Lade Inhalt...

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen während der ersten Clinton-Administration

©1999 Magisterarbeit 124 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Die Arbeit beleuchtet die für das transatlantische Verhältnis entscheidenden deutsch-amerikanischen politischen wie wirtschaftspolitischen Beziehungen unmittelbar nach den dramatischen Umwälzungen der Jahre 1989 und 1990 sowie dem Golfkrieg 1991.
Das Jahr 1992 als Anfangspunkt der Analyse steht hier für eine außenpolitische Reorientierung der beiden bisherigen Partner. Mit dem Abtritt Hans-Dietrich Genschers als dienstältestem Außenminister von der internationalen Politikbühne, der von den Verbündeten als schädlich für die weltwirtschaftliche Entwicklung empfundenen rigiden Zinspolitik der Bundesbank sowie der eigenmächtigen diplomatischen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die Bundesregierung kündigt sich ein außenpolitisch selbstbewußterer und unabhängigerer Kurs Deutschlands an; in den USA hingegen suggeriert die Wahl William Jefferson Clintons zum Präsidenten die verstärkte Konzentration der US-amerikanischen Politik auf die inneren Belange des Landes, vorrangig den von ihm beabsichtigten gesellschaftlichen Umbau.
Mit Beginn der ersten Clinton-Administration werden Gemeinsamkeiten und Problemfelder in den beiderseitigen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung des europäischen Einigungsprozesses aufgezeigt. Der Spannungsbogen reicht hier von den inneren, vornehmlich ökonomischen Schwierigkeiten beider Länder sowie deren außenwirtschaftlichem Niederschlag im GATT-Abkommen Ende 1993 bis hin zur sicherheitspolitischen Komponente, der Neuordnung des europäischen Sicherheitsgewölbes mit der Anpassung der nordatlantischen Militärallianz NATO an die postsowjetischen Verhältnisse, d.h. der militärisch-operativen Flexibilisierung wie geographischen Expansion des Bündnisses, und dem institutionellen Ausbau der KSZE zur OSZE von der unverbindlichen Konsultationsrunde zum ständigen Forum für europäische Sicherheitsfragen. Die Studie endet mit dem Dayton-Abkommen zur Beilegung des Bürgerkrieges in Bosnien-Herzegowina.
Die anfängliche außenpolitische Strategie der Clinton-Administration, weltweite Stabilität durch einen verstärkten multilateralen Ansatz bei der Lösung der immer mehr regionalisierten Konflikte zu erreichen und somit auch die eigenen finanziellen und logistischen Ressourcen zu schonen, findet ihren europaspezifischen Höhepunkt in der zu Beginn des Jahres 1994 initiierten "Partnerschaft für den Frieden", die mehr einen Teilrückzug aus der sicherheitspolitischen Verantwortung der USA für Europa […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 1987
Roschel, Andreas: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen während der ersten Clinton-
Administration / Andreas Roschel - Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 1999
Zugl.: Gießen, Universität, Magister, 1999
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die
der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen,
der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der
Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung,
vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im
Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrech-
tes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Na-
men im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären
und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht
vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die Autoren oder Über-
setzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebe-
ne fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 2000
Printed in Germany


2
Inhaltsangabe
Inhaltsangabe ...2
Einleitung...4
1. Die Ausgangslage des Jahres 1992...8
1.1 Deutschland und die USA ...8
1.2 Die USA und die ,,neue Weltordnung" ...14
1.3 Die Europäische Gemeinschaft, das Maastricht-Abkommen und die USA ...15
1.4 Die Zukunft der NATO ...18
1.5 Die Vereinten Nationen nach dem Kalten Krieg...19
2.
Die US-Präsidentschaftswahlen im November 1992 ...21
3. Clintons außenpolitisches Profil...24
3.1.
Die neue Clinton-Administration und deren Reibungspunkte mit Europa...25
3.2.
Die Außenhandelspolitik Clintons...27
3.3.
Grundsätzliche Probleme zukünftiger US-amerikanischer Außenpolitik ...29
4. Die amerikanisch-europäischen Beziehungen während der Anfangsphase der
Clinton-Administration...31
4.1.
Die Clinton-Administration und der Krieg in Bosnien-Herzegowina...33
4.2. Wirtschaftspolitische
Konsultationen...34
4.3.
Binnenwirtschaftliche Voraussetzungen und weltwirtschaftliche Vorstellungen
Deutschlands und der USA...35
4.4.
Clinton auf dem G7-Weltwirtschaftsgipfel in Tokio...40
4.5.
Deutschland und die USA in der Diskussion um die Erweiterung des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen...44
4.6.
Die NATO im Umbruch ...47

3
4.7.
Deutschland im europäischen Einigungsprozeß unter dem Einfluß des
Maastricht-Abkommens ...50
5. Der Abschluß der GATT-Verhandlungen ...58
5.1.
Die weltwirtschaftliche Entwicklung vor dem Abschluß der GATT-Verhandlungen ..58
5.2.
Die OECD-Studie über die wirtschaftspolitischen Folgen des GATT...60
5.3.
Die europäisch-amerikanische Einigung in Genf ...62
5.4.
Die deutschen und US-amerikanischen Erwartungen an das GATT...64
5.5. Fazit ...66
6. Die Neugestaltung des europäischen Sicherheitsgewölbes - von der ,,Partnerschaft für
den Frieden" zum Budapester Dokument der OSZE...68
6.1.
Clintons bisherige Bilanz...68
6.2.
Clintons Angebot der ,,Partnerschaft für den Frieden"...69
6.3.
Die strategische Kehrtwende in der US-Außenpolitik ...75
6.4.
Die Institutionalisierung der KSZE ...83
7. Die Diskussion um die NATO-Osterweiterung...93
8. Die Vereinigten Staaten und das Abkommen von Dayton ...100
Schlußbetrachtung ...106
Quellen- und Literaturverzeichnis ...113

4
Einleitung
Seit dem sechsten April 1917, der Kriegserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika an das
Deutsche Kaiserreich und damit deren erstmaliges offizielles Eingreifen in die Konflikte des
,,alten" Kontinents, gehören die deutsch-amerikanischen Beziehungen in ihrer wechselvollen po-
sitiven oder negativen Ausgestaltung zu den tragenden Pfeilern internationaler Politik des 20.
Jahrhunderts
1
.
Vor diesem Zeitpunkt zeichnete sich das Verhältnis zwischen den beiden Nationen, die sich je-
weils in der Entwicklung zu zunächst kontinentalen und später globalen Mächten befanden, ins-
gesamt durch einen Aggregatzustand aus, den man mit den Worten ,,wohlwollende Gleichgültig-
keit" zutreffend beschreibt. Für die USA war das geographisch zerrissene und von fremden
Mächten beeinflußte Deutschland vor 1871 von keinerlei Bedeutung, wenn auch Preußen schon
1785 durch einen Freundschafts- und Handelsvertrag die Vereinigten Staaten formell anerkannte.
Lediglich die gescheiterte deutsche Revolution von 1848 und die Vereinigungskriege bis hin zur
Reichsgründung im Versailler Spiegelsaal 23 Jahre später erregten auf der anderen Seite des At-
lantiks für kurze Zeit Aufmerksamkeit und Symphatie aufgrund einiger Parallelen zur eigenen
Geschichte. Der jeweilige Ausgang der Ereignisse ließ die gesteigerte Beschäftigung der US-
Amerikaner mit den deutschen Themen der damaligen Zeit jedoch nicht nur schnell abebben,
man kann sogar von einer gewissen Enttäuschung darüber ausgehen. Von 1871 bis zum Aus-
bruch des Ersten Weltkriegs war das deutsch-amerikanische Verhältnis von kleineren wirtschaft-
lichen wie militärisch-geopolitischen Differenzen wie etwa dem ,,Manila-Zwischenfall" von
1898 überschattet, deren Bedeutung aber nicht überinterpretiert werden sollte
2
.
Nach dem Ersten Weltkrieg bemühten sich beide Parteien trotz des unvorteilhaften Vertrages von
Versailles um einen dauerhaften Frieden in Europa. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen
während der Epoche der Weimarer Republik sind wesentlich verbunden mit dem Namen und
Wirken Gustav Stresemanns. Die vor allem wirtschaftlich starke Verflechtung der beiden Natio-
nen brachte sie gemeinsam in die globale Rezession des Jahres 1929, die den Ausgangspunkt für
einen tiefgreifenden innenpolitischen Einschnitt sowohl in den USA als auch in Deutschland bil-
dete. Im Frühjahr 1933 wechselten auf beiden Seiten des Atlantiks fast zeitgleich die politischen
Protagonisten, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Geschicke ihrer Länder und somit
die beiderseitigen Beziehungen lenken sollten. Während Deutschland unter Adolf Hitler in eine
1
Zur globalen Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert siehe Larres, Klaus u.
Oppelland, Torsten (Hg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert, Geschichte der politischen Beziehun-
gen, Darmstadt 1997, Vorwort, S. VII: ,,Das Beziehungsgefüge zwischen den USA und Deutschland hat die
Weltpolitik sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg so entscheidend mitgeprägt, daß die kritische
Diskussion der Entwicklung der deutsch-amerikanischen special relationship nach wie vor von großer Wich-
tigkeit und Relevanz ist."
2
auch zu diesem Themenkomplex siehe Oppelland, Torsten: Der lange Weg in den Krieg (1900-1918), in: Lar-
res/Oppelland (Hg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert, S. 1ff.

5
verbrecherische und menschenverachtende Diktatur abglitt, wurde in den Vereinigten Staaten der
sozialreformerisch orientierte und bis heute hochverehrte Franklin Delano Roosevelt zum Präsi-
denten gewählt. Mit Ausnahme des Zweiten Weltkriegs, in dem sich beide erneut als Gegner ge-
genüberstanden, waren die Deutschen in dieser Zeit stärker innen- als außenpolitisch orientiert,
was sich auch auf das Verhältnis zu den USA auswirkte, zumal Hitler zu Beginn seines Regimes
außenpolitische Kontinuität suggerierte. Die US-Amerikaner hatten bis 1939 eine eher zwiege-
spaltene Sichtweise auf die Vorgänge in der Mitte Europas. Zum einen sahen sie die einsetzende
ökonomische Prosperität im nationalsozialistischen Deutschland, zum anderen verkannten sie
aber keineswegs die Verfolgung von Minderheiten, vor allem der der Juden.
Dem Zweiten Weltkrieg folgte in Europa und der Welt der vom Ost-West-Gegensatz geprägte
,,Kalte Krieg", der die Teilung Deutschlands zur Folge hatte. Während der erste Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, hierbei deren Westintegration anstrebte und
die Anlehnung an die Vereinigten Staaten suchte, verblieb die Deutsche Demokratische Republik
im von der Sowjetunion dominierten Ostblock. Der in seiner historischen Beurteilung umstritte-
ne Marshall-Plan, der wirtschaftliche Aufschwung sowie die ersten Schritte der Bundesrepublik
in eine nationale wie internationale Souveränität sind Fixpunkte einer weitgehend reibungslosen
und sehr effektiven Zusammenarbeit zwischen beiden Nationen. Trotz vordergründiger Harmo-
nie gestaltete sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten nach 1955 jedoch immer schwie-
riger. Die Berlin-Krise Ende der 50er Jahre, der Mauer-Bau 1961, die Demission Adenauers zwei
Jahre später, der Vietnam-Konflikt sowie das einsetzende ,,Tauwetter" zwischen den beiden Su-
permächten USA und UdSSR sorgten für nachhaltige Meinungsverschiedenheiten bei den Bünd-
nispartnern.
In den 70er Jahren wirkten sich vor allem die abnehmenden wirtschaftlichen Dissonanzen positiv
auf die beiderseitigen politischen Beziehungen aus. Der Bundesrepublik war es unter Brandt
möglich, mit den Ostverträgen einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung zwischen den beiden
Systemen zu leisten, zumal ihr Verbleib in der westlichen Allianz als gesichert angesehen wer-
den konnte. Seit dem Amtsantritt der Reagan-Administration 1981 verschlechterte sich aber
nicht nur das Verhältnis der USA zur Sowjetunion wieder, auch die Beziehungen der westlichen
Führungsmacht zur deutschen Regierung Kohl gerieten immer wieder in Turbulenzen, da die
Bundesrepublik nicht bereit war, ihr gerade verbessertes Verhältnis zur DDR dem allgemein
kühleren Klima der politischen Umwelt anzupassen. Als sich im November 1989 die politischen
Konstellationen in historischem Ausmaß veränderten, der östliche Teil Deutschlands zusammen-
brach und der 40 Jahre währende Ost-West-Konflikt ein Ende fand, waren es die USA unter Ge-
orge Bush, die den deutschen Einigungsprozeß auf internationaler Ebene entscheidend vorantrie-
ben.
Bei den US-Präsidentschaftswahlen im November 1992 verlor Bush sein Amt an den Herausfor-
derer William Jefferson Clinton, der der erste demokratische Präsident seit Jimmy Carter im Jah-
re 1980 werden sollte. Der hauptsächliche Grund für die Niederlage des Republikaners lag in
dessen unerschütterlichem Vertrauen auf die Wirkung seiner unbestreitbaren außenpolitischen

6
Erfolge hinsichtlich der US-Wähler, die desolate Wirtschaftslage der USA zu diesem Zeitpunkt
versuchte er weitgehend auszublenden. Die Beendigung des Kalten Krieges, die Wiedervereini-
gung Deutschlands, die von ihm angekündigte ,,Neue Weltordnung" und vor allem der Sieg im
Golfkrieg über den Aggressor Irak und dessen Machthaber Saddam Hussein waren die Argu-
mente, mit denen er das amerikanische Wahlvolk von seiner Qualifikation für das höchste Amt
der westlichen Hemisphäre überzeugen wollte. Clinton dagegen setzte auf vorwiegend innenpo-
litische Themen wie etwa eine gerechtere soziale Ordnung in den USA oder, damit verbunden,
den Umbau der Versicherungssysteme, z.B. der Krankenversicherung. Mit dieser Strategie
sprach der ehemalige Gouverneur des US-Bundesstaates Arkansas die Sorgen und Nöte der
Amerikaner konkret an, während sich George Bushs Pochen auf seine außenpolitischen Kompe-
tenzen als untauglich erwies, um die Wiederwahl des einstigen Vizepräsidenten der Reagan-
Administration zu gewährleisten.
Clintons Wahl und noch mehr Bushs Abwahl als einem der letzten ,,Kalten Krieger" signalisier-
ten zu Beginn der 90er Jahre einen Wandel in Bedeutung und Qualität der US-amerikanischen
Außenpolitik nicht nur für die weltpolitische Lage an sich, sondern vor allem für das Amt des
Präsidenten der Vereinigten Staaten selbst. Sie hatte fortan nicht mehr den Stellenwert, der ihr in
der Ära des Ost-West-Gegensatzes im politischen Gesamtkonzept der vorangegangenen Admini-
strationen von Truman bis Reagan zuteil wurde. Schon allein der finanzielle Aspekt verdeutlicht
diesen Kurswechsel. Clintons aufwendige innenpolitische Programme verlangten eine Beschnei-
dung anderer, in ihrer Bedeutung jetzt an die Peripherie gedrängter Budgets. Der Verteidigungs-
haushalt, für den Erhalt der machtpolitischen Stellung der USA in der Welt von entscheidender
Bedeutung, war geradezu prädestiniert für Einsparungen, die dann innenpolitischen Zwecken zu-
gute kommen sollten, die Clinton in seinem Wahlprogramm angekündigt hatte. Zwar sollte auch
in Zukunft die Außenpolitik für die neue Administration keine untergeordnete Rolle spielen, de-
ren Konzeption sollte jedoch eine grundlegend andere werden. Für die US-Bürger war mit der
Niederlage Iraks im Golfkrieg die endgültig letzte auswärtige Gefahr beseitigt, sodaß jetzt die
Umstrukturierung der eigenen Gesellschaft im Vordergrund steht. Diesen Prioritätenwechsel
markiert die Wahl Clintons im November 1992.
Auf Seiten des wiedervereinigten Deutschland steht das Jahr 1992 für das Ende einer außenpoli-
tischen Epoche. Mit dem Rücktritt Hans-Dietrich Genschers im Mai und der Einführung des
ehemaligen BND-Chefs Klaus Kinkel in dessen Amt als Außenminister tritt einer der dienstälte-
sten und profiliertesten Außenpolitiker überhaupt von der politischen Bühne ab. Mit der vorzeiti-
gen diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens sowie der international bedeutsa-
men und weitgehend eigenmächtigen Zinspolitik der Deutschen Bundesbank vollzieht die Bun-
desrepublik nach Meinung ausländischer Beobachter endgültig den Wechsel von einer eher be-
hutsamen zu einer selbstbewußten Außenpolitik, was auf internationalem Parkett Besorgnis da-
hingehend auslöst, daß das wiedervereinigte Deutschland seine ausgebaute politische Machtstel-
lung und sein wirtschaftliches Potential dazu benutzt, um seinen eigenen Interessen stärker
Nachdruck zu verleihen, ohne wie bisher Rücksicht auf die Belange der politischen Umwelt zu

7
nehmen, zumal diese sich in den internationalen Organisationen wie z.B. der NATO, den Ver-
einten Nationen, der EU und der WEU sowie der KSZE bzw. der OSZE nach dem Ende des
Kalten Krieges neu orientieren muß und auch Deutschland innerhalb dieses Rahmens seine neue
Stellung sucht.
Die vorliegende Arbeit will im Spannungsfeld der vermeintlichen Wende der US-amerikanischen
Politik nach innen und des angeblich gestiegenen außenpolitischen Selbstbewußtseins Deutsch-
lands die neu verortete Position der beiden Protagonisten internationaler Politik zueinander im
Zeitraum der vier Jahre der ersten Clinton-Administration untersuchen und die Möglichkeiten ei-
ner Partnerschaft, aber auch die Gefahren einer Konfrontation beider Staaten in der Verantwor-
tung für weltweiten Frieden in einer nach 1989/90 eher instabileren weltweiten Sicherheitslage
erörtern. Philipp Borinski stellt für eine Analyse in diesem Rahmen einen Leitfaden zur Verfü-
gung, dem auch die Ausführungen in der vorgelegten Arbeit weitestgehend folgen werden:
,,Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen weniger
denn je losgelöst vom größeren Zusammenhang der europäisch-amerikanischen Beziehun-
gen...gesehen werden können."
3
3
Borinski, Philipp: Ausblick: Deutschland und die USA in den 1990er Jahren, in: Larres/Oppelland (Hg.):
Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert, S. 277f.

8
1.
Die Ausgangslage des Jahres 1992
Die historischen politischen Schockwellen, die die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 auslösten,
sind in den Beziehungen der einzelnen Staaten und internationalen Organisationen zueinander
auch drei Jahre später noch unmittelbar zu spüren und bestimmen den Arbeitsrhythmus der Di-
plomaten. Die Reaktion der betroffenen Gesellschaften, auch der öffentlichen Meinung in der
Bundesrepublik Deutschland und den USA, auf diese Entwicklung fällt zu diesem Zeitpunkt
noch diffus aus.
1.1
Deutschland und die USA
Bis zu diesem Zeitpunkt der revolutionären Umwälzungen in Ost- und Südosteuropa war das
deutsch-amerikanische Verhältnis geprägt durch die Partnerschaft der beiden Staaten im transat-
lantischen Bündnis der NATO und dem weitgehend kongruenten Wertekatalog der westlichen
Gesellschaft, den es 40 Jahre lang gegen die konkurrierende Ideologie des Sowjetkommunismus
zu verteidigen galt; war das Verhältnis, wie oben bereits beschrieben, zumindest seit 1955 auch
nicht immer störungsfrei, so war die halbhegemoniale Stellung der westlichen Supermacht USA
zu ihrem Juniorpartner in Kontinentaleuropa doch von einer ausgesprochenen Festigkeit, wobei
neben dem militärischen Pakt die Vereinigten Staaten als Besatzungsmacht des im Zweiten
Weltkrieg geschlagenen nationalsozialistischen Deutschland dafür Sorge trugen, mit Hilfe der
Integration in eine internationale Institution die Bundesrepublik zu einer berechenbaren und
friedlichen Nation in der Mitte Europas zu machen. Auch das, später freilich rückläufige, öko-
nomische Übergewicht der USA begründete deren Dominanz in den beiderseitigen Beziehungen
bis 1989.
Drei Jahre später suchen die beiden Protagonisten internationaler Politik nach einem neuen
Standpunkt und einer neuen Rolle in der dramatisch veränderten Ordnung einer keineswegs
friedlicheren Welt. Dieser Aggregatzustand des weltweiten Beziehungsgeflechts spiegelt sich
auch in der öffentlichen Meinung Deutschlands wieder, wie eine Anfang 1992 publizierte Um-
frage der Infratest Burke Berlin beweist
4
. In der Einleitung des Textes wird zu den grundsätzli-
chen außenpolitischen Möglichkeiten eines durch die 2+4-Kontrakte mit einer vollständigen
Souveränität versehenen Deutschlands Stellung genommen: ,,Deutschland kann die deutsche
Außenpolitik `normalisieren' und eine Reihe strategischer Traditionen wiedererlangen."
5
Dieses
gestärkte Selbstbewußtsein möchten die Deutschen jedoch keineswegs dazu nutzen, um mit dem
bisherigen Bündnispartner USA in eine Konkurrenz um weltweite Machtpositionen zu treten. Ihr
Amerikabild ist zum Zeitpunkt der Studie mit 68% nach wie vor mehrheitlich positiv, auch die
4
Das folgende Zahlenmaterial stammt aus Asmus, Ronald D.: Deutschland im Übergang. Nationales Selbstver-
trauen und internationale Zurückhaltung, in: Europa-Archiv, Folge 8/1992, S. 199-211
5
Asmus, S. 199

9
Deuschland-Politik der Vereinigten Staaten wird mit dem gleichen Prozentsatz befürwortet. In
dieser Grundhaltung sind sicherlich die Nachwirkungen des verstärkten Engagements George
Bushs um die deutsche Einheit enthalten; anzumerken bleibt jedoch das starke Gefälle innerhalb
dieser Meinungswerte zwischen West- und Ostdeutschland, wo die ehemalige westliche Super-
macht und deren Deutschland-Politik nicht annähernd so gut beurteilt wird wie von den Bürgern
des angestammten westlichen Bündnispartners. Ein Ost- und Westdeutschen gemeinsamer posi-
tiver Trend zu diesem Thema ist dagegen bei den Jugendlichen zu beobachten. Für einen Groß-
teil der Deutschen steht 1992 auch die strategische Partnerschaft in der NATO nicht zur Debatte.
Dennoch soll sich der vermeintliche internationale Bedeutungsgewinn Deutschlands auch im
Verhältnis zu den Vereinigten Staaten niederschlagen, und zwar dergestalt, daß die beiderseitigen
Beziehungen ausbalanciert werden sollten, wenngleich eingeräumt wird, daß es unwahrschein-
lich anmutet, die Position beider Länder zueinander könnte jemals vollkommen äquivalent sein.
Als Gegenpol zur US-amerikanischen Interessenpolitik haben die Deutschen zu diesem Zeit-
punkt weniger sich selbst als die Europäische Gemeinschaft auserkoren. Grundsätzlich negativ
wird die Präsenz konventioneller und nuklearer US-Streitkräfte in Deutschland beurteilt. Weiter-
hin ist anzumerken, daß die Vereinigten Staaten an sich zwar positiv bewertet werden, Kennzei-
chen einer humanen Gesellschaft wie etwa das Etikett ,,soziale Gerechtigkeit" ordnen die Deut-
schen den USA jedoch nicht zu.
Sehr kritisch beurteilt wird auch die angestrebte Aufgabenerweiterung der NATO, von der die
Deutschen laut der Studie befürchten, daß mit ihr das wiedervereinigte Deutschland in neue, un-
vorhergesehene Krisenherde gerät. Andererseits halten sie die EG für wenig geeignet, militärisch
tätig zu werden. Ihre Prioritäten sollten weiterhin auf dem politischen und wirtschaftlichen Sek-
tor liegen, wobei sich die Befragten uneins darüber sind, ob die Gemeinschaft eine Politik der
,,Erweiterung" oder der ,,Vertiefung" betreiben soll. 49% der Westdeutschen favorisieren deren
Expansion, 44% der Ostdeutschen sprechen sich eher für die Intensivierung der vorhandenen
Kontakte aus. Gemeiname Interessen sehen die Deutschen aber eher mit den Amerikanern als mit
anderen EG-Mitgliedern. Außer Frage steht jedoch für eine Mehrzahl von 59% die gestiegene
internationale Verantwortung Deutschlands, eine Steigerung von acht Prozent gegenüber dem
Vorjahr; das eigentliche Führen eines Krieges sprechen die Teilnehmer der Umfrage aber weiter-
hin den USA zu. Bemerkenswert sind die Vertrauenswerte für die Staatsoberhäupter: während
der damalige Bundeskanzler Kohl in dieser Kategorie nur 38% erreichte, hielten im Gegenzug
46% George Bush für vertrauenswürdig. Abschließend bestätigt der Autor der Studie den außen-
politischen Übergangszustand Deutschlands im Jahr der US-Präsidentschaftswahlen: ,,In den hier
vorgelegten Daten kann man Elemente sowohl des `alten' wie des `neuen' Deutschlands fin-
den."
6
Dem neuen deutschen Außenminister Klaus Kinkel, seit Mai 1992 Nachfolger des profilierten
und renommierten Hans-Dietrich Genscher, oblag die konkrete Aufgabe, das geschilderte diffuse
6
Asmus, S. 208

10
Stimmungsbild, das die deutsche Öffentlichkeit im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung deut-
scher Außenpolitik abgab, in der zeitlichen Ausrichtung bis zur Jahrtausendwende und darüber
hinaus in einen klar definierten und strukturierten, aber für die Verbündeten, vor allem die Ver-
einigten Staaten, auch transparenten Kurs zu verwandeln; lagen die Schwerpunkte deutschen au-
ßenpolitischen Handelns und Bemühens bisher auf der Renaissance des internationalen Ansehens
Deutschlands nach 1945, des Umgehens mit der deutschen Teilung sowie der friedlichen Über-
windung des Ost-West-Konfliktes, auch im Sinne der Bewahrung der einheitlichen deutschen
Nationalität, so sind diese Zielsetzungen weitgehend erreicht und damit obsolet. Um der zwei-
fellos gestiegenen Verantwortung der Bundesrepublik in Europa und der Welt Rechnung zu tra-
gen, hatte der Außenminister Deutschlands knapp eineinhalb Jahre nach der Wiedervereinigung
andere Prioritäten zu setzen. Für eine der bestimmenden Mächte auf dem Kontinent hieß es jetzt,
eine Entwicklung voranzutreiben, die die mit den Ereignissen des Jahres 1989 eingetretenen po-
sitiven Aspekte der Demokratisierung Ost- und Südosteuropas festigt und möglichst unumkehr-
bar macht. Grundlage hierfür sollte der KSZE-Prozeß sein, der bereits seit der Schlußakte von
Helsinki 1975 das Gerüst für eine sicherheitspolitische Architektur Europas jenseits des damals
noch üblichen Blockdenkens darstellte. Kollektive Sicherheit, Demokratie und soziale Markt-
wirtschaft waren die Grundpfeiler dieser Konstruktion. Darüberhinaus mußten dem befreundeten
und vor allem verbündeten Ausland die enormen Kosten der deutschen Einheit plausibel ge-
macht werden, z.B. hinsichtlich der Finanzierung internationaler militärischer oder humanitärer
Operationen. Für Deutschland war es hier geboten, die allgemeine Kritik der Staatenwelt in Zu-
kunft zu vermeiden, die die deutsche ,,Scheckbuchdiplomatie" im Golfkrieg Anfang 1991 aus-
gelöst hatte; nötig war die bessere Ausbalancierung zwischen den Möglichkeiten der verstärkten
Abstellung eigener Truppenkontingente und der reduzierten Übernahme von Kosten für Einsätze
verbündeter Armeen in internationalen Krisenfällen. In diesen Zusammenhang fällt auch die
Neustrukturierung der NATO, deren europäischer Pfeiler stärker ausgebaut werden sollte, schon
um die USA von den 40 Jahre getragenen sicherheitspolitischen und somit auch finanziellen
Bürden nicht zu befreien, aber doch zu entlasten. Die so formulierten diffizilen Anliegen deut-
scher Außenpolitik erfordern eine entsprechend vorsichtige, aber dennoch entschlossene Vorge-
hensweise des neuen Chefs des Auswärtigen Amtes: ,,Der neue deutsche Außenminister steht vor
einer Tagesordnung konzeptionellen und konkreten Handelns, die vom vereinten Deutschland
nach Westen und Osten viel Initiative, gepaart mit Einsatz- und Opferbereitschaft, Durchset-
zungsvermögen, gepaart mit Takt und Konsultationsdichte, innenpolitische Übereinstimmung
und außenpolitische Harmonisierung verlangt."
7
Die Konsequenzen der Befolgung dieses Leitfa-
dens scheinen ebenfalls klar: ,,Angesichts der weiter zunehmenden Multilateralisierung der deut-
schen auswärtigen Interessenwahrung wird es dringlich, die Zahl und die Qualität der Deutschen
7
Well, Günther van: Der Auswärtige Dienst in einer Zeit des Wandels, in: Europa-Archiv, Folge 14/1992, S.
393

11
in den internationalen und supranationalen Organisationen, wie EG, WEU, NATO, Europarat,
KSZE, zu verstärken."
8
Neben der Aufgabenverschiebung vom rein systemimmanenten Konflikt des Kalten Krieges hin
zur globalen Bewältigung humanitärer Katastrophen und regionaler Waffengänge muß die deut-
sche Außenpolitik stärker die politisch formulierte öffentliche Meinung erfassen und in ihren
Entscheidungen entsprechend berücksichtigen, ohne jedoch populistischen Avancen anheim zu
fallen. Gerade unter dem Gesichtspunkt des ausgehenden Zeitalters des Nationalstaates, das seit
Beginn des 17. Jahrhunderts angedauert hatte, und der zunehmenden Bedeutung sowie des Zu-
sammenwachsens der einzelnen Gesellschaften und dem unbestreitbaren Einfluß der Medien auf
sie gewinnt diese Strategie für modern orientierte Regierungen immer mehr an Bedeutung. Der
Trend ist eindeutig: ,,Innenpolitik und internationale Politik kreisen grundsätzlich um ähnliche,
nicht um unterschiedliche Herausforderungen."
9
Es offenbaren sich somit für die internationalen
Beziehungen die beiden Möglichkeiten einer voranschreitenden Zivilisierung der globalen Kon-
takte oder aber das Abgleiten in regionale Zwistigkeiten und Konflikte, die von der Staatenge-
meinschaft nur schwer oder gar nicht zu bewältigen sind und sie sogar in Situationen bringen
können, die denen der Gefahr der weltweiten Konfrontation der Jahre 1914 und 1939 nicht un-
ähnlich sind. Das Paradebeispiel Jugoslawien könnte hier nur den Anfang bilden. Sowohl die
Bundesrepublik, aber vor allem auch der vermeintliche ,,Weltpolizist" USA hatten und haben
diesen Gedankengang in ihren außenpolitischen Aktivitäten seit Beginn der 90er Jahre zu be-
rücksichtigen. Im Sinne einer Prävention solcher Szenarien sollte eine intensive Wirtschaftshilfe
in den betroffenen Regionen als Voraussetzung zum Aufbau zivilisatorischer Strukturen und so-
mit friedlicher Gesellschaften betrieben werden. Der Status des Entwicklungshilferessorts als
Anhängsel in den Etats der Industriestaaten, nicht nur in Deutschland und den Vereinigten Staa-
ten, kann am Ausgang des 20. Jahrhunderts durch die veränderte politische Großwetterlage und
daraus folgende verstärkte Bedeutung der Regionen schnell zum Bumerang werden und in Form
von Migrationsschwemmen und dem bisher unzureichend beachteten Problem des staatlich in-
itiierten Wirtschaftsterrorismus, das der Überfall Iraks auf Kuwait im August 1990 bereits sicht-
bar machte, auf die nördliche Wohlstandshemisphäre zurückfallen.
Was die zukünftigen deutsch-amerikanischen Beziehungen konkret angeht, so müssen sich die
Experten zum Zeitpunkt des Amtswechsels im Bonner Außenministerium und im Vorfeld der
US-Präsidentschaftswahlen 1992 noch immer mit vagen Konstruktionen behelfen: ,,Angesichts
der atemberaubenden Geschwindigkeit, mit der die Veränderungen ablaufen, wird jede Analyse
von Ungewißheiten beeinträchtigt; sie kann nur versuchen, die gegenwärtigen Trends in die Zu-
kunft zu verlängern."
10
Diese Trends bestehen in den meisten Fällen im Bestand des gemeinsa-
8
Well, S. 393
9
Maull, Hanns W.: Zivilmacht Bundesrepublik Deutschland. Vierzehn Thesen für eine neue deutsche Außenpo-
litik, in: Europa-Archiv, Folge 10/1992, S. 270
10
Kaiser, Karl: Die deutsch-amerikanischen Sicherheitsbeziehungen in Europa nach dem Kalten Krieg, in: Euro-
pa-Archiv, Folge 1/1992, S. 7

12
men Wertekatalogs, dessen Erhaltung und Expansion in das politische Vakuum des ehemaligen
Ostblocks angestrebt wird. Als gemeinsame und existentielle Gefahr taucht u.a. das ehemals so-
wjetische Atomwaffenpotential auf, das mit Gründung neuer Staaten auf dem Territorium der
Ex-UdSSR nicht mehr nur in einer Hand vereinigt ist, sondern sogar aufgrund politischer Insta-
bilität in der Region in den Besitz ,,radikaler Regierungen oder terroristischer Gruppen im Aus-
land"
11
gelangen könnte. Das Interesse der Bundesrepublik und der USA, hier westlich-
demokratische Strukturen zu etablieren, um diesem Risiko, das sich auch auf die unsichere zivile
Nutzung der Kernenergie in den GUS-Staaten bezieht, entgegenzuwirken, liegt auf der Hand.
Weiterhin kritisch beäugen die westlichen Führungsmächte die Fähigkeit der sowjetischen Nach-
folgestaaten, getroffene Abkommen einzuhalten, da ihnen dazu meistens finanzielle und logisti-
sche Möglichkeiten fehlen, die in aller Regel die westlichen Vertragspartner zur Verfügung stel-
len müssen. Als Beispiel mag hier die Vernichtung russischer Atomwaffen in den USA gelten.
Die Vereinigten Staaten gelten bei den kleinen, neuen Nationen Ost- und Südosteuropas überdies
als Schutzmacht gegen den übermächtigen Einfluß Rußlands, Deutschlands und der Ukraine.
Wie begrenzt diese Funktion als Gegenpol der in der Region dominierenden Mächte jedoch ist,
zeigt das nur zögerlich anlaufende Engagement der Amerikaner im Jugoslawien-Konflikt.
Während das Amerikabild der Deutschen, wie oben beschrieben, nach wie vor hauptsächlich po-
sitiv besetzt ist, kann im umgekehrten Fall eine gewisse Verunsicherung der USA hinsichtlich
des kontinentaleuropäischen Bündnispartners im Jahre 1992 nicht geleugnet werden. Ist diese
vordergründige Irritation auch auf eine psychologisch bedingte Suche vieler Amerikaner nach ei-
nem neuen Feindbild nach dem Wegfall der UdSSR zurückzuführen, der statt Siegeseuphorie
auszulösen eher Orientierungslosigkeit in Teilen der politischen Elite der Vereinigten Staaten
hinterlassen hat, und daher nur von begrenzter Aussagekraft über die Meinung der US-
Amerikaner bezüglich des wiedervereinigten Deutschland, sollten die gezeigten Reaktionen der
amerikanischen Öffentlichkeit auf einige Aktivitäten der deutschen Außenpolitik jedoch nicht
unterschätzt werden. Gregor Schöllgen beurteilt die Situation wie folgt: ,,Die Vereinigten Staaten
befinden sich in einer Phase innerer Unsicherheit und - so scheint es jedenfalls - äußerer Schwä-
che. Die diplomatischen und militärischen Leistungen und Triumphe der Golf-Krise, von vielen
Amerikanern ohnehin nur als elektronisches Medienspektakel wahrgenommen, sind fast verges-
sen, die Konfettiparade auf der Fifth Avenue ist Schnee von gestern."
12
, und weiter: ,,Japan und
Deutschland haben bei den Kommentatoren der amerikanischen Medien Konjunktur. Nicht we-
nigen unter ihnen erscheinen sie als die neuen Herausforderer, gelegentlich könnte man sogar
meinen; die neuen Gegner. Daß es sich dabei um die Feinde von gestern handelt, paßt in das Bild
mancher Beobachter von heute und bleibt nicht unerwähnt."
13
Sind die journalistischen Aktivi-
täten der US-Presse zu diesem Zeitpunkt auch eher auf den anderen potentiellen Widerpart der
11
Kaiser, S. 9
12
Schöllgen, Gregor: Deutschlands neue Lage. Die USA, die Bundesrepublik Deutschland und die Zukunft des
westlichen Bündnisses, in: Europa-Archiv, Folge 5/1992, S. 125
13
Schöllgen, S. 126

13
Vereinigten Staaten, Japan, gerichtet und offizielle US-amerikanische Stellen auch um eine Ab-
milderung und Richtigstellung der Medienschelte bezüglich Deutschlands Außen- und Finanz-
politik bemüht, sind die sich in der öffentlichen Meinung der USA abzeichnenden Differenzen
zum transatlantischen Bündnispartner durchaus ernstzunehmen. In den dort ansässigen Printme-
dien wie etwa der ,,New York Times", dem ,,politisch wohl einflußreichste(n) Blatt in den Verei-
nigten Staaten"
14
, wird Deutschlands Außenpolitik als Vorgehensweise skizziert, die von der
vermeintlichen Arroganz der neugewonnenen Macht des mit US-amerikanischer Hilfe wieder-
vereinigten Landes bestimmt wird und die Verbündeten mit der Schaffung vollendeter Tatsachen
auf seine Linie bringen will, während man sich ein Jahr zuvor im Golf-Krieg noch in vornehmer
Zurückhaltung übte. Es fällt dabei nicht ins Gewicht, daß die Außenpolitik der USA von jeher
die gleiche Strategie verfolgte, man denke nur an deren eigenmächtige Aktionen in Panama, Li-
byen und Grenada sowie die gescheiterte Befreiung der Geiseln aus der besetzten US-
amerikanischen Botschaft in Teheran zu Beginn der 80er Jahre. Trotzdem gehen die allgemeinen
Befunde der einheimischen, politisch seriösen Medien bezüglich deutscher Außenpolitik von der
objektiv unbegründeten und oberflächlichen Annahme von Revanchegelüsten auf dem Balkan
bis hin zum Glauben an die ,,Germanisierung"
15
der Europäischen Gemeinschaft. Sie sehen die
Bundesrepublik als die der Sowjetunion nachfolgende gesamteuropäische Ordnungsmacht, die
auch dazu imstande wäre, die Position der Vereinigten Staaten in Europa zumindest zu destabili-
sieren, wenn nicht gar zu gefährden; darüberhinaus ist zu bedenken, daß Deutschlands interna-
tionales Gewicht sich nach dem dritten Oktober 1990 nicht nur gegenüber den USA oder Ruß-
land geändert hat. Sowohl Frankreich, dessen Meinungsverschiedenheiten mit den Vereinigten
Staaten bisher vor allem in der NATO evident wurden, als auch Großbritannien, das spätestens
seit dem Zweiten Weltkrieg der engste Verbündete der USA in der ,,alten Welt" war und durch
die gesteigerte internationale Bedeutung Deutschlands diesen Status einzubüßen droht, spielen
bei der Gestaltung kontinentaleuropäischer Politik nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr
dieselbe Rolle wie zuvor. Zwei weitere, traditionelle Großmächte müssen so ihr internationales
Engagement verstärkt mit deutschen Positionen abgleichen, was den politischen Eliten dieser
Länder ebenso mentale wie praktische Probleme bereitet wie dem amerikanischen Führungszir-
kel.
Die Stimmen in der US-amerikanischen Medienlandschaft, die ein politisch wie wirtschaftlich
gefestigtes Deutschland als Basis für ein berechenbares Europa sehen, geraten so in die Opposi-
tion. Die Realität, daß dem außenpolitischen Spielraum der Bundesrepublik durch deren Einbin-
dung in zahlreiche globale wie regionale Bündnisse Grenzen gesetzt sind und ihre außergewöhn-
liche geostrategische wie -politische Lage durch die Nähe zu potentiellen Krisengebieten auch
Gefahren birgt, wird in den US-Medien 1992 weitgehend unterschätzt. Im Rahmen der KSZE
wird dagegen deutlich, wie das deutsch-amerikanische Verhältnis seit 1945 gewachsen ist und
wie eine verläßliche Zukunftsprognose für diese tragende Säule transatlantischer Beziehungen
14
ders., S. 126
15
ders., S. 128

14
aussehen kann: ,,Man sollte sich erinnern, daß es ursprünglich vor allem Bonn gewesen ist, das
die Teilnahme der Vereinigten Staaten an einer europäischen Sicherheitskonferenz zu einer Be-
dingung für seine eigene Teilnahme erhoben hatte."
16
1.2
Die USA und die ,,neue Weltordnung"
Am sechsten März 1991 hält George Bush vor dem US-Kongreß zum Ende des Golf-Kriegs eine
vielbeachtete Rede, die die Diskussion um ein zukünftiges Krisenmanagement, das Szenarien
wie den gerade beendeten Konflikt der internationalen Staatengemeinschaft mit dem Irak von
vorneherein vermeidet, um eine weitere, wichtige Facette bereichert. Der Mann, der ,,niemals
mehr in seinem Element war als in der Vorbereitung des Golfkrieges"
17
und insgeheim mit dem
Posten des UN-Generalsekretärs liebäugelte
18
, proklamierte eine ,,neue Weltordnung"
19
, die die
Verwirklichung der 1945 verfaßten Charta der Vereinten Nationen zum Ziel haben sollte. Ende
Januar 1992 bekräftigt er in seiner letzten Jahresbotschaft an den Kongreß die Ernsthaftigkeit
seines Vorhabens und spricht zusätzlich von der herausragenden weltweiten Rolle der USA als
Bewahrer und Förderer von Frieden und Demokratie
20
. Er verknüpft somit das Schicksal der UN
und die weitere Entwicklung der Vereinigten Staaten miteinander und suggeriert die erwünschte
Orientierung der Weltorganisation an der Politik der einzigen nach dem Kalten Krieg verbliebe-
nen Supermacht. Die in den politischen Gremien und Zirkeln der USA weitverbreitete Meinung,
die Vereinten Nationen seien wenig mehr als ein Forum der internationalen Koordination natio-
naler Einzelinteressen, das die Entscheidungsfreiheit der US-amerikanischen Außenpolitik in
keinster Weise zu beschneiden hätte, kommt in dieser Argumentation voll zum Tragen.
Die seit jeher in der US-amerikanischen Außenpolitik stark vertretene ökonomische Komponente
vornehmlich wirtschaftlicher, informeller Einflußnahme kommt auch hier zum Tragen, ganz im
Sinne der ,,Open Door Policy", deren Grundlinien schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts formu-
liert wurden. Konservierung und Verbreitung freiheitlicher, aber auch kapitalistischer demokrati-
scher Strukturen und Prinzipien sowie ungebundener, prosperierender Welthandel verschmelzen
so zu einer Symbiose globalen politischen Handelns, wie der damalige US-Präsident sie sich vor-
stellte. Die Kritiker dieser Initiative Bushs führen hier die simple Übernahme der Fixpunkte US-
amerikanischer Außenpolitik auf UN-Ebene an. Die Praktikabilität der ,,neuen Weltordnung"
wird als zu statisch angezweifelt, als zu unbeweglich im Zeitalter regionaler Konflikte, die eine
enorme geistig-politische wie auch militärisch-logistische Flexibilität erfordern.
16
Schöllgen, S. 131
17
Richter, Stephan-Götz: Clinton. Was Amerika und Europa erwartet, Bonn/Berlin 1992, S. 173
18
Richter schreibt hierzu auf S. 172: ,,Doch war das Amt des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für einen
stolzen, mit allen Vorzügen der Patriziergeburt ausgestatteten Amerikaner wie Bush allein schon aufgrund der
politischen Realitäten der Organisation unerreichbar."
19
siehe hierzu Europa-Archiv, Folge 9/1991, S. D 218-220
20
siehe hierzu Europa-Archiv, Folge 5/1992, S. D 159 ff.

15
Deutschland im allgemeinen und Europa im besonderen weist er in seinem Zukunftskonzept eine
herausragende Rolle bei der Bewältigung globaler Herausforderungen zu. Grundlage hierfür sei
die über 40 Jahre währende Interessenkonformität zwischen den USA und den transatlantischen
Partnern, denen Bush in seinen Vorstellungen neben der Verantwortung auch zusätzliche Kosten
aufbürden will, die sein Land im bisherigen Maße nicht mehr tragen will. Mit Blick auf die Prä-
sidentschaftswahlen im November 1992 stellt er schon in dieser weltweit orientierten Konzepti-
on eine Kürzung des eigenen Rüstungsbudgets in Aussicht, um sich verstärkt innenpolitisch en-
gagieren zu können: ,,Jetzt, nach dem Ende des Kalten Krieges sei es möglich, die Verteidi-
gungsausgaben um 30 Prozent zurückzufahren, um die frei werdenden Mittel zur Lösung innen-
politischer Aufgaben einzusetzen."
21
Ein vollständiger, vorschneller Rückzug oder eine verfrühte
Demobilisierung der militärischen Kräfte der USA, die über den ganzen Erdball verteilt sind, sei
aufgrund der unkalkulierbaren weltpolitischen Lage jedoch auszuschließen.
Der Vorgänger Clintons hat zu Beginn des Wahljahres mit einer beklemmenden Stimmung im
eigenen Land zu kämpfen. Die wirtschaftliche Rezession zieht eine typisch amerikanisch-
übersteigerte, gesellschaftlich-geistige Paranoia nach sich, deren Auswirkungen den außenpoliti-
schen Handlungsspielraum der Entscheidungsträger entscheidend zu schmälern drohen. Beispiele
aus der Geschichte werden herangezogen, wo vom alten Rom über das mittelalterliche und früh-
neuzeitliche, koloniale Spanien bis hin zum britischen Empire der Niedergang weltweiten Ein-
flusses mit einer ökonomischen Depression im Innern begann, und mit der eigenen Situation ver-
glichen. Die Erkenntnis, daß die ökonomische Potenz einer Nation nach 1989 mehr als je zuvor
über ihre machtpolitische Stellung in der Welt entscheidet, bringt die bisher gegenüber dem
Ausland zur Schau getragene US-amerikanische Selbstsicherheit erheblich ins Wanken. Nicht
zuletzt diese offensichtliche Unsicherheit der letzten verbliebenen Supermacht verschafft der von
ihrem politischen Protagonisten favorisierten ,,neuen Weltordnung" einen schweren Stand in der
weltweiten Diskussion um neue Ansätze einer globalen, kollektiven Sicherheitspolitik.
1.3
Die Europäische Gemeinschaft, das Maastricht-Abkommen und die USA
Das Maastrichter Vertragswerk zur Europäischen Union vom 10. Dezember 1991 sollte nicht nur
auf dem Wirtschafts- und Währungssektor weitreichende Fortschritte bringen, sondern, jeden-
falls nach dem Willen der deutschen Seite, auch die politische Einigung der Mitgliedsstaaten ent-
scheidend vorantreiben. Entsprechend schwierig gestalteten sich die Verhandlungen des Europäi-
schen Rates. Letztlich wurden die Kompetenzen der EG zwar erweitert und die Verfahren zur
Entscheidungsfindung innerhalb der Gremien der Gemeinschaft teilweise vereinfacht, Großbri-
tannien wurde es jedoch als einzigem Mitglied freigestellt, die tragenden Säulen der Sozial- und
Währungsabkommen zu übernehmen oder, wie von der britischen Regierung gewünscht, zu-
nächst nicht daran teilzuhaben; weiterhin sollte eine verstärkte demokratische Transparenz der
21
Schröder, Hans-Jürgen: Amerika als Modell. Die neue Weltordnung in historischer Perspektive, in: Europa-
Archiv, Folge 5/1992, S. 120

16
Entscheidungsfindungen in den einzelnen Gremien Einzug halten, um es dem zukünftigen EU-
Bürger leichter zu machen, die Direktiven aus Brüssel nachzuvollziehen. Zu diesem Zweck sollte
auch das Europäische Parlament in Straßburg durch eine stärkere Einbindung in die Entschei-
dungsprozesse der Gemeinschaft in seiner Bedeutung aufgewertet werden. Bemerkenswert bleibt
die Etablierung einer gemeinsamen Währung ab dem ersten Januar 1999, wobei die Länder, die
hierfür vorgesehen waren, finanz- und haushaltspolitische Kriterien zu erfüllen hatten. Da das
Gesamtwerk einer Ratifizierung durch die einzelnen Teilnahmestaaten unterworfen wurde,
mußten für strittige Passagen annehmbare Kompromisse gefunden werden, was die Verhandlun-
gen zusätzlich erschwerte. Die Unterzeichnung des Abkommmens durch alle Teilnehmer der
Konferenz hatte schließlich seinen Preis: ,,Dies wurde jedoch mit einer Vielzahl von Ausnahme-
regelungen und sehr komplizierten Verfahren erkauft."
22
Wie die Strukturen der vermeintlich neu
definierten europäischen Zusammenarbeit aussehen sollen, beschreibt Schmuck wie folgt:
,,Grundlagen der Europäischen Union sind nach dem Maastrichter Vertrag die Europäischen
Gemeinschaften sowie die neuen Politiken und Formen der Zusammenarbeit in den Bereichen
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (abgekürzt als `GASP') sowie Innen- und Rechtspo-
litik. Daher sprechen Beteiligte häufig zur Beschreibung der Konstruktion von einer `Tempel-
konstruktion', die auf den drei Säulen EG, GASP und Zusammenarbeit in der Innen- und
Rechtspolitik beruht. Das Dach des Tempels wird von den gemeinsamen Bestimmungen des
Unionsvertrages gebildet."
23
Als herausragende Ziele dieses jetzt ,,Europäische Union" genann-
ten Staatenbundes gibt Schmuck fünf Stichpunkte an
24
:
· Förderung eines ausgewogenen und dauerhaften wirtschaftlichen Wachstums unter Berück-
sichtigung der sozialen Komponente;
· Behauptung ihrer Identität auf internationaler Ebene;
· Schutz der Rechte und Interessen ihrer Bürger durch Einführung einer Unionsbürgerschaft;
· verstärkte Zusammenarbeit bei der Innen- und Rechtspolitik sowie
· Wahrung und Weiterentwicklung des im Rahmen der EG erreichten Besitzstandes.
Was die GASP angeht, so können die vereinbarten Bestimmungen nur wenig überzeugen. Wie in
zahlreichen anderen Bereichen des Vertragswerkes gilt auch hier bei wichtigen Entscheidungen
weiterhin das Prinzip der Einstimmigkeit der gemeinsam getroffenen Beschlüsse; dieses er-
schwert somit nach wie vor ein geschlossenes Auftreten der Partner, das sowohl gegenüber aus-
wärtigen Verbündeten wie der USA als auch streitenden Konfliktparteien wie im ehemaligen Ju-
goslawien einen Ansehens- und Respektgewinn erbracht hätte. Den außenpolitischen Initiativen
der zukünftigen Union wäre mehr Autorität beschieden und ein stärkeres Gehör verschafft wor-
22
Schmuck, Otto: Der Maastrichter Vertrag zur Europäischen Union. Fortschritt und Ausdifferenzierung der Eu-
ropäischen Einigung, in: Europa-Archiv, Folge 4/1992, S. 97
23
Schmuck, S. 99f.
24
ders., S. 100

17
den. So scheinen die fünf Eckpfeiler der GASP
25
wenig mehr zu sein als der kleinste gemeinsa-
me Nenner der Mitgliedsstaaten:
· die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen und der Unabhängig-
keit der Union;
· die Stärkung der Sicherheit der Union und aller Mitgliedstaaten;
· die Wahrung des Weltfriedens sowie die Stärkung der internationalen Sicherheit;
· die Förderung der internationalen Zusammenarbeit und
· die Förderung von Demokratie, Rechtstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte
und der Grundfreiheiten.
Die Organisation einer gemeinsamen Verteidigung soll innerhalb der Strukturen der Westeuro-
päischen Union (WEU) erfolgen, auch wenn zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Maastricht-
Abkommens nur neun der zwölf EG-Staaten in diesem militärisch-politischen Bündnis vertreten
sind. Um die USA in diesem Zusammenhang zu beruhigen, daß trotz dieser Konzentration auf
die WEU in Zukunft eventuelle europäische Alleingänge auszuschließen seien, wird betont, daß
die verstärkte Berücksichtigung der WEU durch die Vertragspartner von Maastricht keine Kon-
kurrenz dieser Organisation zur Atlantischen Allianz zur Folge haben soll; vielmehr bestehe die
Absicht, dadurch den seit den Ereignissen von 1989 immer wichtigeren europäischen Pfeiler der
NATO zu stärken. Überdies werden vom Ausbau der WEU betroffene bi- bzw. multilaterale Ab-
kommen in diesen Prozeß integriert oder zumindest dabei berücksichtigt.
Die Irritation der Amerikaner über den vermeintlich gestiegenen Willen der Europäer, ihre au-
ßenpolitischen Angelegenheiten jetzt selbst regeln zu wollen, geht jedoch tiefer als dies die
scheinbare Verfestigung einer eigenständigen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik im
Vertrag von Maastricht dokumentiert. Um einem Auseinanderdriften der transatlantischen Part-
ner vorzubeugen, erhöht und legitimiert Henry A. Kissinger daher das Bündnis zwischen ,,alter"
und ,,neuer Welt" auch nach dem Ende des Kalten Krieges zu einem fast unauflöslichen Ver-
mächtnis der Weltgeschichte: ,,Unser Schicksal ist so eng verbunden, daß viele der traditionellen
Kategorien, mit denen wir an Außenpolitik herangehen, meiner Ansicht nach nicht auf die euro-
päisch-amerikanischen Beziehungen anwendbar sind."
26
Um diesem Anspruch jedoch gerecht
werden zu können, sind nicht nur die Europäer angehalten, in der letzten Dekade vor der Jahrtau-
sendwende in der Außen- und Sicherheitspolitik einen Kurswechsel vorzunehmen. Auch die po-
litische Elite der Vereinigten Staaten muß sich nach Meinung des ehemaligen Außenministers
von teilweise jahrhundertealten Traditionen im globalen Denken verabschieden. Die hohen mo-
ralischen Werte, die politisch interessierte US-Amerikaner allgemein auf Außenpolitik anwenden
und die daher europäisch geprägte Begriffe wie ,,Realpolitik" oder ,,Balance of Power" eher ver-
25
ders., S. 104
26
Kissinger, Henry A.: Die künftigen Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, in: Europa-
Archiv, Folge 23/1992, S. 671

18
abscheuen, sind für Kissinger nicht mehr zeitgemäß. Dabei gerät er in Opposition zu George
Bushs Konzeption der weltweiten Verbreitung von Demokratie und freier Marktwirtschaft bei
gleichzeitiger Reduzierung der US-Truppenkontingente rund um den Erdball: ,,Die Vereinigten
Staaten werden nicht in der Lage sein, eine solche Haltung durchzuhalten."
27
Speziell für die eu-
ropäisch-amerikanischen Beziehungen und ihren für Kissinger herausgehobenen Stellenwert
sieht er auf Seiten der USA eine problematische Entwicklung im Gange: ,,Für Amerika wird es
noch komplizierter, weil bei jeder Präsidenten- oder Kongreßwahl eine Machtverschiebung von
der Ostküste zum Süden und Südwesten zu beobachten ist, ein Wechsel in den führenden Eliten
von jenen, für die Europa eine persönliche Erfahrung war, zu jenen, für die fremde Länder ein-
schließlich Europa sehr weit weg sind."
28
1.4
Die Zukunft der NATO
Die transatlantische Allianz versucht indessen seit Beginn der 90er Jahre eigenverantwortlich ih-
re ursprüngliche Aufgabenstellung den veränderten politischen Gegebenheiten anzupassen und
so ihr eigenes Überleben durch die Formulierung einer vermeintlichen neuen Daseinsberechti-
gung zu sichern. In den Worten ihres damaligen Generalsekretärs Manfred Wörner ist dies
,,nichts weniger als die Geburt einer neuen Atlantischen Allianz - einer Allianz mit einer erwei-
terten politischen Rolle, einem neuen strategischen Konzept, noch engeren kooperativen Bezie-
hungen mit den Ländern Mittel- und Osteuropas, einem stärkeren europäischen Pfeiler innerhalb
der NATO und einer neuen Streitkräftestruktur mit deutlich reduziertem Umfang."
29
Ganz im
Sinne Kissingers wird die Verbindung zwischen Europa und den USA bestätigt und bekräftigt,
die Kooperation mit anderen supranationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder
der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) soll ebenfalls forciert wer-
den, wobei jedoch immer wieder betont wird, daß ,,keine dieser Institutionen...die Atlantische
Allianz ersetzen (kann)"
30
. Der zumindest militärisch erfolgreich gestaltete Golfkonflikt wird als
Beweis dargestellt, daß die konsultativen und koordinierenden Strukturen der NATO auch au-
ßerhalb des Bündnisgebietes zur Entfaltung kommen können und in Zukunft auch müssen. Den
Alleinvertretungsanspruch auf die Bewahrung oder Schaffung von Sicherheit besitze sie jedoch
nicht. Das wiedervereinigte Deutschland wird in diesem Zusammenhang dazu aufgefordert, eine
aktivere Rolle bei den Operationen der NATO zu spielen und sich nicht hinter angeblichen histo-
rischen Verpflichtungen zu verschanzen: ,,Unsere westlichen Partner werden sich nicht auf Dau-
er mit einer Form der Arbeitsteilung abgeben, in der die Deutschen für die subtilen `politischen',
die anderen aber für die groben `militärischen' Belange zuständig sind."
31
Um kritischen Stim-
27
Kissinger, S. 673
28
ders., S. 673f.
29
Wörner, Manfred: Die Atlantische Allianz und die europäische Sicherheit, in: Europa-Archiv, Folge 1/1992,
S.1
30
Wörner, S. 2
31
ders., S. 3

19
men vor allem der deutschen Linken zum Fortbestand der Allianz entgegenzuwirken, wird deren
integrativer Aspekt betont, der einen Rückfall ihrer Mitglieder in die europäische Machtpolitik
vor 1945 vermeiden soll.
Vor allem in drei Feldern internationaler Politik mache sich der für die NATO spürbare Wandel
der globalen Verhältnisse besonders bemerkbar: während in den Beziehungen Europas zu den
Vereinigten Staaten Kontinuität herrschen soll, was allein schon aus militärisch-praktischen,
nämlich logistischen und strategischen Gründen geboten scheint, haben einmal die Verbindungs-
stränge der Allianz zu den ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes eine neue Qualität
erhalten, die sich in einer intensiveren Zusammenarbeit äußern soll, um das in Ost- und Südost-
europa nach Auflösung des gegnerischen Bündnisses entstandene Sicherheitsvakuum mit Rück-
sicht auf die Interessen Rußlands behutsam zu füllen. Zu diesem Zweck soll zweitens der euro-
päische Pfeiler der NATO ausgebaut werden. Wie im Maastricht-Abkommen zur Europäischen
Union vorgesehen, soll dies mit Hilfe der WEU geschehen. Drittens soll der militärische Kom-
plex der Allianz umstrukturiert werden, damit aus der auf Abschreckung und Verteidigung aus-
gerichteten Maschinerie eine flexible Struktur erwächst, die vermehrt die ,,Verhinderung und
Bewältigung von Krisen"
32
zu ihren Aufgaben zählt.
Dies alles soll schließlich in der Gestaltung eines weltweiten, politische wie militärische Sicher-
heit gewährleistenden Beziehungsgeflechts münden, wobei das Dreigestirn USA, Europa und Ja-
pan den Knotenpunkt der gegenseitigen Kommunikation und Aktion darstellt. Angesichts einer
solchen Zielsetzung scheint die NATO selbst die Sphäre der schon zum damaligen Zeitpunkt
heftig geführten Diskussion um ,,Out-of-area"-Einsätze bereits vor der Wahl Bill Clintons zum
US-Präsidenten verlassen zu haben. Die ursprünglich restriktiv und defensiv auf das eigene
Bündnisgebiet ausgelegte Allianz mutierte mit diesem Konzept schon seit Beginn der 90er Jahre
scheinbar zum ,,Global Player", was die sicherheitspolitischen Interessen ihrer Mitglieder anging.
1.5
Die Vereinten Nationen nach dem Kalten Krieg
Das Ende der Systemkonfrontation führte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dem wegen
des Vetorechts seiner Mitglieder während des Kalten Krieges bei der Verurteilung regionaler
Stellvertreterkonflikte der beiden Blöcke meist die Hände gebunden waren, zu einer erhöhten
Handlungsfähigkeit. Nach wie vor stellen die Generalversammlung, in der jede in der UN ver-
tretene Regierung ihre individuellen Anliegen vorbringen kann, und vor allem der Sicherheitsrat
mit den fünf ständig präsenten Vetomächten USA, Großbritannien, Frankreich, Rußland als
Rechtsnachfolger der UdSSR sowie China die entscheidenden politischen Organe der globalen
Institution am East River in New York dar. Dieser neugewonnene Handlungsspielraum innerhalb
der Organisation der UN existiert jedoch nur bei kongruenten Haltungen der USA und Rußlands
oder Chinas hinsichtlich regionaler Auseinandersetzungen, was nicht immer der Fall sein muß.
32
ders., S. 5

20
Die Krise auf dem Balkan, der traditionell russisches Einflußgebiet darstellt, oder die Vorbehalte
Chinas gegenüber dem im Dezember 1992 angelaufenen UN-Engagement in Somalia mögen hier
als Beispiele gelten. Die weiterhin dominante Stellung der politischen Institutionen innerhalb der
Vereinten Nationen läßt dem Amt des UN-Generalsekretärs zwar eine hohe moralische Legiti-
mität, faktisch bleibt ihm im konkreten Konfliktfall, in dem der Sicherheitsrat blockiert ist, je-
doch nicht mehr als die Reisediplomatie vor Ort.
Im Gegensatz zur Zeit vor 1989 hat der Sicherheitsrat zum Ende des Jahrtausends ein sich wan-
delndes Aufgabengebiet zu bewältigen. Die bisher für ihn ausschlaggebenden Direktiven der Er-
haltung des Weltfriedens und der Konservierung globaler Sicherheit scheinen angesichts der ver-
änderten Situation eine zu schmal ausgefallene Definition der eigenen Arbeit zu sein. Der inner-
jugoslawische Konflikt deutete an, wie die angebliche Gefährdung der benachbarten Nationen in
Zukunft dazu herhalten könnte, die Wünsche des Sicherheitsrates bezüglich der Situation in zer-
brechenden oder in den Bürgerkrieg abgleitenden Nationen in entsprechende Resolutionen mün-
den zu lassen. Eine erweiterte Arbeitsbasis scheint erforderlich zu sein, um z.B. auch gegen
Menschenrechtsverletzungen innerhalb eines Staatsgebildes vorgehen zu können. Der Wider-
stand Chinas dürfte hierbei jedoch erheblich sein. Alternative Aufgaben wie etwa das verstärkte
Bemühen um den globalen Schutz der Umwelt deuten sich, etwa mit dem Gipfel in Rio de Janei-
ro im Juni 1992, am Horizont des 21. Jahrhunderts an.
Um den vielfältiger gewordenen Problemen der Vereinten Nationen Herr zu werden, wird seit
längerem eine Erweiterung des Kreises der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates gefordert.
Bei der Nominierung geeigneter Kandidaten wird je nach deren regionaler Bedeutung oder wirt-
schaftlichen Potenz variiert und spekuliert. Deutschland und Japan scheinen erste Anwärter zu
sein, auch ein Sitz für die gesamte EG ist in der Diskussion, wenn er auch wenig realistisch an-
mutet. Der deutschen Anwartschaft allerdings hat die ,,Scheckbuchdiplomatie" der Bundesregie-
rung während des Golf-Krieges zumindest Bedenken eingebracht. Die Kontroverse über die Auf-
stockung des Gremiums erhält mit der die Thematik aufgreifenden Resolution 47/62 der Gene-
ralversammlung der UN vom elften Dezember 1992 jedenfalls einen neuen Impuls.
Tomuschat faßt die Situation der Vereinten Nationen nach dem Ende des Kalten Krieges wie
folgt zusammen: ,,So verschiebt sich nach der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes die Pro-
blematik eher hin zu der politischen Frage, ob die internationale Gemeinschaft tatsächlich bereit
ist, diejenigen Opfer zu bringen, die erforderlich sind, um das UN-System der kollektiven Si-
cherheit auf Dauer zu einem schlagkräftigen Instrument einer Weltfriedenspolitik zu machen."
33
33
Tomuschat, Christian: Die Zukunft der Vereinten Nationen, in: Europa-Archiv, Folge 2/1992, S. 45

21
2.
Die US-Präsidentschaftswahlen im November 1992
Trotz der negativen Berichterstattung über Deutschland vor allem in den US-Printmedien im
Vorfeld der Präsidentschaftswahlen spielt die Außenpolitik der USA für die Entscheidung des
US-Wählers nur eine marginale Rolle, die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind für ihn von
keinerlei Interesse. Obwohl George Bush die vermeintliche Trumpfkarte seiner unbestrittenen
außenpolitischen Erfolge auszuspielen versucht, ist ,,das vorherrschende und wahrscheinlich aus-
schlaggebende Thema die Wirtschaftsentwicklung"
34
innerhalb der Vereinigten Staaten, bei der
es seit Beginn des Jahres keine Anzeichen für einen Aufschwung gibt. Die Kampagnen der bei-
den Kandidaten dümpelten vor sich hin. Auch das Programm und die Person Clintons, dem zu-
sätzlich außereheliche Affären angelastet wurden, mußten sich mit dem weitgehend gescheiterten
letzten demokratischen Präsidenten Jimmy Carter vergleichen lassen, mit dem neben einer ,,aus-
geprägten Provinzialität"
35
nach wie vor eine hochtrabende Inflation und horrende Zinsen in
Verbindung gebracht werden. Erst der Einstieg des exzentrischen Texaners Ross Perot in den
Präsidentschaftswahlkampf brachte Bewegung in die Szenerie. Schnell wurde sein Stimmenpo-
tential in Meinungsumfragen auf bis zu 30 Prozent beziffert. Die Befürchtung, daß keiner der
drei Bewerber die Mehrheit der Wähler hinter sich bringen konnte, schien nicht von der Hand zu
weisen. Im Sommer 1992 jedoch zog er seine Kandidatur zurück, nur um zwei Wochen später
wieder in das Rennen um das höchste Amt der Vereinigten Staaten einzusteigen. Die Offensive
Perots, die für einige Zeit die Medien des Landes auf sich zog, verschaffte Clinton Zeit, sein Pro-
gramm, in dem auch europäische Elemente wie z.B. die deutsche Variante der Krankenversiche-
rung oder das dortige Zusammenspiel öffentlicher und privater Protagonisten bei der Gestaltung
der Wirtschaft als Vorbilder für einen Umbau der US-Gesellschaft auftauchen, stärker auf die
aktuelle Situation in den USA und die damit verbundenen Bedürfnisse der Bürger abzustimmen.
Dazu kam noch die unverhohlene Symphatie Perots für die Demokratische Partei. Clinton schien
Bush zu überflügeln, auch wenn dies noch immer eher ein Votum gegen den Republikaner als für
den Demokraten war.
Die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten stand Clinton sehr kritisch gegenüber. Seine interven-
tionistischen Strategien, mehr Geld für Sozialprogramme, die u.a. durch die verstärkte Besteue-
rung der höheren Einkommen finanziert werden sollten, sorgten für Unruhe in arrivierten Krei-
sen der US-amerikanischen Ökonomie. Die seit der Zeit der Reagan-Administrationen mit per-
manenten Steuersenkungen verwöhnten Unternehmen fürchteten um ihre steuerlichen Privilegien
und appellierten so an den uramerikanischen Standpunkt, sich von Regierungsseite so wenig wie
möglich in die Wirtschaft des Landes einzumischen. Auch George Bush änderte seine Wahl-
kampfstrategie und wartete inzwischen mit ausgebauten ökonomischen Standpunkten auf. Wäh-
34
Wyle, Frederick S.: Amerikanische Innenpolitik und die Präsidentschaftswahlen, in: Europa-Archiv, Folge
20/1992, S. 586
35
Richter, S. 11

22
rend Clintons Programme jedoch zwar umstritten, aber doch zumindest innovativ waren, wollte
der amtierende Präsident das ausufernde Staatsbudget mit eher passiven Mitteln wie Verfas-
sungszusätzen oder dem Gebrauch des Vetorechts im Kongreß gegen teure Gesetze bekämpfen.
Gleichzeitig machte er abenteuerlich anmutende Versprechungen über die Schaffung einer gro-
ßen Zahl an neuen Arbeitsplätzen und flüchtete sich in politisch verwerfliche Phrasen. Die ge-
sellschaftlich-soziale Krise im Land etwa entlockte ihm meist nur ein wenig überzeugendes ,,I
care, I really do"
36
, auf Steuererhöhungen angesprochen verstieg er sich zu der Aussage: ,,Read
my lips: No new taxes!"
37
.
Clinton gewann die Wahl schließlich mit beachtlichem Abstand
38
. Trotzdem gab es während der
Rezession der Jahre der Bush-Administration eine wichtige finanzpolitische Maßnahme, die dem
scheidenden Präsidenten zwar keine Wählerstimmen mehr einbrachte, dessen Nachfolger einen
Neuanfang auf dem Gebiet der Wirtschaft jedoch enorm erleichterte. Die Federal Reserve Bank,
die Zentralbank der Vereinigten Staaten, unter ihrem Chef Alan Greenspan senkte als Reaktion
auf die weltweite und innere ökonomische Entwicklung in den Vereinigten Staaten die Zinsen.
Bush verkaufte diese Maßnahme stets als wirtschaftsfördernden Impuls, deren Effekt aber war
schließlich ein anderer. Die US-amerikanischen Haushalte und Unternehmen nutzten diesen Um-
stand, um ihre teilweise erdrückende Schuldenlast unter günstigeren Bedingungen als vorher zu-
rückzuführen. Die gesamtwirtschaftliche Konstellation der USA stellte sich somit nach der Re-
gierungszeit des Republikaners ohne sein direktes Zutun wesentlich besser dar. Die Banken des
Landes konsolidierten sich durch einträgliche Geschäfte mit dem staatlichen Sektor, während
Privatkunden weiterhin hohe Zinsen für eigene Kredite zahlen mußten - Greenspans Direktiven
wurden zu einem weiteren Fallstrick für Bush, während er Clinton für dessen erste Amtszeit un-
populäre, aber notwendige Entscheidungen auf dem Gebiet der Finanzen abnahm.
Schon dieser Wahlkampf machte klar, daß Kissingers oben angeführte These von der weniger
europäisch zentrierten Ausrichtung zukünftiger US-Präsidenten für den ab Januar 1993 regieren-
den Amtsinhaber William Jefferson Clinton nicht gelten konnte. Während sein Vorgänger der
Einführung politischer Konzepte aus anderen Nationen mehr als kritisch gegenüberstand, bewies
sich bereits hier der Demokrat Clinton als weitaus aufgeschlossener. Exportierte die USA bisher
erfolgreiche Strategien zur Lösung politisch-gesellschaftlicher Problemstellungen wie etwa die
marktwirtschaftlich orientierte Demokratie, so war der neue Präsident durchaus bereit und auch
willens, in Europa und Japan bewährte Vorgehensweisen in die eigene Praxis zu übernehmen,
wenn eine Chance bestand, daß diese mit der zweifellos einzigartigen US-amerikanischen Ge-
36
Richter, S. 27
37
ders., S. 100
38
Bei einer Rekordwahlbeteiligung von 54 Prozent erhielt Clinton 43 Prozent der abgegebenen Stimmen, George
Bush kam lediglich auf 38 Prozentpunkte. Am 5. November 1992 schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung
(FAZ) hierzu auf S. 1: ,,Nur zweimal hatten die Amerikaner in den vergangenen sechszig Jahren einem ge-
wählten Präsidenten das Mandat für eine zweite Amtszeit entzogen. In beiden Fällen...war eine Wirtschaftskri-
se die Hauptursache. Bush, dessen Popularität binnen eines Jahres von einem nahezu beispiellosen Gipfel nach
dem Golfkrieg auf einen absoluten Tiefpunkt gesunken war, ist nun das dritte politische Opfer einer Rezessi-
on."

23
sellschaftsstruktur, die zahlreichen ethnischen und kulturellen Einflüssen unterworfen ist, har-
monisieren würden. Als herausragende Beispiele für einen potentiellen Reimport politisch-
gesellschaftlicher Strategien mögen hier die Felder der Bildungs- und der Gesundheitspolitik, die
in den Vereinigten Staaten ausufernde Kosten verursacht, gelten. Sie bedürfen u.a. nach Clinton
einer grundlegenden Reform. Richter kehrt somit Kissingers Befürchtungen bezüglich eines po-
litisch-gesellschaftlichen Auseinanderdriftens Europas und Amerikas in die Prognose eines die-
ser These gegenläufigen Prozesses um: ,,Uns Europäern sollte diese Parallele gehöriges Selbst-
vertrauen hinsichtlich der neuen Regierung Clinton geben, bedeutet die inneramerikanisch zu
erwartende Reform doch ein gewisses Zusammenwachsen sozial- und wirtschaftspolitischer
Zielvorstellungen zwischen Europa und Amerika."
39
39
Richter, S. 44

24
3.
Clintons außenpolitisches Profil
,,Together where we can, on our own where we must." Ein Schlagwort Clintonscher außenpoliti-
scher Vorstellungen macht das neue , von ihm angestrebte Mischverhältnis von unilateralen und
multilateralen Elementen in der US-amerikanischen Außenpolitik deutlich. Der ehemalige Gou-
verneur von Arkansas war trotz seines vorwiegend mit innenpolitischen Themen besetzten
Wahlkampfes in der Außenpolitik kein unbeschriebenes Blatt, und wenn auch dieses Teilarbeits-
gebiet seiner neuen Tätigkeit im Weißen Haus innerhalb der Aufgabenhierarchie des US-
Präsidenten nach dem Kalten Krieg zukünftig einen neuen Stellenwert einnehmen sollte, so
konnte von der Degradierung außenpolitischer Belange an die Peripherie der Prioritätenliste des
vermeintlich mächtigsten Mannes der Welt doch keine Rede sein. Bereits vor der Übernahme
politischer Ämter erwarb er als Mitarbeiter des mächtigen Vorsitzenden des außenpolitischen
Ausschusses des Kongresses, William Fulbright, nicht nur Kenntnisse über diese diffizile Mate-
rie, er entwickelte sogar großes Interesse für die Thematik der internationalen Beziehungen, das
durch sein Studium im englischen Oxford und der während dieser Zeit unternommenen Reisen
durch Deutschland und das übrige Europa noch vertieft wurde. Die Gefahr einer Implementie-
rung isolationistischer Thesen in die US-amerikanische Außenpolitik, wie sie zu Beginn der
Clinton-Administration in der Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten diskutiert wurde, bestand
also scheinbar nicht. Gegenseitiges Lernen, die Harmonisierung ökonomischer, ökologischer und
sozialer Lebensbedingungen weltweit und damit verbunden die globale Beseitigung der Unge-
rechtigkeiten in diesen Bereichen waren seine außenpolitischen Maximen. Ein für die bisherige
Außenpolitik der USA ungewohntes Maß an Multilateralismus, u.a. der Lösung eines regionalen
Konfliktes durch die gleichzeitige Konsultation mehrer daran beteiligter Parteien, sollte eine
Leitlinie des zukünftigen US-Außenministers Warren Christopher sein. Bisher vertrauten die US-
Administrationen in der Gestaltung internationaler Beziehungen eher uni- oder bilateralen Stra-
tegien, d.h. dem Versuch der Durchsetzung ihrer eigenen ordnungspolitischen Vorstellungen,
entweder ohne die vorherige Kommunikation mit den Beteiligten, wie etwa im Vietnamkrieg,
oder durch die Intensivierung lediglich zweiseitiger Kontakte, z.B. bei der Suche nach einer sta-
bilen Friedensordnung im Nahen Osten.
Clinton aufgrund dieser Prämissen als blauäugig zu bezeichnen und seine außenpolitischen Vor-
stellungen so als mehr idealistisch denn realistisch abzutun, wird dem Ansatz in seiner Gesamt-
heit jedoch nicht gerecht. Ist er in seiner innenpolitischen Ausrichtung mehr den Sozialreformern
Robert Kennedy und Franklin Delano Roosevelt verpflichtet, so möchte er in der Außenpolitik
an die Vorstellungen Richard Nixons anknüpfen, der schon 1971 die Kosten der Schaffung einer
weltweiten, demokratisch und friedlich bestimmten Ordnung gleichmäßig auf die Bündnispartner
verteilen wollte. Clintons Vision einer globalen Zukunft entspricht dem Bild einer ,,Weltinnen-
politik", bei der die USA von der einzig verbliebenen Supermacht zum ,,Zünglein an der Waage"
mutieren, ohne ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Entgegen den bereits von Kissinger

25
kritisierten moralischen Kategorien, mit denen die Amerikaner traditionell an Außenpolitik her-
angehen, schwebt Clinton sehr wohl ein ,,Balance of Power"-Modell für die zukünftige Weltord-
nung vor, in dem die USA jedoch weit weniger als im von Bush propagierten Konzept Füh-
rungsmacht sind. Der Umgang mit Verbündeten wie auch potentiellen Gegnern wie z.B. der
Volksrepublik China sollte vielmehr den Charakter einer gleichberechtigten Partnerschaft haben.
Bei diesem Vorhaben gilt es aber den zweiten Teil des einleitenden Mottos dieses Abschnitts
nicht außer Acht zu lassen: ,,On our own where we must." Die außenpolitische Initiative läßt sich
also auch der neue, multilateral denkende US-Präsident nicht aus der Hand nehmen, wenn er es
für nötig erachtet, sie ergreifen zu müssen, um essentielle US-amerikanische Interessen durchzu-
setzen.
3.1.
Die neue Clinton-Administration und deren Reibungspunkte mit Europa
Vor allem die Zusammenarbeit mit den seit dem Maastricht-Abkommen im Dezember 1991
vermeintlich selbstbewußteren Europäern stellt für die Clinton-Administration ein noch intensi-
veres und schwierigeres Arbeitsfeld dar als für die US-Regierungen in den Jahren zuvor. Trotz
der europäischen Beteuerung guter, dauerhafter und fruchtbarer Beziehungen zum transatlanti-
schen Partner und dessen vordergründigem Wohlwollen gegenüber dem europäischen Eini-
gungsprozeß sind die USA sehr skeptisch hinsichtlich des Verhältnisses zu den NATO-
Bündnispartnern auf der anderen Seite des Atlantiks in den neunziger Jahren. Die Vereinigten
Staaten sehen in den Vorgängen auf dem ,,alten" Kontinent sowohl eine machtpolitische als auch
wirtschaftspolitische Herausforderung. Der Anspruch der Europäer und auch der Deutschen auf
mehr Gleichgewicht in der Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen und dem Entstehungspro-
zeß von sicherheitspolitischen Entscheidungen trifft bei den Amerikanern jedoch nicht grund-
sätzlich auf Ablehnung. Die Akzeptanz dieser europäischen Ansprüche ist auf Seiten der Verei-
nigten Staaten durchaus gegeben, sie hat aber Konsequenzen. Wenn die Europäer aus dem mehr
als 40 Jahre währenden Schutzmantel der USA heraustreten und sich wirklich zu gleichberech-
tigten Akteuren auf dem internationalen Parkett entwickeln, wird die einzig verbliebene Super-
macht sie auch als solche behandeln - dies schließt ein wesentlich höheres Maß an Aufmerksam-
keit und gegebenenfalls auch Kritik seitens der Vereinigten Staaten gegenüber dem Vorgehen der
Bündnispartner ein als dies in der Vergangenheit üblich war, in der die Europäer meistens im
Windschatten der USA eigene Sicherheitspolitik betrieben.
Speziell Deutschland unterliegt in der Beurteilung Clintons und der politisch interessierten US-
Bevölkerung einer frappanten Diskrepanz, was die bundesdeutsche Gestaltung innerer und äuße-
rer Angelegenheiten betrifft. Abseits der Vorbildfunktion innerdeutscher Institutionen wie der
des dortigen Bildungs- oder Gesundheitswesens im Wahlprogramm des Demokraten gehen die
US-Amerikaner mit deutscher und europäischer Außenpolitik hart ins Gericht. ,,Inkompetenz,
Unentschlossenheit, Kurzsichtigkeit, Blauäugigkeit, Grandiosität, ja sogar Größenwahn - und in

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832419875
ISBN (Paperback)
9783838619873
Dateigröße
868 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen – Gesellschaftswissenschaften
Note
1,0
Schlagworte
gatt nato beziehungen clinton internationale
Zurück

Titel: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen während der ersten Clinton-Administration
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
124 Seiten
Cookie-Einstellungen