preiswert herzustellen waren, wozu er weitgehend Taylors Arbeits-
organisation übernahm, nur daß sie jetzt durch das Fließband auf die Massenfertigung ange-
wandt wurde (ebd., S. 122). Beachtenswert war das niedrige Qualifikationsniveau bei Ford,
denn bei Ford waren nur zwei Prozent aller Beschäftigten qualifizierte Kräfte (Wagner, 1998,
S. 8).
Mit der Übernahme und Verfeinerung, die sich im Umsetzen von Mechanisierungsabsichten
zeigte, um Produktivitätsgewinne zu erzielen, schaffte es die deutsche Automobilindustrie die
technologische Lücke, die nach Henry Fords Innovationen bestanden hatte, zu schließen (Kern/
Schumann, 1984, S. 40). Während die Fügeoperationen zumeist mit der Hand erledigt werden
mußten, versuchte man, die mechanische Fertigung und das Preßwerk durch den vermehrten
Einsatz und einer wachsenden Verkettung von Einzweckmaschinen verstärkt zu mechanisieren,
außerdem den Rohbau, die Aggregat- und Endmontage unter Verwendung des Fließbands neu
zu gestalten (Kern/ Schumann, 1984, S. 40). Diese Anstrengungen reichten bis in die 70er Jah-
re und selbst die Human-Relations-Bewegung, die im Rahmen der Hawthorne-Experimente die
Bedeutung sozialer Elemente hervorgehoben hatte und zu einer modifizierten Sichtweise der
tayloristischen Betrachtung führte, konnte nicht ein Verlassen des Paradigmas bewirken (Wag-
ner, 1998, S. 9).
Zusammengefaßt heißt das, daß die deutsche Automobilindustrie in den ersten Jahren zum In-
begriff von taktbestimmter Fließbandarbeit und sinnentleerter Routinetätigkeit für den einzel-
nen Arbeiter geworden ist. Charakteristisch waren monotone, auf wenige Handgriffe reduzierte
Tätigkeiten, die großen Lärm und viel Schmutz verursachten, wobei die Beschäftigten einem
erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt waren. Durch häufige Umsetzungen und Zuweisungen neuer
Arbeitsplätze erschien die Produktionsarbeit als ,,Jedermannsarbeit, die keine Qualifikationen
verlangt als die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in ein gleichsam mechanisch tätiges Wesen, in
eine Marionette an den Fäden der technischen Fabrikapparatur zu verwandeln" (Dombois,
1982, S. 122).
2.2. Massenproduktion bei VW
Die Geschichte von Volkswagen beginnt am 17.01.1934. An diesem Tag legte der österreichi-
sche Konstrukteur Ferdinand Porsche ein ,,Exposé betreffend den Bau eines deutschen Volks-
wagens" vor, das die Reichsregierung auf der Automobilausstellung vorstellte und damit ihre

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
17
Motorisierungskampagne propagierte. Hinter dem Ziel, das Automobil generell zum Massen-
gut zu machen, verbarg sich die Idee, durch die Massenproduktion eines Kleinwagens den
wirtschaftlichen Aufschwung im Nazi-Deutschland zu fördern, neue Arbeitsplätze zu schaffen
und eine allgemeine Besserung der sozialen Lage der Arbeitnehmer zu erreichen. Am
26.05.1938 erfolgte die Grundsteinlegung des Volkswagenwerkes, mit der Ankündigung, ein
Volksauto zu produzieren und eine vorbildliche Arbeiterstadt zu erbauen (Doleschal, 1982, S.
18ff)
6
.
Mit Beginn des Krieges werden die beiden Projekte nicht aufgegeben, allerdings tritt der Bau
des Volksautos in den Hintergrund und statt dessen wird das Volkswagenwerk vermehrt für
Rüstungsaufgaben herangezogen. Bis zum Kriegsende werden ca. 70.000 Kübel- und
Schwimmwagen für die Wehrmacht gefertigt (Kleine VW-Chronik, 1978, S. 13f).
Nach Kriegsende war die Existenz des Volkswagenwerkes äußerst ungewiß: als Teil des DAF-
Vermögens war das Werk konfisziert worden und die Entscheidung, ob es demontiert werden
sollte oder weiterhin für Produktionszwecke instandgesetzt werden sollte, lag in den Händen
der britischen Militärregierung. Außerdem waren während des Krieges zwei Drittel der Werk-
sanlagen zerstört worden und es herrschte Unklarheit über die finanziellen und politischen
Voraussetzungen bezüglich der Versorgung des Werkes mit Rohstoffen und Zwischenproduk-
ten (Wellhöner, 1996, S. 99f).
Die Initiative zur Wiederaufnahme der Produktion erfolgte schließlich durch den britischen
Kommandanten der Stadt, der erfreut über das Engagement einiger zurückkehrender Techniker
und Arbeiter war, da diese bei Instandhaltungsarbeiten an den Fahrzeugen der Einheiten helfen
konnten (Bittorf, 1960, S. 47). So konnte nach dem Krieg die Arbeit ohne große Unterbrechung
fortgesetzt werden, wobei zwei Faktoren sehr entscheidend waren: erstens waren wertvollere
Maschinen und Produktionsmittel der Teilefertigung bereits 1944 in vorbereitete Unterkünfte
der Umgebung ausgelagert worden und zweitens war das werkseigene Kraftwerk voll funkti-
onstüchtig geblieben (Koch, 1985, S. 51). Neben der Reparatur von Militärfahrzeugen wurde
auch die Produktion erster Fahrzeuge wieder aufgenommen. Bis Ende 1946 wurden bereits
10.020 Automobile gefertigt, wovon ein bedeutender Teil als sogenannte CCG-Fahrzeuge
(Control Commission for Germany) an die Briten geliefert wurde. Die anderen Kunden waren
z.B. deutsche Behörden, die Post und das Rote Kreuz, da Privatpersonen zunächst als Abneh-
mer ausgeschlossen blieben (Wellhöner, 1996, S. 100; Kleine VW-Chronik, 1978, S. 20).
6
Erste Pläne sahen zunächst vor, unter der Führung des Reichsverbandes der deutschen Automobilindustrie
(RDA) einen Volkswagen bauen zu lassen. Nach internen Querelen zwischen dem RDA und Porsche entzog
die Reichsregierung dem RDA 1936 aber die Verantwortung und beschloß, unter der Regie der Deutschen Ar-
beitsfront (DAF), bzw. der ,,Gesellschaft zur Vorbereitung eines deutschen Volkswagens (GEZUVOR)" in ei-
nem neuen Werk das Automobil zu bauen (Doleschal, 1982, S. 29f).

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
18
Diese Situation stellt eine Übergangsphase unter militärischer Verwaltung dar, in der nicht nur
das Volkswagenwerk, sondern auch die Stadt mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und
Unsicherheiten die Arbeit im Werk und das Leben in Wolfsburg bestimmten. Neben einer
akuten Wohnungsnot, die aus dem Zustrom der Flüchtlinge und zurückkehrenden Kriegsteil-
nehmer resultierte, waren Mangelwirtschaft, das Fehlen von sozialer Infrastruktur und eine
dürftige Nahrungsmittelversorgung dafür verantwortlich, daß Tauschhandel, Schwarzmarktge-
schäfte und Korruption das Leben und Arbeiten der Menschen in der Stadt strukturierte (Koch,
1985, S. 54).
Aus diesem Grund setzt die Analyse der ersten Entwicklungsphase mit der Konsolidierung der
Verhältnisse durch die Währungsreform 1948 und der Bestellung Heinrich Nordhoffs zum Ge-
neraldirektor des Volkswagenwerkes ein. Dieser führte das Unternehmen seit diesem Zeitpunkt
unter dem Aspekt privatwirtschaftlicher Effizienz weiter, was sich auch nicht änderte, als die
Alliierte Militärregierung 1949 auf die Kontrolle der bisher beschlagnahmten Vermögenswerte,
worunter auch das Volkswagenwerk fiel, verzichtete und per Anordnung 202 der Besatzungs-
macht die Verfügungsgewalt über die Volkswagenwerk GmbH auf die Bundesregierung über-
trug. Die Regierung beauftragte wiederum das Land Niedersachsen mit der Wahrnehmung ih-
rer Rechte (Wellhöner, 1996, S. 100). Diese Konstellation hatte aber ebensowenig direkte
Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit, wie die Privatisierung von Volkswagen. Die Bundes-
regierung entschied sich 1960, die Volkswagen GmbH in eine Aktiengesellschaft umzuwan-
deln mit einem Stammkapital von 600 Millionen DM. Veräußert wurde allerdings nicht der ge-
samte Anteil sondern nur 60 Prozent, der Rest verteilte sich zur Hälfte auf das Land Nieder-
sachsen und den Bund. Gleichzeitig wurde die Stiftung Volkswagen eingerichtet, mit dem Ziel,
Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre zu fördern, die ihre Mittel aus den Divi-
denden der Aktienanteile von Land und Bund erhielt (vgl. Doleschal, 1982, S. 49). Obwohl
nun jeweils zwei Sitze von Bundes- und Landesvertretern im Aufsichtsrat übernommen wur-
den, lag die Macht weiterhin bei Heinrich Nordhoff, da er von allen Akteuren uneingeschränkt
als Geschäftsführer anerkannt wurde. Die erste Phase von VW war somit durchgehend von ei-
ner dynamischen, sich fast überschlagenden wirtschaftlichen Entwicklung gekennzeichnet, in
einem Zeitraum, ,,der bis heute synonym mit dem Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeutsch-
land genannt wird" (Koch, 1985, S. 116).
2.2.1. Produktstruktur und Produktionsstrategie
Sowohl jährlich steigende Produktions-, Export-, Investitions- und Umsatzzahlen als auch die
Zunahme der Belegschaft, kennzeichnen den lang anhaltenden Boom von VW bis zum Ende

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
19
der 60er Jahre und die Entwicklung zu einem exportorientierten multinationalen Konzern (vgl.
Tabelle 2).
Tabelle 2:
Unternehmenskennzahlen von Volkswagen, 1948-1968
Jahr
Gesamtproduktion
[in Einheiten]
Export
[in Einheiten]
Umsatz
[in Mio. DM]
Investitionen
[in Mio. DM]
Beschäftigte
1948
19.244
k. A.
80
k. A.
8.361
1949
46.154
7.170
240
k. A.
9.497
1950
90.298
29.459
405
k. A.
13.205
1951
105.712
35.742
479
43
14.147
1952
136.013
46.881
658
33
17.381
1953
179.740
68.754
822
64
20.569
1954
242.373
108.839
1.076
95
25.283
1955
329.893
177.657
1.444
217
31.570
1956
395.690
217.683
1.788
188
35.672
1957
472.554
270.987
2.260
196
43.395
1958
557.088
315.717
2.719
314
47.916
1959
705.243
404.185
3.544
488
60.477
1960
890.673
489.272
4.607
565
75.528
1961
1.007.113
533.420
5.190
592
80.764
1962
1.184.675
627.613
6.382
337
91.220
1963
1.209.591
685.763
6.843
413
93.488
1964
1.410.715
797.468
7.997
640
104.778
1965
1.594.861
868.989
9.268
758
125.157
1966
1.650.487
987.776
9.998
872
124.581
1967
1.339.823
832.195
9.335
787
129.111
1968
1.777.320
1.128.701
11.700
708
145.401
Quelle: Geschäftsberichte der Volkswagen AG bzw. Volkswagen GmbH 1948-1968; vda-Statistik
Die Ausweitung der günstigen Absatzmöglichkeiten des Käfers in Deutschland, wie auch im
Ausland, ließen bei Volkswagen eine stetige Produktionserhöhung zu. Nachdem in den ersten
Jahren nur wenige Fahrzeuge im Jahr produziert wurden, erhöhte sich, aufgrund des Bestrebens
Nordhoffs, einen konsequenten Einstieg in die industrielle Massenproduktion zu verfolgen, die
Produktion von knapp 20.000 Kraftfahrzeugen im Jahr 1948 auf über 1,7 Millionen im Jahr
1968. Dabei wurden bis auf wenige Ausnahmen jährliche Steigerungsraten von über 10% er-
zielt, Ende der 50er Jahre sogar bei der 20%-Marke liegend. Ab Mitte der 60er Jahre setzte ei-
ne Phase geringeren Wachstums ein. Ein erster Tiefpunkt war 1967 erreicht, als Volkswagen
die Produktion infolge eines Konjunktureinbruchs um 19% drosseln mußte. Dieser Einbruch
erweist sich bei Volkswagen als (noch) nicht so dramatisch, denn Dank der wieder einsetzen-
den Nachfrage konnte der Rückgang binnen Jahresfrist aufgeholt werden (Kasiske, 1982, S.
92). Die kontinuierliche Steigerung der Produktion bei VW findet ihre Entsprechung in der
vermehrten Nachfrage nach Arbeitskräften. Durch den Boom hat sich auch die Belegschaft

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
20
jährlich vergrößert, doch macht sich auch hier der konjunkturell bedingte Einbruch bemerkbar
­ 1966 arbeiteten bereits 576 Beschäftigte weniger bei Volkswagen als im Vorjahr.
Obwohl selbst Anfang 1967 bei Volkswagen Kurzarbeit anstand, gelang im gleichen Jahr auf-
grund der steigenden Nachfrage eine Erhöhung der Belegschaft um über 4000 Mitarbeiter. Bei
den Investitions- und Umsatzzahlen ist die gleiche Entwicklung zu erkennen - der Verkaufser-
folg des Käfers schlägt sich unmittelbar im Umsatz nieder, ebenso steigen die Investitionen seit
Mitte der 50er Jahre permanent an, nur machte sich hier der Einbruch von 1967 erst ein Jahr
später bemerkbar. Die internationale Ausrichtung von Volkswagen zeigt sich in einer starken
Exportausrichtung. Bereits 1948 wurden 23% der Produktion im Ausland verkauft, vor allem
durch den Export in die Niederlande (seit 1947), nach Dänemark, Luxemburg, Schweden, Bel-
gien und in die Schweiz (Kleine VW-Chronik, 1978, S. 22). Seit 1955 waren über die Hälfte
der gebauten Fahrzeuge für das Ausland bestimmt.
An dieser Stelle muß angemerkt werden, daß der Erfolg zum Teil auch auf das Fehlen konkur-
renzfähiger Hersteller in Deutschland zurückzuführen war, denn die Konzerne Ford und Opel,
bzw. die Konzernmutter General Motors, beurteilten den deutschen Automobilmarkt äußerst
pessimistisch und gaben ihre zögerliche Haltung bzgl. neuer Investitionen erst in den frühen
60er Jahren auf. Hinzu kam, daß Autounion ihre Produktionsstätte in der sowjetischen Besat-
zungszone verloren hatte (Wellhöner, 1996, S. 101). Vor diesem Hintergrund unterstrichen ein
hoher Exportanteil und die größer werdende Nachfrage nach Arbeitskräften die Bedeutung von
VW für die Automobilindustrie in Deutschland nach dem Krieg.
Bedingt wurde diese Entwicklung durch den konsequenten Einstieg in die Massenproduktion
bei Volkswagen, der von Nordhoff massiv vorangetrieben wurde
7
. Dieser hatte als Leiter der
technischen Abteilung des Kundendienstes bei Opel die Möglichkeit, bei der Übernahme Opels
durch General Motors, die Konzernzentrale in den USA zu besuchen und so die amerikanische
Automobilproduktion - den amerikanischen Fordismus - kennenzulernen. Beeindruckt von dem
Erfolg der Amerikaner, wurden die nach 1945 veralteten Anlagen und Maschinen, unter Be-
rücksichtigung eines konsequenten Einstiegs in die fordistische Fließfertigung, sukzessive
durch neue Produktionsmittel ersetzt. Schließlich wurde 1954 die Losfertigung des Käfers end-
gültig durch das fordistische Produktionskonzept abgelöst und eröffnete so, mit konkurrenzfä-
higen Produktionsmitteln, die Chance zur Expansion auf dem Weltmarkt (Wellhöner, 1996, S.
104f).
7
Dabei handelte es gar nicht so sehr um eine Umstellung, denn die Wurzeln für eine Massenproduktion wurden
bereits vor dem Weltkrieg gelegt: erstens war das Volkswagenwerk für eine Jahreskapazität von 1,5 Mio. ge-
bauten Autos geplant worden, zweitens sorgte Porsche seit 1936 durch zahlreiche USA-Reisen für die Über-
nahme des erfolgreichen Konzepts von Ford (Doleschal, 1982, S.26f).

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
21
Äußeres Zeichen dieser amerikanischen Beeinflussung war die Beschränkung auf das Modell
`Käfer' und seine Variationen, die sich an dem Erfolgsrezept der Ein-Produkt-Strategie von
Henry Ford orientierte und die technologische Reorganisation, die sich seit 1954 auf einen sy-
stematischen amerikanischen Technologietransfer stützte. Allerdings berücksichtigte Heinrich
Nordhoff auch die spezifischen Besonderheiten des deutschen Marktes, wie bspw. die Dimen-
sion des Binnenmarktes (Wellhöner, 1996, S. 105). Die internationale Orientierung, die bei
Volkswagen seit Anfang der fünfziger Jahre einsetzte, war bedingt durch die fordistische Mas-
senproduktion, da die fordistische Technologie auf eine Fabrikation großer Serien ausgerichtet
war, die zumindest die Kapazität des deutschen Binnenmarktes überstieg. So mußte Volkswa-
gen notwendigerweise auch international mit seinen Produkten präsent sein, wenn das Ziel
großer Absatzzahlen verwirklicht werden sollte. Daß dieses große Angebot auf eine ebenso
große Nachfrage aus dem In- und Ausland stieß, war ein weiterer Grund für den Erfolg von
Volkswagen (vgl. Koch, 1985, S. 118).
2.2.2. Konzernstruktur
Der kontinuierliche Anstieg des Absatzes setzte enorme Produktionskapazitäten voraus, wes-
halb eine mit der Expansion einhergehende räumliche Ausdehnung und Erweiterung des
Volkswagenkonzerns verzeichnet werden kann. Neben der größten Betriebsstätte in Wolfsburg
bestand seit 1938 bereits ein weiteres Werk in Braunschweig, das zur Ausbildung von Fachar-
beitern und Betriebsingenieuren genutzt wurde. Nach einer teilweisen Demontage durch die
Amerikaner wurde es 1945 auf Anordnung der Militärregierung in den Produktionszusammen-
hang von Wolfsburg integriert und diente zur Fertigung von Vergasern, Kupplungen und Stoß-
dämpfern. Als die weitere Ausdehnung der Produktion in Wolfsburg an räumliche Grenzen
stieß, wurde 1956 die Transporterproduktion nach Hannover ausgelagert, später wurden dort
auch Hinterachsen und Motoren gefertigt. Nachdem 1958 das vierte Werk in Kassel eröffnet
wurde, wo Aggregate aufbereitet und Getriebe und Ersatzteile gefertigt wurden, erfolgte 1964
die Einweihung des Werkes in Emden, das durch die optimale Lage am Hafen ausschließlich
für die Exportproduktion in die USA bestimmt war. 1966 übernahm der Konzern zu 100% die
Auto-Union GmbH in Ingolstadt, drei Jahre später NSU, bevor 1970 vorerst im letzten Werk in
Salzgitter die Produktion aufgenommen wurde (Kleine VW-Chronik, 1978, S. 33ff).
Die Entwicklung auf dem internationalen Markt wurde durch die Absatzbedingungen auf den
jeweiligen nationalen Märkten bestimmt: prinzipiell erfolgte der Export an Generalimporteure
oder Händler, die die Fahrzeuge nach zentral vorgegebenen, relativ eng definierten Regeln,
aber auf eigene Rechnung, abnahmen (Wellhöner, 1996, S. 107). In manchen Ländern herrsch-
te ein massiver Konkurrenzkampf, so daß der Verkauf durch kontrollierte Tochtergesellschaf-

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
22
ten übernommen werden mußte. Aus diesem Grund wurde 1952 die ,,Volkswagen Canada
Ltd." gegründet, 1955 die Gesellschaft ,,Volkswagen of America Inc." und 1960 die ,,Volks-
wagen France S.A.". Da sich einige Staaten um den Aufbau einer eigenen Automobilindustrie
bemühten und den Marktzugang für Importeure einschränkten, wurden von VW Montage- oder
Produktionsstätten gegründet, um einen Verlust auf für wichtig erachtete Exportmärkte zu
vermeiden. So entstanden 1953 die Volkswagen-Tochtergesellschaft ,,Volkswagen do Brasil
S.A.", 1956 die ,,South African Motor Assemblers and Distributors Ltd." und 1957 die
,,Volkswagen Australasia Pty. Ltd." (Kleine VW-Chronik, 1978, S. 33ff). Obwohl den Aus-
landsgesellschaften ein hohes Maß an Handlungsfreiheit von seiten Nordhoffs zugestanden
wurde, war gleichzeitig die zentralistische Führung des Konzerns zu erkennen, da sowohl Ka-
pitalerhöhungen und Geländekäufe als auch Belegschaftsaufstockungen seiner Genehmigung
bedurften (Wellhöner, 1996, S. 107).
2.2.3. Taylorismus als Kennzeichen der Arbeits- und Fertigungsorganisation
Neben den Rahmenbedingungen und äußeren Entwicklungsfaktoren, war auch die Fertigungs-
organisation von Volkswagen aufgrund der amerikanischen Orientierung der Geschäftsleitung
von tayloristisch-fordistischen Elementen geprägt.
Im Mittelpunkt der ersten Jahre stand die Erneuerung der Produktionstechnologie, die einher
ging mit Veränderungen der Organisationsstruktur, um die Koordination der einzelnen Arbeits-
schritte und das Ineinandergreifen der einzelnen Elemente der Wertschöpfungskette, wie Pla-
nung, Entwicklung, Produktion, Qualitätskontrolle und Instandhaltung zu gewährleisten, wobei
sich die Geschäftsleitung durch zahlreiche USA-Reisen zu neuen Ideen anregen ließ (ebd., S.
109ff). Auf der technologischen Seite der Automatisierung erfolgte eine Kopplung einzelner
kleiner Bearbeitungsstufen in Fertigungsstraßen und ein verstärkter Einsatz von für die Mas-
senproduktion charakteristischen Spezialmaschinen. Allerdings mußten die geplanten Stück-
zahlen den Einsatz rentabel erscheinen lassen, weshalb sich diese Reorganisationen nur auf den
Käfer bezogen, da bei der Lieferwagenproduktion die niedrigen Stückzahlen im Gegensatz zu
den hohen Investitionen standen (ebd., S. 116).
Auf der arbeitsorganisatorischen Seite erfolgte eine Kopplung der Arbeitsschritte des einzelnen
Arbeiters an den Takt des Bandes bzw. an das automatisierte Transportsystem. Analog zu den
Motiven, die den Taylorismus in den amerikanischen Unternehmen etablieren ließ, waren die
Gründe für die Geschäftsleitung bei VW, die Kontrolle über die Produktionsabläufe zu erhö-
hen. Nordhoff ,,nahm (...) offenbar gerade die Kontrolle des Produktionsprozesses als Terrain
eines natürlichen Antagonismus zwischen Management und Arbeiterschaft wahr" (ebd., S.
116). Aus diesem Grund sollte mit der Zergliederung des Produktionsprozesses in kleine Tei-

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
23
larbeitsschritte, die für den Arbeiter einen wiederkehrenden Arbeitsablauf bedeuteten, und
Kopplung dieser Schritte an den Takt von Maschinen und Bändern ein exogener Sachzwang
geschaffen werden, der der Kontrolle der Arbeitnehmer entzogen war. Dadurch entfiel die
Notwendigkeit, über die Akkordlöhne einen Anreiz für höhere Leistungsbereitschaft zu schaf-
fen, so daß eine Standardisierung des Entlohnungssystems in jenen Bereichen stattfand, in de-
nen durch die Automatisierung die Spielräume der Arbeiter eingeengt waren (ebd., S. 117).
8
Ferner sah die Organisationsstruktur bei VW ein Stab-Linien-Konzept vor, versehen mit einer
klaren Trennung zwischen den planerisch tätigen Abteilungen und den produzierenden Abtei-
lungen. Bei den direkten Tätigkeiten wurde außerdem noch eine Führungsebene mehr instal-
liert, bei der die einzelnen Abteilungen in Hauptabteilungen zusammengefaßt waren. Diese
Hauptabteilungen standen gleichberechtigt neben den ebenfalls zentral angesiedelten
Hauptabteilungen Instandhaltung und Planung. Die vorher den Produktionsstufen zugeordneten
Qualitätsprüfungen wurden nun von der Hauptabteilung Inspektion übernommen und damit
dem Verantwortungsbereich der Produktion entzogen. Zusätzlich wurde eine Hauptabteilung
Technische Entwicklung eingerichtet, die in der Lage war, unabhängig von den anderen Ebe-
nen im Unternehmen zu arbeiten, um kontinuierlich die beiden Fahrzeuge Käfer und Lieferwa-
gen zu verbessern und neueste Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung mit in ihre Arbeit
einfließen lassen sollte (ebd., S. 121).
Ein weiteres für das fordistische Produktionskonzept typische Charakteristikum findet sich bei
Volkswagen in der Struktur der Belegschaft. Wie aus Tabelle 3 zu entnehmen ist, dominieren
während der prosperierenden Phase die un- und angelernten Arbeiter die Beschäftigungsstruk-
tur im Unternehmen. Es folgen die Facharbeiter, deren Anteil sich im Durchschnitt auf zwei
Fünftel beläuft. Der Anteil der Angestellten bei Volkswagen schwankt während dieser Phase
zwischen 9% und 11%.
8
Die Produktivitätsgewinne, die durch eine zunehmende Automatisierung erzielt wurden, nutzte Volkswagen,
um den Preis des Käfers konstant zu halten - ein weiterer Beleg für die Übernahme des Fordschen Konzeptes.
So lag der Preis 1962 sogar 3 Prozent unter dem Preis von 1952 (Wellhöner, 1996, S. 132).

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
24
Tabelle 3:
Beschäftigtenstruktur bei Volkswagen, 1950-1968
Lohnempfänger
Angestellte
Jahr
Facharbeiter
Angelernte
Ungelernte
technisch
kaufmännisch
1950
5.874
2.931
4.517
729
915
1951
5.539
2.795
4.004
800
1.009
1952
5.686
2.908
6.796
874
1.117
1953
5.862
3.065
9.391
995
1.256
1954
6.185
5.498
11.037
1.116
1.448
1955*
6.648
9.936
12.022
1.269
1.695
1956
10.473
16.363
5.433
1.408
1.995
1957
11.442
19.115
6.983
1.561
2.189
1958
12.962
20.552
6.280
1.776
2.434
1959
16.098
25.693
7.581
2.028
2.720
1960
19.986
29.972
8.517
2.423
3.241
1961
23.491
30.236
9.165
2.874
3.680
1962
27.609
35.676
6.744
3.124
4.042
1963
29.563
36.387
6.937
3.375
4.164
1964
33.171
39.270
7.221
3.902
4.562
1965
36.281
41.098
7.540
4.411
5.013
1966
37.131
37.768
6.665
4.833
5.248
1967
36.969
37.781
6.886
5.039
5.194
1968
40.521
44.602
8.887
5.308
5.657
* Änderung der Erfassungsmethode nach Einführung der EDV-Auswertung gem. Tätigkeit und Entlohnung
Quelle: Geschäftsberichte der Volkswagen AG, bzw. VW GmbH 1950-1970
Der hohe Anteil der Un- und Angelernten läßt allerdings nicht auf die Qualifikation der Arbei-
ter schließen, denn die Gruppeneinteilung der Tabelle bezieht sich auf Tätigkeitsbereiche im
Unternehmen. So waren unter den Lohnempfängern bei VW viele beschäftigt, die über eine
abgeschlossene Berufsausbildung verfügten (Schwonke, 1967, S. 49). Der zu dieser Zeit über-
durchschnittliche Einsatz jener Beschäftigten, im Vergleich zu anderen Industriezweigen, läßt
sich damit erklären, daß, neben der sehr guten Bezahlung bei VW, die Automobilindustrie ei-
nen überdurchschnittlich hohen Anteil an Bandarbeit im Industriesektor aufwies (SOFI, 1981,
S. 21), die durch einfache, schnell erlernbare Tätigkeiten gekennzeichnet ist. So lag es nahe,
auch viele Ungelernte bzw. anzulernende Arbeiter einzustellen. Weiterhin spielten die große
Zahl an Flüchtlingen und ausländischen Arbeitnehmern eine wichtige Rolle, die bei Volkswa-
gen `am Band' zunächst Arbeit fanden und so ihren Lebensunterhalt verdienen konnten (Koch,
1985, S. 125f).
Allerdings war durch die zunehmende Beschäftigungsausweitung noch nicht sichergestellt, daß
sich eine Stammbelegschaft herausbildete. Tabelle 4 verdeutlicht, daß noch keine gefestigte
Struktur in der Belegschaft vorhanden war, und noch 1968 23.120 Zugängen 10.014 Abgänge
gegenüber standen.

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
25
Tabelle 4:
Zu- und Abgänge der Beschäftigten bei Volkswagen, 1959-1968
Zugänge
Abgänge
Jahr
Lohnempfänger
Angestellte
Gesamt
Lohnempfänger
Angestellte
Gesamt
1959
14.269
798
15.067
4.691
260
4.951
1960
15.609
1.237
16.848
6.506
321
6.827
1961
11.608
1.214
12.822
7.191
324
7.515
1962
17.969
1.054
19.023
10.023
442
10.465
1963
13.908
858
14.766
11.859
485
12.344
1964
18.929
1.444
20.373
12.154
519
12.673
1965
16.636
1.526
18.162
11.379
566
11.945
1966
8.754
1.339
10.093
12.109
682
12.791
1967
7.135
837
7.972
7.063
685
7.748
1968
21.696
1.424
23.120
9.322
692
10.014
Quelle: Koch, 1985, S. 126
Insgesamt läßt sich am Ende der ersten Entwicklungsphase von Volkswagen ein Unternehmen
erkennen, daß sich von den Kriegseinwirkungen sehr gut erholt hat und dabei äußerst erfolg-
reich agiert. Mit der konsequenten Einführung des fordistischen Produktionskonzeptes und der
Konzentration auf lediglich ein Produkt gelingt eine Entwicklung, die zu immer größeren Re-
korden führt. Zu erkennen ist aber auch eine enorm hohe Fluktuationsrate bei Volkswagen, die
einen demokratischen Neuanfang für die Interessenvertretung nicht einfach gemacht hat, da
sich in Wolfsburg zunächst Personengruppen sammelten, die keinerlei Kenntnisse von den de-
mokratischen Strukturen in der Industrie zu Zeiten der Weimarer Republik aufwiesen und so-
mit auch nur mangelhaft ihre Interessen artikulieren konnten. Wie es der Interessenvertretung
dennoch gelang sich zu etablieren und welches ihre Aufgabenfelder waren, soll im nächsten
Kapitel ausgeführt werden.
2.3. Die Interessenvertretung verzeichnet erste Erfolge
Die Entstehung der Interessenvertretung bei Volkswagen vollzog sich in zwei Stufen. Da die
erste Phase noch von der britischen Militärverwaltung geprägt war, die ein kooperatives Ver-
hältnis zwischen Geschäftsleitung und Interessenvertretung initiiert hatte, mit der Absicht, daß
beide Akteure gemeinschaftlich die anstehenden Probleme im Sinne des Unternehmens lösen
sollten (vgl. Koch 1985, S. 49ff), setzt hier die Analyse parallel zur Konsolidierung der Unter-
nehmensentwicklung ein, als die englische Besatzungsmacht die Verantwortung auf Nordhoff
übertrugen. Dabei beziehen sich die Ausführungen vorwiegend auf das Werk Wolfsburg, da
sich zunächst hier die entscheidenden Entwicklungen vollziehen, die eine angemessene Cha-
rakterisierung der industriellen Beziehungen bei Volkswagen zulassen, denn ,,Wolfsburg over-
shadows all other plants in terms of employment (...) and its strategic significance for labour
policy and industrial relations" (Brumlop/ Jürgens, 1986, S. 74).

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
26
Erst mit der Berufung Nordhoffs zum Generaldirektor bildet sich eine Belegschaftsvertretung,
die als ein Regulativ zur Geschäftsleitung aufgefaßt werden kann und für die industriellen
Rechte der Arbeitnehmerschaft eintritt. Nach einem Suchprozeß, der von internen Intrigen ge-
prägt war, manifestiert sich schließlich ab Anfang der fünfziger Jahre eine Politik der Interes-
senvertretung, der es gelingt die Belegschaft materiell am Erfolg von Volkswagen partizipieren
zu lassen.
2.3.1. Kontinuität an der Spitze: Nordhoff und Bork
Begünstigt wird diese Entwicklung vor allem durch zwei Personen: Auf der einen Seite von
dem Generaldirektor Heinrich Nordhoff, der ein besonderes Verhältnis zu den Arbeitnehmern
herstellen und ein sehr gutes Arbeitsklima schaffen kann, indem er auf eine Philosophie der
`glücklichen VW-Familie' setzt, die jeden Einzelnen anspricht. Nordhoff appellierte zumeist
über Werkfunkansprachen an das Verantwortungsgefühl jedes Einzelnen und zielte auf die in-
dividuelle Leistungsbereitschaft ab, da eine kollektiv Identität der Arbeiterschaft nicht exi-
stierte. Das lag vor allem an der erstmaligen Konfrontation vieler Arbeiter mit industrieller
Massenproduktion, denn viele Arbeitnehmer stammten aus ländlichen Regionen, die weiterhin
ihr Rollenverständnis von Arbeit aus der Landwirtschaft oder Heimarbeit beibehielten (Koch,
1985, S. 188). ,,Der `VW-Geist' ist die menschliche und soziale Seite des VW-Erfolges und
diejenige seiner Errungenschaften, die Heinrich Nordhoff am höchsten schätzt. (...) Er schwor
ihnen, sie würden sich entweder gemeinsam eine neue Existenz aufbauen oder gemeinsam vor
die Hunde gehen. (...) Er infizierte sie mit seinem Glauben an den Erfolg. Und er gab Ihnen
sein Wort, daß die Früchte des Erfolgs denen gehören sollen, deren Anstrengung das Werk ge-
rettet und aufgerichtet hat: ihnen, den Arbeitern. (...) Er weckte ihr Verständnis, gab ihnen ein
Gefühl für den Sinn ihrer Arbeit, flößte ihnen einen grimmigen Stolz auf `unseren Volkswa-
gen' und `unser Werk' ein" (Bittorf, 1960, S. 68/70). So entsteht statt eines Klassenkampfes
zwischen Arbeitern und Management ein menschliches Verhältnis zwischen der Führung und
der Belegschaft, indem Nordhoff viele Informationen direkt weitergibt und den Arbeitnehmern
die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nehmen kann (Koch, 1985, S. 136).
Auf der anderen (Betriebsrats-)Seite war Hugo Bork die zentrale Person. Bevor er zu Volks-
wagen kam, sammelte er Erfahrungen als Betriebsratsmitglied in der Textilindustrie in West-
falen, war Mitglied im SPD-Ortsverein und Ratsherr. Auch bei VW bündelte er viele Funktio-
nen, indem er Betriebsratsvorsitzender, Mitglied des Aufsichtsrates und Mitglied im Beirat der
IG Metall war. Außerdem saß er im Rat der Stadt Wolfsburg und bekleidete zeitweise den Po-
sten des Oberbürgermeisters (ebd., S. 133). Die Wahl zum Vorsitzenden des Betriebsrates 1951
hatte Bork dem Umstand zu verdanken, daß er frei von in den Nachkriegsjahren stattfindenden

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
27
Affären war und er Anerkennung sowohl bei der Belegschaft als auch bei den anderen Gruppen
im Betriebsrat fand. Seine Politik, und damit die des Betriebsrates, war ausgleichend und
sachorientiert, so daß für ihn konfliktfreie Regelungen an erster Stelle standen. Borks Ziel war
es, ein Gleichgewicht zwischen den Arbeitnehmern und dem Betrieb zu schaffen (ebd., S.
133f).
Durch diese beiden Personen entwickelte sich, einhergehend mit dem wirtschaftlichen Erfolg
von VW, ein betriebliches und tarifvertragliches Gratifikations- und Sicherungssystem für die
Belegschaft, das überproportional zur übrigen Metallindustrie hinsichtlich Lohnhöhe und Sozi-
alleistungsstandard war. Außerdem verbesserte Volkswagen die Infrastruktur, bspw. durch die
Schaffung von Wohnraum für die Arbeiter, durch Hilfestellungen bei der Eröffnung von Bil-
dungseinrichtungen und Verkaufsläden, durch die Schaffung öffentlicher Verkehrsverbindun-
gen oder durch die Ansiedlung von Handwerkern (Wellhöner, 1996, S. 138; Koch, 1985, S.
117).
2.3.2. VW-eigenes Regelwerk als Ergänzung zu gesetzlichen Normen
Unter Führung der englischen Militärverwaltung hatte sich eine ganz besondere Situation bei
Volkswagen entwickelt. Obwohl zahlreiche Übergangsregelungen das Handeln der Interessen-
vertretung und die Beziehung zur Geschäftsleitung regeln sollten, verstanden sich weder Be-
triebsrat noch Geschäftsleitung als gleichberechtigte Partner gegenüber der englischen Besat-
zungsmacht. Folglich überließ man ihnen in Fragen der Arbeits- und Sozialordnung des Be-
triebes und der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte die Interpretation der gesetzlichen
Normen. Das lag auf Arbeitnehmerseite vor allem daran, daß die Arbeiter dies nicht einforder-
ten, da sie anders als in der Industrieregion des Ruhrgebietes überwiegend durch das national-
sozialistische Gedankengut und die feudalistischen Strukturen ihrer ländlichen Heimatregionen
geprägt war, so daß es an Tradition und Inhalte deutscher Arbeiterbewegung völlig fehlte (ebd.,
S. 53ff). So entstand ein Machtvakuum, das weder die Geschäftsleitung, noch die Beleg-
schaftsvertretung oder die gewerkschaftliche Organisation ausfüllen konnte (Schwonke, 1967,
S. 29f). Lediglich Nordhoff gelang es mit seiner Berufung, sich durch eine Vereinbarung weit-
reichende Befugnisse zur Leitung des Werkes zu sichern: ,,Er (...) stellte eine Bedingung: kein
Engländer dürfte ihm hineinreden. Er bekam die Blanko-Vollmacht und war unumschränkter
Volkswagen-Generaldirektor (...)" (Bittorf, 1960, S. 59).
Nach dem Rückzug der Alliierten nutzte Nordhoff dann jenes zurückbleibende Machtvakuum
für seine Interpretation des bis dahin zentralen normativen Regelungswerkes, der Betriebsord-
nung der Volkswagen GmbH von 1947, die Grundsätze für die Arbeit im Volkswagenwerk und
Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer im Betrieb enthielt (Koch, 1985, S. 59). Dies änderte

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
28
sich auch nicht mit der Ratifizierung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952, was allerdings
daran lag, daß die betriebliche Interessenvertretung dem Gesetz keinen innovativen Stellenwert
beimaß, und das nicht aufgrund fehlender Routine, sondern weil es ihrer Ansicht nach nicht
VW-spezifischen Erfordernissen genügte (ebd., S.181). Dies bedeutete aber nicht, daß das Ma-
nagement auf eine völlig ohnmächtige und hilflose Arbeitnehmervertretung traf, denn ,,die Zu-
sammenarbeitsformen mit der Unternehmensleitung, die Einflüsse durch Mitbestimmungs-,
Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte wurden schon ohne dieses Gesetz praktiziert und die
grundsätzliche Orientierung der `vertrauensvollen Zusammenarbeit und das Wirken zum
Wohle des Betriebes und der Beschäftigten', im Gesetz gefordert, war deckungsgleich mit dem
Selbstverständnis der Interessenvertretung" (ebd., S. 181f).
Wichtiger für die Belegschaftsvertretung waren an Stelle des Gesetzes hingegen die Tarifpoli-
tik, aus der Tarifverträge hervorgingen, Betriebsvereinbarungen und betriebliche Regelungen,
die die Möglichkeiten zur detaillierten Regelung schufen. Möglich wurde dies durch die Gel-
tung des Haustarifvertrages bei Volkswagen, bei der auf der kollektiven Ebene nicht der zu-
ständige Industrieverband auf Arbeitgeberseite der Gewerkschaft als Verhandlungspartner ge-
genübersteht, sondern das Unternehmensmanagement. Diese Konstellation läßt folglich be-
triebsspezifische Lösungen zu, ohne daß diese auf der gesamten Fläche zur Anwendung kom-
men. Warum die Geschäftsleitung diese Möglichkeit nach der Privatisierung beibehielt und
sich entschloß nicht in den Arbeitgeberverband einzutreten, läßt sich nicht eindeutig bestim-
men. Nordhoff könnte es zum einen darum gegangen sein, nicht in unkontrollierte Tarifausein-
andersetzungen der niedersächsischen Metallindustrie hineingezogen zu werden, zum anderen
möglicherweise auch, um Ruhe im Betrieb zu haben und die Streikgefahr zu minimieren (ebd.,
S. 197f). Somit war die Politik der Interessenvertretung auf die Schaffung eines eigenen Re-
gelwerkes ausgerichtet, um sich so spezifische Einflußspielräume zu erschließen und diese
dann mittels Vereinbarungen abzusichern (ebd., S. 185).
Einen wichtigen Stellenwert nimmt dabei der Manteltarifvertrag vom 29.01.1954 ein, der ne-
ben Zuschlägen, Urlaubsstaffelungen und einer Regelung über den Zuschuß zum gesetzlichen
Krankengeld, auch Bestimmungen zum Verfahren der Arbeitnehmervertretung enthält. Außer-
dem wurden durch den Tarifvertrag gewerkschaftliche Aktivitäten und der Aufbau eines Ver-
trauenskörpers abgesichert (ebd., S. 128). Des weiteren war, neben der tariflichen Fixierung
der dreimonatigen Lohngarantie bei Umsetzung und Ausführung einer niedriger entlohnten
Arbeit 1959 und dem 1965 verabschiedeten Tarifvertrag zur erstmaligen Garantie der Weih-
nachtsgratifikation, das Rationalisierungsabkommen von 1968 von großer Bedeutung. Es sah
vor, daß Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze infolge von Rationalisierungen, weggefallen sind,
auf gleichwertige Arbeitsplätze umgesetzt werden, dabei der bisherige Verdienst für weitere

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
29
sechs Monate gezahlt wird und bei notwendigen Umschulungen die Kosten vom Unternehmen
getragen werden. Wenn eine Entlassung unvermeidbar war, sollte denjenigen Arbeitnehmern,
die älter als 40 Jahre alt waren und mindestens 10 Jahre bei VW gearbeitet haben, eine Abfin-
dung gezahlt werden (Abkommen vom 14.Juni 1968). Diese Beispiele zeigen exemplarisch,
daß für die Interessenvertretung die gesetzlichen Normen zwar eine Orientierungslinie darstel-
len, aber es zusätzlich gelungen ist, weitreichende Tarifverträge mit dem Management abzu-
schließen, die über die gesetzlich fixierten Normen hinaus reichten und als Richtschnur für die
tägliche Arbeit an Stelle derer getreten sind. Letztendlich versuchte die Belegschaftsvertretung
sich einen breiten, flexiblen und interpretativen Raum von Einwirkungsmöglichkeiten zu er-
halten, indem sie sich von der bloßen Auslegung gesetzlicher Normen löste, die den Aktions-
radius eingeschränkt hätte und auf eine formale Fixierung verzichtete. Die Festschreibung von
Ansprüchen passierte nur, wenn sie zum Wohle der Belegschaft dienten.
2.3.3. Materieller Schutz und materielle Partizipation als Aufgabenfeld
Während sich die Interessenvertretung direkt nach dem Krieg auf Anraten der Engländer kon-
stituierte und sich durch eine enge Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung zu einem Füh-
rungsorgan entwickelte, so mußte diese erkennen, daß der Alltag nach Konsolidierung der
Verhältnisse unter Nordhoff anders aussah (Koch, 1985, S. 84f).
Er schaffte es, die Interessenvertretung von dem Feld der Werkspolitik völlig zu verdrängen
und sicherte sich den Rückhalt der Arbeiterschaft durch seine Harmonisierungsphilosophie
(ebd., S. 89f). Begünstigt wurde diese Entwicklung von dem Umstand, daß sich die Beleg-
schaftsvertretung auf der Suche nach der richtigen Strategie in der Vertretungspolitik befand,
die begleitet wurde von internen Machtkämpfen, Fraktionierungen und inszenierten Affären,
wodurch die Effektivität der Interessenvertretung insgesamt litt und das Vertrauen der Beleg-
schaft abnahm. ,,Der Dialog mit der Geschäftsleitung fand nur noch in Ausnahmefällen statt.
Ohne Einflußsphären und Machtmittel des Betriebsrates entstanden Brüche im Verhältnis zur
Belegschaft, die ihn zu einer ohnmächtigen Vertretungsinstanz degenerieren ließen und eine
völlige Umstrukturierung der eigenen Arbeit (...) notwendig machten" (ebd., S. 95).
Dieser Zustand konnte erst mit der Wahl Hugo Borks zum Betriebsratsvorsitzenden verbessert
werden. Unter seiner Amtsführung gelang es, zunächst Ruhe in die eigene Organisation des
Betriebsrates zu bekommen und der Dominanz der Unternehmensleitung in den Arbeitsbezie-
hungen eine dezentrale Vertretung des Betriebsrates entgegenzusetzen. Mit einer flächendek-
kenden Aufteilung des gesamten Werkes in einzelne Vertretungsbereiche, ging die Konzentra-
tion des Betriebsrates auf die Alltagsprobleme der Belegschaft in den Abteilungen und Hallen
einher. Das Ziel dabei war, eine Vertrauensbasis zwischen Interessenvertretung und betriebli-

Zeitraum des ,,Wirtschaftswunders"
30
chen Vorgesetzten zu schaffen, indem durch die Signalisierung von Kompromißbereitschaft
den betrieblichen Vorgesetzten deutlich gemacht wurde, daß die konkrete Problemlösung vor
Ort ausschließlich über den Betriebsrat läuft (ebd., S. 157). Darüber hinaus konnten auch die
Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Interessenvertretung verbessert und die Ak-
zeptanz des Betriebsrates als akzeptierte Vertretungsinstanz erhöht werden, je mehr es gelang,
die Probleme der Belegschaft mit der Geschäftsleitung zu verhandeln. Dieses geschah auf drei
Ebenen (ebd., S. 159ff):
· Auf der ersten Ebene fanden monatliche Hallenleiter-Besprechungen statt, an denen neben
den Hallenleitern der zuständige Betriebsratsvertreter und in der Regel zwei Vorstandsmit-
glieder teilnahmen. ,,Es wurde dabei gnadenlos schmutzige Wäsche gewaschen. Die bei die-
sen Verhandlungen beschlossenen Änderungen wurden auch sofort durchgeführt" (Hilter-
scheid, 1970, S. 3)
· An der zweiten Gesprächsebene nehmen die Mitglieder des Betriebsausschusses und Ver-
treter der Sozial- und Personalabteilung teil. Zu dieser Ebene zählten auch Verhandlungen
bzw. Vereinbarungen ohne Vorstandsmitglieder und Sondierungsgespräche zur Erforschung
von Spielräumen für spätere Tarifverhandlungen.
· Betriebliche Einzelfallhilfe und die Klärung betrieblicher Detailfragen fanden auf der dritten
Ebene statt. Beteiligt waren hier die Abteilungsvertreter und zuständigen Betriebsräte, die
ohne formelle Regelungen die Probleme vor Ort lösten.
Des weiteren verschaffte sich die Interessenvertretung eine größere Anerkennung, indem sie in
die Einstellungspraktiken des Unternehmens involviert war. Sowohl Betriebsräte als auch Ver-
trauensleute wurden zu unverzichtbaren Kommunikationspartnern von betrieblichen Vorge-
setzten und Geschäftsleitung, da sie zu einer reibungslosen Eingliederung der neuen Beschäf-
tigten in die Produktion und in das Sozialgefüge von VW beitragen konnten. Dadurch sollten
vor allem Produktionsstörungen vermieden werden (Koch, 1985, S. 167).
Neben der Hilfe und Unterstützung für Teile der Belegschaft flossen aber auch immer mehr
Inhalte in die Arbeit des Betriebsrates ein, die übergreifend die gesamte Arbeiterschaft betraf.
So forderte die Vertretung bereits im Vorfeld der Verlegung der Transporterproduktion nach
Hannover, daß keiner der Kollegen unter dieser Entscheidung leiden dürfe (ebd., S. 164). Doch
auch wenn der Betriebsrat Forderungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Mitwirkung stell-
te, hatte er kaum Einflußmöglichkeiten, denn in dem seit 1954 bestehenden paritätisch (4:4)
besetzten Wirtschaftsausschuß, wurden keine Entscheidungen von großer Tragweite getroffen
und der Betriebsrat bei den stattfindenden Sitzungen vor vollendete Tatsachen gestellt (Well-
höner, 1996, S. 151).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832427122
ISBN (Paperback)
9783838627120
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Sozialwissenschaften
Note
1,7
Schlagworte
betriebsrat arbeitspolitik globalisierung industrielle beziehungen volkswagen
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Titel: Interessenvertretung im Zeichen von Restrukturierung und Internationalisierung
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