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Die traditionelle Form und der aktuelle Inhalt in ausgewählten Werken von Hermann Hesse

©1998 Diplomarbeit 57 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Hermann Hesse gehört zu den Dichtern, die von unterschiedlichen Traditionen geformt wurden und sich beim Versuch einer Klassifikation jeder eindeutigen Zuordnung zu einer literarischen Richtung entziehen. Das war vielleicht der Grund, warum ich mich für Hesse entschied und versucht habe, sein Werk näher zu untersuchen.
Die Literatur ist meiner Meinung nach ein Erlebnis des Schönen. Sie entwickelt sich nicht isoliert, sondern wird oft durch die Literatur eines anderen Landes, durch das Leben und durch die Menschen geprägt, wie z.B. bei der slowakischen Romantik. Manche bekannte Persönlichkeiten unseres literarischen Lebens studierten in Deutschland und so verbreiteten sich verschiedene Strömungen und Einflüsse.
Hermann Hesse wird oft als der letzte Ritter der Romantik bezeichnet. Fast in jedem Werk treten gegensätzliche Gestalten auf, die zwei verschiedene Polaritäten darstellen. Sein Schaffen ist eine große Suche nach der Erfüllung des Lebens, nach dem eigentlichen Sinn jedes menschlichen Daseins. Es ist eine Auseinandersetzung des Körpers und des Geistes. Wenn er nicht den richtigen Pfad gefunden hat, wendet er sich an die östliche Philosophie und Religion. Das Problem der sich ausschließenden und zugleich einander ergänzenden Gegensätze im eigenen Ich hatte Hesse bereits in seinem Frühwerk Peter Camenzind angedeutet und im Demian gestaltet. Hier ist es ihm vielleicht gelungen, die Integration der Bipolarität künstlerisch umzusetzen. Nicht nur die Gegensätzlichkeit, sondern auch andere Komponenten bilden das strukturpoetologische System seines Schaffens. Wie der Titel besagt, möchte ich gerne anhand von drei Werken Hesses zeigen, wie sich Hesse als Autor entwickelt hat, was sein Schaffen geprägt hat und was Hesse eigentlich erreicht hat.
Hermann Hesse ist formal sehr mit der Tradition verbunden, obwohl er mehrmals betonte, daß er nach neuen Formen für die neuen Inhalte, die er zu sagen habe, suche. Immerhin ist der Entwicklungs- und Bildungsroman das Leitbild geblieben, der ihm als Vorlage diente, die er unaufhörlich zu modifizieren und zu erneuen suchte.
In seinen Werken vermied er auch nicht gesellschaftliche Probleme - wie den Ausbruch des 1. Weltkrieges - die aber nun einen Impuls zum Schaffen gaben und gleichzeitig als Kulisse dienten. Beachtenswert ist auch seine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, seine Sitzungen bei Dr. Lang, einem Schüler von C.G. Jung oder manche Kontakte mit bekannten Persönlichkeiten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 1280
Valentin, Richard: Die traditionelle Form und der aktuelle Inhalt in ausgewählten Werken von Hermann
Hesse / Richard Valentin - Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 1999
Zugl.: Bratislava, Universität, Diplom, 1998
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Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 2000
Printed in Germany


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INHALT
INHALT __________________________________________________________________1
1. Vorwort _________________________________________________________________2
2. Die Einleitung____________________________________________________________4
3. Roman als Seelenbiographie _______________________________________________11
4. Peter Camenzind_________________________________________________________17
5. Demian ________________________________________________________________28
6. Der Steppenwolf _________________________________________________________38
7. Schlußfolgerung _________________________________________________________49
8. Resümee _______________________________________________________________50
9. Literaturverzeichnis ______________________________________________________51
Primärliteratur: _________________________________________________________51
Sekundärliteratur: _______________________________________________________51

2
1. Vorwort
Hermann Hesse gehört zu den Dichtern, die von unterschiedlichen Traditionen geformt
wurden und sich beim Versuch einer Klassifikation jeder eindeutigen Zuordnung zu einer lite-
rarischen Richtung entziehen. Das war vielleicht der Grund, warum ich mich für Hesse ent-
schied und versucht habe, sein Werk näher zu untersuchen.
Die Literatur ist meiner Meinung nach ein Erlebnis des Schönen. Sie entwickelt sich
nicht isoliert, sondern wird oft durch die Literatur eines anderen Landes, durch das Leben und
durch die Menschen geprägt, wie z.B. bei der slowakischen Romantik. Manche bekannte Per-
sönlichkeiten unseres literarischen Lebens studierten in Deutschland und so verbreiteten sich
verschiedene Strömungen und Einflüsse.
Hermann Hesse wird oft als der letzte Ritter der Romantik bezeichnet. Fast in jedem
Werk treten gegensätzliche Gestalten auf, die zwei verschiedene Polaritäten darstellen. Sein
Schaffen ist eine große Suche nach der Erfüllung des Lebens, nach dem eigentlichen Sinn
jedes menschlichen Daseins. Es ist eine Auseinandersetzung des Körpers und des Geistes.
Wenn er nicht den richtigen Pfad gefunden hat, wendet er sich an die östliche Philosophie und
Religion. Das Problem der sich ausschließenden und zugleich einander ergänzenden Gegen-
sätze im eigenen Ich hatte Hesse bereits in seinem Frühwerk Peter Camenzind angedeutet und
im Demian gestaltet. Hier ist es ihm vielleicht gelungen, die Integration der Bipolarität künst-
lerisch umzusetzen. Nicht nur die Gegensätzlichkeit, sondern auch andere Komponenten bil-
den das strukturpoetologische System seines Schaffens. Wie der Titel besagt, möchte ich ger-
ne anhand von drei Werken Hesses zeigen, wie sich Hesse als Autor entwickelt hat, was sein
Schaffen geprägt hat und was Hesse eigentlich erreicht hat.
Hermann Hesse ist formal sehr mit der Tradition verbunden, obwohl er mehrmals be-
tonte, daß er nach neuen Formen für die neuen Inhalte, die er zu sagen habe, suche. Immerhin
ist der Entwicklungs- und Bildungsroman das Leitbild geblieben, der ihm als Vorlage diente,
die er unaufhörlich zu modifizieren und zu erneuen suchte.
In seinen Werken vermied er auch nicht gesellschaftliche Probleme - wie den Aus-
bruch des 1. Weltkrieges - die aber nun einen Impuls zum Schaffen gaben und gleichzeitig als
Kulisse dienten. Beachtenswert ist auch seine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse,
seine Sitzungen bei Dr. Lang, einem Schüler von C.G. Jung oder manche Kontakte mit be-
kannten Persönlichkeiten des literarischen und künstlerischen Lebens, die er unterhielt.
Die Interpretationen von Peter Camenzind, Demian und Steppenwolf skizzieren die
literarische Entwicklung des jungen Hesse bis zum reifen Mann von 50 Jahren. Sie verzeich-
nen die Entwicklung des Romans als Seelenbiographie und seine Anpassung an den neuen
Inhalt. In der Einleitung wird die Form des Romans in seiner literarisch-historichen Entwick-
lung ansatzweise beschrieben. Im zweiten Kapitel versuche ich die Form der Seelenbiographie
zu definieren. Der nachfolgende Teil umfaßt drei Interpretationen der obig genannten Werke

3
und in der Schlußfolgerung fasse ich die typischen Merkmale von Hesses Prosa zusammen.

4
2. Die Einleitung
Das Wort Roman ist jünger als das literarische Phänomen, das mit ihm bezeichnet
wird. Im deutschsprachigen Raum taucht es erst im 17. Jahrhundert als Entlehnung aus dem
Französischen auf. Der Roman gehört zur literarischen Gattung der Epik, die weiterhin in
große Epik (Epos, Roman), in mittlere Epik (Novelle, Erzählung) und kleine Epik (Anekdote,
Fabel, Märchen) unterteilt werden kann. Es bestehen deutliche Unterschiede auch im Rahmen
einzelner Genres.
Der Begriff Roman bezeichnete im 12. Jahrhundert jede Erzählrede, die nicht in der
Sprache der Gelehrten, der ,,lingua latina", sondern in der Sprache des Volkes, der ,,lingua
romana" dargeboten wurde. Es gibt viele Theorien
1
über die Entstehung dieses Genres. Bevor
ich versuche die Form in ausgewählten Werken bei Hermann Hesse zu untersuchen, ist es
angemessen, den Begriff Roman als eine literarische Form, ein Genre der epischen Gattung
wenigstens ausschnittsweise festzulegen.
Unter jedem Roman wird ein fiktionales Erzählwerk verstanden. Die Entstehung geht
in die Spätantike, in die hellenistische Prosa zurück, die sich mit dem Thema der Liebe be-
faßte. Dabei werden dem Genre im nachhinein auch jene Erzählwerke zugerechnet, die ur-
sprünglich nicht als Romane bezeichnet worden sind. Zu ihnen gehören neben den Metamor-
phosen des Apuleius (124-180 n.Ch) zwei aus dem dritten Jahrhundert stammende ,,Romane":
die Aithiopika des Heliodor und Longus' Daphnis und Chloé, die sich mit dem Liebesthema
beschäftigen. Die Entwicklung des Romans schritt sehr schnell fort. Es hing einerseits mit der
Erfindung des Buchdruckes und auf der anderen Seite mit der Differenzierung der Leserschaft
zusammen. Als in der Renaissance und im Barockzeitalter die ersten neuzeitlichen Schelmen-,
Schäfer- und Staatsromane entstanden, konnten ihre Verfasser einerseits an die mittelalterli-
che Tradition der Ritterbücher sowie verschiedene Novellensammlungen, andererseits aber
auch an Apuleius und Longus (antike Tradition) anknüpfen. Der Ritterroman erreichte seinen
Kulminationspunkt im 15. und 16. Jahrhundert. Seine typischen Merkmale waren: Spannung
der Handlung in einer phantastischen Welt des Märchens, in der sich der Held behaupten
mußte (der Kampf gegen Drachen, Riesen...), um das Herz seiner Geliebten zu gewinnen. Der
moderne Roman besaß daher von Anfang an kein einheitliches Erscheinungsbild. Seine Viel-
gestaltigkeit läßt sich gerade an dem wohl bedeutendsten Roman der frühen Neuzeit, dem
1605 und 1615 in zwei Teilen veröffentlichten Don Quijote von Miguel de Cervantes (1547-
1616), unschwer ablesen. Die ursprüngliche Absicht des Verfassers war nicht nur eine Parodie
der Ritterromane und eine Kritik des Schelmenromans (in diesem Sinne ist Don Quijote deren
Antithese), sondern er verwendet auch die Methode des pikaresken Romans (spanisch picaro=
schelmenhaft), in dem die Hauptgestalt von einem Ort zu einem andren wandert; gerade die-
ses Wandern ist zum Kompositionsprinzip geworden, das die einzelnen Episoden zu einem
1
Matthias Bauer: Roamntheorie, Verlag J.B.Metzler, Stuttgart, Weimar, 1997

5
Ganzen verbindet.
In der Entwicklung des Genres sind zwei wichtige Werke von Bedeutung: Gargantua
und Pantagruel von Fracois Rabelais (1483-1553) und der parodistische Roman mit abenteu-
erlichem Charakter Robinson Crusoe von Daniel Defoe (1669-1731). Die Entwicklung des
Romans ist ohne Die Leiden des jungen Werther und Wilhelm Meister von Johann Wolfgang
Goethe kaum denkbar. Goethe setzte sich auch mit der Theorie des Romans
2
auseinander und
suchte den Roman im Vergleich mit dem Epos und Drama zu definieren. Er sieht im Roman
eine Gattung, die ,,der künstlerischen Individualität stärker als das Heldengedicht Rechnung
trägt. Das Epos gilt ihm als quasi objektiver Ausdruck einer kollektiven Mentalität, der Ro-
man als Ausdruck einer einzelnen Persönlichkeit. Diese Persönlichkeit gewinnt Profil, indem
sie dem Gegenstand des Romans, der Welt, Kontur verleiht. Der Roman wird so einerseits als
Analogiedarstellung des schöpferischen Bewußtseins und andererseits als eine Welt-
Anschauung vorgestellt
3
".
Der Roman ist ein relativ neues literarisches, schwer zu definierendes Genre und in
seiner Entwicklung sehr vielfältig. Manche Theoretiker grenzen den Roman als ein Genre im
Vergleich zum Epos ab. Der russische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin
4
setzt in der
Studie Epos und Roman drei konstitutive Merkmale des Epos fest: 1. die absolute Vergangen-
heit als Gegenstand der Darstellung, 2. Volkssage als Eposquelle und 3. den absoluten epi-
schen Abstand, der die epische Welt von der Wirklichkeit trennt. Im Zusammenhang mit der
absoluten Vergangenheit spricht er von dem Erinnerungsvermögen des Epos im Gegensatz
zum Roman, der durch Erfahrung und Erkenntnis determiniert wird. Laut Bachtin ist der Ro-
man als ein sich entwickelndes und bildendes Genre anzusehen. Diese epische Form ist ein
vielschichtiges, sujethaltiges, dynamisches und prosaisches Genre. Aber diese Eigenschaften
dürfen nicht als fester Kanon verstanden werden, denn es gibt auch Romane, die einschichtig
oder in Versen geschrieben sind.
Für die Romantheorie, aber auch für die ganze Narratologie ist die Kategorie des
Chronotopos von großer Bedeutung, die Bachtin von Aleksey Aleksievisch Uchtomsky über-
nahm und in seinem Buch Formen der Zeit im Roman verwandte. Der Chronotopos (von
griech. chronos=Zeit; topos=Ort) erfüllt in einem Erzählwerk gleich mehrere Funktionen: Er
ist zum einem für das Genre, die Handlung und das Bild der handelnden Menschen, das ein
solches Werk vermittelt, konstitutiv. Zum anderen dient er dazu, daß sich der Leser im Rah-
men der Anschauungsformen von Raum und Zeit ein Bild von den erzählten Ereignissen und
ihrer Bedeutung machen kann. Dieser Begriff drückt also die Verbundenheit des Raumes und
der Zeit aus, in dem die Zeit als vierte Raumdimension angesehen wird; in ihm materialisieren
sich Zeit und Raum und sie veranschaulichen sich bildlich. Laut Bachtin äußert der Chronoto-
2
Matthias Bauer: Romantheorie, S. 35-41
3
M. Bauer, S.40
4
Michail Bachtin: Epos und Roman, Zur Methodologie der Romanforschung, In: Formen der Zeit im Roman,
Untersuchungen zur historischen Poetik, Frankfurt am Main, 1989, S. 210-251

6
pos die Einheit des literarischen Werkes und sein Verhältnis zur Wirklichkeit. Man unter-
scheidet die dominanten Chronotopoi. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe kleiner Chro-
notopoi, denn im Grunde genommen, kann jedes Motiv einen eigenen Chronotopos besitzen.
Zu den dominanten Chronotopoi gehört beispielsweise der Chronotopos des Treffens und der
mit ihm zusammenhängende Chronotopos der Reise, den man in verschiedenen Variationen
seit der hellenistischen Prosa verfolgen kann. Daß sich Ereignisse stets an bestimmten Orten
zu bestimmten Zeitpunkten abspielen, daß die Schauplätze und die historischen Rahmenbe-
dingungen die Handlungsmöglichkeiten des Menschen bestimmen, und daß der Mensch die
Welt immer nur ausschnittsweise erlebt, ist die Grundlage der chronotopischen Anlage aller
Geschichten. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß Chronotopoi geschichtsträchtige
Schauplätze mit einer situativen Bedeutung sind. Sie offenbaren, wie menschliche Beziehun-
gen, Handlungen und Bewußtseinsvorgänge in ihre Welt eingebettet sind und auf die Umwelt
wirken. Bachtin sieht die Bedeutung der Chronotopoi vor allem in ihrer sujetbildenden Funk-
tion (im Chronotopos werden die Sujetknoten verflochten).
Die Romane können von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. All-
gemein teilt man sie nach literarischen Epochen ein. Es werden Renaissance-, Barockroman
sowie sentimentaler, realistischer, naturalistischer, symbolischer und expressionistischer Ro-
man unterschieden
5
. Diese Einteilung geht von der Diachronie aus und achtet auf typologische
Merkmale einzelner literarischer Richtungen. Auch im Rahmen einer literarischen Epoche
entstehen verschiedene Romane, unterschiedlich vor allem in der Thematik und Komposition.
Thematisch gesehen kennt man den historischen, sozialen und den psychologischen sowie den
Detektiv- und Liebesroman; aus kompositorischer Sicht den Tagebuchroman, um einige Bei-
spiele zu nennen.
Die Klassifikation der epischen Werke erfolgt auch auf eine andere Art und Weise.
Der polnische Theoretiker Henryk Markiewicz klassifiziert die Romane aus dem Gesichts-
punkt des Erzählers. Er unterscheidet vier Erzähltypen: 1. den Autor-Erzähler, der nicht in die
dargestellte Wirklichkeit gehört und nicht als eine fiktive Gestalt dargestellt wird (auktorialer
Erzähler), 2. den Erzähler als fiktives Autor-Subjekt, der nicht der dargestellten Realität ange-
hörig ist (personaler Erzähler), 3. den Erzähler als eine fiktive Gestalt, der die dargestellte
Wirklichkeit repräsentiert, 4. den Erzähler, der sich in der dargestellten Realität scheinbar
befindet, aber ,,allwissend" wie der auktorialer Erzähler ist. Bei dieser Klassifikation kommt
vor allem das Integrationskriterium zur Geltung. Dieses Kriterium wendet auch der deutsche
Theoretiker Wolfgang Kayser an, aber anders als Markiewicz. Seine Behauptungen gehen
davon aus, daß jedem Roman die Kategorien der Handlung, des Charakters und des Raumes
zu eigen sind. Wenn eine von ihnen grundlegend wird, bestimmt sie die Zugehörigkeit des
Romans zu drei Genreformen: dem Handlung- Charakter- oder Raumroman. Von dieser Un-
terteilung ausgehend, erweitert sie der kroatische Theoretiker Aleksander Flaker um den
5
Michal Harpáò: Teória literatúry, ESA, Bratislava, 1994, S.219-231

7
Zeitroman, den Zeit-Raumroman, den monologisch-assoziativen Roman und den Roman des
Sprechaktes.
Der Handlungsroman zählt zum Grundtypus des Romans, charakteristisch für die An-
fänge dieses Genres. Die Handlung eines solchen Romans bildet einen Tension-Detension-
Bogen in der Entwicklung der Fabel. Die Romansituation veranschaulicht sich in einem auf-
gestellten und zu lösenden Konflikt. Der Held im Rahmen der Handlung stößt auf eine Reihe
Hindernisse, die er mit aufgewendeter Anstrengung bewältigt. Aus der Kommunikatiossicht
bemüht sich der Romanverfasser den Leser in Spannung zu halten, wobei er sich verschiede-
ner Retardationsmittel in dem Sujetaufbau des Werkes bedient. Die Kategorie der Handlung
gilt als primär z.B. in Detektivromanen, die die Technik des allmählichen Enthüllens des Ge-
heimnisses benützen. Die Detektivromane sind aber von der Kriminalliteratur, die ursprüng-
lich die Kriminalfälle untersuchte und analysierte, auseinanderzuhalten. Schließlich ist diese
Kategorie der Handlung auch in anderen Typen des Romans vorhanden, denn als solche ist sie
eines der Grundelemente der Struktur des epischen Werkes.
Der Charakterroman stellt im bestimmten Sinne das Gegenteil des Handlungsromans
dar. In dieser Form werden die Gestalten psychologisch modelliert, Cervantes verwendet bei-
spielsweise den Cha-rakterparallelismus (Don Quijote-Sancho Pansa- es handelt sich um den
Kontrast mit Hilfe einer anderen Gestalt). Seinen Höhepunkt erreichte er im Zeitalter des
Realismus. Es werden einige Formen dieses Genres unterschieden: Erziehungsroman, Ent-
wicklungsroman und Bildungsroman. Die Genregrenzen werden nicht streng gezogen, trotz-
dem kann gesagt werden, daß der Erziehungsroman an den älteren Typ des didaktischen Ro-
mans, der sich mit den pädagogischen und moralischen Fragen beschäftigte, anknüpft. Im
Entwicklungsroman werden die Charakterveränderungen des Helden von seiner Kindheit bis
zu seiner Reife, also sein ganzes Leben geschildert. Die inneren psychologischen Veränderun-
gen des Protagonisten in Konfrontation mit seiner Umwelt stehen im Mittelpunkt der Dar-
stellung bei dem Bildungsroman.
Mit dem Charakterroman wird oft der Raumroman in Zusammenhang gebracht, der als
Bewegung des Helden im Raum definiert wird. Seine Wurzeln sind auf den pikaresken Ro-
man zurückzuführen. Er kulminiert in der Epoche des Realismus in ganz Europa (in Frank-
reich sind das die Romane von Balzac, Stendhal, in Rußland Gogol...). Das literarische Ver-
fahren des Raumromans verbindet sich mit der Technik des Zeitromans (es geht um die Be-
wegung des Helden durch Zeit und Raum). Der Roman, der einen großen Zeitausschnitt dar-
bietet, ist von einigen Theoretikern als Roman-Fluß
6
bezeichnet worden. Diesem Romantypus
ist z.B. Die Buddenbrooks von Thomas Mann zuzurechnen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Roman als literarische Form seinen Gipfel im
19. Jahrhundert, im Zeitalter des Realismus erreichte. Aus jener Epoche kommt die Tendenz
6
Michal Harpáò in seiner Theorie der lLiteratur (Teória literatúry) rechnet diesem Typus des Roman die
großen Werke der europäischen Literatur von Tolstoy, Galswothy, Scholochow zu. Aus der slowakischen
Literatur ist z.B Hromový zub von Alfonz Bednár zu erwähnen.

8
zum Vorschein, die Romane in thematische Zyklen zu verbinden, um die gesellschaftliche
Situation komplex zu erfassen (Balzac, Zola). Diese Form genoß in der Genrehierarchie die
dominante Stellung. Einige methodische Elemente realistischer Erzählweise finden im natu-
ralistischen Roman ihre Vollendung. Naturalismus bemühte sich um die Wiedergabe, um das
Abbild des Lebens ohne Subjektivität, deshalb steht im Mittelpunkt der Betrachtung der
Mensch in seinem biologischen Wesen, oft in seiner Triebhaftigkeit. Die theoretischen
Grundlagen des Naturalismusbegriffs erarbeitete Emil Zola. Er geht von der soziologischen
Theorie von Hyppolit Taine aus, die besagt, der Mensch werde durch seine Rasse (Erbele-
ment), sein Milieu und die Epoche determiniert. In Anbetracht dieser Umstände werden häu-
fig die pathologischen Merkmale des Individuums dargestellt. Zu den bedeutendsten Vertre-
tern dieser Epoche gehören Emil Zola, Gerhart Hauptmann, Knut Hamsun... Die typologische
Abspaltung des naturalistischen Romans von dem realistischen kann man auf dem Weg von
der Typisierung zur Individualisierung der Gestalten verfolgen. Das Geäst des realistischen
Kanons verzweigte sich weiter, und so entstand der psychologische Roman als Umbau der
realistischen Strukturprinzipien. Der Unterschied zwischen dem naturalistischen und dem
psychologischen Roman liegt darin, daß die Naturalisten die Individualisierung der Instinkte
im Unterschied zu den Vertretern des psychologischen Romans, denen es um die Individuali-
sierung der inneren Welt ging, zum Vorschein brachten. Gustave Flaubert und Fiodor Mi-
chailovitsch Dostojewsky gelten als Wegbereiter des modernen psychologischen Romans.
Flaubert modelliert die Welt seiner Helden unter dem Aspekt des inneren Erlebens, das im
großen Gegensatz zu den Gesellschaftskonventionen der Außenwelt steht. Dostojewsky geht
sehr äähnlich vor, aber er wendet die Fabel des Detektivromans als Gegenstand der Darstel-
lung der inneren Welt an, wodurch sie oft ein philosophisches Ausmaßß annimmt. Der psy-
chologische Roman bedeutet in diesem Sinne eine Schwächung der epischen Handlung zu-
gunsten der Überlegung. Dieser Romantypus entwickelt sich auch im 20. Jahrhundert mit der
theoretischen Unterstützung der psychoanalytischen Methode Sigmund Freuds und Carl Gu-
stav Jungs. Eines der Darstellungsverfahren ist der innere, den Bewußtseinsstrom erfassende
Monolog. Im Strom des Bewußtseins wirken sich die Gedanken, Gefühle in der Dynamik der
Geburt aus, oft sehr gegensätzlich, syntaktisch und kompositorisch ohne irgendein logisches
Prinzip aneinandergereiht. Er enthält den Gehalt des menschlichen Unterbewußtseins, welches
das Ziel des Bewußtseins im großen Maße prägt. Der Bewußtseinsstrom als narrative Metho-
de beeinflußte die Entwicklung des modernen Romans und der Prosa überhaupt. In den Ro-
manen von Hermann Hesse, Virginia Woolf, James Joyce, Marcel Proust begegnet man ihm
als Gestaltungprinzip, auch im Werk von Thomas Mann.
Die Entwicklung des Romans nach Hesse erwähne ich nur ausschnittsweise, um ein
relativ vollständiges Bild über dieses Genre zu liefern. Hesse starb 1962 und die Romanfor-
men entfalteten sich weiter. Es bestehen einige Zusammenhänge mit dem Roman des Exi-
stentialismus, die die Perzeption seines Werkes mitprägen könnten.
An die Tradition des psychologischen Romans knüpft später der neue Roman oder

9
Antiroman an, dessen Vertreter z.B. Natalie Sarraute, Alain Robbe-Grillet sind. Er entstand in
der ersten Hälfte der 50-er Jahre. Die Vertreter des Antiromans behaupten, ihr Ziel sei nicht
den Kanon des klassischen Romans zu durchbrechen, dennoch kann man ihre Werke als for-
male und inhaltliche Destruktion des realistischen Romans qualifizieren. Die Antiromane ver-
zichten auf zwei Grundkomponente des klassischen Romans: auf Fabel und Charakter. Daraus
resultiert die Absenz einer Erzählperspektive im klassischen Sinne. Die Ereignisse werden
nicht in kausal-genetischer Folge dargestellt. Statt des Erzählers treten grammatische Perso-
nen (er, sie unbenanntes ich ) auf, die noch keine Gestalt angenommen haben und nach der
Ursache ihres eigenen Daseins suchen. Der französische Literaturwissenschaftler Jena Ricar-
dou brachte die Genresituation des neuen Romans folgendermaßen zum Ausdruck: Er sagte,
im Unterschied zum Erzählen über ein abenteuerliches Ereignis gehe es im neuen Roman um
das Abenteuer des Erzählens. Freedmans
7
Interpretation von Hesses Werken stellte eine inter-
essante Hypothese auf. Er spricht vom Demian als von einem Antiroman. Leider verfügt er
über keine überzeugenden Argumente, obwohl er davon ausgeht, daß dieser Roman eine lyri-
sche Erzählung sei. Aber dadurch, daß Elemente des Romans, Zeit, Zusammenhang und
Gründe, mit lyrischen Merkmalen, wie Visionen, Bild oder auch Musik vereint werden, erge-
ben sich für den Dichter neue Methoden, eine intensivere innere Wahrnehmung des Helden
darzustellen.
Im Zusammenhang mit dem neuen Roman ist auch seine reflexive Form zu erwähnen.
Obwohl diese nicht mit den Grundprinzipien des Existentialismus identisch ist, spiegeln sich
einige Merkmale existentialistischer Prinzipien in ihr wider; vor allem das Gefühl der Ent-
fremdung, der Nutzlosigkeit des Menschen, der sich in bestimmten existentiellen Situationen
behaupten muß. Erwin Neumann
8
stellte fest, daß Hesses Roman Demian die literarische
Vorwegnahme der Existezphilosophie Karl Jaspers sei. Die Lebensangst Siclairs, die Jaspers
in ,,Die geistige Situation der Zeit" beschrieb, ist beispielsweise mit der Angst, mit der er
Kromer begegnet, vergleichbar. Sinclair befindet sich oft in ,,Grenzsituationen", die sich
durch Angst, Einsamkeit und Todeserfahrung auszeichnen. Demzufolge entsteht persönlicher
Schmerz und das Bewußtsein des Menschen wird gefördert.
Als letzte Genreform des Romans ist der postmoderne Roman anzuführen. Die post-
modernen Tendenzen setzten sich allmählich in den 60-er Jahren durch. Man muß folgendes
anmerken: die postmoderne Literatur hatte kein einheitliches Programm. Den Hintergrund
dieser Literatur bildet laut einem ihrer Vertreter, John Barth, das Gefühl der Skepsis. Ihre ty-
pischen Merkmale sind daher Inter- und Metatextualität, Verknüpfen der fiktiven und realen
Metatexte in der Narration; im extremen Falle wird die Narration durch Zitate aus anderen
Texten gebildet. Das Erzählen der postmodernen Prosa ist als metasemiologische Tätigkeit zu
betrachten und zu verstehen, weil es nicht als Aussage über Wirklichkeit, sondern als Aussage
7
Rallph Freedman: The lyrical Novel, Princeton University Press, 1963, S. 42-72
8
Erwin Neumann: Hermann Hesses Roman ,,Demian"(1917). Eine Analyse. Wissenschaftliche Zeitschrift der
Pädagogischen Hochschule Postdam, 12 (1968), 673-695

10
über Aussagen funktioniert. Ironie, Vermischung und beliebige Zusammensetzung von Gen-
ren, das Durchbrechen des geltenden Kanons, Parodie der äußeren sowie der inneren Welt,
das Hervorheben von absurden Situationen tragen zur Klassifikation der postmodernen Lite-
ratur bei. Die bekanntesten Vertreter dieser Richtung sind Samuel Beckett, Umberto Eco, Jor-
ge Luis Borges, um einige Beispiele zu erwähnen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1998
ISBN (eBook)
9783832412807
ISBN (Paperback)
9783838612805
Dateigröße
598 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Univerzita Komenského v Bratislave – Unbekannt
Note
1,0
Schlagworte
peter camenzind steppenwolf demian entwicklungsroman
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