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Zeitlupe und Zeitraffer

Analyse aktueller Techniken in der Film- und Videoproduktion

©2005 Diplomarbeit 72 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:

Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über aktuelle Techniken zur Herstellung von verlangsamten bzw. beschleunigten Film- und Videoaufnahmen. Das Themengebiet wurde auf Produktionen beschränkt, deren Ergebnisse jedem von uns auch im Alltag begegnen - sei es in Werbung, Spiel- oder Dokumentarfilm.
Nach einer allgemeinen Einführung werden im ersten Teil geschichtliche und wahrnehmungsphysiologische Grundlagen behandelt. Es folgt eine Untersuchung der narrativen Anwendungsmöglichkeiten von Zeitraffer und Zeitlupe anhand diverser Filmbeispiele. Im technischen Hauptteil der Arbeit werden praktische Anwendungen aus dem Filmbereich sowie Video- und Softwaretechnologien vorgestellt. Die unterschiedlichen Methoden werden an konkreten Beispielen detailliert erläutert und schließlich im letzten Kapitel im Hinblick auf technische, ästhetische und wirtschaftliche Aspekte nochmals ausgewertet.

Inhaltsverzeichnis:

Einleitung
1.Einführung
1.1Wahrnehmungsphysiologie
1.2Geschichte
1.3Narrative Funktion im Film
1.3.1 Inszenierung des Natürlichen
1.3.2 Bildliche Darstellung der Zeit
1.3.3 Veränderung der Stofflichkeit von Objekten
1.3.4 Karikatur von Vorgängen
1.3.5 Stilisierung von Schlüsselereignissen
1.3.6 Veränderung der subjektiven Wirkung

2. Film
2.1 Technische Grundlagen
2.1.1 Kameramechanik
2.1.2 Belichtung und Beleuchtung
2.2 Kameras und Anwendungsbeispiele
2.2.1 Bolex H 16 RX-SBM - Dokumentation
2.2.2 Arriflex 16 SR3 - Fernsehfilm
2.2.3 Arriflex 435 - Werbung
2.2.4 Photo-Sonics 4ER - Spielfilm
2.2.5 Photo-Sonics 4B - Werbung
2.2.6 Ultra-Hochgeschwindigkeitskameras

3. Video
3.1 Technische Grundlagen
3.1.1 Aufzeichnung von Videosignalen
3.1.2 Elektronische Bildwandler
3.2 Kameras und Anwendungsbeispiele
3.2.1 Grass Valley LDK 23HS und EVS LSM-XT: Sportübertragung
3.2.2 Panasonic AJ-HDC27FE Varicam
3.2.3 Weinberger SpeedCam Visario und Cine SpeedCam
3.3 Simulation per Software
3.3.1 Praktische Anwendung am Avid
4. Zusammenfassung
4.1 Ästhetische Wirkung
4.2 Finanzielle Aspekte
4.3 Fazit

Anhang
I.Vergleichstabelle der vorgestellten Kameras
II.Standbilder zu den Filmbeispielen
III.Filmindex65
IV.Literaturverzeichnis67
V. Abbildungsverzeichnis

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nicolas Hemmelmann
Zeitlupe und Zeitraffer
Analyse aktueller Techniken in der Film- und Videoproduktion
ISBN: 978-3-8366-1557-0
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, Deutschland,
Diplomarbeit, 2005
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Einleitung_________________________________________________________3
1 Einführung_______________________________________________________4
1.1 Wahrnehmungsphysiologie_________________________________________6
1.2 Geschichte____________________________________________________9
1.3 Narrative Funktion im Film________________________________________14
1.3.1 Inszenierung des Natürlichen___________________________________15
1.3.2 Bildliche Darstellung der Zeit___________________________________17
1.3.3 Veränderung der Stofflichkeit von Objekten_________________________17
1.3.4 Karikatur von Vorgängen______________________________________18
1.3.5 Stilisierung von Schlüsselereignissen______________________________19
1.3.6 Veränderung der subjektiven Wirkung_____________________________21
2 Film___________________________________________________________23
2.1 Technische Grundlagen___________________________________________23
2.1.1 Kameramechanik___________________________________________24
2.1.2 Belichtung und Beleuchtung____________________________________27
2.2 Kameras und Anwendungsbeispiele__________________________________29
2.2.1 Bolex H 16 RX-SBM: Dokumentation______________________________29
2.2.2 Arriflex 16 SR3: Fernsehfilm____________________________________31
2.2.3 Arriflex 435: Werbung________________________________________33
2.2.4 Photo-Sonics 4ER: Spielfilm___________________________________35
2.2.5 Photo-Sonics 4B: Werbung____________________________________37
2.2.6 Ultra-Hochgeschwindigkeitskameras_____________________________40
3 Video__________________________________________________________41
3.1 Technische Grundlagen___________________________________________41
3.1.1 Aufzeichnung von Videosignalen_________________________________41
3.1.2 Elektronische Bildwandler_____________________________________44
3.2 Kameras und Anwendungsbeispiele__________________________________48
3.2.1 Grass Valley LDK 23HS und EVS LSM-XT: Sportübertragung_____________49
3.2.2 Panasonic AJ-HDC27FE Varicam________________________________51
3.2.3 Weinberger SpeedCam Visario und Cine SpeedCam____________________53
3.3 Simulation per Software__________________________________________54
3.3.1 Praktische Anwendung am Avid_________________________________56
4 Zusammenfassung_________________________________________________58
4.1 Ästhetische Wirkung_____________________________________________58
4.2 Finanzielle Aspekte_____________________________________________59
4.3 Fazit_______________________________________________________60
Anhang__________________________________________________________61
I. Vergleichstabelle der vorgestellten Kameras________________________________61
II. Standbilder zu den Filmbeispielen______________________________________62
III. Filmindex______________________________________________________65
IV. Literaturverzeichnis_______________________________________________67
V. Abbildungsverzeichnis______________________________________________69
Dank___________________________________________________________70
2

Einleitung
Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über aktuelle Techniken zur Herstellung von
verlangsamten bzw. beschleunigten Film- und Videoaufnahmen. Das Themengebiet wurde
auf Produktionen beschränkt, deren Ergebnisse jedem von uns auch im Alltag begegnen ­ sei
es in Werbung, Spiel- oder Dokumentarfilm.
Nach einer allgemeinen Einführung werden im ersten Teil geschichtliche und
wahrnehmungsphysiologische Grundlagen behandelt. Es folgt eine Untersuchung der
narrativen Anwendungsmöglichkeiten von Zeitraffer und Zeitlupe anhand diverser
Filmbeispiele. Im technischen Hauptteil der Arbeit werden praktische Anwendungen aus dem
Filmbereich sowie Video- und Softwaretechnologien vorgestellt. Die unterschiedlichen
Methoden werden an konkreten Beispielen detailliert erläutert und schließlich im letzten
Kapitel im Hinblick auf technische, ästhetische und wirtschaftliche Aspekte nochmals
ausgewertet.
Auf der zur Arbeit gehörigen DVD findet sich eine Auswahl an Filmbeispielen zum Kapitel
1.3 Narrative Funktion im Film. Zu jeder vorgestellten Technik wird mindestens ein Beispiel
aus der Praxis aufgeführt. Diese Beispiele sind ebenfalls auf der beiliegenden DVD
dokumentiert. Teilweise wurde bei den Ausschnitten und Drehdokumentationen das
Audiosignal bewusst oder technisch bedingt weggelassen.
Da auch die Beispiele aus dem Filmbereich bedingt durch das Medium DVD nur als
Videoaufnahmen in Standardauflösung bereitliegen, ist ein direkter Vergleich der
unterschiedlichen ästhetischen Eindrücke nur eingeschränkt möglich. Die in Europa
geringfügig unterschiedlichen Bildfrequenzen von Film und DVD ­ 24 und 25 frames per
second
1
können in diesem Fall allerdings vernachlässigt werden.
Bei Bedarf sind im Internet unter http://zeit.netzfilm.com weiterführende Links zu den
behandelten Filmen und Herstellern auf einfache Weise abrufbar.
1 Im Folgenden wird die Abkürzung fps verwendet.
3

1 Einführung
Um Mißverständnissen vorzubeugen, müssen die Begriffe Zeitlupe und Zeitraffer klar
definiert werden, obwohl ihre Bedeutung grundsätzlich allgemein bekannt sein dürfte. Ein
aufgezeichneter Vorgang wird nur dann zeitlich richtig wiedergegeben, wenn Aufnahme- und
Vorführgeschwindigkeit übereinstimmen. Bei einer Aufnahmegeschwindigkeit unter den im
Film üblichen 24 fps
2
entsteht für den Zuschauer automatisch ein Zeitraffer- und folglich bei
einer höheren Bildrate ein Zeitlupeneffekt ­ sofern nicht im Schnitt Bilder weggelassen oder
durch Interpolation dazugerechnet werden. Diese Begriffsfestlegung kann jedoch nur
getroffen werden, weil die Vorführgeschwindigkeit von Filmen im Kino weltweit und im
Fernsehen zumindest überregional festgelegt ist. Bei geringfügigen Änderungen der
Bildfrequenz spricht man außerdem von Unterdrehen für einen leichten Zeitraffereffekt.
Analog wird eine moderate Zeitlupe am Set Überdrehen genannt.
3
Voraussetzung für das rezeptive Verständnis einer abweichenden Bildfrequenz ist neben
der Klärung der Begrifflichkeiten, daß die wirkliche Geschwindigkeit der aufgezeichneten
Bewegungen dem Betrachter, der sie in Zeitlupe oder Zeitraffer sieht, bekannt sein muss.
Durch die Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung ist ein Referenzsystem der Zeit
festgelegt. Einer Fliege, die mit ihren Facettenaugen bis zu 200 Einzelbilder pro Sekunde
wahrnimmt, scheinen die Bewegungen eines Menschen unendlich langsam ­ sie hingegen
bewegt sich zu schnell, als daß das menschliche Auge Einzelheiten ihrer Bewegung erfassen
könnte. Die Bewegungen einer Pflanze, einer aufblühenden Blume beispielsweise, sind
dagegen so langsam, daß der Mensch sie nur dann bemerken und somit begreifen kann, wenn
der Vorgang aufgezeichnet und beschleunigt vorgeführt wird.
2 25 fps in der Videoproduktion
3 engl. Undercranking bzw. Overcranking
4

Zur Einordnung des zeitlichen Referenzsystems beim Menschen ist in der folgenden Tabelle
die jeweilige Zeitdauer einiger Vorgänge aus Natur und Technik aufgeführt:
Ereignis
Dauer
Flügelschlag einer Stubenfliege
3 ms
Flügelschlag eines Kolibris
15 ms
Explosion eines Airbags
35ms
Dauer eines Filmbildes
42 ms
menschliche Reaktionszeit
ca. 100 ms
Aufprall bei Autounfall
300 ms
Dauer eines Atemzuges beim Menschen
5 s
Aufblühen einer Blume
3 h
Umlauf der Erde um die Sonne
365 d
Umlauf des Planeten Neptun um die Sonne
165 a
Halbwertszeit des Elementes Uran-238
4,47 Ga
5

1.1 Wahrnehmungsphysiologie
Das optische System des menschlichen Auges besteht aus der Hornhaut, der Linse und dem
Glaskörper. Die Aufnahme und Verarbeitung der visuellen Information geschieht in der
Netzhaut und dem Sehzentrum im visuellen Cortex des Gehirns.
Die Netzhaut, auch Retina genannt, enthält zwei Arten lichtempfindlicher Seh-rezeptoren,
insgesamt etwa 130 Millionen. Die Zapfen reagieren auf die unterschiedliche spektrale
Zusammensetzung des Lichtes und sind somit für die Farbwahrnehmung zuständig. Die
Stäbchen nehmen die Intensität des Lichtes wahr und registrieren Helligkeitswerte ­
Stäbchen sind rund 10000 mal lichtempfindlicher als Zapfen, sie übernehmen das
sogenannte Dämmerungssehen. Die rundlichen Zapfen, von denen sich etwa sieben Millionen
auf der Retina befinden, enthalten Sehfarbstoffe, die sich unter Lichteinwirkung chemisch
verändern und dabei elektrische Impulse auslösen. Es existieren drei verschiedene
Zapfentypen, von denen jeder für einen bestimmten Spektralbereich empfindlich ist. Die
Maxima ihrer spektralen Absorptionskurven liegen im roten, grünen und blauen Bereich. In
der Fovea centralis, dem Bereich des deutlichen Sehens ist die Konzentration der Zapfen am
größten. Neben der sogenannten Dreifarben-Theorie des menschlichen Sehens sind
außerdem die Gegenfarbentheorie und die neuere Zonentheorie zu nennen, deren Ansätze
jedoch für die zeitliche Wahrnehmung des Menschen unerheblich sind.
6
Abb. 1: Das optische System des menschlichen Auges

Eine für die Film- und Videoproduktion sehr wichtige Eigenschaft des menschlichen Auges
ist die Trägheit des Sehvorgangs. Die Frequenz für die Projektion oder die Übertragung von
bewegten Bildern ergibt sich aus der Bildwiederholrate, die nötig ist, damit der Gesichtssinn
die dargestellten Bewegungsabläufe als zusammenhängend empfindet. Beim Menschen
entsteht eine Illusion der Kontinuität schon ab ungefähr zwölf Bildern pro Sekunde, falls die
dargestellten Objekte nur langsam bewegt werden. Bei herabgesetzter Beleuchtung ist bereits
eine Bildfrequenz von 20 Hertz
4
ausreichend, um auch schnelle Bewegungen flüssig
wahrnehmen zu können, da der Stäbchenapparat eine niedrigere Zeitauflösung besitzt als die
Zapfen. Filmprojektoren arbeiten mit einer Bildfrequenz von 24Hz, wobei jedes Bild zweimal
projiziert wird. Bei einfacher Projektion würden die Dunkelpausen während des
Bildtransports zu einem unangenehmen Flackern führen. Dieses sogenannte
Großflächenflimmern verschwindet bei etwa 50Hz ­ die Flimmerverschmelzungsfrequenz
5
f
v
steigt jedoch mit der Bildhelligkeit. Bei Computerbildschirmen, die im Vergleich zur
Kinoleinwand eine deutlich höhere Leuchtdichte aufweisen, ist zum ermüdungsfreien
Arbeiten eine Wiederholfrequenz von 70Hz empfehlenswert
6
. Beim Fernsehen wird dieses
Problem anders gelöst ­ die 25 Bilder pro Sekunde werden in jeweils zwei Halbbilder
aufgeteilt, so daß die Bildfrequenz bei 50 fps liegt.
4 Im Folgenden wird die Abkürzung Hz verwendet.
5 auch: Flimmerfusionsfrequenz
6 vgl. Schmidt, S.8f
7
Abb. 2: Die Flimmerverschmelzungsfrequenz in Abhängigkeit der Leuchtdichte

Die Scheinbewegung, bekannt als das Phi-Phänomen, ist die andere grundlegende
Eigenschaft, auf der das Kino basiert. Sie beruht auf dem sogenannten Nachbildeffekt, der
bewirkt, daß die Wahrnehmung eines Objektes länger andauert, als der Sinneseindruck
währt. Zur Untersuchung der Scheinbewegung werden lediglich zwei Lichter benötigt, die so
geschaltet werden können, daß kurz nach Erlöschen des ersten das zweite Licht aufleuchtet.
Bei einem gewissen räumlichen Abstand der Lichter und dem richtigen Zeitintervall zwischen
ihrem Aufleuchten, ist ein Licht wahrzunehmen, das scheinbar zwischen den aufleuchtenden
Lampen hin- und herwandert. Dieses Phänomen lässt sich mit der Annahme erklären, daß
das Bild-Netzhaut-System Lücken toleriert.
Sehen erfordert offensichtlich einen gewissen Spielraum, um mit allen möglichen Arten
von Unzulänglichkeiten fertig zu werden ­ diese Erkenntnis der räumlichen und zeitlichen
Toleranz ermöglicht Film und Fernsehen erst die wirtschaftliche Nutzung.
7
Außerdem gaben die genannten Grenzen unseres Sehsinns den Anstoß für die Entwicklung
von Techniken zur Aufzeichnung von besonders langsamen bzw. besonders schnellen
Vorgängen, um sie dann beschleunigt bzw. verlangsamt wiederzugeben.
7 Gregory, S.154
8

1.2 Geschichte
,,Schon vor Erfindung des Films kündigte sich eine neuartige Wahrnehmungsform an, welche
unser Verständnis natürlicher Phänomene und Abläufe grundlegend verändern sollte. Der
Film vollendete und bündelte technisch nur, was bereits mit dem Daumenkino, der
Momentfotografie und vielen anderen optischen Geräten begann: die Aufzeichnung von
Vorgängen und deren gezielte temporale Manipulation."
8
J.A.F. Plateau bildete 1829 mit seinen Untersuchungen über die Nachbildwirkung die
Grundlage für die Laufbildtechnik. Daraufhin entstanden verschiedene Apparate ­ wie zum
Beispiel das Zoetrop ­ die aus mehreren gemalten Einzelbildern die Illusion einer Bewegung
erzeugten.
Die ersten Hochgeschwindigkeitsfotografien werden dem Engländer William Henry Fox
Talbot zugeschrieben. Er entwickelte 1852 eine Technik mit der man die damals viel zu
langsamen Kameraverschlüsse
9
umgehen konnte. Talbot benutzte dazu eine Kamera mit
offenem Verschluß in einem vollständig abgedunkelten Raum und belichtete das
Filmmaterial durch Blitze, die mit Hochspannung erzeugt wurden. Die so erreichte extrem
kurze Belichtungszeit ermöglichte Momentaufnahmen schneller Bewegungen ohne
Bewegungsunschärfe. Eine ähnliche Technik wird noch heute für wissenschaftliche
Anwendungen genutzt.
Die ersten Apparaturen zur Aufzeichnung von Vorgängen und deren zeitliche Stauchung
bzw. Dehnung dienten der wissenschaftlichen Untersuchung. Eine wichtige Rolle spielte
dabei der Chronofotograf Eadweard Muybridge, der zwischen 1884 und 1886 mit seinen
Experimenten an der Universität Pennsylvania mit Mitteln der Fotografie das Prinzip des
Films im Grunde vorweg nahm. Die berühmte Aufnahme von 24 Bewegungsphasen eines
galoppierenden Pferdes entstand mit einer Reihe von 24 Kameras, deren Verschlüsse durch
das Tier selbst über Bindfäden ausgelöst wurden. Ottomar Anschütz ging in den folgenden
Jahren einen Schritt weiter und entwickelte einen elektrischen Schnellseher ­ eine weitere
Vorstufe zur heutigen Kinoprojektion. Parallel gelang es Jules Marey, einem französischen
Physiologie-Professor, die Bewegungen von Vögeln mit bis zu 100 fps auf Zelluloidfilm zu
bannen.
8 Becker, S.11
9 vgl. Kapitel 2.1
9

Weitere wichtige Erfindungen in der Entwicklung des Films waren 1891 Thomas Alva
Edisons Kinetograph und der passende Betrachtungsapparat, das Kinetoskop, sowie die
Weiterentwicklung der Geräte durch die Greiferkonstruktion
10
der Gebrüder Lumière 1895.
11
1898 erstellte der Botaniker Wilhelm Pfeffer erstmals Zeitrafferaufnahmen von wachsenden
Tulpen.
Neben rein wissenschaftlichen Anwendungen existieren natürlich auch etliche
Unterhaltungsfilme, die im Zeitraffer aufgenommen wurden ­ so zum Beispiel im Jahre 1901
D
EMOLISHING AND
B
UILDING UP THE
S
TAR
T
HEATRE
von Frederick S. Armitage. Der Abriss eines New
Yorker Theaters wurde über Wochen hinweg mit einem Aufnahmeintervall von vier Minuten
dokumentiert (DVD Titel 1).
Das Avantgarde-Kino der zwanziger Jahre hat die technischen Möglichkeiten zur
Geschwindigkeitsbeeinflussung ebenfalls genutzt. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Luis
Buñuels surrealistischer Film U
N
C
HIEN
A
NDALOU
von 1929. Eine Sequenz des Films enthält
mehrere Zeitlupeneinstellungen (DVD Titel 2). Friedrich Wilhelm Murnau, einer der
wichtigsten Vertreter des expressionistischen Films, ließ die Kutsche zum Schloß in N
OSFERATU
im Zeitraffer hochfahren und erzeugte so eine besonders unheimliche Stimmung (DVD Titel
3).
Die Begriffe Zeitlupe und Zeitraffer sind erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden
­ vorher gab es keine explizite Benennung für diese Techniken ­ man sprach von
Zeitvergrösserung und -verkleinerung oder bediente sich anderer Umschreibungen. 1917
wurde das Patent für eine Hochgeschwindigkeitskamera namens Zeitlupe angemeldet.
Zunächst wurde der Begriff Zeitlupe nur für Aufnahmen verwendet, die mit dieser speziellen
Kamera entstanden waren. Nach und nach etablierte sich der Ausdruck aber als ästhetische
Beschreibung der Technik. Die Herkunft des Terminus Zeitraffer ist dagegen nur sehr
schlecht auszumachen ­ der Begriff taucht erstmals Ende der 1920er Jahre unter anderem in
Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz auf.
12
Bezüglich der heute standardisierten Aufnahme- und Abspielgeschwindigkeit von Filmen ist
an dieser Stelle anzumerken, daß in Stummfilmen die Bildfrequenz nicht zwingend bei den
allgemein angenommenen 16 oder 18 fps lag. Die Kamera musste damals noch bei Aufnahme
und Wiedergabe mit einer Kurbel von Hand bedient werden.
10 siehe auch Kapitel 2.1
11 vgl. Webers S.25
12 Becker, S.22f
10

,,Oscar Messter stellte 1926 am Pariser Kinokongress fest: «Die in der Sekunde reproduzierte
Bilderzahl variiert zwischen zwanzig und vierzig Einzelbildern.»"
13
Die Produktionsgesellschaften lieferten oft Vorschläge für die Vorführgeschwindigkeit um die
Abstimmung mit der Begleitmusik und der jeweiligen Handlung zu garantieren. Viele
Stummfilme bzw. ihre Videoreproduktionen werden deshalb heute mit einer eigentlich
falschen Geschwindigkeit abgespielt. Erst die Einführung des Tonfilms 1926 erforderte
sowohl für die Aufnahme als auch für die Wiedergabe eine einheitliche Frequenz, die weltweit
auf 24 fps festgelegt wurde. Dies hatte für die ästhetische Beeinflussung eines Films durch
Zeitlupe oder Zeitraffer zur Folge, daß die Entscheidung für eine bestimmte Geschwindigkeit
bereits beim Drehen getroffen werden musste.
Den Durchbruch in der Hochgeschwindigkeitskinematografie bedeutete die Entwicklung
der ersten Prismenkamera
14
mit kontinuierlichem Bildtransport durch F.J. Tuttle in den
frühen 30er Jahren
15
. Eastman Kodak produzierte zunächst ein 16mm-Modell mit
Geschwindigkeiten bis 250 fps. Innerhalb weniger Jahre steigerte sich die
Höchstgeschwindigkeit auf 4000 fps. Im Unterhaltungssektor war Leni Riefenstahls
Zweiteiler O
LYMPIA
von 1936/38 einer der ersten Filme, in dem die Zeitlupe konsequent als
ästhetisches Konzept eingesetzt wurde, wobei der wissenschaftliche Aspekt ­ die
Verdeutlichung nur schwer zu beobachtender Vorgänge ­ in den Hintergrund tritt. Die visuell
eindrucksvollen Aufnahmen konnten damals nur mit erheblichem technischen und
logistischen Aufwand realisiert werden, und müssen trotz der umstrittenen Intention als
Meilenstein der Kinogeschichte anerkannt werden (DVD Titel 4).
16
Der Ausbruch des zweiten Weltkriegs führte schließlich zu einem Entwicklungsschub auf
dem Gebiet der Highspeed-Aufnahmen. Obwohl bereits um 1900 höhere Bildfrequenzen zur
militärischen Forschung eingesetzt wurden, stieg nun der Bedarf an qualitativ hochwertigen
Aufnahmen von Projektilbewegungen und -einschlägen oder beispielsweise der Öffnung von
Fallschirmen. So wurden bei 35mm-Greiferkameras, die einen wesentlich besseren Bildstand
als Geräte mit kontinuierlichem Bildtransport haben, bald Geschwindigkeiten von bis zu 275
fps erreicht. Neben den genannten Greifer- und Prismenkameras wurden in dieser Zeit viele
andere Techniken erprobt und präzisiert.
17
13 Güttinger, S.92
14 siehe auch Kapitel 2.2.5
15 vgl. Ray, S.19
16 vgl. Becker, S.120
17 siehe auch Kapitel 2.2
11

Die ununterbrochenen Verbesserungen des Filmmaterials bis in die heutige Zeit ermöglichten
immer genauere Aufnahmen. Die Empfindlichkeit von Kinefilm konnte zwischen 1840 und
1990 um den Faktor 10
6
verbessert werden. Weitere Geschwindigkeitssteigerungen bei
Greiferkameras wurden bei Entwicklungen für die Weltraumforschung ab Mitte der 1950er
Jahre erreicht. Die kalifornische Firma Photo-Sonics entwickelte in dieser Zeit diverse 16, 35
und 70mm-Modelle, die innerhalb kurzer Zeit auch in Hollywood und später in der
Werbefilmproduktion Beachtung fanden.
18
Mit Highspeed-Modellen von Standardkameras wie der Arriflex 16 SR3 können
inzwischen ebenfalls bis zu 150 fps erreicht werden, was für gängige Anwendungen oft schon
ausreicht.
19
Seit Ende der 70er Jahre sind Zeitlupenaufnahmen in Action-Filmen keine Seltenheit
mehr. Kameramänner wie Michael Ballhaus entscheiden darüberhinaus je nach Intention der
jeweiligen Einstellung, mit welcher Geschwindigkeit letztendlich gedreht wird. Der wohl
bekannteste Kinofilm mit exzessivem Zeitraffer- und Zeitlupen-Einsatz ist Godfrey Reggios
K
OYAANISQATSI
von 1983. In diesem Film werden fast ausschließlich zeitliche wie auch
räumliche Perspektiven eingenommen, die dem Menschen normalerweise nicht zugänglich
sind (DVD Titel 5).
Eine ganz neue Dimension erreichten Zeitlupeneffekte in dem Film M
ATRIX
im Jahre 1998.
Mit 360°-Fahrten bei angehaltener Bewegung schließt die neuartige
Time-Slice-Technik
20
den Kreis zu Pionieren wie Eadweard Muybridge (DVD Titel 6). Die
Technologie beruht jedoch größtenteils auf der Standfotografie und wird daher im Rahmen
dieser Arbeit nicht weiter behandelt werden.
Der Durchbruch für die kommerzielle Nutzung der Videotechnik kam 1956, als die Firma
Ampex das erste studiotaugliche Magnetaufzeichnungssystem mit dem Namen Quadruplex
vorstellte. In den folgenden Jahren wurde die Technik stetig verbessert. Heute ist die
Ablösung durch die bandlose Aufzeichnung auf Speicherkarten oder Festplatten bereits
absehbar. Seit den 60er Jahren wurden zu Forschungszwecken auch mehr und mehr
Hochgeschwindigkeits-Videokameras eingesetzt ­ die Bildqualität nähert sich heute der von
konventionellen Filmkameras an. Die speziellen Kameras zur Bewegungsanalyse zum Beispiel
bei Crashtests sind für den Erzählfilm weniger geeignet.
18 siehe Kapitel 2.2.2
19 siehe auch Kapitel 2.2.4 und 2.2.5
20 auch Bullet Time genannt.
12

Für die Kinofilmproduktion und den Broadcastbereich bietet die Firma Weinberger aber seit
kurzem eine Weiterentwicklung ihrer Industriekameras an.
21
Im Fernsehbereich existieren
seit 1984 Kameras, die mit der dreifachen Bildfrequenz von 150 Halbbildern/s arbeiten
22
.
Diese kommen vor allem bei der Sportübertragung zum Einsatz. Mit der Einführung von
non-linearen Schnittsystemen
23
, die seit Mitte der 90er Jahre auch für den Heimanwender
zugänglich sind, ergab sich die Möglichkeit, Zeitlupen über die Interpolation fehlender
Zwischenbilder am Computer zu realisieren, was theoretisch wieder die nachträgliche
Entscheidung für oder gegen eine abweichende Bildfrequenz ermöglicht. 1999 stellte
Panasonic den ersten High Definition Camcorder für die Filmproduktion vor, mit dem echte
Zeitlupenaufnahmen möglich sind
24
.
21 siehe auch Kapitel 3.2.3
22 siehe auch Kapitel 3.2.1
23 siehe auch Kapitel 3.3
24 siehe auch Kapitel 3.2.2
13

1.3 Narrative Funktion im Film
,,Der Zeitfaktor des kinematografischen Bewegungsbildes steht in einer festen Beziehung
zur Dauer der gezeigten Bewegungsvorgänge. Hier wird die Zeitlichkeit zu einem optisch
wahrnehmbaren Faktor. Die Dimension des Geschehens ist abhängig von kamera- und
reproduktionstechnischen Manipulationen der chronometrischen Zeit, so daß die
Zeitlichkeit in völlig neuartiger Weise darstellbar ist. Die Kinematografie machte den
Zeitfaktor elastisch, nahezu beliebig deformierbar. [...] Im künstlerischen Film besitzen
Zeitraffer und Zeitlupe vor allem ästhetische Bedeutung, während der Zeitfaktor sekundär
erscheint."
25
Bei jedem Film, egal ob Fiktion oder Dokumentation, hat man es immer mit einer von der
Wirklichkeit abweichenden Zeit zu tun. Selten dauert eine Handlung in einem Film genau so
lange wie in Wirklichkeit. Ereignisse, die sich in der Realität über eine lange Zeitspanne
hinziehen, werden im Film auf wenige Minuten komprimiert ­ der Zuschauer akzeptiert diese
Manipulation. Man gewinnt sogar den Eindruck, an diesem langen Zeitraum teilgenommen
zu haben, selbst wenn ein ganzes Leben im Film erzählt wird. Solange die Handlungen
innerhalb einer Szene in ihrer zeitlichen Abfolge real wirken, akzeptiert der Zuschauer die
filmische Zeitebene.
Zeitraffer oder Zeitlupe werden eher als Verstöße gegen das Zeitempfinden
wahrgenommen.
26
Diese ungewohnte Darstellung zeigt uns ein Ereignis in einer Form, wie
wir es mit unseren eigenen Augen gar nicht wahrnehmen könnten. Im Grunde irritiert eine
solch extreme Veränderung der Zeitebene den Zuschauer ebenso wie ein Zoom, der im
Gegensatz zur Fahrt eine für die menschliche Wahrnehmung unmögliche Änderung der
räumlichen Parameter darstellt. Trotzdem sind Zeitraffer und Zeitlupe nach wie vor ein
wichtiges stilistisches Mittel der Filmsprache. Selbst in der Liveübertragung, besonders
natürlich bei großen Sportereignissen, wird häufig mit Zeitlupeneinspielungen gearbeitet. Im
Erzählfilm und anderen Formen inszenierter Medien muss eine veränderte Bildfrequenz also
mehr als nur eine wissenschaftliche Funktion haben.
25 Kandorfer, S.115f
26 vgl. www.moviecollege.de
14

,,Unter der Großaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung. Und so
wenig es bei der Vergrößerung sich um eine bloße Verdeutlichung dessen handelt, was man
»ohnehin« undeutlich sieht, sondern vielmehr völlig neue Strukturbildungen der Materie
zum Vorschein kommen, so wenig bringt die Zeitlupe nur bekannte Bewegungsmotive zum
Vorschein, sondern sie entdeckt in diesen bekannten ganz unbekannte »die gar nicht als
Verlangsamungen schneller Bewegungen sondern als eigentümlich gleitende, schwebende,
überirdische wirken«"
27
Diese Feststellung aus Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz zur lässt sich unschwer auch auf
die Zeitrafferaufnahme übertragen. Trotz der frühen Erkenntnis ihrer besonderen
ästhetischen Wirkung gab die wissenschaftliche Anwendung den ursprünglichen Antrieb für
die Entwicklung von Zeitraffer- und Zeitlupentechniken. Noch heute nutzen Forscher
Zeitlupenaufnahmen zur Bewegungsanalyse, für Crashtests und andere schnell ablaufende
Ereignisse, die mit dem menschlichen Auge nicht zu erkennen sind. So wird unter anderem
die explosionsartige Öffnung eines Airbags mittels Zeitlupe im Hinblick auf ihre Effektivität
bei einem Unfall ausgewertet (DVD Titel 7). Analog werden langsame Vorgänge über die
Zeitraffertechnik für die wissenschaftliche Bewertung erfassbar gemacht.
1.3.1 Inszenierung des Natürlichen
In Dokumentationen, allen voran im Tierfilm, dienen Zeitlupenaufnahmen seit einigen
Jahrzehnten aber nicht mehr nur der wissenschaftlichen Analyse sondern auch der
Inszenierung der beobachteten Objekte. Ähnliche Entwicklungen werden auch im Bereich der
Sportübertragung deutlich, wo nicht nur spielwichtige Szenen, sondern auch schweißnasse,
verzweifelte Gesichter verlangsamt gezeigt werden.
Die Realität, die Gleichzeitigkeit, wird zugunsten eines Details für kurze Zeit ausgeblendet
(DVD Titel 8)
28
. Gerade in der Sportberichterstattung erwartet der Zuschauer pathetisch
übertriebene Emotionen, wie sie schon in Leni Riefenstahls O
LYMPIA
zu finden waren.
27 Benjamin, S.36
28 siehe auch Kapitel 3.2.1
15

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836615570
DOI
10.3239/9783836615570
Dateigröße
3.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg – Medientechnik
Erscheinungsdatum
2008 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
medientechnik filmproduktion kamera postproduktion computer
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Titel: Zeitlupe und Zeitraffer
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