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Das Elsaß

Zur Sprach- und kulturpolitischen Situation einer Minderheitsregion. Eine Untersuchung in Sélestat.

©1997 Examensarbeit 84 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Zunächst wird die Geschichte des Elsaß dargestellt, wobei besonderes Augenmerk auf das Sprachverhalten der Bevölkerung in den Zeiten der jeweiligen Machthaber gelegt wird. Den Schwerpunkt der geschichtlichen Darstellung bildet die Zeit von 1945 bis heute, da gerade nach dem II. Weltkrieg ein entscheidender Wandel im Sprachverhalten der elsässischen Bevölkerung stattgefunden hat, der z. T. auch zu Weit ging und nun mühsam wieder zurückgeführt werden soll.
Den zweiten Teil der Arbeit bildet die Auswertung einer Umfrage, die der Verfasser in Sélestat, einer etwa 14000 Einwohner zählenden Stadt, die zwischen Straßburg und Colmar liegt und über ein recht großes Einzugsgebiet verfügt, an 230 Personen (Schüler eines Gymnasiums und deren Familie, aber auch weitere Bürger von Sélestat und Umgebung) durchgeführt hat. Der Fragebogen beschäftigt sich vor allem mit der Sprachkompetenz (elsässischer Dialekt und französische Hochsprache), Dem Sprachverhalten der Elsässer (wer spricht mit wem in welcher Situation welche Sprache?) und der Einstellung gegenüber der sprachlichen auch sprachpolitischen Situation.
In der Auswertung wird versucht Zusammenhänge zwischen einzelnen Antworten und Beziehungen zwischen verschiedenen aber untereinander bekannten Personen (wie z. B. Eltern und Kindern) herauszufinden.
Die Arbeit soll eine aktuelle Bestandsaufnahme der sprachlichen Situation des Elsaß liefern und den Leser für die schwierige Situation dieser Region sensibilisieren.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Einleitung2
1.Das Elsaß: Geographische Lage und Namensgebung3
2.Geschichte des Elsaß unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Sprachverhalten der Bevölkerung4
2.1Altertum und Mittelalter4
2.2Zwischen Dreißigjährigem Krieg und Französischer Revolution5
2.3Von der Französischen Revolution bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/717
2.4Die erneute Zugehörigkeit zum deutschen Reich (1871 - 1918)10
2.5Die Zeit zwischen den beiden13
2.6Die Zeit des II. Weltkrieges16
2.7"Final"18
3.Die sprachliche und kulturelle Situation des Elsaß nach 194520
3.1Reaktionen nach dem Ende des II. Weltkrieges20
3.2Widerstände gegen die französische Sprachpolitik und das langsame Einlenken der französischen Regierung23
3.3Dialekt und Hochsprache30
3.4Die elsässische Zweisprachigkeit31
4.Die Umfrage35
4.1.Beobachtung in Sélestat35
4.2Der Fragebogen37
4.2.1Die Auswahl der Fragen37
4.2.2Die Auswahl der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Finger, Stephan: Das Elsaß: Zur sprachlichen und kulturpolitischen Situation einer Min-
derheitsregion. Eine Untersuchung in Sélestat / Stephan Finger.- Hamburg: Diplomarbei-
ten Agentur, 2000
Zugl.: Mannheim, Univ., Staatsexamensarbeit, 1997
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tung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 1999
Printed in Germany


2
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
4
1. DAS ELSAß: GEOGRAPHISCHE LAGE UND NAMENSGEBUNG
6
2. GESCHICHTE DES ELSAß UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER
AUSWIRKUNGEN AUF DAS SPRACHVERHALTEN DER BEVÖLKERUNG
7
2.1 Altertum und Mittelalter
7
2.2 Zwischen Dreißigjährigem Krieg und Französischer Revolution
8
2.3 Von der Französischen Revolution bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71
10
2.4 Die erneute Zugehörigkeit zum deutschen Reich (1871 - 1918)
13
2.5 Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen
15
2.6 Die Zeit des II. Weltkrieges
18
2.7 "Final"
21
3. DIE SPRACHLICHE UND KULTURELLE SITUATION DES ELSAß
NACH 1945
23
3.1 Reaktionen nach dem Ende des II. Weltkrieges
23
3.2 Widerstände gegen die französische Sprachpolitik und das langsame Einlenken der
französischen Regierung
26
3.3 Dialekt und Hochsprache
32
3.4 Die elsässische Zweisprachigkeit
34
4. DIE UMFRAGE
38
4.1. Beobachtung in Sélestat
38
4.2 Der Fragebogen
40
4.2.1 Die Auswahl der Fragen
40
4.2.2 Die Auswahl der Personen
41
4.3 Die Auswertung der Fragebögen
43
4.3.1 Die Antworten der Testpersonen
44
4.3.1.1 Die biographischen Daten der Schüler
44
4.3.1.2 Die biographischen Daten der Erwachsenen
44
4.3.1.3 Die Antworten der Schüler zu den "habitudes linguistiques"
45
4.3.1.4 Die Antworten der Erwachsenen zu den "habitudes linguistiques"
47

3
4.3.1.5 Die Fragen zur Einstellung gegenüber dem Dialekt
50
4.3.2 Zusammenhänge in der Beantwortung ausgewählter Fragen
60
4.3.2.1 Diejenigen Eltern, die mit ihren Kindern ausschließlich französisch sprechen
61
4.3.2.2 Diejenigen Erwachsenen, die glauben, man könne sich nicht als Elsässer fühlen,
wenn man nicht dialektophon ist
63
4.3.2.3 Erwachsene, die nicht der Ansicht sind, daß der Übergang vom Dialekt zum
Hochdeutschen dem Erlernen einer neuen Sprache gleichkäme
64
4.3.2.4 Schüler, die an der Option "Langue et culture régionale" teilnehmen
64
4.3.2.5 Dialektophone Schüler
66
4.3.3 Übereinstimmungen zwischen den Schülern und ihren Eltern
68
4.3.4 Die offene Frage zur persönlichen Meinung der Elsässer zum Verhältnis elsässischer
und französischer Sprache bzw. Kultur
71
5. WIE WIRD ES MIT DEM ELSÄSSISCHEN DIALEKT WEITERGEHEN?
76
LITERATURVERZEICHNIS:
78
EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG:
80

4
Einleitung
Das Elsaß ist diejenige Region Frankreichs, mit der ein deutscher Schüler, z. B. durch
Ausflüge am Wandertag nach Straßburg, normalerweise zuerst in Kontakt kommt. Der
Schüler stellt jedoch, wenn er Kontakt zu "Innerfranzosen" bekommt, recht bald fest,
daß dies noch nicht das "richtige Frankreich" gewesen ist. Er bemerkt, daß er nicht
unbedingt gezwungen ist, im Kontakt mit älteren Personen französisch zu sprechen, er
kommt auch mit Deutsch gut zurecht.
Für einige der Franzosen außerhalb des Elsaß, gelten die Elsässer heute noch als
"Deutsche".
Historisch läßt sich dies natürlich leicht nachvollziehen, denn das Elsaß gehörte
jahrhundertelang zum deutschen Reich. Doch seit 1945 ist das Elsaß eine französische
Region. Man muß sich fragen, warum die Elsässer in den Augen vieler Franzosen
immer noch als Deutsche bezeichnet werden.
Ein - vielleicht der wichtigste - Grund für diese Einschätzung ist die Sprache der
elsässischen Bevölkerung, der elsässische Dialekt. Es handelt sich hierbei um einen
deutschen Dialekt.
In Frankreich wurde im Verlauf der französischen Revolution die Einstellung geprägt,
ein gemeinsames Volk müsse auch eine gemeinsame Sprache sprechen. Diese
Einstellung ist zum Leidwesen der Elsässer auch heute noch stark in den Köpfen der
Franzosen, sowohl in gesellschaftlicher als auch in politischer Hinsicht verankert. Diese
mangelnde Toleranz gegenüber dem Dialekt der elsässischen Bevölkerung stellt eine
große Bedrohung für diesen dar. Entscheidend für sein Überleben wird sein, inwieweit
die Elsässer bereit sind, ihren Dialekt nicht zugunsten einer gemeinsamen Hochsprache
aufzugeben, sondern eine Situation der Zweisprachigkeit im Elsaß zu erhalten.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zunächst mit der Geschichte des Elsaß, wobei
besonderes Augenmerk auf die sprachliche Entwicklung der Bevölkerung gelegt wurde.
Die neuere Geschichte, die Ereignisse, die sich nach dem Ende des II. Weltkrieges
ergeben haben, bildet hierbei den Schwerpunkt.
Der Hauptteil der Arbeit besteht aus der Darstellung der Ergebnisse eines
Fragebogens, mit dessen Hilfe die heutigen linguistischen Verhältnisse im Elsaß
erforscht werden sollen. Dieser Fragebogen wurde in der Region Sélestat von 230
Personen ausgefüllt.
Ich muß zugeben, daß die Darstellung der Ergebnisse in Kapitel 4.3.2 und 4.3.3 nicht
immer sehr übersichtlich ist. Dies liegt daran, daß die Ergebnisse sehr differenziert
dargestellt werden. Aus diesem Grund liegt noch einmal eine Kopie des Fragebogens

5
mit den darauf notierten Ergebnissen lose bei, damit der Leser sofort die Zahlen
danebenlegen und vergleichen kann.
Mein Dank gilt Herrn Diekmann für die Anregung zur Erstellung eines solchen
Fragebogens, Herrn Sutter vom Lycée Dr. Koeberlé in Sélestat für die Hilfe bei der
französischen Übersetzung der Fragen, allen Personen, die bereitwillig den Fragebogen
ausgefüllt haben, sowie meinen Korrekturlesern.

6
1. Das Elsaß: Geographische Lage und Namensgebung
Das Elsaß erstreckt sich linksrheinisch von der Höhe Karlsruhe bis zur Höhe Basel in
Nord-Süd-Richtung und westlich bis zum Kamme des Vogesengebirges (s. Straka
1970, 338 und Diercke Weltatlas). Dies war jedoch nicht immer der Fall. Zwar waren die
Ostgrenze (Rhein) und die Westgrenze (Vogesen) als natürliche Grenzen nie in Frage
gestellt, wenngleich der Rhein in früherer Zeit einen unregelmäßigen Verlauf zeigte und
bedingt durch Überschwemmungen einige Dörfer bald links-, bald rechtsrheinig lagen;
aber die Nord- und Südgrenze sind historisch bedingt. Die Nordgrenze verlief von 1648
an über 150 Jahre entlang der Queich, die Landau durchquert (s. Philipps 1978, 15f).
Was die Südgrenze betrifft, so zählte man Basel bis zum 15. Jahrhundert zum Elsaß
gehörend (s. Richter, G. 1972, 11) und Mühlhausen gehörte einige Zeit nach dem Ende
des 30jährigen Krieges noch zum deutschen Reich. Trotzdem weist meiner Meinung
nach die Südgrenze des Elsaß mit dem Jura und der französisch-schweizerischen
Landesgrenze schon seit geraumer Zeit eine gewisse Stabilität auf.
Die Region Elsaß besteht heute aus den beiden Départements Bas-Rhein (Unterelsaß)
und Haut-Rhein (Oberelsaß), was eine Fläche von ca. 83000 km2 ergibt, auf der über
1,5 Mio. Menschen leben (s. Klein, P. 1981, 17 und Stephens 1978, 341).
1
Über die Herkunft des Namens Elsaß und seine Bedeutung herrscht bis heute
Uneinigkeit. Georg Richter verweist auf eine ältere Form "Elisaz", was "Sitz in der
Fremde" bedeutet. Hierbei handelt es sich um einen alemannisch geprägten Ausdruck
(s. Richter, 1972). Nach Richez in Klein könnte Elsaß aber auch vom keltischen "alis-
atia" kommen, das "Region am Fuß des Gebirges" bedeutet. Beide verweisen aber
darauf, daß die Vorsilbe el oder al sich auf den Fluß Ill bezieht, der das Elsaß von Nord
nach Süd durchquert. Auch hierbei handelt es sich um einen keltisch geprägten Aus-
druck. Für die keltische Version der Interpretationen spricht die Tatsache, daß sich die
Kelten schon vor den Germanen und den Römern dort angesiedelt hatten.
1
60 % des Elsaß ist städtisch, (s. Klein, P. 1981, 419).

7
2. Geschichte des Elsaß unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen
auf das Sprachverhalten der Bevölkerung
Die Geschichte des Elsaß ist eine sehr wechselvolle.
Das Elsaß war immer ein Randgebiet, ganz gleich, zu welchem Reich oder zu welcher
Republik es gerade gehörte. Diese Region war unfreiwillig der Spielball zweier
feindlicher Nationen und somit (seit 1648) umkämpft und wechselnden Herrschaften
unterworfen. Die lange bestehende Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland
war es auch, die die Sprache der elsässischen Bevölkerung zum Politikum werden ließ
und die Intoleranz gegenüber der jeweils anderen Sprache hervorrief.
2.1 Altertum und Mittelalter
Nachdem das Elsaß lange Zeit durch keltische Stämme bevölkert war, kamen im
zweiten und ersten Jahrhundert vor Christus verschiedene germanische Stämme aus
Mitteleuropa, die aber 58 v. Chr. durch Julius Cäsar wieder vertrieben wurden. Somit
wurde diese Region ein Teil des weströmischen Imperiums.
Im fünften Jahrhundert nach Christus fielen jedoch die Alemannen und Franken im
Elsaß ein, und der Untergang des römischen Reiches führte dazu, daß nach längeren
Auseinandersetzungen zwischen Römern, Alemannen und Franken letztere sich im
Norden des Elsaß niederließen, während die Alemannen den übrigen, wesentlich
größeren Teil dieser Region besetzt hielten (s. Klein 1981, 37 und Philipps 1975, 13f).
Diese Ansiedlungen waren entscheidend für die linguistische Situation im Elsaß, da
seitdem nie mehr ein im Elsaß ansässiges Volk gänzlich vertrieben wurde, lediglich die
Herrschaft änderte sich. Seit etwa 1500 Jahren werden im Elsaß germanische
Sprachen gesprochen, während zuvor Latein und zwar Vulgärlatein gesprochen wurde.
Dieses Vulgärlatein wurde auch von den bis dato ansässigen Galliern übernommen, die
dafür ihre bisherige Sprache, das Keltische, aufgaben (s. Philipps 1975, 14ff).
Obwohl eine Reihe von "Alsacianismes" existiert, hat es einen eigentlich elsässischen
Dialekt nie gegeben. In 95 % des Gebietes wird alemannisch gesprochen. Nur im
Norden wird rheinfränkisch gesprochen, was gleichzeitig bedeutet, daß die pfälzisch -
elsässische Grenze keine Sprachgrenze darstellt. Aber auch im alemannischen Teil des
Elsaß ist ein rheinfränkischer Einfluß spürbar, so wird z. B. für "Dienstag" nicht das
alemannische "Zischdi", sondern das rheinfränkische "Dienschdaa" benutzt (s. Philipps
1978, 32f).

8
Das Elsaß gehörte nach der Kaiserkrönung Karls des Großen zum heiligen römischen
Reich deutscher Nation. Die Straßburger Eide, die 842 als erstes zweisprachiges
Dokument erschienen, belegen die Zugehörigkeit zum deutschen Sprachraum (s. Ladin
1982, 41). Bedingt durch die Randlage blieben Kontakte mit den frankophonen
Nachbarn nicht aus, auch wenn die Vogesen ein nicht zu unterschätzendes Hindernis
darstellten. In diesem Zusammenhang muß gesagt werden, daß in westlichen Gebieten
des Elsaß, also in Orten, die in den Vogesen liegen, kein elsässischer Dialekt
gesprochen wird, was wohl daran liegt, daß sich Franken bzw. Alemannen hier nicht
niedergelassen hatten. Philipps meint dazu: "Il convient de faire remarquer que la
frontière linguistique n'a jamais coïncidé exactement avec les limites territoriales de
l'Alsace telle qu'elles existent actuellement." (S. Philipps 1975, 20).
Das Elsaß spielte bei Handelsbeziehungen eine wichtige Rolle und da es sich um ein
wirtschaftlich gut entwickeltes Gebiet handelte, zogen einige Franzosen dorthin. Vor
allem aber immigrierten im 16. Jhr. die Hugenotten, die in Frankreich verfolgt wurden.
Sie machten etwa 10 % der Straßburger Bevölkerung aus. Schon 1566 fürchtete der
Magistrat von Straßburg um den deutschen Charakter der Stadt und wollte die
Immigration beschränken: "damit man eyn teutsch Stadt behielte" (s. Philipps 1975, 24,
mit Verweis auf Levy 1929, 212). Trotzdem wurde den Hugenotten die Ausübung ihrer
Muttersprache zugestanden, und niemand hinderte sie daran, französische Schulen
einzurichten.
Unter der Aristokratie war die französische Sprache sehr beliebt und die adeligen
Kinder wurden nach Frankreich geschickt, um eine französische Erziehung zu erhalten,
die als die beste in Europa angesehen wurde (s. Philipps 1975, 22).
Trotz dieser Einflüsse sprach der Großteil der Bevölkerung im Mittelalter und während
der Renaissance nur Dialekt.
2.2 Zwischen Dreißigjährigem Krieg und Französischer Revolution
1648 trat nach 30 Jahren Krieg der westfälische Friede in Kraft. Das Elsaß fiel ans
Königreich Frankreich.Die Annexion erfolgte jedoch nicht in einem Zug, sondern schritt-
weise. Ein Grund hierfür ist, daß das Elsaß als Region noch gar nicht existierte.
Frankreich wollte einfach sein Territorium bis zum Rhein erweitern und damit seine
Hegemoniestellung in Europa festigen. Die Stadt Straßburg kapitulierte aber erst im
Jahre 1681 und endgültig fiel das Elsaß erst durch den Vertrag von Rastatt 1714 an
Frankreich (s. Philipps 1982, 13f).
Schon kurz nach der Unterzeichnung des westfälischen Friedensvertrages wurde
Französisch als offizielle Sprache eingeführt. Die Verwaltungsbeamten, die damit

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beauftragt wurden, das neue Territorium organisatorisch zu leiten, waren der deutschen
Sprache nicht mächtig und sahen auch keinen Grund, sie zu lernen. Französisch zu
sprechen galt als Privileg, und die gesamte europäische Elite bediente sich dieser
Sprache (z. B. hat auch Friedrich der Große nur französisch gesprochen). Gegenüber
der elsässischen Bevölkerung wurde angeführt, Französisch sei die Sprache des
Königs ("la langue du Roy", s. Philipps 1975, 32). Man erwartete, daß die
Französisierung mit der Zeit voranschreiten würde, doch das war nicht der Fall. Die
Bevölkerung stand der französischen Sprache eher ablehnend gegenüber und die Re-
gierung verfügte nicht über die notwendigen Mittel, um die Elsässer wirkungsvoll zum
Französischsprechen zu bewegen. In der Schule wurde der Unterricht weiterhin auf
deutsch gehalten, da die Lehrer die französische Sprache nicht beherrschten.
Offensichtlich fand auch keine Umerziehung der Lehrkräfte statt. Im kirchlichen Bereich
fand ebenfalls kein Sprachenwechsel statt, da Ludwig XIV größeren Wert auf
Katholisierung als auf Französisierung legte und der Bevölkerung von Seiten der
Sprache entgegen kommen wollte. Man wollte überhaupt vermeiden, eine feindliche
Haltung der elsässischen Bevölkerung gegenüber Frankreich und insbesondere der
französischen Sprache durch die Ausübung eines zu großen Drucks zu provozieren.
Soviel Toleranz erfuhren die Elsässer nie mehr (s. Philipps 1975, 35ff).
Im unterelsässischen Ungersheim, in der Nähe von Mühlhausen steht das "Ecomusée
d'Alsace". Dort gibt es eine tägliche Aufführung, die die Zugehörigkeit des Elsaß zu
Deutschland oder Frankreich anhand von Reden, die von Grundschullehrern vor ihren
jeweiligen Schülern gehalten wurden, geschichtlich dokumentiert. Diese patriotischen
Ansprachen sollen den Schülern verdeutlichen, daß die momentane Zugehörigkeit des
Elsaß zu eben diesem Land die einzig richtige ist. Mit freundlicher Genehmigung des
Darstellers Raymond Fechter will ich Auszüge der einzelnen Ansprachen mit in dieses
zweite Kapitel einfließen lassen. Ich lasse diese authentischen Reden unkommentiert,
da sie meiner Meinung nach für sich sprechen. Der von Epoche zu Epoche härter
werdende Ton zeigt, daß die Sprachkämpfe für den Staat an Bedeutung zugenommen
hatten und immer verbissener geführt wurden.
Nach dem dreißigjährigen Krieg war es meiner Meinung nach noch am schwersten,
eine "sinnvolle" Legitimation dafür zu finden, daß das Elsaß nun zu Frankreich gehöre.
Vielleicht ist hierin ebenfalls ein Grund für die noch vorhandene Toleranz gegenüber der
Bevölkerung gelegen.
Die erste Ansprache lautet wie folgt:
"'Ah quel beau jardin' !; c'est ainsi que le Roi Soleil salue l'Alsace, lorsque du haut du
col de Saverne, son regard émerveillé contemple pour la première fois l'incomparable
paysage qui s'étend à ses pieds.

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Quel beau jardin en effet que la riante et fertile vallée d'Alsace, avec ses villages pleins
de labeur et de gaieté, avec ses prés fleuris, ses ruisseaux limpides et ses bois
verdoyants. A l'horizon, les vieilles ruines, vestiges rêveurs de nos châteaux d'antan,
scintillent comme des pierres précieuses dans le lointain bleuté du collier de nos
Vosges.
C'est dans ce décor où tout respire la paix et la joie de vivre qu'apparaît en Alsace un
peuple d'une pureté ethnologique remarquable. De culture très évoluée, connaissant
l'usage du bronze puis celui du fer, cultivant la terre pendant de longues ères de paix,
enseignant aux barbares subjugués la sépulture solennelle des morts dans le tumulus,
ce peuple, rattaché à la race dénommée celtique, ne devait plus jamais s'effacer du
pays.
Touchez. Votre forme crânienne est même plus courte qu'à l'époque gallo-romaine.
Touchez votre crâne mes enfants: de l'oreille à l'oreille, vous mesurez la largeur; du nez
à l'occiput, la longueur. On appelle brachycéphale de type celtique les crânes dont la
proportion entre la largeur et la longueur dépasse 80 %.
Elle reste en dessous de 75 % pour les germains dolichocéphales. Dans ce rapport
centésimal de x=100, le chiffre x s'apelle l'indice céphalique. Vous le constatez vous-
même, le peuple alsacien, dans son inaltérable amour de la France a conservé jusqu'à
nous, la pureté du type celtique, puisque l'indice atteint 83,01 pour les Bas-Rhinois et
même 83,90 pour les Haut-Rhinois, contre seulement 80,91 pour les Badois et à peine
80,65 pour les Suisses allemands."
Außer den Gesandten des Königs und den Adeligen sprach der Rest der Bevölkerung
im täglichen Leben Dialekt. Die mittlere Bürgerschicht, die Handel trieb, war die einzige
Bevölkerungsgruppe, die bis zur französischen Revolution Fortschritte im Erlernen der
französischen Sprache machte, auch wenn hier Dialekt und Deutsch immer noch
dominierend waren (s. Philipps 1975, 39 u. 45).
2.3 Von der Französischen Revolution bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71
Während der französischen Revolution wurde Französisch von der Sprache des Königs
in die Sprache der Nation ("la langue de la nation") umgetauft. Mit diesem Ausdruck
konnte sich die elsässische Bevölkerung schon eher identifizieren, da sie von Beginn an
der Revolution positiv gegenüberstand, hoffend, daß nun ein gerechteres Regime an
die Macht käme, das die Armen nicht weiter ausbeuten würde. Für die Revolutionäre
stand es außer Frage, daß ein gemeinsames Volk auch nur eine gemeinsame Sprache
sprechen dürfe. Allerdings gab es während der Wirren der ersten Jahre der Revolution
andere Dinge, die vordringlicher waren, als das sprachliche Umerziehen der

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elsässischen Bevölkerung (s. Philipps 1975, 55). Uneinigkeit herrscht darüber, wie die
Elsässer, die den Beginn der Revolution als eine Befreiung ansahen, deren weiteren
Verlauf empfanden. Während Philipps der Ansicht ist, durch die Revolution wären die
Elsässer zu wahren Franzosen geworden, meint Straka, daß die Bürger stark unter der
Schreckensherrschaft der Jakobiner zu leiden hatten und deswegen zahlreich die
Flucht über den Rhein antraten (s. Philipps 1975, 77, 79 und Straka 1970, 341). Ich
denke, je eher die Elsässer die Revolution akzeptierten, desto eher waren sie auch
bereit, französisch zu lernen. Offiziell war es verboten, deutsch zu sprechen, da es sich
hierbei nach Meinung der Jakobiner um die Sprache des Feindes handelte. Nur wer
französisch sprach, konnte ihrer Meinung nach frei sein, aber sie erkannten nicht, daß
gerade durch das Verbot, die Muttersprache zu sprechen, der Bevölkerung ein Stück
Freiheit genommen wurde. Die Elsässer mußten erkennen, daß "Nation" zwar liberaler
klingt als "König", es aber in der Realität genau umgekehrt sein kann (s. Philipps 1975,
52 u. 60f). Philipps meint auch, daß das Volk sich widerspenstig verhielt: "La vérité,
c'est que le peuple alsacien, dans son ensemble, n'a jamais accepté les thèses
linguistique avancées par les Révolutionnaires." (S. Philipps 1975, 74).
Die Jakobiner erkannten recht schnell, daß man Spracherziehung in der Schule
ansetzen muß, die elsässischen Kinder sollten deshalb in Zukunft auf französisch
unterrichtet werden. Doch dies blieb zunächst nur reine Theorie, da die Lehrkräfte dazu
nicht in der Lage waren. Strafandrohungen gegen nicht frankophone Lehrkräfte wurden
zwar ausgesprochen, stellten aber kaum eine wirkliche Gefährdung da.
Im 19. Jhr. wurde die Haltung der Regierung gegenüber der elsässischen Bevölkerung
liberaler. Der 1810 als Präfekt im Elsaß an die Macht gekommene Baron Adrien de
Lezay-Marnésia erkannte die Notwendigkeit, zunächst die Lehrkräfte daraufhin
auszubilden, effizient Französisch unterrichten zu können, bevor man diese Sprache als
offizielle Unterrichtssprache etablierte. Außerdem dachte er auch an die sprachliche
Erziehung der Mädchen.
2
Sie sollten Französisch lernen, um es später ihren Kindern als
Muttersprache beibringen zu können. Außerdem richtete man für Kinder im Vor-
schulalter "salles d'asile" ein, da man davon überzeugt war, in diesem Alter wäre es am
einfachsten, eine neue Sprache zu erlernen. Von diesen Maßnahmen versprach man
sich sehr viel, bis Mitte des 19. Jhd. konnten jedoch keine großen Erfolge erzielt werden
(s. Philipps 1975, 91ff). Gründe hierfür sind wohl in den Strukturen des damaligen
Schulsystems zu suchen. Es dürfte nicht allzu leicht gewesen sein, den Lehrkräften
Französisch beizubringen, es mangelte an den dazu notwendigen Mittel. Außerdem
ging ein nicht geringer Teil der Kinder damals noch nicht zur Schule, insbesondere die
Mädchen blieben fern. Nur die Kinder höherer Schichten besuchten regelmäßig den
Unterricht, sie waren es auch, die die ersten "salles d'asile" frequentierten. Natürlich
2
Schulpflicht bestand zu dieser Zeit nur für Jungen.

12
gab es lange Zeit nur eine geringe Anzahl solcher Einrichtungen, und außerhalb der
offiziellen Einrichtungen, also im familiären Kreis, sprachen die Kinder nur den
elsässischen Dialekt. Arm und reich unterschieden sich nun nicht mehr nur durch den
Besitz, sondern auch durch die Sprache: die Reichen sprachen französisch, die Armen
nicht. Letztere hatten auch trotz aller Bemühungen seitens der Regierung wenig
Gelegenheit, Französisch zu lernen. Daß diese Bevölkerungsgruppe auch keine franzö-
sischsprachigen Zeitungen las, falls sie überhaupt des Lesens mächtig war, versteht
sich von selbst.
Die Kirche (beide Konfessionen) weigerte sich beharrlich, die deutsche Sprache
aufzugeben, mit der Begründung, Französisch sei die Sprache von Voltaire, der als
unchristlich galt (s. Philipps 1975, 97f). Lediglich in der Armee kamen die jungen
Männer intensiv mit der französischen Sprache in Kontakt, aber auch nur für einen
gewissen Zeitraum.
Philipps meint, die Elsässer hätten im 19. Jhd. nach und nach ihre feindliche Haltung
gegenüber der französischen Sprache abgelegt, sie wären durchaus bereit,
Französisch zu lernen, aber keinesfalls wollten sie ihren Dialekt aufgeben und sie
verdächtigten die Regierung, genau dieses von ihnen zu fordern (s. Philipps 1975, 102).
Einflußreiche Persönlichkeiten sahen ein, daß es nicht möglich sein würde, die Elsässer
umzuerziehen, das Ziel müsse die Zweisprachigkeit sein.
Die zweisprachige Erziehung in der Schule schadete zunächst jedoch mehr, als sie
nutzte. Man mußte feststellen, daß die Schüler oftmals keine der beiden Sprachen
richtig beherrschten. Es lagen keine methodischen Konzepte vor, da es an Erfahrungen
in der zweisprachigen Erziehung fehlte (s. Philipps 1975, 103ff). Wirklich zweisprachig
war weiterhin nur die Elite im Elsaß.
Gut zwanzig Jahre nach der französischen Revolution erwachte in Deutschland ein
neues Nationalbewußtsein, und man forderte das Elsaß, mit dem Argument zurück, es
sei deutschsprachig, also gehöre es auch zu Deutschland. Der Rhein könne nicht als
Grenze angesehen werden, da die einzig wirkliche Grenze die Sprachgrenze sei (s.
Philipps 1975, 109). Diese Forderung wurde mit der Begründung abgelehnt, das Elsaß
sei keineswegs deutschsprachig, es habe nur einen germanischen Dialekt. Hier wurde
zum erstenmal ein Unterschied zwischen Dialekt und deutscher Hochsprache gemacht.
Außerdem verwies man darauf, daß man sich durchaus als Franzose fühlen kann, auch
wenn man die Sprache nicht spricht. Es fielen Schlagworte wie: "Notre langue est alle-
mande, mais notre coeur est français" und "Le contresens sur les choses d'Alsace, c'est
de croire que parler allemand donne des sentiments allemands..." (S. Philipps 1975,
118).
Mit Beginn der Industrialisierung machte die Französisierung Fortschritte. Die Elsässer
sahen ein, daß ein Nicht-Sprechen der französischen Sprache ihnen den Zugang zu

13
besseren Positionen im täglichen Arbeitsleben verwehrte, was dazu führte, daß die
Arbeiter sich bemühten, wenigstens mit Vorgesetzten französisch zu reden. In der
Schule funktionierte die Erziehung zur Zweisprachigkeit dank der Reformen von Guizot
(1833) und Falloux (1850) nun besser. Die kulturellen Bindungen an Frankreich waren
ebenfalls stärker geworden. Der Dialekt war aber in keiner Weise bedroht, er blieb in
der täglichen Umgangssprache immer noch dominierend.
2.4 Die erneute Zugehörigkeit zum deutschen Reich (1871 - 1918)
1871 wurde mit dem Frankfurter Vertragsabschluß das Elsaß Teil des neuen deutschen
Reiches (2. Reich). Sofort wurde Deutsch als offizielle Sprache eingeführt. Die
Schwierigkeiten, die dabei auftraten, hatte man jedoch unterschätzt. In den Vogesen
gab es einige Dörfer, die niemals Dialekt gesprochen hatten und von daher auch
überhaupt keine Kenntnisse der deutschen Sprache hatten. Hierbei handelt es sich
etwa um 10 % der elsässischen Bevölkerung. Diesen Leuten wurde eine Frist bis
1.1.1878 gesetzt, ab dann sollte Deutsch offizielle Sprache sein (s. Philipps 1975, 131),
aber in der Realität änderte sich in diesen Regionen während der ganzen Zeit der
deutschen Herrschaft nichts. Man ließ die Bewohner dieser Dörfer weitgehend in Ruhe.
Für den Unterricht wurden von Ewald Bauch Konzepte entwickelt, wie die Schüler
effektiv Deutsch lernen konnten, diese beruhten darauf, daß den Schülern die deutsche
Sprache zunächst durch Hören und (Nach)sprechen nähergebracht werden sollte.
Hiermit konnten gute Erfolge für die Zweisprachigkeit erzielt werden (s. Philipps 1975,
142f). Man konnte in diesem Fall wirklich von Zweisprachigkeit sprechen, da man
niemals versuchte, das Sprechen der französischen Sprache zu unterbinden. Philipps
stellt fest, daß die deutschen Machthaber, die in dieser Zeit im Elsaß herrschten,
sprachpolitisch mit der frankophonen Bevölkerung wesentlich liberaler umgingen, als
dies die Franzosen, insbesondere die Jakobiner taten: "La politique linguistique al-
lemande a été, dans l'ensemble, empreinte de libéralisme. Il est juste de le
reconnaître." (S. Philipps 1975, 166).
Nicht so einfach wie erwartet war der Umgang mit den dialektophonen Elsässern, da sie
während der über 200jährigen Zugehörigkeit zu Frankreich zwar ihren Dialekt
konservieren konnten, aber viele Bindungen zur deutschen Hochsprache, die sich
zudem ziemlich verändert hatte, verloren hatten. Für dialektophone Schüler wurde der
Unterricht auf Hochdeutsch gehalten, was besonders in Instituten für die Schüler des
Adels und der haute bourgeosie auf Ablehnung stieß, da sich diese Bevölkerunsgruppe
schon früh der französischen Sprache zuwandte und sie regelmäßig sprach. Man ent-
schied sich zunächst dafür, in der ersten Grundschulklasse den Unterricht in der

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Muttersprache (Dialekt oder Französisch) des Kindes abzuhalten, damit die Schüler
diese Sprache gut beherrschten, bevor man zum Hochdeutsch überging (s. Philipps
1975, 140). Angehende Lehrkräfte wurden nicht mehr dazu ausgebildet, Französisch zu
unterrichten, wenn sie in Klassen mit dialektophonen Schülern eingesetzt werden
sollten, so daß nach wenigen Jahren Französisch auf dem Stundenplan der Schüler
höchstens den Rang eines normalen Fremdsprachenunterrichts einnahm. Einige Lehrer
begannen von sich aus am Nachmittag Privatunterricht in Französisch zu erteilen,
wurden aber vom Oberschulrat weitgehend daran gehindert (s. Philipps 1975, 145f).
Die patriotische Rede eines Lehrers aus dieser Zeit verweist auf die lange
Zugehörigkeit des Elsaß zum deutschen Reich: "Schlagt das große Buch der
Geschichte auf und ihr werdet sehen, daß das Elsaß im ersten Kapitel der deutschen
Geschichte eingeschrieben ist!
Ein zweitausend Jahre währender Kampf an den Ufern des Rheins blickt euch
entgegen, seit Ariovist, der König der Germanen, sein Reich in das Elsaß getragen hat.
Das Elsaß ist integrierender Bestandteil der deutschen Einheit seit dem Jahr 842, seit
dem Straßburger Schwur.
Später ist es dann der gerechte Krieg der deutschen Bauern zu beiden Seiten des
Rheins, der - wie das Reich auch - gegen die großen Feudalherren zu Felde zieht,
gegen die Ausbeuter und westlichen Plutokraten, die zu allen Zeiten die Verbündeten
Frankreichs gewesen sind.
Man hat errechnet, daß mindestens 80 bis 90 % der großen Gestalten der Renaissance
ganz und gar oder zumindest in großen Teilen von deutschem Geblüt waren. Das sieht
man an ihrem Namen: 'Dante Alighieri' ist ein gotischer Name, 'Leonardo da Vinci' ist
ein Name, der von dem deutschen 'Leonard von Wincke' abgeleitet ist.
Deshalb ist im Elsaß alles deutsch! Wir haben eine tiefverwurzelte Vorliebe für Burgen,
für die Kirchen und Klöster des Heiligen Reiches für die Überreste des späten Mittelal-
ters, für unsere Dörfer mit ihren Fachwerkhäusern, für die Bauerntänze unter dem
altehrwürdigen Lindenbaum, für das Theater, Wilhelm Tell, Goethe, Schiller und jede
Art von fröhlichem Gesange, begleitet von der Harmonika oder der Dorfkapelle, für den
schwungvollen Kanon. Für den jugendlichen und sprühenden Reigen der
Schulmädchen, der das Herz erwärmt!
O Mein Elsaß deutsch! Mein Elsaß frei!
Mir ist, als träumt ich noch
Ist's Wahrheit? Ist der Strick entzwei?
Zersprengt das fremde Joch?
Liegt wieder in der Mutter Arm

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Der längst verlor'ne Sohn?
Schallt wieder frei, so frisch und warm
Der Muttersprache Ton?"
Es brach nun eine Diskussion an, ob es sinnvoll wäre, die Schüler zweisprachig zu
erziehen. Dafür sprachen wirtschaftliche und historische Gründe. Daß es immer einen
wirtschaftlichen Vorteil darstellt, wenn man zwei Sprachen beherrscht, ist
selbstverständlich. Das historische Argument wurde überwiegend von Intellektuellen
vorgebracht. Man forderte, den Elsässern den Zugang zu beiden Kulturen zu erhalten.
Außerdem wollte man den Elsässern so etwas wie eine Vermittlerrolle zwischen den
beiden verfeindeten Nationen Frankreich und Deutschland zukommen lassen und somit
den Frieden sichern. Dieses Ziel war allerdings illusorisch und dieses Argument konnte
aufgrund der herrschenden Feindschaft zwischen beiden Staaten leicht ins Gegenteil,
zu einem Argument für Einsprachigkeit (Deutsch) gemacht werden (s. Philipps 1975,
147ff).
Argumente, die gegen die Zweisprachigkeit vorgebracht wurden, sprachen von einer
Gefahr der intellektuellen und moralischen Verarmung, von der Unmöglichkeit, dies
pädagogisch durchzuführen, und waren im wesentlichen geprägt von der Angst, die
Elsässer könnten sich wieder verstärkt dem Erzfeind Frankreich zuwenden. Verwirklicht
wurde eine zweisprachige Erziehung kaum. 1918 sprachen die meisten Elsässer kein
französisch (etwa 2 % verwendeten regelmäßig die Französische Sprache, 8 % hatten
Kenntnisse. S. Richez in Klein, P. 1981, 95).
2.5 Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen
Die Elsässer hatten trotz ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Reich ihre innere Ver-bun-
den-heit mit Frankreich bewahrt, und so begrüßten sie die siegreichen französischen
Trup-pen en-thusiastisch. "Sie waren gewillt, nunmehr rechtmäßige fran-zösische
Staats-bürger zu werden." (S. Ladin 1982, 47 nach Allemann 1962, 15). Die fran-zö-si-
schen Machthaber hingen im-mer noch der Philosophie nach, daß eine Nation auch ei-
ne Sprache sprechen müßte, und somit begannen sie wieder ohne viel Rücksichtnahme
auf mangelden Sprachfähigkeiten der El-sässer, französisch als offizielle Sprache ins-
be-sondere in der Schule einzuführen: "Die Gleichschaltungstendenz des jakobinischen
Zen-tralismus, der in seiner 'unteilbaren' Re-publik keinen Platz für regionale Ei-gen-
stän-digkeiten ließ, war es, die zum sogenannten 'malaise alsacien', dem elsäs-sischen
Unbehagen führte." (S. Ladin 1982, 47 nach Allemann 1962, 15)

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Man ging sogar soweit, zu behaupten, der elsässische Dialekt sei nicht germanischen,
sondern keltischen Ursprungs (s. Philipps 1975, 174).
Es ist zweifellos so, daß die französische Regierung sich 1918 mit einer linguistisch
schwierigeren Situation konfrontiert sah, als die deutsche Regierung 1871, konfrontiert
sah. Die Elsässer hatten 1918 kaum Französischkenntnisse, die Deutschen konnten
immerhin auf dem Dialekt aufbauen. Dafür waren die Franzosen in einer meiner
Meinung nach psychologisch günstigeren Situation. Die elsässische Bevölkerung freute
sich, wieder zu Frankreich "gehören zu dürfen". Die Elsässer waren sicher bereit, die
französische Sprache zu erlernen, nur ihren Dialekt wollten sie nicht aufgeben: "Ce que
réclamaient les Alsaciens en 1918, c'est ce qu'ils ont toujours réclamé depuis le jour où
le destin les a fait entrer dans la communauté française: une forme de bilinguisme qui
leur permette de jouer leur rôle de citoyen français tout en conservant leur originalité
propre. En 1918, plaider en faveur du bilinguisme, c'était réclamer pour l'allemand une
place raisonnable à l'Ecole et dans la vie publique. Ce faisant, le peuple alsacien, dans
sa quasi-totalité, ne mettait en cause ni son attachement à la France ni la position
nécessairement prioritaire du français. Ce qu'il exigeait, c'était le respect de sa
personnalité. Or, à Paris et... à Straßbourg, on accumulait erreurs et maladresses parce
qu'on préférait - comme toujours - écouter l'avis d'hommes 'obéissant à leurs réflexes
de politique partisane' plutôt que celui des représentants authentique du peuple
alsacien. Le résultat, c'est que la politique linguistique menée dans l'administration et á
l'Ecole provoquera la plus grave crise politique qui ait jamait éclaté entre l'Alsace et la
France." (S. Philipps 1975, 174f).
Der Auf- und Umbau der Verwaltung und Juristerei im Elsaß ging aufgrund der
überstürzten Einführung der französischen Sprache langsamer als vorgesehen voran.
Von den Beamten wurde ein doppelter Spagat verlangt, sie mußten deutsch und
französisch sprechen und sich sowohl im deutschen wie im französischen
Rechtssystem auskennen (s. Philipps 1975, 178f).
In der Schule wurde Deutsch wieder zu einer Fremdsprache, wenn man auch im Elsaß
ein Jahr früher als im übrigen Frankreich begann, Deutsch auf den Stundenplan zu
setzen. Das Problem, daß die Lehrer die französische Sprache immer noch
unzureichend beherrschten, um einen sinnvollen Unterricht in dieser Sprache erteilen
zu können, bestand nach wie vor (s. Philipps 1975, 184f).
Ich meine, daß nur auf dem Gymnasium die Situation des Unterrichts in französischer
Sprache so war, daß die Regierung damit zufrieden sein konnte. Die Schüler, die aufs

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Gymnasium gingen, gehörten den höheren Schichten der Bevölkerung an. Diese
Schichten waren noch am ehesten der französischen Sprache mächtig, da sie sich
schon früh dieser zuwandten und sie auch über die Jahre der deutschen Herrschaft
pflegten. Außerdem denke ich, daß die Lehrer, die auf dem Gymnasium unterrichteten,
zu den Auserwählten der Regierung gehörten und somit sicher frankophon waren.
3
Was die Grundschulen betraf, so entstand eine Diskussion, ob Französisch nach der
direkten oder nach der indirekten Methode eingeführt werden sollte. Die Regierung
favorisierte die direkte Methode und übersah dabei, daß dies, falls die Lehrer überhaupt
dazu imstande waren, aufgrund der mangelnden Kenntnisse der Schüler weniger
brachte, als wenn man langsam nach der indirekten Methode unterrichtet hätte. Man
wollte zu schnell zu viel und erreichte nur Widerstand in der Bevölkerung. Die Art, wie
man nach dem Vorbild von Ewald Bauch vor dem ersten Weltkrieg die Schüler in den
rein französischsprachigen Dörfern in den Vogesen behandelte, hätte ein Beispiel sein
sollen (s. Philipps 1975, 189). Sogar diese Schüler waren von der französischen
Regierung enttäuscht, da sie mittlerweile ein recht gutes Maß an Zweisprachigkeit
erreicht hatten, das sie gerne konserviert und weiter ausgebaut hätten.
Ein Grundschullehrer aus der dritten Republik meinte zur Notwendigkeit des Erlernens
der französischen Sprache folgendes:
"O Strasbourg, ma belle patrie,
Je te salue à mon retour.
Strasbourg, pour un temps flétrie,
Relève ton front en ce jour.
C'est le jour de la délivrance,
Nous contemplons notre pays
Et sur nos clochers reconquis
Flotte l'étendard de la France!
Mes enfants, chers parents, Monsieur le sous-préfet, Monsieur le Maire, Monsieur le
Curé, voilà ce que je tiens à vous dire à l'occasion de l'inauguration de la Nouvelle
Maison commune de votre village qui comprend deux salles de classe suffisamment
spacieuses, et bien chauffées, pour accueillir les quantités d'élèves, filles et garçons,
qui leur sont destinées. Dans le pays du suffrage universel, tout citoyen doit savoir lire
et écrire. Mais voilà que dans les maisons que j'ai visitées, je n'ai pas vu un seul livre
excepté au presbytère où ils sont tous allemand, n'est-ce pas Monsieur le Curé? Mais
par quel miracle vos parents auraient-ils des livres? L'Allemagne ne leur en offre point,
3
Nach dem II. Weltkrieg ging die Regierung sogar so weit,
an elsässischen Schulen, Lehrer aus Innerfrankreich für
den Französischunterricht einzusetzten.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1997
ISBN (eBook)
9783832420536
ISBN (Paperback)
9783838620534
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Mannheim – Unbekannt
Note
2,0
Schlagworte
geschichte elsaß individueller sprachgebrauch zweisprachigkeit sprachforschung
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Titel: Das Elsaß
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