Integration durch Marginalisierung?
Eine empirische Analyse der beruflichen Situation von Richterinnen und Staatsanwältinnen im deutsch-französischen Vergleich
©1999
Magisterarbeit
131 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Gegenstand dieser empirisch-vergleichend angelegten Studie ist die berufliche Situation hochqualifizierter Frauen im Amt der Richterinnen und Staatsanwältinnen in Frankreich und in Deutschland. Wie einschlägige Studien belegen, stieg in Deutschland der Frauenanteil insbesondere in prestigeträchtigen Professionen nicht im Verhältnis zu der kontinuierlich ansteigenden Zahl von Hochschulabsolventinnen in den entsprechenden Fächern. Besonders offenkundig zeigt sich die Unterrepräsentation von Frauen in leitenden Positionen.
Die Justiz als zentrales Organ unserer Demokratie eignet sich aufgrund ihrer hohen Transparenz hervorragend als Untersuchungsobjekt, um horizontale und vertikale Segregationsprozesse nach Geschlecht auf der Ebene von hochqualifizierten Berufen zu beobachten. Mit der amtlichen Statistik stehen hierfür verlässliche Daten zur Verfügung, die es dank ihrer regelmäßigen Veröffentlichung auch erlauben, Aussagen über langfristige Entwicklungen zu treffen. Am Beispiel der juristischen Profession wird der Frage nachgegangen, welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten die Karrieren von Richterinnen und Staatsanwältinnen in zwei Ländern kennzeichnen, die sich hinsichtlich ihres Feminisierungsgrades in der Profession erheblich unterscheiden.
Während in Deutschland trotz gesetzlich verankerter Gleichstellungspolitik im öffentlichen Dienst der Frauenanteil in der Richter- und Staatsanwaltschaft im Erhebungszeitraum gemäß den Angaben des Statistischen Bundesamtes nur rund 26 % betrug, erlangen die französischen Richterinnen und Staatsanwältinnen mit dem Jahrtausendwechsel die Parität. Von dieser Diskrepanz ausgehend, wird in der Arbeit der Frage nachgegangen, welche professionsimmanenten Strukturen und Faktoren die Präsenz von Frauen kennzeichnen und beeinflussen. Unter diesem Gesichtspunkt wurde das zur Verfügung stehende statistische Datenmaterial einer umfangreichen Aufbereitung unterzogen, um es erstmalig einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich zu machen, die den Forschungsstand um eine internationale Vergleichsdimension erweitert.
Der Vergleich der amtlichen Statistiken offenbart, dass in der französischen Justiz trotz der auf den ersten Blick beispielhaft gelungenen Integration von Frauen strukturelle Übereinstimmungen mit den deutschen Verhältnissen bestehen, was die qualitative Integration der Juristinnen anbelangt. Die von Frauen in der Justiz ausgeübten Tätigkeiten weisen auffallend häufig gemeinsame […]
Gegenstand dieser empirisch-vergleichend angelegten Studie ist die berufliche Situation hochqualifizierter Frauen im Amt der Richterinnen und Staatsanwältinnen in Frankreich und in Deutschland. Wie einschlägige Studien belegen, stieg in Deutschland der Frauenanteil insbesondere in prestigeträchtigen Professionen nicht im Verhältnis zu der kontinuierlich ansteigenden Zahl von Hochschulabsolventinnen in den entsprechenden Fächern. Besonders offenkundig zeigt sich die Unterrepräsentation von Frauen in leitenden Positionen.
Die Justiz als zentrales Organ unserer Demokratie eignet sich aufgrund ihrer hohen Transparenz hervorragend als Untersuchungsobjekt, um horizontale und vertikale Segregationsprozesse nach Geschlecht auf der Ebene von hochqualifizierten Berufen zu beobachten. Mit der amtlichen Statistik stehen hierfür verlässliche Daten zur Verfügung, die es dank ihrer regelmäßigen Veröffentlichung auch erlauben, Aussagen über langfristige Entwicklungen zu treffen. Am Beispiel der juristischen Profession wird der Frage nachgegangen, welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten die Karrieren von Richterinnen und Staatsanwältinnen in zwei Ländern kennzeichnen, die sich hinsichtlich ihres Feminisierungsgrades in der Profession erheblich unterscheiden.
Während in Deutschland trotz gesetzlich verankerter Gleichstellungspolitik im öffentlichen Dienst der Frauenanteil in der Richter- und Staatsanwaltschaft im Erhebungszeitraum gemäß den Angaben des Statistischen Bundesamtes nur rund 26 % betrug, erlangen die französischen Richterinnen und Staatsanwältinnen mit dem Jahrtausendwechsel die Parität. Von dieser Diskrepanz ausgehend, wird in der Arbeit der Frage nachgegangen, welche professionsimmanenten Strukturen und Faktoren die Präsenz von Frauen kennzeichnen und beeinflussen. Unter diesem Gesichtspunkt wurde das zur Verfügung stehende statistische Datenmaterial einer umfangreichen Aufbereitung unterzogen, um es erstmalig einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich zu machen, die den Forschungsstand um eine internationale Vergleichsdimension erweitert.
Der Vergleich der amtlichen Statistiken offenbart, dass in der französischen Justiz trotz der auf den ersten Blick beispielhaft gelungenen Integration von Frauen strukturelle Übereinstimmungen mit den deutschen Verhältnissen bestehen, was die qualitative Integration der Juristinnen anbelangt. Die von Frauen in der Justiz ausgeübten Tätigkeiten weisen auffallend häufig gemeinsame […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Hartmann, Andrea: Integration durch Marginalisierung?: Eine empirische Analyse der
beruflichen Situation von Richterinnen und Staatsanwältinnen im deutsch-französischen
Vergleich / Andrea Hartmann - Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 2000
Zugl.: Tübingen, Universität, Magister, 1999
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Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 1999
Printed in Germany
II
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere, daß ich die Arbeit selbständig verfaßt und keine als die
angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Tübingen, den 24.09.1999
III
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung...1
2 Begründungszusammenhang und theoretischer Rahmen ...5
2.1 Methodische Vorgehensweise ...5
2.2 Theoretische Einordnung...6
2.3 Theoretische Begrifflichkeiten...9
2.3.1 Horizontale und vertikale Segregation ...9
2.3.2 Profession und Professionalisierung ...10
2.3.3 Professionalisierung und soziale Schließung ...13
2.3.4 Profession und Geschlecht: die Konstruktion der Geschlechterdifferenz
beim Eintritt der Frauen in die Justiz ...15
2.3.5 Profession, Geschlecht und Prestige ...20
3 Sekundäranalyse ...25
3.1 Ausbildung ...26
3.1.1 Deutschland: Einheitsausbildung ...26
3.1.2 Frankreich: Spezialisierte Ausbildung ...26
3.1.3 Der Rekrutierungsmodus der École Nationale de la Magistrature ...27
3.1.4 Die unterschiedlichen Erfolgsquoten der weiblichen und männlichen
KandidatInnen beim concours der ENM...28
3.1.5 Selektionsmechanismen bei der Eliterekrutierung: ein möglicher
Erklärungsansatz...31
3.2 Entwicklung der Frauenanteile unter den Studierenden im Fach
Rechtswissenschaft im deutsch-französischen Vergleich ...37
3.3 Einkommenssituation in der Juristenschaft ...44
3.4 Frauen in der Rechtsanwaltschaft: Gegenwärtige Arbeitsmarktsituation ...48
3.5 Besonderheiten der juristischen Profession im deutsch-französischen
Vergleich ...51
3.5.1 Staatsanwaltschaft ...52
3.5.2 Richterschaft...53
3.6 Horizontale Segmentation der Richter- und Staatsanwaltschaft ...57
3.6.1 Frankreich...57
3.6.2 Deutschland ...65
IV
3.7 Vertikale Segregation der Richter- und Staatsanwaltschaft nach
Geschlecht ...81
3.7.1 Frankreich...81
3.7.2 Deutschland ...87
4 Zusammenfassung und Schlußbetrachtung ...95
5 Anhang...98
5.1 Prognose der Entwicklung der Frauenanteile in der Richter- und
Staatsanwaltschaft für Frankreich und Baden-Württemberg / Bayern ... 101
5.1.1 Das Modell... 101
5.1.2 Der Algorithmus ... 104
5.1.3 Ergebnis ... 105
6 Literatur ... 108
V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der Richter- und Staatsanwaltschaft in Frankreich
nach Geschlecht 1982-1998 (absolut) ...58
Abbildung 2: Verteilung der Richter- und Staatsanwaltschaft nach Geschlecht
(Frankreich 1998) ...60
Abbildung 3: Frauenanteile der Richter- und Staatsanwaltschaft nach
Tätigkeitsbereichen (Frankreich 1998) ...61
Abbildung 4: Entwicklung der Richter- und Staatsanwaltschaft in Deutschland
nach Geschlecht 1977-1996 (absolut) ...65
Abbildung 5: Entwicklung der Staatsanwaltschaft nach Geschlecht 1977-1996
(Deutschland) ...66
Abbildung 6: Entwicklung der Richterschaft nach Geschlecht 1977-1996
(Deutschland) ...66
Abbildung 7: Verteilung der Richter- und Staatsanwaltschaft nach Altersgruppen
(Baden-Württemberg und Bayern 1999) ...69
Abbildung 8: Verteilung der Richter- und Staatsanwaltschaft nach Altersgruppen
(Frankreich 1998) ...70
Abbildung 9: Verteilung der Richterinnen und Staatsanwältinnen auf die
verschiedenen Altersgruppen (Baden-Württemberg und Bayern 1999)...71
Abbildung 10: Verteilung der Richterinnen und Staatsanwältinnen auf die
verschiedenen Altersgruppen (Frankreich 1998)...72
Abbildung 11: Entwicklung der Frauenanteile in der Richter- und Staats-
anwaltschaft 1977-1996 (Deutschland)...73
Abbildung 12: Frauenanteile der Richterschaft nach Tätigkeitsbereichen
(Deutschland 1985)...76
Abbildung 13: Frauenanteile der Richterschaft nach Tätigkeitsbereichen
(Deutschland 1996)...77
Abbildung 14: Hierarchische Verteilung der Richter- und Staatsanwaltschaft
nach Geschlecht (Frankreich 1998) ...86
Abbildung 15: Entwicklung des Frauenanteils der vorsitzenden RichterInnen und
leitenden StaatsanwältInnen (chef de juridiction) in Frankreich 1986-1998 ...86
Abbildung 16: RichterInnen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Staatsanwält-
Innen nach Geschlecht und Verteilung auf die Ämter (Niedersachsen 1999) .91
Abbildung 17: Alterspyramide der Richter- und Staatsanwaltschaft in
VI
Frankreich (1998) ...99
Abbildung 18: Alterspyramide der Richter- und Staatsanwaltschaft in
Baden-Württemberg und Bayern (01.01.1999)... 100
Abbildung 19: Einstellungsverteilung
G a
g
( )
der Richter- und Staatsanwaltschaft
in Frankreich... 103
Abbildung 20: Einstellungsverteilung
G a
g
( )
der Richter- und Staatsanwaltschaft
in Baden-Württemberg und Bayern ... 103
Abbildung 21: Prognose Frankreich ... 106
Abbildung 22: Prognose Deutschland ... 106
VII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Erfolgsquoten bei der Eingangspüfung nach Geschlecht...29
Tabelle 2: Frauenanteile unter den Studierenden in Frankreich und Deutschland 37
Tabelle 3: Absolventinnen des 2. juristischen Staatsexamens und Richterinnen
auf Probe je Prüfungsjahr ...39
Tabelle 4: Tätigkeitsbereiche der VolljuristInnen (1993) nach Geschlecht
(in Prozent)...42
Tabelle 5: Entwicklung des Frauenanteils in der Richter- und Staatsanwaltschaft
(Frankreich) ...57
Tabelle 6: Frauenanteil unter den BerufsanfängerInnen nach Tätigkeit (1995)...63
Tabelle 7: Richterinnen auf Probe...67
Tabelle 8: Durchschnittliche Frauenanteile in der Richter- und Staatsanwalt-
schaft je Altersgruppe ...71
Tabelle 9: Entwicklung der Richter- und Staatsanwaltschaft nach Geschlecht
1979-1996 (Deutschland) ...73
Tabelle 10: Richterschaft nach Gerichtsbarkeit und Frauenanteil
(Deutschland 1996)...79
Tabelle 11: Richter- und Staatsanwaltschaft nach Hierarchieebenen und
Frauenanteilen (Frankreich 1998) ...82
Tabelle 12: Vorsitzende RichterInnen und leitende StaatsanwältInnen nach
Hierarchieebene und Geschlecht (Frankreich 1998) ...85
Tabelle 13: Länderstatistiken zur Verteilung der RichterInnen und Staats-
anwältInnen nach Geschlecht, Gerichtsbarkeit und hierarchischer Position ...89
Tabelle 14: RichterInnen der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Baden-Württemberg
nach Besoldungsgruppe und Geschlecht (30.06.1998) ...92
Tabelle 15: Mitglieder der Rechtsanwaltskammern nach Fachgebiet und
Geschlecht am 01.01.1998...98
Tabelle 16: Berufssegmente in der Medizin nach Verdienst, Größe und
Männeranteil...98
Tabelle 17: Verzeichnis der verwendeten Größen ... 105
Tabelle 18: Randbedingungen der Prognosen... 105
VIII
Vorwort
Die Idee, eine ländervergleichende Studie zu realisieren, entwickelte sich während
meiner Tätigkeit als hilfswissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Geschlech-
terforschung des Soziologischen Instituts Tübingen. Im Rahmen von Vorberei-
tungen eines DFG Forschungsprojekts zum Themenkreis "Frauen in der
juristischen Profession" besuchte ich im Jahr 1997 in Paris eine Tagung, auf der
Anne Boigeol einen Vortrag zur Situation der Richterinnen und Staatsanwältinnen
in der französischen Justiz hielt.
1
Die Erkenntnisse aus Frankreich erschienen mir
für die hiesige Forschung bereichernd, zumal sich bei allen länderspezifischen
Disparitäten auch zahlreiche Anknüpfungspunkte ausmachen ließen.
Bislang gibt es nur wenige Veröffentlichungen, die sich länderübergreifend mit der
Frage nach den Karrierebedingungen von hochqualifizierten Frauen in professio-
nellen Berufen auseinandersetzen. Ein Grund dafür liegt mit Sicherheit in der
häufig unzureichenden Verfügbarkeit vergleichbaren Datenmaterials, welche eine
systematische Herangehensweise erschwert.
Dennoch habe ich im Vorfeld dieser Arbeit den Aufwand nicht gescheut, die erfor-
derlichen Daten zu beschaffen und in Form von Tabellen und Grafiken zusammen
zu stellen. Da der dafür notwendige, mehrwöchige Aufenthalt in Paris für mich
auch eine erhebliche finanzielle Belastung bedeutete, war ich über die
Teilfinanzierung im Rahmen des "Förderprogramms Frauenforschung Baden-
Württemberg"
2
sehr dankbar. Ferner war von Vorteil, daß ich mit Anne Boigeol
eine Ansprechpartnerin vor Ort hatte, die mir dank ihrer Kontakte zum
französischen Justizministerium bei der Datenrecherche sehr behilflich war.
1
Der Vortrag erschien in: Boigeol, Anne (1997): Les magistrats de l'ordre judiciaire: des
femmes d'autorité, in: Les Cahiers du MAGE 1/1997, S. 25-35.
2
Durch Mittel des Sozialministeriums Baden-Württemberg.
1
1 Einleitung
Das Thema dieser Arbeit ist eine empirisch-deskriptive Bestandsaufnahme der be-
ruflichen Situation examinierter Juristinnen in Deutschland und Frankreich. Wie ich
anhand aktuellen Zahlenmaterials ausführlich darlege, gelang es Frauen bis heute
in deutlich unterschiedlichem Ausmaß, in der juristischen Profession der jeweiligen
Länder Fuß zu fassen.
Während in Frankreich von einer regelrechten Feminisierung
3
gesprochen werden
kann, der von einzelnen Mitgliedern der Profession inzwischen mit Besorgnis be-
gegnet wird, bewegt sich der Prozentsatz von Juristinnen in den klassischen Be-
rufsfeldern in Deutschland trotz staatlicher Frauenfördermaßnahmen immer noch
auf einem vergleichsweise bescheidenen Niveau.
Am Beispiel Frankreichs soll der Frage nachgegangen werden, ob die quantitative
Zunahme der Frauen auch von qualitativen Verbesserungen ihrer beruflichen Si-
tuation begleitet wird. Wie eine Reihe von Arbeiten zeigen, die sich mit dem
Zugang der Frauen in Professionen befaßten, sind Feminisierungsprozesse häufig
von geschlechtsspezifischen Schließungs- und Segmentationsprozessen begleitet,
welche die sozialen Geschlechterordnungen reproduzieren (vgl. Kap. 2.3
Theoretische Begrifflichkeiten).
Daher steht die Frage im Mittelpunkt, in welchem Ausmaß die berufliche
Integration hochqualifizierter Frauen in Professionen noch von
Segregationsprozessen
4
(Ab- und Ausgrenzungsprozessen) begleitet wird: lassen
sich statistische Häufungen von Frauen in Berufskonstellationen ausmachen, die
mit Nachteilen behaftet sind?
So sind in Deutschland beispielsweise in der ordentlichen Gerichtsbarkeit propor-
tional deutlich mehr Frauen beschäftigt als in der Finanzgerichtsbarkeit. Der Län-
dervergleich soll klären, ob sich entsprechende geschlechtstypische
Konstellationen unabhängig vom Ausmaß weiblicher Partizipation beobachten las-
sen.
3
Im Kontext dieser Arbeit wird mit Feminisierung ein Prozeß bezeichnet, bei dem sich,
bezogen auf ein bestimmtes Arbeitsfeld, das quantitative Verhältnis von Frauen zu
Männern zugunsten der Frauen erhöht.
4
Vgl. These von der 'Intergration durch Segregation' Wetterer (1993a), sinngemäß Boigeol
(1995, 1997).
2
Analog dazu soll eine Analyse der hierarchischen Partizipation von examinierten
Juristinnen in den beiden Ländern zeigen, ob die These von der 'Integration durch
Marginalisierung'
5
noch ihre Berechtigung hat, mit anderen Worten: werden Frauen
nach wie vor von Positionen mit Macht und hohem Einkommen ausgegrenzt?
Ziel dieser Arbeit ist ferner, die Erkenntnisse ähnlicher Studien zum Themenspek-
trum 'Profession und Geschlecht' zu diskutieren und um eine internationale Ver-
gleichsdimension zu erweitern - in der Hoffnung, daß
die programmatische
Formulierung eines DFG-Forschungsprojekts zutrifft, laut der "internationale [...]
Vergleiche zur Etablierung von Frauen in hochqualifizierten Berufen, in denen die
Integration von Frauen national sehr unterschiedlich ist, hier äußerst
aufschlußreich sein [dürften]."
6
Die Justiz als zentrales Organ unserer Demokratie eignet sich nicht zuletzt auf-
grund ihrer hohen Transparenz hervorragend als Untersuchungsobjekt, um hori-
zontale und vertikale Segregationsprozesse nach Geschlecht auf der Ebene von
hochqualifizierten Berufen zu beobachten. Mit der amtlichen Statistik stehen
hierfür verläßliche Daten zur Verfügung, die es dank ihrer regelmäßigen
Veröffentlichung auch erlauben, Aussagen über langfristige Entwicklungen zu
treffen. Die ursprüngliche Idee, die berufliche Situation der Frauen hinsichtlich aller
drei "klassischen" Berufsfelder der juristischen Profession zu vergleichen (Richter-,
Staatsanwalt- und Rechtsanwaltschaft), scheiterte an der französischen
Rechtsanwaltschaft, über die nicht genug Informationen zu bekommen war. Indes
gibt es sicherlich selten so detailliert dokumentierte Personalstatistiken wie jene
der Richter- und Staatsanwaltschaft in Frankreich. Die entsprechenden deutschen
Statistiken hinterlassen im Vergleich dazu einen beinahe dürftigen Eindruck. Um
5
Vgl. Wetterer, Angelika (1993a): Formale Öffnung und interne Abgrenzung.
Professionsinterne Segmentierungen und die Marginalisierung von Frauen am Beispiel der
Jurisprudenz, in: Dies.: Professionalisierung und Geschlechterhierarchie: Vom kollektiven
Frauenausschluß zur Integration mit beschränkten Möglichkeiten, Kassel, S. 89-94.
6
Dölling, Irene / Gildemeister, Regine / Krais, Beate / Rudolph, Hedwig / Wetterer, Angelika
(1997): Professionalisierung, Organisation, Geschlecht: Zur Reproduktion und Veränderung
von Geschlechterverhältnissen in Prozessen sozialen Wandels (Antrag an die Deutsche
Forschungsgemeinschaft zur Errichtung eines Forschungsschwerpunktes), Berlin,
Darmstadt, Tübingen, Bochum, S. 18.
Vgl. Studien im deutschsprachigen Raum: u. a. Deutschland: Böge (1994,1995), Hassels /
Hommerich (1993), Mesletzky (1995), Wetterer (1993a, 1993b);
Frankreich: Boigeol (1993, 1995, 1996, 1997); international: Costas (1995, 1997), Le
Feuvre / Walters (1993).
3
dennoch dem Ziel einer umfassenden Gegenüberstellung näherzukommen, greife
ich daher zum Teil auf Personalstatistiken der Länderjustizministerien zurück, die
um einiges ausführlicher erhoben werden.
Die Aufbereitung des statistischen Rohmaterials erforderte zum Teil einen nicht
unerheblichen Aufwand, um sie einer Analyse zugänglich zu machen. So mußten
beispielsweise die Alterstatistiken aufeinander abgestimmt werden, denn sie wer-
den in Deutschland nach Geburtsjahr und in Frankreich nach Alter angegeben.
Ferner habe ich, soweit dies möglich war, eine eigene Statistik aus den Personal-
statistiken der Länderjustizministerien erstellt; ein Beispiel dafür ist die
gemeinsame Alterspyramide der baden-württembergischen und bayerischen
Richter- und Staatsanwaltschaft. Grafiken und Tabellen, die ich selbst
zusammengestellt oder ausgewertet habe, sind mit dem Vermerk "eigene
Zusammenstellung" bzw. "eigene Berechnungen" gekennzeichnet.
Die Arbeit gliedert sich im wesentlichen in zwei Teile. Nach der Einleitung (Kapitel
1) werden in Kapitel 2 zentrale Begriffe geklärt, die für das Verständnis der Arbeit
von Bedeutung sind. Ferner stelle ich theoretische Konzepte vor, die eine Beitrag
zur Analyse der Integration von Frauen in hochqualifizierte Berufe leisten können.
Dabei stütze ich mich insbesondere auf den Ansatz von Angelika Wetterer.
Kapitel 3 bildet den empirisch-deskriptiven Schwerpunkt der Arbeit. Zum einen ver-
suche ich, die Unterschiede der beiden Länder hinsichtlich ihrer Modalitäten und
Rahmenbedingungen bei der Ausbildung und Berufseinmündung heraus zuarbei-
ten. Ferner stelle ich der eigentlichen Analyse geschlechtsbezogener
Segmentation und Segregation in der Richter- und Staatsanwaltschaft eine
Erläuterung der französischen Besonderheiten in Bezug auf das Justizwesen und
die einzelnen Berufen voran (vgl. Kapitel 3.5).
Zum anderen werden in Kapitel 3 alle wichtigen Daten dargestellt, welche die
berufliche Situation der Juristinnen in Frankreich und Deutschland beschreiben.
Hierbei zeige ich Entwicklungen der vergangenen Jahre auf und stelle
Überlegungen über den künftigen Verlauf an.
4
Die Interpretation und Verortung der statistischen Ergebnisse erfolgt fortlaufend
vor dem Hintergrund der zugrunde gelegten Erklärungsansätze sowie den
Erkenntnissen aus ähnlich angelegten Untersuchungen.
7
7
Beispielsweise Mesletzky, Josephine (1995): Geschlechterverhältnisse in der Medizin:
eine Strukturanalyse, ZIF, Kiel.
5
2 Begründungszusammenhang und theoretischer Rahmen
2.1 Methodische Vorgehensweise
Im empirischen Teil meiner Arbeit verwende ich ausschließlich Sekundärdaten, die
durch die amtliche Statistik erhoben wurden.
Im einzelnen handelt es sich dabei um Zahlenmaterial des Statistischen Bundes-
amtes bzw. des Bundesministeriums der Justiz, die mir als Datengrundlage zur Be-
schreibung der horizontalen Segmentation in der deutschen Richter- und
Staatsanwaltschaft dienen. Da die vertikale Segregation mit Hilfe der vom Bundes-
ministerium der Justiz zur Verfügung gestellten Statistiken nicht beschrieben wer-
den kann, greife ich hierbei auf Personalstatistiken der Justizministerien der
Länder zurück.
Für Frankreich stütze ich mich auf die vom dortigen Justizministerium (Ministère
de la Justice) zur Verfügung gestellten Daten. Zusätzliche Informationen entnahm
ich den Veröffentlichungen des Institut National de la Statistique et des Études
Économiques (INSEE), dem französischen Äquivalent zum Statistischen
Bundesamt.
Der Erhebungszeitraum variiert geringfügig aus dem einfachen Grund, daß für
Deutschland nur alle zwei Jahre neue Zahlen veröffentlicht werden (letztmalig zum
31.12.1996). Die von den Justizministerien der Länder bezogenen Personalstatisti-
ken spiegeln dagegen teilweise den Stand von 1999 wider. Da ich auch die Ent-
wicklung der letzten Jahre aufzeige, läßt sich abschätzen, daß die verschiedenen
Erhebungszeitpunkte keinen relevanten Einfluß auf den unterschiedlich hohen Fe-
minisierungsgrad in den betreffenden Berufen der beiden Länder hat.
6
2.2 Theoretische Einordnung
Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Frauen die Ausübung zahlreicher
Berufe in Professionen durch explizite Ausgrenzung vorenthalten wurde, vermoch-
ten sie im Zuge der sukzessiven Öffnung - vor allem in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts - in den Professionen Fuß zu fassen.
Dabei kamen ihnen einige die Integration begünstigende Faktoren zugute: einer-
seits die Bildungsexpansion, die sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die
vormaligen geschlechtstypischen Differenzen im allgemeinen Bildungsniveau na-
hezu nivellierte und andererseits der gestiegene Personalbedarf in den Professio-
nen, welcher mit der Einrichtung neuer Fachgebiete oder neuer Berufszweige
einherging.
Der Zugang von Frauen in hochqualifizierte Berufe wird allerdings, ähnlich wie in
Forschungsbeiträgen zum Zusammenhang von Arbeitsmarkt, Beruf und Ge-
schlecht, durch Prozesse der sozialen Schließung erschwert und von berufsinter-
nen Segmentierungsprozessen begleitet, welche die alten Verfahren des
kollektiven Ausschlusses ablösen.
8
(Vgl. Kap. 2.3.3: Professionalisierung und
soziale Schließung.)
So zeigten einige historisch orientierte Arbeiten, die sich mit dem Zugang der
Frauen zu Professionen befaßten, wie sich über Ausdifferenzierungen bzw. Ab-
grenzungen bestimmte "weibliche" Berufssegmente herausgebildet haben, in de-
nen sie nach wie vor überdurchschnittlich hoch vertreten sind, während sie in
einigen anderen Berufssegmenten nur marginal vertreten sind.
9
Zahlreiche Studien zum Verhältnis von Profession und Geschlecht dokumentieren
darüber hinaus vielfältige Unterschiede der beruflichen Situation von Frauen und
Männern mit vergleichbarer Qualifikation in bezug auf Einkommen, Tätigkeitsberei-
che, hierarchischen Positionen und Beschäftigungsverhältnissen.
10
Was die Juri-
stinnen betrifft, sind beispielsweise relativ viele Richterinnen an Sozialgerichten
und in den Zweigen der ordentlichen Gerichtsbarkeit
11
tätig. Häufig wird in Studien
8
Vgl. u. a. Wetterer (1993a, 1994b).
9
Vgl. Böge (1992), Costas (1995, 1997), Boigeol (1995, 1997).
10
Vgl. Mesletzky (1995), Schultz (1990), Wetterer (1993b), Boigeol (1997), Böge (1995),
Hassels / Hommerich (1993).
11
Zur ordentlichen Gerichtsbarkeit zählen Amts-, Land- und Oberlandesgerichte.
7
darauf hingewiesen, daß es sich bei den Berufssegmenten mit hohem Frauenanteil
gleichzeitig um Gebiete handelt, die innerhalb der Professionen nur ein geringes
Prestige aufweisen; dies trifft beispielsweise für die 'Anästhesie' in der Medizin
zu.
12
Ferner zeigt das hinlänglich bekannte Phänomen der Unterrepräsentation von
Frauen in leitenden Positionen deutlich, daß mit der Abschaffung formaler Aus-
schlußkriterien noch lange keine völlige Integration eingeleitet wurde.
Diesbezüglich konstatierte die Studie von Hassels / Hommerich für die 80er Jahre
zwar eine Verbesserung der beruflichen Einstiegschancen für Frauen in der Justiz,
aber keine Verbesserung der Aufstiegschancen.
13
Die berufliche Situation von hochqualifizierten Frauen kann daher treffend mit den
Worten Angelika Wetterers als "vom kollektiven Frauenausschluß zur Integration
mit beschränkten Möglichkeiten" beschrieben werden.
14
Während früher die allseitige Marginalität von Frauen mit dem Verweis auf deren
geringere Qualifizierung begründet wurde, offenbart sich diese Argumentation als
brüchig, nun da Frauen und Männer annähernd gleiche Qualifikationen aufweisen.
Tatsächlich wird gegenwärtig häufig die unterschiedliche Altersstruktur als Erklä-
rung für die Unterrepräsentation von Frauen in den oberen Rängen der Berufshier-
archie genannt.
15
Vieles deutet jedoch darauf hin, daß die beschriebenen Spezifitäten "weiblicher"
Berufsarbeit Ausdruck von vielschichtigen Schließungsmechanismen sind, welche
einer sozialen Logik gehorchen, die sich nicht auf den ersten Blick zu erkennen
gibt.
In Anlehnung an den sozialkonstruktivistischen Erklärungsansatz nach Wetterer
bestünde deren sozialer Sinn in einer besonderen symbolischen Vermittlung der
12
Vgl. Mesletzky, Josephine (1995): Geschlechterverhältnisse in der Medizin: eine
Strukturanalyse, ZIF, Kiel.
13
Vgl. Hassels, Angela / Hommerich, Christoph (1993): Frauen in der Justiz, Eine
empirische Analyse der Berufssituation, Karriereverläufe und Karrierechancen von
Richterinnen, Staatsanwältinnen und Rechtspflegerinnen, Köln, S. 22 und 245ff.
14
Wetterer, Angelika (1993a): Professionalisierung und Geschlechterhierarchie: Vom
kollektiven Frauenausschluß zur Integration mit beschränkten Möglichkeiten, Kassel.
15
"Wenn heute bei der Besetzung der Beförderstellen Frauen noch nicht entsprechend
ihrem Gesamtanteil berücksichtigt sind, dann liegt das primär an der Altersstruktur der
weiblichen Richterschaft." (Berghofer-Weichner, Mathilde (1998): Frauen in der Justiz, in:
8
Geschlechterdifferenz bzw. -hierarchie.
16
Wetterer versteht die Aufteilung eines
Tätigkeitsfeldes in "weibliche" und "männliche" Segmente als
"ein spezifischer Modus der sozialen Konstruktion von Geschlecht (...). Mit
der 'Geschlechtszugehörigkeit' von Berufen wird ein Stück weit immer auch
die soziale Realität der Geschlechter strukturiert und hergestellt."
17
So betrachtet muß das professionelle Arbeitsfeld als Ort gesehen werden, an dem
die AkteurInnen sich wechselseitig über Tätigkeiten ihrer
Geschlechtszugehörigkeit vergewissern und dabei die (Geschlechter-)
Verhältnisse reproduzieren.
Dies kann auf diskursiver Ebene geschehen, indem betont wird, daß Frauen sich
für diesen Beruf besonders eignen, beispielsweise über Analogiebildungen zwi-
schen Aspekten einer Tätigkeit und bestimmten Aspekten eines
"Geschlechtscharakters".
18
Wetterer bietet mit ihrem Ansatz, der Prozesse der internen Segmentierung von
Professionen mit Prozessen der Konstruktion der Geschlechterdifferenz verknüpft,
ein theoretisches Gerüst, welches sich bei der Analyse der empirischen Daten als
bereichernd erweist. Die bei diesen Prozessen zutage tretenden Segmentierungen
und geschlechtshierarchischen Strukturen gilt es im Rahmen dieser Arbeit zu iden-
tifizieren und in bezug zu den Forschungsansätzen zum Thema Profession und
Geschlecht zu setzten.
In den folgenden Abschnitten werden die für eine Analyse notwendigen zentralen
Begriffe vorgestellt.
Politische Studien Jg. 40/Bd. 303, S. 31.) Zur empirischen Widerlegung der Altersstruktur-
These vgl. Dittrich, Elisabeth (1990): Vorurteile statt Vorteile, in: DRiZ, 2/1990, S. 72-73.
16
Vgl. Wetterer, Angelika (1994b): Professionalisierung, soziale Schließung und
berufsspezifische Konstruktion der Geschlechterdifferenz, in: Stein, Ruth Heidi / Wetterer,
Angelika (Hg.): Studierende und studierte Frauen: Ein ost-west-deutscher Vergleich,
Kassel, S. 21-46, zusammenfassend: Wetterer, Angelika (1995): Die soziale Konstruktion
von Geschlecht in Professionalisierungsprozessen: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Die soziale
Konstruktion von Geschlecht in Professionalisierungsprozessen, Frankfurt/M., S. 11-27.
17
Wetterer (1994b), S. 29f.
18
Vgl. Gildemeister, Regine / Wetterer, Angelika (1992): Wie Geschlechter gemacht
werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der
Frauenforschung, in: Knapp, Gudrun-Axeli / Wetterer, Angelika (Hg.): TraditionenBrüche,
Entwicklung feministischer Theorie, Freiburg, S. 201-254.
9
2.3 Theoretische Begrifflichkeiten
2.3.1 Horizontale und vertikale Segregation
Die angesprochene Verteilung von Tätigkeitsbereichen nach Geschlecht wird auch
geschlechtsspezifische Segregation genannt. Es werden in der Soziologie zwei
Arten der geschlechtsspezifischen Segregation unterschieden, die vertikale und
die horizontale. Von letzterer wird gesprochen, wenn Frauen und Männer in unter-
schiedlichen Tätigkeitsbereichen bzw. Berufssegmenten der gleichen hierarchi-
schen Ebene arbeiten, so daß diese männlich bzw. weiblich konnotiert sind.
Vertikale Segregation liegt dagegen vor, wenn ein Geschlecht die hierarchisch hö-
hergestellten Positionen dominiert - unabhängig davon, ob es sich um ein
"weibliches" oder "männliches" Berufssegment handelt.
19
Als Indikator für
Segregation gilt im allgemeinen die Unterschreitung einer Grenze von 30 % eines
Geschlechtsanteils.
Der so verwendete Begriff der geschlechtsspezifischen Segregation entstand vor
dem Hintergrund der Theorien von der sozialen Schließung, welche u. a. Abgren-
zungsprozesse in Beschäftigungsfeldern und Professionalisierungsprozessen
thematisieren.
20
Ferner sollte die Unterscheidung von horizontaler und vertikaler
geschlechtsspezifischer Segregation nicht darüber hinweg täuschen, daß es sich
dabei zum Teil um einen fließenden Übergang handelt. Horizontale Abgrenzungen
werden häufig von vertikalen überlagert, oder eine geschlechtsspezifische
Trennlinie kann ihre horizontale Dimension "verlieren" und zu einer vertikalen
Segregation des Arbeitsbereiches innerhalb eines oder zwischen zwei Berufen
werden.
21
Mit anderen Worten können auch horizontale, professionsinterne
geschlechtsspezifische Segmentierungen eine hierarchische Dimension aufweisen.
19
Vgl. Mesletzky, Josephine (1995): Geschlechterverhältnisse in der Medizin, eine
Strukturanalyse, Abschlußbericht des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel, S. 29.
20
Vgl. Kapitel 2.3.3: Professionalisierung und soziale Schließung sowie Herleitung des
Begriffs in Wetterer (1993a): Professionalisierung und soziale Schließung, in: Dies. (Hg.):
Professionalisierung und Geschlechterhierarchie, Kassel, S. 35-40.
21
Vgl. Wetterer (1993a): Professionalisierung und Geschlechterhierarchie: Vom kollektiven
Frauenausschluß zur Integration mit beschränkten Möglichkeiten, Kassel, S. 38 sowie
Böge, Sibylle (1995): Geschlecht, Prestige und "horizontale" Segmentierungen in der
10
2.3.2 Profession und Professionalisierung
Böge schließt ihre Abhandlung zum Thema "Theorie der Professionen" mit dem
Kommentar ab, daß "ein ungelöstes Problem der Professionsforschung [...] die De-
finition des Professions-Begriffs [sei]."
22
In der Tat unterscheidet sich das
Verständnis von Profession und professioneller Tätigkeit in der Forschungsliteratur
je nachdem, ob handlungstheoretische oder funktionalistische Gesichtspunkte im
Vordergrund stehen. Aus pragmatischen Gründen steht bei meiner Arbeit der funk-
tionalistische Aspekt im Vordergrund. Zunächst verweise ich daher auf die merk-
malsorientierte Definition von Profession im Lexikon zur Soziologie:
"Ein für die Gesellschaft relevanter Dienstleistungsberuf mit hohem Prestige
und Einkommen, der hochgradig spezialisiertes und systematisiertes, nur
im Laufe langer Ausbildung erwerbbares technisches und / oder
institutionelles Wissen relativ autonom und kollektivitätsorientiert anwendet
(z.B. Arzt, Richter)."
23
Dieses Verständnis von Profession liegt im Wesentlichen auch der von mir
verwendeten Literatur zugrunde.
24
Ergänzend seien noch weitere Kriterien
genannt, die Conze / Kocka in ihrer Einleitung zum Band "Bildungssystem und
Professionalisierung in internationalen Vergleichen"
25
anführen (Hervorhebung
durch mich): So handelt es sich bei Professionen um Berufe, mit einem hohen
juristischen Profession, in: Wetterer, Angelika (Hg.): Die soziale Konstruktion von
Geschlecht in Professionalisierungsprozessen, Frankfurt/M., S. 139.
22
Böge, Sibylle (1992): Weibliche Juristen? Eine historisch-soziologische Analyse des
Zugangs von Frauen zu juristischen Professionen, Kassel (unv. Magisterarbeit), S. 28, vgl.
auch Allert, Tilman (1998): Die Professionen in der Umbruchsituation der Arbeitswelt, in:
Supervision Heft 33/1998, S. 41.
23
Fuchs, W. / Klima, R. / Lautmann, R. / Rammstedt, O. / Wienold, H. (Hg.) (1988):
Lexikon zur Soziologie, 2. verb. u. erw. Aufl. 1988, Opladen.
24
Vgl. Def. Professionen bei Wetterer: "akademische Expertenberufe im tertiären Sektor,
die über ein Monopol beim Angebot bestimmter akademischer Dienstleistungen verfügen"
(Wetterer (1995), S.15) sowie eine Definition aus dem französischsprachigen Raum: "Le
terme 'professions' désignera tout au long du présent article celles qui ont un statut
professionnel légalement reconnu, qui sont organisées sur mode corporatif et bénéficent
d'un monopole de pratique ou à tout le moins, d'un titre réservé." (Collin, Johanne (1992):
Les femmes dans la profession pharmaceutique au Québec: rupture ou continuité?, in:
Recherches Féministes, Jg. 5/ Nr. 2, S. 31.) Costas verweist auf den von Conze / Kocka
(1985) verwendeten Professionsbegriff (vgl. Costas (1997), S. 24.)
25
Vgl. Conze, Werner / Kocka, Jürgen (Hg.) (1985): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert.
Teil I: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart, S.
18f.
11
Maß an Selbstorganisation. Ihr Zugang erschließt sich in der Regel über eine
akademische
Ausbildung. Professionsangehörige beanspruchen das Monopol
beim Angebot der von ihnen erbrachten Leistungen, wobei sie in der Regel auf
staatliche Unterstützung bei dessen Durchsetzung angewiesen sind. Ferner
fordern die "Angehörigen professioneller Berufe ein hohes Maß an Freiheit von
Fremdkontrollen durch Laien [...] und bieten, gewissermaßen zum Ausgleich,
bestimmte Formen der kollektiven [...] Selbstkontrolle an"
26
, etwa was die
Ausübung des Berufes, Fachwissen und die Zugangsvoraussetzungen anbetrifft.
Mitglieder dieser Berufe genießen neben hohem Ansehen auch Macht und Einfluß.
Die angesprochenen Merkmale von Professionen treffen sowohl in Frankreich als
auch in Deutschland uneingeschränkt auf die Berufe RichterIn, StaatsanwältIn und
RechtsanwältIn zu, weshalb sie im Rahmen dieser Arbeit auch als Angehörige
einer Profession bezeichnet werden.
27
Conze / Kocka verstehen ferner unter Professionalisierung
28
"den vielfältigen Pro-
zeß, durch den sich ein Beruf allmählich zur 'Profession' verwandelt, teilweise als
Umformung eines vorher bereits bestehenden Bildungsberufes (so Pfarrer, Berufe
mit juristischer Vorbildung, Ärzte), teilweise neu [
...
], teilweise durch Überformung
bis dahin anders wahrgenommener Berufstätigkeiten durch Hinzufügung spezifisch
professioneller Dimensionen [...]".
29
Professionalisierungsprozesse sind für die Forschung unter mehreren Gesichts-
punkten von Interesse.
26
Conze / Kocka (1985), S. 18f.
27
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß der Hinweis von Böge seine Berechtigung
hat, daß in der Forschungsliteratur abwechselnd die gesamte Juristenschaft oder
Anwaltschaft oder Richterschaft unreflektiert als Profession bezeichnet werde. Es sei
sinnvoller, bei freiberuflichen und verbeamteten von verschiedenen Professionen
auszugehen. Auf der anderen Seite weisen diese Berufe aber zahlreiche Gemeinsamkeiten
beispielsweise im Hinblick auf geschlechtsspezfische Segmentationen auf, weshalb ich
eine zusätzliche Unterscheidung für meine Belange als nicht zwingend notwendig erachte.
(Vgl. Böge (1992), S. 29.)
28
Vgl. Eintrag im Lexikon zur Soziologie unter dem Stichwort Professionalisierung:
"Spezialisierung und Verwissenschaftlichung von Berufspositionen auf Grund gestiegener
Anforderungen an das für die Berufsausübung erforderliche Fachwissen, verbunden mit
einer Höherqualifizierung der Berufsausbildung, der Einrichtung formalisierter
Studiengänge, einer Kontrolle der Berufsqualifikation und des Berufszuganges durch
Fachprüfungen, der Organisation der Berufsangehörigen in besonderen Berufsverbänden,
der Kodifizierung berufsethischer Normen, der Zunahme universeller Leistungsorientierung
und beruflicher Autonomie sowie einer Steigerung von Berufsprestige und -einkommen"
(Fuchs, W. / Klima, R. / Lautmann, R. / Rammstedt, O. / Wienold, H. (Hg.) (1988): Lexikon
zur Soziologie, 2. verb. u. erw. Aufl., Opladen.)
12
Ihren Stellenwert als sozial exklusive Elite verdanken sie zahlreichen Prozessen
der sozialen Schließung, welche sich beispielsweise bei Auseinandersetzungen mit
konkurrierenden Berufen beobachten lassen, etwa wenn es bei ÄrztInnen darum
geht, Angehörige anderer Heilberufe als "unseriös" oder gar als "Kurpfuscher" zu
degradieren.
Ferner kann man Professionalisierungsprozesse aus konflikt- und machttheoreti-
scher Perspektive als Aushandlungsprozesse verstehen, die gegenüber dem Staat
und anderen Berufsgruppen ihre Standards und monopolistischen Ansprüche
durchzusetzen versuchen.
Während die klassischen Ansätze der Professionsforschung
30
eine Profession als
eine homogene Gruppe betrachten und daher Interessendivergenzen innerhalb der
Profession vernachlässigen, vermögen interaktionstheoretische Ansätze ihr
Augenmerk besser auf Auseinandersetzungen innerhalb der Profession zu richten.
Dies erlaubt, Ausgrenzungsstrategien offenzulegen, die zu Tage treten, wenn
professionsinterne Segmente um Macht und Einfluß ringen, seien es etwa in
Berufsverbänden oder in der Berücksichtigung von Fachgebieten in der
Ausbildung.
31
Wetterer betont die Relevanz dieses Ansatzes für das Verhältnis von
Profession und Geschlecht, da dieser die Aufmerksamkeit auf Prozesse der
professionsinternen Hierarchisierung und Segmentierung lenke.
32
Des weiteren sind Professionalisierungsstrategien im Hinblick auf deren Auswir-
kungen auf die Reproduktion sozialer Ungleichheit von Bedeutung. Insbesondere
die Konzepte zur sozialen Schließung gewähren über diese Praktiken Aufschluß
(vgl. nachfolgenden Abschnitt). Da sich Ausschließungsregelungen sowohl in der
Vergangenheit als auch in der Gegenwart in hohem Maße negativ auf die Beteili-
gung von Frauen ausgewirkt haben, erweisen sich diese Ansätze als sehr
produktiv für die Analyse von sozialer Ungleichheit und Geschlecht.
33
29
Conze / Kocka (1985), S. 19.
30
Vgl. kritische Zusammenfassung über die einzelnen Richtungen in der
Professionsforschung unter Bezugnahme auf die Kategorie Geschlecht in: Wetterer
(1993a), S. 17-47.
31
Vgl. Wetterer (1993a), S. 34f.
32
Vgl. Wetterer (1993a), S. 34.
33
Vgl. u.a. Kreckels Konzept von der doppelten Vergesellschaftung als Verknüpfung von
Theorien des segmentierten Arbeitsmarktes und der Schichtungsforschung (Kreckel
(1993), und Cyba (1993, 1998), sowie Witz (1992).
13
2.3.3 Professionalisierung und soziale Schließung
Der Begriff der sozialen Schließung geht auf Max Weber
34
zurück und findet heute
u. a. Anwendung in der Erforschung von (geschlechtsbezogener) Ungleichheit am
Arbeitsmarkt.
Die klassischen Ansätze gehen von geschlechtsindifferenten Strukturen des
Arbeitsmarktes aus. Arbeitsmarktverhältnisse entstehen infolge von Machtgefällen;
über bestimmte Leistungsqualifikationen werden Erwerbschancen verteilt, die sich
in einer vertikal und horizontal segmentierten Arbeitsmarktstruktur niederschlagen.
Diese Ansätze vernachlässigen allerdings systematisch die geschlechtstypischen
Auswirkungen struktureller Gegebenheiten: "Nicht die Geschlechtszugehörigkeit,
sondern allein der Besitz oder Nichtbesitz von strategisch einsetzbarer Leistungs-
qualifikation entscheidet in diesem abstrakten Arbeitsmarktmodell über die Er-
werbschancen und den beruflichen Status von Individuen."
35
Neuere Überlegungen
zu einer Theorie geschlechtsbezogener Ungleichheiten postulieren dagegen eine
chancendeterminierende Wirksamkeit von Geschlecht.
36
Das Beispiel der sogenannten "Zölibatsklauseln" in der Weimarer Verfassung
zeigt, daß unabhängig von der Erfüllung einer formalen Leistungsanforderung die
Geschlechtszugehörigkeit über die Berufsausübung entschied: sie ermöglichten
eine Kündigung des Dienstverhältnisses aller Beamtinnen - auch der
"lebenslänglich" angestellten - nach der Eheschließung.
37
Verheiratete Beamtinnen
waren also zu jedem Zeitpunkt von einem Ausschluß aus dem Beamtentum
bedroht. Hierbei handelt es sich um den Begriff der sozialen Schließung, wie ihn
Eva Cyba zur Analyse geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegregation
verwendet:
"Der Begriff der sozialen Schließung bezieht sich auf Situationen, in denen
soziale Ungleichheiten produziert oder fortgeschrieben werden, wobei ein-
34
Weber, Max (1967): Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß einer verstehenden
Soziologie, Tübingen.
35
Kreckel, Reinhard (1993): Doppelte Vergesellschaftung und geschlechtsspezifische
Arbeitsmarktstrukturierung, in: Frerichs, Petra / Steinrücke, Margareta (Hg.): Soziale
Ungleichheit und Geschlechterverhältnisse, Opladen; S. 52.
36
Vgl. Cyba, Eva (1993): Überlegungen zu einer Theorie sozialer Ungleichheit, in: Frerichs,
Petra / Steinrücke, Margareta (Hg.): Soziale Ungleichheit und Geschlechterverhältnisse, S.
33-49.
37
Deutscher Juristinnenbund (Hg.) (1998): Juristinnen in Deutschland, Die Zeit von 1900
bis 1998, 3. neubearb. Aufl., Baden-Baden, S. 23.
14
zelne Personen, vor allem aber soziale Gruppen von der Teilnahme an so-
zialen Lebenschancen, vom Zugang zu sozialen Gütern ausgeschlossen
werden. Um von einem Schließungsprozeß sprechen zu können, müssen
folgende Bedingungen geben sein: eine asymmetrische Ressourcenvertei-
lung (Macht) zwischen Gruppen, eine Konkurrenzsituation um knappe oder
als knapp vorgestellte / gehaltene Güter und die jeweiligen Ressourcen der
Ausgeschlossenen."
38
Zugleich wird die Entstehung sozialer Ungleichheit mittels sozialer Schließung
oder Segregation von gesellschaftlichen Gleichheits- und
Gerechtigkeitsvorstellungen gestützt, die den sozial Benachteiligten ein
individuelles Versagen suggerieren.
Aus den genannten Bedingungen wird ersichtlich, daß soziale Schließung auch bei
Professionen im engeren Sinne praktiziert wird, beispielsweise um sich gegen kon-
kurrierende Gruppen durchzusetzen: insbesondere Professionalisierungsmaßnah-
men leiten in aller Regel soziale Schließungsprozesse ein.
Ein klassisches Beispiel für eine im Zuge der Professionalisierung vollzogene so-
ziale Schließung gilt die Etablierung von akademischer Ausbildung als Zugangs-
bzw. Ausschlußkriterium für bestimmte Berufe, welche an die Stelle der
"Vererbung" unter privilegierten Familien des Adels und Großbürgertums getreten
ist.
Wie Bourdieu dabei am Beispiel Frankreichs zu zeigen vermochte, vermittelt das
Bildungswesen nur die Illusion einer Chancengleichheit.
39
Vielmehr fällt ihm eine
wichtige Funktion bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit zu.
Bessere Chancen bringen jene mit, die mit dem entscheidenden "kulturellen Kapi-
tal" ausgestattet sind; dazu zählen neben bestimmter Bildung langfristig
angeeignete Formen der Wahrnehmung, Äußerung und der Urteilskraft
(Geschmack). Nicht zufällig dominieren die Angehörigen ehemalig privilegierter
Schichten auch die neue "Bildungselite", denn sie sind maßgeblich an der Etablie-
rung ihrer Standards und Zugangskriterien beteiligt. Das Bildungssystem kann so
als Selektionsinstanz angesehen werden, das die Selbstrekrutierung einer mit so-
zialem und kulturellem Kapital besser ausgestatteten gesellschaftlichen Elite weit-
38
Cyba, Eva (1998): Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation: Von den Theorien
des Arbeitsmarktes zur Analyse sozialer Ungleichheiten am Arbeitsmarkt, in: Geissler,
Birgit (Hg.): FrauenArbeitsmarkt: der Beitrag der Frauenforschung zur sozio-ökonomischen
Theorieentwicklung, Berlin, S. 53.
15
gehend sicherstellt.
In Kapitel 3.1.5 komme ich in diesem
Kontext auf Bourdieus
Konzept des "Habitus" zu sprechen, dessen bisher erst wenig rezipierte ge-
schlechtsbezogene Dimension als Erklärungsansatz dienen kann.
Frauen blieb zunächst der Erwerb von akademischen Abschlüssen und damit der
Zugang in die exklusiven Berufsgruppen verwehrt, so daß sie kollektiv von den
Folgen dieser Professionalisierungsstrategie betroffen waren.
Eine zentrale These besagt nun, daß sich mit der Abschaffung dieser Beschrän-
kung die sozialen Schließungsmechanismen in die Professionen hinein verlagert
haben.
40
Diese kommen dann in Gestalt der bereits angesprochenen geschlechtsspezifi-
schen Segmentations- und Segregationsprozesse zu tragen.
Die Ausgrenzung des weiblichen Geschlechts hat dadurch weitaus subtilere For-
men angenommen.
So gibt Wetterer zu bedenken, daß "die Hürden, an denen die Integration von
Frauen in hochqualifizierte und andere Berufe bislang gescheitert sind,
[
...] nicht
auf der Ebene von Qualifizierungsprozessen zu suchen [sind], sondern beim
Übergang vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem."
41
2.3.4 Profession und Geschlecht: die Konstruktion der Geschlechterdiffe-
renz beim Eintritt der Frauen in die Justiz
Gemäß der These von Gayle Rubin sind Männer und Frauen bei ihrem Handeln
einem "sameness taboo" ausgesetzt, welches "aus Angst vor geschlechtlichen
Grenzverwischungen" dafür sorgt, daß ihr Handeln sich voneinander unterschei-
39
Vgl. Bourdieu, Pierre / Passeron, Jean-Claude (1971): Die Illusion der
Chancengleichheit: Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel
Frankreichs, Stuttgart.
40
Vgl. Witz, Anne (1992): Professions and Patriarchy, London/ New York, S. 25ff. und
Wetterer, Angelika (1993): Die Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit: Soziale Schließung
und diskursive Konstruktion der Geschlechterdifferenz, in: Wetterer (1993a), S. 52-59.
41
Wetterer, Angelika (1994a): Rhetorische Präsenz - faktische Marginalität. Zur Situation
von Wissenschaftlerinnen in Zeiten der Frauenförderung, in: Zeitschrift für
Frauenforschung, 12/H. 1+2, S. 102.
16
det.
42
Im Arbeitsleben äußert sich dies entweder in der Trennung von sogenannten
"Frauenberufen" und "Männerberufen" oder, wo diese Trennung nicht mehr
möglich ist, weil Frauen und Männer die gleiche Tätigkeit verrichten, über
symbolische oder räumliche Markierungen, welche die Differenz neu umsetzen.
Beispiele dafür sind räumlich getrennte Arbeitsplätze, unterschiedliche technische
Ausrüstung, geschlechtsdifferente Bezeichnungen und Kleidungsvorschriften.
43
Insbesondere rief der Eintritt von Frauen in ehemals männliche "Territorien" bei
den Männern Reaktionen der Ab- und Ausgrenzung hervor.
Diese Grenzziehungsmaßnahmen haben zwei Funktionen. Zum einen sind Abgren-
zungen identitätsstiftend, zum anderen ist Differenzierung der erste Schritt zur
Hierarchisierung, da über Differenzierungen unterschiedliche Bewertungen ermög-
licht werden bzw. mit ihnen einher gehen. Insofern stellt Differenzierung eine not-
wendige Grundvoraussetzung zur Reproduktion der Geschlechterhierarchie dar.
Beide Funktionen kommen im beruflichen Alltag zum Tragen. Am Beispiel der Öff-
nung der Richter- und Staatsanwaltschaft für Frauen in Frankreich werde ich nun
Prozesse der Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit sowie die damit einher ge-
hende Hierarchisierung unter Rekurs auf Angelika Wetterer
entwickeln und erläu-
tern.
Vor dem Eintritt der Frauen 1946 waren die Berufe Richter und Staatsanwalt reine
Männerdomänen, deren berufliche Anforderungen sich mit den damaligen Männ-
lichkeitsattributen deckten: Durchsetzungsfähigkeit, Strenge, Rationalität,
Unparteilichkeit, Autorität.
Nachdem Frauen schon im Jahre 1900 Zugang in die französische Anwaltschaft
erlangt hatten, lancierten insbesondere Anwälte, die auch Abgeordnete im Parla-
ment waren, von Zeit zu Zeit Gesetzesinitiativen, welche die Zulassung der Frauen
in die Richter- und Staatsanwaltschaft zum Ziel hatten; so geschehen 1930, 1932
und 1937.
42
Vgl. Heintz, Bettina (Hg.) et al. (1997): Ungleich unter Gleichen: Studien zur
geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes, Frankfurt/M., S. 36. darin
Verweis auf Rubin, Gayle (1975): The Traffic in Women, Notes on the 'Political Economy' of
Sex, in: Reiter, Rayna R. (Hg.): Toward an Anthopology of Women, New York / London, S.
178.
43
Vgl. Maruani, Margaret (1997): Die gewöhnliche Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt,
in: Dölling, Irene / Krais, Beate (Hg.) (1997): Ein alltägliches Spiel,
Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Frankfurt/M., S. 48-72, sowie Heintz,
Bettina (1997).
17
Innerhalb der Richter- und Staatsanwaltschaft stießen solche Vorhaben auf wenig
Gegenliebe. In der ersten offiziellen Stellungnahme des Justizministeriums wurde
die ablehnende Haltung zunächst mit dem Argument begründet, daß für die Aus-
übung der Ämter nur Personen in Frage kämen, die auch über sämtliche politi-
schen Rechte verfügten, welche den Frauen zum damaligen Zeitpunkt aber
vorenthalten waren.
44
Hinter der formaljuristischen Position verbargen sich allerdings noch tiefer sitzende
Ängste, welche die Vergeschlechtlichung der Berufe enthüllen:
Die Gegner befürchteten katastrophale Folgen für die Institution und Profession.
Es wurden Szenarien heraufbeschworen, in denen die öffentliche Ordnung bedroht
und die Bevölkerung verunsichert werde. Die Präsenz von Frauen unter den Rich-
tern wäre ein Schock für die zu Verurteilenden und verwirre die Sinne der männli-
chen Bediensteten im Gerichtssaal.
45
Die richterlichen Werte der Strenge, Unparteilichkeit, Rationalität und Autorität
waren so eng mit dem männlichen Geschlecht verknüpft, daß die Identität der
Profession und der Männer auf dem Spiel stand, sollten Frauen, denen man
Gefühl, Zerbrechlichkeit, Schwäche und Verführung zuschrieb, auch in der Lage
sein, den Beruf auszuüben:
"Faire entrer la femme dans le prétoire c'est ensuite mettre en danger la ju-
stice et ses agents. Avec les femme, ce sont tous les attributs associés au
sexe que l'on qualifie de 'faible' qui investissent le lieu: sentiment, fragilité,
faiblesse et... séduction, qui s'opposent à tout ce qui constitue les attributs
du magistrat, rigeur, impartialité, rationalité, autorité... Non seulement les
femmes n'ont pas les qualités nécessaires de raisonnement, de logique, de
mise en oeuvre des connaissances juridiques, mais leur présence risque de
perturber le cours de la justice, de troubler l'ordre du prétoire, c'est à dire
de troubler les hommes du prétoire."
46
Also wurde bis zu dem Zeitpunkt, als der Zutritt der Frauen in die Justizämter
durch eine Gesetzesvorlage 1945 unmittelbar bevorstand, die Strategie verfolgt,
den Frauen wegen ihrer "anders gelagerten Begabungen und dem Fehlen von
Urteilskraft und Logik" die Eignung für den Beruf abzusprechen.
47
44
Vgl. Boigeol, Anne (1996): Les femmes et les cours. La difficile mise en oeuvre de
l'égalité des sexes dans l'accès à la magistrature, in: Genèses 22, S.110f.
45
Boigeol, Anne (1996): Les femmes et les cours. La difficile mise en oeuvre de l'égalité
des sexes dans l'accès à la magistrature, in: Genèses 22, S.111f.
46
Boigeol (1996), S. 111.
47
Boigeol (1996), S.111f.
18
Die Zulassung der Frauen wurde durch einige Umstände begünstigt: einerseits
stieg der politische Druck, nachdem den Französinnen seit 1944 auch das aktive
und passive Wahlrecht zustand. Zum anderen war das Justizministerium zum da-
maligen Zeitpunkt mit Engpässen in der Personalrekrutierung konfrontiert.
Das war der Zeitpunkt, als in Frankreich die formale Ausgrenzung der Frauen von
internen Prozessen der (Aus-) Differenzierung abgelöst wurde.
Das Amt des Jugendrichters (juge des enfants), das zu jener Zeit als neuer
Gerichtszweig eingeführt worden war, schien wie geschaffen für die weibliche
Kompetenz: vereinfachte Rechtsprechung, fehlende Tradition und Familiennähe.
Daher lag es nahe, das männlich konnotierte Ansehen des Berufstandes zu retten,
indem man bestimmte Berufssegmente den Frauen opferte. Hier zeigen sich im
übrigen augenfällige Parallelen zu den von Böge
48
beschriebenen Debatten um die
Zulassung der Frauen in die Justizämter in Deutschland.
Im Zuge des Prozesses interner Segmentierung und Segregation werden also ge-
mäß dem Grundsatz, daß die Tätigkeitsbereiche unterschiedlich in Erscheinung
treten müssen, Analogiebildungen zwischen der neu entstandenen Tätigkeit und
Tätigkeiten, die das Geschlecht "schon immer übernommen hat", aufgestellt.
49
Tatsächlich wurde der Versuch unternommen, den bevorstehenden Zustrom von
Frauen in bestimmte Bahnen zu lenken. Neben der besonderen Eignung der
Frauen für die Jugendgerichtsbarkeit wurde insbesondere auch der Vorschlag im
Parlament diskutiert, Frauen nur für das Amt der Jugendrichterin und des Kassati-
onsgerichts
50
(cour de cassation) zuzulassen. Letzteres zeichne sich durch eine
"sphère de droit pur et abstrait" aus.
51
48
Vgl. Böge (1992, 1994).
49
Vgl. Wetterer, Angelika (1995b): Dekonstruktion und Alltagshandeln, Die (möglichen)
Grenzen der Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit, in: Dies. (Hg.): Die soziale
Konstruktion von Geschlecht in Professionalisierungsprozessen, Frankfurt/M., S. 228-233.
50
Der Kassationsgerichtshof, der seinen Sitz in Paris hat, ist die oberste Instanz der Justiz
sowohl in Straf- als auch in Zivilsachen. Er hebt bisherige Urteile auf, wenn durch sie
formelles Recht verletzt wurde, er nimmt nicht zur Sache Stellung, sondern nur zur
jeweiligen gerichtlichen Entscheidung hierüber.
51
Sinngemäße Übersetzung von mir: "ein Bereich, der sich durch 'reines/klares' und
abstraktes Recht" auszeichnet, in: Boigeol, Anne (1996): Les femmes et les cours. La
difficile mise en oeuvre de l'égalité des sexes dans l'accès à la magistrature, in: Genèses
22, S. 114, darin enthalten Auszüge aus: Débats parlementaieres, Assemblée consultative
provisoire, séance du 12 juin 1945, S. 1094.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 1999
- ISBN (eBook)
- 9783832421854
- ISBN (Paperback)
- 9783838621852
- Dateigröße
- 672 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Eberhard-Karls-Universität Tübingen – Unbekannt, Soziologie
- Note
- 1,0
- Schlagworte
- justiz frankreich frauen international profession
- Produktsicherheit
- Diplom.de