Lade Inhalt...

Organisationsentwicklung und Geschlecht: Organisationsentwicklung als Strategie der Gleichstellungspolitik?

Eine qualitative Untersuchung

©2000 Diplomarbeit 286 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Ich nähere mich der Untersuchungsfrage in einem theoretischen Teil A und dem Untersuchungsteil B.
Der theoretische Teil A gliedert sich in drei Unterpunkte. In A.1 Systemische Organisationsentwicklung vermittle ich ein Bild dessen, was unter Organisationsentwicklung zu verstehen ist. Ich beziehe mich speziell auf systemische Organisationsentwicklung, weil diese Form der Organisationsentwicklung stark nachgefragt wird und in der öffentlichen Diskussion bestimmend ist.
In A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für Gleichstellungspolitik skizziere ich aktuelle Entwicklungen in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zur Geschlechtertheorie, um darauf aufbauend eine Geschlechterkonzept für die Praxis der Gleichstellungspolitik zu entwickeln. In A.3 Der Blick auf das Geschlecht in Organisationen geht es mir darum, an ausgewählten Phänomenen zu verdeutlichen, dass Frauen auf unterschiedlichen Ebenen diskriminiert werden, ohne mich dabei einem Erklärungsansatz zu verschreiben. Lediglich in A.3.3 Organisationstheorie und Geschlecht wechsle ich von der beschreibenden auf eine analytische Ebene, weil die Befunde der Organisationstheorie eine besondere Affinität zu der Untersuchungsfrage besitzen.
Der Untersuchungsteil B beschreibt in den Gliederungspunkten B.1 Methodologische Eckpunkte und B.2 Erhebungsverfahren und Auswertungsmethode das Forschungsdesign: Innerhalb welcher methodologischen Eckpunkte positioniert sich die Untersuchung? Welches Erhebungsverfahren und welche Auswertungsmethode entspricht dem skizzierten Forschungsverständnis und ist der Untersuchungsfrage angemessen? Die Dokumentation der Untersuchungsergebnisse beginnt in B.3 Beschreibung der Befunde auf einer zusammenfassenden, berichtenden Ebenen und wechselt in B.4 Analyse auf Gemeinsamkeiten: Fünf zentrale Aussagen auf eine analytische Ebene. In B.5 Rückkoppelung der Untersuchungsergebnisse an Literaturquellen werden die fünf zentralen Aussagen mit Literaturquellen verglichen und geprüft, an welcher Stelle Abweichungen und Übereinstimmungen bestehen und wie sich Praxis und Theorie ergänzen können. Um zu dem ursprünglichen Interesse, der Erschließung von Handlungsspielräumen von Gleichstellungspolitik, zurückzukehren, werden in B.6 Praktischer Ausblick: Konsequenzen für die Gleichstellungspolitik die Untersuchungsergebnisse vor dem Hintergrund ihrer Brauchbarkeit für die Praxis der Gleichstellungspolitik diskutiert und bewertet.
Im Anhang der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 2240
Bolinski, Susanne: Organisationsentwicklung und Geschlecht. Organisationsentwicklung als
Strategie der Gleichstellungspolitik?: Eine qualitative Untersuchung / Susanne Bolinski -
Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 2000
Zugl.: Lüneburg, Fachhochschule, Diplom, 2000
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die
der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen,
der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der
Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung,
vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im
Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrech-
tes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Na-
men im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären
und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht
vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die Autoren oder Über-
setzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebe-
ne fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 2000
Printed in Germany


Inhaltsverzeichnis
2
I
NHALTSVERZEICHNIS
E
INLEITUNG
: U
NTERSUCHUNGSINTERESSE UND
A
UFBAU DER
A
RBEIT
... 5
A T
HEORIETEIL
... 9
A.1 Systemische Organisationsentwicklung...10
A.1.1 Begriff und Begründung von Organisationsentwicklung...10
A.1.1.1 Begriff und Definition von Organisation ...10
A.1.1.2 Was ist Organisationsentwicklung? ...10
A.1.1.3 Abgrenzung der Organisationsentwicklung von der Organisationsberatung und der
Organisationsanalyse ...12
A.1.2 Systembegriff systemischer Organisationsentwicklung ...13
A.1.2.1 Annäherung an den Systembegriff ...14
A.1.2.2 Merkmale sozialer Systeme ...16
A.1.2.3 Problemlösung aus systemischer Sicht...18
A.1.2.3.1 Exkurs: Autonomie und Konsens...18
A.1.3 Konzeptionelle Bausteine systemischer Organisationsentwicklung...21
A.1.3.1 Aktive Mitbeteiligung...21
A.1.3.2 ,,Jede Organisation ist einmalig"...22
A.1.3.3 Angemessene Komplexität...22
A.1.3.4 Ansatzpunkte von Organisationsentwicklung ...22
A.1.3.5 Lernen statt ,,Revolution" ...23
A.1.3.6 ,,Fließgleichgewicht statt Erstarrung" ...23
A.1.3.7 ,,Organisationsentwicklung findet am Arbeitsplatz statt"...23
A.1.3.8 Ressourcen- und Lösungsorientierung ...24
A.1.4 Ziele von Organisationsentwicklung...24
A.1.5 Phasen systemischer Organisationsentwicklung ...25
A.1.5.1 Die Orientierungsphase...26
A.1.5.2 Die Diagnosephase ...27
A.1.5.3 Die Veränderungsphase ...28
A.1.5.4 Die Abschlußphase ...29
A.1.6 Grenzen systemischer Organisationsentwicklung...30
A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik...32
A.2.1 Warum braucht Gleichstellungspolitik eine geschlechtstheoretische Konzeption? ...32
A.2.2 Die Differenztheorie ...32
A.2.3 Die Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht ...35

Inhaltsverzeichnis
3
A.2.4 Geschlecht als Strukturkategorie im Herrschaftszusammenhang...38
A.2.5 Ein Geschlechterkonzept für die Praxis der Gleichstellungspolitik...39
A.3 Der Blick auf das Geschlecht in Organisationen ...44
A.3.1 Zielsetzung und Aufbau...44
A.3.2 Ausgewählte Daten und Phänomene zur Benachteiligung von Frauen in Organisationen...45
A.3.2.1 Allgemeines ...45
A.3.2.2 Lohndiskriminierung...46
A.3.2.3 Die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen ...47
A.3.2.4 Sexuelle Belästigung und Gewalt in Organisationen ...50
A.3.3 Organisationstheorie und Geschlecht ...51
A.3.3.1 Welche Erfahrungen machen Frauen in Organisationen? ...52
A.3.3.2 Die vergeschlechtlichte Organisation...52
B U
NTERSUCHUNGSBERICHT
... 55
B.1 Methodologische Eckpunkte...56
B.1.1 Offenheit...56
B.1.2 Prinzip der Kommunikation...56
B.1.3 Einflüsse aus der Frauenforschung ...57
B.2 Erhebungsverfahren und Auswertungsmethode ...61
B.2.1 Was sind Expertinneninterviews?...61
B.2.2 Wer ist Expertin? ...62
B.2.3 Was ist der Forschungsgegenstand? ...62
B.2.4 Das offene, leitfadengestützte Interview...62
B.2.5 Aufbereitung und Verdichtung des Datenmaterials ...63
B.2.6 Die Analyse auf Gemeinsamkeiten ...64
B.2.7 Feldzugang und Samplebildung...65
B.3 Beschreibung der Befunde...66
B.3.1 Ziele und Inhalte von Gleichstellungspolitik und Organisationsentwicklung ...66
B.3.2 Strategien der Gleichstellungspolitik und der Organisationsentwicklung...73
B.3.3 Kernprobleme von Frauen in Organisationen ...77
B.3.4 Auswirkungen von Organisationsentwicklung auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von
Frauen...81
B.3.5 Widerstände gegen Gleichstellung und Organisationsentwicklung ...83
B.4 Analyse auf Gemeinsamkeiten: Fünf zentrale Aussagen...93
B.4.1 Wettbewerb als unhinterfragtes Prinzip von Gleichstellungspolitik und
Organisationsentwicklung ...93

Inhaltsverzeichnis
4
B.4.2 Geschlechtsblindheit von Organisationen...94
B.4.3 In Organisationen gibt es Subjekte, die mit unterschiedlichen Eigenschaften ausgestattet sind
und ,die sich in eine hierarchische Ordnung bringen lassen ...96
B.4.4 Organisationsentwicklung ist keine ausdrückliche Strategie der Gleichstellungspolitik...97
B.4.5 Gleichstellung erfordert gesellschaftliches Umdenken ...98
B.5 Rückkoppelung der Untersuchungsergebnisse an die Literaturquellen...99
B.5.1 Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis ...100
B.5.2 Ein Geschlechterkonzept für die Praxis der Gleichstellungspolitik ...104
B.5.3 Zur Geschlechtsblindheit von Organisationen (B.4.2), zum Subjektbegriff im hierarchischen
System von Organisationen (B.4.3) und zur Notwendigkeit gesellschaftlichen Umdenkens (B.4.5)109
B.5.3.1 Exkurs: Der Beitrag kritischer Männerforschung zur Gleichstellungspolitik...114
B.6 Praktischer Ausblick: Konsequenzen für die Gleichstellungspolitik ...115
L
ITERATURVERZEICHNIS
... 120
Anhang 1: Interviewleitfaden
Anhang 2: Interview 1-6

Einleitung
5
Einleitung: Untersuchungsinteresse und Aufbau der Arbeit
Es gab vielfältige Gründe, die dafür sprachen, das Thema ,,Organisationsentwicklung
als Strategie der Gleichstellungspolitik" im Rahmen meiner Diplomarbeit zu bearbeiten.
Zum einen führten meine bisherigen Studienschwerpunkte (Organisationsentwicklung,
Geschlechterverhältnisse und Forschungsmethoden) zu diesem Thema. Der andere,
weitaus größere Motivationsfaktor war mein Unverständnis und meine Empörung über
die permanente, von vielen Frauen scheinbar resignativ hingenommene Ignoranz gegen-
über den Gleichheits- und Gleichberechtigungsgrundsätzen zwischen Frauen und Män-
nern, generell in unserer Gesellschaft und besonders in Organisationen. Wenn ich in
Seminaren beharrlich nachfragte, woran es denn liegt, daß die formalen Wege der
Gleichstellung so wenig erfolgreich sind, bekam ich viele unterschiedliche, z.T. speku-
lative Antworten. Und wenn ich dann noch weiter bohrte und fragte, wie denn dieser
Ungerechtigkeit abzuhelfen sei, wurden die Antworten noch unkonkreter.
Neben der Feststellung dieses Ist-Zustands ist in den letzten 15-20 Jahren eine Ent-
wicklung in Organisationen zu beobachten, die weittragende Umwälzungen und
Neustrukturierungen mit sich bringt. Neue Managementinstrumente werden entwickelt
und eingeführt. Begrifflichkeiten wie lean management, Dezentralisierung, soft skills,
Neue Steuerungsmodelle, neue Motivationsstrategien, Teamentwicklung, Empowerment
und Coaching prägen die Diskussion um die erfolgreiche Organisations- und Persona-
lentwicklung. Ein großer Teil dieser Managementinstrumente hat den Menschen als
noch unausgeschöpftes Kapital von Organisationen entdeckt und sich die Investition in
dieses Kapital, also die Motivation der Organisationsmitglieder, zum Ziel gemacht. Or-
ganisationsentwicklung kann den Rahmen für die Einführung dieser Instrumente bieten.
Wenn Organisationen also ein Interesse daran haben, ihre Mitglieder zu motivieren, z.B.
durch die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, weist diese Zielsetzung starke Ähn-
lichkeiten mit den Zielsetzungen der Gleichstellungspolitik auf. Nicht zuletzt aufgrund
meiner persönlichen Betroffenheit von Diskriminierungs- und Ausschlußmechanismen
in Organisationen als Frau lag es nahe zu prüfen, ob sich Organisationsentwicklung für
Gleichstellungspolitik nutzbar machen läßt und inwieweit eine Verschränkung der bei-
den Themen realisiert ist bzw. inwieweit eine Verschränkung wünschenswert ist. Mein

Einleitung
6
bisheriger Eindruck war, daß beide Prozesse nebeneinander existierten ohne, sich expli-
zit zu ergänzen.
Die Literaturrecherche ergab keine geeigneten Veröffentlichungen. Die Herrschaft über
Managementinstrumente und Organisationsentwicklung scheint fest in männlicher
Hand: es gibt ausgesprochen wenig Autorinnen, die zu meiner Fragestellung schreiben
und wenn, flankieren sie das Thema lediglich. Inhaltlich ist das Geschlechterverhältnis
in Organisationen in der Managementliteratur kaum bearbeitet. Die Veröffentlichungen
der Frauenforschung beziehen sich stark auf die Analyse bestehender Diskriminierungs-
und Unterdrückungsmechanismen (z.B. Dienel 1996: 17) und boten kaum Handlungs-
anleitung für Gleichstellungspolitik. Mir war es jedoch wichtig nicht in einer Art ,,Bar-
rierenforschung" (ebd.) zu verharren, sondern die Handlungsspielräume von Gleich-
stellungspolitik zu entdecken und auf sie aufmerksam zu machen, wenngleich ich die
Analyse bestehender Herrschaftszusammenhänge als Voraussetzung für das Entwickeln
konkreter Gegenstrategien sehe. Ich sah mich vor der Situation, selber eine Untersu-
chung zu meiner Fragestellung durchzuführen, wobei mir meine Erfahrungen mit und
Vorkenntnisse über Forschung zugute kamen.
Ich nähere mich der Untersuchungsfrage in einem theoretischen Teil A und dem Unter-
suchungsteil B.
Der theoretische Teil A gliedert sich in drei Unterpunkte. In A.1 Systemische Organisa-
tionsentwicklung vermittle ich ein Bild dessen, was unter Organisationsentwicklung zu
verstehen ist. Ich beziehe mich speziell auf systemische Organisationsentwicklung, weil
diese Form der Organisationsentwicklung stark nachgefragt wird und in der öffentlichen
Diskussion bestimmend ist (vgl. z.B. Scmitz, Ch. (Managerie: Jahrbuch Systemisches
Denken und Handeln im Management ).
In A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für Gleichstellungspolitik skizziere ich
aktuelle Entwicklungen in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zur Geschlech-
tertheorie, um darauf aufbauend eine Geschlechterkonzept für die Praxis der Gleich-
stellungspolitik zu entwickeln. In A.3 Der Blick auf das Geschlecht in Organisationen
geht es mir darum, an ausgewählten Phänomenen zu verdeutlichen, daß Frauen auf un-
terschiedlichen Ebenen diskriminiert werden, ohne mich dabei einem Erklärungsansatz

Einleitung
7
zu verschreiben. Lediglich in A.3.3 Organisationstheorie und Geschlecht wechsle ich
von der beschreibenden auf eine analytische Ebene, weil die Befunde der Organisation-
stheorie eine besondere Affinität zu der Untersuchungfrage besitzen.
Der Untersuchungsteil B beschreibt in den Gliederungspunkten B.1 Methodologische
Eckpunkte und B.2 Erhebungsverfahren und Auswertungsmethode das Forschungsde-
sign: Innerhalb welcher methodologischen Eckpunkte positioniert sich die Untersu-
chung? Welches Erhebungsverfahren und welche Auswertungsmethode entspricht dem
skizzierten Forschungsverständnis und ist der Untersuchungsfrage angemessen? Die
Dokumentation der Untersuchungsergebnisse beginnt in B.3 Beschreibung der Befunde
auf einer zusammenfassenden, berichtenden Ebenen und wechselt in B.4 Analyse auf
Gemeinsamkeiten: Fünf zentrale Aussagen auf eine analytische Ebene. In B.5 Rückkop-
pelung der Untersuchungsergebnisse an Literaturquellen werden die fünf zentralen
Aussagen mit Literaturquellen verglichen und geprüft, an welcher Stelle Abweichungen
und Übereinstimmungen bestehen und wie sich Praxis und Theorie ergänzen können.
Um zu dem ursprünglichen Interesse, der Erschließung von Handlungsspielräumen von
Gleichstellungspolitik, zurückzukehren, werden in B.6 Praktischer Ausblick: Konse-
quenzen für die Gleichstellungspolitik die Untersuchungsergebnisse vor dem Hinter-
grund ihrer Brauchbarkeit für die Praxis der Gleichstellungspolitik diskutiert und be-
wertet.
Im Anhang der Arbeit befindet sich der Interviewleitfaden und das Originaldatenmateri-
al, um eine Überprüfung der Befunde an den Quellen zu ermöglichen.
An dieser Stelle ist es mir wichtig, eine eindeutige und klärende Position zu der Frage
der Begrifflichkeiten ,,Frauenförderung" und ,,Gleichstellung" zu beziehen. Ich ent-
scheide mich gegen den defizitbehafteten Begriff ,,Frauenförderung", der impliziert, daß
Frauen einer speziellen Förderung im Vergleich zu Männern bedürfen. Die Studie ,,Si-
tuation, Verhaltensweisen und Perspektiven von Führungsfrauen in der Wirtschaft", die
vom Frauenministerium in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben wurde, brachte ans
Licht, daß 90 % der Männer, aber nur 57 % der Frauen von ihren Vorgesetzten gefördert
werden. Trotzdem wird der Begriff der ,,Männerförderung", die faktisch betrieben wird,
nicht genannt. Vor diesem Hintergrund entscheide ich mich für den Begriff der ,,Gleich-

Einleitung
8
stellung", der allerdings die Frage aufwirft, wer denn woran und an wen gleich gestellt
werden soll. In einem Vorgriff auf die Untersuchungsergebnisse kann jetzt schon gesagt
werden, daß der Begriff der ,,Chancengleichheit" am präzisesten beschreibt, was Gleich-
stellungspolitik will. Ich
Um das immer noch aktuelle Thema der geschlechtsspezifischen Sprache an dieser
Stelle zu klären: ich halte mich an die Vorgehensweise von Luise F. Pusch:
,,In meinen Vorträgen zur feministischen Sprachkritik gebe ich unumwunden zu, daß ich das neue Dop-
peldeutsch à la Kolleginnen und Kollegen, Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter auch mühsam
finde, und präzisiere dann: "Es ist einfach zu lästig, die Männer immer mitzuerwähnen." An dieser Stelle
höre ich das Publikum, überwiegend Frauen, vor Verblüffung förmlich nach Luft schnappen. Sie sind so
ein `egoistisches', `anmaßendes' Denken einfach nicht gewöhnt. Aber den meisten gefällt die Mißachtung
der Prämisse ,,Männer sind wichtiger als Frauen": Nach einer Schrecksekunde pflegt schallendes Geläch-
ter loszugehen. Gerne gebe ich noch eins drauf mit der Erläuterung, daß Lehrerin, Arbeiterin sprachlich ja
die Grundform darstelle, während es sich bei Lehrer, Arbeiter usw. doch offensichtlich um eine Schwund-
, Kurz- oder Kümmerform handle. Auch dies Ignorieren der Prämisse ,,Der Mann ist die Norm" kommt
immer gut an." (Pusch , in: Brück u.a. 1997: 241)

A T
HEORIETEIL

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
10
A.1 Systemische Organisationsentwicklung
A.1.1 Begriff und Begründung von Organisationsentwicklung
A.1.1.1 Begriff und Definition von Organisation
Becker/Langosch unterscheiden zwei Verständnisebenen von dem Begriff ,,Organisati-
on".
,,Organisation im engeren Sinn ist die Koordinierung und die innere Ordnung eines Systems, die ein ein-
wandfreies Funktionieren gewährleisten soll. Ein Unternehmen hat eine Organisation, [...]. Organisation
im weiteren Sinne ist ein soziales System , z.B. ein Industriebetrieb oder eine Institution, die auf dem
Markt und in der Gesellschaft ein gewisses Eigenleben führt. Ein Unternehmen ist eine Organisation.
Wenn von OE gesprochen wird, wird Organisation in diesem umfassenden Sinn verstanden als ein sozio-
technisches System, das sich mit den Gegebenheiten der Umwelt - Markt, Technik, Gesellschaft usw.
auseinandersetzen muß" (Becker/Langosch 1995: 2).
In den folgenden Ausführungen sind Organisationen aus dem Profit- und dem Non-
Profit-Bereich gemeint sind, auch wenn sich einige Quellen nur auf Organisationen aus
dem Profit-Bereich beziehen. Unter Non-Profit-Bereich sind nicht nur soziale Organisa-
tionen zu verstehen, sondern auch staatliche Institutionen, Verbände und Vereine. Auf
die Besonderheiten dieser Bereiche gehe ich nicht ein, da es eine genaue Analyse jewei-
ligen der Bereiche voraussetzt, die nicht in dieser Arbeit durchgeführt werden soll.
A.1.1.2 Was ist Organisationsentwicklung?
Mit dem Begriff Organisationsentwicklung, im folgenden OE, ist eine Vielzahl von
Konzepten und Definitionen gemeint, die den koordinierten Einsatz sozialwissenschaft-
licher Erkenntnisse und Methoden in Organisation mit ähnlichen Zielen verfolgen (Bek-
ker/Langosch 1995: 6). Eine einheitliche Definition von Organisationsentwicklung gibt
es nicht. Als kleinster gemeinsamer Nenner kann die Definition von Baumgartner u.a.
angeführt werden:
,,Organisationsentwicklung ist ein Veränderungsprozeß einer Organisation und der darin tätigen Men-
schen, der sich an bestimmten Werten und Prinzipien orientiert" (Baumgartner u.a. 1998: 19).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
11
Etwas weiter geht die mittlerweile fast traditionelle Definition der Gesellschaft für Or-
ganisationsentwicklung (GOE) e.V.:
,,Die GOE versteht Organisationsentwicklung als einen längerfristig angelegten, organisationsumfassen-
den Entwicklungs- und Veränderungsprozeß von Organisationen und der in ihr tätigen Menschen. Der
Prozeß beruht auf Lernen aller Betroffenen durch direkte Mitwirkung und praktischer Erfahrung. Sein Ziel
besteht in einer gleichzeitigen Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation (Effektivität) und der
Qualität des Arbeitslebens (Humanität)" (Becker/Langosch 1990: 5).
Folgende Merkmale lassen sich als Charakteristika der Organisationsentwicklung fest-
halten (vgl. French/Bell 1977, in: Rosenstiel u.a. 1995: 313):
· Organisationsentwicklung ist ein geplanter Wandel;
· Organisationsentwicklung ist ein langfristiger Wandel;
· Organisationsentwicklung ist ein organisationsumfassender Wandel;
· der OE-Prozeß wird von den Betroffenen (mit)getragen;
· der Wandel geschieht durch erfahrungsgeleitete Lern- und Problemlösungsprozesse;
· dieses Lernen und Problemlösen wird durch Verfahren der angewandten Sozialwis-
senschaften induziert und unterstützt;
· durch die Organisationsentwicklung soll nicht nur die Produktivität, sondern auch die
Lebensqualität und Problemlösefähigkeit der Organisationsmitglieder innerhalb einer
Organisation erhöht werden.
Die Organisationsentwicklung hat sich aus zwei Wurzeln entwickelt (Rosenstiel u.a.
1995: 313):
· aus gruppendynamischen Verfahren, insbesondere der Laboratoriumsmethode, bei
der soziale Kompetenzen anhand eigener Erfahrungen in der Gruppe erworben wer-
den sollten und, die gegen Ende der 40er Jahre von Kurt Lewin angeregt wurde
· aus der ,,Survey-Feedback-Methode", eine Datenerhebungs- und Rückkopplungs-
methode.
,,
Beide Quellen sind eng verknüpft mit der Aktionsforschung, einer problemorientierten Forschungsstra-
tegie, bei der Forscher und Betroffene als kooperierende Partner - Schritt für Schritt - mit vielen Rück-
kopplungsschleifen einen gemeinsamen Lernprozeß durchlaufen" (Oliva u.a. 1991).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
12
Wenn von systemischer Organisationsentwicklung gesprochen wird, weist das auf die
Orientierung an lebenden Systemen hin ( Baumgartner u.a. 1998: 19).
Organisationsentwicklung kann von externen und internen Beraterinnen oder OE-Teams
initiiert und begleitet werden. Die Entscheidung für eine externe oder interne Beraterin
hängt vom Bedarf, der Größe und der Möglichkeiten der Organisation ab und bringt
unterschiedliche Auswirkungen für den OE-Prozeß mit sich, da z.B. interne Organisati-
onsentwicklerinnen durch ihre Nähe zur Organisation eher etwas wie ,,Betriebsblind-
heit" entwickeln.
A.1.1.3 Abgrenzung der Organisationsentwicklung von der Organisationsberatung
und der Organisationsanalyse
Oliva u.a. bezeichnen ,,Organisationsberatung [...] als den Prozeß der Beratung von In-
stitutionen (Unternehmen der Wirtschaft und Industrie, neuerdings auch von öffentli-
chen Verwaltungen sowie von Verbänden, Trägern und Einrichtungen des Non-Profit-
Bereichs) in der Regel durch externe Fachleute" (Oliva u.a. 1991). Die wichtigsten Be-
ratungsansätze sind Organisationsanalyse und Organisationsentwicklung. Organisa-
tionsberatung ist also ein übergeordneter Begriff. Die Vielzahl von Konzepten, Strategi-
en und Arbeitsansätzen, die Organisationsentwicklung genannt werden überschneiden
sich inhaltlich häufig mit den Konzepten der Organisationsberatung und werden in der
Regel durch einen Beratungsprozeß begleitet. König/Volmer bezeichnen Organisation-
sentwicklung denn auch als eine ,,auf größere Systeme bezogenen Form der Organisati-
onsberatung" (König/Volmer 1997: 54).
Oliva u.a. nennen als Ziel der Organisationsberatung eine gegenüber dem Ist-Zustand
,,effizienteren und effektiveren Organisation, aber auch [die] Verbesserung der Qualität
der Arbeitsbedingungen der Organisationsmitarbeiter" (Oliva u.a. 1991). Dieses Ziel
deckt sich mit den Zielen der Organisationsentwicklung. ,,Organisationsberatung findet
meist durch interdisziplinär zusammengesetzte Teams von sozial- und wirtschaftswis-
senschaftlich vorgebildeten Fachkräften statt" (ebd.). Auch dieses Merkmal gilt für die
Organisationsentwicklung. Abhängig von der Größe der Organisation können auch ent-
sprechend qualifizierte Einzelpersonen tätig werden. Alle drei Konzepte, die Organisa-
tionsberatung, die Organisationsentwicklung und die Organisationsanalyse arbeiten mit

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
13
ähnlichen Phasenmodellen (vgl. A.1.6 Grenzen systemischer Organisationsentwick-
lung), in denen die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede deutlich werden.
Organisationsberatung
Organisationsentwicklung
Organisationsanalyse
1.
gemeinsame Festlegung eines
Ziel- und Planungskatalogs
2.
systematische Untersuchung
der Organisationskultur- und
strukturen
3.
Problemdiagnose (Ist-Analyse)
4.
Maßnahmenplanung (Soll-
Vorschläge)
5.
Umsetzung der geplanten Maß-
nahmen
1.
Problemerkennung und Daten-
sammlung
2.
Organisationsdiagnose
3.
Datenrückkopplung und Maß-
nahmenplanung
4.
Maßnahmendurchführung
5.
Erfolgskontrolle
1.
Ermittlung und Festlegung
gemeinsamer Ziel- und Pla-
nungsvorstellungen
2.
Untersuchung der Aufbau- und
Ablauforganisation unter Ein-
schluß einer Schwachstellena-
nalyse sowie der Beschreibung
der Umweltbedingungen
3.
auf der Grundlage der Ist-
Analyse Entwicklung von Soll-
Vorschlägen
4.
Umsetzung der Soll-Vorschläge
(Vgl. Oliva u.a. 1991)
Der Schwerpunkt der Organisationsanalyse liegt nicht auf dem Entwickeln oder Beraten
der Organisation, sondern auf der Untersuchung der Aufbau- und Ablauforganisation
(ebd.). Die Organisationsanalyse verfolgt das gleiche Ziel wie die Organisationsberatung
und die Organisationsentwicklung, nämlich die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit (Effizi-
enz) und Leistungsfähigkeit (Effektivität), setzt aber in der Praxis meist bei der Schaf-
fung einer effektiveren Aufbau- und Ablauforganisation an (ebd.). Dieser Schwerpunkt
und die Methode der Analyse ist eine Möglichkeit, die häufig ebenfalls in den Konzep-
ten der Organisationsberatung und der Organisationsentwicklung enthalten ist. Insofern
läßt sich die Organisationsberatung als das umfassendere und die Organisationsanalyse
als das speziellere Konzept bezeichnen.
A.1.2 Systembegriff systemischer Organisationsentwicklung
Um ein Verständnis von systemischer Organisationsentwicklung zu bekommen, wird im
folgenden eine Annäherung an den Systembegriff erfolgen und darauf aufbauend die
Verbindung zur systemischen Organisationsentwicklung hergestellt.

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
14
A.1.2.1 Annäherung an den Systembegriff
Bis in die 40er Jahre dominierten Erklärungsmodelle für das menschliche Handeln, die
einer linearen Logik folgten. Sie versuchten Situationen aus einem einzelnen Faktor
heraus zu erklären. Das ist z.B. das Eigenschaftsmodell (vgl. z.B. Hermann/Lantermann
1985: 48ff.), das Maschinenmodell (vgl. z.B. Herzog 1984: 98ff.) oder das Handlungs-
modell (vgl. z.B. Dilthey 1973: 87). Es zeigte sich, daß solche einfachen Modelle zur
Erklärung komplexer Sachverhalte nicht ausreichten, was zur Entwicklung eines neuen
Erklärungsmodells führte, dem Systemmodell.
,,Immer mehr aber tritt uns auf allen Gebieten, von subatomaren zu organischen und soziologischen, das
Problem der organisierten Kompliziertheit gegenüber, das anscheinend neue Denkmittel erfordert - anders
ausgedrückt - verglichen mit linearen Kausalketten von Ursache und Wirkung, das Problem von Wech-
selwirkungen in Systemen. Damit gelangen wir aber zur Systemtheorie." (Bertalanffy 1972: 20).
Im Anschluß an diese allgemeine Programmatik von Systemtheorie wird der Systembe-
griff als gemeinsamer Oberbegriff in sehr viel unterschiedlichen Disziplinen wie Physik,
Ökologie, Soziologie, Familientherapie und Organisationstheorie (vgl. Willke 1993)
benutzt.
Im deutschsprachigen Raum ist Niklas Luhmann der bekannteste Begründer der Sy-
stemtheorie. Er greift das Anliegen auf ,,[...] soziale Prozesse mithilfe systemtheoreti-
scher Terminologie umfassender zu erklären [...]" (König/Volmer 1997: 29).
Nach Luhmann sind soziale Systeme durch folgende Merkmale definiert (Luhmann
1984):
1.
,,Die Differenz von System und Umwelt" (ebd.: 35). Die Definition eines Systems
ergibt sich aus der Abgrenzung gegenüber der Umwelt.
2.
Die kleinste Einheit in einem System ist die Kommunikation (ebd.: 240).
3.
Soziale Systeme sind selbstreferentiell. D.h. die Elemente, aus denen das System
besteht, werden durch das System selbst erzeugt (ebd.: 57ff.). Praktisch heißt das,
daß das einzelne Kommunikationsereignis weitere nach sich zieht (König/Volmer
1997: 30).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
15
4.
,,Die Erhaltung des sozialen Systems erfordert Reduzierung von Komplexität" (Luh-
mann 1984: 45ff.). Komplexität meint die Gesamtheit der möglichen Ereignisse und
Zustände, die theoretisch unbegrenzt ist (König/Volmer 1997: 30). Jedem Kommuni-
kationsereignis könnte ein beliebiges anderes folgen. Durch das Reduzieren von Er-
wartungen und Verhaltensweisen reduziert sich die Komplexität.
Luhmanns Merkmale sozialer Systeme lassen sich allerdings nur begrenzt auf Organisa-
tionsentwicklungs- und beratungsprozesse übertragen. Das liegt insbesondere am zwei-
ten Merkmal, das nicht den handelnden Menschen als Subjekt betrachtet, sondern das
einzelne Kommunikationsereignis. ,,Beratung aber muß zwangsläufig zunächst einmal
auf die Personen des sozialen Systems ausgerichtet sein" (ebd.: 31).
Systemische Organisationsentwicklung greift explizit auf den Systembegriff in der Tra-
dition von Gregory Bateson zurück (Bateson 1969, 1981, 1995). Überträgt man sy-
stemtheoretische Ansätze auf Organisationen, ergeben sich zwei zentrale Prämissen:
· Die Aufmerksamkeit ist nicht auf den einzelnen Faktor, auf das Individuum gerichtet,
sondern auf das jeweilige System, z.B. die Arbeitsgruppe, das Team oder die Familie.
· Entwicklung sozialer Systeme bedeutet die dort handelnden Personen zu beraten. Das
Element eines sozialen Systems ist nicht z.B. das einzelne Kommunikationsereignis,
sondern die agierende Person.
(Vgl. ebd.: 31)
Bateson war zunächst Anthropologe der Untersuchungen auf Neuguinea und auf Bali
durchführte. In den 40er Jahren kam er in Kontakt mit systemtheoretischen Ansätzen,
die er auf die Erforschung der Kommunikation zu übertragen versuchte. Bateson griff
zunächst auf den technischen Systembegriff zurück (vgl. Ruesch/Bateson 1995: 10). Er
veränderte und erweiterte diesen Begriff im Hinblick auf soziale Systeme, wie politische
Parteien und Familien (vgl. König/Volmer 1997: 32). Ausgehend von seinem Ansatz
entstanden die systemische Kommunikationstheorie, die systemische Familientherapie
und die Übertragung der Systemtheorie auf Organisationen (ebd.: 33ff.).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
16
A.1.2.2 Merkmale sozialer Systeme
Es gibt Merkmale sozialer Systeme, die sich auf der Basis des Systembegriffs von Bate-
son bestimmen lassen. Diese Merkmale werden im folgenden vorgestellt, um eine
Grundlage für die weiteren Ausführungen über Organisationsentwicklung zu schaffen.
(1) Personen als Elemente sozialer Systeme
Im Rahmen der Organisationsentwicklung stellt sich die Frage, wer gehört einem Sy-
stem, (einer Abteilung, einem Team, einer informellen Gruppe) an. Daraus ergibt sich,
daß die Personen als ,,Elemente" eines sozialen Systems definiert werden. Soziale Sy-
steme lassen sich nicht scharf voneinander abgrenzen, sondern haben fließende Gren-
zen. Wer zu dem sozialen System gehört, hängt maßgeblich von der Perspektive der
Beobachterin ab. Diese Abgrenzung ist in Bezug auf das anstehende Thema festzulegen
(vgl. König/Volmer 1997: 36).
(2) Subjektive Deutungen
,,Soziale Systeme unterscheiden sich von anderen Systemen [technischen oder biologi-
schen, Anm. d. V.] dadurch, daß die ,,Elemente" dieses Systems Personen sind, die sich
ein Bild von ihrer Situation machen und auf der Basis dieses Bildes handeln" (ebd.: 36).
Die Personen des sozialen Systems machen sich Gedanken über sich und ihre Umwelt,
sie verfolgen persönliche Ziele und bewerten Situationen. Watzlawick bezieht sich auf
dieses entscheidende Merkmal sozialer Systeme im ersten Axiom seiner Kommunikati-
onstheorie: ,,Man kann nicht nicht kommunizieren" (Watzlawick u.a. 1969: 53, in: Kö-
nig/Volmer 1997: 37). Bezieht man dieses Merkmal auf den Systemzustand, ergibt sich
daraus, ,,daß in sozialen Systemen Menschen ,,Subjekte" sind, die sich entscheiden kön-
nen und damit die Entwicklung des Systems beeinflussen" (König/Volmer 1997: 37).
(3) Regeln sozialer Systeme
Soziale Systeme sind von Regeln bestimmt, die besagen, was die einzelnen Personen zu
haben, tun dürfen oder nicht tun dürfen. Diese Regeln können schriftlich fixiert sein,
z.B. in Aufgabenbeschreibungen, oder unter der Oberfläche als ,,inoffizielle" Regeln
wirken. Diese Regeln beeinflussen das Verhalten einzelner Personen. Sie können für die
Entwicklung des Systems insgesamt funktional oder dysfunktional sein. Ebenso können

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
17
Unklarheiten oder unterschiedliche Auffasssungen hinsichtlich geltender Regeln in ei-
nem System zu Problemen führen (vgl. ebd.: 39).
(4) Interaktionsstrukturen in sozialen Systemen
,,Die Personen in einem sozialen System beeinflussen sich wechselseitig. Daraus entste-
hen immer wiederkehrende Verhaltensmuster und Interaktionsstrukturen, die den Re-
gelkreisen oder Rückkopplungsprozessen in anderen Systemen entsprechen" (ebd.: 39).
Im Unterschied zu technischen oder biologischen Systemen sind jedoch die Interakti-
onsstrukturen in sozialen Systemen Ergebnis unterschiedlicher wechselseitiger Deutun-
gen (vgl. ebd.: 40). Das heißt, daß Personen ihr Verhalten als Reaktion auf ein anderes
Verhalten deuten (vgl. die Theorie des Symbolischen Interaktionismus, z.B. Blumer
1969).
(5) Systemumwelt
Das Verhalten eines sozialen Systems wird auf drei Ebenen durch die Systemumwelt
bestimmt:
· durch die materielle Umwelt, z.B. den Arbeitsplatz, die technische Ausstattung,
· durch die Personen und Sozialsysteme außerhalb des betreffenden Systems, z.B. Ge-
schäftsführung, Kundinnenkreis,
· durch Werte, Normen und Regeln, die das soziale System von außen beeinflussen,
z.B. Gesetzesvorgaben.
Die Systemumwelt bestimmt das Verhalten des Systems dabei nicht eindeutig, statt des-
sen erhält die Systemumwelt durch das System selbst eine bestimmte Bedeutung, die
von den subjektiven Deutungen, den Regeln oder den Interaktionsstrukturen abhängt
(vgl. ebd.: 41).
(6) Entwicklung sozialer Systeme
,,Analog zu biologischen Systemen entwickeln sich soziale Systeme: Personen eines
sozialen Systems, ihre subjektiven Deutungen, aber auch die Regeln und Interaktions-
strukturen eines Systems verändern sich im Laufe der Zeit" (ebd.: 41). Selbst festgefah-
rene Verhaltensmuster, die auf wechselseitigen Deutungen basieren, entwickeln sich im
Laufe der Zeit.

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
18
A.1.2.3 Problemlösung aus systemischer Sicht
Systemisches Denken basiert auf zwei zentralen Grundannahmen:
· Das Verhalten der Einzelnen ist beeinflußt von dem jeweiligen sozialen System.
· Der Einzelne hat aber auch die Möglichkeit, die Entwicklung des sozialen Systems
zu beeinflussen.
(Vgl. ebd.: 43)
Für die Organisationsentwicklung bedeutet dies, daß sich Probleme ,,grundsätzlich nicht
isoliert lösen lassen, sondern im Zusammenhang des jeweiligen sozialen Systems zu
sehen sind" (ebd.: 43). Es geht also darum, herauszufinden, welche Faktoren innerhalb
des Systems das Problem hervorbringen oder verstärken. ,,Solche Faktoren können auf
den [...] genannten sechs Ebenen sozialer Systeme liegen" (ebd.: 43). Daraus ergeben
sich sechs zentrale Ansatzpunkte für eine Lösung von Problemen aus systemischer
Sicht:
· Veränderung in bezug auf die Personen des sozialen Systems
· Veränderung der subjektiven Deutung
· Veränderung der sozialen Regeln
· Veränderung der Interaktionsstrukturen
· Veränderung der materiellen Umwelt oder der Systemgrenze zu anderen Systemen in
der Umwelt
· Veränderung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungsrichtung oder Entwicklungs-
geschwindigkeit.
(Vgl. ebd.: 43).
A.1.2.3.1 Exkurs: Autonomie und Konsens
Autonomie und Konsens sind zwei grundsätzliche Werte, die den OE-Prozeß begleiten,
und die Einstellung der Beraterin prägen.
(1) Autonomie
In der Regel setzen alle Beratungskonzepte Autonomie als zentralen Wert voraus (vgl.
z.B. Reiter-Theil 1988). Beratung und Entwicklung von Organisationen geht davon aus,
daß Personen autonom sind, d.h. daß sie in der Lage sind selbst Entscheidungen zu tref-

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
19
fen. Autonomie wird zwar in der Nähe von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit an-
gesiedelt, bildet jedoch kein Gegensatzpaar mit der Verantwortung, die ja eine Forde-
rung nach bestimmten Verhaltensweisen beinhaltet. Im Gegenteil, autonomes Handeln
setzt verantwortungsbewußtes Handeln voraus. Eigenverantwortliches Handeln wieder-
um setzt Freiheit voraus (vgl. Huppenbauer/Ruh 1996: 333). Autonomie des Willens
bezeichnet Kant als die Fähigkeit des Menschen sich selbst, unabhängig von Autoritäten
und Traditionen zu entscheiden (Kant 1968, Bd. 5: 33, in: Pieper 1990: 60). Überträgt
man dieses Verständnis von Autonomie auf Organisationen in unserer Gesellschaft,
wird deutlich, daß es viele Instanzen, aber besonders die Gesetzmäßigkeiten der kapita-
listischen Marktwirtschaft gibt, die der Autonomie Grenzen setzen. Daraus folgt eine
differenzierte Sichtweise auf verantwortungsbewußtes und autonomes Handeln. Es stellt
sich die Frage, wer tatsächlich autonom und verantwortungsbewußt handeln kann. Hier
findet sich ein Hinweis auf die Grenzen systemtheoretischer Ansätze, die die Verant-
wortung der Individuen und ihre positiven Handlungsoptionen betonen (vgl. A.1.6
Grenzen systemischer Organisationsentwicklung).
Freiheit findet bei Kant wiederum in Form des Pflichtcharakters der sittlichen Freiheit
ihren Ausdruck: ,,Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der
Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel
brauchst" (Kant, Grundlegung: 61, in: Pieper 1990: 62). Auch an dieser Stelle zeichnet
sich ab, daß Menschen innerhalb der sozialen Marktwirtschaft darauf angewiesen sind,
einander als Mittel der eigenen Wohlstandssicherung und -steigerung zu funktionalisie-
ren, anstatt die Versorgung der Gemeinschaft als Maßgabe ihrer Handlungen zu sehen.
Mit der Berufung auf das Konkurrenzprinzip als Optimierungsmechanismus steht nicht
das moralische Handeln für die Gruppe im Vordergrund, statt dessen wird einkalkuliert,
daß Menschen auch scheitern können. So hat die Freiheit ihre Grenzen in der Freiheit
anderer und ,,Autonomie bezieht sich streng genommen gar nicht auf die einzelnen In-
dividuen, sondern auf die Menschen generell" (Huppenbauer/Ruh 1996: 333). Diese
Verständnis von Autonomie basiert auf der Annahme einer universalen Vernunft. Diese
Vernunft kann nach Horkheimer und Adorno (1998) zur ,,Destruktivität" pervertieren,
wenn die Vernunft selber Herrschaft ausübt ,,und alles, was nicht ihren Standards ent-
spricht, ausgrenzt oder einsperrt" (Huppenbauer/Ruh 1996: 335).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
20
Trotz dieser Grenzen von autonomen Handeln in unserer Gesellschaft, muß ein konkre-
tes Verständnis von Autonomie entwickelt werden, das handlungsanleitenden Charakter
hat. Für systemische OE heißt das: die Beraterin trifft keine Entscheidungen für eine
Kundin, sondern ist Unterstützung der Kundin bei der eigenständigen Problembewälti-
gung, ohne ihre Autonomie außer Kraft zu setzen (vgl. König/Volmer 1997: 257). Für
die praktische Entwicklungs- und Beratungstätigkeit ergeben sich drei Konsequenzen:
1. Autonomie der Kundin
Die grundsätzliche Fähigkeit der Kundin selbständig Entscheidungen zu fällen, auch
wenn sie vom System beeinflußt werden, wird vorausgesetzt.
2. Autonomie des sozialen Systems
Das System konstruiert sich ein eigenes Bild der Wirklichkeit, entwickelt bestimmte
Regeln auf der Basis subjektiver Deutungen und definiert somit die Wirkungen der aus-
gebildeten Regeln und Verhaltensmuster. Diese Mechanismen zu akzeptieren bedeutet,
die Autonomie sozialer Systeme nicht einzuschränken, sondern die Vorstellungen und
Ressourcen des Systems zu nutzen und es zu unterstützen, die für dieses System passen-
den Veränderungen zu planen und umzusetzen.
3. Autonomie der Beraterin
Auch die Beraterin ist autonom im Hinblick darauf, welchen Auftrag sie durchführt und
zu welchen Bedingungen. Innerhalb des Beratungsprozesses entscheidet sie autonom,
welches Vorgehen sie der Kundin vorschlägt.
(2) Konsens
Konsens bedeutet, daß Entscheidungen nicht aufgezwungen werden, sondern daß eine
gemeinsame Entscheidung erreicht wird, der alle Betroffenen zustimmen. Autonomie
kann nur gewahrt werden, wenn es gelingt Entscheidungen im Konsens zu treffen (Kö-
nig/Volmer 1997: 260). Konsensverfahren können durch Gesprächsführungsmethoden
(z.B. die ,,Jeder-gewinnt-Methode" Gordon 1979: 182f.) umgesetzt werden. Durch Kon-
sensverfahren wird die Akzeptanz von Entscheidungen in einem sozialen System gesi-
chert: eine OE wird letztlich nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Betroffenen
einzubeziehen, sie zu ,,Beteiligten zu machen" und mit ihnen einen Konsens herzustel-

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
21
len (vgl. Kieser 1987: 1348ff.). Es kann aber nicht immer ein Konsens gefunden wer-
den. Über die Kündigung einer Mitarbeiterin wird wahrscheinlich kein Konsens mit der
Mitarbeiterin zu erzielen sein. Die Autonomie der Mitarbeiterin ist eingeschränkt. Hier
ist das Konsensprinzip keine Möglichkeit Konflikte zu lösen und bestehende Abhängig-
keiten zu verändern. Systemische Organisationsentwicklung versteht sich nicht als An-
wältin für die Mitglieder einer Organisation, ist also nicht parteilich, sondern muß den
Spagat zwischen unterschiedlichen Interessengruppen (z.B. innerhalb der Mitglieder-
gruppe, Organisationszielen) vollziehen. Wenn einzelne Organisationsentwicklerinnen
den Mitgliedern einer Organisation versprechen, daß z.B. niemand entlassen wird, ist
das ihre eigene Entscheidung, die natürlich mit den Initiatorinnen der Organisationsent-
wicklung und der Organisationsführung abgesprochen werden muß. Derartige Verspre-
chen sind im Konzept der systemischen Organisationsentwicklung möglich, aber nicht
zwangsläufig vorgesehen.
Konsens ist auf zwei Ebenen herzustellen: In der Beziehung zwischen dem Beraterin-
nen- und Kundinnensystem und innerhalb des Kundinnensystems (König/Volmer 1997:
261).
A.1.3 Konzeptionelle Bausteine systemischer Organisationsentwicklung
Es gibt einige konzeptionelle Bausteine die in Anteilen in allen OE-Prozessen vorkom-
men aber der Idee der Systemtheorie entspringen.
A.1.3.1 Aktive Mitbeteiligung
Alle Beteiligten erhalten die Gelegenheit ihre Erfahrung und Ideen zur Verfügung zu
stellen und Antworten und Lösungen zu entwerfen, die aus ihrer Sicht machbar und
sinnvoll sind. So übernehmen sie Verantwortung für ihr Tun, was eine Voraussetzung
ist, für die Identifikation mit der eigenen Aufgabe, mit den Organisationszielen und den
notwendigen Veränderungen. Eine herausragende Rolle spielen dabei Führungskräfte:
Ihr Engagement, ihr Zeiteinsatz und ihre Prioritäten haben eine Art Signalwirkung für
alle Mitglieder der Organisation (Baumgartner u.a. 1998: 20). Voraussetzung für eine
aktive Mitbeteiligung ist, daß alle betroffenen Mitglieder Zugang zu allen relevanten
Informationen haben. Aktive Mitbeteiligung beinhaltet eine wertschätzende Sichtweise
auf die Organisationsmitglieder, deren Beiträge eingefordert werden müssen, anstatt sie

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
22
als potentiellen Störfall, und unzuverlässige Variable im logisch-klaren Konzept zu be-
trachten (ebd.: 26).
A.1.3.2 ,,Jede Organisation ist einmalig"
Jede Organisation wird durch die Menschen, die in ihr leben und arbeiten erst lebendig,
einmalig und auch entwicklungsfähig. Jede Idee, jedes Konzept bleibt Papier und Theo-
rie, wenn es nicht gelingt, bei den betroffenen Mitgliedern Bewußtheit und Energie da-
für zu wecken, und auf ihre konkrete Situation einzugehen. Erfolgsstrategien anderer
Organisationen oder wohlmöglich fertige Rezepte können nur begrenzten Erfolg bringen
und widersprechen diesem Grundprinzip (ebd.: 20).
A.1.3.3 Angemessene Komplexität
Selbst kleinste Organisationen sind komplexe Systeme und erfordern entsprechende
Komplexität in den Steuerungs- und Veränderungsstrategien. Unzulässige Vereinfa-
chungen sind zu vermeiden. Jeder Prozeßschritt muß dieser Komplexität durch Gestal-
tung und Variabilität Rechnung tragen (ebd.: 21). Mit angemessener Komplexität ist
insbesondere in der systemischen Organisationsentwicklung gemeint, daß Prozesse in
ihrer umfassenden Wirkung betrachtet werden und, daß Zusammenhänge über verschie-
dene Ebenen hinweg miteinbezogen werden. Das bedeutet z.B., daß bei einem Prozeß in
dem die Perspektive hauptsächlich auf die Gruppendynamik gerichtet ist, auch andere
Faktoren, wie Strukturen, Strategien und Organisationsziele miteinbezogen werden
müssen.
A.1.3.4 Ansatzpunkte von Organisationsentwicklung
Es gibt unzählige Anlässe, die einen OE-Prozeß einleiten. Das können konkrete Situa-
tionen sein, aber auch diffuse Probleme oder weitreichende Neuorientierungen. Bei-
spiele für die Einführung einer Organisationsentwicklung sind:
· Neustrukturierungen mit dem Ziel mehr Kundinnenorientierung zu erreichen,
· Generationswechsel in einem Familienbetrieb,
· Entwicklung einer kraftvollen Vision,
· Einführung neuer EDV-Systeme,
· Konflikte zwischen Unternehmensbereichen (vgl. ebd.: 21).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
23
Becker/Langosch nennen als Ausgangspunkte für OE gewichtige Organisations-, Kom-
munikations- und/oder Motivationsprobleme und einen gewissen ,,Leidensdruck" (Bek-
ker/Langosch 1995: 203). Als elementare Voraussetzung sehen sie die Lern- und Verän-
derungsbereitschaft der Organisation bzw. der Organisationsleitung (ebd.: 201). Für den
Beginn von Organisationsentwicklungsprozessen auf unterschiedlichen Hierarchieebe-
nen bieten sie verschiedene Strategien zur Berücksichtigung von Hierarchien an (ebd.:
208).
A.1.3.5 Lernen statt ,,Revolution"
Das Plädoyer für das Lernen basiert auf der Erfahrung, daß vorschnelle, von den Mitar-
beiterinnen losgelöste, Umstrukturierungsmaßnahmen im Alltag nicht greifen. Wichtige
Neuerungen können zu Angst, Abschottung und Besitzstandsdenken führen, wenn das
Lerntempo der Mitglieder stark übergangen wurde. Entwicklungsschritte müssen ver-
kraftbar sein. Der Befürchtung Organisationsentwicklung könne zu lange dauern, und
sei nicht geeignet für akuten Handlungsbedarf, kann entgegen gehalten werden, daß vor-
eilige, radikale Veränderungen, die ohne, oder mit unzureichender Beteiligung der Be-
troffenen durchgeführt werden, häufig ,,Nachwehen" mit sich bringen.
A.1.3.6 ,,Fließgleichgewicht statt Erstarrung"
Das Bild der Organisation als starres, statisches Gebilde, wie es z.B. eine bürokratische
Organisation verkörpert, entspricht nicht mehr den Erfordernissen in einer sich immer
schneller wandelnden Umwelt. Sich verändernde Rahmenbedingungen, wie z.B. verän-
derte Kundinnenbedürfnisse, stärkerer Konkurrenzdruck, neue technologische Möglich-
keiten, erfordern entwicklungs- und anpassungsfähige Organisationen (Baumgartner u.a.
1998: 23). Dazu gehört die Fähigkeit wechselnde Gegebenheiten vorwegzunehmen, und
die eigene Entwicklung selbstkritisch und bewußt zu überprüfen.
A.1.3.7 ,,Organisationsentwicklung findet am Arbeitsplatz statt"
Selbst, wenn einzelne OE-Schritte räumlich und zeitlich außerhalb der Organisation
erarbeitet werden, ist Organisationsentwicklung Teil der Arbeitszeit, die mit eingeplant
werden sollte. Es handelt sich also nicht um eine ,,Sonntagsveranstaltung" für Einzelne,
sondern jedes Mitglied einer Organisation sollte ein alltägliches Bewußtsein für den
Veränderungsbedarf der Organisation entwickeln (ebd.: 25). Ideen und Erkenntnisse, die

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
24
aus diesem Bewußtsein erwachsen, müssen in einem institutionalisierten Raum weiter-
entwickelt, auf Eis gelegt oder ggf. verworfen werden.
A.1.3.8 Ressourcen- und Lösungsorientierung
Die Auseinandersetzung mit derzeitigen und zukünftigen Chancen wird eine höhere
Priorität eingeräumt, als einer ausgedehnten Ursachenanalyse. Die OE- Beraterin regt
schon früh an, Ziele zu formulieren und die notwendigen Maßnahmen zu erarbeiten. Die
vorhandene Energie soll in einem angemessenen Maß vergangenheitsgerichtet investiert
werden.
A.1.4 Ziele von Organisationsentwicklung
Die Zielsetzung der Organisationsentwicklung basiert auf einer Arbeitshypothese, die
weder bewiesen, noch widerlegt ist: Leistungsoptimierung und Humanisierung der Ar-
beit schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern bedingen sich wechselseitig, und ste-
hen in engen Zusammenhang mit bestimmten Veränderungen der gesamtgesellschaftli-
chen Umwelt (Becker/Langosch 1995: 15).
Becker / Langosch unterscheiden zwei Seiten der Zielsetzung von Organisationsent-
wicklung:
Die eine Zielsetzung richtet sich auf die äußere Umwelt, von der jede Organisation ihre
Daseinsberechtigung und ihre Legitimation erhält. Diese Zielsetzung ist nahezu iden-
tisch mit dem Unternehmenszweck, der optimiert werden soll.
Die andere Zielsetzung richtet sich nach innen, auf die ,,Binnenwelt" der Organisation,
auf die Menschen, die diese Organisation verkörpern und beleben. ,,Diese Menschen -
und alle durch sie bewegten Güter, Rohstoffe, Anlagen, Leistungen - stellen die internen
Ressourcen dar, von denen ein Unternehmen lebt" (ebd.).
Diese beiden Zielsetzungen stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander: ,,Ein
Unternehmen lebt für den Markt , aber es lebt von den Menschen, die in ihm tätig sind"
(ebd.). Genauso, wie ,,... das Unternehmen die Bedürfnisse des Marktes befriedigen

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
25
muß, um existieren zu können, muß es auch die Bedürfnisse der im Unternehmen täti-
gen Menschen befriedigen" (ebd.).
Eine Grundannahme der Organisationsentwicklung ist, daß diese beiden Zielsetzungen,
gleichrangig und interdependent sind. Diese Grundannahme baut wiederum auf einer
Grundannahme der Systemtheorie auf, die besagt, daß eine Abhängigkeit zwischen dem
Verhalten der Menschen und den Verhältnissen, in den sie leben, besteht (ebd.: 18).
Als konkrete Ziele für die ,,Binnenwelt" einer Organisation beschreiben Bek-
ker/Langosch (ebd.: 19) drei Subziele:
1.
Antizipation:
Ausrichtung aller Bemühungen zur Lösung der Probleme an den Anforderungen
der Zukunft. Antizipation ist die Fähigkeit, sich neuen, möglicherweise noch nie
dagewesenen Situationen zu stellen.
2. Emanzipation:
Wachsende Mündigkeit der Beteiligten durch den gemeinsamen Lernprozeß im
Sinne von verantwortungsbewußter Selbst- und Mitbestimmung.
3. Partizipation:
Aktive Mitwirkung aller Betroffenen an allen Problemen, die ihre betriebliche Ar-
beit betreffen.
Diese Ziele finden sich in der Literatur in ähnlicher Weise, z. T. nur in anderen Worten
wieder. Baumgartner u.a. sprechen beispielsweise von Selbsterneuerung und Selbstge-
staltung, Förderung von Selbstorganisation, Humanisierung, Effektivität und Authenti-
zität (Baumgartner u.a. 1998: 28).
A.1.5 Phasen systemischer Organisationsentwicklung
Der Ablauf systemischer Organisationsentwicklung läßt sich in die folgenden 4 Phasen
unterteilen:
1. Orientierungsphase
2. Diagnosephase
3. Veränderungsphase
4. Abschlußphase.

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
26
Diese Phasen sind unterschiedlich zeitintensiv und können jeweils noch mal unterglie-
dert sein. Es entstehen häufig Zyklen zwischen verschiedenen Phasen dergestalt, daß
Diagnosephase und anschließende Interventionen mehrmals wiederholt werden können (
vgl. König / Volmer, 1997: 136).
A.1.5.1 Die Orientierungsphase
Meist gliedert sich die Orientierungsphase in mehrere Orientierungsgespräche. Die Be-
raterin steht vor der Aufgabe Kenntnisse über die Organisation zu erwerben. Kö-
nig/Volmer haben dazu folgende Leitfragen entwickelt:
· Wer sind die Entscheiderinnen für das Organisationsentwicklungs-Projekt? Gibt es
möglicherweise noch Personen im Hintergrund, die ihre Zustimmung geben müssen?
· Was sind die relevanten subjektiven Deutungen der jeweiligen Personen? Wer hat
Interesse an einem Organisationsentwicklungs-Projekt? Wer gewinnt oder verliert
durch das OE-Projekt?
· Welche Regeln gibt es in dem sozialen System?
· Was war die Vorgeschichte dieses OE-Projektes? Gab es bereits andere Versuche
Organisationsentwicklung durchzuführen?
(ebd.: 137).
Informationen zu diesen Fragen lassen sich zum einen aus offiziellen Quellen, z.B. Ge-
schäftsberichten einholen, zum anderen kann man
Kontakte zu Personen, die bereit sind einem etwas über die Organisation zu erzählen,
oder die Kontakte zu anderen Gesprächspartnerinnen vermitteln, nutzen (vgl. ebd.).
Auch interne Organisationsentwicklerinnen sollten sich anhand dieser Fragen orientie-
ren, um ihre Kenntnisse zu ergänzen und ihrer persönliche Sichtweise durch Sichtwei-
sen und Deutungen aus anderen Perspektiven zu erweitern (vgl. ebd.: 138).
In der Orientierungsphase wird von der Organisationsentwicklerin erwartet, daß sie ein
Angebot liefert. Aus diesem Angebot sollte ersichtlich sein, wie sie in diesem Prozeß
vorgehen will, wo die Schwerpunkte liegen, welchen Ablauf (Zeit, Kosten, usw.) sie
vorschlägt (vgl. ebd.).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
27
Wenn eine Einigung erzielt wurde, steht am Ende der Orientierungsphase der Kontrakt
zwischen der Organisationsentwicklerin und der Organisation.
A.1.5.2 Die Diagnosephase
In der Diagnosephase geht es darum, das Problem zu benennen. Was hindert die Organi-
sation und ihre Mitglieder daran die formulierten Ziele zu erreichen? Was möchten sie
wirklich erreichen? Und was wurde bislang unternommen, um das Problem zu lösen?
Hierbei geht es nicht darum, daß die Organisationsentwicklerin möglichst genau erfährt,
wie die Organisation zusammenhängt und funktioniert. Dafür sind Organisationen viel
zu komplex und dynamisch. Stattdessen geht es darum, daß die Organisation und ihre
Mitglieder dabei unterstützt werden, das Problem für sich zu klären. Für die Organisati-
onsentwicklerin bedeutet das, sich auf folgende Fragen zu konzentrieren:
Wie sehen die Kundinnen das Problem?
Was brauchen sie, um für sich die Situation weiter zu klären?
(Vgl. ebd.: 73)
In dieser Phase ist die Fähigkeit der Organisationsentwicklerin zur klientenzentrierten
Gesprächsführung nach Rogers (z.B. Rogers 1972) sehr hilfreich. Die klientenzentrierte
Gesprächsführung basiert auf einigen Grundprinzipien, die in der Organisationsent-
wicklung wieder auftauchen. Im einzelnen geht es dabei um,
· das ,,bedingungsfreie Akzeptieren" (z.B. Rogers 1977: 20ff.),
· das Nichtbewerten der Darstellungen,
· das passive, ermutigende Zuhören.
(Vgl. König/Volmer 1997: 74)
Zum Klären der Problemsituation stehen einige Techniken aus dem therapeutischen
Bereich zur Verfügung, die auf die Situation in einer Organisation adaptiert werden
müssen. Zu diesen Techniken gehören z.B.
· das Fokussieren (vgl. Gendlin 1981),
· das ,,Meta-Modell" aus dem Neurolinguistischem Programmieren (vgl. Band-
ler/Grinder 1984),

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
28
· das Widerspiegeln, bzw. das Paraphrasieren im sog. Kontrollierten Dialog (vgl. An-
tons 1992).
Als weitere Diagnoseverfahren, insbesondere für Gruppenprozesse, eignen sich
· Beobachtungsverfahren,
· Interviews und Gruppendiskussionen, um unterschiedliche subjektive Sichtweisen
des Systems zu erheben,
· Fragebogenuntersuchungen, mit denen sich z.B. die Häufigkeit verschiedener Sicht-
weisen erfassen lassen.
(Vgl. König/Volmer 1997: 138)
Am Ende der Diagnosephase wird das Wissen an das betreffende soziale System zu-
rückgespiegelt. Ggf. schließt sich an eine Diagnosephase eine neue Orientierungsphase,
in der entschieden wird, ob der Prozeß weitergeführt wird (vgl. ebd.).
A.1.5.3 Die Veränderungsphase
Jede Diagnose ist für das soziale System zugleich Veränderung (vgl. ebd.). Organisati-
onsmitgliedern werden beim Schildern der Probleme, oder deren Rückspiegelung, häu-
fig Sachverhalte bewußt. Dieses Bewußtsein beeinflußt ihr Verhalten und somit das
ganze soziale System.
Den Zeitpunkt, wann konkrete Veränderungsmaßnahmen eingeführt und umgesetzt
werden bestimmen die Kundinnen selber. Das heißt, solange die Situation für die Kun-
dinnen nicht hinreichend geklärt ist, werden sie nicht in der Lage sein, die Aufmerk-
samkeit auf neue Lösungsmöglichkeiten zu richten (vgl. ebd.: 82).
Die Veränderungsphase gliedert sich in das Sammeln, das Bewerten und das Umsetzen
neuer Lösungsmöglichkeiten.
Beim Sammeln neuer Lösungsmöglichkeiten kann man nach der klassischen Brain-
stormingmethode vorgehen. Es kann hilfreich sein, bisherige Lösungsversuche aufzu-
greifen, und zu fragen, an welcher Stelle sie nicht weiterführten. Die Organisationsent-

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
29
wicklerin kann an dieser Stelle als Außenstehende eigene Ideen und Anregungen ein-
bringen, oder von Erfahrungen aus ähnlichen Situationen berichten (vgl. ebd.: 84).
Die Bewertung der Lösungsmöglichkeiten ist nur durch Kundinnen selbst möglich. Das
heißt, daß die Organisationsmitglieder als Expertinnen für ihre Organisation und ihre
Problematik gesehen werden, die dabei unterstützt werden eine eigene Entscheidung zu
treffen (vgl. ebd.).
Die Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen ist ein langwieriger Prozeß, der in eng-
maschigen Beratungsgesprächen begleitet und reflektiert werden muß. Es ist abzuwä-
gen, ob die Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen vollständig von externen Organi-
sationsentwicklerinnen begleitet werden müssen oder, ob es ausreicht in der Beratung
umsetzbare Schritte zu entwickeln, die die Organisation selbständig realisiert und ggf.
modifiziert. Die Wechselwirkungen zwischen der Veränderungsmaßnahme und der Or-
ganisation müssen beobachtet und auf ihre Zielgerichtetheit hin überprüft werden. Ver-
änderungsmaßnahmen können sein:
· Teamentwicklungsmaßnahmen,
· Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation, z.B: die Einführung von Pro-
jektmanagement oder Controlling
· Qualifizierungsmaßnahmen, z.B. Kommunikationstrainings,
· Beratungsphasen mit einzelnen oder ganzen Systemen,
· Leitbildveränderungen, z.B. Chancengleichheit.
(Vgl. ebd.: 138).
A.1.5.4 Die Abschlußphase
Da Organisationen ständig vor der Notwendigkeit stehen sich weiterzuentwickeln, ist
Organisationsentwicklung grundsätzlich ein unabgeschlossener Prozeß. Im Gegensatz
dazu sollte die Beratung durch externe Organisationsentwicklerinnen einen eindeutig
markierten Abschluß haben. Beendet ist die Beratung durch externe Organisationsent-
wicklerinnen, wenn konkrete, umsetzbare Maßnahmen vereinbart wurden, oder die Or-
ganisation eigenständig die notwendig Maßnahmen entwickelt. Die Organisation sollte
lernen selbständig sich wandelnde Umwelten und ihre Auswirkungen auf die Organisa-
tion zu erkennen, und die entsprechenden Prozesse einzuleiten. Das ist in größeren Or-

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
30
ganisationen häufig eine Abteilung, die mit der Entwicklung der Organisation beauftragt
ist. Die Unabhängigkeit von externen Organisationsentwicklerinnen gewährleistet, daß
sich keine dysfunktionalen Verhaltensmuster zwischen der Organisation und den Orga-
nisationsentwicklerinnen einschleichen. Dies kann z.B. dann geschehen, wenn die Or-
ganisationsentwicklerinnen glauben die Organisation zu ,,kennen" und Gefahr laufen,
der Organisation ihre Sichtweise und Lösung überzustülpen (vgl. ebd.: 139).
A.1.6 Grenzen systemischer Organisationsentwicklung
Systemische Organisationsentwicklung wird allgemein als ein positiver Prozeß zur Pro-
blemlösung bewertet. Es gibt jedoch auch kritische Anmerkungen.
Organisationsentwicklung generell, einschließlich systemischer OE, entbehrt einer theo-
retischen Begründung. Für viele Kritikerinnen ist OE nur eine allgemeine Verände-
rungsstrategie und ansonsten lediglich eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl von
Methoden und Techniken. Der fehlende Theorierahmen führt dazu, daß keine klare
Handlungsanleitung für die Praxis abgeleitet werden kann, womit Organisationsent-
wicklung in die Nähe des Intuitiven gerät und der Organisationsentwicklungsprozeß
maßgeblich von der Person der Organisationsentwicklerin abhängt.
Weiterhin wird das Nebeneinander humaner und ökonomischer Ziele als unrealistisch
eingeschätzt. Kirsch u.a. stellen dazu fest:
,,
So verheißungsvoll auch die einzelnen Ansätze des ,,Organization Development" sein mögen, scheint
doch eine gewisse Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit dieser Ansätze angebracht. Dies um so mehr,
als der Anspruch, den Menschen mehr Entfaltungsmöglichkeiten und Selbstbestimmung einzuräumen und
damit gleichzeitig humanere und produktivere Organisationen zu schaffen, in mancher Hinsicht an den
realistischen Bezügen vorbeigeht" (Kirsch u.a. 1979).
Diese Kritik zielt auf strukturell bedingte Machtungleicheiten und bestehende Herr-
schaftsverhältnisse die OE unterschätzt und zu wenig berücksichtigt. Weder Organisati-
onsentwicklung generell, noch systemische Organisationsentwicklung geht auf diese
Herrschaftszusammenhänge ein, und muß sich den Vorwurf gefallen lassen, zur Sozial-
technik zu verkommen, die dazu dient Widerstände zu überwinden und die Akzeptanz
für Veränderungen steigern zu wollen (Rosenstiel 1995: 330).

A.1 Systemische Organisationsentwicklung
31
Systemischer Organisationsentwicklung wird vorgeworfen den Menschen als Individu-
um zu vernachlässigen, und stattdessen das System und sein Funktionieren in den Vor-
dergrund zu stellen (vgl. Habermas/Luhmann 1975). Der Mensch als eigenes System
wird nicht thematisiert. Der Organisationsentwicklerin wird empfohlen, Menschen mit
tieferliegenden Problemen in die Einzelberatung zu schicken.
An dieser Stelle wird das ahistorische systemischer Organisationsentwicklung deutlich.
Hierarchien und Ungleichheiten werden als gegeben hingenommen und akzeptiert und
nicht explizit thematisiert. Insofern muß sich systemische Organisationsentwicklung den
gleichen Vorwurf gefallen lassen, wie die Systemtheorie generell: sie wirkt herrschafts-
stabilisierend und ist unpolitisch. Dies ist zumindest Luhmann und seinen Vertreterin-
nen bewußt, wenn er sagt, sein ,,[...] Hauptziel als Wissenschaftler ist die Verbesserung
der soziologischen Beschreibung der Gesellschaft und nicht die Verbesserung der Ge-
sellschaft" (Luhmann 1992).
Systemische Organisationsentwicklung betont entsprechend die potentiellen, gegenwär-
tigen Handlungsoptionen der Individuen. Dabei ignoriert sie Zwänge und Abhängigkei-
ten, die die objektiven und subjektiven Handlungsoptionen der Individuen einschränken,
wobei sie die Verantwortung für eben diese Zwänge und Abhängigkeiten an die Indivi-
duen weitergibt, anstatt Herrschaftskritik zu unterstützen. Aus eben dieser `Blindheit'
systemischer Organisationsentwicklung leitet sich mein Forschungsinteresse ab: Wie
kann eine Organisationsentwicklung aussehen, die bestehende Herrschaftsverhältnisse,
hier die Geschlechterhierarchie, berücksichtigt? Welche konkreten Modifikationen sind
nötig, um zum Abbau dieser Herrschaftsverhältnisse beizutragen? Kann systemische
Organisationsentwicklung als eine Art Bewußtmacherin für die Diskriminierung von
Frauen wirken?

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
32
A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungs-
politik
A.2.1 Warum braucht Gleichstellungspolitik eine geschlechtstheoretische Konzep-
tion?
Im folgenden werden drei große Blöcke der Geschlechtertheorien skizziert. Es geht da-
bei um
1.
die Differenztheorie,
2.
den Dekonstruktivismus,
3.
Theorien, die das Geschlecht als Strukturkategorie zur Analyse bestehender Herr-
schaftsverhältnisse betrachten.
Es ist notwendig, diese Theorien zu beschreiben und ein eigenes Verständnis von Ge-
schlecht zu entwickeln, um die erkenntnisleitende Fragestellung nach einer Organisati-
onsentwicklung als Strategie der Gleichstellungspolitik in einen Theorierahmen zu bet-
ten. Ein solcher Theorierahmen bietet der reflektierten Praxis eine Basis, die verhindern
kann, in argumentative Sackgassen zu geraten, auch wenn die Theorie keine unmittelba-
re Praxisanleitung bieten kann (vgl. Knapp, in: Krell 1998: 74).
A.2.2 Die Differenztheorie
Differenztheoretikerinnen (z.B. Luce Irigaray 1980 oder italienische Philosophinnen der
Gemeinschaft Diotima 1989) gehen davon aus, daß es zwei Geschlechter gibt, die in der
Natur des Menschen angelegt sind. Diese beiden Geschlechter stehen in Opposition zu-
einander. Kinder werden den Frauen zugeordnet. Die Stereotypen und Normen, die die
Geschlechterbilder prägen, sind kulturell und gesellschaftlich bestimmt. Es wird unter-
schieden zwischen Sex, dem natürlich angelegten, körperlichem Geschlecht, und Gen-
der, dem sog. sozialen Geschlecht, daß die kulturellen und gesellschaftlichen Momente
in den Geschlechterbildern bezeichnet. Kritisiert wird die Trennung der Geschlechter in
ihren Auswirkungen auf Frauen: Das den Frauen Zugeordnete wird als gesellschaftlich
unterbewertet, zweitrangig, als weniger mächtig analysiert, verglichen mit dem, was den
Männern zugeordnet ist (vgl. Stiegler 1998). Männer bestimmen demnach die politi-
schen Strukturen; Staat und Wirtschaft tragen männliche Züge. Frauen werden andere
Qualitäten als Männern zugeschrieben, und die Kritik richtet sich auf das Unsichtbar-

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
33
machen dieser Qualitäten in der Öffentlichkeit und auf ihre mangelnde Repräsentanz.
Kritisiert werden aber auch die institutionellen Strukturen und Mechanismen, die diese
Unterdrückung aufrechterhalten (vgl. ebd.). Deutlich werden diese Mechanismen z.B.
bei den Frauenberufen, die aus weiblichen Qualitäten entstanden sind, gesellschaftlich
weniger anerkannt sind und schlechter entlohnt werden als Männerberufe. Diffe-
renztheoretikerinnen thematisieren nicht die Trennung der Geschlechter an sich, sondern
die Unterbewertung des weiblichen Teils, worauf sich wiederum die Geschlechterpolitik
konzentriert. Daraus resultieren Strategien, die den Aufbau frauenspezifischer Gegen-
strukturen zum Ziel haben. Frauen sollen Raum bekommen, in denen nur Frauen leben
und arbeiten, um ihre eigene Vorstellung vom Leben und Arbeiten zu entfalten. Die
Distanz und die Unabhängigkeit von Männern und männlich geprägten Organisationen
wird als Voraussetzung für die Entfaltung von Gegenkultur gesehen (vgl. ebd.). ,,Die
subjektiven Erfahrungen als Frau, also die Ebene der Geschlechterbeziehungen, werden
ernst genommen, zum Sprechen gebracht und bilden die Grundlage politischer Hand-
lungen. Die weibliche Subjektivität wird zum Programm erhoben. Das Gemeinsame der
Frauen wird in ihrer Geschlechtsidentität gesehen" (Stiegler 1998). Eine konkrete Um-
setzung findet diese Sichtweise in vielen Frauenprojekten, Mütterzentren, autonomen
Frauenhäusern oder einigen Frauenuniversitäten, die sich auf die Differenztheorie und
das daraus resultierende Identitätsverständnis beziehen.
Aktuelle Untersuchungen und Publikationen über Frauen in der Politik und in der Wirt-
schaft beziehen sich ebenfalls auf die Differenztheorie (z.B. Helgesen 1991). In jüngster
Vergangenheit wurde die Forderung nach sozialen Kompetenzen in Wirtschaft und Po-
litik laut. Sog. soziale Kompetenzen, wie z.B. Einfühlungsvermögen oder Verständnis
werden den Frauen zugeschrieben. Frauen gelten als moralisch besser, weniger verdor-
ben und mit den Alltagserfahrungen mehr verbunden (vgl. Schaeffer-Hegel u.a. 1995).
Überwiegend weibliche Forscherinnen mit differenztheoretischer Perspektive nehmen
an, daß Frauen aufgrund ihres Geschlechts eine andere Politik machen, daß sie weibli-
che Werte und Verhaltensweisen in die Politik einbringen und die damit reformieren
wollen (vgl. Stiegler 1998). Aus dieser Perspektive und mit diesen Vorannahmen wird
empirisch geforscht und z.T. entsprechende Befunde gefunden. Übersehen wird dabei,
daß derartige Vorannahmen einen Erwartungsdruck an Frauen hervorbringen, der nur
schwer zu erfüllen ist und Frauen zudem isoliert. Das heißt, wenn Frauen sich auf ihre

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
34
Besonderheit, in diesem Fall auf die Eigenschaften, die ihrem Geschlecht zugeschrieben
werden, berufen bzw. darauf festgelegt werden, hat das eine ,,Bündnisunfähigkeit" zu
Folge. Die andere Schwierigkeit, die in diesem Zusammenhang auftaucht ist, daß die
Andersartigkeit von Frauen und Männern, besonders, wenn es um ökonomisch verwert-
bare Eigenschaften geht, eine Konkurrenzsituation herstellt. Häufig führt das dazu, daß
Frauen, die versuchen in Männerdomänen einzudringen mit Ausschlußmechanismen,
z.B. das Hineindrängen in Geschlechtsrollenstereotypen, wie die Frau als Liebesobjekt,
als Ehefrau, als Tochter oder Mutter, konfrontiert werden (vgl. Rastetter 1996: 34, vgl.
auch den Aufsatz von Rastetter ,,Mach bloß kein Theater!" - Die Organisation als Rol-
lenspiel, in: Krell/Osterloh 1993). Die Rede von den Frauen als den besseren Politike-
rinnen oder Führungskräften korrespondiert mit dem Phänomen, daß Frauen häufig von
sich selbst außergewöhnliche Leistungen verlangen, um eine Gleichwertigkeit zu den
Leistungen der Männer herzustellen (vgl. den Aufsatz von Alfermann ,,Frauen in der
Attributionsforschung: Die fleißige Liesel und der kluge Hans", in: Krell/Osterloh
1993). Dabei versichert uns ein Blick in das Grundgesetz in Artikel 3 die Gleichheit vor
dem Gesetz. Da heißt es in Absatz 2 ,,Männer und Frauen sind gleichberechtigt" und in
Absatz 3 ,, Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse,
seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder
politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden".
Das Festschreiben von Merkmalen, die die Identität einer Frau definieren, wurde bereits
von Feministinnen aus anderen Kulturen kritisiert: Nicht alle Frauen teilen die Identität
einer weißen Mittelschichtsfrau. Historische und zeitgenössische Analysen zeigen, daß
sich Frauen auch untereinander unterscheiden, z.B. hinsichtlich ihrer Bildung, der kultu-
rellen Herkunft, der Lebensformen, der sexuellen Orientierungen, ihrer Ansprüche und
Bedürfnisse (vgl. Brück u.a. 1997: 32). Erst seit dieser Kritik, die aus der Denktradition
dunkelhäutiger Feministinnen stammt, akzeptieren Differenztheoretikerinnen auch an-
dere Definitionen vom weiblichen Geschlecht. Dies führte zu der Beschäftigung mit der
Frage, wie die verschiedenen Strukturkategorien wie Schichtzugehörigkeit, ethnische
Zugehörigkeit und Geschlechtszugehörigkeit miteinander verwoben sind und die Le-
benszusammenhänge von Frauen prägen (ebd., vgl. A.2.4 Geschlecht als Strukturkate-
gorie im Herrschaftszusammenhang).

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
35
In Frage gestellt wird die differenztheoretische Perspektive von Untersuchungen, die
belegen, daß die Differenzen innerhalb der Geschlechter größer sind, als zwischen den
Geschlechtern (vgl. Hagemann-White 1984: 29ff.).
Die Auseinandersetzung über den differenztheoretischen Ansatz ist z.B. bei Benhabib
u.a. ,,Der Streit um Differenz" (1995) ausführlich geführt und nachgezeichnet.
A.2.3 Die Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht
,,Die sog. postmodernen Geschlechtertheorien [...] gehen davon aus, daß Geschlecht
keine natürliche Seinsform der Körper oder Individuen ist, sondern daß es eine gesell-
schaftlich kulturelle Existenzweise ist, die sich durch historisch spezifische Denk-, Ge-
fühls- und Körperpraxen herstellt, und die auf der binären Logik dichotomer Opposition
beruht (Performance)" (Stiegler 1998, vgl. Maihofer 1995).
Aus dieser Annahme läßt sich eine potentielle Vielzahl von Geschlechtern ableiten. Der
Dualismus von Weiblichkeit und Männlichkeit löst sich auf. Judith Butler, die bekann-
teste Vertreterin des Dekonstruktivismus in der Geschlechterfrage kritisiert (vgl. Benha-
bib u.a. 1995), daß sich auch der Feminismus der Konstruktion von Geschlecht unter-
wirft und die von Männern erdachte Geschlechterdichotomie übernommen und akzep-
tiert hat (vgl. Stiegler 1998). Die Unterscheidung der Differenztheoretikerinnen zwi-
schen Sex und Gender, die als natürliche Basis der Geschlechtszuschreibungen gilt,
wird in Frage gestellt. Sex, das körperliche Geschlecht wird zum ,,...historischen, gesell-
schaftlichen und kulturellen Phänomen" (ebd.). Das von der Natur Vorgegebene, wird
angezweifelt, und dessen permanente sprachliche Benennung (vgl. Rastetter 1994: 45,
vgl. Gildemeister 1992: 230f.) als Konstruktion entlarvt. Empirische Forschungen zur
Transsexualität (z.B. Kessler/McKenna 1978, Garfinkel 1967) belegen die Konstruktion
von Geschlechtlichkeit. ,,Transsexuelle Menschen fühlen sich in dem Geschlecht, das
aufgrund ihrer biologischen Geschlechtsmerkmale auf sie zu treffen soll, nicht zu Hause
und identifizieren sich mit dem je anderen Geschlecht" (Stiegler 1998). Wenn der
,,zweigeschlechtliche Erkennungsdienst" (Tyrell 1986: 463), also die alltägliche Praxis
zweigeschlechtlicher Wahrnehmung, keine ,,natürliche" Basis mehr hat, kann der Kör-
per eher als Effekt denn als Basis sozialer Prozesse gesehen werden (Stiegler 1998). Das
Wesentliche ist hierbei nicht, zu belegen, daß es körperliche Merkmale gibt, sondern zu

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
36
erkennen, daß die Bildung von Kategorien sich auch an anderen Merkmalen orientieren
könnte und das die Konstruktion von Geschlecht als veränderbar erlebt wird. Carol Ha-
gemann-White schreibt in diesem Zusammenhang: ,,Wir wissen nichts Positives über
Geschlechterdifferenzen. Nur das sie herrschaftsstabilisierend sind, und nicht, ob es
überhaupt notwendig ist zu unterscheiden" (C. Hagemann-White 1986).
Die provozierende Wirkung der Travestie oder die Verunsicherung, die entsteht, wenn
Menschen sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen, weist auf die tiefe
kulturelle Verankerung unserer Geschlechterwahrnehmung hin.
Das Infragestellen der Natürlichkeit zweier Geschlechter erscheint vielen absurd und ist
durchaus radikal. Die Chancen die Konstruktionsprinzipien der dichotomen Zweige-
schlechtlichkeit zu durchbrechen und durch eine multiple Geschlechtlichkeit zu ersetzen
sind gering, da Identitätsbildung zu sehr mit der Geschlechterdichotomie verwoben zu
sein scheint (vgl. Treibel 1993: 147). Aber erst durch das Infragestellen der Geschlech-
terdichotomie werden die Herstellungsmodi dieser Zweigeschlechtlichkeit deutlich. Erst
durch die überspitzte Darstellung, wie Geschlechtlichkeit gelebt werden könnte, wird
deutlich, welchen schmalen Ausschnitt wir tatsächlich leben und der Blick auf die Me-
chanismen der Geschlechterkonstruktion frei. Dieses Spielen mit den Geschlechterrollen
läßt sich auf jede konstruierte Kategorie (z.B. Alter, Ethnie, Schichtzugehörigkeit, Hier-
archiezugehörigkeit) übertragen, um das Konstruierte dieser Kategorien zu dechiffrie-
ren. Kritisch untersucht werden die Praktiken, die die Zweigeschlechtlichkeit normali-
sieren, z.B. institutionalisierte Heterosexualität und geschlechtshierarchische Arbeits-
teilung (vgl. Stiegler 1998).
Eine solche Vieldeutigkeit in der Bestimmung von Geschlecht dient schwerlich als Ba-
sis einer bestimmten Geschlechterpolitik. Der Ausgangspunkt für politisches Handeln
muß aber nicht die gemeinsame geschlechtliche Identität sein, sondern kann auch der
,,Widerstand und der Widerspruch gegen die hegemoniale heterosexuelle Normalität"
sein (vgl. Queer-Theorien, z.B. Hark 1996).
Der Dekonstruktivismus der Geschlechter bietet eine Interpretationsfolie, auf der viele
unklare Fragen beantwortet werden können. Z.B. die Frage, warum sich nicht alle Frau-

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
37
en mit Feminismus beschäftigen wollen, geschweige denn sich selbst als Feministinnen
sehen, stellt sich in der Form nicht, wenn man nicht davon ausgeht, daß Frau-Sein für
alle Frauen gleichermaßen identitätsstiftend ist (vgl. Stiegler). Die dekonstruktivistische
Sichtweise verweist auf andere, ,,ebenfalls gesellschaftlich konstruierte Identitätsange-
bote wie ethnische Herkunft, Klassenzugehörigkeit, generative Position und Alter. Jede
dieser Kategorien hat für sich eine kulturelle und subjektive Geschichte und für jede
einzelne Person gibt es eine Vielzahl von identitätsformenden Beschränkungen" (ebd.).
Weiter schreibt Stiegler: ,,Die jeweilige Identität ist bestimmt durch ein fragiles Kon-
strukt verschiedener Identitäten, bei weitem nicht und nicht immer durch die Ge-
schlechterdualität." Für die Praxis der Gleichstellungspolitik erweist sich eine dekon-
struktivistische Sichtweise verkürzend, weil sie der Tatsache, daß wir immer durch un-
zählige Ordnungsprinzipien wahrnehmen und typisieren, und nicht ausschließlich durch
die ,,Geschlechterbrille", nicht Rechnung trägt. Wenn diese Ordnungsmuster geleugnet
werden, entsteht die Gefahr eigene Wert- und Normvorstellung unbewußt zu übertragen
und andere Wert- und Normvorstellungen in die eigenen zu kolonialisieren.
Dadurch, daß die dekonstruktivistische Perspektive die Körperlichkeit von Frauen und
Männern nicht im Blick hat, bietet sie keine Grundlage für eine Antidiskriminierungs-
politik, die gegen eine Diskriminierung, die sich auf die Besonderheit von Frauenkör-
pern bezieht vorgeht. Der Dekonstruktivismus bietet keine Argumentationsgrundlage
um Diskriminierungserfahrungen, wie sexuelle Belästigung und Gewalt oder die Ver-
pflichtung zur Erziehungsarbeit durch die Gebärfähigkeit von Frauen zu bekämpfen.
Erst, wenn die alltägliche, strukturelle Diskriminierung des weiblichen Geschlechts für
eine Gruppe von Frauen erfahrbar ist und sie sich als Frauen und die Geschlechterdis-
kriminierung als solche deuten, sind sie motiviert sich dagegen zu wehren. ,,Feminismus
ist danach ein reflektierter Impuls zur Bildung von Gruppen von Frauen und als Frauen
mit dem Ziel, die Strukturen zu verändern, die sie als Frauen identifizieren" (Stiegler
1998). Das heißt für die Frauenbewegung, daß die gemeinsame Zielbestimmung wichti-
ger und verbindender ist, als die vermeintlich verbindende Identität, die motivierend
wirken soll, es jedoch häufig nicht tut. Die Dekonstruktionsperspektive eröffnet ein
Verständnis dafür, daß Frauen nicht immer und überall die Geschlechterfrage stellen,

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
38
sondern das Geschlecht nur eine unter mehreren potentiellen Betrachtungsperspektiven
ist (vgl. ebd.).
A.2.4 Geschlecht als Strukturkategorie im Herrschaftszusammenhang
Bei den beiden vorangegangenen Theorien ging es primär um die identitätsstiftende
Kategorie Geschlecht. Bei der Theorie vom Geschlecht als Strukturkategorie geht dar-
um, die Prägung gesellschaftlicher Strukturen und geschlechtsspezifischer Herrschafts-
strukturen zu analysieren. Es wird danach gefragt, ,,wie denn gesellschaftliche Systeme
immer wieder neu die Geschlechterdifferenz produzieren, Schließung und Ausschlie-
ßungsprozesse über die Geschlechtervariable funktionieren und wie die reale Ungleich-
heit und Hierarchie zwischen Männern und Frauen hergestellt wird. Als besonders wirk-
samer Mechanismus erweist sich die Leugnung geschlechtsspezifischer Bezüge"
(Stiegler 1998). Um diesem Mechanismus entgegenzuwirken, arbeiten feministische
Politikwissenschaftlerinnen (vgl. Holland-Cunz 1996) am ,,Nachweis des Androzen-
trismus der geltenden Theorie zu Staat und Politik als auch an der Dechiffrierung staat-
licher Institutionen und Politiken als geschlechtsneutral" (ebd., vgl. Treibel 1994: 144).
Feministische Politiktheorie analysiert staatliche Strukturen und deren Entstehungspro-
zesse, um die geschlechtshierarchische Entwicklung entlang der Geschlechtergrenze,
und anderen Dichotomien, wie Privatheit und Öffentlichkeit, die mit der Konstruktion
der Zweigeschlechtlichkeit korrespondieren, aufzudecken, und die ,,weitere Verge-
schlechtlichung [...] der Gestaltungsergebnisse zu stoppen" (Stiegler 1998).
Zentrale Frage der Theoretikerinnen, die das Geschlecht als Strukturkategorie sehen, ist
nicht, ob es zwei oder mehrere Geschlechter gibt, sondern warum diese Einteilung
wahrgenommen wurde (vgl. Rastetter 1994: 30). Eine Kultur muß ein Interesse und die
Fähigkeit haben, Geschlechtsunterschiede wahrzunehmen, um es tatsächlich zu tun. Bis
dahin gilt: Ist der Mensch erst einmal sehen gemacht für zwei Geschlechter, wird er ihre
Konstruktion nicht mehr sehen. In diesem Zusammenhang wird die grundsätzliche Fra-
ge gestellt, warum es Gegensatzkategorien gibt. Rastetter führt dazu aus, daß sich Inter-
essen an Gegensätzen dingfest machen lassen, daß sich Gegensätze zur Herstellung von
Positionen und Bewertungen eignen, und daß jede Gegensatzkategorie dazu neigt, die
gegensätzlichen Unterschiede hervorzuheben und andere Unterschiede zu verdecken
(vgl. Rastetter 1996: 30). Insbesondere der letzte Punkt läßt sich deutlich in der Diskus-

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
39
sion um die Zweigeschlechtlichkeit wiederfinden. Wenn die Strukturkategorie Ge-
schlecht als existierend angenommen wird, kann nach einer Theorie gefragt werden, die
es ermöglicht, die Differenzen zwischen den Geschlechtern und ebenfalls die Differen-
zen innerhalb der Geschlechter zu erfassen (Brück u.a. 1997: 34). Eine so verstandene
Verwendung der Kategorie Geschlecht dient nicht nur der Herrschafts- und Machtkritik,
sondern auch der ,,Gegenmacht" (Kahlert 1996).
Die Aufklärung über die verschiedenen Formen geschlechtshierarchischen Zusammen-
lebens eröffnet den Weg zum Abbau der Geschlechterhierarchie. Der ausschließliche
Blick auf die Geschlechterhierarchie verstellt die Möglichkeit andere spezifische Unter-
drückungsformen, z.B. über die Kategorien Ethnie, Klasse und Alter wahrzunehmen.
Das heißt, daß die Kategorie Geschlecht nicht geeignet ist, alle Herrschaftsformen zu
begreifen. Entscheidend ist es zu erkennen, daß verschiedene Unterdrückungsformen
miteinander verwoben sind, und diesem Verwobensein bei der Analyse Rechnung zu
tragen ohne die eine oder die andere Kategorie zu vernachlässigen. Diese Komplexität
bedarf ,,einer starken analytischen Kraft" (Stiegler 1998) und erschwert das Beziehen
auf lediglich eine Perspektive, wenngleich die Sicht auf den Kontext im Unterdrük-
kungszusammenhang ein vollständigeres Bild ergibt.
Kritisiert wird der Ansatz, der Geschlecht als Strukturkategorie zur Analyse von Herr-
schaftsverhältnissen nutzt, weil er nie zur Auflösung der Geschlechterkategorien führen
wird, sondern die Geschlechterkategorien noch verfestigt. Dem wird entgegengesetzt,
daß das Wissen um die Geschlechterzuschreibungen dazu benutzt werden kann, diese
Zuschreibungen aufzulösen.
A.2.5 Ein Geschlechterkonzept für die Praxis der Gleichstellungspolitik
In der bisherigen konzeptionellen Diskussion um die Gleichstellung der Geschlechter
wurden die drei beschriebenen Theorien eher als konkurrierende, einander sogar aus-
schließende Orientierungen behandelt (vgl. Knapp , in: Krell 1998: 74). Eine Arbeits-
gruppe an der Universität Hannover, die damit beauftragt ist einen Frauenförderplan zu
entwickeln kommt dagegen, gestützt auf Überlegungen von Regina Becker-Schmidt, zu
dem Ergebnis, daß es sich bei den Geschlechtertheorien nicht nur um einander allenfalls
punktuell ergänzende Aspekte handelt, sondern um Perspektiven, die aufeinander ange-

A.2 Eine geschlechtstheoretische Konzeption für die Gleichstellungspolitik
40
wiesen sind (vgl. Becker-Schmidt 1995, Kommissionsbericht 1994, Knapp 1996). Ich
befürworte ebenfalls einen pragmatischen Umgang mit den Geschlechtertheorien: Jede
Theorie leistet mit unterschiedlichen Aspekten ihren Teil zum jeweiligen Zusammen-
hang.
Gleichstellungspolitik auf der Grundlage differenztheoretischer Ansätze betont die Un-
terschiede zwischen den Geschlechtern und verfolgt eine Politik der Positivierung des
,,Weiblichen". Kritisch werden diese ,,Differenz"-Positionen durch zwei Auswirkungen.
Zum einen wird die häusliche Arbeitsteilung und geschlechtsspezifische Kompetenzen-
verteilung nicht angetastet, sondern im Gegenteil, zementiert. Zum anderen laufen diese
Positionen Gefahr weibliche Eigenschaft zu ,,ikonisieren". Gildemeister und Wetterer
kritisieren, daß der differenztheoretische Ansatz anstatt zu dekonstruieren, naturalisiert,
ontologisiert und biologisiert (Gildemeister/Wetterer 1992: 203 ff., vgl. Hagemann-
White 1988: 228). Wetterer beschreibt die der Differenztheorie innewohnende Logik
folgendermaßen:
,,
Nur was zuvor unterschieden wurde, läßt sich auch in ein hierarchisches Verhältnis setzen. So gesehen
ist die Herstellung der Geschlechterdifferenz eine unabdingbare Voraussetzung für die Herstellung der
Hierarchie zwischen den Geschlechtern. Und aus eben diesem Grund scheint mir das Insistieren auf der
Differenz, die Konstruktion der Differenz in der Frauenforschung selbst und erst recht die Ontologisierung
der Differenz schon im Ansatz kontraproduktiv zu sein: Sie bestätigt gewissermaßen die Bedingung der
Existenz dessen, was sie eigentlich abgeschafft sehen möchte" (Wetterer 1992: 207).
Diesem Dilemma entgegnet Maihofer ein weiterentwickeltes Verständnis von Gleich-
heit, das Verschiedenheit/Andersartigkeit einschließt, als Basis einer Politik der Gleich-
berechtigung (Maihofer 1995: 162ff.). Maihofer belegt anhand des Art. 3 GG und der
Auslegungspraxis, die Existenz eines Gleichheitsverständnisses, dem eine diskriminie-
rende Logik innewohnt (ebd.: 165). Nur was als Gleich anerkannt ist, hat die gleichen
Rechte. In der Anerkennung der Verschiedenheit ist fast zwangsläufig die Begründung
zur Ungleichbehandlung und zur gesellschaftlichen Diskriminierung enthalten. Diese für
Gleichstellungspolitik fatale Logik zwingt Frauen ihr Anderssein zu bestreiten, und sich
nach dem einen Maßstab von Gleichheit, nämlich der männlichen Menschenwürde, der
männlichen Rationalität, der männlichen Moral zu beugen (ebd.: 167). Ein Hinweis auf
die Existenz des einen Maßstabs findet sich in dem Wort Frauenförderung, das sugge-
Zurück

Titel: Organisationsentwicklung und Geschlecht: Organisationsentwicklung als Strategie der Gleichstellungspolitik?
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
book preview page numper 41
286 Seiten
Cookie-Einstellungen