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Vergleich des Interpretationskonstruktionismus mit dem teleologisch-semantischen Funktionalismus nach Millikan unter Berücksichtigung bewußtseinstheoretischer Erkenntnisse

©1998 Magisterarbeit 142 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In der Debatte um das menschliche Denken und Handeln, um mentale Modelle, Bewusstsein und Bewusstseinsinhalte sind einige der grundlegenden Fragen, wie und auf welche (physiologische) Art Gedanken entstehen, wie sie realisiert werden, wie sie sich auf menschliches Handeln auswirken und in welchem Maße Gedanken Dynamik statisch oder dynamisch sind. Von großer Bedeutung ist, welche Rolle Sprach in diesen Prozessen einnimmt und wie Sprache im Gehirn abläuft.
Ein zentrales Thema sind dabei sogenannte mentale Repräsentationen, also Wünsche, Meinungen, Überzeugungen etc.
Die Frage, der die Autorin nachgeht, ist die, wie diese mentalen Repräsentationen naturwissenschaftlich, aber auch philosophisch betrachtet, entstehen, wie sie zu Handlungen werden und wie ihre Wirkung nachgewiesen kann.
Untersuchungsgegenstand ist in diesem Zusammenhang auch die sogenannte „semantische Lücke“, die Kluft zwischen gedanklich Gemeintem und sprachlich Geäußertem sowie die Entstehung von sogenannten Fehlrepräsentationen, also von Begriffen, die es in der Realität nicht gibt wie z. B. Einhörnern.
Dabei werden vor allem zwei neuere Ansätze der Kognitionswissenschaft, nämlich der teleologische Funktionalismus und der Interpretationskonstruktionismus zur Erklärung herangezogen, da diese Ansätze weitläufige Möglichkeiten der Erklärung dieser Phänomene zulassen.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung2
1.1Abgrenzung und Zielsetzung3
1.2Aufbau der Arbeit5
1.3Textgrundlagen6
2.Grundlagen des Bewußtseins7
2.1Einleitung7
2.2Die Kognitionsleistung des Menschen im Kontext mit seiner Lernfähigkeit7
2.2.1Das Gedächtnis als Grundlage der Kognition und des Lernens9
2.2.2Die Prägung des menschlichen Lernens durch die Übernahme von Bewertungen und durch frühkindliche Erfahrungen11
2.2.2.1Lust und Schmerz als Beispiele eines kulturell geprägten Bewertungsschemas12
2.2.3Lernen bis zur Perfektion: Automatisierte Bewegungsabläufe13
2.2.4Die Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung unter Berücksichtigung aller Sinneseindrücke15
2.3Die kurzen Momente des Bewußtseins: Mentales im Fokus der Aufmerksamkeit17
2.3.1Die verschiedenen Bewußtseinsebenen19
2.3.2Die Funktionen des Bewußtseins20
2.3.3Bewußtsein ist kein Prärogativ des Menschen21
2.3.4Die Genese des Bewußtseins22
2.4Das Modell mentaler Repräsentationen als Ansatz zur Klärung des Bewußtseinsphänomens25
2.5Allgemeine Begriffsdefinitionen einer Dynamik der mentalen Repräsentationen26
3.Der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 2672
Bohlinger, Sandra: Vergleich des Interpretationskonstruktionismus mit dem teleologisch-semantischen
Funktionalismus nach Millikan unter Berücksichtigung bewußtseinstheoretischer Erkenntnisse /
Sandra Bohlinger -
Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 2000
Zugl.: Karlsruhe, Technische Universität, Magister, 1998
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Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 2000
Printed in Germany


1
1
Einleitung______________________________________________________________ 3
1.1
Abgrenzung und Zielsetzung ________________________________________________ 3
1.2
Aufbau der Arbeit_________________________________________________________ 5
1.3
Textgrundlagen ___________________________________________________________ 6
2
Grundlagen des Bewußtseins ______________________________________________ 7
2.1
Einleitung________________________________________________________________ 7
2.2
Die Kognitionsleistung des Menschen im Kontext mit seiner Lernfähigkeit _________ 7
2.2.1
Das Gedächtnis als Grundlage der Kognition und des Lernens ___________________________ 9
2.2.2
Die Prägung des menschlichen Lernens durch die Übernahme von Bewertungen und durch
frühkindliche Erfahrungen ______________________________________________________ 10
2.2.2.1
Lust und Schmerz als Beispiele eines kulturell geprägten Bewertungsschemas ___________ 12
2.2.3
Lernen bis zur Perfektion: Automatisierte Bewegungsabläufe __________________________ 14
2.2.4
Die Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung unter Berücksichtigung aller Sinneseindrücke_______ 15
2.3
Die kurzen Momente des Bewußtseins: Mentales im Fokus der Aufmerksamkeit ___ 16
2.3.1
Die verschiedenen Bewußtseinsebenen ____________________________________________ 19
2.3.2
Die Funktionen des Bewußtseins _________________________________________________ 20
2.3.3
Bewußtsein ist kein Prärogativ des Menschen_______________________________________ 21
2.3.4
Die Genese des Bewußtseins ____________________________________________________ 22
2.4
Das Modell mentaler Repräsentationen als Ansatz zur Klärung des
Bewußtseinsphänomens ___________________________________________________ 24
2.5
Allgemeine Begriffsdefinitionen einer Dynamik der mentalen Repräsentationen____ 26
3
Der teleologisch-semantische Funktionalismus nach Millikan unter besonderer
Berücksichtigung von Intentionalität und mentalen Repräsentationen ____________ 27
3.1
Einleitung_______________________________________________________________ 27
3.2
Die These mentaler Repräsentationen aus einer biologisch-teleologischen Perspektive 28
3.2.1
Einführung in Millikans Theorie biologischer Kategorien _____________________________ 31
3.3
Grundlagen einer teleofunktionalen Biopsychologie____________________________ 32
3.3.1
Die Idee der Eigenfunktion _____________________________________________________ 33
3.3.2
Erklärungen mit Hilfe der Normalen Funktion ______________________________________ 34
3.3.3
Konsequenzen der Normalen Erklärung ___________________________________________ 35
3.3.4
Weitere grundlegende Begriffsklärungen __________________________________________ 36
3.4
Die Vielfältigkeit der mentalen Repräsentationen und der Intentionalität _________ 37
3.4.1
Die Rolle der Intentionalität ____________________________________________________ 37
3.4.2
Drei Aspekte der Bedeutung und der tatsächliche Wert einer Entität _____________________ 39
3.4.2.1
Die Referenztheorie nach Millikan _____________________________________________ 42
3.4.3
Differenzen zwischen Zeichen und Anzeichen ______________________________________ 43
3.4.4
Aspekte verschiedener Arten von Beschreibungen für die Erstellung einer Weltversion durch ein
Individuum__________________________________________________________________ 45
3.5
Die Entstehung von Wissen und die Zuschreibung von Gehalt ___________________ 47
3.5.1
Wünsche und Überzeugungen als besondere Art intentionaler Abbilder___________________ 49
3.5.2
Korrespondenzregeln als Basis für Erkenntnis und Wissen_____________________________ 51
3.6
Epistemologie der Identitätstheorie nach Millikan _____________________________ 52
3.6.1
Wissen und Kognition um die Identität von Substanzen _______________________________ 54
3.6.1.1
Diskurs: Das ,,Sein" der Identität im Gegensatz zu dem Prädikat ,,existieren" ____________ 57
3.6.2
Der Akt der Identifizierung als Voraussetzung zur Vermeidung von Widersprüchen _________ 58
3.6.3
Das Problem der Mißrepräsentationen und Millikans Lösungsansatz _____________________ 61
4
Der Mensch als handelndes Wesen: Aspekte des Interpretationskonstruktionismus
unter besonderer Beachtung von mentalen Repräsentationen und Intentionalität ___ 64

2
4.1
Einleitung_______________________________________________________________ 64
4.1.1
Zum Begriff der mentalen Repräsentationen ________________________________________ 65
4.1.2
Vorzüge eines methodologischen Interpretationskonstruktionismus ______________________ 66
4.2
Der denkende Mensch als handelndes Wesen _________________________________ 67
4.2.1
Der Kontext von Bewußtsein, Interpretation und mentaler Repräsentation_________________ 70
4.3
Was bestimmt die Bedeutung und den Wert einer Entität?______________________ 71
4.3.1
Werte und Normen als interpretationskonstituierende Handlungen beziehungsweise
Aktivitätsstrukturierungen ______________________________________________________ 73
4.3.2
Motive als Handlungsbegründungen ______________________________________________ 74
4.4
Die Rolle von Zeichen und Symbolen bei Bedeutungs- und Wertzuschreibungen____ 75
4.4.1
Sprache als Interpretationskonstrukt ______________________________________________ 78
4.5
Die Entstehung von Bedeutung und die Rolle der Intentionalität _________________ 79
4.6
Die Konstruktion des Wissens und des Gehalts ________________________________ 82
4.6.1
Was weiß der Mensch wirklich, wenn er etwas weiß?_________________________________ 84
4.6.1.1
Lebenswahrheit, Satzwahrheit und Theorienwahrheit _______________________________ 85
4.6.2
Wünsche, Meinungen und Überzeugungen als kausal wirksame Schemainterpretationen _____ 86
4.6.3
Vernunftgemäßes Handeln als Strukturierungsprozeß des Welt-Individuum-Gefüges ________ 88
4.7
Identität als Basis aller Schemainterpretationen_______________________________ 89
4.7.1
Von Fehlrepräsentationen und Quasientitäten _______________________________________ 90
4.8
Die Erstellung und Zuordnung von Referenz _________________________________ 91
4.9
Der Ansatz des Interpretationskonstruktionismus und der Schemainterpretationen_ 93
4.9.1
Stufen der Interpretation _______________________________________________________ 97
4.9.2
Neuronale Grundlagen des Schemainterpretierens ___________________________________ 98
4.9.3
Der theoretisch endlose Regreß des Interpretierens__________________________________ 100
4.9.4
Die Grenzen menschlichen Denkens _____________________________________________ 101
4.9.4.1
Die Konstruktion einer Weltversion auf der Basis von Schemainterpretationen __________ 103
5
,,Teleofunktionaler Interpretationismus" oder die Frage nach der Annäherung
eines methodologisch-transzendentalen Interpretationskonstruktionismus an einen
teleologisch-biologischen Funktionalismus _________________________________ 104
5.1
Einleitung______________________________________________________________ 104
5.2
Vergleich der Begrifflichkeit der mentalen Repräsentationen. __________________ 104
5.3
Funktionalität und Interpretativität von Sprache, Zeichen und Symbolen ________ 108
5.3.1
Der interpretative Aspekt der Eigenfunktion und der Normalen Funktion ________________ 110
5.4
Die Entstehung von Wünschen und Meinungen durch den Wandel von
überlebensrelevanten Bedürfnissen zu lebensqualitätsverbessernden
propositionalen Einstellungen _____________________________________________ 112
5.5
Die Funktion von Intention als Motivation __________________________________ 115
5.5.1
Intensionen versus Intentionen__________________________________________________ 116
5.5.2
Gehalt und Referenz als interpretative erlernte Zuordnungsprozesse ____________________ 117
5.6
Identität als evolutionär verankerte Voraussetzung zur Welterfassung___________ 118
5.6.1
Mißrepräsentationen und Quasientitäten __________________________________________ 121
5.7
Von der (Un)Fehlbarkeit des Wissens_______________________________________ 123
5.8
Die Erstellung einer Weltversion___________________________________________ 124
5.9
Resümee _______________________________________________________________ 127
Bibliographie_____________________________________________________________ 133

3
1 Einleitung
In der aktuellen Debatte um menschliches Denken, mentale Modelle, Bewußtsein
und Bewußtseinsinhalte sind einige der grundlegenden Fragen, wie und auf welcher
physiologischen Grundlage Gedanken entstehen, wie sie realisiert werden, wie sie
sich auf menschliches Handeln auswirken und in welchem Maße Gedanken Dyna-
mik besitzen. Von besonderer Bedeutung ist, welche Rolle der Sprache bei diesen
Vorgängen zukommt und wie Sprache im Gehirn beziehungsweise in Gedanken
verläuft.
Ein zentrales Thema sind dabei mentale Repräsentationen, unter denen jegliche
bewußte Vorstellung verstanden werden kann. Diese bewußten Vorstellungen, auch
propositionale Einstellungen genannt, wie Wünsche, Meinungen oder Überzeugun-
gen sind zunächst nach innen gerichtet, id est, sie sind mentaler Art und besitzen
Gehalt. Ihre grundlegenden Charakteristika liegen darin, daß sie von etwas handeln
und bestimmte Bedingungen erfüllen müssen, um ihrem Wahrheitsanspruch gerecht
zu werden.
Der Gehalt einer propositionalen Einstellung läßt sich als deren Gerichtetheit auf et-
was verstehen, was auch als ,,aboutness" bezeichnet wird, und beschreibt das, wo-
von eine propositionale Einstellung handelt und worauf sie gerichtet ist.
Auf diesen Grundlagen basiert die Frage, wie mentale Repräsentationen und propo-
sitionale Einstellungen, wie Intentionalität und Gehalt (naturwissenschaftlich) darge-
stellt und wie sie selbst, ihre Realisierung und ihre Wirkung nachgewiesen werden
können. Aber auch die Frage nach der Metasprache und der Hermeneutik der ge-
nutzten Ausdrücke gehört in diesen Kontext, denn jegliche Theorie mentaler Modelle
ist an Sprache gebunden, und eine Vielzahl von Schwierigkeiten entsteht gerade
durch die Kluft zwischen gedanklich Gemeintem und sprachlich Veräußertem. Eine
dieser Schwierigkeiten liegt darin, den Begriff der mentalen Repräsentationen so zu
definieren und anzuwenden, daß sowohl alltagspsychologische Erklärungen als auch
wissenschaftlich-theoretische Manifestationen möglich sind.
1.1 Abgrenzung und Zielsetzung
In jüngerer Zeit entstanden zwei sehr interessante und differenzierte Ansätze zu die-
sem Thema, nämlich der Funktionalismus und der Interpretationismus.

4
Der teleologisch-semantische Funktionalismus, der einen bedeutenden Part dieser
Arbeit einnehmen wird, ist begründet in einem Realismus evolutionärer Erkennt-
nistheorie, wobei die grundlegende Annahme dieses Ansatzes besagt, daß alle
menschlichen Merkmale und Eigenheiten durch evolutionäre Selektionsprozesse
entstanden und sich nur dann stammesgeschichtlich bewährten, wenn sie dem
Überleben des Individuums oder der Gruppe dienlich waren. Dementsprechend be-
sitzen alle menschlichen Eigenheiten eine Funktion und dienen einem bestimmten
Zweck.
Die grundlegende Aussage des Interpretationskonstruktionismus als spezielle Diszi-
plin des Interpretationismus besagt, daß der Mensch als ein aktiv handelndes We-
sen nicht die Realität wahrnehmen kann, wie sie ist, was allerdings voraussetzt, daß
es eine unabhängige Realität gibt, sondern daß der Mensch die Welt, in der er lebt
und die er wahrnimmt, also vornehmlich seine mentale Welt, selbst konstruiert, in-
dem er alles Wahrgenommene interpretiert.
Daher ist die vorlegende Arbeit Ergebnis der Überlegung, ob besagter Interpretati-
onskonstruktionismus und Funktionalismus unter Berücksichtigung verschiedener
Aspekte miteinander vereinbar oder aber zumindest verknüpfbar sind. Da beide
Theorien zu dem diskutieren, ob es eine vom Menschen unabhängige Realität gibt,
gleichgültig, ob diese vom Menschen als solche wahrgenommen werden kann oder
nicht und davon ausgehen, daß kein dem Menschen übergeordnetes Wesen not-
wendig ist, um den Menschen selbst, seine Entstehung und vor allem seine geistige
Entwicklung zu erklären, bieten sie eine wichtige gemeinsame Basis für einen Ver-
gleich. Am bedeutendsten erscheint mir bei beiden Theorien die Entwicklung der
These, daß Prozesse der Wiederholung, der Reidentifizierung, der Einspielung und -
schwingung sowie der Interpretation notwendig sind, damit ein Mensch sich entwik-
keln und mit seiner Umwelt interagieren kann.
Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, nach Erläuterung der Hauptthesen der beiden
Theorien eine konstruktive und würdigende Kritik vorzunehmen und zu zeigen, in-
wieweit die Theorien vereinbar sind oder aufeinander aufbauen, wenn bestimmte
Aspekte, auf die noch ausführlich eingegangen werden soll, berücksichtigt werden.
Bei dem Vergleich der Theorien soll auch der Versuch der Beantwortung der Frage
unternommen werden, ob und wenn ja, inwieweit es möglich ist, einen Funktionalis-
mus zu vertreten, dem kein strikter Naturalismus zugrunde liegt, sondern mit inter-
pretationistischen Ansätzen einhergeht.

5
Gültigkeit kann ein derartiger Vergleich allerdings nur beanspruchen, wenn er auf
fundierte naturwissenschaftliche (und psychologische) Erkenntnisse verweist. In dem
vorliegenden Fall erscheint das Bewußtsein als das bedeutendste Phänomen, auf
welches die Darstellungen Bezug nehmen sollen, und dies nicht nur, weil das Be-
wußtsein eines der ältesten Rätsel der Menschheit ist und gerade in den letzen Jahr-
zehnten wieder an Aufmerksamkeit gewann, sondern vor allem, weil es einzig durch
das Bewußtsein möglich ist, über das Bewußtsein selbst sowie alle damit verknüpf-
ten Phänomene zu sprechen.
1.2 Aufbau der Arbeit
Ich werde daher im zweiten Kapitel Grundlegendes zur Thematik des Bewußtseins
erörtern und im folgenden den Begriff der Kognition aus verschiedenen Perspektiven
erläutern.
Dieses Kapitel erachte ich deshalb als notwendig, um zeigen zu können, inwieweit
die Thesen Lenks und Millikans auf fundierte Erkenntnisse übertragen werden kön-
nen, in welchem Maß beide Philosophen in ihrem Ansätzen auf naturwissenschaftli-
che Ergebnisse zurückgreifen und an welchen Stellen der naturwissenschaftliche
Hintergrund (noch) nicht manifestiert wurde, aber möglicherweise durch die Weiter-
entwicklung experimenteller Methoden begründet werden kann.
In Kapitel drei sollen ausschließlich Millikans Thesen thematisiert werden. Dabei wird
zunächst der Vorteil eines teleofunktionalen-semantischen Ansatzes zur Klärung der
Rolle mentaler Repräsentationen und anschließend die dazu notwendigen Grundla-
gen dieses Ansatzes erörtert.
Einen bedeutenden Teil dieses Kapitels nimmt die Thematik der Intentionalität und
der mentalen Repräsentationen zur Erstellung einer Weltversion ein, wobei die
Wichtigkeit semantischer Aspekte deutlich werden wird. Im weiteren Verlauf des Ka-
pitels wird die Entstehung von Kognition und Gehalt und die dafür notwendige und
nach Millikan entwickelte Identitätstheorie Schwerpunkt der Darstellungen sein. Ei-
nen letzten Diskussionspunkt wird das Problem der Mißrepräsentationen bilden.
In dem folgenden Kapitel werde ich mich ausführlich mit Lenks Theorie des Inter-
pretationskonstruktionismus beschäftigen. Wichtig ist hierbei die Bedeutung des
Menschen als handelndes Wesen, das mit Hilfe von Zeichen und Symbolen seine
Welt beschreiben kann, dessen wichtigstes Merkmal aber darin liegt, daß es alles

6
Wahrgenommene interpretiert und auf dieser Grundlage seine Weltversion konstru-
iert.
Dabei wird die ausführliche Erläuterung der Thesen bezüglich der Erstellung von In-
terpretationskonstrukten sowie der Entwicklung und Nutzung von Schemainterpreta-
tionen den Schwerpunkt bilden. Auch hier ist die Erläuterung grundlegender Begriffe
wie jener der Intentionalität, des Gehalts oder der Kognition aus der Perspektive des
Interpretationskonstruktionismus unerläßlich.
Thema des daran anschließenden Kapitels soll ein Vergleich der beiden Theorien
unter Berücksichtigung der Ergebnisse von Kapitel zwei sein. Ebenso soll gezeigt
werden, in welchem Maße die beiden Theorien miteinander übereinstimmen bezie-
hungsweise in welcher Form sie aufeinander aufbauen und sich ergänzen. Zur Dis-
kussion soll auch stehen, worin die Schwächen der beiden Ansätze liegen und wel-
che Möglichkeiten der Erweiterung und des Weiterdenkens sie bieten.
1.3 Textgrundlagen
Da es unmöglich ist, bei einer Arbeit wie der vorliegenden sämtliche Literatur zu den
einzelnen Themengebieten - besonders bezüglich des Bewußtseins - zu berücksich-
tigen, war eine Auswahl der Quellen unumgänglich. Dennoch werde ich versuchen,
gerade in Kapitel zwei einen möglichst vielfältigen Überblick über die Thematik zu
geben, mich aber vor allem auf Beiträge von Mario Bunge & Ruben Ardila, Gerhard
Roth und Ernst Pöppel stützen.
Die Textgrundlagen in Kapitel drei und vier bilden die bedeutendsten Werke von
Hans Lenk und Ruth Garrett Millikan. Bei Millikan sind vor allem ,,Language, Thought
and Other Biological Cathegories" (1984) und ,,White Queen Psychology And Other
Essays For Alice" (1995) zu berücksichtigen, bei Lenk werde ich den Schriften
,,Schemaspiele" (1995) und ,,Interpretationskonstrukte" (1993) die größte Aufmerk-
samkeit zukommen lassen.
Dennoch soll bei beiden Ansätzen versucht werden, einen möglichst detaillierten
Überblick über die Thematik zu geben, das heißt, auch weiteren Schriften der beiden
Philosophen soll angemessene Aufmerksamkeit zuteil werden.

7
2 Grundlagen des Bewußtseins
2.1 Einleitung
Kaum ein anderes Phänomen hat die Philosophie als auch die daraus hervorgegan-
genen Naturwissenschaften so sehr beschäftigt wie die Leistungen des menschli-
chen Gehirns.
Mit der Entstehung der Neurowissenschaft und der Anerkennung der Psychologie als
wissenschaftlichem Zweig tritt die Frage nach der Entstehung des Denkens und des
Bewußtseins in den Vordergrund, und man bemüht sich nun um eine Klärung auf
neurowissenschaftlicher Basis.
In dem vorliegenden Kapitel soll gezeigt werden, wie weit es auf dem derzeitigen
Stand der Wissenschaft möglich ist, die Trennung von Leib und Seele aufzuheben
und somit die semantische Lücke zwischen neurowissenschaftlichen Aspekten und
philosophisch- bewußtseinstheoretischen Perspektiven zu schließen.
Zunächst soll versucht werden bezüglich des Bewußtseins sowohl eine Begriffsdefi-
nition als auch einen Überblick unter neurowissenschaftlichen Aspekten zu geben.
Da Bewußtsein auch mit Erkenntnis und Lernen verknüpft ist, muß auch hierauf Be-
zug genommen werden, wobei Erfahrungen und Bewertungen nicht außer acht ge-
lassen werden dürfen.
2.2 Die Kognitionsleistung des Menschen im Kontext mit seiner Lernfähigkeit
In diesem Abschnitt soll dargestellt werden, welche Bedeutung Lernen und Erkennt-
nis für den Menschen haben. Mit Hilfe der Darstellung der verschiedenen Methoden
des Aneignens von Wissen soll verdeutlicht werden, wie Bewertungen und Erfahrun-
gen zustande kommen, wie sie den Menschen prägen und sein Leben beeinflussen.
Unter Lernen wird die Aneignung von neuen Kenntnissen verstanden; Lernen ist also
das Aufnehmen und Sich-Aneignen von neuen Fähigkeiten, Fertigkeiten und
(Er)Kenntnissen.
Lernen bedeutet zudem, das eigene Verhalten durch ständige Praxis zu verändern,
was eine dauernde Veränderung in einem neuralen System zur Folge hat und ,,das
dessen Besitzer instand setzt über Erfahrungen zu verfügen, die er vor dem Lern-
prozeß nicht gehabt hatte"
1
, wobei diese Definition motorisches, affektives und ko-
1
Bunge; Ardila: Philosophie der Psychologie (1990), S.282f.

8
gnitives Lernen einschließt. Zusammen mit dem Gedächtnis und der Fähigkeit des
Erinnerns bildet Lernen die grundlegende Möglichkeit, das Überleben des Einzelnen
zu sichern, was durch die planvolle Wiederholung von Erfolgen beziehungsweise
Mißerfolgen geschieht
2
. Erlerntes oder im Gedächtnis Behaltenes kann entweder
einer Konditionierung oder dem Prozeß einer Kognition zugeordnet werden, was
wiederum zu einem Verhaltens- und einem Wissensgedächtnis führt.
Dagegen kann `Erkennen´ als ein Teil des Lernens betrachtet werden und wird meist
im Sinne von `Wiedererkennen´ verstanden. Im weiteren Sinne kann `Erkennen´
auch als ,,Orientierung in seiner [des Menschen] Umgebung als der hauptsächlichen
Grundlage für angepaßtes Verhalten"
3
betrachtet werden.
Der Vorgang des Erkennens und Wiedererkennens wird alltagssprachlich mit Er-
kenntnis, id est dem Wissen um oder von etwas, gleichgesetzt. Während das für die
Wahrnehmung notwendige Erkennen dem Prozeß des Lernens untergeordnet be-
ziehungsweise ein Teil dessen ist, können Erkenntnis und Wissen als Endergebnis-
se eines Lernprozesses betrachtet werden. Kognition kann in viele verschiedene
Kategorien unterteilt werden wie sensomotorische, perzeptuelle, konzeptuelle, lingui-
stische sowie bewußte oder unbewußte Erkenntnis
4
.
Erkenntnis und Kognition können neben Bewertungen, Freude, Leid und Lust et ce-
tera als höhere Ziele des Menschen definiert werden
5
. Sie sind Kristallisationspunk-
te, ,,an denen sich die Bedürfnisbefriedigung bewahrheitet, d.h., um überleben zu
können müssen die Lebensfunktionen so reguliert werden, daß sie mit möglichst
wenig Aufwand erhalten bleiben können"
6
. Aus dieser Definition ergibt sich auch,
daß ,,die Art und Weise, wie wir über die Welt nachdenken, eine Konsequenz der
Evolution ist"
7
.
Letztlich sind Lernen, Erkennen und Erkenntnis grundlegende Faktoren, die das
(Über)Leben eines Individuums sichern und zu dessen weiterer evolutionärer Ent-
wicklung beitragen.
Im folgenden soll das Erkennen im Sinne von ,,Erkenntnis erwerben" im Vordergrund
stehen.
2
vgl. Schmidt/ Thews: Physiologie des Menschen (1989), S.163.
3
Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1995), S.34.
4
vgl. Bunge; Ardila: Philosophie der Psychologie (1990), S.315.
5
ebd., S.107.
6
ebd., S.19.
7
Pöppel: Geheimnisvoller Kosmos Gehirn (1994), S.22.

9
2.2.1 Das Gedächtnis als Grundlage der Kognition und des Lernens
Das Phänomen der Kognition ist kein Prärogativ des Menschen und nicht alles, was
im Gehirn abläuft, kann als kognitiv bezeichnet werden. Kognition erwächst aus ,,rein
physiologischen Prozessen auf zellulärer und subzellulärer Ebene sowie aus präko-
gnitiven Leistungen und ist deshalb nicht scharf abgrenzbar"
8
.
Dies gilt für alle für den Organismus bedeutungsvollen Wahrnehmungs- und Er-
kenntnisleistungen, wobei es gleichgültig ist, ob diese bewußt oder unbewußt ab-
laufen.
Lernen und Erkennen verlaufen nach bestimmten Mustern und sind grundlegend von
Gedächtnisleistungen abhängig.
Das Gedächtnis formiert sich nicht aus einzelnen Neuronen, die sich bei Lernpro-
zessen in irgendeiner Form verändern, sondern aus (sich ändernden) Beziehungen
zwischen Neuronen, das heißt, eine bestimmte Erinnerung besteht in einer Gruppe
von Neuronen nur insoweit und so fest, als diese miteinander verknüpft sind
9
.
Mittlerweile haben Versuche an jungen Katzen bestätigt, daß das ,,Gedächtnis in ei-
ner plastischen Änderung der Kontinuität eines neuralen Systems"
10
besteht. Fest
steht, daß es kein bestimmtes Organ gibt, das für Gedächtnisleistungen zuständig
ist, sondern daß bei Erkenntnis- und Lernprozessen das gesamte Gedächtnis mit
allen spezifischen Subsystemen beteiligt ist. Die Existenz von mindestens zwei Sy-
stemen, nämlich jenem, das Fertigkeiten, und jenem, das Erinnerungen speichert,
kann durch die Beobachtung von Amnesiepatienten belegt werden
11
.
Das Gedächtnis selbst kann in drei Gedächtnistypen, die für das Lernen von Be-
deutung sind, unterteilt werden.
Ein Typ ist das episodische Gedächtnis, welches Vergangenes bildhaft speichert;
hier werden aber auch Erlebnisse großer emotionaler Bedeutung schon bei einmali-
ger Präsentation hinterlegt, wobei die emotionale Bewertung von der bewußten Prä-
sentation unabhängig ist.
Das prozedurale Gedächtnis repräsentiert Inhalte des sensomotorischen und psy-
chomotorischen Lernens wie zum Beispiel Bewegungsabläufe beim Schreiben oder
Radfahren. Das entsprechende Lernen erfolgt nach einer sigmoiden, also s-förmigen
Kurve, das heißt, daß der Lernfortschritt zunächst sehr gering ist, nach Erlernen der
8
Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1995), S.29.
9
vgl. Fuster: The cortical Substrate of Memory. In: Squire: Neurophysiology of Memory (1984), S.285.
10
Bunge; Ardila: Philosophie der Psychologie (1990), S.273.
11
vgl. ebd., S.275.

10
Grundkenntnisse allerdings in kurzer Zeit sehr viel erlernt werden kann, in der dritten
Phase jedoch sehr viel Zeit und Aufwand benötigt werden, um auch nur geringe Ver-
besserungen erzielen.
Auch die menschliche Intelligenz wird anhand der sigmoiden Kurve gemessen: Je
steiler die Lernkurve, desto schneller lernt der Mensch, und er gilt als um so intelli-
genter
12
.
Alle weiteren Lernarten lassen sich im Wesentlichen in vier Gruppen unterteilen.
Zu den bekanntesten Lernarten gehört einerseits das klassische Konditionieren, wel-
ches durch Pawlows Versuche an Hunden, denen der Speichelfluß bei Ertönen einer
Klingel anerzogen wurde, bekannt wurde und bei welchem die Tiere ohne Versuch
und Irrtum den Reiz mit der Belohnung verknüpfen mußten. Andererseits gehört zu
dieser Gruppe das operante Konditionieren nach Skinner, welches sich durch Lernen
durch Versuch und Irrtum auszeichnet.
Eine weitere Art ist das Lernen durch Prägung, welches vor allem bei der Ausbildung
von Gefühlen und des Charakters eine große Rolle spielt.
Die letzte Gruppe des Lernens kann unter dem Begriff der Habituation zusammen-
gefaßt werden, also das Lernen durch Gewöhnung an etwas, das heißt gleichblei-
bende Meldungen werden vom Gehirn nicht mehr als wichtig wahrgenommen, wo-
durch sich die Empfindlichkeit von Nervenzellen verändert. Allerdings findet diese
Habituation nicht bei Schmerz statt.
Nicht nur das zentrale Nervensystem, sondern auch das vegetative Nervensystem
und das Immunsystem sind lernfähig. Genutzt wird diese Möglichkeit zum Beispiel
beim Biofeedback, um (psychosomatische) Krankheiten zu beherrschen (unter ande-
rem bei Epileptikern zur Eindämmung des Krankheitsherdes)
13
.
2.2.2 Die Prägung des menschlichen Lernens durch die Übernahme von Be-
wertungen und durch frühkindliche Erfahrungen
Des Menschen Leben ist geprägt von Erfahrungen und Bewertungen. Er erlernt und
übernimmt sie im Kindesalter, wendet sie immer wieder an und ändert sie nur mini-
mal.
Erfahrungen und Bewertungen beruhen auf Lernvorgängen, Wahrnehmungen, der
Überprüfung und dem Vergleich des Wahrgenommenen und führen zu Schlußfolge-
12
vgl. Pöppel: Geheimnisvoller Kosmos Gehirn (1994), S.111ff.
13
vgl. ebd., S.44.

11
rungen im Sinne von Bewertungen. Was der eigenen Erfahrung widerspricht, wird
meist abgelehnt, da der Mensch nicht lernt, auf Neues zu vertrauen. Alle Erfahrun-
gen bauen auf Vorerfahrungen auf, und den Beginn dieser Kette von Erfahrungen,
so Wittgenstein, stellt die Anerkennung von (durch die Natur) Gegebenem dar.
Die stete Differenz zwischen Gehirn und Geist oder auch zwischen Philosophie und
Naturwissenschaft ist letztlich irrelevant, denn ,,die Schranke zwischen Subjekt und
Objekt ist nicht zu durchbrechen, weil sie nicht existiert", und so sind ,,Vorder- und
Rückseite nichts als zwei verschiedene Seiten, den Körper zu betrachten; und so
sind auch Subjekt und Objekt, Psyche und Soma, Energie und Materie nur zwei
Sichtweisen ein und derselben Wirklichkeit"
14
.
Dies verdeutlicht, wie sehr der abendländische Mensch von einem dualistischen
Weltbild geprägt ist und wie stark dieses auf menschliche Bewertungen Einfluß
14
Wilber: Das Spektrum des Bewußtseins (1987), S.43.

12
nimmt. Es scheint außer Frage zu stehen, daß ,,die Strukturen unserer kognitiven
Systeme und damit die Kategorien der Wahrnehmung vom Wahrnehmungsgegen-
stand selbst, der Umwelt, induziert, geprägt und überformt werden"
15
.
Erfahrungen und Bewertungen werden nicht nur im ersten Lebensjahr ausgeprägt,
sie werden sogar vererbt und durch das soziale Umfeld übernommen. Im Erwachse-
nenalter können fast keine neuen kognitiven Strukturen mehr erstellt werden, wobei
die bereits vorhandenen aktivierbar bleiben.
Erfahrungen und Bewertungen entstehen nicht auf rein privater und individueller
Ebene durch Lernen und Erkennen, sondern sind in vielerlei Hinsicht durch Umwelt,
Mitmenschen, kulturelle Entwicklung und Überlieferung geprägt.
Jegliches Erleben und Erfahren ist durch vier grundlegende Funktionsweisen ge-
kennzeichnet, zu denen die Kennzeichnung des mentalen Aktes durch Wahrneh-
mung, der Handlungsbezug, die gefühlsmäßige Betonung und der Bezug zur Erinne-
rung gehören
16
.
Wichtig ist zudem, daß Erfahrungen und Bewertungen nicht zu einer objektiven Er-
kenntnis führen, was allerdings auch nicht notwendig ist. Bedeutend ist nur, daß das
Individuum seine Erfahrungen und Bewertungen nutzen kann, um sein (Über)Leben
zu sichern.
2.2.2.1 Lust und Schmerz als Beispiele eines kulturell geprägten Bewertungs-
schemas
An dieser Stelle soll ein kleiner Exkurs zum Thema ,,Lust und Schmerz" vorgenom-
men werden, anhand dessen ersichtlich wird, inwieweit Bewertungen vorgeformt und
inwieweit sie durch eigene Erfahrungen geprägt sein können.
Lust und Schmerz sind Phänomene, die sowohl im Körper als auch in der Seele
auftauchen und mit großer Wahrscheinlichkeit gleichen Ursprungs sind.
Da beide Gefühle den Menschen bei all seinen Handlungen begleiten, versucht die-
ser stets, den Schmerz zu vermeiden und größtmögliche Lust zu erlangen. Dieses
Handlungsprinzip ist nicht angeboren, sondern muß erlernt werden:
15
Pöppel: Geheimnisvoller Kosmos Gehirn (1994), S.45.
16
vgl. ebd., S.59.

13
,,Die biologisch mögliche Schmerzerfahrung muß durch Erfahrung bestätigt
werden, damit sie wirksam wird. Die mangelnde Bestätigung verstellt die Mög-
lichkeit, aus Schaden klug zu werden"
17
.
Die ,,richtigen" Erfahrungen und Prägungen führen dazu, daß genetisch vorgegebene
Programme endgültig im Gehirn festgeschrieben werden; danach kann zwischen
Erworbenem und Erlerntem nicht mehr unterschieden werden.
Um Lust und Schmerz einem wissenschaftlichen Ansatz in der Sinnesphysiologie
zuzuordnen, müssen zunächst physikalisch-chemische Reize mit nur subjektiv be-
schreibbaren Empfindungen und Wahrnehmungen in Verbindung gesetzt werden,
wobei erstere in die Dimensionen Intensität, Qualität, Zeitlichkeit und Ausdehnung
unterteilt werden. Demgemäß wird die Absolutschwelle als das Limit des kleinsten
Reizes definiert, der, wenn auch nur minimal, eine bestimmte Empfindung hervor-
ruft
18
.
So hat sich bei Versuchen herausgestellt, daß die Wahrnehmungsschwelle eines
Reizes bei allen Versuchspersonen gleich ist, die Schmerzschwelle sowie die
Schmerzgrenze je nach sozialer und kultureller Herkunft, aber auch je nach Ge-
schlecht verschieden ist.
Zudem ist die Unterschiedsschwelle, also jenes Limit, ab dem ein Reiz deutlich von
einem anderen als mehr oder weniger intensiv definiert werden kann, von Ge-
schlecht und Herkunft der Versuchsperson abhängig. Zugleich erweist sich diese
Unterschiedsschwelle als der kleinstmögliche Empfindungszuwachs, da immer der
gleiche Bruchteil des Ausgangsgewichts eines Reizes zugefügt werden muß, um die
Unterschiedsschwelle zum nächsten Limit zu überschreiten
19
.
Diese Ergebnisse lassen die Schlußfolgerung zu, daß der Mensch in dem für ihn
geltenden Weltbild ein psychisches Repertoire von Schmerz- und Lustleben ausbil-
det, was nach dem Modell des Prägungslernens geschieht
20
, das heißt, der Mensch
gelangt zu unterschiedlichen Bewertungsschemata des täglichen Lebens und von
Lust und Schmerz.
17
ebd., S131.
18
vgl. Schmidt/ Thews: Physiologie des Menschen (1989), S.197.
19
vgl. ebd., S.197ff.
20
Pöppel: Geheimnisvoller Kosmos Gehirn (1994), S.141.

14
2.2.3 Lernen bis zur Perfektion: Automatisierte Bewegungsabläufe
Nimmt man als Beispiel eines Bewegungsablaufs das Gehen, so stellt man fest, daß
das Sehen durch diese Bewegungen nicht beeinträchtigt wird, das heißt, daß ein
Mechanismus, in diesem Falle das vestibuläre System, dafür sorgen muß, daß ,,die
durch die Eigenbewegung bedingten Veränderungen der wahrgenommenen Welt,
die sich als laufend ändernde Information auf unseren Augen abbilden, kompensiert
werden"
21
. Da dieser Mechanismus nicht nur ein Bewegungskommando an die Mus-
kulatur schickt, sondern auch eine Kopie des Bewegungsablaufs an das Kleinhirn,
kann die Handlungsabsicht immer mit dem realen Erfolg verglichen und notfalls kor-
rigiert werden, wobei eine einmal gefundene Lösung der Korrektur immer wieder an-
gewendet wird.
Kommt es zu Störungen bezüglich des Bewegungsablaufs, so kann zum Beispiel die
wahrgenommene Identität eines Objekts verlorengehen, eine Bewegung nicht be-
gonnen, nicht vollständig ausgeführt oder beendet werden.
Das Ziel des psychomotorischen Lernens besteht also im Einüben von Bewegungs-
abläufen bis diese automatisch, das heißt ohne bewußte Kontrolle, ablaufen und
deren perfekte Form in einer Bewegung zum Ausdruck kommt, die die Einheit von
Körper und Geist widerspiegelt.
Teil des psychomotorischen Lernens ist einerseits der bedingte Reflex beziehungs-
weise die Habituation als auch andererseits eine dauerhafte Veränderung in einem
neuralen System, was beim Gehen nur durch vielfaches Versuchen erfolgen kann.
Bei dieser Art des Lernens genügt es nicht, daß ein neues Zellaggregat gebildet
wird, sondern dieses muß durch das Gedächtnis ständig reaktiviert werden, um den
Bewegungsablauf zu automatisieren
22
. Das entsprechende Hirnareal wird bei häufi-
ger Nutzung ausgeprägter als bei Lebewesen, die den entsprechenden Bewegungs-
ablauf seltener nutzen. Dieser Vorgang ist identisch mit ,,einer Veränderung von
Zahl, Größe und relativer Lage der Synapsen oder Dentriten"
23
.
Die Habituation zum Beispiel an Kleidung, die Automatisierung und Perfektion beim
Gehen bestehen in der Unbewußtheit des Ablaufs, das heißt, dem Menschen wird
nicht ständig bewußt, auf welchem Untergrund er läuft, daß er Schuhe trägt, daß er
die Beine ein bestimmtes Stück heben muß, um voran zu kommen et cetera.
21
ebd., S.145.
22
vgl. Bunge; Ardila: Philosophie der Psychologie (1990), S.284f.
23
Greenough: Structural Correlates of Information Storage in the Mammalian Brain: A Review and
Hypothesis, o.J., S.231.

15
Das Erlernen von Bewegungsabläufen kann zudem durch mentales Training ver-
stärkt werden, was häufig bei (Leistungs)Sportlern zu sehen ist, die vor einem Wett-
kampf ihren Bewegungsablauf vor dem geistigen Auge ablaufen lassen und dadurch
eine noch engere Kooperation zwischen Geist und Körper erreichen
24
.
Ist ein Bewegungsablauf einmal automatisiert, so besteht nahezu keinerlei Möglich-
keit der Veränderung aus eigenem Willen mehr, oder erfordert langwieriges und re-
gelmäßiges Training
2.2.4 Die Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung unter Berücksichtigung aller
Sinneseindrücke
Wahrnehmung ist ein Gehirnkonstrukt, das durch die Zerlegung des Wahrgenom-
menen in Elementarereignisse entsteht und anschließend nach erfahrungs- und
stammesgeschichtlich bedingten Regeln wieder zusammengesetzt wird. Diese Kon-
struktion ist dadurch bedingt, daß der Mensch in drei verschiedenen Welten lebt,
nämlich der physikalischen, jener der neuronalen Ereignisse und einer subjektiven
Erlebniswelt
25
. Hinzu kommt, daß es in der Außenwelt viele Dinge gibt, die in der
Innenwelt nicht existieren (und umgekehrt), so daß ein schnelles Erfassen von Be-
deutungen notwendig ist, um Wahrnehmungs- und Bewußtseinsinhalte repräsentie-
ren zu können.
Die Einheit der Wahrnehmung entsteht durch die erfahrungsabhängige Grundorga-
nisation des Gehirns, durch Umweltinteraktion, durch die Konstruktionsfähigkeit des
visuellen Systems sowie durch das Gedächtnis als Bindeglied für Einheit und Wahr-
nehmung
26
. Die Fähigkeit der Vervollständigung eines wahrgenommenen Bildes ist
dabei unabhängig von der Beschaffenheit des Stimulus und der Intensität des Trai-
nings des entsprechenden Netzwerks, woraus sich ergibt:
"Je vertrauter mir eine Stimme oder eine Gestalt ist, desto weniger ,,Eckdaten"
benötigt mein Wahrnehmungssystem, um ein vollständig empfundenes
Wahrnehmungsbild zu erzeugen, das zu diesen Eckdaten paßt"
27
.
Wahrnehmungen sind Hypothesen über die Umwelt, sind geprägt von Subjektivität,
verknüpft mit Bewußtsein und auf Kommunikation ausgerichtet, so daß durch die
24
vgl. Lenk: Schemaspiele (1995), S.128f.
25
vgl. Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1995), S.231.
26
vgl. ebd., S.235ff.
27
ebd., S.247.

16
Beeinflussung der objektiven Welt durch die menschliche Subjektivität eine kausale
Verbindung zwischen Psyche und Physe unmöglich wird
28
.
Charakteristisch ist zudem die stete Veränderung bei gleichzeitiger Kontinuität, das
heißt, daß ein Bewußtseins- beziehungsweise Erlebnisstrom wahrgenommen wird,
obwohl es sich um die Aneinanderreihung unterschiedlichster Wahrnehmungen,
Vorstellungen, Gefühle und Gedanken handelt
29
.
Jedes wahrgenommene Ereignis besteht zudem aus einem Zentrum und einer Peri-
pherie, wobei immer nur ein Item im Fokus der Aufmerksamkeit steht, während wei-
tere Eindrücke unbewußt wahrgenommen werden. Obwohl es sich also um ver-
schiedene Wahrnehmungen handelt, die der Mensch auch tatsächlich nur nachein-
ander beschreiben kann, bemerkt er keine Grenze zwischen diesen Ereignissen
30
.
Die Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung wurde bislang am Beispiel der visuellen In-
formationsverarbeitung am besten erforscht. Eingehende Informationen werden da-
bei zunächst in Teilaspekte zerlegt und mit bereits vorhandenen Daten über die
Umwelt verglichen. Da die Zerlegung in Teilaspekte allerdings nicht genügt, um zu
einer einheitlichen Wahrnehmung zu gelangen, nimmt man an, daß das Wahrneh-
men und Erkennen der Umwelt gleichzeitig stattfinden, das heißt, daß die Zerlegung
der visuellen Information in Teilaspekte und die Integration genau dieser Aspekte zu
einem einheitlichen Weltbild gleichzeitig erfolgen
31
.
Experimente, die diese Theorie bislang zumindest teilweise belegen konnten, legen
zudem den Schluß nahe, daß die parallele Integration und Zerlegung von eingehen-
den Informationen bei allen Sinneseindrücken stattfinden.
2.3
Die kurzen Momente des Bewußtseins: Mentales im Fokus der Aufmerk-
samkeit
Wenn von Bewußtsein gesprochen wird, so ist oft unklar, was eigentlich gemeint ist.
Es kann das genaue Wissen um etwas, eine Entität, die in Gedanken verdeutlicht
wird, oder all jenes, was den Menschen aus seinem täglichen Einerlei aufschrecken
läßt, gemeint sein:
28
vgl. Pöppel: Geheimnisvoller Kosmos Gehirn (1994), S.19.
29
vgl. Gadenne: Kognition und Gehirn (1996) S.15.
30
vgl. ebd., S.17.
31
vgl. Zeki: Das Geistige Abbild der Welt. In: Spektrum der Wissenschaft Gehirn und Bewußtsein
(1994), S.41.

17
[Bewußtsein ist] "in der Person in eigenartiger Weise, in der Erlebnisse gege-
ben sind, das Haben von Erlebnissen, von seelischen Prozessen, die unmit-
telbar vom Subjekt erfahren werden, also von Wahrnehmungen, Erinnerun-
gen, intellektuellen Vorgängen, Gefühlen, Strebungen, Willensprozessen und
dergleichen"
32
.
Bewußtsein besteht aber auch aus vielen ,,Feldern", wobei das, was bewußt ist, im
Zentrum steht, wogegen die anderen ,,Felder" den Umfang bilden
33
. Es ist ein Zu-
stand, bei dem für jeweils wenige Sekunden aufgrund eines integrierten Mechanis-
mus des Gehirns Mentales repräsentiert wird, wodurch Bewußtsein den Eindruck
einer ,,mentalen Insel im Fluß der Zeit"
34
vermittelt. Durch diesen Mechanismus ent-
steht das Gefühl der Gegenwärtigkeit und die Verkettung der einzelnen Zustände bei
gleichbleibenden emotionalen Bewertungen. Bewußtsein ist zudem ,,das Wissen um
erlebte Inhalte, also die Vereinigung des Ich-Systems (Wissen um) mit dem Objekt-
System (erlebte Inhalte). Aus zwei psychischen Rohmaterialien ist das eigentlich
Psychische entstanden"
35
. Ein weiterer Aspekt ist jener der Bewußtheit über die ei-
gene Person.
Bewußtsein kann als eine Auswahl von Interpretationen mit den Stufen der Einheits-
bildung, der Gestaltbetonung und der Aktivierung von Erkennungselementen be-
trachtet werden, aber auch als ein Aspekt des Kurzzeitgedächtnisses, der aufgrund
seiner Privatheit des Erlebens schwer bestimmbar ist
36
. Bewußtsein bedeutet auch
eine selektive Aufmerksamkeit und ,,die Kontrolle der Informationsverarbeitung, die
zur Folge hat, daß entsprechend den Vorlieben einer Person ein sensorischer Input
besser wahrgenommen wird als ein anderer"
37
.
Bewußtsein darf nicht unter nur einem einzigen Aspekt betrachtet werden, sondern
hängt immer von entsprechenden Definitionen und Perspektiven ab.
Eine Möglichkeit, die inneren Erfahrungen und Gefühle bei bewußten Zuständen zu
beschreiben und anhand dessen auf mögliche Strukturen zu schließen, liegt darin,
die Problematik zunächst unterschiedlichsten Forschungsgebieten wie der Untersu-
chung der Bewußtseinsfunktionen, der neuralen Basis beziehungsweise der Vorgän-
32
Dorsch: Psychologisches Wörterbuch (1989), S.98.
33
vgl. Gurwitsch: Das Bewußtseinsfeld (1975), S.19.
34
Pöppel: Grenzen des Bewußtseins (1985), S.30.
35
Benesch: Der Ursprung des Geistes (1977), S.170.
36
vgl. Werth: Bewußtsein (1983) S.139.
37
ebd., S.47.

18
ge im Nervensystem zuzuordnen und später mit Hilfe aller Ergebnisse zu einem
neuen Konsens zu gelangen.
Der Begriff und der Zustand des Bewußtseins sind nicht eindeutig definierbar, und
die Übergänge von Wahrnehmungsvorgängen zu Bewußtsein und der Sensitivität
gegenüber bestimmten Stimuli sind fließend
38
. Fraglich bleibt, ob von Bewußtsein
bereits dann gesprochen werden kann, wenn ein Lebewesen eine Veränderung
wahrnimmt, oder ob dies erst zutrifft, wenn das Lebewesen sich seiner selbst bewußt
ist oder ob sogar erst dann von Bewußtsein gesprochen werden kann, wenn das Le-
bewesen sich seiner Selbsterkenntnis oder seiner eigenen Gedanken bewußt wird.
Bewußtsein ist zudem kein Gegenstand oder Organ, sondern ein stetig ablaufender
Prozeß unter Integration aller Sinne. Um das Phänomen des Bewußtseins zu klären
genügt es nicht, einzelne Aspekte und deren durch Experiment nachweisbare Ursa-
chen darzustellen, geschweige denn die Frage zu stellen, warum gerade dieser
Aspekt die entsprechende Ursache hat. Viel bedeutender ist die Frage, ,,wie die or-
ganisierte Gesamtaktivität eines Gehirns ein bewußtes Selbst entstehen lassen
kann"
39
.
Nach wie vor reichen allerdings weder physikalisch-chemische noch psychologische
Erklärungen aus, um Bewußtsein vollständig verstehen und erklären zu können. In
der Tat scheinen noch immer jene Worte zu gelten, die Emil du Bois-Raymond 1872
in einem Vortrag aussprach:
,,Es tritt nunmehr, an irgend einem Punkt der Entwicklung des Lebens auf Er-
den, den wir nicht kennen und auf dessen Bestimmung es hier nicht an-
kommt, etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas...Unbegreifliches. Der
in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden des Verständnisses zerreißt,
und unser Naturerkennen gelangt an eine Kluft, über die kein Steg, kein Fittich
trägt: Wir stehen an der...Grenze unseres Witzes. Dies...Unbegreifliche ist das
Bewußtsein. Ich werde jetzt, wie ich glaube, in sehr bezwingender Weise
dartun, daß nicht allein bei dem heutigen Stand unserer Kenntnis des Be-
wußtseins aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl
jeder zugibt, sondern daß es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Be-
dingungen nicht erklärbar sein wird"
40
.
38
vgl. Bunge; Ardila: Philosophie der Psychologie (1990), S.355.
39
van Gulick: Was würde als eine Erklärung des Phänomens Bewußtsein zählen? In: Metzinger
(Hrsg.): Bewußtsein (1996), S.97
40
Du Bois-Raymond. Abgedruckt in: Wollgast: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft (1974).

19
2.3.1 Die verschiedenen Bewußtseinsebenen
Bewußtsein ist ,,ein rein deskriptiver Terminus, der sich auf die unmittelbarste und
sicherste Wahrnehmung beruft"
41
. Bewußtsein läßt sich in verschiedene Bewußt-
seinsstufen gliedern, unter anderem jene des Mitbewußtseins, des Unterbewußten,
des Unbewußten und des Außerbewußten, wobei die Grenzen zwischen den einzel-
nen Ebenen fließend und individuell verschieden sind.
Jene Art des Bewußtseins, von der üblicherweise gesprochen wird, ist stets mit Auf-
merksamkeit verbunden und wird vom Bewußtsein um die eigene Person und von
Identität begleitet. Zu dieser Bewußtseinsebene gehört ebenfalls die Zielgerichte-
theit, id est die Intentionalität des Bewußtseins. Als weitere Bewußtseinsebenen be-
ziehungsweise -zustände können Formen hellster Wachheit, der Normalität, des Dö-
sens, des Dahindämmerns sowie des Träumens beschrieben werden
42
. Andere
Formen von Bewußtsein lassen sich bei Menschen mit Schädelverletzungen unter-
schiedlichster Art, schweren psychischen Erkrankungen sowie bei Menschen in Zu-
ständen der Bewußtlosigkeit feststellen.
Gerade diese Läsionen können zu Bewußtseinsausfällen, Beeinträchtigungen der
Wahrnehmung, der Motorik oder zum Koma führen.
Da ein bestimmter und einzelner Bewußtseinszustand immer nur von kurzer Dauer
ist, muß untersucht werden, welchen Einfluß die anderen Ebenen auf den Menschen
haben können.
Während das Mitbewußte sich lediglich als eine Qualität des Aufmerksamkeitsbe-
wußtseins herausstellt, weisen das Unbewußte und das Unterbewußten stark emo-
tionale Tönung auf, können vor allem durch Zufluß verdrängter Inhalte den Men-
schen in seinen Handlungen beeinflussen und bedrängen; ihre Inhalte können aber
auch unter gegebenen Bedingungen vom Gehirn abgerufen werden, was bei außer-
bewußten Zuständen nicht möglich ist.
Der Traum kann der Ebene des Unbewußten zugeordnet und durch die Verwirkli-
chung psychischer Realitäten als selbsttherapeutische Funktion zur Kompensierung
von Defiziten im Alltagsleben betrachtet werden
43
.
Auf die Frage, warum Lebewesen überhaupt Schlaf brauchen, gibt es bislang aller-
dings noch keine befriedigende Antwort. Vor allem die Annahme, Schlaf diene der
Erholung, läßt sich experimentell kaum stützen. Beispielsweise führt körperliche An-
41
Pöppel: Grenzen des Bewußtseins (1985), S.163.
42
vgl. Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1995) S.193.

20
strengung zu schnellerem Einschlafen, ändert aber an der Dauer des Schlafes
nichts
44
.
Bezüglich der Bewußtseinsebenen ist letztlich von Bedeutung, daß die Intensität ei-
nes bestimmten Bewußtseinsvorgangs und somit auch der Zuordnung zu der ent-
sprechenden Ebene abhängt von ,,der Intensität der spezifischen (nicht gleichmäßi-
gen) Aktivität des neuralen Systems C, welches die Aktivität eines (nicht mit C identi-
schen) neuralen Systems N registriert, das über afferente Bahnen zu N verfügt"
45
.
Festzuhalten bleibt, daß es zahlreiche Abstufungen des Bewußtseins gibt, wobei das
menschliche Aufmerksamkeitsbewußtsein das wahrscheinlich differenzierteste von
allen ist.
2.3.2 Die Funktionen des Bewußtseins
An dieser Stelle drängt sich die Frage nach den Funktionen des Bewußtseins auf.
Die Beantwortung dieser Frage ist eng verknüpft mit jener, was der Mensch ohne
Aufmerksamkeitsbewußtsein tun kann, also all jene Handlungen, die routinemäßig
und automatisch ablaufen. Wie bereits erwähnt ist diese Automatisierung nur des-
halb möglich, weil für die entsprechende Handlung ,,nur noch" ein bestimmtes Ner-
ven- beziehungsweise Neuronennetz aktiviert werden muß. Man kann daraus
schließen, daß Aufmerksamkeitsbewußtsein für all jene Vorgänge notwendig ist, für
die der Mensch noch kein fertiges Neuronennetz besitzt oder dieses vorhanden,
aber noch nicht gefestigt wurde. Tritt ein Ereignis ein, bei dem ein entsprechendes
Netzwerk fehlt, aber eine Bearbeitung des Ereignisses wünschenswert ist, so werden
sämtliche Areale (corticales, visuelles, motorisches et cetera) auf die Zuständigkeit
für die Problemlösung überprüft. Findet sich kein passendes Neuronennetzwerk, so
muß zur Lösung eine neue Neuronenverknüpfung angelegt werden. Dieser Vorgang
vollzieht sich in der Regel innerhalb weniger Sekunden, wobei das neue Nervennetz
beim Auftreten weiterer Ereignisse stets verglichen und perfektioniert wird, bis auch
dieses Netzwerk für eine Routinehandlung zuständig ist
46
.
Doch dies ist nur eine Kategorie der Funktionen von Bewußtsein. Eine weitere Kate-
gorie ist die Fähigkeit, mit Hilfe des Bewußtseins Dinge nicht nur wahrnehmen und
empfinden, sondern diese auch sprachlich beschreiben und einer rationalen Hand-
43
vgl. Pöppel: Geheimnisvoller Kosmos Gehirn (1994), S.189.
44
vgl. Schmidt/ Thews: Physiologie des Menschen (1989), S.156.
45
Bunge; Ardila: Philosophie der Psychologie (1990),S.370.
46
vgl. Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1995), S.212.

21
lungskontrolle unterwerfen zu können, was als Zugriffsbewußtsein beschrieben
wird
47
.
2.3.3 Bewußtsein ist kein Prärogativ des Menschen
Unumstritten ist, daß alle Lebewesen fähig sind, äußere und innere Reize wahrzu-
nehmen und in diesem Sinne auch ihrer selbst gewahr zu werden. Bezweifelt wird
dagegen nach wie vor, inwieweit sich vor allem Säugetiere und Vögel in bewußten
Zuständen befinden können, zumal eine experimentelle Beantwortung dieser Frage
nach wie vor nicht möglich ist und physiologische Indikatoren für Bewußtsein nicht
zur Verfügung stehen. Doch genau hierin liegt das Problem, das auch in dem Ge-
dankenexperiment von Nagel (`what is it like to be a bat?´
48
) deutlich zum Ausdruck
kommt: Da es kein Bewußtseinszentrum oder -organ gibt, sondern Bewußtsein ein
subjektives Phänomen ist, das unmöglich durch objektives Wissen (einer dritten Per-
son) ausgedrückt werden kann, ist einerseits die Annahme möglich, daß Fledermäu-
se (die Nagel als Beispiel für sein Gedankenexperiment auswählt) gar kein Bewußt-
sein haben oder eines, das jenem des Menschen zumindest ebenbürtig ist. Dennett
beschreibt diese Problematik folgendermaßen:
,,Your consciousness does not consist in the fact that your brain is inhabited
by an inner agent to whom your brain presents displays, so our inability to find
such a central agent in the bat`s brain would not jeopardize its claim to con-
sciousness, or our claim to be able to say what its consciousness was like. In
order to understand a bat`s consciousness, we must simply apply the same
principles to the bat that we apply to ours"
49
.
Durch Versuche an Schimpansen und Orang-Utans, denen man einen Farbfleck auf
die Stirn malte und die man anschließend vor einen Spiegel setzte, stellte sich her-
aus, daß diese Tiere nicht nur eine unbestimmte Form des Bewußtseins, sondern
auch Selbstbewußtsein haben, da sie sich im Spiegel erkannten und versuchten,
den Fleck zu entfernen. Mit diesem Ergebnis wurde die Behauptung, Bewußtsein sei
einzig dem Menschen vorbehalten, hinfällig. Zwar wurde diese Art des Selbstbe-
wußtseins bislang einzig bei Primaten vorgefunden, doch kann aufgrund dieser Er-
47
vgl. Block: Eine Verwirrung über eine Funktion des Bewußtseins. In: Metzinger (Hrsg.): Bewußtsein
(1996), S.535.
48
Nagel: What is it like to be a bat? In: Philosophical Review, Vol.83 (1974), S.435-450.
49
Dennett: Consciousness Explained (1991), S.445.

22
gebnisse anderen Lebewesen keineswegs ein ähnliches Bewußtsein abgesprochen
werden.
Pöppel, der die These vertritt, daß Kommunikation eng mit Bewußtsein verknüpft ist,
spricht sogar allen Lebewesen, die kommunizieren können und den bereits erwähn-
ten Integrationsmechanismus haben, Bewußtsein zu. Da die Mitteilungsmöglichkeit
eines Individuums maßgebend für dessen Bewußtsein ist, so Pöppel, sei dieses
stets in einen sozialen Kontext eingebunden, und es könne stets nur das ins Be-
wußtsein dringen, was anderen mitgeteilt werden soll.
Umstritten bleibt dennoch, welche Art von Bewußtsein Tieren zugesprochen werden
kann (insbesondere Säugetieren und Vögeln). Eine endgültige Antwort auf diese
Frage könnte der Mensch wohl nur von den Tieren selbst erfahren. Doch selbst
wenn beide dieselbe Sprache sprächen, so wäre noch längst nicht sicher, ob sie
einander auch verstünden.
2.3.4 Die Genese des Bewußtseins
Ein weiterer bedeutender Aspekt des Bewußtseins ist dessen ontogenetische Ent-
wicklung:
,,Bewußtsein ist keine inhaltlich eigenständige Instanz, sondern entspringt aus
der Verknüpfung, dem Bezugsystem zweier vorbewußter Systeme, und zwar
eines ichbildenden Systems und eines inhaltlich aufnehmenden Sinnessy-
stems"
50
.
Bewußtsein ist keine statische Entität, sondern ein Prozeß, mit dessen Hilfe die Inte-
gration großer Gruppen interaktiver Nervenzellen erklärt werden kann. Die Aktionen
dieser Nervenzellen laufen unbewußt ab, so daß dem Menschen nur das Ergebnis
bewußt präsentiert wird. Das gesamte nervöse System ist bei der Geburt noch nicht
festgelegt, und es gibt keinerlei vorprogrammierte Bahnen, in deren Richtung die
Axone wachsen oder an denen sich Synapsen bilden.
Die Entwicklung des Nervensystems besteht vor allem in einer steten Um- und Neu-
ordnung synaptischer Verbindungen, dessen Verlauf durch innere und äußere Fakto-
ren determiniert ist, wobei der entscheidende innere Faktor die interneurale Konkur-
renz ist, denn die Neurone stehen im Wettbewerb um Kontakte, und nur all jene, die
mindestens einen Kontakt erstellen können, existieren weiter, was eindeutig auf eine
50
Benesch: Der Ursprung des Geistes (1977), S.171.

23
Konkurrenzaktivierung und Stabilisierung von Neuronen und Neuronennetzen hin-
weist.
Die Erstellung dieser Kontakte ist nicht unbegrenzt, sondern beschränkt sich beim
Menschen auf das erste Lebensjahr, welches daher auch als kritische Phase be-
zeichnet wird. Wird in diesem Zeitraum die Sinneswahrnehmung, insbesondere das
Sehenlernen nicht erworben, so ist der Mensch später nicht dazu in der Lage, be-
stimme Objekte wahrzunehmen (zum Beispiel Hell-Dunkel-Kanten zu unterscheiden
oder Schmerz zu vermeiden)
51
:
,,Damit solche erfahrungsabhängigen Selektions- und Optimierungsprozesse
erfolgreich ablaufen können, müssen - wie wir heute wissen - die [...] Signale
nicht nur vorhanden sein, sondern auch den vorgegebenen Antworteigen-
schaften der zu optimierenden Nervennetze auch hinreichend genau entspre-
chen. Ferner muß sich der Organismus in ganz bestimmten funktionellen Zu-
ständen befinden, wobei solche Phänomene wie selektive Aufmerksamkeit
und vielleicht sogar Motivation eine Rolle spielen dürften"
52
.
Auf diesen Ergebnissen baut die These auf, daß die Neuronenverbände während
der Ontogenese entstehen und ein Repertoire mit Gruppen von Tausenden von Neu-
ronen bilden. Wird der Reiz wiederholt dargeboten, so werden ,,die synaptischen
Verbindungen in Untergruppen neuronaler Zellgruppen modifiziert"
53
, so daß sich die
Wahrscheinlichkeit dafür ändert, daß bei erneuter Reizdarbietung eine Neuaktivie-
rung der Untergruppe entsteht. Die Funktion dieser Verbindung besteht also darin,
intern generierte Signale so in den Informationsweg eintreten zu lassen, als seien es
externe Signale.
Die Entstehung dieser Verbindung findet im Neocortex statt, genauer gesagt in der
Formatio reticularis (FR) des Hirnstamms und in deren Subsystemen. Die FR ist ein
Netzwerk von Nervenzellen und erfüllt lebenswichtige Funktionen. Sie besteht aus
der medialen FR, welche von allen Sinnesmodalitäten Erregungen parallel zum tha-
lamischen und corticalen Zentrum zugeleitet erhält, aus der paramedialen FR, wel-
che Einspeisungen vom limbischen System erhält und Fasern dorthin als auch zum
Hippocampus, der Substratia nigra und zum Striatum ausbildet, und letztlich aus der
51
vgl. Delbrück: Wahrheit und Wirklichkeit (1986), S.149ff.; Hubel und Wiesel (1962); Loos und Wool-
sey (1973) kamen zu analogen Ergebnissen bezüglich des Geruchssinns; vgl. auch Singer: Hirnent-
wicklung und Umwelt. In: Spektrum der Wissenschaft Wahrnehmung und visuelles System (1987),
S.188.
52
Singer: Hirnentwicklung und Umwelt. In: Wahrnehmung und visuelles System (1989), S.199.
53
Werth: Bewußtsein (1983), S.59.

24
lateralen FR, deren Hauptzentrum der ,,blaue Kern" ist und welche Informationen
vom präfrontalen Cortex und vom limbischen System erhält
54
.
Durch die Interaktion dieser drei Systeme wird entschieden, was in welche Bewußt-
seinsebene gelangt. Somit kommt der Kombination von Bekanntem und Unwichti-
gem nur ein geringes Bewußtsein zu; Dingen jedoch, die neu und wichtig sind, das
heißt, die in der Vergangenheit zum Beispiel besonders negativ oder positiv bewertet
wurden, eine hohe Bewußtseinsstufe. Ebenso entscheidet das retikuläre System, ob
für die Lösung einer neuartigen Aufgabe neue Neuronenverknüpfungen angelegt
werden müssen oder nicht. Da diese Verknüpfungen grundlegend für das Auftreten
von Bewußtsein sind, können sie als dessen charakteristisches Merkmal bezeichnet
werden:
,,Immer dann, wenn eine Person Bewußtseinszustände hat, laufen in ihrem
Gehirn bestimmte Prozesse der Interaktion corticaler und subcorticaler Zen-
tren ab, und zwar in Zusammenhang mit der Bewältigung von Aufgaben ko-
gnitiver oder motorischer Art, für die es noch keine fertigen neuronalen Netz-
werke gibt"
55
.
Da es der Umfang dieser Arbeit nicht zuläßt, ausführlicher auf diese Thematik einzu-
gehen, will ich mich nun dem funktionalistischen und dem interpretationskonstruktio-
nistischen Ansatz zuwenden und zunächst eine Verbindung zwischen den Ansätzen
und oben Genanntem erstellen.
2.4
Das Modell mentaler Repräsentationen als Ansatz zur Klärung des Be-
wußtseinsphänomens
,,There is no inner keep in which theories of language, reference, truth, minds
and theories, and so on, can be constructed safe from interaction with the rest
of our theories of the world"
56
.
Bei der Klärung der Frage nach den kognitiven Fähigkeiten des Menschen läßt sich
eine Vielzahl von Ansätzen finden, die jedoch meist diese Fähigkeiten als vom Kör-
per getrennte betrachten.
Dabei sind die kognitiven Fähigkeiten in Verknüpfung mit dem Bewußtsein das, was
den Menschen zu einem einzigartigen Lebewesen macht. Dabei kann, wie bereits
angedeutet wurde, nicht ausgeschlossen werden, daß diese Fähigkeiten, zumindest
54
vgl. Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1995), S.207.
55
ebd., S.225.

25
bis zu einem gewissen Maß, auch anderen Lebewesen, insbesondere Primaten, zu-
gesprochen werden können.
Doch gerade dies macht die Frage nach den Kognitionsfähigkeiten noch interes-
santer, denn sie stellt die These zur Diskussion, ob diese Fähigkeiten plötzlich ent-
standen sind, von Anfang an vorgegeben waren oder, ebenso wie alle anderen Kör-
perorgane und -systeme, einem Jahrtausende dauernden Prozeß unterliegen, der
mit Bestimmtheit auch heute noch nicht beendet ist.
Geht man von letzterer These aus, so bietet sich eine weitreichende Möglichkeit,
mentale Phänomene zu erklären. Diese These kann nun zum Beispiel mit funktio-
nalen, interpretationistischen, psychologischen, repräsentationstheoretischen, se-
mantischen und teleologischen Ansätzen verknüpft werden, um zu verdeutlichen,
nach welchen Prinzipien kognitive Fähigkeiten entstehen und ablaufen.
Zu diesen kognitiven Fähigkeiten gehören unter anderem Sprache, Gedanken sowie
Intentionen und Wissen. Bei dem Versuch der Klärung dieser Phänomene ergibt sich
nun die Frage, ob ihnen Kausalität und eine physikalisch-chemische Entsprechung
zugeordnet werden kann oder nicht.
Doch die Vielzahl der bezüglich dieser Fragestellung zu findenden Ansätze scheitert
an den Problemen der Mißrepräsentationen (beispielsweise wird ein Hase mit einem
Kaninchen verwechselt), an der Erklärung der Entstehung von Intentionalität (wie
kann beispielsweise ein Wort wie ,,Einhorn" existieren, obwohl es keinem realen Ob-
jekt entspricht?) oder an der Relation zwischen Materiellem und Immateriellem, also
zwischen Mentalem und Physiologischem.
Zudem muß bei einem kognitionstheoretischen Ansatz die Frage nach der Entste-
hung von Meinungen, Wünschen, Überzeugungen, Gehalt et cetera als auch deren
notwendige Anpassung an sich ständig verändernde Umweltbedingungen erklärt
werden. Das bedeutet, daß eine solche Theorie die Dynamik von Konzepten und
somit von Intentionen und Repräsentationen berücksichtigen muß.
Außerdem muß die Identifizierung von Entitäten berücksichtigt werden, denn nur auf
diese Weise kann ein Mensch sich eine Weltversion schaffen, Konzepte über Enti-
täten erstellen und diese dann gegebenenfalls der sich ändernden Umwelt anpas-
sen. Letztlich muß eine vollständige biopsychologisch-evolutionäre Theorie auch die
sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende verändernden Überlebensbedin-
gungen berücksichtigen.
56
Millikan: White Queen Psychology and Other Essays for Alice (1995), S.203.

26
2.5
Allgemeine Begriffsdefinitionen einer Dynamik der mentalen Repräsenta-
tionen
Da eine der grundlegenden Fragen dieser Arbeit jene nach (der Dynamik der) men-
talen Repräsentationen ist, soll zunächst dieser Begriff erläutert und aus der Per-
spektive verschiedener Geistes- und Naturwissenschaftler definiert werden.
Der Term der mentalen Repräsentationen läßt sich mit anderen Worten als die Ver-
änderlichkeit und Bewegtheit einer aus geistigen Überlegungen hervorgegangenen
Vergegenwärtigung bezüglich einer Entität oder eines Phänomens umschreiben.
Unter Beachtung der wörtlichen Übersetzung wird der Begriff des ,,Mentalen" für al-
les, was nicht körperlich, nicht materiell und nicht physikalisch ist, verwendet
57
. Doch
scheint der Bezug zu allem ,,Geistigen" nicht auszureichen, da das Mentale per defi-
nitionem sowohl den Verstand, die Psyche als auch das Denkvermögen betrifft. Daß
diese drei menschlichen Eigenschaften allerdings nicht rein geistig im Sinne von im-
materiell sind, wurde bereits durch zahlreiche Untersuchungen nachgewiesen.
Da es umstritten ist, ob Mentales vollständig auf physikalisch-chemische Abläufe
reduzierbar ist (worauf ich später noch ausführlicher eingehen werde) bleibt nur die
Möglichkeit, Mentales durch dessen Charakteristika zu definieren.
Das Mentale steht immer im Kontext mit einem mentalen Zustand oder einer men-
talen Repräsentation, einer inneren Veranschaulichung oder Darstellung. Diese
mentalen Repräsentationen sind Teil mentaler Prozesse und haben Ähnlichkeit mit
einer Sprache
58
. Ein weiteres grundlegendes Merkmal mentaler Repräsentationen ist
ihre kausale Rolle bei menschlichen Handlungen
59
.
Haben mentale Repräsentationen tatsächlich kausale Funktion, id est Wirksamkeit,
so müssen sie als eine Art physikalischer interner Zustände im Gehirn erklärt wer-
den, woraus sich schließen läßt, daß mentale Kausalität durch Gehirnzustände ver-
ursacht wird
60
.
Betrachtet man Repräsentationen sowohl als einen Vorgang der Vergegenwärtigung
als auch als dessen Produkt
61
, so können mentale Repräsentationen als abstrakte
und symbolische Entitäten definiert werden, die eine andere Entität, ein Ereignis
oder eine Relation repräsentieren und auf definierte Weise Regeln folgen, die eine
57
vgl. Kurthen: Neurosemantik (1992), S.12.
58
vgl. Sterelny: The Representational Theory of Mind (1990), S.23.
59
vgl. ebd., S.2.
60
vgl. Jackson: Mental Causation. In: Mind. A Quarterly Review of Philosophy (1996) S.390.
61
vgl. Kurthen: Neurosemantik (1992), S.60.

27
Syntax konstituieren, also eine Art ,,inneres Modell" der Welt erstellen
62
. Dieses inne-
re Modell könnte dann als lingua mentis, also als eine Art Gehirnsprache, interpre-
tiert werden.
Die Problematik der Definierbarkeit mentaler Repräsentationen liegt letztlich in deren
immateriellen Anteil an kausalen Prozessen. Daher scheint es unmöglich, die Forde-
rung Kurthens bezüglich des Ziels einer Theoriekonstruktion zu erfüllen, id est ,,die
Dynamik beobachtbarer raumzeitlicher Entitäten zu ,,erklären", also mittels weniger
und möglichst einfacher gesetzhafter Grundlagen so zu erfassen, daß zuverlässige
Prognosen über das zukünftige Verhalten dieser Entitäten resultieren"
63
.
Es folgt daraus, daß eine Definition der Dynamik mentaler Repräsentationen in Form
eines einfachen Terms nicht möglich ist. Statt dessen bietet sich die Möglichkeit,
diese Entitäten durch ihre Funktion, ihre (kausale) Rolle bei verschiedenen Gehirn-
zuständen und psychischen Prozessen und durch ihre Beziehungen untereinander
zu umschreiben.
Im folgenden Kapitel werde ich mich zunächst auf den Ansatz Millikans konzentrie-
ren, da sich dieser ausführlicher mit der Funktionalität und der Evolution oben ge-
nannter Phänomene befaßt.
Erst anschließend werde ich auf Lenks interpretationistischen Ansatz genauer ein-
gehen, da diese Thesen meines Erachtens auf jenes Millikans aufbauen und diese
ergänzen, was noch zu zeigen sein wird.
3
Der teleologisch-semantische Funktionalismus nach Millikan unter be-
sonderer Berücksichtigung von Intentionalität und mentalen Repräsenta-
tionen
3.1 Einleitung
Millikan befaßt sich in ihrem Ansatz mit allen oben genannten Fragestellungen, in-
dem sie interne metapsychische Theorien mit einem teleofunktionalen biosemanti-
schen Funktionalismus verbindet:
62
vgl. Edelman: Bright Air, Brilliant Fire (1992), S.230.
63
Kurthen: Neurosemantik (1992), S.16.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
1998
ISBN (eBook)
9783832426729
ISBN (Paperback)
9783838626727
Dateigröße
938 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – unbekannt
Note
1,3
Schlagworte
semantik konstruktionsismus funktionsalismus interpretationismus teleologie
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Titel: Vergleich des Interpretationskonstruktionismus mit dem teleologisch-semantischen Funktionalismus nach Millikan unter Berücksichtigung bewußtseinstheoretischer Erkenntnisse
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