Mobilität von Senioren
Handlungsempfehlungen für einen seniorengerechten Öffentlichen Personennahverkehr auf Grundlage einer empirischen Untersuchung in Hannover-Linden/Limmer
©2006
Diplomarbeit
96 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
An der Wende zum dritten Jahrtausend kündigt sich in den industrialisierten Staaten eine Revolution auf leisen Sohlen an. Mit dieser Aussage beginnt der erste Zwischenbericht der Enquete-Kommission Demographischer Wandel Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den einzelnen und die Politik. Die sich abzeichnenden demographischen Veränderungen berühren nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens und gehen an diesen nicht folgenlos vorüber. Während die Auswirkungen der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung z.B. für die Bereiche Arbeitsmarkt und Soziale Sicherungssysteme ausführlich thematisiert werden, finden die Konsequenzen der zu erwartenden demographischen Trends für den Bereich Verkehrsentwicklung/ Verkehrsplanung unbegründet bisher nur wenig Beachtung: Anlass genug also, so SCHEINER, sich darüber Gedanken zu machen.
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dieser Aufgabe und widmet sich speziell den Herausforderungen des demographischen Wandels für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Problematik demographisch induzierter Veränderungen der Verkehrsnachfrage. Infolge von Schrumpfungs- und Alterungsprozessen wird sich in den kommenden Jahrzehnten das Fahrgastpotenzial des ÖPNV verändern, vielerorts sogar verringern. Einzig und allein die Personengruppe der Senioren wird in Zukunft aller Voraussicht nach zahlenmäßig bedeutsamer.
Das Ziel der Untersuchung ist daher, die räumliche Mobilität von älteren Menschen zu ergründen, um auf diese Weise einen Beitrag für einen attraktiven, seniorengerechten ÖPNV zu leisten.
Der Begriff Mobilität benennt im verkehrsgeographischen Kontext die generelle Möglichkeit zur Überwindung räumlicher Entfernungen. Dagegen wird das Resultat eines realisierten Mobilitätsbedürfnisses als Verkehr bezeichnet.
Mobility is what we want, traffic is what we get.
Obwohl beide Begriffe genaugenommen unterschiedliche Bedeutungen haben, werden sie häufig als Aspekte der Fortbewegung unter Mobilität zusammengefasst. So auch im Fall der vorliegenden Untersuchung Mobilität von Senioren, welche sich hauptsächlich mit Mobilitätspotenzialen und -bedürfnissen älterer Menschen befasst, aber ebenso deren Verkehrsverhalten untersucht.
Mobilität wird, ein grundlegendes Bedürfnis zur Ortsveränderung vorausgesetzt, durch allgemeine und individuelle, sich auch wechselseitig beeinflussende Faktoren bestimmt. […]
An der Wende zum dritten Jahrtausend kündigt sich in den industrialisierten Staaten eine Revolution auf leisen Sohlen an. Mit dieser Aussage beginnt der erste Zwischenbericht der Enquete-Kommission Demographischer Wandel Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den einzelnen und die Politik. Die sich abzeichnenden demographischen Veränderungen berühren nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens und gehen an diesen nicht folgenlos vorüber. Während die Auswirkungen der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung z.B. für die Bereiche Arbeitsmarkt und Soziale Sicherungssysteme ausführlich thematisiert werden, finden die Konsequenzen der zu erwartenden demographischen Trends für den Bereich Verkehrsentwicklung/ Verkehrsplanung unbegründet bisher nur wenig Beachtung: Anlass genug also, so SCHEINER, sich darüber Gedanken zu machen.
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dieser Aufgabe und widmet sich speziell den Herausforderungen des demographischen Wandels für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Problematik demographisch induzierter Veränderungen der Verkehrsnachfrage. Infolge von Schrumpfungs- und Alterungsprozessen wird sich in den kommenden Jahrzehnten das Fahrgastpotenzial des ÖPNV verändern, vielerorts sogar verringern. Einzig und allein die Personengruppe der Senioren wird in Zukunft aller Voraussicht nach zahlenmäßig bedeutsamer.
Das Ziel der Untersuchung ist daher, die räumliche Mobilität von älteren Menschen zu ergründen, um auf diese Weise einen Beitrag für einen attraktiven, seniorengerechten ÖPNV zu leisten.
Der Begriff Mobilität benennt im verkehrsgeographischen Kontext die generelle Möglichkeit zur Überwindung räumlicher Entfernungen. Dagegen wird das Resultat eines realisierten Mobilitätsbedürfnisses als Verkehr bezeichnet.
Mobility is what we want, traffic is what we get.
Obwohl beide Begriffe genaugenommen unterschiedliche Bedeutungen haben, werden sie häufig als Aspekte der Fortbewegung unter Mobilität zusammengefasst. So auch im Fall der vorliegenden Untersuchung Mobilität von Senioren, welche sich hauptsächlich mit Mobilitätspotenzialen und -bedürfnissen älterer Menschen befasst, aber ebenso deren Verkehrsverhalten untersucht.
Mobilität wird, ein grundlegendes Bedürfnis zur Ortsveränderung vorausgesetzt, durch allgemeine und individuelle, sich auch wechselseitig beeinflussende Faktoren bestimmt. […]
Leseprobe
Moritz-Peter Krause
Mobilität von Senioren
Handlungsempfehlungen für einen seniorengerechten Öffentlichen Personennahverkehr
auf Grundlage einer empirischen Untersuchung in Hannover-Linden/Limmer
ISBN: 978-3-8366-0251-8
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Universität Hannover, Hannover, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany
i
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich kurz, aber in aller Ausdrücklichkeit, jenen Personen danken, die
mich bei der Anfertigung der vorliegenden Diplomarbeit ,,Mobilität von Senioren" in irgend-
einer Weise unterstützt haben.
Stellvertretend für die Mitarbeiter des Fachbereiches ,,Öffentlicher Personennahverkehr und
Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung" der Region Hannover möchte ich Herrn Dipl.-
Geogr. Torsten Albert für die freundliche Zusammenarbeit bei der Konzeption der Untersu-
chung, für die unbürokratische Bereitstellung gewünschter Informationen sowie Vermittlung
von Gesprächskontakten meinen besonderen Dank aussprechen.
Ebenfalls in Vertretung für alle Mitarbeiter der ,,üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe AG",
die mir mit fachlichem Rat behilflich waren, sei Frau Dipl.-Ing. Elke Schmidt gedankt.
Ein Dank gilt auch Herrn Dipl.-Psych. Mathias Mohr, Mitarbeiter am Städtischen Kranken-
haus Dresden-Neustadt, welcher mich freundlicherweise bei der Konzeption, der im Rahmen
dieser Arbeit durchgeführten empirischen Erhebung, fachlich beraten hat.
Besonders herzlich sei meinen Eltern, meiner Freundin und meinen Kommilitonen gedankt.
Sie haben nicht nur mit Rat und Tat zum Gelingen dieser Diplomarbeit beigetragen, sondern
mich auf meinem Studienweg stets begleitet.
Vielen Dank!
iii
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen ... v
Abkürzungsverzeichnis... vi
1
Einleitung ... 1
2
Demographischer Wandel und ÖPNV ... 5
2.1
Demographischer Wandel in Deutschland... 5
2.1.1 Bundesebene... 5
2.1.2 Regionale
Ebene... 7
2.2
Verkehrsnachfrage im ÖPNV ... 10
2.2.1 Begriffsklärung... 10
2.2.2
Veränderungen der Verkehrsnachfrage... 12
3
Leitziel ,,Seniorengerechter ÖPNV"... 15
4
Mobilitätsstudien... 17
4.1
Studie ,,Mobilität in Deutschland" ... 17
4.2
Studie ,,Freizeitmobilität älterer Menschen"... 19
5
Untersuchungsgebiet ,,Hannover-Linden/Limmer" ... 23
5.1
Raum- und Siedlungsstruktur... 25
5.1.1
Räumliche Lage und Abgrenzung... 25
5.1.2
Flächen- und Siedlungsstruktur... 26
5.2 Bevölkerung ... 27
5.2.1 Bevölkerungsstruktur ... 27
5.2.2 Bevölkerungsentwicklung... 29
5.3 ÖPNV ... 31
5.3.1 Angebotssituation... 31
5.3.2 Mindeststandards... 34
5.3.3 ,,Barrierefreier
ÖPNV"... 37
iv
5.3.4 Exkurs:
Mobilitätshilfe... 40
6
Empirische Erhebung ... 43
6.1 Konzeption
und
Durchführung... 43
6.2
Überprüfung der Repräsentativität ... 47
7
Auswertung und Interpretation... 51
7.1 Mobilitätspotenziale ... 51
7.1.1 Gesundheit... 51
7.1.2 Motorisierung ... 52
7.2 Verkehrsverhalten ... 54
7.2.1 Außer-Haus-Anteil ... 54
7.2.2 Wegezweck ... 55
7.2.3 Aktionsraum ... 57
7.2.4 Verkehrsmittelnutzung ... 58
7.2.5 Haltestellen-/
Verkehrsmittelwahl... 62
7.3 Mobilitätsbedürfnisse ... 63
7.3.1 Mobilitätssituation... 63
7.3.2 ÖPNV ... 65
7.3.3 Idee
,,Stadtteiltaxi" ... 70
7.4 Ergebnisüberblick... 72
8
Handlungsempfehlungen ... 75
8.1 Potenzialabschätzung ... 75
8.2 Verkehrsplanerische
Empfehlungen ... 76
8.3
Exkurs: Integrierte Handlungsansätze... 81
9
Zusammenfassung... 83
Literatur- und Quellenverzeichnis ... 85
v
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abb. 1: Mobilität und Verkehr... 2
Abb. 2: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2001 und 2050 ... 6
Abb. 3: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 2002 bis 2050 ... 8
Abb. 4: Akteure der Verkehrsnachfrage ... 11
Abb. 5: Führerscheinbesitz von Frauen in Westdeutschland 1982 und 2002 ... 13
Abb. 6: Modal-Split in Deutschland ... 18
Abb. 7: Luftbildaufnahme von H-Linden/Limmer ... 24
Abb. 8: Räumliche Struktur von H-Linden/Limmer... 25
Abb. 9: Bevölkerungsstruktur 2005: LH Hannover und H-Linden/Limmer ... 28
Abb. 10: Bevölkerungsentwicklung 1990-2020: LH Hannover und H-Linden/Limmer... 29
Abb. 11: Verkehrslinienplan von H-Linden/Limmer... 32
Abb. 12: Haltestelleneinzugsgebiete in H-Linden/Limmer ... 35
Abb. 13: Fahrtenangebot in H-Linden/Limmer ... 36
Abb. 14: Foto Hochbahnsteig... 38
Abb. 15: Foto Niedrigbahnsteig ... 38
Abb. 16: Fragebogen Seite 1 ... 45
Abb. 17: Fragebogen Seite 2 ... 46
Abb. 18: Führerscheinbesitz und Pkw-Verfügbarkeit... 53
Abb. 19: Wegezweck ... 56
Abb. 20: Aktionsraum ... 57
Abb. 21: Hauptverkehrsmittel ... 59
Abb. 22: Intensität der Verkehrsmittelnutzung ... 60
Abb. 23: ÖPNV - Bewertung ... 66
Abb. 24: ÖPNV - Lob und Tadel ... 67
Abb. 25: Schema der statistischen Auswertung ... 72
Abb. 26: ÖPNV-Kundenpotenzial H-Linden/Limmer... 75
Tab. 1: Demographische Entwicklung in der Region Hannover 2003 bis 2020... 9
Tab. 2: Gegenüberstellung Stichprobe vs. Grundgesamtheit... 48
vi
Abkürzungsverzeichnis
AWO
Arbeiterwohlfahrt
BBR
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
BGG
Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMVBW
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen
Ew.
Einwohner
H-Linden/Limmer HannoverLinden/Limmer
Hst.
Haltestelle
LH
Landeshauptstadt
MIV
motorisierter
Individualverkehr
NBauO Niedersächsische
Bauordnung
ÖPNV
Öffentlicher
Personennahverkehr
PbefG
Personenbeförderungsgesetz
RegG
Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs
SB
Stadtbezirk
SPNV
Schienenpersonennahverkehr
1 Einleitung
1
1 Einleitung
An der Wende zum dritten Jahrtausend kündigt sich in den industrialisierten Staaten eine
,,Revolution auf leisen Sohlen" an. Mit dieser Aussage beginnt der erste Zwischenbericht der
Enquete-Kommission ,,Demographischer Wandel Herausforderungen unserer älter werden-
den Gesellschaft an den einzelnen und die Politik" (vgl. DT. BUNDESTAG 1994: 5). Die
sich abzeichnenden demographischen Veränderungen berühren nahezu alle Bereiche des
öffentlichen Lebens und gehen an diesen nicht folgenlos vorüber. Während die Auswirkungen
der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung z.B. für die Bereiche ,,Arbeitsmarkt" und ,,Soziale
Sicherungssysteme" ausführlich thematisiert werden, finden die Konsequenzen der zu erwar-
tenden demographischen Trends für den Bereich ,,Verkehrsentwicklung/ Verkehrsplanung"
unbegründet bisher nur wenig Beachtung: Anlass genug also, so SCHEINER, sich darüber
Gedanken zu machen (vgl. Ders. 2006: 132).
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dieser Aufgabe und widmet sich speziell den
Herausforderungen des demographischen Wandels für den öffentlichen Personennahverkehr
(ÖPNV). Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Problematik demographisch indu-
zierter Veränderungen der Verkehrsnachfrage. Infolge von Schrumpfungs- und Alterungspro-
zessen wird sich in den kommenden Jahrzehnten das Fahrgastpotenzial des ÖPNV verändern,
vielerorts sogar verringern. Einzig und allein die Personengruppe der Senioren wird in Zu-
kunft aller Voraussicht nach zahlenmäßig bedeutsamer.
Das Ziel der Untersuchung ist daher, die räumliche Mobilität von älteren Menschen zu er-
gründen, um auf diese Weise einen Beitrag für einen attraktiven, seniorengerechten ÖPNV zu
leisten.
Der Begriff ,,Mobilität" benennt im verkehrsgeographischen Kontext die generelle Möglich-
keit zur Überwindung räumlicher Entfernungen. Dagegen wird das Resultat eines realisierten
Mobilitätsbedürfnisses als ,,Verkehr" bezeichnet (siehe Abb. 1).
,,Mobility is what we want, traffic is what we get." (HAUFF 2005: 8)
Obwohl beide Begriffe genaugenommen unterschiedliche Bedeutungen haben, werden sie
häufig als Aspekte der Fortbewegung unter ,,Mobilität" zusammengefasst (siehe 4).
So auch im Fall der vorliegenden Untersuchung ,,Mobilität von Senioren", welche sich
1 Einleitung
2
hauptsächlich mit Mobilitätspotenzialen und -bedürfnissen älterer Menschen befasst, aber
ebenso deren Verkehrsverhalten untersucht.
Abb. 1: Mobilität und Verkehr
Mobilität
(individuelle Möglichkeiten)
allgemeine Determinanten
Raum- und Siedlungsstruktur,
Verkehrsangebot ...
individuelle Determinanten
Gesundheit, Zeit, Motorisierung,
Informationen, Gewohnheiten ...
Verkehr
(individuelles Verhalten)
eigene Abb. nach BMVBW 2004: 15, SOMMER 2005b: 16
Mobilität wird, ein grundlegendes Bedürfnis zur Ortsveränderung vorausgesetzt
1
, durch
allgemeine und individuelle, sich auch wechselseitig beeinflussende Faktoren bestimmt (siehe
Abb. 1). Beispielsweise hängt das Verkehrsverhalten einer Person von der Verteilung poten-
tieller Quell- und Zielorte (Raum- und Siedlungsstruktur) und deren Erreichbarkeit (Ver-
kehrsangebot), aber ebenso von der individuell zur Verfügung stehenden Zeit ab.
Mobilität und Verkehr sind letztendlich Ausdruck individueller Lebensumstände (vgl.
BMVBW 2004: 15f). Die Untersuchung zur Mobilität von Senioren unternimmt deshalb den
Versuch, im Hinblick auf einen seniorengerechten ÖPNV ,,kollektive" Potenziale, Verhal-
tensweisen und Bedürfnisse älterer Menschen zu ergründen.
Als Senioren werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit alle älteren Personen bezeichnet,
die nicht mehr in einem Vollzeitarbeitsverhältnis stehen. Diese Abgrenzung wurde gewählt,
da das Mobilitäts- und Verkehrsverhalten einer Person vielmehr vom zur Verfügung stehen-
den Zeitbudget als vom jeweiligen Alter abhängt. Zur Zielgruppe ,,Senioren" gehören Rent-
ner, Pensionäre sowie Personen im Vorruhestand (z.B. Altersteilzeit).
2
Da allerdings nicht in
jedem Fall personenbezogene Daten zum beruflichen Status vorliegen (z.B. bei amtlichen
Einwohnerstatistiken), werden vereinzelt ,,60-/ 65-Jährige und Ältere" der Zielgruppe ,,Senio-
ren" gleichgesetzt.
1
Das Bedürfnis zur Ortsveränderung lässt sich aus der räumlichen Verteilung von Standorten der Grunddaseins-
funktionen (in Gemeinschaft leben, wohnen, arbeiten, sich versorgen, sich bilden, Freizeitverhalten) ableiten.
2
Sofern nicht ausdrücklich anders formuliert, beziehen sich die Personenbezeichnungen im Folgenden generell
auf beide Geschlechter (d.h. Senioren = Seniorinnen und Senioren).
1 Einleitung
3
Die Untersuchung ,,Mobilität von Senioren" gliedert sich im Wesentlichen in einen allgemei-
nen, deskriptiven und in einen spezifischen, empirisch-analytischen Teil.
Basierend auf Literatur- und Statistikrecherchen, wird im ersten Teil (Kapitel 2 bis 4) der
allgemeine Kenntnisstand zur Untersuchungsthematik wiedergegeben.
Dazu werden einführend, im Kapitel 2 ,,Demographischer Wandel und ÖPNV", die grundle-
genden Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland sowie deren Auswirkungen
auf die Verkehrsnachfrage im ÖPNV beschrieben. Ausgehend von skizzierten Nachfragever-
änderungen, wird im 3. Kapitel das Leitziel ,,Seniorengerechter ÖPNV" hergeleitet und des
Weiteren erläutert, warum in diesem Kontext eine Fokussierung auf den städtischen Raum
angebracht ist. Im Kapitel 4 ,,Mobilitätsstudien" erfolgt unter Verweis auf abgeschlossene
wissenschaftliche Studien die Präsentation repräsentativer Erkenntnisse zu Mobilität und
Verkehr von Senioren und damit gewissermaßen die inhaltliche Überleitung zur empirischen
Fallstudie.
Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 5 bis 8) wird anhand des Untersuchungsgebietes Han-
nover-Linden/Limmer eine kleinräumige, empirische Analyse zur Mobilität von Senioren
und im Zuge dieser eine Begutachtung von Stärken und Schwächen des ÖPNV durchgeführt.
Das Kapitel 5 ,,Untersuchungsgebiet" stellt dazu vorab die allgemeinen, mobilitäts- und
verkehrsrelevanten Rahmenbedingungen von H-Linden/Limmer vor, ehe im 6. Kapitel ,,Em-
pirische Erhebung" das methodische Vorgehen im Rahmen der Fallstudie erläutert und die
Repräsentativität der Stichprobe überprüft wird. Mit der statistischen Auswertung und Inter-
pretation der erhobenen Daten befasst sich das gleichlautende Kapitel 7. In dessen Mittel-
punkt steht die ausführliche Betrachtung der Mobilitätspotenziale, des Verkehrsverhaltens
sowie der Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen aus H-Linden/Limmer. Im Kapitel 8
werden, im Anschluss an eine Abschätzung des ÖPNV-Kundenpotenzials, schlussfolgernd
aus den empirisch gewonnenen Erkenntnissen konkrete Handlungsempfehlungen für einen
,,Seniorengerechten ÖPNV" abgeleitet.
Den Abschluss der vorliegenden Diplomarbeit ,,Mobilität von Senioren" bildet das Kapitel 9,
in welchem die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst werden.
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
5
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
Die Untersuchung ,,Mobilität von Senioren" steht, wie einleitend beschrieben, vor dem
Hintergrund demographisch induzierter Veränderungen der ÖPNV-Nachfrage. Hierzu erfolgt
einführend im Abschnitt 2.1 eine grundlegende Beschreibung demographischer Tendenzen in
Deutschland bevor im Abschnitt 2.2 die zu erwartenden Auswirkungen des demographischen
Wandels auf die Verkehrsnachfrage skizziert werden.
2.1
Demographischer Wandel in Deutschland
Unter dem Begriff ,,Demographischer Wandel" wird allgemein eine markante Änderung der
Bevölkerungsdynamik und -struktur verstanden. Wesentliche Trends dieser Entwicklung sind:
Rückgang, Alterung und Internationalisierung der Bevölkerung sowie Individualisierung der
Lebensstile (vgl. BBR 2005: 363).
Im Folgenden werden demographische Schrumpfungs- und Alterungstendenzen sowohl für
Deutschland allgemein als auch regional differenziert beschrieben.
3
2.1.1 Bundesebene
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich am Wendepunkt von einer jungen, wachsen-
den Bevölkerung zu einer älter werdenden und damit schrumpfenden Bevölkerung. Die
Anzahl der auf dem heutigen Staatsgebiet lebenden Personen ist seit Mitte des 20. Jahrhun-
derts von ca. 69 Mio. kontinuierlich auf zuletzt gut 82 Mio. Personen gestiegen (vgl. Statisti-
sches Bundesamt Deutschland (SBD) 2005a: o.S.). Diese positive Entwicklung wird sich
allerdings entsprechend einer Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
in den kommenden Jahren weiter abschwächen und etwa ab 2020 / 2030 zu einem spürbaren
Bevölkerungsrückgang führen. Demnach werden im Jahr 2050 nur noch ca. 75 Mio. Men-
schen in der Bundesrepublik Deutschland leben (vgl. SBD 2003: 48f
4
).
Bevor jedoch der Schrumpfungsprozess einsetzt, kommt der Alterungsprozess zur Geltung.
Bereits seit mehreren Jahrzehnten ist in der Bevölkerung Deutschlands eine Verschiebung der
Altersstruktur feststellbar. Zum einen werden immer weniger Kinder geboren und zum
3
Eine sozialwissenschaftliche Analyse des demographischen Wandels wird im Rahmen der Untersuchung
,,Mobilität von Senioren" nicht durchgeführt. Weiterführende Informationen dazu liefert z.B. das Bundesinstitut
für Bevölkerungsforschung (BIB) (vgl. BIB 2004).
4
Daten der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Variante 5 ,,mittlere" Bevölkerungsentwicklung
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
6
anderen erhöht sich die Anzahl älterer Menschen, u.a. aufgrund steigender Lebenserwartung.
So ist der Bevölkerungsanteil der Personen im Alter von 65 Jahren und älter von rund 10% im
Jahr 1950 auf zuletzt 18,6% (2004) gestiegen (vgl. SBD 2006: o.S., SBD 2005c: o.S.). Für die
kommenden Jahrzehnte rechnet das Statistische Bundesamt mit einer fortschreitenden Alte-
rung der Bevölkerung; im Jahr 2050 wird fast ein Drittel der Einwohner Deutschlands
(29,6%) älter als 64 Jahre sein (vgl. SBD 2003: 42).
Die zukünftigen demographischen Ent-
wicklungstendenzen lassen sich auch
durch die nebenstehende Abbildung 2
veranschaulichen. Sie zeigt in einer Ge-
genüberstellung den Altersaufbau der
Bevölkerung von Deutschland für das
Jahr 2001 und das Prognosejahr 2050.
Die im Jahr 2050 vergleichsweise gerin-
ge Besetzung junger Jahrgänge ist Folge
eines anhaltenden Geburtenrückganges
und verdeutlicht die Schrumpfung der
Bevölkerungszahl. Gleichzeitig ist sie
zusammen mit der starken Besetzung
älterer Jahrgänge Ausdruck der demo-
graphischen Alterung in Deutschland.
Hervorgerufen wird der demographi-
sche Wandel in Deutschland in erster Linie durch eine negative natürliche Bevölkerungsent-
wicklung, d.h. mehr Sterbefälle als Geburten. Seit etwa Anfang der 1970-er Jahre übersteigt
die Anzahl gestorbener Personen die der Neugeborenen (vgl. SBD 2005b: o.S.). Dieses
Entwicklung wurde wenige Jahre zuvor durch einen deutlichen Geburtenrückgang eingeleitet,
in dessen Folge die Gesamtfertilitätsrate
5
zuerst auf dem Gebiet der BRD und wenig später
auch auf dem der DDR unter das statistische Bestanderhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro
Frau sank. Aufgrund dieser niedrigen Fertilitätsrate verkleinert sich die Bevölkerung von
Generation zu Generation natürlicherweise weiter. Jeder geburtenschwache Jahrgang stellt
auch eine schwache potentielle Elterngeneration dar und bedingt somit seinerseits bei unver-
5
Summe der altersspezifischen Fertilitätsraten, interpretierbar als ,,durchschnittliche Kinderzahl pro Frau"
Abb. 2: Altersaufbau der Bevölkerung in
Deutschland 2001 und 2050
eigene Abb. nach SBD 2003: 30
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
7
ändertem Fertilitätsverhalten einen weiteren Geburtenrückgang. Darüber hinaus führen
sinkende Geburtenraten zu einer Alterung der Bevölkerung und indirekt zu steigenden Sterbe-
raten, folglich zu einer Verstärkung des Bevölkerungsrückganges. Während in den letzten
Jahrzehnten das wahre Ausmaß des Fertilitätsrückganges insbesondere durch stark besetzte
jüngere und schwach besetzte ältere Generationen verschleiert wurde, kommt dessen Wirkung
bei verändertem Altersaufbau immer deutlicher zum Tragen. Trotz zunehmender Lebenser-
wartung steigt die Anzahl der Sterbefälle allmählich, weil geburtenstarke Jahrgänge ins
hochbetagte Alter kommen (vgl. SBD 2003: 28f).
Neben der natürlichen beeinflusst auch die wanderungsbedingte Bevölkerungsentwicklung
den Charakter des demographischen Wandels. So konnten die natürlichen Sterbeüberschüsse
der vergangenen Jahrzehnte auf Bundesebene durch mehr oder weniger starke Außenwande-
rungsgewinne kompensiert werden. Gleichzeitig verlangsamten Zuwanderungen die Alterung
der Bevölkerung Deutschlands, da v.a. junge Menschen eine hohe Wanderungsbereitschaft
aufweisen. Was die zukünftige Entwicklung betrifft, können nur vorsichtige Annahmen
getroffen werden. Das künftige Migrationspotenzial wird sowohl durch die politischen und
ökonomischen wie auch die demographischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den
betreffenden Herkunfts- und Zielländern bestimmt. Das Statistische Bundesamt trifft dement-
sprechend in seiner Bevölkerungsvorausberechnung unterschiedliche Annahmen zum Wande-
rungssaldo, geht aber prinzipiell davon aus, dass auch in absehbarer Zukunft mehr Personen
aus dem Ausland nach Deutschland zu- als Deutsche ins Ausland abwandern. Allerdings
können die prognostizierten Zuwanderungen mittelfristig die weiter steigenden Sterbeüber-
schüsse nicht mehr ausgleichen. Demnach wird in den kommenden Jahrzehnten die Bevölke-
rungszahl Deutschlands zurückgehen und sich der demographische Alterungsprozess verstär-
ken (vgl. SBD 2003: 20ff).
2.1.2 Regionale
Ebene
Die für die Bundesebene beschriebenen demographischen Trends der ,,Schrumpfung" und
,,Alterung" bestimmen im Wesentlichen auch die Bevölkerungsentwicklung auf regionaler
Ebene. Bei räumlich differenzierter Betrachtung ergeben sich allerdings ebenso Unterschiede.
So wird die Bevölkerungszahl zunächst nicht in allen Regionen Deutschlands rückläufig sein.
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
8
Zumindest in den kommenden Jahr-
zehnten wird es ein Nebeneinander von
wachsenden und schrumpfenden Regio-
nen geben. Auf längere Sicht jedoch
können vielerorts die aus dem Alters-
aufbau resultierenden hohen Sterbeüber-
schüsse nicht mehr durch Wanderungs-
gewinne kompensiert werden, wodurch
sich der strukturelle Kontrast zwischen
Wachstums- und Schrumpfungs-Regio-
nen verschärfen wird. Deren tenden-
zielle räumliche Verteilung zeigt Abbil-
dung 3 für den Prognosezeitraum 2002
bis 2050 (vgl. BBR 2005: 30ff).
Ausgelöst wird diese regionale Ent-
wicklung durch inter- und intra-regiona-
le Wanderungen. So genannte Binnen-
wanderungen sind in erster Linie Aus-
druck ungleicher Lebensverhältnisse zwischen oder innerhalb von Regionen. Da Wanderun-
gen oftmals in bestimmten Lebensphasen stattfinden, verändern sie nicht nur die Bevölke-
rungszahl betreffender Quell- und Zielregionen, sondern auch deren Altersstruktur. Jedoch
gilt auch bei dieser Betrachtung wie im vorigen Abschnitt , dass Zuwanderungen mittel-
fristig den Schrumpfungs-, nicht aber den Alterungsprozess aufhalten können (vgl. BBR
2005: 36f).
Diese Tendenzen zeigen sich sogar in Stadt-Umland-Regionen, obwohl demographische
Entwicklungen auf dieser räumlichen Ebene stark vom siedlungsstrukturellen Geschehen
überprägt werden. Die Bevölkerungsentwicklung von Kernstädten und suburbanen Kommu-
nen wird seit Jahren maßgeblich von intraregionalen Wanderungen bestimmt. Vor allem
junge Familien verlassen den städtischen Raum, um sich in ländlich geprägten Gebieten ihren
Traum vom Wohneigentum im Grünen zu erfüllen. Infolge dieser so genannten Wohnsubur-
banisierung wuchs und verjüngte sich in den vergangenen Jahrzehnten die Bevölkerung im
Stadtumland zulasten der kernstädtischen Bevölkerung. Inzwischen scheint jedoch, zumindest
was die Altersverschiebung betrifft, ein Wendepunkt erreicht zu sein. Dies wird im Folgenden
Abb. 3: Bevölkerungsentwicklung in
Deutschland 2002 bis 2050
eigene Abb. nach BBR 2005: 33
Quelle: BBR Bevölkerungsprognose
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
9
anhand einer kleinräumigen Bevölkerungsprognose für die Region Hannover exemplarisch
aufgezeigt (siehe Tab. 1).
6
Tab. 1: Demographische Entwicklung in der Region Hannover 2003 bis 2020
Einwohnerzahl
Anteil der 65-Jährigen und
Älteren
2003
2020 Diff.
2003
2020
Diff.
Region (gesamt)
1.164.300 1.167.500
+ 0,3%
18,6% 23,4%
+ 4,8% Pkt.
Region (ohne LH)
642.600
654.100
+ 1,8%
18,4% 24,5%
+ 6,1% Pkt.
LH Hannover
521.700
513.400
- 1,6%
18,9% 22,0%
+ 3,1% Pkt.
eigene Tab. nach REGION HANNOVER 2006: o.S.
Die Bevölkerungszahl der Region Hannover steigt demnach bis 2020 noch leicht an (+0,3%).
Diese positive Entwicklung ist in erster Linie auf Zuwanderungen aus anderen Regionen
Deutschlands zurückzuführen. Innerhalb der Region bestimmen weiter Stadt-Umland-Wande-
rungen die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung. So verliert die Kernstadt Hannover
auch zukünftig Einwohner zugunsten des suburbanen Umlandes. Allerdings gibt es vorsichti-
ge Anzeichen für eine abklingende Suburbanisierung. Geburtenstarke Jahrgänge haben ihren
Wohnungsbedarf inzwischen überwiegend gedeckt und nachfolgende Jahrgänge stellen auf-
grund ihrer schwächeren Besetzung ein geringeres Wanderungspotenzial dar (vgl. LTS 2003:
60ff).
Was den demographischen Trend der Alterung betrifft, so setzt sich dieser, gemessen am
Bevölkerungsanteil der Altersgruppe ,,65 Jahre und älter", auch im regionalen Durchschnitt
fort (+4,8% Pkt.). Die differenzierte intraregionale Betrachtung zeigt jedoch, dass bis 2020
v.a. die Bevölkerung des städtischen Umlandes altert (+6,1% Pkt.). Als Folge starker Subur-
banisierungsbewegungen in den 1960-er / 1970-er Jahren ist im Jahr 2020 voraussichtlich fast
jeder vierte Bewohner dieses Teils der Region Hannover 65 Jahre oder älter. Die Entwicklung
wird demzufolge wesentlich durch den Altersaufbau der derzeitigen Bevölkerung bestimmt
und kann trotz anhaltender Zuwanderung v.a. junger Familien nicht aufgehalten werden. Die
Altersstruktur der kernstädtischen Bevölkerung ist hingegen ausgewogener. Aus diesem
6
Die Bevölkerungsprognose wurde im Auftrag der Region Hannover vom Institut für Entwicklungsplanung und
Strukturforschung (IES) der Universität Hannover unter Berücksichtigung kommunaler Wohnbauplanungen
erstellt. Datengrundlage: Niedersächsisches Landesamt für Statistik (vgl. REGION HANNOVER 2006: o.S.).
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
10
Grund kann die demographische Alterung durch kontinuierliche Zuzüge z.B. junger Men-
schen im Haushaltsgründungsalter abgeschwächt werden (vgl. LTS 2003: 48).
Die vorangegangenen Ausführungen haben verdeutlicht, dass sich die Dynamik der Bevölke-
rungsentwicklung sowie die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland bereits verändert
haben und voraussichtlich auch zukünftig spürbar verändern werden. Die Grundtendenzen
dieser markanten Entwicklung sind ,,Schrumpfung" und ,,Alterung", wobei die Verschiebung
der Altersstruktur das wesentliche Charakteristikum des demographischen Wandels darstellt.
Der Alterungsprozess findet bereits seit Jahren statt, er vollzieht sich sowohl auf Bundes- als
auch auf regionaler Ebene, und er ist aufgrund niedriger Geburtenrate sowie steigender
Lebenserwartung auf längere Sicht kaum umkehrbar (vgl. BBR 2005: 29ff).
2.2
Verkehrsnachfrage im ÖPNV
Die unter 2.1 skizzierten demographischen Veränderungen berühren nahezu alle Bereiche des
öffentlichen Lebens in Deutschland. In diesem Abschnitt werden speziell die Auswirkungen
des demographischen Wandels auf die Verkehrsnachfrage im ÖPNV thematisiert.
Dazu erfolgt einführend eine Erläuterung der Begriffe ,,ÖPNV" und ,,Verkehrsnachfrage"
(siehe 2.2.1) bevor anschließend dargelegt wird, wie sich im Zuge demographischer
Schrumpfungs- und Alterungsprozesse die Verkehrsnachfrage aller Voraussicht nach verän-
dert (siehe 2.2.2).
2.2.1 Begriffsklärung
Öffentlicher Personennahverkehr wird gemäß PbefG §8 (1) definiert, als ,,[...] die allgemein
zugängliche Beförderung von Personen mit [Verkehrsmitteln, d.Verf.] im Linienverkehr, die
überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regional-
verkehr zu befriedigen." (BMJ 2005b: o.S.). Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedie-
nung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV ist laut RegG §1 (1) eine Aufgabe
der Daseinsvorsorge (vgl. BMJ 2003: o.S.).
Der ÖPNV zählt also zu den Leistungen, die der Staat zur Sicherung einer Grundversorgung
der Bevölkerung erbringt. Genaugenommen ist der ÖPNV Aufgabe der kommunalen Selbst-
verwaltung. Aufgrund des räumlichen Bezuges wird diese jedoch häufig von überörtlichen
Verwaltungseinheiten (z.B. Zweckverbänden) wahrgenommen. Organisation und Durchfüh-
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
11
rung des ÖPNV erfolgen, vereinfacht formuliert, nach dem Besteller (öffentliche Hand)
Ersteller (Verkehrsunternehmen) Prinzip.
7
Die für den ÖPNV aufgebaute und betriebene Infrastruktur bildet eine wichtige Grundlage zur
Erreichung räumlich gleichwertiger Lebensbedingungen (vgl. BBR 2005: 363).
Darüber hinaus sichert der ÖPNV maßgeblich die Funktionsfähigkeit und Lebensqualität von
Städten. Er ist Kern eines sozial angemessenen und ökologisch verträglichen Mobilitätsange-
botes und daher staatlicherseits förderungswürdig (vgl. BUNDESREGIERUNG 2005: 47).
Aus Sicht des ÖPNV hat der demographische Wandel in erster Linie Auswirkungen auf die
Verkehrsnachfrage von Personen.
8
Die Entstehung der Verkehrsnachfrage ist ein komplexer,
von vielen Faktoren beeinflusster Prozess. Als direkte Determinanten gelten die Raum- und
Siedlungsstruktur, das Verkehrsangebot und das individuelle Verkehrsverhalten, welche sich
letztendlich auf vier grundlegende Akteure zurückführen lassen (vgl. SOMMER 2005b: 14ff)
(siehe Abb. 4).
Abb. 4: Akteure der Verkehrsnachfrage
Bevölkerung
Staat
(öffentl. Hand)
Verkehrsnachfrage
(Verkehrsaufkommen,
Verkehrsleistung)
Individuum
(priv. Haushalt)
Wirtschaft
(Unternehmen)
eigene Abb. nach SOMMER 2005b: 15
Die Unterscheidung zwischen ,,Bevölkerung" und ,,Individuum" wird bewusst vorgenommen,
um demographische Entwicklungen auf Makroebene von individuellen (Verkehrs-) Verhal-
tensweisen auf Mikroebene unterscheiden zu können (vgl. ebd.: 15).
7
Öffentliche Hand und Verkehrsunternehmen werden im Folgenden als ,,Akteure des ÖPNV" bezeichnet, wohl
wissend, dass deren Handlungsspielraum letztendlich von politisch Verantwortlichen bestimmt wird.
8
Darüber hinaus können Einwohnerverluste und Verschiebungen in der Alters-/ Sozialstruktur auch die Finanz-
situation öffentlicher Haushalte schwächen und damit indirekt zu geringeren finanziellen Zuschüssen für den
ÖPNV führen. In diesem Fall handelt es sich allerdings in erster Linie um politische Prioritätensetzungen.
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
12
2.2.2 Veränderungen der Verkehrsnachfrage
Bezogen auf den Nahverkehrssektor sind die kleinräumigen Auswirkungen des demographi-
schen Wandels von Interesse. Wie unter 2.1.2 bereits dargelegt, verläuft die allgemeine und
altersstrukturelle Bevölkerungsentwicklung auf regionaler Ebene sehr differenziert. So kann
es infolge von Stadt-Umland-Wanderungen innerhalb einer ÖPNV-Region zu einem Neben-
einander von wachsenden und schrumpfenden Teilräumen und damit zu unterschiedlichen
Ausprägungen der Verkehrsnachfrage kommen.
Um siedlungsstrukturelle von demographisch induzierten Entwicklungen abgrenzen zu
können, konzentriert sich die Betrachtung der Verkehrsnachfrage im Folgenden auf die
übergeordnete, regionale Ebene. Zudem werden hauptsächlich qualitative Aspekte der Nach-
frageentwicklung benannt. Zur quantitativen und interregional differenzierten Abschätzung
demographischer Auswirkungen bedarf es im Einzelfall konkreter kleinräumiger Bevölke-
rungsprognosen.
Mittel- bis langfristig wird die für viele Regionen prognostizierte Bevölkerungsabnahme zu
einer insgesamt sinkenden ÖPNV-Nachfrage führen. Am wahrscheinlichsten werden von
dieser Entwicklung ländlich-periphere Regionen betroffen sein; einige sind es schon heute.
Aber auch in Agglomerationsräumen muss in naher Zukunft mit niedrigeren Fahrgastzahlen
gerechnet werden. So wird z.B. in der Region Hannover bis 2016 ein Rückgang der ÖPNV-
Nachfrage von 4,5% bis 8,5% erwartet (vgl. REGION HANNOVER 2003: 62ff)
9
.
Neben diesen Tendenzen, die auf demographische Schrumpfungsprozesse zurückzuführen
sind, verändert sich die Verkehrsnachfrage ebenso durch Verschiebungen im Altersaufbau der
Bevölkerung. Ausschlaggebend dafür sind unterschiedliche Verkehrsverhaltensweisen einzel-
ner Altersgruppen.
Folgende qualitative Entwicklungen sind in dieser Hinsicht für den ÖPNV zu erwarten:
9
Innerhalb der LH Hannover wird sogar mit einem Rückgang der Verkehrsnachfrage im ÖPNV von 11,0% bis
13,5% gerechnet. Grundlage dieser Vorausberechnungen aus dem Jahr 2000 sind u.a. Annahmen zu einer
negativen Bevölkerungsentwicklung (vgl. REGION HANNOVER 2003: 60). Jüngere Prognosen sehen dagegen
einen weniger drastischen Bevölkerungsrückgang voraus (vgl. Dies. 2006: o.S.).
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
13
· Rückgang der Schülerzahlen
Weniger Schüler führen zu einem Rückgang der Ausbildungswege und somit v.a. zu we-
niger Schülerfahrten im ÖPNV. Dagegen werden sich infolge von Schulschließungen
bzw. -zusammenlegungen die Wege der Schüler insgesamt verlängern, was eine verstärkte
Nutzung motorisierter Verkehrsmittel bedingt. Jedoch können höhere Verkehrsleistungen
die generell niedrigere Verkehrsnachfrage wahrscheinlich nicht kompensieren (vgl.
SCHEINER 2006: 137f; SOMMER 2005b: 15f).
· Rückgang der Erwerbsfähigenzahlen
Weniger Erwerbsfähige bedeuten ein geringeres Fahrgastpotenzial für den ÖPNV. Auf der
anderen Seite wird durch die geringere Anzahl an Berufswegen die morgendliche und a-
bendliche Spitzenbelastung im Verkehrsnetz abgebaut. Dadurch kann der ÖPNV-Betrieb,
u.a. durch den Wegfall von Sonderfahrten, optimiert werden (vgl. SCHEINER 2006: 135).
· Zunahme der Anzahl älterer Menschen
Die zunehmende Anzahl älterer Menschen wird nicht zwangsläufig zu einer höheren
ÖPNV-Nachfrage führen. Wenn überhaupt, so sind nur geringe Zuwächse zu erwarten.
Grund dafür, ist die sich im Zeitverlauf verändernde Motorisierung von Senioren (siehe
Abb. 5).
Abb. 5: Führerscheinbesitz von Frauen in Westdeutschland 1982 und 2002
eigene Abb. nach BMVBW 2004: 24 (Datenquelle: KONTIV 1982; Mobilität in Deutschland 2002)
Ältere Personen, insbesondere ältere Frauen, stellen heutzutage eine wichtige Nutzergrup-
pe des ÖPNV dar. Viele Senioren haben keinen Führerschein und auch kein Auto und sind
somit aus Sicht des ÖPNV ,,Zwangskunden" (,,captive riders"). Während in Deutschland
knapp 90% aller Personen im Alter von 18 bis 74 Jahren über eine Pkw-Fahrerlaubnis ver-
fügen, liegt der entsprechende Anteil bei den ,,Über 64-Jährigen" noch unter 80% (vgl.
2 Demographischer Wandel und ÖPNV
14
BMVBW 2004: I, 23). Hingegen werden die Senioren von morgen zum Großteil motori-
siert sein. So erhöhte sich der Anteil der Führerscheinbesitzer unter den 18- bis 74-
Jährigen allein im Zeitraum von 1982 bis 2002 von 67% auf 88%, wobei v.a. die Motori-
sierung von Frauen, siehe Abb. 5, deutlich zunahm (vgl. ebd.: 24). Zukünftig werden viele
Senioren eine ,,auto-affine Sozialisierung" aufweisen, wodurch sie auch bis ins hohe Alter,
getreu dem Motto: ,,Alt ist man erst, wenn man nicht mehr Auto fahren kann.", eher mit
dem Pkw als dem ÖPNV vertraut sein werden (TOPP 2004: 35). Da diese Personen nicht
an den ÖPNV gebunden sind, gelten sie aus dessen Sicht als ,,Wahlfreie" (,,choice ri-
ders"). Lediglich die Gruppe der Hochbetagten (ab 75 Jahre), welche aufgrund gesund-
heitlicher Einschränkungen weniger motorisiert ist, kann effektiv eine höhere ÖPNV-
Nachfrage auslösen. Allerdings wird die vergleichsweise geringe Mobilität älterer Men-
schen, gemessen an der Anzahl und Länge der Wege pro Tag, wohl nicht die Verluste bei
Schüler- und Berufsfahrten ausgleichen können (vgl. SCHEINER 2006: 134ff; SOMMER
2005b: 16).
Die beschriebenen Auswirkungen des demographischen Wandels stellen aus Sicht des ÖPNV
allgemein keinen Grund zum Optimismus dar.
Die Signale für eine in Zukunft stetig steigende ÖPNV-Nachfrage sind eher gering. Viele
Kundengruppen werden zahlenmäßig kleiner. Zudem steigt der Anteil ,,Wahlfreier". Dadurch
verliert der ÖPNV einen nicht unerheblichen Teil seines Fahrgastpotenzials. Obwohl weniger
Fahrgäste voraussichtlich längere Wege zurücklegen werden, kann die abnehmende Ver-
kehrsnachfrage vermutlich nicht durch gesteigerte Verkehrsleistungen kompensiert werden
(vgl. SOMMER 2005a: 10; Ders 2005b: 19).
Insbesondere in ländlichen Regionen und Schrumpfungsräumen sieht die Perspektive des
ÖPNV derzeit nicht besonders positiv aus. Sinkende Fahrgastzahlen, steigende Infrastruktur-
kosten, Angebotsreduzierungen und demzufolge weiter sinkende Fahrgastzahlen führen zu
einer sich verstärkenden Abwärtsspirale, welche letztendlich die Daseinsvorsorge gefährdet
und die Akteure des ÖPNV vor große Herausforderungen stellt.
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass für den ÖPNV bezüglich der Verkehrsnachfrageent-
wicklung dennoch kein genereller Grund zum Pessimismus bestehen muss.
3 Leitziel ,,Seniorengerechter ÖPNV"
15
3 Leitziel ,,Seniorengerechter ÖPNV"
Im vorangegangenen Kapitel wurden die Grundtendenzen des demographischen Wandels und
deren Auswirkungen auf die ÖPNV-Nachfrage herausgestellt. Aller Voraussicht nach werden
in den kommenden Jahrzehnten vielerorts die Fahrgastzahlen sinken, wodurch sich das
wirtschaftliche Umfeld des ÖPNV verschlechtert (siehe 2.2.2).
Kennzeichnend für die demographisch induzierte Nachfrageentwicklung ist, dass sie kaum
beeinflusst werden kann. Demgegenüber gibt es aber auch Faktoren, die auf den komplexen
Prozess der Verkehrsnachfrage Einfluss haben und von Akteuren gesteuert werden können
(siehe 2.2.1, Abb. 4). Die Entwicklung der Verkehrsnachfrage wird also nicht allein durch
demographische Veränderungen, sondern ebenso von Entscheidungen der öffentlichen Hand
und/oder der Verkehrsunternehmen bestimmt. Demnach hängt die Zukunft des ÖPNV auch
von nachstehenden, noch offenen Fragen ab: (vgl. SOMMER 2005a: 10f)
· Wie verhalten sich die Verkehrsteilnehmer in Zukunft (Motive, Interessen)?
· Wie ist zukünftig das Kostenverhältnis von ÖPNV- und MIV-Nutzung (Pkw-Maut)?
· Wie entwickelt sich in Zukunft die Siedlungsstruktur (Re- oder Suburbanisierung)?
· Wie gestalten sich die politischen Rahmenbedingungen (z.B. Entfernungspauschale)?
und es stellt sich die Frage:
· Wie reagieren die Aufgabenträger des ÖPNV (Be-/ Ersteller) in den kommenden
Jahren strategisch auf die geänderten demographischen Rahmenbedingungen?
Der letztgenannten Fragestellung, speziell der strategischen Handlungsoption ,,Seniorenge-
rechter ÖPNV", widmet sich im Folgenden die vorliegende Untersuchung.
Senioren sind die Personengruppe, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung im Zuge des
demographischen Alterungsprozesses fast überall und beinahe unaufhaltsam steigt. Ältere
Menschen stellen dadurch auch für den ÖPNV eine bedeutende Kundengruppe dar. Dieses
Potenzial kann allerdings nur ausgeschöpft werden, wenn die Akteure des ÖPNV die Belange
älterer Verkehrsteilnehmer kennen. Die folgende Untersuchung zielt daher in erster Linie
darauf ab, die räumliche Mobilität von Senioren zu ergründen. Aufbauend auf gewonnenen
Erkenntnissen können Handlungsempfehlungen für einen seniorengerechten ÖPNV abgeleitet
werden. Deren Berücksichtigung verbessert sowohl die Rahmenbedingungen der öffentlichen
Hand sowie der Verkehrsunternehmen als auch die Mobilitätschancen von Senioren.